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V.
Der Friedenstractat.

Kaiser Franz bewohnte noch immer das in Ungarn belegene Schloß Totis des Fürsten Liechtenstein, aber seit einigen Tagen herrschte in demselben nicht mehr die tiefe Stille und eintönige Ruhe, wie in der ersten Zeit des kaiserlichen Aufenthalts. Couriere kamen und gingen, Equipagen rollten heran, und brachten irgend einen der österreichischen Diplomaten, mit denen sich der Kaiser lange Zeit in seinem Cabinet beschäftigte und die dann sogleich wieder von dannen eilten. Selbst der Baron von Thugut, der einstige allmächtige Minister, war aus seiner Ruhe und Abgeschiedenheit wieder hervor geholt worden und hatte auf den Ruf des Kaisers nach Totis kommen müssen. Franz hatte sich mit ihm in sein Cabinet eingeschlossen und so leise hatte er sich mit ihm unterhalten, daß Hudelist, obwohl er das Ohr dicht an das Schlüsselloch gehalten hatte, kein einziges Wort von einiger Bedeutung verstehen konnte, und so verschwiegen war der Kaiser über das, was er mit dem Baron Thugut verhandelt hatte, daß die Kaiserin Ludovica, wie oft sie auch nach der Abreise Thugut's das Gespräch auf denselben zu lenken versuchte, auch nicht die kleinste Andeutung erhielt über den Zweck seines plötzlichen Erscheinens.

Auch heute, am zwölften October, herrschte schon in der Frühe des Morgens ein reges geschäftiges Leben im Schloß Totis. Zuerst war der Fürst Liechtenstein gekommen und ihm war bald darauf der Graf Bubna gefolgt. Mit Beiden hatte der Kaiser sich in sein Cabinet begeben, und erst nach mehreren Stunden hatten beide Herren das kaiserliche Cabinet verlassen, um sogleich wieder abzureisen.

Jetzt aber war auch der Graf Metternich in Totis angelangt, und auch er begab sich sofort nach den Gemächern des Kaisers.

Dem Kammerhusaren, der im Vorzimmer stand, befahl der Graf, ihn Sr. Majestät zu melden, aber dieser schüttelte mit einem verbindlichen Lächeln sein Haupt.

Ist nicht nöthig, Ew. Excellenz zu melden, sagte er. Se. Majestät haben befohlen, daß Ew. Excellenz sogleich in sein Cabinet eingeführt werden. Haben Ew. Excellenz also die Gnade, mir zu folgen

Und er eilte mit geräuschlosen Schritten durch die Säle dahin. Graf Metternich folgte ihm eiligst nach, und auf seinem schönen jugendlichen Angesicht zeigte sich ein unmerkliches spöttisches Lächeln, wie er durch diese Prunkgemächer dahin schritt, deren Oede, Stille und Vereinsamung der beste Commentar war zu der Stellung des Kaisers.

Jetzt stand der Kammerhusar vor der Thür des kaiserlichen Cabinets; nachdem er gewartet, bis Se. Excellenz nahe genug herangekommen war, öffnete er diese Thür und sagte mit lauter gewichtiger Stimme: Se. Excellenz der Herr Graf Metternich!

Als der Graf in das Cabinet eintrat, saß der Kaiser vor seinem Schreibtisch und hielt ein Papier in der Hand, in dem er vorher gelesen haben mochte, das er jetzt aber auf den Tisch legte, um aufzustehen und den Grafen zu begrüßen. Dem scharfen beobachtenden Auge Metternich's entging es nicht, daß des Kaisers Antlitz heut' in einer Heiterkeit erglänzte, wie man sie lange nicht an ihm gesehen, und indem er sich tief vor der Majestät verneigte, fragte er sich, welches wohl der Grund dieser ungewohnten Heiterkeit sein möge, und von wem wohl die guten Nachrichten gekommen sein mochten, die den Kaiser so um gewandelt.

Nun, Herr Graf, sein's willkommen, sagte der Kaiser mit frischer klangvoller Stimme und einem anmuthigen Lächeln. Ich hab' Sie gebeten, von Altenburg daher zu kommen, weil ich gar sehr neugierig bin, von Ihnen zu erfahren, wie weit Sie mit dem Frieden gekommen sind, und ob noch immer gar keine Aussicht vorhanden, daß endlich der abscheuliche Krieg zu Ende ist?

Majestät, wir rücken leider wenig vorwärts in diesen Unterhandlungen, sagte Graf Metternich traurig. Der Kaiser von Frankreich scheint sich mit eigensinniger Festigkeit auf alle seine Forderungen zu capriciren und kein Jota von ihnen nachlassen zu wollen.

Schauen's, schauen's, so eigensinnig ist der Bonaparte? fragte der Kaiser freundlich. Wie weit sind's denn in Ihren Conferenzen mit dem Minister Champagny?

Majestät, wir sind noch nicht über den schwierigen Punkt des Geldes und der Festungen hinaus gekommen. Frankreich will seine immense Forderung von zweihundertundsiebenunddreißig Millionen durchaus nicht vermindern, und es besteht darauf, daß wir ihnen die Festungen Gratz und Brünn, die sie noch gar nicht besetzt gehabt, ausliefern sollen.

Das heißt, Sie sind Halt in Ihren Friedensverhandlungen noch nicht weiter gekommen, als beim Beginn derselben?

Verzeihung, Majestät, beim Beginn derselben kannten wir die Forderungen Frankreichs noch gar nicht, während wir jetzt doch in der Lage sind, Napoleon's Forderungen genau zu kennen, und darnach die Tragweite unserer Stellung ermessen zu können. Wenn man des Gegners Absichten erst kennt, kann man leichter auf Mittel und Wege sinnen, sie zu durchkreuzen.

Sie sinnen aber halt schon recht lange, und die Mittel und Wege sind Ihnen noch nit klar, sagte der Kaiser achselzuckend. Na, was meinen's denn, lieber Graf, was wird denn bei Ihren Friedensverhandlungen endlich herauskommen?

Ew. Majestät erlauben mir die Wahrheit zu sagen? fragte Graf Metternich mit seinem verbindlichsten Lächeln.

Der Kaiser nickte.

Nun denn, Majestät, ich glaube, daß bei diesen Friedensverhandlungen nichts Anderes herauskommen wird, als der Krieg. Die Forderungen Frankreichs sind zu exorbitant, als daß Oesterreich sie annehmen könnte. Die Ehre Oesterreichs wird uns nöthigen, die Feindseligkeiten wieder aufzunehmen, denn eine Regierung kann wohl im schlimmsten Fall an ihrem Länderbesitz, niemals aber darf sie an ihrer Ehre beschädigt werden.

Aber wissen's wohl, daß, wenn wir den Krieg wieder beginnen, wir nicht blos an Länderbesitz, sondern auch an unserer Existenz gefährdet sind? Unsere Heere sind in Auflösung und Zerrüttung, sie sind moralisch besiegt, sie haben keinen Feldherrn, und meine Herren Brüder, die an der Spitze der einzelnen Armeen stehen, zanken sich untereinander, daß man meinen sollt', sie wären nicht Fürsten, sondern alte Weiber. Außerdem fehlt uns der beste und nothwendigste Kriegsanführer und Feldherr, fehlt uns das Geld.

Wollen Ew. Majestät nur den Krieg, und an den Mitteln, an dem Geld dazu wird es Ihnen nicht fehlen. Ihr ganzes Volk wird sein Hab' und Gut freudig opfern zur Fortsetzung des Krieges, denn Ihr Volk haßt Napoleon und wünscht nichts sehnlicher, als die Fortsetzung des Krieges.

Hören's, rief der Kaiser fast drohend, ich will Ihnen einen Rath geben, wenn Sie wollen, daß wir gute Freunde bleiben, so reden's mir nicht von meinem Volk! Ich hab' kein Volk, ich hab' Unterthanen, und will auch nur Unterthanen habend) Wenn ich Geld gebrauche, so werde ich meinen Unterthanen neue Steuern auferlegen, und sie werden sie zahlen müssen, aber Geschenke brauchen's mir nit darzubringen, denn die anzunehmen, das, mein' ich, ist nur gegen die kaiserliche Ehr'. Von seinen Unterthanen darf ein Kaiser nichts zum Geschenk annehmen, nicht einmal ihre denn ihren Kaiser zu lieben, das ist die Pflicht der Unterthanen. Merken's sich das, Herr Graf, und kommen's mir nit wieder mit dem neumodischen Wort Volk, ich kann's nit leiden, es schmeckt so sehr nach Republik und Guillotine. – Ich sagt' Ihnen also, daß, wenn nur den Krieg fortsetzten, uns die drei Hauptsachen fehlten, nämlich: eine tüchtige Armee, ein großer Feldherr und Geld. Wir würden also ganz sicher die erste Schlacht wieder verlieren, und wenn wir dann gezwungen wären, um Frieden zu bitten, so würd' uns der Bonaparte noch härtere Friedensbedingungen auferlegen, wir wären dann gezwungen, sie anzunehmen, und dann würden wir nicht blos an Länderbesitz, sondern auch an der Ehre beschädigt werden. – Jetzt wissen Sie meine Ansichten, Herr Graf, und da Sie die wissen, sollen Sie auch die Hauptfach' wissen, um die ich Sie herbeigerufen habe. Schauen's mal das Papier hier? Wissen's, was dies liebe Papier enthält? Den Frieden!

Den Frieden? rief Metternich entsetzt. Ew. Majestät wollen doch nicht sagen –

Ich will sagen, daß ich mit dem Kaiser von Frankreich Frieden gemacht habe. Da, hier ist das Papier. Da haben's die Bescheerung, die ganze Schmiererei ist halt jetzt fertig. Des Kaisers eigene Worte.

Majestät, rief Metternich, auf das Papier blickend, das der Kaiser ihm dargereicht, es ist also wirklich wahr? Sie haben ohne die Vermittelung Ihrer Minister und Diener, ohne die Gnade zu haben, uns zu benachrichtigen, den Frieden bereits unterzeichnet?

Ja, das hab' ich gethan, denn der Friede schien mir nothwendig, ich hab' ihn also unterzeichnet, und mit einem Duplicat des Actenstückes sind der Fürst von Liechtenstein und der Graf Bubna eben nach Schönbrunn gereist, um es dem Kaiser Napoleon vorzulegen, und ich denk', er wird's halt auch unterzeichnen. Des Kaisers eigene Worte. Na sehen's nit so rabiat aus, Herr Graf, wundern's sich nit so, daß ich den Frieden zu Stand gebracht, ohne daß Sie und der Stadion dabei geholfen haben. Ich ließ Sie ganz ruhig gewähren, und hindert' Sie nit, in Altenburg dem Champagny gegenüber Ihre diplomatische Feinheit und Geschicklichkeit zu entfalten, aber das könnt' mich doch auch nit hindern, hier in Totis die Sach' ein bissel auf meine Art zu fördern, und jetzt ist sie also fertig. Uebrigens, lieber Graf, Lassen's Sich das ein für alle Mal eine Lehre sein! Sie sind mein Minister, und ich hab' Sie dazu gemacht, weil Sie ein gar kluger und feiner Kopf, ein tüchtiger Arbeiter und ein kluger Staatsmann sind. Ich werde Sie also handeln, bestimmen und regieren lassen, ich werd' mir nichts draus machen, wenn die Leute sagen, Sie wären ein allmächtiger Mann in Oesterreich, und nach Ihrem Willen allein und nach Ihrem Kopf ginge die ganze Staatsmaschinerie. Die Leute mögen das sagen und denken, aber Sie sollen das nicht denken, Graf, Sie sollen's ein für alle Mal wissen, wie wir Beid' mit einander stehen. Ich laß Sie regieren, so lang' Sie in meinem Sinn regieren, aber wenn mir der Weg, den Sie gehen, nicht gefällt, so geh' ich meinen eigenen Weg und es wird Ihnen dann halt nichts Anderes übrig bleiben, als mir zu folgen, und hinter mir herzugehen auf meinem Weg, oder das Geschäft aufzugeben, und Ihren eigenen Weg für sich allein zu gehen. 9hm entscheiden's sich, lieber Graf, wollen's mit mir und hinter mir gehen, oder –

Sire, es giebt kein Oder, unterbrach in Graf Metternich. Es ist Ew. Majestät unbestrittenes und unangreifbares Recht, immer voran zu gehen, um mir den Weg zu zeigen, den ich wandeln soll.

So laß ich's mir gefallen, so ist's recht, rief der Kaiser, dem Grafen freundlich die Hand darreichend. Jetzt können's darauf rechnen, daß wir Zwei noch recht lange bei einander bleiben, und daß wir, da wir jetzt wieder Friede im Land haben werden, zusammen, in Ruh und Eintracht regieren wollen. So, jetzt nehmen's sich das Papier, gehen's damit auf Ihr Zimmer und lesen's recht genau und aufmerksam durch, damit Sie Alles ganz genau wissen, und besonders die geheimen Artikel, die vergessen's nit, denn Sie wissen wohl, das sind allemal die wichtigsten. In einer Stunde seien's so gut und kommen Sie hier wieder her, dann wollen wir zusammen arbeiten.

Sire, ich werde pünktlich hier sein, sagte Graf Metternich, sich tief verneigend und mit dem Papier in der Hand rückwärts der Thür zuschreitend.

Ich glaub's, daß er pünktlich hier sein wird, sagte der Kaiser lächelnd, als er allein war. Er hat Furcht, daß, wenn er nit pünktlich vor der Thür ist, meine Thür sich ihm nit wieder öffnen wird. So will ich's haben! Sie sollen Alle fühlen und erkennen müssen, daß ich der Herr und der Kaiser bin, Ich allein! Mit dem Metternich bin ich jetzt fertig! Jetzt kommt mein Herr Bruder dran! Ich will ihm heut' eine Lection geben, die er sein ganzes Leben lang nit wieder vergessen soll.

Der Kaiser nahm die Klingel und schellte. Mein Herr Bruder, der Erzherzog Johann, noch nicht angekommen? fragte er den eintretenden Kammerhusaren.

Majestät, der Herr Erzherzog sind so eben angelangt, und haben gemeldet, daß Sie die Befehle Ihrer Majestät erwarten.

Ich lasse meinen Herrn Bruder bitten, sogleich hierher zu kommen, befahl der Kaiser. Als der Kammerhusar leise hinausgeschlüpft war, ging Franz einige Male hastig auf und ab, und sein Gesicht nahm einen düstern strengen Ausdruck an. Er soll's jetzt wissen und erfahren, daß ich sein Herr und sein Kaiser bin, murmelte er, will seinen Hochmuth brechen, und seinen stolzen Sinn so tief beugen, daß er sich nimmer wieder gegen mich erheben soll.

Eben öffnete sich die Thür, und von dem Kammerhusaren gemeldet, trat der Erzherzog Johann in das Cabinet seines Bruders. Er sah bleich und traurig aus, die letzten Monate voll Sorgen und Gram hatten tief an seiner Seele genagt, und seinen Augen das Feuer, seiner Gestalt die jugendliche Fülle genommen.

Der Kaiser sah das, und ein spöttisches Lächeln erhellte einen Moment seine Züge, die aber schnell wieder ihren finstern Ausdruck annahmen. Ach, mein Herr Bruder, rief der Kaiser, den Erzherzog Johann mit einem flüchtigen Kopfneigen begrüßend. Haben uns lange nicht gesehen, darum hab' ich Sie hierher berufen lassen. Ich will Ihnen einen wichtige Nachricht mittheilen. Der Krieg ist zu Endel Ich habe Frieden gemacht mit dem Kaiser von Frankreich.

Frieden? fragte Johann ungläubig. Ew. Majestät geruhen zu scherzen, und das ist mir ein gutes Zeichen von Ew. Majestät Wohlergehen.

Mit Ihnen, Herr Bruder, scherze ich niemals, sagte der Kaiser trocken. Ich sage es Ihnen im vollen Ernst, der Frieden zwischen mir und Napoleon ist abgeschlossen. Oesterreich verliert dabei sehr viel, denn ich hab' mich verpflichtet, außer den schon gezahlten Contributionen noch sechsundachtzig Millionen in bestimmten Fristen zu zahlen, und ich verliere an Land und Leuten den dritten Theil von meinem Reich. Der Friedenstractat ward von Napoleon am 14. October 1809 in Schönbrunn unterzeichnet.

Aber Tyrol? fragte Johann. Ew. Majestät behalten wenigstens das treue Tyrol?

Nein, sagte Franz, seinem Bruder fest in's Antlitz schauend, Tyrol wird getheilt. Ein Theil davon wird Baiern zurückgegeben, Der andere Theil fällt dem Vicekönig von Italien zu und wird französisch-italienisch.

Das ist unmöglich, rief Johann entsetzt, das kann nicht Ihr ernster Wille sein?

Und warum nicht? Warum ist's unmöglich? fragte der Kaiser strenge.

Majestät, sagte Johann, seinem Bruder kühn entgegentretend, Majestät, Sie haben vor Gott und der ganzen Welt den Tyrolern Ihr heiliges Wort gegeben, daß Sie keinen Frieden eingehen würden, der nicht Tyrol bei Ihrer Monarchie beließe.

Ach, Sie wagen es, mich daran zu erinnern? rief Franz mit drohendem Ton.

Ja, ich wage es, sagte Johann glühend, und ich habe ein Recht dazu, denn Ich bin es, der sich für die Erfüllung des kaiserlichen Wortes verbürgt hat. Ich bin es, der die Tyroler zum Aufruhr aufgereizt, der ihnen die Versprechungen ihres geliebten Kaisers wiederholt hat, Ich bin es, der im Namen ihres Kaisers sie zu einer Verschwörung, zum Aufstand angeregt, der sie verleitet hat, das Schwert zu nehmen und für ihre Freiheit zu kämpfen. Majestät, Tausende der edelsten Tyroler haben in diesem Kampf ihr Leben verloren, Tausende liegen verwundet und in Schmerzen da, der Boden des einst so glücklichen, so friedlichen Tyrols dampft noch vom vergossenen Blut, der Acker ist unbestellt, wo sonst Wohlstand herrschte, ist jetzt Mangel, wo Ruhe und Friede blühte, tobt der Aufruhr, wo sonst in den Thälern und auf den Höhen nur frohe Menschen weilten, und man nur den schmetternden Klang des Kuhreigens, das frohe Jodeln der Hirten vernahm, sieht man jetzt nur bleiche, kummervolle Verwundete daher schwanken, hört man das Donnern der Kanonen, die Klage der Verarmten und Hungernden. Und dennoch, trotz aller dieser Trübsal ist das treue Volk der Tyroler ungebeugt, denn die Hoffnung lebt in ihrem Herzen und die Liebe zu ihrem Kaiser. Sie haben Alles gewagt, Alles aufs Spiel gesetzt, um wieder Oesterreich anzugehören, und selbst jetzt noch, wo der unselige Waffenstillstand Ihrer Armee die Waffen aus den Händen gewunden, selbst jetzt noch kämpft das treue, das glaubensmuthige, das liebestarke Tyrol unbeirrt weiter für seinen Kaiser, für die Freiheit seines geliebten Landes. Ganz Europa blickt mit Staunen und Bewunderung zu diesem Heldenvolke hin, das allein noch den Muth hat, sich dem französischen Despoten zu widersetzen, das allein noch seinem Machtwort sich nicht beugt, und das Schwert aufrecht hält, während ganz Europa vor ihm im Staube liegt. Oh Majestät, Sie werden, Sie können dieses treue Volk, das Sie liebt, das an Sie glaubt, nicht aufgeben wollen. Es wäre Verrath, Ew. Majestät dessen nur für fähig zu halten, denn Sie haben den Tyrolern Ihr Wort gegeben, und nimmer wird ein Kaiser von Oesterreich sein Wort brechen und die Schande eines Meineids auf sich nehmen wollen!

Der Kaiser stieß einen Schrei der Wuth aus, und ganz seiner angenommenen Ruhe, seiner kaiserlichen Würde vergessend, stürzte er mit zornflammendem Angesicht, mit gehobenem Arm zu dem Erzherzog hin.

Sie wagen es, mich zu beschimpfen, schrie er, Sie haben den frechen Muth, mich des Meineids zu beschuldigen! Sie –

Der Erzherzog, seinen Bruder so flammend in Zorn, mit geballter Faust dicht vor sich sehend, wich einige Schritte zurück. Majestät, sagte er, Sie werden doch Ihren Bruder nicht beschimpfen wollen? Nehmen Sie Ihre Hand fort, ich bitte Sie darum, denn wenn sie mein Antlitz, meine Stirn berührt, so werde ich vergessen müssen, daß Sie der Kaiser, daß Sie mein Bruder sind, und nur als der Beleidigte werde ich dem Beleidiger noch gegenüberstehen und von ihm Genugthuung fordern.

Der Kaiser würde einem Rebellen keine Genugthuung geben, sagte Franz, indem er langsam seinen Arm sinken ließ, er würde den Aufrührer durch ein Wort zerschmettern und den Hochverräter seinen Richtern übergeben.

Nun wohl denn, thun Sie das, rief Johann, strafen Sie mich, lassen Sie es mich mit meinem Blut bezahlen, daß ich es wagte, Sie an das heilige Versprechen zu erinnern, das Sie den Tyrolern gegeben. Aber vergessen Sie nicht Ihres Wortes, vergessen Sie nicht des treuen Tyrols, zerstören Sie nicht die einzige Hoffnung dieser biedern unschuldigen Naturkinder, die Hoffnung auf ihren Kaiser. Oh Majestät, vergessen wir zusammen die heftigen Worte, die der Zorn und der Schmerz uns Beide hat eben sprechen lassen! Ich flehe Ew. Majestät um Vergebung dafür an, ich habe mich schwer vergangen an meinem Kaiser. Aber nun haben auch Sie Erbarmen! Sehen Sie, ich beuge mich vor Ihnen, sehen Sie, ich liege vor Ihnen auf den Knieen, und im Namen Ihrer kaiserlichen Ehre, im Namen Tyrols flehe ich zu Ihnen: verlassen Sie nicht Tyrol und seinen Ober-Commandanten Andreas Hofer, vergessen Sie nicht Ihres feierlichen Gelöbnisses: keinen Frieden einzugehen, der nicht Tyrol auf immer Ihren Staaten einverleibte! Sie wollen Frieden machen mit Napoleon, aber noch ist der Frieden nicht publicirt, noch weiß die Welt nichts davon, noch liegt es in der Hand Eurer Majestät, die Friedenspräliminarien abzubrechen. Oh, thun Sie es, Majestät, halten Sie dem treuen Tyrol Ihr Wort, gehen Sie keinen Frieden ein, der nicht Tyrol fest und unauflöslich an Ihre Monarchie bindet! Erlauben Sie mindestens den Tyrolern, sich ihre Freiheit nochmals zu erkämpfen, und wenn sie's gethan, dann schützen Sie dieselbe. Senden Sie mich nach Tyrol, gestatten Sie es mir, mich an die Spitze der tapfern Streiter zu stellen, und Sie sollen sehen, wie ganz Tyrol in Begeisterung und mit neuem Muthe dastehen und kämpfen wird, gleich einem Löwen. Oh Majestät, senden Sie mich nach Tyrol, damit Tyrol, damit die ganze Welt erfahre: der Kaiser von Oesterreich habe sein Wort gehalten, er habe Tyrol nicht verlassen, und seinen eigenen Bruder sende er ihnen, um ihnen zu sagen, daß er keinen Frieden wolle, der nicht Tyrol an Oesterreich fessele!

Der Kaiser lachte laut und spöttisch auf. Ach, Sie sind schlau, mein Herr Bruder, sagte er, meinen, ich sollte Ihnen selbst die Erlaubniß geben, nach Tyrol zu gehen, um dort Ihre Rolle als Erretter und Befreier mit neuem Glanz zu spielen. Meinen, ich kennte Ihren saubern Plan nicht? Ich wüßte nicht, wozu Sie nach Tyrol gehen wollten, was Ihre Absichten sind? Ja, Herr, ich weiß es! Ich kenne Ihre Pläne! Ich weiß, daß Sie ein Aufrührer, ein Rebell sind. Sich selber wollen Sie zum Herrn von Tyrol machen, Sich selber wollen Sie ein freies unabhängiges Fürstenthum schaffen. Darum haben Sie ein ganzes Volk zum Aufruhr verleitet, darum haben Sie so lange intriguirt und gewühlt, bis ein armes friedliebendes Bauernvolk zu Aufrührern und Empörern gegen seinen bairischen König ward, und wie vom Wahnsinn getrieben die Blutfahne erhob. Sie sagen, Tausende seien in Tyrol gefallen im Kampf für ihre Freiheit, Sie sagen, Tausende lägen verwundet auf der heimathlichen, blutgetränkten Erde, der Wohlstand sei zerrüttet, Armuth und Elend herrsche in Tyrol? Nun wohl, dies Alles ist Ihr Werk, dies Alles haben Sie verschuldet! Sie haben Aufruhr und Verschwörung angeregt, Sie haben ein todeswürdiges Verbrechen begangen, denn Sie haben ein Volk zur Revolution verleitet! Tyrol gehörte zu Baiern, die Tyroler waren Unterthanen des Königs von Baiern, nichts gab ihnen ein Recht sich zu empören, durch Aufruhr und Gewalt sich ihrem König zu entziehen und sich einen andern Herrscher zu wählen! Und Sie meinen, ich sollte so schwach sein, das böse Beispiel gut zu heißen, das die Tyroler gegeben, ich sollte die Revolutionäre in ihrem Verbrechen bestärken und billigen, was sie gethan? Sie meinen, ich sollte Ihr Werk sanctioniren, Ihren verbrecherischen und hochverrätherischen Plänen die Weihe geben, indem ich Sie nach Tyrol gehen ließe, um dort auf's Neue Aufruhr zu predigen, um Sich selber zum Herrn von Tyrol zu machen, und dann vielleicht sich mit dem Herrn Bonaparte zu einigen, und von ihm anerkannt und bestätigt zu werden als neuer Herzog von Tyrol?

Mein Bruder, rief Johann entsetzt, ich –

Still, unterbrach ihn der Kaiser gebieterisch, Niemand hat das Recht zu sprechen, wenn ich rede, denn ich rede nicht zu Ihnen als Ihr Bruder, sondern als Ihr Kaiser. Und als Ihr Kaiser sage ich Ihnen: Sie werden nicht nach Tyrol gehen, Sie werden nicht wagen, ohne meinen Befehl jemals wieder die Grenzen Tyrols zu überschreiten, und ich verspreche Ihnen, daß dieser Befehl lange auf sich warten lassen wird. Und als Ihr Kaiser befehle ich Ihnen ferner, daß Sie selber den Tyrolern die Anzeige machen, daß ich den Frieden mit Frankreich abgeschlossen, und sie aufzufordern, die Waffen niederzulegen und sich in das Unabänderliche zu fügen.

Majestät, rief Johann, niemals werde, niemals kann ich das thun.

Oh, Sie meinen, die guten Tyroler könnten alsdann irre werden an ihrem angebeteten Erzherzog, sie könnten ihm ihre Liebe, die ihm einen Fürstenthron erbauen sollte, entziehen?

Nein, Ew. Majestät, sagte Johann, ihm kühn und fest in's Auge sehend, ich meine, daß ich den Tyrolern mein Wort gegeben, sie zu schützen und ihnen zu helfen im Kampf für ihre Freiheit und ihren Kaiser, und daß ich nicht die Schmach auf mich laden will, ein ganzes Volk betrogen, und mit ihrem Glauben und mit ihrer Liebe ein unwürdiges Spiel gespielt zu haben.

Oh, Sie wollen mir damit nochmals fein zu verstehen geben, daß ich das thue, daß ich ein unwürdig Spiel getrieben habe mit der Tyroler Liebe? fragte der Kaiser mit einem kalten Lächeln. Gleichviel, behalten Sie immerhin Ihre Meinung, aber gehorchen werden Sie und sollen Sie, und gleich jetzt in meiner Gegenwart soll's geschehen. Setzen Sie Sich dorthin an meinen Schreibtisch. Sie sind ein gelehrter Mann und wissen die Feder rasch und gewandt zu führen. Schreiben Sie also! Verkünden Sie dem treuen Tyrol den Frieden, befehlen Sie ihm die Waffen niederzulegen und sich ihrem neuen Herrn in Gehorsam zu fügen.

Ich kann nicht, mein Bruder, rief Johann schmerzvoll. Haben Sie Erbarmen mit mir. Ich kann nicht ein ganzes Volk dem Henkerbeil überliefern. Denn wenn Sie jetzt Ihre Hand von Tyrol wegziehen, wenn Sie es der Rache der Baiern und Franzosen überlassen, werden sie mit kannibalischer Grausamkeit ihre Revanche nehmen für all' die Niederlagen, die Demüthigungen, die ihnen das heldenmüthige Bauernvolk bereitet hat.

Das wird das Bauernvolk lehren, keine Verschwörungen und Revolutionen mehr zu machen, sondern geduldig und gehorsam zu sein, und sie werden dadurch ein gutes und abschreckendes Beispiel für meine übrigen Unterthanen werden. Keine Umschweife mehr! Setzen Sie Sich dahin und schreiben Sie, Herr Erzherzog!

Nein, rief Johann glühend, mögen mich Ew. Majestät als Rebellen bestrafen, mögen Sie mir das Leben nehmen, mich zu ewiger Gefangenschaft verurtheilen, aber ich kann nicht gehorchen! Ich kann nicht schreiben!

Ich werde Sie nicht als Rebellen bestrafen, sagte der Kaiser achselzuckend, ich werde Ihnen nicht das Leben nehmen, nicht Sie zur Gefangenschaft verurtheilen, aber ich werde meine Hand ganz abziehen von Tyrol. Ich werde nicht, wie ich das beschlossen und ausdrücklich mir ausbedungen hatte, den flüchtigen Tyrolern, sobald es ihnen gelingt die Grenze Oesterreichs zu überschreiten, hier in Oesterreich ein Asyl gewähren und ihnen Aufnahme und Schutz verleihen, sondern ich werde sie als entsprungene Verbrecher ausliefern lassen an ihre rechtmäßigen Herren, damit diese sie bestrafen, wie sie es verdienen, ich werde auch nicht, wie ich das thun wollte, den Tyrolern ihre alte Landesverfassung in dem Friedenstractat sichern und bestätigen lassen, und endlich werde ich nicht, wie ich bisher beschlossen, eine Commission niedersetzen, die allen Denen, welche sich zu mir nach Oesterreich flüchten, Hülfe gewährt und für sie und die Ihrigen sorgt. Es wird Ihre Schuld sein, wenn den armen Tyrolern diese Wohlthaten entgehen, Sie werden es sein, welche die alsdann rettungslos Verlorenen in den Tod hetzen!

Nein, Majestät, nimmer soll das gesagt werden, rief Johann tiefbewegt. Ich unterwerfe mich und schreibe!

Er eilte zu dem Schreibtisch hin, und wie vernichtet auf den Stuhl vor demselben niederfallend, ächzte er tief auf und ließ sein Haupt einem Sterbenden gleich auf seine Brust niedersinken.

Na, besinnen's sich halt nit lange, Herr Bruder, sagte Franz, schreiben's!

Johann nahm die Feder, und mit Gewalt die Thränen zurückdrängend, die in seine Augen traten, schrieb er hastig und schnell einige Zeilen. Dann stand er auf, und langsam und bleich zu dem Kaiser hinschreitend, übergab er ihm das Papier.

Majestät, sagte er feierlich, ich habe es gethan, was Sie mir befohlen, ich habe den Tyrolern den Frieden verkündet und sie zur Unterwerfung ermahnt. Werden Sie nun auch die Bedingungen erfüllen, um derenwillen ich dies an die Tyroler geschrieben habe? Werden Sie Denen, welchen es gelingen wird, ihren Henkern und Peinigern zu entfliehen, hier in Oesterreich ein Asyl gewähren, werden Sie eine kaiserliche Commission ernennen, die allen Denen, welche sich nach Oesterreich flüchten, Hülfe gewährt und für die Ihrigen sorgt? Und endlich werden Sie in Ihrem Friedenstractat den Tyrolern die Erhaltung ihrer alten Landesverfassung sichern?

Ich gab Ihnen mein Wort darauf, theurer Bruder, sagte der Kaiser lächelnd, und Sie sagten's ja selbst vorher: nimmer wird ein Kaiser von Oesterreich sein Wort brechen und die Schande eines Meineids auf sich nehmen wollen. Na, jetzt lesen's mir einmal vor, was Sie da geschrieben haben! Ich möcht's gern von Ihnen selber hören!

Der Erzherzog verneigte sich, und mit mühsamer, zitternder Stimme las er: Brave, liebe Tyroler! Die Nachricht des abgeschlossenen Friedens wird nun auch bis zu Euch gelangen. Ich muß Euch solche auf Allerhöchsten Befehl bestätigen! – Alles würde der Kaiser gethan haben, um die Wünsche des Landes Tyrol in Erfüllung zu bringen. Allein so nahe dem Kaiser das Schicksal der biedern Bewohner dieses Landes geht, so ist doch die Nothwendigkeit eingetreten, Frieden zu machen. – Ich setze Euch hierüber auf Allerhöchsten Befehl mit dem Beisatz in Kenntniß, daß der Wunsch Sr. Majestät dahin geht, daß die Tyroler sich ruhig verhalten und nicht zwecklos sich aufopfern mögen.

Erzherzog Johann. Andreas Hofer. Von Hormayr. II. 489.

Hm, sagte der Kaiser, das Papier aus Johanns Hand nehmend und es aufmerksam betrachtend, hm, recht kurz und lakonisch haben's geschrieben, und recht weitläufig haben's die Zeilen gesetzt, damit man recht viel zwischen den Zeilen lesen kann! Na, meinetwegen, Sie haben doch meinen Befehl erfüllt. Sie haben Ihre Schuldigkeit gethan.

Ich danke Ew. Majestät für diese Anerkennung, sagte Johann ernst und kalt. Und jetzt, da ich meine Schuldigkeit gethan, jetzt bitte ich Ew. Majestät, daß Sie die Gnade haben wollen, mich aus Ihren Diensten zu entlassen, und mir zu erlauben, daß ich mich vom Hofe in den Ruhestand und das Privatleben zurückziehe. Ich fühle mich angegriffen und ermattet, und bedarf daher der Ruhe. Zudem sind, da wir jetzt Frieden haben, meine Dienste jetzt überflüssig und können leicht entbehrt werden.

Und Sie wünschen Ihre Entlassung recht eilig, nit wahr? fragte der Kaiser spöttisch. Möchten Sich gern so rasch als möglich in's Privatleben zurückziehen, damit die ganze Welt und vor allen Dingen die lieben Tyroler daraus erkennen möchten, daß der edle und geliebte Erzherzog Johann nicht übereinstimmt mit dem Frieden, und daß er sich daher grollend vom Hoflager und aus dem Dienst seines Kaisers zurückgezogen hat. Thut mir leid, daß ich Ihnen diese Genugthuung nicht verschaffen kann. Sie bleiben im Dienst, ich nehme Ihre Entlassung nicht an, ich erlaube Ihnen nicht, Sich in's Privatleben zurückzuziehen. Sie sind dem Staat Ihre Kräfte schuldig, Sie dürfen Sie ihm nicht entziehen.

Majestät, ich habe keine Kräfte, welche Ihrem Staat nützen könnten. Ich bin erschöpft, todesmatt. Ich wiederhole dringend noch einmal mein Gesuch: entlassen Sie mich aus Ihren Diensten! Erlauben Sie mir, mich in den Ruhestand zurückzuziehen!

Wie? rief Franz heftig. Ihr Kaiser hat zu Ihnen gesprochen, er hat Ihnen seinen Willen kund gethan, und Sie wagen es zu opponiren? Das ist ein Fehler gegen die Subordination, für die der kaiserliche Kriegsherr seinen rebellischen General streng bestrafen würde, wenn dieser General nicht zum Unglück sein Bruder wäre. Ich wiederhole Ihnen noch einmal: ich bewillige Ihnen Ihr Gesuch nicht. Sie bleiben im Dienst, ich fordere es von Ihnen als Ihr Kriegsherr, ich erinnere Sie an den Eid der Treue und des Gehorsams, den Sie mir, Ihrem Herrn und Ihrem Kaiser, geleistet haben!

Ew. Majestät thun wohl, mich an meinen geleisteten Eid zu erinnern, sagte der Erzherzog mit schneidender Kälte. Es ist wahr, ich habe diesen Eid geleistet, und da ich gewohnt bin, mein Wort zu halten, und da es eine Schmach ist, sein Wort zu brechen und einen Meineid zu begehen, so werde ich meinen Eid erfüllen. Ich werde also meinem Kriegsherrn und Kaiser gehorchen, ich werde den Dienst nicht verlassen! – Aber jetzt bitte ich Ew. Majestät um die Erlaubniß, mich für heute zurückziehen zu dürfen, wenn Ew. Majestät mir weiter nichts zu sagen haben!

Doch, ich habe Ihnen noch Etwas zu sagen, mein lieber Herr Bruder, sagte der Kaiser lächelnd. Ich will Ihnen einen Beweis geben, daß ich großes Vertrauen in Sie setze und auf Ihre Verschwiegenheit rechne. Ich will Ihnen ein Familiengeheimniß mittheilen, das bis jetzt, außer dem Kaiser Napoleon, dem Baron von Thugut, der mir als Unterhändler diente, und außer Mir selber, Niemand weiß.

Wie? fragte Johann erstaunt. Der Kaiser Napoleon kennt ein Familiengeheimniß Eurer Majestät?

Da es ihn selbst sehr nahe angeht, so muß er es wohl kennen, sagte der Kaiser lächelnd. Napoleon gedenkt sich zum zweiten Mal zu vermählen.

Zum zweiten Mal? Ist denn seine erste Gemahlin, die Kaiserin Josephine, plötzlich gestorben?

Nein, sie lebt, und fungirt in diesem Augenblick noch in Paris als die rechtmäßige Gemahlin des Kaisers. Aber Napoleon wird, sobald er jetzt nach geschlossenem Frieden heimkehrt, diese Ehe, welche niemals den priesterlichen Segen erhalten hat, für ungültig erklären, er wird sich feierlich von seiner Gemahlin scheiden, und dann hat er wohl das Recht, sich zum zweiten Mal zu vermählen. Er hat mich durch meinen geheimen Unterhändler, den Baron Thugut, fragen lassen, ob ich ihm eine Erzherzogin von Oesterreich zur Gemahlin bewilligen würde. Ich hab's ihm zugestanden, und dieses Uebereinkommen bildet einen der geheimen Artikel meines Friedenstractats.

Eine Erzherzogin von Oesterreich soll die Gemahlin des französischen Despoten werden! rief Johann entsetzt. Und wer, Majestät, wer soll dem Minotaurus geopfert werden? Wen von Ihren Schwestern oder Cousinen wollen Sie ihm darbringen?

Keine Cousine und keine Schwester, sagte Franz ruhig, sondern zur zweiten Gemahlin des Kaisers Napoleon ist meine älteste Tochter, die Marie Louise, auserwählt.

Marie Louise! schrie Johann mit einem Ausdruck des Entsetzens. Marie Louise!

Und bleich wie eine Leiche taumelte Johann einige Schritte zurück und mußte sich an der Lehne eines Sessels halten, um nicht umzusinken.

Franz schien das nicht zu bemerken. Ja, Marie Louise wird die zweite Gemahlin Napoleon's, sagte er, Alles ist abgemacht, und im März des nächsten Jahres wird die Vermählung stattfinden. Ich denke, Sie, mein Herr Bruder, könnten als Stellvertreter meines zukünftigen Herrn Schwiegersohnes, des Kaisers Napoleon, bei der Feierlichkeit fungiren!

Der Erzherzog erbebte, und drückte seine beiden Hände gegen seine Schläfen, als fürchte er, dieses entsetzliche »Familiengeheimniß« müsse ihm das Hirn zersprengen, dann schwankte und taumelte seine ganze Gestalt.

Majestät, sagte er mit unsicherer, kaum hörbarer Stimme, ich bitte um die Erlaubniß, mich zurückziehen zu dürfen.

Ohne diese Erlaubniß abzuwarten, wandte der Erzherzog sich um, und verließ schwankenden Schrittes, sich mühsam hier und dort an den Wänden anklammernd, das Gemach.

Der Kaiser blickte ihm lächelnd nach. Der Hudelist hat sich also nit geirrt, wie's scheint, sagte er. Mein lieber Herr Bruder liebte wirklich die Marie Louise, und hatte die allerliebste Idee, mein Schwiegersohn werden zu wollen. Nun, das muß er sich aus dem Kopf schlagen. Aber, heilige Jungfrau, was ist denn das für ein Lärmen da draußen? Was fiel denn da?

Der Kaiser ging rasch zur Thür hin und öffnete sie. Was giebt's denn hier draußen? rief er hinaus.

Majestät, rief der herbeieilende Kammerhusar, der Herr Erzherzog sind ohnmächtig geworden und zur Erde niedergefallen, wobei Sie mit dem Kopf auf die Ecke eines Stuhls aufgeschlagen sind, und Sich eine Wunde an der Stirn beigebracht haben, die stark blutet.

Nun, die Wunde wird hoffentlich nur eine leichte Schramme sein, sagte der Kaiser gelassen. Man trage den Herrn Erzherzog in sein Schlafgemach und rufe sogleich meinen Leibarzt zu ihm. Später werde ich selbst zu ihm kommen!

Ohne sich weiter nach dem Erzherzog umzuschauen, trat der Kaiser in sein Cabinet zurück, und ließ die Thür in's Schloß fallen.

Er ist ohnmächtig geworden, sagte Franz triumphirend. Gut, er soll auch ohnmächtig sein! Keiner soll hier Macht haben, als ich allein! Ach, ich habe seinen Stolz gebrochen, seinen Willen gebeugt, und ihn ohne Macht zu meinen Füßen hingeschleudert. Sie sollen sich alle vor mir beugen müssen, meine Herren Brüder, sie sollen mich alle als ihren Herrn anerkennen und mir gehorchen müssen! Ah, ich glaube, ich habe meinen Herren Brüdern da einen gewaltigen Querstrich gemacht. Der Erzherzog Johann wird jetzt halt nicht Herzog von Tyrol, der Großherzog Ferdinand von Würzburg wird nicht Kaiser von Oesterreich, denn Napoleon wird mein Schwiegersohn, und er wird sich wohl hüten, seinen Schwiegervater seines Thrones zu berauben. Ich allein bin der Kaiser von Oesterreich und ich werde es bleiben!


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