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VII.
Die Gefangennehmung.

Noch einmal also entbrannte der Kampf, noch einmal versuchten es die Tyroler zu kämpfen für ihre Freiheit und Unabhängigkeit. Aber es war ihr Todeskampf. Ueberall wurden sie geschlagen, überall siegten die überlegenen Heeresmassen der Baiern und Franzosen über die Schaaren der Feinde. Und mit jedem Tage wurden diese Schaaren lichter, denn die donnernden Kanonen rissen ganze Reihen der Schützen nieder, und von Entsetzen ergriffen, flohen die Andern in die Berge. Immer weiter vorwärts in's Land hinein rückten die siegreichen Feinde, hinter ihnen bezeichneten die rauchenden und brennenden Städte und Dörfer den Weg, den sie gekommen, und die Luft hallte wieder von Jammergeschrei und Wehe, wohin sie kamen.

Endlich, im Anfang des December, war aller Widerstand besiegt; über das blutende, rauchende, ächzende Tyrol schritt der Feind dahin mit schonungslosem Fuß; ohne Erbarmen und Mitleiden verfolgte er alle Diejenigen, welche es gewagt hatten, sich wider ihn zu erheben.

Er hatte Vergebung und Vergessen versprochen für gutwillige Unterwerfung. Aber da die Tyroler sich nicht unterworfen, da sie noch einmal gekämpft hatten, jetzt drohte der Feind nur mit Rache und Strafe.

Eine wüthende Hetzjagd begann nun. Jeder, der mit den Waffen in der Hand betroffen worden, ward erschossen, Jeder, der einen der Verfolgten in seiner Behausung barg, war des Todes schuldig und sein Haus ward in Flammen gesteckt. – Die Anführer der Tyroler waren in die Berge auf die Gletscher geflüchtet, aber die französischen Generäle setzten einen hohen Preis auf die Häupter der gefährlichen Aufwiegler, und nun zogen die Soldaten umher, in glühendem Geld- und Rachedurst, und späheten umher in den Bergen und Thälern nach den Verfehmten, und wagten sich sogar hinauf auf die schneebedeckten Höhen, um sich das Blutgeld zu verdienen, die Geächteten zu suchen.

Aber noch war es ihnen nicht gelungen, nur einen von ihnen zu entdecken. Vergebens hatte man einen Preis von zehntausend Gulden auf den Kopf von Andreas Hofer, einen Preis von fünftausend Gulden auf die Köpfe von Joseph Speckbacher, Anton Wallner und Joachim Haspinger gesetzt. Sie waren und blieben verschwunden, und noch hatten die Patrouillen und Soldaten, die auf die Flüchtenden gehetzt waren, Keinen von den vier gefürchteten Commandanten entdecken können.

Die Berge, die natürlichen Festungen Tyrols, beschützten mit ihren Riesenmauern ihre Commandanten, und droben in den Sennhütten unter den Gemsen und Adlern, die allein die Schlupfwinkel der Flüchtigen sahen und kannten, gab es keine Verräther.

Droben in einer Sennhütte auf dem Schneeberg hatte Andreas Hofer eine Zuflucht gefunden. Schauerlich war's da oben, kalt und todesstill. Aber die Liebe hatte den Andreas hinauf begleitet bis zur einsamen Gletscherhöhe. Sein Weib war bei ihm mit ihrem Sohn Johann, und Cajetan Döninger, sein treuer Schreiber. Die Liebe hatte ihn hinauf begleitet zur Sennhütte seines Freundes Pfandler, die Liebe überwachte und behütete ihn da drunten im Thal. Viele Bauern drunten kannten wohl den Zufluchtsort Andreas Hofer's, aber Keiner verrieth ihn, Keinen gelüstete es, die zehntausend Gulden, das Blutgeld, welches der französische General Baraguay d'Hilliers auf Hofer's Kopf gesetzt, zu verdienen. Oft sahen sie die beiden Knechte Pfandler's, beladen mit allerlei Eßwaaren, mühsam hinaufklimmen zur schneebedeckten Alp, aber sie wandten ihr Haupt ab, als wollten sie Nichts sehen, und beteten leise zum lieben Gott, daß er die Boten behüten möchte, die dem Andreas Hofer und den Seinen Nahrung hinauf brächten zur einsamen Sennhütte. Niemand von den Bauern drunten im Thal sprach zu dem Andern von Dem, was er wußte, nur dem Pfandler begegneten sie mit ehrfürchtiger Zärtlichkeit, und drückten ihm still die Hand und flüsterten leis: Behüt' Euch Gott, und Ihn! – Zuweilen, wenn am klaren, hellen Wintertag da hoch droben auf der Alp plötzlich eine dünne Rauchsäule emporwirbelte, so schauten die Bauern drunten im Thal seufzend empor und flüsterten mitleidsvoll: »Sie haben sich Feuer angemacht da droben, sie frieren wohl gar sehr! Gott schütz' die Armen.« Wenn aber Einer, dem sie nicht trauten, zu ihnen trat, und sich verwunderte über den Rauch, und meinte, da droben müsse Jemand sich versteckt halten, und der habe sich ein Feuer angemacht, um nicht zu erfrieren, so lachten die Andern ihn aus und sahen keinen Rauch, nur Schnee, den der Wind aufgewirbelt hatte.

Aber eines Tages kam ein Fremder in's Thal und fragte flüsternd nach Andreas Hofer, dem er Rettung bringen wolle und Hülfe. Anfangs antwortete ihm Niemand, aber er zeigte ein Papier vor, darauf stand der Name und das Siegel des Erzherzogs Johann, und darauf hatte der Erzherzog geschrieben: »Helft meinem Boten den Andreas Hofer aufzufinden und ihm Hülfe und Rettung zu bringen.«

Als sie das gelesen, da mißtrauten die Bauern nicht mehr. Sie blinzelten hinauf zum Schneeberg, deuteten auf die beiden mit Körben beladenen Wanderer, die eben mühsam durch den Schnee hinaufkletterten, und flüsterten leise: »Folge ihnen!«

Der Bote that's, er klomm hinter den beiden Knechten her, er folgte ihren Fußtapfen, immer höher, höher hinauf in die kalte Oede und Einsamkeit. Und endlich stand er droben vor der Hütte, und klopfte an die Thür, und bat um Einlaß im Namen Gottes und des Erzherzogs Johann.

Sofort öffnete sich die Thür, und in derselben erschien die hohe Gestalt mit dem langen Bart, aufrecht und kraftvoll, wie sie's gewesen in den Tagen der Herrlichkeit, und das milde, treuherzige Auge Andreas Hofer's grüßte den Ankömmling.

Wer im Namen Gottes und des Erzherzogs Hannes kommt, der wird mich nit betrügen, sagte Andreas freundlich. So tritt denn ein, denn Du mußt es gut mit mir meinen, da Du in der Kälte den schlimmen Weg zu mir Dich hinauf wagst.

Ich mein's auch gewiß gut mit Dir, sagte der Bote. Kennst mich denn nit, Anderl, bin ja der Anton Steeger, des Erzherzogs Hannes Büchsenspanner.

Es ist wahr, jetzt kenn' ich Dich, rief Andreas freudig. Hab' Dich ja gesehen dazumal in Wien, als wir dahin kamen und den Plan zur Befreiung machten. Nun komm hinein, Anton Steeger, zu meinem Weib, meinem Buben und meinem Schreiber.

Er führte Anton Steeger in's Zimmer, wo die Drei ihn begrüßten, und ihm Platz machten vor dem Herd, auf dem große Holzscheite brannten.

Anton Steeger schaute umher in diesem ärmlichen Raum, der nichts enthielt, als einige roh zusammengenagelte Holzstühle, einen eben solchen Tisch, und dessen Wände und Fenster mit Stroh und Heu gegen die Nässe und Kälte verstopft waren.

Ja, schau' Dich nur umher in meiner Residenz, sagte Andreas lächelnd, es ist freilich nit gar prächtig hier, aber der liebe Gott ist doch bei uns, und er wird uns schon weiter helfen.

Und auch der Erzherzog wird helfen, sagte Anton Steeger. Hör' mich an, Andreas. Der Erzherzog schickt mich her zu Dir. Er läßt seinen lieben Andreas grüßen, und läßt ihn bitten, daß er möcht' zu ihm kommen mit Weib und Kind und bei ihm bleiben sein Leben lang, oder wenn er das nit möcht', doch so lang', bis daß er wieder mit Sicherheit im Tyrolerland wohnen könnt'. Der Erzherzog hat Dir schon ein Haus eingerichtet in einem Dorf, das ihm gehört, da sollst Du wohnen mit Deiner ganzen Familie, und sollst des Erzherzogs lieber Freund sein, und ehren will er Dich wie seinen lieben Gast. Du sollst nur kommen, bittet er Dich. Ich habe Alles, was Du brauchst, um zu fliehen, Anderl. Der Erzherzog hat mir Geld gegeben, und einen Paß für Dich und die Deinen, und Sicherheitsbriefe für die französischen Generäle. Ich kenn' auch die Wege hier herum, und bring' Dich sicher über die Höhen fort. Für Alles hat der Erzherzog gesorgt, und an Alles hat er gedacht.

Das ist doch schön vom lieben Hannes, daß er mich nit vergessen hat, sagte Andreas gerührt, das ist brav und treu, daß er für mich sorgen und mir meine Lieb' vergelten möcht'. Und brav ist's auch von Dir, Anton Steeger, daß Du den weiten Weg hierher kommen bist, um uns zu erlösen, und daß Du Dich nit fürchtest, mit uns die gefährliche Flucht zu wagen.

Und Du nimmst es an, Anderl, nit wahr, Du kommst mit mir?

Und die da? fragte Andreas mit einem zärtlichen Blick auf sein Weib und seinen Knaben. Der Weg über die Gletscher ist nit passirbar für eine Frau und ein Kind.

Erst rett' Dich, mein Anderl, rief Anna Gertrud, rett' Dich für uns und für's Land. Wenn Du erst davon und in Sicherheit bist, so werden die Feind' uns wohl in Ruh' lassen, und ich komm' Dir dann nach mit den Kindern.

Und sorgt Euch nicht um die Frau und die Kinder, sagte Döninger. Ich verlaß sie nimmer, ich bring' sie Euch nach.

Besinn' Dich nit, ich bitt' Dich, Anderl, drängte Anton Steeger. Der Erzherzog läßt Dich beschwören, Du sollt'st ihm nit den Kummer machen und seinen Vorschlag zurückweisen, sollt'st sein Gewissen frei machen von der schweren Schuld, die er noch gegen Tyrol hat und die er nit hat ablösen dürfen. Sollt ihm zu Lieb' und dem Land'l zu Nutz und Frommen Euch flüchten und Euch für die Zukunft aufsparen und erhalten. Thu' das, Andreas. Laß uns sogleich an's Werk gehen! Schau', ich hab' Alles bei mir, was Du brauchst, hab' einen doppelten Anzug angelegt. Der oberste hier, der ist für Dich, den ziehst Du an. Und hier hab' ich's Rasirmesser, damit schneiden wir Dir den Bart ab, und wenn der fort ist, und Du's fremde Kleid angezogen hast, so wird Niemand in dem Mann mit der fremden Tracht und dem glatten Kinn den Barbone wittern. So komm' nun, Anderl, und besinn' Dich nit.

Einen ganz andern Menschen soll ich aus mir machen, sagte Andreas kopfschüttelnd, blos um mein armselig Leben zu fristen? Soll mein liebes Passeyr verleugnen? Soll meinen Bart abnehmen, den ich so lang' mit Ehren getragen, und an dem Jung und Alt mich kennt im ganzen Tyrolerland? Nein, Anton Steeger, nimmer thu' ich das!

Wenn Du's nicht thust, Andreas, so bist Du verloren, sagte Anton Steeger. Ich fürcht', die Franzosen sind Dir schon auf der Spur. Ein Bauer hat erzählt, daß er Dich neulich hier oben gesehen und gesprochen hat.

Ja wohl, der Raffel war's. Er kam hier oben, seine Kalbin zu suchen, und da fand er mich. Ich hab' ihm aber Geld gegeben, daß er schweigen sollt', und er hat's mir in die Hand gelobt, daß er mich nit verrathen wollt'.

Muß doch sein Gelöbniß schlecht gehalten haben, Anderl, denn er hat's dem Priester Donay erzählt, und der hat gestern laut vor aller Welt gesagt', er wüßt', wo der Andreas Hofer sich versteckt halte.

Der Donay ist freilich ein gar böswilliger und schlechter Mensch, sagte Andreas Hofer sinnend, aber so schlecht wird er doch nimmer sein, daß er mich, den er immer seinen besten Ober-Commandanten und seinen liebsten Freund genannt hat, jetzt verrathen könnt'.

Er ist so schlecht, brummte Döninger. Er ist geldgierig, und es sind zehntausend Gulden auf Euren Kopf gesetzt.

Mann, rett' Dich, rief Anna Gertrud in Thränen ausbrechend, und ihren Gatten angstvoll umklammernd. Wenn Du mich und die Kinder lieb hast, so rett' Dich, schneide Deinen Bart ab, zieh' die fremden Kleider an, und rett' Dich vor Deinen blutgierigen Feinden, rett' Dich für Dein Weib und Deine armen Kinder!

Ich kann nit, sagte Andreas schmerzvoll, sein Weib liebevoll umschlingend, nein, so wahr Gott mir helfe, ich kann mein liebes, unglückliches Land'l nit verlassen! Weiß ja wohl, daß ich das Unglück vom Vaterland dadurch nit abwend', daß ich dahier bleibe, aber ich will's wenigstens mit ihm theilen. Ich hab' das Vaterland nit retten können, so will ich denn mit ihm untergehen. Ein guter Capitain verläßt sein Schiff nit, wenn es scheitert, er stirbt mit ihm, und so verlaß auch ich mein Land'l nit, sondern sterbe mit ihm. Ich will thun, was ich kann, um mich zu retten, aber aus dem Land'l geh' ich nit, und meinen Bart schneid' ich auch nit ab, und fremde Kleider die zieh' ich auch nit an. Will kein' Mummenschanz treiben und mich verkleiden, sondern will auch im Unglück bleiben, was ich gewesen, der Andreas Hofer, der Barbone! Sag' das dem lieben Erzherzog, Anton Steeger, und sag' ihm auch, ich ließ ihm herzlich danken, daß er mich hat retten wollen auf seine Weis', und er sollt' nit böse sein, daß ich's nit annehmen könnt', daß ich wollt' leben und sterben, mit meinem Land'l. Will er sonst Etwas für mich thun, so soll er zum Kaiser Franzl gehen, soll ihm sagen, ich wüßt' wohl, daß er selber gar nimmer uns vergessen hätt', sondern daß seine bösen Schreiber das Alles gemacht und das arme Tyrol so treulos verrathen hätten. Ich ließ den Kaiser bitten, er sollt' sich recht wacker für Tyrol und auch für mich verwenden, aber er sollt' mich nit von Tyrol trennen. Gallerie der Helden: Andreas Hofer. S. 188.

Andreas, jammerte seine Frau, Du bist verloren, ich fühl's da in meinem Herzen, Du bist verloren, wenn Du nit mit dem Anton Steeger in dieser Nacht noch fliehst.

Und ich fühl' da in meinem Herzen, daß ich bleiben muß, und wenn ich auch verloren bin, sagte Andreas fest. Nun, wein' nit mehr, Anna Gertrud, und Du, Anton Steeger, nimm herzlichen Dank für Deinen guten Willen!

Du bist also fest entschlossen, Anderl, Du gehst nit mit mir?

Bin fest entschlossen, Anton. Aber willst mir einen Liebesdienst thun, so nimm mein Weib und meinen Buben mit Dir, denn der Feind bedroht sie wie mich. Nimm sie mit Dir, Tonerl, rett' sie über die Berge, und führ' sie zum Erzherzog Hannes.

Es ist unmöglich, seufzte Anton Steeger traurig, die furchtbaren Schneeweg' hier oben sind nit passirbar für ein Weib und einen Knaben.

Und Du wollt'st mir rathen, sie hier zurückzulassen? fragte Andreas Hofer vorwurfsvoll. Das Liebste, was ich hab', sollt' ich verlassen, blos um mein armselig Leben zu retten? Nein, Freund, ich bleib' beisammen mit Weib und Kind und dem Döninger da. Du aber geh' jetzt und rett' Dich, denn wenn wirklich die Feind' kämen, so wär's schlimm für Dich, wenn sie Dich hier fänden.

Ich gehe, Anderl, aber nit um mich zu retten, sondern um rasch Deine Botschaft an den Herrn Erzherzog zu bringen, und damit er versucht, Dich auf andere Weise durch den Kaiser zu erretten. Drunten im Thal aber werde ich Jedermann erzählen, daß Du nit mehr oben, sondern schon glücklich nach Wien entkommen wärst, und daß die Feinde nit mehr nöthig hätten, Jagd auf Dich zu machen.

Thu' das, Anton Steeger, und wenn sie's glauben, soll mir's lieb sein. Jetzt aber geh', mich ängstigt's, Dich hier zu sehen, ich mein', Dir könnt' was Schlimmes begegnen. Geh', guter Freund!

Er drängte ihn zur Thür hin, und duldete es nicht, daß Anton Steeger noch langen Abschied nahm von den Andern, sondern führte ihn hinaus vor die Hütte. Draußen aber umarmte er ihn zärtlich und drückte einen langen Kuß auf seine Lippen. Nun hör', was ich Dir sagen will, flüsterte er leise. Ich muß bleiben, um mein Weib und den Buben zu retten. Fliehen können die Zwei jetzt nit, das hast Du selbst gesagt. Wenn ich nun entflöh' und ließ die Beiden hier, so würd' der Feind sie doch ausspioniren, und würd' Rache an ihnen nehmen, und würd' sie martern und umbringen aus Bosheit, weil sie mich nit gefunden haben. Wenn ich aber bleib' und sie finden mich, so werden sie mein unschuldig Weib und Kind wohl frei ziehen lassen, und ihnen kein Leid's anthun. Sie haben dann ja mich, und die Zwei sind ja unschuldig. So geh' denn, Lieber, und sag' das dem Erzherzog, und grüß' den lieben Hannes viel tausendmal von seinem treuen Anderl. Nun leb' wohl, und geh' mit Gott!

Er nickte Anton Steeger noch einmal freundlich zu und kehrte dann rasch in die Sennhütte zurück. Drinnen saß sein Weib und weinte, und vor ihr kniete der kleine Johann, ihr Sohn, und das Gesicht am Knie seiner Mutter bergend, weinte auch er. Döninger stand vor dem Herd und starrte in die Gluthen.

Zu ihm hin ging Andreas Hofer, und legte ihm sanft die Hand auf die Schulter. Cajetan, fragte er sanft, habe ich Recht gethan?

Ja, Ober-Commandant, Ihr habt Recht gethan, sagte Döninger feierlich.

Nun, noch ein Wort zu Dir, Cajetan, fuhr Andreas fort. Es kann was dran sein an der Geschicht' mit dem Raffel und dem Donay, und die Franzosen können erfahren haben, wo ich bin, und können hier hinauf kommen. Drum, lieber Cajetan, mußt Du mich verlassen, und mußt entfliehen, damit sie Dich nit auch gefangen nehmen!

Ein guter Diener verläßt seinen Herrn ebenso wenig, als ein Capitain sein Schiff verläßt, wenn's untergeht, sagte Döninger kurz. Ihr wollt's Vaterland nit verlassen im Unglück, weil Ihr's lieb habt. Ich will Euch nit im Unglück verlassen, weil ich Euch lieb hab'. Ich bleib'!

Andreas Hofer legte seinen Arm um Döninger's Nacken und drückte ihn zärtlich an sein Herz. So bleib' bei mir, mein Cajetan, sagte er innig. Gott weiß, daß es mein Herz geschmerzt hätt', wenn Du mich hättest verlassen können. Und nun, Anna Gertrud, wein' nit mehr. Sei hurtig, lieb' Weibel, packe alle Deine Habseligkeiten zusammen, und laß uns früh zu Bett gehen. Denn ganz früh am Morgen wollen wir von hier aufbrechen. Ich weiß nit gar fern von hier eine andere Sennhütt', bis dahin werden wir uns wohl durcharbeiten, und dahin wollen wir mitschleppen, was wir irgend können. Auf also, mein Trudel, und rühr' Dich!

Anna Gertrud trocknete ihre Thränen, und neuer Hoffnung voll, packte sie die nothwendigen Habseligkeiten zusammen, und ordnete Alles in vier kleinen Bündeln, für Jeden Etwas, je nach seinen Kräften, zum Tragen.

Und endlich kam die Nacht, die letzte Nacht, die sie in dieser Hütte zubringen wollten. In der Frühe des nächsten Morgens wollten sie aufbrechen zur Wanderung nach dem neuen Zufluchtsort.

Früh also hatte man sich zur Ruhe begeben. Die beiden Knechte hatte Andreas Hofer hinab geschickt nach Brandach, um noch einiges Nöthige zur morgenden Wanderschaft herauf zu holen. Unten im Hüttenraum schlief Andreas Hofer mit seinem Weibe. Droben auf dem kleinen Heuboden, zu dem man von der Stube hinaufstieg, lag Cajetan Döninger mit dem kleinen Johann Hofer.

Aber Döninger schlief nicht. Er dachte immer noch an Raffel, der vor drei Tagen hier hinaufgekommen und Andreas gesprochen hatte; er dachte an den Priester Donay, dem Raffel Hofer's Aufenthalt verrathen hatte. Er wußte, daß Donay, der bis zu den Tagen des Unglücks sich immer zu Hofer gedrängt und in fanatischem Eifer den Krieg gepredigt hatte, jetzt, seit die Feinde in Tyrol eingerückt, plötzlich mit eben solchem Eifer den Frieden und die Unterwerfung predige, daß er ein eifriger Parteigänger der Franzosen geworden, und viel mit französischen Offizieren verkehre. Er kannte Donay's Geldgier und Treulosigkeit, und er zitterte daher um Andreas Hofer's Sicherheit.

Unruhig, in banger Sorge, lag er daher auf seinem Lager, und horchte bang in die Nacht hinaus. Aber Nichts regte sich, Nichts hörte man, als den Wind, der um die Hütte heulte und pfiff, und vom untern Hüttenraum her das laute Athmen der beiden Schlafenden.

Stunde nach Stunde verging, und Alles blieb still, und Döninger athmete erleichtert auf, denn bald mußte der Morgen dämmern, und die Stunde der Flucht war gekommen. Langsam ließ Döninger sein Haupt auf das Heu niedersinken, um nun auch eine Stunde zu schlafen und sich zu stärken zur Wanderschaft.

Aber wie er's kaum gethan, zuckte er zusammen, und hob seinen Kopf wieder lauschend empor.

Er hatte da draußen ein Geräusch gehört, – ein Geräusch, wie von vielen herannahenden Schritten, die auf dem Schnee krachten und pfiffen.

Vorsichtig leise kroch Döninger jetzt auf dem Boden zur kleinen Dachluke hin und schaute hinaus.

Der Mond schien hell und leuchtend über das weiße Schneefeld rings um die Hütte, deutlich konnte Döninger Alles sehen, Alles erkennen.

Er sah dort drüben einen Trupp heranmarschirender Soldaten. Er sah, wie sie unfern vom Hause Halt machten. Dann sah er, wie zwei Gestalten sich der Hütte näherten. Nun standen sie dicht vor der Hütte. Der Mond schien hell und klar in das Angesicht des Einen, – Döninger erkannte ihn wohl, es war Raffel, der Verräther. Der Andere war ein französischer Offizier, er blieb einige Schritte vom Hause stehen, Raffel aber ging dicht an dasselbe heran, legte sein Ohr an die Thür und horchte.

Sie sind drin! rief er dann mit gedämpfter Stimme dem Offizier zu, und sofort hob dieser den Arm und rief: Vorwärts! – Die Soldaten rückten vor, und umzingelten das Haus, und kein Ausweg war, und keine Rettung!

Döninger weckte den schlafenden Buben. Johann, sagte er leise, laß uns hinabgehen zum Vater. Die Franzosen sind da!

Der Knabe schrie laut auf. Die Franzosen sind da, jammerte er, sie wollen meinen Vater gefangen nehmen!

Komm, befahl Döninger, und er nahm den Knaben auf den Arm, und sprang mit ihm von dem Heuboden hinunter, gerade hinein in den Hüttenraum.

Wachet auf, sagte er, sich zu Andreas Hofer niederneigend, wachet auf, der Feind ist da!

Andreas schreckte empor, und starrte Döninger ungläubig an, sein Weib aber erhob sich mit leisem Jammern und warf sich hastig in ihre Kleider.

Laßt uns fliehen, murmelte sie, schnell, schnell, zur Hinterpfort' hinaus!

Das Haus ist umstellt, sagte Döninger, indem er Andreas Hofer beim Ankleiden behülflich war. Wir können nicht mehr fliehen.

Ist's so? fragte Andreas ruhig.

Ja, Ober-Commandant, es ist so!

Nun also, wie Gott will, sagte Hofer, sich bekreuzigend; und die Hütte rasch durchschreitend, öffnete er die Thür, die nach Außen führte.

In vierfachen Reihen, das Gewehr an die Schulter gelegt, standen die Soldaten da. Andreas trat unerschrocken vorwärts, dicht zu den Feinden heran.

Versteht Jemand von den Herren deutsch? fragte er mit vollkommener Ruhe.

Ich verstehe es, sagte der Offizier vortretend.

Andreas grüßte ihn mit einem stolzen Neigen des Kopfes. Wohlan denn, sagte er, ich bin der Andreas Hofer, ehemaliger Commandant der Tyroler. Ich bitte um Pardon und gute Behandlung.

Einem Rebellen kann ich Nichts versprechen, antwortete der Offizier verächtlich.

Aber Sie sind doch nur gekommen, um mich gefangen zu nehmen, fuhr Andreas mit sanfter Stimme fort. Wohlan, hier bin ich; thun Sie mit mir, was Sie wollen. Doch für mein Weib und Kind und diesen jungen Menschen hier bitte ich um Gnade, denn sie sind wahrhaftig unschuldig. Andreas Hofer's eigene Worte. Siehe: Gallerie der Helden: Andreas Hofer. S. 200.

Der Offizier antwortete nicht, er gab seinen Soldaten ein Zeichen, und befahl ihnen, Andreas Hofer und die Uebrigen in feste Bande zu legen, damit sie sich nicht rühren und keinen Fluchtversuch machen könnten.

Mit wilder Wuth warfen sich die Soldaten über die Wehrlosen her, und banden ihnen die Hände auf den Rücken, und schlangen ihnen Stricke um den Hals, an denen sie sie vorwärts zerren konnten, wie eingefangene Stiere.

Und als sie Andreas Hofer gebunden, als sie seine starken Arme nicht mehr zu fürchten hatten, da umringten sie ihn mit wildem Hohnlachen, und warfen sich über ihn, und rissen ihm Jeder eine Handvoll Haare aus seinem Bart »zum Andenken an den General Barbone«.

Das Blut floß ihm in Strömen aus dem zerfetzten Bart nieder, aber der kalte Winterfrost machte es erstarren, und verwandelte den von Blut durchzogenen Bart in einen blutrothen Eiszapfen, der bei jeder Bewegung gegen die vielen Wunden am Kinn stieß, daß sie furchtbar schmerzten.

Andreas klagte nicht, er blickte nur hin auf sein Weib, sein Kind und seinen Freund, die, gebunden wie er, halb nur angekleidet wie er, und mit nackten Füßen, ohne Schuhe wie er, an ihrem Strick vorwärts gezogen wurden über das mit Schnee und Eis bedeckte Gebirge in die Ebene hinab. Seine Hände, in denen die Stricke sich einschnitten, schmerzten fürchterlich, seine unbedeckten Füße schwollen an beim harten Wandern über den Schnee, und stießen sich wund an den Eiszapfen, – doch Andreas klagte nicht, aber als er das leise Wimmern seines Knaben vernahm, als er sah, wie jeder Fußtritt seines vor ihm her getriebenen Weibes blutige Spuren in dem Schnee zurückließ, da kam ein lautes Schluchzen aus seiner Brust hervor, und zwei Thränen rannen langsam über seine Wangen nieder in den Bart, um da im Blut zu erstarren.

Hinab ging die furchtbare Wanderschaft nach Meran hin. Vor dem Thor erwarteten französische Generale und Stabsoffiziere und Soldaten die einherschwankenden Gefangenen. Die Soldaten begrüßten den gefangenen »Räuberhauptmann Barbone« mit lautem Vivatgeschrei und Hohngelächter, und unter dem schmetternden Schall der Militairmusik, die dem Zuge voraufschritt, ward Andreas Hofer mit den Seinen in die Stadt geführt.

Die Franzosen triumphirten, aber vor den Thüren ihrer Häuser standen die Bürger von Meran, und nicht achtend der Feinde, die sie bedrohten, begrüßten sie Andreas Hofer mit Thränen und mit lautem Weinen.

Weiter ging's am andern Tage, nach Botzen hin, nur hatte man die Gefangenen, deren zerfetzte blutige Füße sie nicht mehr zu tragen vermochten, auf einen Leiterwagen gehoben und ihnen einige Kleidungsstücke übergeworfen.

Aber in Botzen erhielt Andreas Hofer doch eine Freudenbotschaft. – Eine edle deutsche Frau, die Gemahlin des Freiherrn von Giovanelli, hatte es gewagt, den französischen General Baraguay d'Hilliers um Gnade anzuflehen für die unglückliche und schuldlose Familie Andreas Hofer's, sie hatte, um die Unglücklichen zu retten, vor dem General ihre Kniee gebeugt und sich gedemüthigt zum jammernden Flehen. Baraguay d'Hilliers hatte ihrem Flehen nicht widerstehen wollen, und er hatte die Unglücklichen begnadigt.

Der Befehl des Vicekönigs lautet nur, daß der Sandwirth Hofer nach Mantua gebracht werde, sagte er. Ich gebe also Ihren Bitten nach, Madame, seine Begleiter sollen frei sein und bleiben. Sein Weib kann mit ihrem Sohn in ihr Haus zurückkehren und wie ehedem ihre Wirthschaft führen, aber sie soll vorsichtig und klug sein, und schweigen, damit sie nicht in Gefahr kommt. Der junge Mensch kann gehen, wohin er will.

Das war die Freudenbotschaft, die Andreas Hofer am dritten Tage seiner Gefangenschaft in dem Kerker erhielt, in welchem er mit den Seinen auf feuchtem Stroh lag.

Siehst', Cajetan, rief er freudig, es ist so kommen, wie ich gesagt hab'! Meine Gefangenschaft macht Weib und Kind frei, und erlöst sie von aller Gefahr.

Aber ich will Dich nicht verlassen, rief Anna Gertrud, ihn fest umschlingend, ich will bei Dir bleiben und mit Dir in den Tod gehen!

Und der da, der Bub', soll der auch in den Tod gehen? fragte Andreas, auf seinen Knaben deutend. Und unsere vier lieben Mädels, sollen die ganz hülflos werden, und kein Vater und Mutter mehr haben zu ihrer Hülf' und ihrem Schutz? Anna Gertrud, Du mußt ihnen Vater und Mutter sein, Du darfst sie nit verlassen, und auch den Buben nit. Mußt ihnen ihr bischen Hab' und Gut erhalten und mehren, mußt sie erziehen in der Furcht des Herrn, und mußt sie auch lehren, ihren armen Vater zu lieben und hoch zu halten in ihrem Angedenken.

Mann, lieber Mann, ich kann's nit, kann nit von Dir lassen, schluchzte das Weib. Stoß' mich nit von Dir, laß mich nit einsam und ohne Trost zurück.

Andreas hob den Arm empor und deutete gen Himmel. Dort ist unser Tröster, sagte er, der lenket Alles zum Besten. Auf ihn vertrau', Anna Gertrud. Geh' zu Deinen Kindern, sei ihnen Vater und Mutter, und liebe sie in meinem und Deinem Namen.

Eben ward die Kerkerthür geöffnet, und der Schließer trat ein, gefolgt von Soldaten.

Andreas Hofer, vorwärts! gebot der Schließer. Der Wagen ist bereit, der Euch nach Mantua führen soll. Ihr Andern packt Euch von dannen, Ihr habt Nichts mehr zu schaffen hier! Auf, Andreas Hofer, auf zur Reise!

Laßt mich erst mein Weib und Kind noch segnen, Lieber, sagte Hofer sanft, und seine Hände auf die Häupter seines Weibes und seines Knaben legend, segnete er sie mit lauter Stimme, und empfahl sie dem Schutz des Herrn. Hinter ihm kniete Döninger, und auch auf sein Haupt legte Andreas Hofer seine Hand, und segnete ihn, und dankte ihm für seine Liebe und Treue.

Kommt jetzt, kommt! riefen die Soldaten, und sie packten ihn mit roher Gewalt und rissen ihn vorwärts.

Anna Gertrud schrie laut auf in unermeßlichem Jammer, und klammerte sich an Hofer an in der Angst ihrer Liebe.

Klage nit mehr, gute Anna, ermahnte Hofer sie milde, bringe dem Gekreuzigten Deinen Schmerz zum Opfer dar, und zeige Dich als Hofer's Weib! Leb' wohl, mein' Lieb'! Küsse unsere Kinder! Vorwärts jetzt!

Und mit raschen Schritten eilte er mit den Soldaten vorwärts. Anna Gertrud, bleich wie eine Leiche, bebend an allen Gliedern, faßte ihren Knaben an der Hand und stürzte ihrem Gatten nach, und hinter ihnen her, entschlossen und trotzigen Angesichts, kam Cajetan Döninger.

Draußen vor der Thür hielt der mit Stroh bedeckte Leiterwagen, welcher Andreas Hofer nach Mantua führen sollte. Zehn Soldaten standen auf demselben mit geladenen Gewehren, und dicht gedrängt um denselben stand eine Schaar Krieger.

Ruhig, erhobenen Hauptes, schritt Andreas Hofer durch ihre Reihen, dem Wagen zu. Sein Weib lag auf den Knieen und weinte, und hielt den Knaben krampfhaft umschlungen, der entsetzt nach dem Vater hinstarrte.

Jetzt hatte Andreas Hofer den Wagen bestiegen. Die Soldaten traten zurück, der Kutscher hieb auf die Pferde ein.

Da drängte sich rasch Cajetan Döninger heran und winkte dem Kutscher, anzuhalten.

Ich muß mit, ich gehör' ja zu ihm, sagte er, die Seitenleiter des Wagens erfassend, um sich hinaufzuschwingen.

Nein, nein, rief der Schließer, herbeieilend. Ihr irrt Euch, Ihr seid ja frei!

Döninger, immer noch sich am Wagen festhaltend, schaute zu ihm um. Wie lautete die Ordre?

Sie lautete ausdrücklich: der junge Mensch ist frei, er kann gehen, wohin er will!

Nun also, sagte Döninger, sich behend auf den Wagen schwingend, nun also, der junge Mensch will nach Mantua gehen mit Andreas Hofer! Vorwärts, Kutscher, vorwärts!

Der Kutscher hieb auf die Pferde ein, und fort rollte der Wagen nach Mantua hin. Der Priester Donay, der Andreas Hofer, wie man allgemein behauptet, an die Franzosen verrieth, ward bald nachher durch ein eigenes Decret Napoleon's zum kaiserlichen Caplan beim heiligen Hause zu Loretto ernannt und erhielt außerdem beträchtliche Schenkungen an Geld und Land. Hormayr bezeichnet ihn geradezu als den Verräther und Angeber Andreas Hofer's. Siehe: v. Hormayr: Andreas Hofer. II. S. 507. – Der Bauer Franz Joseph Raffel, der dem Priester Donay den Aufenthaltsort Andreas Hofer's anvertraut hatte, hieß seitdem in ganz Tyrol nur: der Judas Ischariot; mit Abscheu wandte sich Jeder von ihm, und die Passeyr erklärten ihm, sie würden ihn erschießen, wenn er sich nicht in acht Tagen erhenkt habe. Raffel floh voll Angst und Entsetzen nach Baiern und erhielt dort von der Regierung eine kleine Anstellung bei der Mauth. Siehe: Gallerie der Helden. Andreas Hofer. S. 191.


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