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Ganz Tyrol war in Sorge und Aufruhr, überall sah man nur schreckensbleiche Gesichter, hörte man nur die angstvolle Frage: Ist es wahr? Hat unser Kaiser wirklich Frieden gemacht mit dem Bonaparte? Ist es wahr, daß er uns ganz und gar vergessen hat, und daß wir nun wieder bairisch und französisch werden sollen?
Und einige der Verzagten und Furchtsamen seufzten: Es ist wahr! Es hat gestern in der Innsbrucker Zeitung gestanden, und der Vicekönig von Italien hat's durch zwei Boten im Pusterthal verkünden lassen, daß die Kaiser von Frankreich und von Oesterreich am vierzehnten October den Frieden abgeschlossen haben, daß Tyrol wieder bairisch und italienisch werden und die Waffen niederlegen soll.
Es ist nicht wahr! riefen die Muthigen und Beherzten. Der Kaiser Franz hat keinen Frieden mit dem Bonaparte abgeschlossen, und wenn er's gethan, so hat er doch gewiß an Tyrol gedacht und gesorgt, daß wir bei Oesterreich bleiben, denn das hat er uns versprochen, und der Kaiser wird sein Wort halten!
Es ist nicht wahr, es giebt keinen Frieden, wir sind noch immer im Krieg mit dem Baiern und dem Franzosen, rief Joseph Speckbacher, und im Krieg wollen wir bleiben!
Ja, im Krieg wollen wir bleiben! riefen seine tapferen Schaaren ihm nach.
Und wie Speckbacher gerufen, so rief auch Andreas Hofer, so rief Joachim Haspinger, so riefen Anton Wallner, Jacob Sieberer, und all' die tapferen Commandanten der Schützen.
Und abermals strömten die Tyroler, angeführt von ihren Heldenführern, zusammen zu einem gewaltigen Heer, und abermals sammelte sich dies Heer am Berg Isel, und erwartete dort die Baiern, die unter der Anführung des Kronprinzen Ludwig auf Innsbruck marschirten.
Und abermals entspann sich am Berg Isel und beim Judenstein ein blutiger Kampf zwischen den Tyrolern und den Baiern, und vier Tage, vom fünfundzwanzigsten bis zum achtundzwanzigsten October, stritten die feindlichen Schaaren mit todesmuthiger Entschlossenheit um den Besitz von Innsbruck.
Aber dies Mal war der Sieg nicht bei den Tyrolern, dies Mal verjagten die Baiern die Tyroler aus Innsbruck, und am neunundzwanzigsten October zog der Kronprinz Ludwig von Baiern als Sieger und Herr in Innsbruck ein. Ein Theil des Tyroler Heers blieb am Berg Isel stehen, ein anderer stürmte mit ungebrochenem Muthe nach anderen Gegenden hin, um dort anderen Schaaren der Feinde entgegen zu rücken und sie von den Grenzen Tyrols zurück zu schlagen.
Anton Wallner eilte mit seinen Schützen zurück nach dem Pusterthal, und rückte mit ihnen weiter hinab, um gegen den verhaßten General Rusca, der von Kärnthen her mit seinem französischen Armeecorps in Anmarsch war, die Grenzen seines Vaterlandes zu vertheidigen, denen auch Baraguay d'Hilliers mit einem starken Armeecorps sich näherte.
Joseph Speckbacher zog mit seinen todesmuthigen Schaaren in's Zillerthal und weiter hin nach der Mühlbacher Klause, um dort, mit Joachim Haspinger vereint, nochmals gegen den Feind zu kämpfen.
Und freudiger Muth herrschte überall, und Niemand glaubte mehr an die Schreckensnachricht, die erst Alle so verzagt gemacht, Niemand glaubte mehr an den Frieden.
Auch Andreas Hofer glaubte ihn nicht. Er war muthig und unverzagt geblieben, trotz des unglücklichen Gefechtes am Berge Isel, und muthig und unverzagt sandte er auch jetzt noch durch vielfache Boten die Mahnung aus durch ganz Tyrol: alle streitbaren Männer sollten die Waffen ergreifen und kämpfen gegen den Feind, der abermals in Tyrol eingebrochen sei.
Er lagerte mit seinen Schaaren noch immer unfern vom Berge Isel und hatte in Steinach sein Hauptquartier aufgeschlagen. Dorthin hatte der Kronprinz von Baiern aus Innsbruck zwei Parlamentaire an ihn abgeschickt, und hatte ihm melden lassen, daß der Friede wirklich abgeschlossen sei, und daß den Tyrolern daher nichts übrig bleibe, als sich zu unterwerfen.
Aber Andreas Hofer antwortete diesen Parlamentairen mit unwilligem Kopfschütteln: Das ist eine arge Lüge! Der Kaiser Franzel, unser lieber Herr, verläßt nimmer seine braven Tyroler. Er hat's uns geschworen, und er hält Wort. Ihr wollt uns blos mit Listen fangen, aber wir lassen uns nit fangen. Wir glauben an den Kaiser und an den lieben Gott, und Beide werden uns nimmer verlassen!
Und ruhig lächelnd war Andreas in sein Zimmer zurückgekehrt, und hatte sich zur Nachtruhe niedergelegt.
Aber auf einmal, mitten in der Nacht, ward er aus seiner Ruhe aufgeschreckt; Cajetan Döninger stand vor seinem Lager und meldete, daß der Intendant des Pusterthals, Herr von Wörndle, mit einem Abgesandten des Kaisers Franz, dem Freiherrn von Lichtenthurn, angelangt sei, und daß Beide den Ober-Commandanten dringend zu sprechen begehrten.
Sie sollen mich sprechen, sagte Hofer, sich eilig erhebend, die heilige Jungfrau möge geben, daß sie kommen, uns etwas Gutes zu melden.
Er kleidete sich rasch an, und folgte Döninger in das Zimmer, in welchem die beiden Abgesandten mit einigen Männern aus der Umgebung des Ober-Commandanten sich befanden.
Nun sagt, Ihr Herren, was bringt Ihr Neues? fragte Andreas, den beiden Abgesandten seine Hände darreichend.
Nichts Gutes, Ober-Commandant, seufzte Herr von Wörndle, aber es hilft nichts, darüber zu klagen, wir müssen uns in Geduld fassen, und es ertragen. Der Kaiser Franz hat Frieden gemacht mit Frankreich.
Stimmt Ihr auch das Lied an, Herr Intendant? fragte Andreas mit einem traurigen Lächeln. Ich werd's nimmermehr glauben, bis ich's schwarz auf Weiß sehe, und bis der Kaiser, oder der liebe Erzherzog Hannes es mir melden thut.
Ich bringe es Euch schwarz auf Weiß, rief der Freiherr von Lichtenthurn, ein Papier aus seinem Busen ziehend und es Andreas darreichend. Da ist das Schreiben des Herrn Erzherzogs Johann, das ich Euch überbringen soll.
Hofer griff hastig nach dem Papier, welches jener vom Erzherzog Johann in Totis geschriebene Aufruf an die Tyroler war, und las ihn mehrmals mit langsamer Aufmerksamkeit. Während des Lesens entfärbten sich seine Wangen, der Athem ging keuchend aus seiner Brust hervor, und das Papier knisterte und ächzte in seinen zitternden Händen.
Es ist nit möglich, ich kann's nit glauben, rief er dann schmerzlich, das Papier von allen Seiten betrachtend. Das hat der liebe Erzherzog Hannes nit geschrieben! Schaut's nur! Es fehlt auch sein Siegel! Herr, wie können Sie sagen, daß das ein Brief ist vom Herrn Erzherzog Johann? Wo ist denn 's Siegel und die Aufschrift?
Es ist ja kein Brief, sagte der Freiherr von Lichtenthurn, es ist ja ein offener Brief, eine offene Ordre, die ich in ganz Tyrol Jedermann vorzeigen sollte. Eine offene Ordre kann ja keine Aufschrift haben und kein Siegel. Aber der Erzherzog Johann schickt sie, und er hat sie eigenhändig geschrieben.
Ich glaub's nit, rief Andreas mit triumphirender Stimme. Nein, ich glaub's nit! Ihr seid ein Lügner, Ihr wollt uns verrathen! Seht ihn nur an, Ihr Alle, seht ihn nur an, wie bleich er wird, und wie er zittert. Das macht, er hat ein bös Gewissen! Bringt mir's Siegel vom Erzherzog Johann, so will ich glauben, daß es von ihm kommt! So aber ist Alles Lug und Trug und List vom Feind, daß ich mich ergeben soll! Haltet ihn fest, er soll uns Alles gestehen! Ich laß mich nit fangen mit List und Verrath! Andreas Hofer's eigene Worte. Siehe: von Hormayr: Andreas Hofer, Bd. II. S. 490.
Er legte seine schwere und gewichtige Hand auf die Schulter des Freiherrn, aber dieser brach zusammen unter seiner Berührung, fiel mit einem kreischenden Wehelaut zur Erde nieder, und lag zuckend und sich windend in furchtbaren Krämpfen am Boden.
Seht Ihr, rief Andreas, das ist die Strafe des Himmels. Die Gewalt Gottes hat ihn getroffen! Er ist ein Verräther, der uns an die Franzosen verkaufen wollte!
Nein, er ist ein Ehrenmann, und er hat Euch die Wahrheit berichtet, sagte Herr von Wörndle ernst. Eure heftigen Worte und Beschuldigungen haben ihn entsetzt, und er hat davon die epileptischen Zufälle bekommen, an denen er leidet! Ebendaselbst.
Er hob mit einigen der Anwesenden den unglücklichen Freiherrn vom Boden auf und trug ihn in die anstoßende Kammer. Dann kehrte er zu Andreas zurück, der mit hastigen Schritten auf- und abging und leise vor sich hinmurmelte: ich kann's nit glauben! Der Erzherzog Hannes hat das nit geschrieben! Seine Hand wär' ihm verdorrt beim Schreiben! Er hat's nit gethan.
Ja, Andreas, er hat's gethan, sagte Wörndle ernst, er hat sich fügen müssen, wie auch wir Alle uns fügen müssen. Der Erzherzog Johann hat sich dem Willen seines Kaisers unterwerfen müssen, wie auch wir es thun müssen. Der Friede ist abgeschlossen und keinem Zweifel mehr unterworfen.
Herr, mein Gott, der Friede ist abgeschlossen, und der Kaiser läßt uns im Stich? schrie Andreas.
Der Kaiser hat, wie es scheint, nichts für Tyrol thun können, sagte Wörndle leise. Er hat es dulden müssen, daß Tyrol wieder an Baiern und Italien fällt!
Aber das ist ja nit möglich! rief Andreas verzweiflungsvoll. Er hat uns ja sein Wort gegeben, sein heilig Wort, daß er nimmer einen Frieden eingehen will, der nit Tyrol bei Oesterreich beläßt. Wie könnt Ihr den guten Kaiser nun so kränken, daß Ihr sagt, er hab' uns sein Wort gebrochen.
Er hat sein Wort nicht gebrochen, aber er hat es nicht halten können. Schaut, Ober-Commandant, hier bringe ich noch ein anderes Schreiben, und dies hat, wie Ihr seht, ein großmächtiges kaiserliches Siegel, es ist das Siegel des Vicekönigs von Italien, und er hat's geschrieben für Euch und alle Tyroler!
Les't's, rief Andreas schmerzlich, ich kann's nit, meine Augen schwimmen in Thränen! Les't Ihr's mir vor, Herr!
Wörndle nickte, und das Papier nehmend, las er: »An die Völker Tyrols! Der Friede ist zwischen Sr. Majestät dem Kaiser der Franzosen, König von Italien, Protector des rheinischen Bundes, meinem erhabenen Vater und Monarchen, und Sr. Majestät dem Kaiser von Oesterreich geschlossen worden. Friede herrscht also überall, rings um Euch. Ihr seid die Einzigen, welche noch nicht die Wohlthaten desselben genießen. Durch feindliche Eingebungen verführt, habt Ihr gegen Eure Gesetze die Waffen ergriffen, dieselben umgestürzt. Die traurigen Folgen Eures Aufruhrs sind Euch zu Theil geworden. Der Schrecken herrscht in Euren Städten, die Unthätigkeit und das Elend auf Euren Feldern, die Uneinigkeit zwischen Euch und die Unordnung ist allgemein. Se. Majestät der Kaiser und König, über Eure jammervolle Lage sowohl, als über die Beweise der Reue gerührt, welche Mehrere unter Euch bis zu Höchst Ihrem Thron haben gelangen lassen, haben ausdrücklich mittelst der Friedensschlüsse eingewilligt, Euren Verirrungen nachzusehen. – Ich bringe Euch Frieden, indem ich Euch Vergebung bringe, aber ich warne Euch, nur mit der Bedingung wird Euch verziehen, daß Ihr freiwillig zur Ordnung wiederkehrt, die Waffen niederlegt, und nirgend Widerstand erblicken lassen werdet. – Als Anführer der Armeen, die Euch umringen, werde ich Eure Unterwerfung annehmen, oder gebieten. – Den Armeen werden Commissairs vorausgehen, mit meinem ausdrücklichen Auftrage, jene Beschwerden und Klagen zu vernehmen, die Ihr vorbringen könnt. – Vergesset aber nicht, die Commissairs sind nur dann befugt, Euch anzuhören, wenn Ihr die Waffen niedergelegt haben werdet.«
»Tyroler! Ich verspreche es Euch: sind Eure Klagen, Eure Beschwerden gegründet, so sollt Ihr Gerechtigkeit finden.«
Aus dem Hauptquartier zu Villach,
den 25. October 1809.
Eugen Napoleon. v. Hormayr: Andreas Hofer II. S. 490.
Herr von Wörndle hatte längst aufgehört zu lesen, und noch immer stand Andreas Hofer unbeweglich da, die Hände über der Brust gefaltet, das Haupt in den Nacken geworfen, die Augen gen Himmel gewandt in starrem Hinblicken.
In ehrfurchtsvollem Schweigen schauten alle Anwesenden hin auf diese große stattliche Gestalt, die wie von Schmerz erstarrt schien, auf dieses bleiche, wehmuthsvolle Antlitz und die frommen Augen, die den Himmel um Rettung und Trost anzuflehen schienen.
Endlich wagte es Döninger, leise seine Hand auf Hofer's Arm zu legen. Wacht auf, lieber Ober-Commandant, sagte er leise, wacht auf aus Euren Schmerzen. Die Herren hier warten auf Antwort. Sagt ihnen, was Ihr denkt!
Was ich denk'? rief Hofer zusammenschrecken und seine Blicke langsam niederwärts senkend. Was ich denk'? Ich denk', daß wir arme unglückliche Menschen sind, die ganz umsonst ihr Gut und Blut, ihr Leben und ihre Freiheit aufs Spiel gesetzt haben. Sagt denn, Ihr Lieben, ist's denn möglich, daß der Kaiser Franz, den wir so sehr geliebt haben, der uns so viel versprochen hat, daß der uns jetzt doch verlassen hat? Cajetan, glaubst Du's denn?
Da steht's geschrieben, sagte Döninger, in seiner kurzen lakonischen Weise auf das Handbillet des Erzherzogs deutend. Es ist des Erzherzogs Handschrift, ich kenn' sie genau. Ihr dürft nicht mehr zweifeln. Der Friede ist geschlossen.
Der Friede ist geschlossen, und der Kaiser hat sein Tyrol vergessen, und Tyrol ist verloren! rief Andreas mit lautem Schmerzensschrei, und die lang' zurückgehaltenen Thränen stürzten, Bächen gleich, aus seinen Augen hervor. Andreas wehrte ihnen nicht, und schämte sich ihrer nicht. Er sank auf einen Stuhl nieder, und seine Hände vor sein Antlitz legend, weinte er laut.
Tyrol ist verloren, schluchzte er, all' meine lieben Landsleut' sind in Unglück und Todesgefahr, das liebe schöne Landl wird triefen von Blut, und nichts wird man hören, als Wehgeschrei und Jammer. Denn der Kaiser hat uns verlassen, und der Feind wird wieder in's Land einziehen, und er wird morden und brennen und schreckliche Rache üben. – Herr Gott, rief er dann auf einmal, seine Hände von seinem Antlitz fortziehend, kann ich denn nichts thun für meine lieben Landsleut'? Sagt Ihr's mir, kann ich nichts thun, die große Noth abzuwenden und meinen lieben Landsleuten das Leben zu retten?
Ja, Andreas, sagte Herr von Wörndle, Vieles und Großes könnt Ihr thun, für Tyrol und für Eure Landsleute. Ihr könnt das Blutvergießen hindern, Ihr könnt den Feind sanft machen und milde, daß er der Besiegten schont und keine Rache nimmt an den Wehrlosen. Schreibt einen Aufruf an die Tyroler, ermahnt sie zur Ruhe, befehlt ihnen die Waffen niederzulegen. Kehrt Ihr selbst in Euer Haus, in Eure Wirtschaft zurück, und Ihr habt Größeres für Tyrol gethan an diesem Schmerzenstag, als Ihr bis hieher thun konntet. Ihr habt Tyrol vom Verderben gerettet! Denn sicherm Verderben fällt es anheim, wenn Ihr jetzt noch den Kampf wagen wollt, gegen die Feinde, die uns hundertfach überlegen sind. Es ist unmöglich, ihnen Trotz zu bieten. Von allen Seiten ziehen sie heran mit ihren Heeresmassen, ihren Kanonen, ganz Tyrol ist, wie's der Vicekönig von Italien schreibt, umzingelt. Es giebt keine andere Rettung mehr, als Unterwerfung. Gebietet den Tyrolern also, daß sie sich unterwerfen, geht ihnen selbst mit gutem Beispiel voran, und Tyrol ist gerettet, und kein Blut wird mehr vergossen werden.
Kein Blut wird mehr vergossen werden! wiederholte Andreas Hofer freudig. Wohlan denn, ich seh's ein, daß Ihr Recht habt, daß uns nichts weiter übrig bleibt, als uns zu unterwerfen. Der Kaiser hat uns wohl verlassen, aber der liebe Gott wird bei uns bleiben, und wenn er sieht, daß wir demüthig sind und stille, so wird er sich unserer erbarmen! Setz' Dich, Cajetan, ich will Dir dictiren. An wen muß ich denn schreiben für mein liebes Landl?
Schreibt an den General Drouet, sagte Döninger. Er hat ja gestern aus Innsbruck an Euch geschrieben, und Euch den Frieden gemeldet und versprochen, daß, wenn Ihr und alle Tyroler sich unterwerfen, Keinem was Leids geschehen soll. Ihr wolltet ihm nicht antworten, weil Ihr ihm nicht glaubtet.
Nein, sagte Andreas sanft, ich wollt' ihm nit glauben, denn ich glaubt' noch an meinen Kaiser. Aber jetzt seh' ich, daß der General Drouet doch Recht gehabt hat, also will ich denn an ihn schreiben und ihm mein Landl und die braven Tyroler empfehlen. Nimm nun die Feder, Cajetan, und schreib'!
Und mit leiser, bebender Stimme, oft unterbrochen von Seufzern, die wie Todesgestöhne aus seiner Brust hervorkamen, dictirte Andreas Hofer ein Schreiben an den General Drouet, in welchem er in rührenden Ausdrücken, voll tiefen innigen Gefühls, die Unterwerfung Tyrols versprach und den General beschwor, dafür aber auch seine lieben Landsleute zu schonen, »alles Vorgefallene zu vergessen, und dem gedrückten Volk Güte und Schonung angedeihen zu lassen.«
So, sagte er, nachdem er zu Ende dictirt und sich überzeugt hatte, daß Döninger seine Worte getreulich niedergeschrieben hatte, so, Cajetan, jetzt gieb her die Feder. Meinen Namen will ich selbst da drunterschreiben!
Er beugte sich über den Tisch, und stehend schrieb er mit rascher Hand, wie er so oft unter seine Rescripte geschrieben: »Andere Hofer, Ober-Commandant in Tyrol.«
Dann schien er zu erschrecken, und betrachtete lange und sinnend seine Unterschrift. Tief aufseufzend warf er einen schmerzvollen Blick zum Himmel empor, nahm zum zweiten Mal die Feder und langsam mit großen zitternden Buchstaben schrieb er unter seinen Titel »Ober-Commandant von Tyrol« das einzige schmerzvolle Wort: » gewester.« Gallerie der Helden: Andreas Hofer. 173.
Jetzt komm, Cajetan, rief er, die Feder von sich schleudernd, als sei sie eine Natter, die ihn verwundet habe, komm, Cajetan. Ich will zu meinen Schützen gehen, und sie ermahnen, daß sie auseinander gehen, und dann will ich mit Dir heimwandern nach meinem Haus am Sand, damit ich Allen ein gutes Beispiel gebe, und ihnen zeige, wie man sich still und Gott ergeben unterwerfen muß. –
Und Andreas Hofer that, wie er gesagt hatte. Er befahl seinen Leuten auseinander zu gehen, und als sie in dumpfem Schweigen seinem Befehl gehorsamt hatten, kehrte er selber, nur begleitet von seinem treuen Cajetan Döninger, nach seinem Haus zurück.
Aber weder das freudige Willkommen seiner Frau, der getreuen Anna Gertrud, noch das Jubelgeschrei seiner Kinder konnte Andreas Hofer aus seinem Trübsinn wecken und ein Lächeln auf sein trauriges Angesicht rufen. Er hatte keine Freude an den Seinen, keine Freude mehr an Haus und Hof, er schaute nicht um nach der Wirthschaft, ging nicht umher in den Ställen und Scheunen, sondern gesenkten Hauptes, die Hände über's Knie gefallen, saß er da, und starrte auf die Erde, und seufzte nur zuweilen: mein armes Landl! Wie hat uns der Kaiser verlassen können.
Nur wenn Cajetan Döninger nicht bei ihm war, ward Andreas Hofer unruhig und schaute umher, und rief ängstlich nach seinem Schreiber, und als er eilig herbei gelaufen kam, streckte er ihm seine Rechte entgegen. Cajetan, sagte er mit leiser zitternder Stimme, Cajetan, geh' nimmer von mir! Ich denk' immer, ich könnt' noch 'was zu schreiben haben, es kann ja nit das Letzte gewesen sein, was ich Dir da dictirt hab' in Steinach, wo ich die Unterwerfung ausgesprochen hab'. Es muß noch was Anderes kommen, ganz was Anderes, das weiß ich, denn so kann's doch nimmer bleiben! Also bleib' immer bei mir, Cajetan, damit Du gleich bereit bist, und schreiben kannst, wenn die Stund' gekommen ist!
Cajetan blieb bei ihm, und so saßen die Beiden nun schweigend, verloren in ihre schmerzvollen Gedanken, nebeneinander, und langsam und trübe vergingen vier Tage.
Es war am Nachmittag des fünften Tages, und schweigend wie immer saßen Andreas Hofer und Döninger in dem dämmernden Zimmer. Draußen war Alles still, – da auf einmal ward diese Stille durch das Gemurmel vieler Stimmen, durch verworrenes Geräusch unterbrochen.
Andreas Hofer blickte auf und lauschte. Sollte man nit meinen, wir wären noch im Krieg, und meine Schützen marschirten auf? fragte er mit einem trüben Lächeln.
Andreas Hofer, Ober-Commandant von Tyrol! riefen draußen vor den Fenstern laute Stimmen.
Andreas sprang empor. Wer ruft mich? rief er mächtig.
In diesem Moment ward die Thür heftig aufgerissen, vier Tyroler Bauern mit ihren Stutzen in der Hand traten ein; durch die offene Thür sah man draußen den ganzen Vorraum dicht gedrängt voll Bauern, und Alle schauten mit blitzenden Augen durch die Thür nach Hofer hin, und Alle riefen und schrieen jetzt: Andreas Hofer, Ober-Commandant von Tyrol, komm mit uns! Komm!
Andreas schien auf einmal wie neu belebt, sein Auge leuchtete, seine Gestalt war wieder aufgerichtet, sein Haupt hob sich wieder stolz zwischen den mächtigen Schultern empor.
Was wollt Ihr von mir, Ihr lieben Landsleut'? fragte er, ihnen entgegenschreitend.
Einer der vier Schützen, die in das Zimmer gekommen waren, schritt jetzt vorwärts und stellte sich mit trotzigem Angesicht gerade vor Andreas Hofer hin.
Wir wollen Dich, sagte er. Dreitausend Franzosen kommen über den Jaufen. Drüben im Pusterthal ist Alles im Kampf und Aufruhr. Der Anton Wallner hat die Baiern schon längst wieder da über die Grenz' zurückgetrieben, und der Speckbacher und der Kapuziner sind nach der Mühlbacher Klause und wollen den Rusca verjagen. Und warum sollen wir denn still halten? Warum sollen wir's denn geschehen lassen, daß die Franzosen in's Passeyr einziehen?
Wir wollen's nit geschehen lassen, riefen die Bauern draußen. Nein, wir wollen die Franzosen nit in's Pusterthal einziehen lassen.
Du hörst's, Ober-Commandant, sagte der Bauer, der zuerst gesprochen. Wir sind Alle ganz entschlossen und bereit. Nun sag', was sollen wir mit den Franzosen anfangen? Willst Du 'was thun oder nit?
Ja, willst Du 'was thun, oder nit? schrieen die Bauern, mit wüthenden Geberden vorwärts drängend, in das Zimmer hinein.
Wenn Du Nichts thun willst, schrie der Bauer, seinen Stutzen drohend erhebend, wenn Du Nichts thun willst, so ist mein Stutzen so gut für Dich, als für jeden Franzosen geladen. Angefangen hast Du's, so mach's auch aus. Loritza: Bilder und Erinnerungen aus Tyrols Freiheitskämpfen von 1809. S. 14.
Aber Ihr wißt ja, Landsleut', daß ich's nit kann, rief Hofer. Der Kaiser hat Fried' gemacht mit dem Bonaparte, und hat uns verlassen. Was bleibt uns also übrig, als uns zu unterwerfen? Wir müssen's thun, wenn Tyrol nit ganz zu Grunde gehen soll.
Wir wollen uns aber nit unterwerfen, schrieen die Bauern wüthend. Und so wie wir denkt das ganze Landl, Keiner will sich unterwerfen! Sterben wollen wir lieber, als uns unterwerfen.
Laß ein neues Aufgebot ergehen, sagte der erste der Bauern.
Ja, laß ein neues Aufgebot ergehen, Ober-Commandant, schrie die Menge. Wir wollen kämpfen, wir müssen kämpfen!
Und Du sollst und mußt unser Commandant sein, rief der Bauer, seine schwere, gewichtige Hand auf Hofer's Schulter legend. Wir halten Dich fest, wir lassen Dich nit, oder wir lassen Dich in den Tod gehen, als einen Verräther. Laß ein neues Aufgebot ergehen! Wir Männer sind noch Alle dieselben, die Sach' ist auch noch dieselbe, nun sei Du auch noch derselbe Andreas Hofer, Ober-Commandant von Tyrol.
Ja, rief Andreas mit flammendem Angesicht, hochaufathmend, als fühle er sich eben von einer drückenden Last befreit, ja, ich will auch derselbe bleiben! Es geht auch nit so! Wir müssen kämpfen, wir müssen lieber sterben, als so leben! Geh', Döninger, geh', mach' einen Aufruf!
Vivat hoch! Es lebe unser Ober-Commandant, jubelten die Bauern, es lebe unser lieber getreuer Andreas Hofer!
Ich dank' Euch, liebe Landsleut', sagte Andreas, Ihr habt mich jetzt, und wir wollen wieder kämpfen. Aber macht mich nit verantwortlich für die Zukunft. Vergesset nimmer, daß Ihr mich gezwungen habt, wieder auf's Neue anzufangen! Ich wollt' mich in Demuth und Geduld fügen, aber Ihr habt nit gewollt, Ihr habt mit Gewalt mich aus meiner Ruhe herausgerissen! Der Kampf und das Blutvergießen wird nun wieder anfangen! Mög' der liebe Herrgott uns gnädig sein und uns behüten, und wenn's sein kann, uns nochmals den Sieg verleihen! Wir wollen ja nit kämpfen aus Uebermuth und Stolz, sondern blos um's Landl, und weil wir nit französisch werden, sondern deutsch bleiben, weil wir unsern Gott, unsere Freiheit und unsere Verfassung behalten wollen! Amen!