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Sechstes Buch.
Die Menschenjagd.


I.
Ein Tag des Statthalters von Tyrol.

Die kaiserliche Hofburg zu Innsbruck war noch immer die Residenz des Ober-Commandanten von Tyrol, des Statthalters des Kaisers, des Sandwirths Andreas Hofer. Seit dem fünfzehnten August wohnte er in derselben, aber einfach, still und bescheiden, wie er gelebt hatte, als er noch der Pferdehändler und Sandwirth war, so lebte er auch weiter jetzt, wo er der Herrscher von Tyrol, der Statthalter des Kaisers war. Statt, wie seine Freunde und Adjutanten es oft von ihm begehrt, die großen kaiserlichen Prachtsäle des Kaiserschlosses zu bewohnen, hatte Andreas sich zu seinem Quartier die einfachsten und prunklosesten Zimmer ausgewählt, und einfach und bescheiden, wie seine Wohnung, war auch seine Lebensweise geblieben. Vergebens suchte seine Umgebung ihn zu überreden, er müsse ein fürstliches Hoflager halten und an reich besetzter Tafel Gäste empfangen. Andreas wies alle solche Anforderungen mit stolzem und doch zugleich demüthigem Unwillen zurück.

Meint Ihr, ich hätt' den schweren Posten hier übernommen, um den großen Herrn zu spielen und meines Leibes zu pflegen? entgegnete er Denjenigen, welche ihn drängten. Nit zu Prunk und Hoffahrt bin ich Statthalter des Kaisers worden, sondern um dem liebsten Tyrolerland zu dienen und es dem Kaiser aufzubewahren. Ich bin nur ein schlichter Bauersmann und will nit leben, wie ein großer Herr. Bin gewohnt, zum Frühstück Butter, Brod und Käse zu essen und ich wüßt' nit, warum ich das jetzt bleiben lassen sollt', blos weil ich nit droben im Sand bei meinem lieben Weib bin, sondern hier drunten im Hause des Kaisers. Bin auch gewohnt, einfach und bescheiden zu Mittag zu essen und kann's daher nit leiden, wenn mir hier was Apartes soll gekocht und eine eigene Wirthschaft in der Hofburg für mich eingerichtet werden. Die vornehme Esserei schmeckt mir halt gar nit, und ich sag', wie's Sprüchwort: »viele Köche verderben den Brei.« Da ich aber keinen verdorbenen Brei essen mag, so will ich auch keine Köche halten. Es bleibt dabei, Butter, Brod, Wein und Käse zum Frühstück, und zum Mittagsessen lass' ich mir vom Adlerwirth meine Portion holen. Sie darf aber jedesmal nit mehr kosten als einen halben Gulden. Gäste will ich wohl laden, denn ich mag gern mit fröhlichen Leuten zusammen sein, aber die Gäste müssen nit um's Essen, sondern um's Plaudern kommen, für jeden Gast lass' ich vom Adlerwirth eine Portion Essen, wie für mich selber holen und reichlich soll er geben, damit Niemand bei mir hungert. Aber keinen Tag dürfen's doch mehr wie sechs Gäste sein, denn das wäre mir eine schöne Geschicht', wenn ich, der ich dem Kaiser sein Land Tyrol erhalten will, statt dessen ihm hier viel Geld kosten wollt'. Damit es aber nimmer Irrthum und Aergerniß geben kann, soll der Adlerwirth jeden Morgen sein Conto einschicken, damit ich es durchlese, und alle Woche soll's Rentamt bezahlen und mir die Quittung schicken. Andreas Hofer mit seinem ganzen Gefolge machte der Stadt Innsbruck für sechs Wochen Aufenthalt nur die Unkosten von fünfhundert Gulden. Siehe: Bartholdy: Der Krieg der Tyroler Landleute im Jahr 1809. S. 291.

Arbeitsam, thätig und einfach, wie er's früher gewesen, blieb Andreas Hofer auch in diesen Tagen seines Glanzes. Nur auf das Wohl seines geliebten »Landl's« waren alle seine Gedanken gerichtet, und ihm wollte er alle seine Kräfte weihen. Eine Reihe nützlicher und freisinniger Verordnungen erschien, die in ihrer gut stylisirten Weise freilich nicht von Andreas Hofer, sondern von Ennemoser, Döninger, Kolb oder irgend einem Andern seiner Freunde und Schreiber herrührten, aber doch von ihm gebilligt und unterzeichnet waren.

Jeden Morgen ertheilte Andreas Hofer, einem wirklichen Fürsten gleich, öffentliche Audienzen und, die Schildwachen, die unten vor der Hofburg und oben vor der Thür des Ober-Commandanten standen, hatten strengen Befehl, Niemand abzuweisen, sondern Jeden in das Audienzzimmer einzulassen, sei er auch noch so ärmlich gekleidet. Mit freundlicher Geduld und regem Antheil hörte Andreas Jedermann an, immer war er bemüht zu helfen, zu trösten, Frieden zu stiften und zu versöhnen und Jeder, der des Trostes und Beistandes, der Hülfe und Rettung bedurfte, eilte, sich an den allzeit hülfreichen Ober-Commandanten zu wenden.

Auch heute befanden sich viele Menschen im Audienzzimmer und Alle harrten ungeduldig des Moments, wo die Thür sich öffnen und Andreas Hofer auf der Schwelle erscheinen würde, um Alle mit seinem freundlichen Kopfnicken zu begrüßen, und dann Demjenigen, der zunächst der Thür stand, winken würde, in sein Cabinet einzutreten.

Aber die zur Audienz festgesetzte Stunde hatte schon längst geschlagen und der sonst so pünktliche und gewissenhafte Ober-Commandant hatte immer noch nicht die Thür des Audienzsaals geöffnet.

Doch war er schon seit einer halben Stunde in seinem Cabinet, und Döninger saß schon vor dem Schreibtisch bereit, um, wie er das alle Morgen thun mußte, von jedem der Kommenden die Namen aufzuschreiben und ein kurzes Referat über ihre Wünsche und Bitten hinzuzufügen. Aber Andreas ging noch immer, die Hände auf dem Rücken gefaltet, im Zimmer auf und ab und, obwohl er schon zwei Mal die Hand auf die Thürklinke gelegt hatte, war er doch immer wieder, gleichsam erschrocken, zurückgetreten und hatte sein Auf- und Abwandern wieder fortgesetzt.

Ober-Commandant, sagte Döninger nach einer langen Pause, in der er lächelnd das unentschlossene Wesen Hofer's beobachtet hatte, Ober-Commandant, Ihr habt Etwas, das Euch beunruhigt, nit wahr?

Ja, Cajetan, seufzte Andreas aus tiefster Brust, da Du's doch einmal gewahr geworden bist, so will ich's auch nit leugnen, ich hab' Etwas, das mich beunruhigt.

Und was ist's denn, Ober-Commandant? Wollt' Ihr's Eurem treuen und verschwiegenen Cajetan nicht anvertrauen?

Ja, ich will's Dir sagen, mein lieber Cajetan, sagte Hofer. Ich fürcht', ich hab' gestern einen erzdummen Streich gemacht und ich schäm' mich darüber.

Ach, Ihr wollt' von der Prozeßgeschichte reden, die Ihr gestern geschlichtet habt, rief Döninger.

Siehst wohl, so wie ich von einem erzdummen Streich, den ich gemacht hab', anfang' zu reden, so weißt Du gleich, was gemeint ist, und also muß es wirklich ein erzdummer Streich sein. Ja, von der Prozeßgeschicht' wollt' ich reden, Cajetan, denn ich fürcht', ich hab' sie nit geschlichtet, sondern ich hab' sie noch mehr verwickelt.

Es war eigentlich nichts mehr zu schlichten, sagte Döninger trocken. Der Prozeß war ja schon entschieden, und die oberste Justizbehörde hatte bereits ihr Urtheil gefällt, dem Ankläger die Summe von tausend Gulden, um die es sich handelt, zugesprochen und den Angeklagten zur Bezahlung und in die Gerichtskosten verurteilt. Aber der Angeklagte –

Nein, es war nit ein Mann, Cajetan, unterbrach ihn Andreas, es war eine Angeklagte und das war grad' das Schlimme dabei. Ich kann's nit ertragen, Weiber weinen zu sehen. Sie verstehen's so sehr zu flennen und zu jammern, daß mir's Herz so weich wird und ich ihnen um des lieben Gottes willen helfen möcht'. Herr Jesu, hat die Angeklagte geweint, es mußt Einem das Herz erbarmen! Und was kann denn die arme Frau dafür, Cajetan, daß ihr seliger Mann ein Schuldenmacher gewesen, daß er sich von einem Freund tausend Gulden geborgt und, unter den Schuldschein, den er dafür gegeben, auch den Namen seiner Frau recht schändlicher Weis' mit darunter geschrieben hat, ohne daß sie was davon gewußt hat?

Das ist aber eben die Sach', Ober-Commandant, daß sie's nit allein gewußt, sondern daß sie auch ihren Namen selbst unter den Schuldschein geschrieben hat. Ich hab' mich bei den Richtern selbst erkundigt, gleich gestern. Sie sagen, die Frau sei als habgierig, geizig und schlecht bekannt und sie hätten sie nicht verurtheilt, wenn nicht Zeugen da wären, die beschworen haben, daß sie die Unterschrift selbst gemacht hat. Sie sei außerdem reich genug, um ohne Schaden die tausend Gulden, die ihr Mann doch jedenfalls von seinem Freund geborgt, zurückzuzahlen.

Ich kann's nit glauben, rief Andreas. Sie könnt' gar so natürlich weinen und jammern, hab' mein Weib nimmer in all' den Jahren so viel zusammen weinen sehen, als das Weib in der Viertelstund' geweint hat, und ich denk' halt, wer so weinen kann, der muß unschuldig sein. Und d'rum hab' ich gethan, was ich sonst immer gethan, hab', wie ich's Recht und die Macht dazu hab', an die Richter geschrieben und ihre Sentenz cassirt.

Nun, Ober-Commandant, wenn Ihr's Recht dazu habt, warum ist's Euch denn jetzt unruhig zu Sinn?

Es ist nur, sagte Andreas Hofer, daß ich jetzt denk', der Kläger, der seinen Prozeß schon gewonnen hatte, der könnt' jetzt recht unglücklich darüber sein, daß ich ihm das wieder zu Schanden gemacht, und es ist mir gar grauslich, wenn ich denk', er könnt' da d'rin sein und mir Vorwürf' machen wollen, daß ich ihn unglücklich gemacht und ihm wieder genommen hätt', was der Richter ihm schon zugesprochen hatt'!

Und darum, Anderl, weil Ihr den Einen nit sehen möcht't, wollt Ihr die Andern Alle da draußen stehen und warten lassen?

Hast Recht, Cajetan, das darf ich nit, bin ein eigennütziger, feiger Gesell, rief Andreas ganz zerknirscht. Gleich jetzt sollen's eintreten, sollen nit mehr auf mich warten.

Und mit hastigem Schritt ging er nach der Thür des Audienzsaals hin, stieß sie auf und trat auf die Schwelle. Der große Raum war ganz angefüllt mit Menschen von jedem Alter, aus jedem Stande, und Jeder drängte vorwärts nach der Thür hin und Jeder wollte der Erste sein, den Ober-Commandanten zu begrüßen und von ihm in sein Cabinet beschieden zu werden.

Andreas Hofer nickte freundlich nach allen Seiten hin, dann fiel sein Auge auf einen Greis mit silberweißem Haar, der eifrig bemüht war, sich zu ihm hinzudrängen und mit angstvoll flehenden Blicken nach ihm hinschaute.

Lieber Mann, sagte Andreas weich, Ihr seid zwar nicht der Erste an der Thür, aber Ihr seid der Aelteste und darum ist's recht und billig, daß ich Euch zuerst anhör'. Kommet also herein zu mir und saget, was Ihr von mir wollt.

Der Greis, auf seinen Krückstock gelehnt, schob sich eiligst vorwärts und trat in das Cabinet ein, dessen Thür Andreas selbst hinter ihm schloß.

Nun sagt mir, Lieber, wer seid Ihr, und was kann ich für Euch thun.

Viel, sehr viel, Ober-Commandant, sagte der Greis mit zitternder Stimme. Ihr könnt mir Gerechtigkeit gewähren. Mein Name ist Friedel Hofmeier und ich bin der Unglückliche, der gestern endlich seinen Prozeß gewonnen hatte, seine tausend Gulden wieder haben sollte, dem Ihr sie aber durch einen Machtspruch wieder genommen habt.

Cajetan, da haben wir die Geschicht', seufzte Andreas, sich mit kläglicher Miene zu Döninger umwendend, der mit der Feder in der Hand vor dem Schreibtisch saß und dem Ober-Commandanten achselzuckend zunickte.

Ich komme zu Euch, dem Stellvertreter des Kaisers, um von Euch Gerechtigkeit zu fordern, fuhr der Greis fort. Euer Machtspruch aber war ungerecht und gegen das Gesetz! Die Richter hatten für mich entschieden und wenn Ihr ihr Urtheil cassirt, so handelt Ihr sehr hart und sehr grausam gegen einen alten Mann, der am Rande des Grabes steht, so nehmt Ihr meinem armen Enkelkinde ihr einziges Erbtheil.

Gott und die heilige Jungfrau mögen mich gnädigst vor solch einem Verbrechen bewahren, murmelte Andreas Hofer, sich fromm bekreuzigend. Ach lieber Mann, warum seid Ihr nit früher kommen und habt mir Eure Noth geklagt, ich halt' Euch so gern geholfen und beigestanden, daß Ihr zu Eurem Recht kommen solltet.

Und Ihr seid doch die einzige Schuld, daß ich nicht zu meinem Recht kommen kann, rief der Greis schmerzlich. Weshalb hätt' ich früher hierher kommen sollen und Eure kostbare Zeit rauben? Ich vertraut' auf meine gute und gerechte Sache, ich wußt', daß der liebe Gott mich nicht verlassen würd', und daß er mir, der ich durch unverschuldetes Unglück, durch die Grausamkeit des Feindes, der mir Haus und Hof in Asche legte, mein Hab' und Gut verloren hab', nicht auch mein letztes kleines Vermögen nehmen würd', die tausend Gulden, die ich wahr und wahrhaftig meinem Freund' geliehen hab' und für deren Wiederbezahlung nach zehn Jahren wahr und wahrhaftig seine reiche Frau sich mit ihrer eigenen Unterschrift verbürgt hatte. Die zehn Jahre waren jetzt um, und der liebe Gott hatte mich nicht verlassen, er lenkte das Herz der Richter, daß sie mir Gerechtigkeit widerfahren ließen und mir meine tausend Gulden zusprachen.

Und nun habe ich sie ihm genommen, murmelte Andreas, mit Thränen in den Augen, nun bin ich Schuld dran, wenn er mit Schmerzen in die Grube fährt. Cajetan, ich hab' den alten Mann unglücklich gemacht, sag' doch, rath' mir doch, wie ich's wieder gut machen kann.

Ihr habt das Urtheil der andern Richter aufgehoben und cassirt, sagte Döniger langsam, Ihr habt also die Gewalt in Händen, einen Machtspruch zu thun und Urtheile zu cassiren.

Andreas Hofer schwieg einen Moment und schaute nachdenklich vor sich hin, als suche er sich einen dunkeln Orakelspruch zu erklären, dann auf einmal erhellte sich sein Gesicht und ein freudiges Lächeln umspielte sein Lippen.

Cajetan, jetzt weiß ich's, rief er. Ich hab' die Gewalt in Händen, einen Machtspruch zu thun und Urtheile zu cassiren, und also kann ich noch einen Machtspruch thun und mein eigen Urtheil cassiren.

Cajetan Döninger nickte still vergnügt vor sich hin, der Greis aber faltete die Hände und schaute mit einem Ausdruck strahlender Dankbarkeit zu Hofer empor.

Ihr wolltet das thun, Andreas Hofer? fragte er bebend. Ihr wolltet Euer eigen Urtheil cassiren, um der Gerechtigkeit willen?

Ja, das will ich, rief Hofer freudig, und gleich jetzt soll's geschehen. Cajetan, nimm Deine Feder und schreib', was ich Dir jetzt sagen will. So! Nun also angefangen: »Ich Endesunterzeichneter bekenne hiermit, daß ich gestern einen Irrthum begangen und gegen die Gesetze gefehlt habe. Irrthümer zu bekennen und Fehler einzugestehen, ist keine Schand', und darum thu' ich's und bitte den lieben Herrgott und die Richter um Verzeihung, daß ich Aergerniß gegeben. Ich cassire hiermit durch einen Machtspruch den Machtspruch, den ich gestern gethan hab'! Es soll in Sachen der tausend Gulden, die von der hohen Justiz in seinem Prozeß dem Friedel Hofmeier zugesprochen worden sind, bei dem Urtheilsspruch verbleiben, den die Herren Richter gefällt haben, und was ich gestern geschrieben hab', soll so sein, als hätt' ich's nicht geschrieben. Der Friedel Hofmeier hat seinen Prozeß gewonnen und dabei bleibt es.«

So, und nun gieb die Feder, Cajetan, und laß mich unter Dein Geschreibsel meinen Namen setzen!

Er schritt zu dem Tisch hin und die Feder nehmend, begann er unter das Papier, das Döninger ihm hinschob, seinen Namen zu schreiben.

Oh, lieber Herr Ober-Commandant, rief der Greis entzückt, welch' ein edler und lieber Mann seid Ihr, und wie –

Still, unterbrach ihn Andreas, von dem Papier aufblickend, wenn ich mich verschreib', so gilt das Geschreibsel nit und wir können das Ganze noch einmal anfangen. Ich sag' Euch aber, es ist eine grauslich schwere Arbeit, mit so 'nem spitzen feinen Ding von Feder seinen Namen aufs Papier zu malen, und mein Name hat so einen langen Schwanz von Titel. Seid also fein still und laßt mich schreiben! So, da steht's: »Andreas Hofer, Ober-Commandant in Tyrol.« So, lieb Alterle, jetzt ist Euer Papier gültig. Da, nehmt's und lauft damit auf's Rathhaus und ich gratulire Euch schönstens, daß Ihr Eure tausend Gulden gewonnen habt. Sprecht nichts mehr, sondern macht, daß Ihr auf's Rathhaus kommt. Es sind noch gar viele Leut' die mich sprechen wollen.

Er drückte dem Greis das Papier in die Hand, geleitete ihn nach der Thür hin, die er selber ihm öffnete und schob ihn hinaus. Eben wollte er hinter ihm in den Audienzsaal gehen, als er plötzlich hastig zurücktrat und die Thür hinter sich zudrückte.

Cajetan, flüsterte er ängstlich, ich hab' Etwas Schauderhaftes gesehen!

Nun, was denn, Ober-Commandant?

Cajetan, ich hab' die Frau gesehen, die Gegnerin vom Friedel Hofmeier, der ich gestern den Machtspruch gegeben. Cajetan, ich hab' mich nit gefürchtet, als wir auf dem Berg' Isel und bei Brixen waren, aber vor der Frau, mit ihrem schrecklichen Geflenne, da fürcht' ich mich. Sie hat's mir angethan, Döninger, und ich weiß gar nit, was ich thun soll, wenn sie jetzt die Geschichte gemerkt hat und hier hereinkommt, um mir Vorwürfe zu machen.

Wir lassen sie aber nicht herein kommen, Ober-Commandant, sagte Döniger lachend.

Cajetan, ich hab' mir aber ein Gelübde gethan, daß ich nimmer einen Menschen will fortgehen lassen, ohne ihn anzuhören, nit, wie die großen Herren, die nothleidende Menschheit bei mir im Vorzimmer will warten lassen und sie nachher doch ohne Trost will wieder fortschicken.

Aber Ihr habt's ja gehört, Andreas, die Frau, die gehört nicht zur nothleidenden Menschheit, denn die ist reich und geizig dazu. Sie hat Euch unverschämt angelogen und wenn Ihr sie herein laßt, so wird sie Euch wieder anlügen, darum darf sie nit herein kommen.

Hast Recht, Cajetan, sie darf nit herein kommen und nun bitt' ich Dich, Lieber, geh' hin und laß die nächste Person eintreten, nur nit die böse geizige Frau.

Döninger ging zu der Thür und sie öffnend, winkte er derjenigen Person, welche sich zunächst der Thür befand.

Eine junge Frau, in einfacher zierlicher Kleidung, trat ein und blieb verlegen und traurig an der Thür stehen.

Nun, Frauchen, rief Andreas ihr entgegen, kommt Ihr nun, mir zu melden, daß jetzt Alles gut geht und daß der Mann und Ihr, seine junge hübsche Frau, jetzt glücklich und zufrieden mit einander lebt? Gelt, das war ein schwer Stück Arbeit, Euch zwei Beid' wieder auszusöhnen und Euch zu bereden, daß Ihr bei einander bleiben und Euch wieder lieb haben sollt', wie's christlichen Eheleuten geziemt. Einen ganzen Vormittag hat's mich gekostet, aber es thut mir nit leid drum, denn ich hab' doch mein Werk zu Stande gebracht, hab' Euch ausgesöhnt und Alles war wieder gut mit Euch Zwei. Und versprechen mußtet Ihr mir, in vierzehn Tagen wieder zu kommen und mir zu sagen, wie's Euch geht, und richtig, heut' sind die vierzehn Tag' um, und da ist das kleine hübsche Weibchen, um mir zu sagen, daß der Anderl Hofer seine Sach' gut gemacht hat und daß ihr Mann jetzt ein gar getreuer, lieber und standhafter Ehemann worden ist. Gelt, ist's nit so?

Ach nein, es ist leider nit so, schluchzte das junge Weib, in Thränen ausbrechend. Der Tony, mein Mann, ist schon wieder alle Abend nicht daheim, kommt erst spät in der Nacht heim und dann schilt er mich aus, weil ich wein' und ihm Vorwürfe mache, und gestern, gestern wollt' er mich sogar schlagen.

Der schlechte Mann, rief Andreas heftig. Warum wollte er Euch denn schlagen? Was hattet Ihr ihm denn gethan?

Ich hatt' die Hausthür zugeschlossen und wollte ihm den Schlüssel nicht geben, als er ausgehen wollt.

Hm, das war freilich ein bissel allzustreng von Euch, sagte Hofer verlegen. Man kann doch einen jungen Mann nit hindern, ein bissel umher zu gehen? Er kann doch nit immer daheim bleiben.

Er soll aber nicht ohne mich ausgehen und er wollte mich nicht mitnehmen. Ich hatte ihn darum gebeten und er hatte es mir abgeschlagen, und darum hatte ich das Haus zugeschlossen und darum wollte ich ihn nicht herauslassen. Er soll nicht ohne mich ausgehen, denn er ist gar so ein schmucker und schöner Mann, und in seiner hübschen Tyrolertracht macht er, daß all' die hübschen Frauen von Innsbruck ihn anschauen, wenn er vorübergeht und nach ihm liebäugeln.

Nun, laßt sie ihm nachschauen und nach ihm liebäugeln, rief Andreas lächelnd, was thut's Euch, wenn der Mann nur nit nach ihnen schaut und liebäugelt?

Er thut's aber, Herr Ober-Commandant, er läuft den hübschen Weibern nach, er geht in's Theater und in's Concert, um sie zu sehen und mit ihnen zu sprechen und schön zu thun. Ihr könnt mir's glauben, liebster Ober-Commandant, er verläßt mich, er ist mir ungetreu, und all Euer schönes und frommes Ermahnen und Zureden ist umsonst gewesen. Er liebt mich nicht mehr, und ich habe ihn doch so gar lieb, und ich möcht' immer bei ihm sein, und ihn niemals verlassen. Aber er sagt, das wär' ihm unbequem und mache ihn lächerlich vor den Leuten, wenn er immer mit seinem Weib aufzög', wie ein Sträfling mit seinem Gefangenwärter.

Ei, der böse und hartherzige Mann, rief Andreas ganz entrüstet.

Nicht wahr, er ist hartherzig, klagte die junge Frau. Er vergilt meine Liebe mit Schelten, und wenn ich gern immer bei ihm sein will, so sagt er, ich plag' ihn mit Eifersucht, und es wär' nichts fürchterlicher und es gäb' keine größere Plage, als ein eifersüchtig Weib.

Und da mag er wohl Recht haben, sagte Döninger, eifrig beschäftigt, sich eine Feder zu schneiden.

Was sagst Du, Cajetan? fragte Andreas, sich zu ihm umwendend.

Ich sagte gar nichts, ich dachte nur laut, sagte Döninger, seine Feder probirend.

Hofer schwieg einen Augenblick, und schaute still vor sich hin. Ja, liebe Frau, sagte er dann herzhaft, so ganz Unrecht mag Euer Mann wohl nicht haben, wenn er sagt, daß Ihr ihn mit Eifersucht quält. Ich glaub' wirklich selber, daß Ihr ein bissel eifersüchtig seid, und ich bitt Euch, gewöhnt Euch das ab, denn die Eifersucht ist ein gar schlimmer Fehler, und macht die Männer sehr unglücklich.

Aber muß ich denn nicht eifersüchtig sein? rief sie heftig und unter Thränenströmen. Seh' ich denn nicht, wie die Weiber ihn verführen, und von mir abwendig machen wollen? Seh' ich nicht, wie er im Theater nach den geputzten Damen hinschaut, und ihre nackten Arme bewundert, und über ihre bloßen Schultern sich freut.

Was? rief Andreas Hofer, ist's denn wirklich wahr, daß hier die Frauenzimmer mit nackten Armen und bloßen Schultern gehen, und so vor aller Welt sich zeigen?

Ja, Herr, das ist wahr, schluchzte die Frau. Aller Orten könnt Ihr das sehen, es ist die neue Mode, die die Franzosen daher gebracht haben, daß die Kleider ganz weit ausgeschnitten sind und ganz kleine Aermel drin, so daß die ganzen Schultern und die Arme nackt und bloß sind. Alle vornehmen Frauen in Innsbruck haben die neue Mode schon angenommen, und wenn man sie so im Theater in ihren Logen sitzen sieht, so sieht's grad' aus, als ob sie im Bade säßen, so wie der liebe Herrgott sie geschaffen hat. Und daher, blos von den nackten Schultern und Armen kommt's, daß mein herzlieber Mann mir ungetreu wird, und mich nicht mehr liebt. Sie haben ihn verführt die vornehmen Damen mit ihrer nackten Herrlichkeit, und denkt Euch, er hat schon von mir verlangt, ich soll die neue Mode mitmachen und auch so nackt und bloß gehen.

Thut's nicht, sagte Hofer entsetzt, das ist eine unchristliche und schamlose Mode, und ein ehrbar Frauenzimmer darf sie bei Leibe nit annehmen. Es ist nit das erste Mal, daß ich darüber Klag' hör', daß die Weiber hier gar so unzüchtig und schamlos in ihrem Anzug sind. Erst gestern waren ein paar Landsleut' von mir im Theater, die haben sich entsetzt, wie die Frauenzimmer sich herausgeputzt, und wie entblößt sie dagesessen hatten, ohne Busentuch, wie's doch bei uns im Passeyr jedes anständige Frauenzimmer trägt, und die Arme nackt und mit allerhand Spangen und Goldgeschmeide aufgeputzt, wie wir's bei uns nur von den herumziehenden Comödianten gesehen, die in den Scheunen spielen. Aber ich will dem Ding ein End' machen, ich will die guten tugendhaften Männer vor Verführung schützen, und will's nit leiden, daß das Laster sich aufputzt und die Schamlosigkeit neben der Ehrbarkeit daher gehen darf. Wartet nur, gute Frau, ich will Euch Euren Mann und alle andern guten Männer vor den Verführungskünsten der leichtfertigen Frauenzimmer behüten, und eine Verordnung geben, die all' die schönen Frauenzimmer zur Raison bringen wird. Setzet Euch da hin, und hört zu, was ich dem Cajetan Döninger da für eine Verordnung dictiren werd'! Cajetan, nimm einen großen Bogen Papier mit dem Amtsstempel darauf, und nun merk' wohl auf, und schreib recht schön und richtig hochdeutsch, was ich Dir jetzt dictiren will.

Und im Gemach auf- und abgehend, und langsam mit der Rechten seinen schönen schwarzen Bart streichend, dictirte Andreas Hofer, wie folgt:

»Daß wir Ursache über Ursache haben, dem allmächtigen, gütigen Gott für die durch seine außerordentliche Hülfe erfolgte Befreiung des Vaterlandes von dem so mächtigen als grausamen Feinde zu danken, muß und wird wohl Jedermann erkennen, und Jedermann wird wünschen, fernerhin von dieser großen Plage befreit zu bleiben, mit welcher Gott, so wie im alten und neuen Testament sein Volk so oft, also auch unser Vaterland heimgesucht und gezüchtigt hat, auf daß wir uns zu ihm wenden und bessern sollen. Mit herzlichem Dank für des gütigen Gottes so große Erbarmniß und mit aufrichtigem Vorsatz einer ernstlichen Besserung müssen und wollen wir uns also zu ihm wenden und um fernere Verschonung bitten. Wir müssen seine väterliche Liebe mit wahrer Gegenliebe durch erbaulichen, züchtigen und frommen Lebenswandel zu erlangen uns ernstlich bestreben, und also Haß und Neid und Raubsucht und alles Lasterhafte verbannen, den Vorgesetzten Gehorsam und dem bedrängten Mitbürger, so viel wir können, Hülfe leisten, überhaupt aber alles Aergerniß vermeiden. Es haben sich aber viele meiner guten Waffenbrüder und Landesvertheidiger geärgert, daß die Frauenzimmer von allerhand Gattungen ihre Brust und Armfleisch zu wenig oder mit durchsichtigen Hadern bedecken, und also zu sündhaften Regungen Anlaß geben, welches Gott und jedem Christlichdenkenden höchst mißfallen muß. Man hoffet, daß sie sich zu Hintanhaltung der Strafe Gottes bessern, widrigenfalls aber sich selbst zuschreiben werden, wenn sie auf eine unbeliebige Art mit Koth bedecket werden. Siehe Gallerie der Helden: Andreas Hofer, S. 135, und von Hormayr: Andreas Hofer II. 445.

Soll ich das wirklich schreiben? fragte Döninger, von seinem Papier aufschauend.

Ja, das sollst wirklich schreiben, und kein Wort davon sollst weglassen, rief Andreas Hofer. Gieb her, Cajetan, ich will sehen, ob Du mir auch die letzten Wort' nit fortgestrichen hast! Nein, da steht's: »widrigenfalls aber sich selbst zuschreiben werden, wenn sie auf eine unbeliebige Art mit Koth bedecket werden.« Recht so, nun gieb die Feder, Cajetan, daß ich rasch meinen Namen darunter schreib', und denn mach 'nen Brief daraus und schick' ihn an's Amtsblättel und an die Zeitung, sie sollen's Beide gleich morgen abdrucken, damit alle Weiber von Innsbruck es gleich morgen lesen und wissen können, wonach sie sich zu richten haben. Nun, liebe Frau, jetzt hoff' ich, werdet Ihr Ruhe haben und Nichts fürchten brauchen von den geputzten Frauenzimmern. Gehet also heim, und wenn ich Euch einen Rath geben darf, so seid recht freundlich und sanft zu Eurem lieben Mann, und um der Liebe Gottes willen quält ihn nit mit Eifersucht, denn das ist ein gar bitter Kraut, was auch der bravste Mann nit verdauen kann, und was ihn unwirsch macht und bös. So gehet denn mit Gott, und in acht Tagen da kommt wieder her und meldet mir, ob meine Verordnung geholfen hat, und ob Euer Mann jetzt nit mehr in's Theater läuft und mit andern Frauenzimmern liebäugelt.

Der liebe Gott und die heilige Jungfrau mögen sich unserer erbarmen, seufzte die Frau, nach der Thür hinschreitend, denn ich ertrag's nicht, wenn mein lieber Mann mit andern Frauen liebäugelt, und es giebt zuletzt noch ein Unglück, wenn er nicht in sich geht.

Gott sei Dank, sagte Döninger mit einem tiefen Stoßseufzer, als die Frau das Zimmer verlassen hatte.

Warum sagst Gott sei Dank? fragte Andreas erstaunt.

Gott sei Dank dafür, daß ich nicht der Mann bin von der eifersüchtigen Frau. Die wird ihren Mann zu Tode quälen und ihm, eh' er stirbt, keinen Augenblick Ruhe gönnen.

Es ist wahr, sie scheint nit allzu sanftmüthig zu sein, sagte Andreas lächelnd. Aber was willst, Cajetan, sie liebt ihren Mann doch gar so sehr, und deshalb wird sie doch gewiß eine tugendhafte Frau sein, und nimmer gegen das sechste Gebot sündigen. Na, Lieber, brumm' nit so, sondern geh und laß eine andere Person ein.


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