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IV.
Der funfzehnte August in Innsbruck.

Gott ist mit Denen, welche kämpfen für die deutsche Erde, das deutsche Recht, die deutsche Freiheit!

Und wieder hatte er also den Tyrolern den Sieg verliehen.

Zum andern Mal war es am Berg Isel zwischen den Tyrolern und ihren französischen und deutschen Feinden zu einer Schlacht gekommen.

Am elften August hatte die Schlacht begonnen, auf allen Punkten des Pusterthals, des Passeyrthals, überall wo der Feind war, zu gleicher Zeit. An diesem Tage hatten die Heere von Andreas Hofer, Speckbacher und Haspinger sich vereint, und bis gen Innsbruck hin hatten sie gekämpft gegen den Feind. Ueberall war es zu Gefechten gekommen, überall hatten die Bauern die Soldaten zurückgedrängt, und so waren sie Freund und Feind mitsammen bis nach Innsbruck gelangt, der Herzog von Danzig mit seinem Heer in rascher Flucht voraus, Hofer, Speckbacher und Haspinger mit ihren Tyrolern ihnen nach in glühender Verfolgung. Aber dieser eine Tag hatte nicht genügt, um eine Entscheidung zu bringen. Tausende von Leichen bedeckten den Erdboden, doch der Tod schreckte die Landesvertheidiger nicht, die da kämpften für ihr deutsches Vaterland, der Tod schreckte die Soldaten nicht, die da kämpften für ihre Krieger-Ehre.

Sie waren sich einander an Zahl fast gleich, die beiden wuthentbrannten, muthvollen Gegner. Das Heer des Herzogs von Danzig bestand aus sechsundzwanzigtausend Mann, Baiern und Sachsen miteingerechnet. Die vereinten Schaaren von Andreas Hofer, Speckbacher und Haspinger waren fast eben so stark, und wenn Jene ihre bessere Kriegsgewandtheit und ihre Kanonen für sich hatten, so hatten die Tyroler dafür ihre Begeisterung, ihren Patriotismus und das erhebende Gefühl ihres Rechts.

Am zwölften August blieb der Herzog von Danzig in Innsbruck, um sein zerstreutes Heer zu sammeln und neu zu ordnen.

Am zwölften August lagerten die Tyroler-Anführer vor Innsbruck, am Berge Isel, und neue Schaaren strömten von allen Seiten zu ihnen heran, und neue Streiter erstanden für die heilige Sache! Als der Morgen des dreizehnten August heraufdämmerte, war das Heer der Tyroler auf zwanzigtausend Streiter angewachsen, die jubelnd den neuen Tag begrüßten, und dann knieend vom Kapuziner Haspinger den Segen empfingen zu dem großen Werke des heutigen Tages.

Mit dem Löwenmuth der Verzweiflung kämpften die Franzosen, die Baiern und Sachsen. Mit dem Heldenmuth der Begeisterung kämpften die Tyroler. Sie hatten keinen strategischen Plan, keinen General, keinen Feldherrn an ihrer Spitze, aber die Begeisterung gab ihnen Pläne ein, der Muth war ihr General, der Eine große gemeinsame Gedanke der Vaterlandsvertheidigung war ihr Feldherr.

Und mit diesem Feldherrn an der Spitze siegten die Bauern über die kriegsgeübten Soldaten. Mit diesem Feldherrn an der Spitze gewannen sie am dreizehnten August dem französischen Marschall eine entschiedene Schlacht ab, zwangen sie ihn zum eiligen Rückzug von Innsbruck nach Salzburg hin.

Die Tyroler hatten gesiegt, Tyrol war wieder frei, der fremde Eindringling hatte abermals aus diesen Bergen sich flüchten müssen, aber reiche Kriegsbeute, zweitausend Verwundete und viele Gefangene, darunter viel Baiern und Sachsen, hatte er zurücklassen müssen.

Tyrol war wieder frei, und als die Sonne am Morgen des funfzehnten August über Innsbruck aufging, stand Andreas Hofer mit seinen Siegerschaaren droben auf dem Berg Isel, und schaute tiefgerührt hinunter auf das dampfende, blutgetränkte Schlachtfeld, auf welchem vorgestern der Krieg mit allen seinen Schrecknissen getobt hatte, schaute hin auf die Stadt Innsbruck, deren rauchende und brennende Häuser das Zeugniß gaben von dem letzten Wuthausbruch des entflohenen französischen Marschalls. Er ließ in der Nacht vom dreizehnten auf den vierzehnten August ganze Haufen von Leichen nach Innsbruck bringen, um es den Tyrolern unmöglich zu machen, die Zahl seiner Todten zu ermitteln. Sodann ließ er in dieser Nacht alle Häuser, Schlösser, Scheunen und sonstige Gebäulichkeiten um Innsbruck herum mit Pechkränzen bewerfen und diese anzünden. Am vierzehnten August war ganz Innsbruck von Feuersäulen umgeben, auch in der Stadt selbst schlugen aus vielen Häusern Feuersäulen auf. Des Herzogs von Danzig letzter Rachegruß! Siehe: Gallerie der Helden: Andreas Hofer. S. 126.

Schaut's nur, was das Blut gekostet hat, und wie viel Unrechts hat geschehen müssen, um daß wir zu unserm Recht kommen konnten, seufzte Andreas Hofer, hinunter deutend auf das Schlachtfeld. Mein Herz erbarmt sich in Mitleid, wenn ich's seh', und ich bitt' Euch Alle inbrünstiglich, habt jetzt Erbarmen mit den Verwundeten, seid milde mit den Gefangenen. Wir haben da an die tausend bairische und sächsische Gefangene. Schaut nur, da drunten stehen sie im dichten Haufen, und die Unsrigen stehen um sie her und necken sie und verhöhnen sie. Geh' zu ihnen hinunter, Du mein lieber Schreiber Döninger, sag' ihnen, sie sollen ein erbarmend Herz haben, sollen allzeit bedenken, daß die Gefangenen jetzt nit mehr ihre Feinde sind, sondern ihre deutschen Brüder, daß sie Sachsen und Baiern sind, Eine Sprache mit uns reden, ein Vaterland mit uns haben. Sag's den Unsern, Döninger, und ruf' ihnen in des Andreas Hofer's Namen zu: »Thut den Gefangenen nichts! Es sind Sachsen und Baiern und ganz brave Leut'!« Andreas Hofer's eigene Worte. Siehe: Gallerie etc. S. 125.

Ganz brave Leut' sind's just nicht, sagte Speckbacher, der zur Rechten Hofer's stand, nein, Anderl, ganz brave Leut' sind's nicht, sonst hätten's nicht gekämpft gegen uns, die wir doch gewiß brave Leut' sind, und nichts gethan haben, als unser liebes Landl zu vertheidigen.

Andreas Hofer, statt ihm zu antworten, wandte sich lächelnd zu dem Kapuziner, der sich ihm zur Linken befand. Bruder Joachim, sagte er sanft, solltest doch sehen, daß Du unserm Sepperl ein bissel in's Gewissen red'st, damit er thut, wie's der Heiland befohlen hat, und seinen Feinden vergiebt. 'S ist ein gar lieber, aber gar störriger Gesell, ein gar muthiger und kluger Kriegsmann, aber schaden könnt's ihm halt nit, wenn er ein besserer Christ wär'!

Wenn wir in diesen Tagen gute Christen gewesen wären, würden wir nimmer gesiegt haben, brummte der Kapuziner kopfschüttelnd. Wenn wir gute Christen wären, so müßten wir unsere Feinde lieben, Denen wohlthun, die uns beleidigen und verfolgen, und Denen, welche uns einen Backenstreich gegeben, die andere Wange auch hinhalten. So lang' man Soldat ist, Anderl, kann man kein guter Christ sein, und ich dank' dem lieben Herrgott, daß wir uns geschlagen haben als recht grobe, tapfere Heiden. Wenn aber der Feind 'raus und der Friede wieder drin ist im Land, und ich wieder heimgekehrt bin in mein langweilig Kloster zu Seeben, dann will ich wieder ein frommer Kapuziner werden, und dem lieben, tapfern Sepperl Speckbacher da in's Gewissen reden, daß er ein so frommer Christ werde, wie's unser Andreas Hofer ist.

Nein, nein, Bruder Joachim, so lang' wollen wir nit warten, um uns als gute Christen zu zeigen, rief Andreas eifrig. Der große und gütige Gott hat uns beigestanden in der Schlacht und hat uns den Sieg gegeben über unsere Feind'! Lasset uns also ihm danken für so große Gnad' und Liebe, lasset uns zu ihm beten, daß er unsern Sieg segne und Denen, welche ihn mit ihrem Leben haben bezahlen müssen, eine gnadenvolle Auferstehung gebe!

Er zog seinen großen Rosenkranz aus seiner Busentasche, und Aug' und Sinn andachtsvoll zum Himmel emporgewandt, sank Andreas Hofer auf seine Kniee nieder.

Ja, lasset uns Gott bitten, daß er unseren Sieg segne, sagte Pater Haspinger, gleich Andreas Hofer sein Knie beugend, und Speckbacher folgte seinem Beispiel.

Und die frommen Tyroler, wie sie ihre Führer dort oben auf der Bergspitze knieen sahen, fühlten ihr Herz erbeben in Andacht und Rührung, und auch sie knieeten nieder, und ihr Jauchzen und Jodeln, ihr Schreien und Lachen verstummte, nur fromme Gebete hörte man murmeln und flüstern, und dazwischen das melodische Geläute der Glocken, mit denen man in Innsbruck das Abziehen des französischen Marschalls, das Nahen der siegreichen Landesvertheidiger feierte.

In diesem Moment brach die Sonne zwischen den Wolken hervor und beleuchtete mit strahlendem Licht diese ganze wunderbare Scene, die drei knieenden Helden oben auf der Bergspitze, und rings umher die Tyroler in ihrer malerischen Landestracht auf den Knieen, mit Thränen in den Augen Gott dankend für den Sieg.

Die gefangenen Baiern und Sachsen, ergriffen von diesem Anblick, von der Heiligkeit des Momentes, sanken gleich den Tyrolern auf ihre Kniee nieder, und mit ihren Feinden zugleich beteten sie zu Gott, nicht, wie Jene, ihm dankend für den Sieg, aber doch ihm dankend, daß er sie zu Gefangenen so frommer und guter Sieger gemacht. Der Mann von Rinn, Joseph Speckbacher. Von Joh. Mayr. S. 196.

Auf einmal ward diese fromme Scene von lautem Jauchzen und Schreien, von Singen und Jodeln unterbrochen und den Berg hinauf wälzte sich ein langer stattlicher Zug von singenden, jubelnden Menschen.

Die Studenten von Innsbruck waren es, welche daher kamen, Andreas Hofer als Sieger zu begrüßen und ihn im Triumph in die Stadt zu geleiten. Viel Volks hatte sich ihnen unterwegs angeschlossen, und mit lauten jubelnden Stimmen riefen Alle: Wo ist Andreas Hofer, der Vaterlandserretter? Wo ist Andreas Hofer, der Befreier?

Die den Studenten voranschreitenden Musici stimmten jetzt, als sie Andreas gewahrten, der sich bei ihrem Nahen von seinen Knieen erhoben hatte, einen schmetternden Tusch an.

Aber er hob gebieterisch seinen Arm empor und sofort verstummte die Musik und das Jauchzen der Studenten, die ehrfurchtsvoll vor der hohen, stattlichen Gestalt des Barbone sich neigten.

Bst! Bst! sagte Andreas ernst, beten! Nit schreien und musiciren. Ich nit, wir Alle nit, der da droben hat's gethan! Andreas Hofer's eigene Worte. Siehe: Der Mann von Rinn. S. 197.

Aber geholfen habt Ihr dem lieben Herrgott doch ein bissel, sagte der Sprecher der Studenten, und darum müßt Ihr's Euch schon gefallen lassen, daß ganz Tyrol Euch dankt und Euch seinen Retter und Befreier nennt. Wir sind gekommen als die Boten der Hauptstadt von Tyrol, und wir sollen Euch bitten, daß Ihr nicht länger säumt, sondern Euren Einzug haltet in Innsbruck.

Ja, ich werd' kommen, rief Andreas freudig, was ich mir von Gott dem Herrn als größte Gnad' hab' erflehet, das ist geschehen, und als Sieger werden wir einziehen in die Stadt, in welcher der böse Feind gar arg gehaust hat. Kehrt heim, Ihr Lieben, und sagt's den lieben Menschen, daß wir in einer Stund' nach Innsbruck kommen werden, der Rothbart, der Speckbacher und ich, und daß wir uns freuen wollen, die braven Leut' Alle wieder zu sehen. –

Und nach einer Stunde hielt Andreas Hofer mit den Freunden seinen Einzug in Innsbruck. Er saß in einer stattlichen Carrosse, von vier prächtigen Schimmeln gezogen, welche er selbst einem französischen Obristen bei der Flucht über den Brenner abgenommen. Dem Sandwirth zur Seite saß Joachim Haspinger, der Kapuziner, und neben der Kutsche auf dem stolzen, prächtig aufgeschirrten Rappen, der vorgestern noch den stolzen Herzog von Danzig getragen, ritt Joseph Speckbacher, strahlenden Angesichts, die helle Siegesfreude in den dunkeln feurigen Augen.

Dem Wagen voraus zog eine Schaar jauchzender Landleute mit Schwögel-Pfeifen und Geigenmusik, aus allen Fenstern und von allen Balconen hingen Teppiche und Fahnen hernieder, grüßten schön geputzte Frauen den Sieger mit wehenden Tüchern, und das Volk auf der Straße, und die Frauen auf den Balconen, und die Buben auf den Dächern und den Bäumen, Alles rief und schrie: Heil Andreas Hofer! Heil dem Ober-Commandanten von Tyrol! Und dazu läuteten die Glocken, donnerten die Böller, die man auf dem Marktplatze aufgestellt hatte, schwirrten die Pfeifen und Geigen.

Hör' Du, Bruder Haspinger, sagte Andreas Hofer, sich zu dem Kapuziner neigend, während der Wagen sich langsam vorwärts bewegte, ich möcht' halt nit immer mit solchem Geschrei und Dudeldumdei in die Stadt 'nein kommen, und denk' mir, es muß gar sauere Arbeit sein für die Fürsten, immer ein freundlich Gesicht dazu zu schneiden, wenn sie so mit Volkslieb' molestirt werden. Hab' mir's viel schöner gedacht und mich wahrhaft gefreut auf unsern Einzug, und jetzt hab' ich den Einzug herzlich satt, möcht' wohl, daß sie das Gefidele sein ließen, und Platz machten, damit der Wagen rascher vorwärts käme! Mich hungert, und ich möcht', ich wär' erst bei meinem lieben Freund Niederkircher, dem Adlerswirth.

Mußt's doch lernen, ein freundlich Gesicht zu schneiden, wenn Dir's Volk entgegenjauchzt, sagte Haspinger lachend. Bist ja jetzt auch ein Fürst worden, und ich denk', Dein Volk wird Dich sehr lieb haben.

Was red'st für Unsinn, Bruder? fragte Hofer ärgerlich.

Nicht Unsinn, Anderl, sondern ich sag', was wahr und was nothwendig ist. Horch' doch nur, Bruder, horch' nur, was alles Volk ruft und schreit.

Vivat, vivat Andreas Hofer, rief so eben wieder die Menge, die tanzend und jodelnd den Wagen umwogte, vivat der Ober-Commandant von Tyrol.

Sie nennen mich den Ober-Commandanten von Tyrol, sagte Andreas sinnend. Soll ich's denn sein, Joachim, ist's nöthig, daß ich mich so nenn'?

Sollst Dich so nennen, Anderl. Einer muß da sein, der an der Spitze steht, und zu dem das Volk aufschaut als zu seinem Stern, an den es sich wendet, als zu seinem Tröster, seinem Richter und Helfer. Und weil das Volk zu Dir Vertrauen hat und Dich liebt, so mußt Du der Eine sein, der das Ganze zusammenhält, damit es nicht auseinander fällt. Du sollst das Haupt sein, und wir Andern, wir wollen Deine Hände sein und Dein Gedanke, und wollen arbeiten und kämpfen und denken für Dich und für Tyrol. Es muß für uns All' ein Oberer da sein, ein Ober-Commandant von Tyrol, und darum sollst Du's sein, Anderl.

Wenn Du's sagst, so bin ich's schon, sagte Andreas, leis mit dem Kopf nickend. Bin der Ober-Commandant von Tyrol, so lang' bis wieder Ruh' ist und Frieden und der Feind für immer aus 'm Landl hinaus ist. Aber schau', da sind wir jetzt endlich vor dem Haus des Adlerwirths ankommen, und da steht der Niederkircher mit seinem lieben runden Gesicht. Gott grüß' Dich, Niederkircher, was schaust mich denn halt so feierlich an, und warum hast denn Dich so mörderlich herausstaffirt? Bist ja im feinsten Sonntagsstaat und doch ist Werkeltag, mein' ich!

Ein hoher Festtag ist's heute, rief der Adlerwirth, der Ober-Commandant von Tyrol, der große Andreas Hofer, hält seinen Einzug, und darum hab' ich meinen Sonntagsstaat angelegt, und darum mach' ich ein so feierliches Gesicht, denn es würd' sich doch nit schicken, den Herrn Ober-Commandanten von Tyrol zu umarmen, wie ich's sonst gar gern thun möcht'!

Bist ein Narr, Alter, sagte Andreas, seinen Arm um den Hals des Freundes legend; soll ich der Ober-Commandant sein vor den Leuten, bin ich doch vor den Freunden immer der Andre Hofer, der Sandwirth und schlichte Bauersmann. Komm' hinein in's Haus, Liebster, und Du, Joachim, komm' mit uns. So! Führ' mich in mein Hinterstübel, wo ich immer haus', wenn ich bei Dir bin.

Der Himmel behüt' mich, rief der Adlerwirth, im Hinterstübel darfst nimmermehr sein, das würd' sich halt nit schicken für den Ober-Commandanten von Tyrol. Mein prächtigstes Zimmer mußt Du haben mit dem Balcon nach der Straß' hin, und es ist auch Alles schon für Dich bereitet.

Muß ich da hinein, Joachim? fragte Andreas fast ängstlich den Kapuziner.

Ja, Anderl, Du mußt, entschied der Pater. Mußt Deiner neuen Würde, mußt uns Allen Ehre machen.

Es ist recht schad', daß ich's muß, seufzte Andreas. Hatte mich halt recht gefreut auf's Hinterstübel, wo's so traulich ist und still, und wo man nit so viel hört von dem Lärm und Geschrei da draußen. Aber wenn's nit anders sein kann, nun so laßt uns in's Paradezimmer gehen, aber ich bitt' Dich, gieb uns da, wenn's sein kann, einen Imbiß. Ein paar herzhafte Knödel und dazu ein Glasel Landwein, Bruderherz.

Nein, nein, Andreas Hofer, das geht heut' nit an, rief der Adlerwirth eifrig, hab' schon alle Händ' in Bewegung gesetzt seit Sonnenaufgang und ein gar prächtiges Essen wirst Du haben, wie's sich geziemt für den Ober-Commandanten von Tyrol.

Ich kann sagen, Speckknödel und Landwein im Hinterstübel wär' mir lieber gewesen, sagte Andreas Hofer kleinlaut, während er mit dem Adlerwirth und dem Kapuziner die breite Stiege hinaufschritt zu dem Prachtzimmer des Hauses.

Und in der That, es war ein gar stattliches und schönes Gemach, in welches sie jetzt eintraten, und wenn's auch vielleicht nicht so behaglich war, wie das »Hinterstübel,« so war's doch immer angenehm, jetzt endlich unter Dach und Fach zu sein, und ein bischen Einsamkeit und Ruh' zu haben. Und da in der Mitte des schönen Zimmers stand ein gedeckter Tisch, mit Blumenguirlanden umwunden und besetzt mit Weinflaschen, schönem Backwerk und allerhand Früchten.

Jetzt, Ihr hohen Herren, macht's Euch bequem, sagte der Adlerwirth fröhlich, legt Euch ein bissel auf's seidene Kanapee und ruht Euch. Ich geh' indeß in die Küch', meine Befehl zu geben und für den Ober-Commandanten und seine zwei Generäle, den Haspinger und den Speckbacher, serviren zu lassen.

Ich werd' gleich thun, wie Du gesagt hast, brummte der Kapuziner, werd's mir bequem machen!

Und mit einer raschen Bewegung schnellte er seine dicken, staubigten Lederschuhe von den Füßen, daß sie weithin durch das Zimmer in den Winkel flogen, dann legte er sich auf den Teppich nieder, der vor dem Kanapee ausgebreitet war, und behaglich seine Glieder streckend, rief er: wahrhaftig, so bequem hab' ich's mir nicht machen können seit vielen Tagen.

Aber Du, – Ihr, Herr Ober-Commandant, sagte Niederkircher bittend, Ihr werdet doch mein Kanapee nicht verschmähen? Ruh' Dich d'rauf ein bissel, Anderl, bis daß die Kellner Dir's Diner, wie die vornehmen Leute 's heißen, auftragen.

Behüt' der Himmel, erst muß ich für die Thier' sorgen, rief Andreas eifrig. Hast wohl gesehen, Adlerwirth, was ich da für prächtige vier Schimmel hab'? Es ist meine richtige Kriegsbeut' und ich will sie mir zum Angedenken behalten, und sie nimmermehr verkaufen, obwohl ich ein gut Stück Geld dafür bekommen würd', denn es sind gar herrliche Thier', nur das vordere Handpferd', mein' ich, ist ein bissel schwach in der Brust und muß geschont werden. Eh' ich an's Essen geh' und mir's bequem mach', muß ich erst gehen und den Thieren ihr Futter geben, und nachsehen, ob sie's bequem haben. Weißt wohl, Niederkircher, hab' immer selbst meine Thiere abgefuttert und will's also auch heute thun!

Und mit hastigem Schritt eilte er der Thür zu, aber der Adlerwirth sprang ihm nach und hielt ihn zurück.

Um Gotteswillen, Sandwirth, rief er entsetzt, was willst denn thun? Bist ja heut' nit der Pferdehändler und Sandwirth, bist ja der Ober-Commandant von Tyrol.

Es ist wahr, ich hatt's vergessen, seufzte Andreas. So geh' denn, Lieber, und sorg' für's Essen, und laß auch für meine Schimmel ein tüchtig Bund Heu in die Krippe legen. Aber, Du lieber Herrgott, was ist denn das für ein fürchterlicher Lärm auf der Straße? Schreien doch die Menschen, daß die Mauern zittern und die Fenster klirren? Was wollen's denn, und was schreien sie denn immerfort meinen Namen? Schau' 'mal 'naus, Adlerwirth, und sieh', was es giebt?

Der Adlerwirth eilte an's Fenster und schob den Vorhang bei Seite, um hinunterzuschauen auf die Straße. Kopf an Kopf gedrückt, stand da unten das Volk und schrie und rief, und tobte und jauchzte: Andreas Hofer! Komm' heraus! Vivat der Ober-Commandant von Tyrol, der Befreier! Wir wollen ihn sehen, wir müssen ihm danken, daß er uns errettet hat von dem bösen Feind. Andreas Hofer! Andreas Hofer!

Es hilft Alles nit, Anderl, Du mußt auf den Balcon hinaus, sagte der Adlerwirth, von dem Fenster zurücktretend. Das Volk schreit und tobt vor Lieb' und Begeisterung und wird sich nit eher zur Ruh' geben, als bis Du Dich gezeigt und eine Red' gehalten hast. Thu's also, Freund, geh' hinaus auf den Balcon!

Muß ich? fragte Andreas kläglich, sich nach dem Kapuziner wendend, der sich behaglich auf dem Teppich streckte.

Du mußt, Bruder, sagte Joachim gravitätisch, das Volk wünscht seinen Liebling zu sehen, und es wär' halt wohl undankbar, wenn Du seine Lieb' nicht annehmen wollt'st!

Andreas Hofer seufzte, aber er ergab sich und schritt nach dem Balcon hin, dessen Thüren der Adlerwirth weit vor ihm öffnete.

Wie die Tausende da unten die hohe Gestalt ihres Lieblings erschauten, erfüllte ein unermeßliches Jubelgeschrei die Luft, und Alles schwenkte die Hüte, und Alles brüllte und jauchzte: Vivat Andreas Hofer: Vivat der Ober-Commandant von Tyrol!

Und jetzt überkam eine tiefe, innige Rührung das weiche, dankbare Gemüth Andreas Hofer's; so vieler Liebe, so vieler Begeisterung gegenüber schwoll sein Herz vor Freude und Entzücken, und Thränen reinster Freude füllten seine Augen, die mit innigem Liebesblick das jauchzende Volk grüßten. Es drängte ihn, diesem guten Volk zu danken, seiner Liebe Ausdruck zu geben, und Ruhe gebietend, hob er den Arm empor.

Sofort verstummte das Schreien und Jubeln, und unter dem athemlosen Schweigen der Menge sprach Andreas mit lauter, weithallender Stimme: »Grüß' Euch Gott, meine lieben Innsbrucker! Weil Ihr mich halt zum Ober-Commandanten gewollt habt, so bin ich jetzt da. Es sind aber noch viel Andere da, die keine Innsbrucker sind. Alle, die unter meinen Waffenbrüdern sein wollen, die müssen für Gott, für Kaiser und Vaterland als tapfere, redliche und brave Tyroler streiten. Die aber das nit thun wollen, die sollen heimwärts gehen! Die meine Waffenbrüder werden wollen, die sollen mich nit verlassen! Ich werde Euch auch nit verlassen, so wahr ich Andreas Hofer heiße! Gesagt hab' ich's Euch, gesehen habt Ihr mich! Jetzt behüt' Euch Gott!« Andreas Hofer's eigene Worte. Siehe: Gallerie der Helden: Andreas Hofer. S. 126.

Wieder erhob sich ein unermeßliches Jubelgeschrei, als Andreas Hofer seine Rede beendete, und dies tönte noch fort, als er schon den Balcon verlassen, die Thüren desselben fest hinter sich zugedrückt hatte und wieder in das Zimmer zurückgetreten war.

Hast gar brav und schön geredet, Anderl, sagte der Adlerwirth, ihm die Hand darreichend und mit innigem Liebesblick in sein erhitztes Antlitz schauend. Man hat's gehört, daß Deine Wort' nit einstudirt waren, sondern frisch vom Herzen kamen, so werden sie auch Allen zum Herzen gehen. Jetzt aber, Herr Ober-Commandant von Tyrol, jetzt, wenn's beliebt, zu Tische. Die Supp' ist angerichtet, und ich selber werd' die Ehre haben, den Herrn Ober-Commandanten zu bedienen.

Aber der Speckbacher ist ja noch nit da, sagte Andreas Hofer, und ohne den können wir doch nimmer zu Tisch gehen. Wir haben mitsammen gekämpft und gearbeitet, jetzt wollen wir auch mitsammen der Ruhe und des Leibes pflegen. Meinst nit auch, Bruder Rothbart?

Aber der Kapuziner antwortete nicht, oder vielmehr er antwortete nur mit einem langgedehnten vernehmlichen Schnarchen.

Bei unseren lieben Frauen, der Joachim ist auf dem Fußboden da eingeschlafen, rief Andreas lächelnd.

So wecken wir ihn halt, sagte der Adlerwirth, sich nach dem Schlafenden hinwendend.

Nein, Lieber, nein, das thun wir halt nit, flüsterte Andreas ihn zurückdrängend. Der treue und tapfere Bruder Rothbart hat so lang und so viel gewacht, und so rastlos gearbeitet, daß man ihm die Ruh' gönnen muß, und daß es eine Sünd' und eine Schand' wär', ihn aus seinem Schlaf zu wecken. Warten wir also mit dem Essen, bis der Speckbacher da ist und der Haspinger ausgeschlafen hat.

Aber Du sagtest doch, daß Du hungrig wärst, Andreas? Warum willst denn warten? Warum ißt Du denn nit und läßt die zwei Andern nachher nit allein essen? Du bist doch der Ober-Commandant, der Vornehmste von ihnen Allen, und sie müssen sich nach Dir schicken und Du nit nach ihnen.

Red' nit so was, rief Andreas heftig, Ober-Commandant bin ich blos, weil es nothwendig ist, daß Einer da ist, der's Ganze zusammenhält, damit es nit auseinanderfällt. So hat Pater Haspinger gesagt und so ist's auch. Aber wenn ich für's Landl Ober-Commandant bin, so bin ich's doch nit für die Freund' und Waffenbrüder. Wir haben alle Drei nach besten Kräften für's Vaterland gearbeitet und nit mehr hab' ich gethan, als der Speckbacher, oder der Kapuziner. Es ist war, hungrig bin ich, aber ohne die Freund' geh' ich nit zum Essen, und ganz gut ist's, daß sie nit hier sind, und daß ich noch ein bissel Zeit hab'! Hätt' über meinen Magen beinah' des lieben Herrgotts vergessen, und dadurch, daß die Freund' noch nit zum Essen bereit sind, läßt er mich mahnen, daß ich ihm noch etwas schuldig bin und daß ich zu ihm kommen soll. Laß also Deine schöne Suppe immerhin noch ein bissel warm stellen, Niederkircher, ich geh' derweil noch einmal in die Franziskanerkirch', um mich zu melden beim lieben Herrgott als sein treuer Diener und Soldat!

Er nahm seinen schwarzen Tyrolerhut, und ging von dannen mit eiligem Schritt die Stiege hinab, aus dem Hause hinaus und die Straße hinunter. Die verdrießlichen, unzufriedenen Mienen des Adlerwirths und daß dieser seinen Abschiedsgruß nicht erwiderte, das hatte er gar nicht bemerkt, denn alle seine Gedanken hatten sich jetzt zu Gott hingewendet, und in tiefer Zerknirschung machte er sich Vorwürfe darüber, daß er, um seines Leibes Nahrung willen, Gottes fast vergessen hätte.

Verzeih' mir's, mein Herr und Gott, murmelte er, als er in die weiten düstern Hallen der Kirche eintrat, verzeih' mir's, daß ich nit gleich zu Dir kam; der Geist war willig, doch das Fleisch war schwach!

Mit leisen eiligen Schritten, um nicht die Betenden zu stören, oder von ihnen bemerkt zu werden, ging er durch den Seitengang hin zu einem der kleinen Altäre und vor demselben warf er sich andächtig auf seine Kniee nieder.

Hier bin ich, mein Herr und Gott, flüsterte er, seine beiden Hände über seinem Bart haltend, hier bin ich, um Dir die Ehr' zu geben, und Dir zu danken, daß Du uns freigemacht vom Feind und uns den Sieg verliehen hast. Ich dank' Dir dafür aus Herzensgrund, denn Deine Gnad' ist bei uns gewesen und Du hast uns geführet als der rechte Feldherr. Führ' uns nun auch ferner, mein Herr und Gott, und steh' Deinem getreuesten Knecht bei, damit er das Rechte treffe bei dem schweren Werk, dem ich mich jetzt unterziehen soll! Herr, Du weißt, daß ich nit aus eitel Hochmuth und Aufgeblasenheit mich 'naufschwindeln möcht' zu dem, was ich nit bin, Du weißt, daß ich lieber einfach und still daheim wär' in meinem Wirthshaus bei Weib und Kind, statt daß ich hier den großen Herrn spielen und 'n vornehmen Titel annehmen muß. Aber der Kapuziner, der klüger ist, als ich, der sagt ja, daß es so sein muß, und daß ich mich dem Regiment unterwerfen und das Commando übernehmen muß, und so füg' ich mich in Geduld und muß mir's gefallen lassen, hier den Herrn zu spielen, bis Du, mein Herrgott, mir wieder erlaubst, Dein demüthiger und bescheidener Knecht zu sein, und wieder heimzukehren zu meiner lieben Anna Gertrudel, zu den drei Mädels und dem lieben Buben. Oh Du allgütige, heilige Jungfrau, hab' ein Mutteraug' für meine Lieben daheim, beschütze und behüte sie, und gieb, daß sie Frieden haben im Herzen und sich nit ängstigen um mich! Gieb uns Allen den Frieden, heilige Mutter Gottes, und –

Seht, seht, das ist er, rief hinter ihm eine laute Stimme und schreckte ihn aus seinem Gebet empor. Seht ihn, den großen Helden, wie er demüthig da liegt vor dem Altar. Seht Andreas Hofer!

Unwillig über die Störung und die anteiliger Stätte so laut gesprochenen Worte, schaute Andreas hinter sich. Und da standen dicht aneinander gedrängt in dem Gange wohl mehr als hundert Menschen, und Aller Augen waren zu ihm hingewandt, und Jeder schob vorwärts und reckte den Hals empor, um Andreas Hofer zu sehen, um seinen schönen Bart zu bewundern und sein ganzes Wesen zu mustern. Unbemerkt von ihm, war man ihm gefolgt, und da sich schnell überall die Kunde verbreitet hatte, Andreas Hofer, der Ober-Commandant von Tyrol, habe sich nach der Franziskanerkirche begeben, war Alles dahin geeilt, um ihn zu sehen, ihn zu begrüßen und ihm zu huldigen.

Aber Andreas fand diese Huldigung sehr lästig, und es ärgerte ihn, daß er selbst beim Gebet Zuschauer gehabt. Er machte daher zu den Liebesbeweisen und den enthusiastischen Begrüßungen ein gar süßsaures Gesicht und drängte hastig durch die Menge nach dem Ausgang hin.

Ich dank' Euch für Eure Lieb', sagte er zu denen, die ihm nahe standen, aber lieber wär's mir doch gewesen, Ihr hättet mich ruhig und unbemerkt gehen lassen und hättet mich nit gestört in meinem Gebet. Jetzt aber bitt' ich Euch, laßt mich allein heim gehen und folgt mir nit. Den großen Herren mag's anstehen, wenn sie ein stattlich Gefolg hinter sich haben, ich aber bin ja nur ein schlichter Tyroler, wie Ihr Alle, und möcht' und will gar nit mehr sein. Ist auch gar nichts Besonderes an mir zu schauen, und seh' nit anders aus, als Ihr lieben Menschenkinder all' mit einander. – So bitt' ich Euch denn, thut mir's zu lieb und geht nit mit mir, sondern laßt mich still fürbaß gehen und zum Adlerwirth zurückkehren, der mich zum Mittagessen erwartet.

Und ihm zu Liebe gehorchten sie, und traten still beiseit, daß er vorüber und zur Kirchthür hinausgehen konnte. Dann aber stürzten sie hinterher, um ihm nachzuschauen und wenigstens aus der Ferne ihm nachzurufen: »Es lebe Andreas Hofer, der gottesfürchtige Ober-Commandant von Tyrol!«

Aber Keiner wagte es doch, ihm nachzufolgen, und voll Ehrfurcht und Liebe schauten Alle seiner hohen Gestalt nach, die langsam und würdig die Straße hinabschritt.

Wunderliche Menschen sind's doch in den Städten, sagte Andreas Hofer zu sich selber, während er dahinging, nit einmal ruhig beten lassen's Einen und neugierig sind's wie die Schwalben. Ueberall schlüpfen's Einem nach und starren Einen an als wär' man ein Wunderthier. Wenn das »Berühmtsein« heißt, so dank' ich für den Ruhm, und um Alles in der Welt willen möcht' ich nit mein Lebelang ein vornehmer oder berühmter Herr sein! Wenn erst wieder Frieden im Land ist und kein Feind mehr da, den wir bekämpfen müssen, so werden's das Bissel, was ich gethan hab', vergessen, und ich werd' wieder ruhig und still auf meiner Wirthschaft daheim leben können, und Niemand wird dem Sandwirth nachlaufen, wenn er nach Innsbruck kommt, um Pferd' zu verkaufen, und beim Adlerwirth werd' ich wieder im Hinterstübel sitzen dürfen und Knödel essen und Landwein trinken. Ach Du liebe Mutter Gottes, gieb, daß wir bald so weit sind und daß der Ober-Commandant von Tyrol wieder der Sandwirth Andreas Hofer sein kann!

Hurrah, es lebe der Ober-Commandant von Tyrol, riefen eben ein paar Männer, die ihn erkannt hatten, und stehen blieben, um ihn ehrfurchtsvoll wie einen Fürsten zu begrüßen.

Andreas Hofer eilte rascher vorwärts, und war herzensfroh, als er jetzt das Haus des Adlerwirths erreicht hatte.


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