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IV.
Die Sachsenklemme.

Was die vier Männer im Wirthshaus zu Brixen geschworen, was Andreas Hofer mit seinem Freunde Speckbacher verabredet, es war also gelungen. Ganz Tyrol war aufgestanden, ganz Tyrol glühte vor Kampfeslust. Schon lagerte bei Brixen ein kleines Heer, dessen Anführer Pater Haspinger war, und das sich in jeder Stunde durch Zuzug vermehrte. Peter Kemnater und Peter Mayer zogen noch immer umher, und stachelten die Bauern auf, daß sie ihre Waffen zur Hand nehmen und gen Brixen ziehen sollten zur Armee des Paters Rothbart, und überall folgte man willig ihrem Ruf. Da kamen die tapferen Rodenecker, Weitenthaler und Schönecker Bauern heran, geführt von ihrem muthigen Pfarrer Georg Lanschner, da kam auch Anton Wallner mit einer Schaar von vierhundert Mann, die sich bei seinem Marsch durch's Pusterthal zu ihm gesellt.

Jauchzend empfing Pater Haspinger die tapfere Schaar, und drückte ihren Führer Anton Wallner fest an seine Brust.

Hast schon wieder gekämpft wie ein Held, rief er, ihm zärtlich die Wangen streichelnd, ganz Tyrol preist Dich für Deine Thaten im mörderischen Gefecht bei Taxenbach, und man erzählt von Dir Wunderdinge, die Einem vor Freude 's Herz im Leib erzittern machen und Einem Thränen in die Augen treiben!

Es ist wahr, wir haben uns tapfer geschlagen, sagte Anton Wallner seufzend, aber geholfen hat's doch nit viel, denn der Feind war uns zehnfach überlegen, und wir haben's doch dulden müssen, daß der Feind vorwärts gegangen ist. Aber nun sind wir ihm nachgekommen, und mit Euch zusammen, herzlieber Pater, wollen wir's versuchen, ihm nochmals den Weg aus Tyrol 'naus zu zeigen. Ich denk' immer, es wird nochmals am Berg Isel was geben, denn nach Innsbruck drängen die Feinde immer zumeist, weil sie meinen, sie haben ganz Tyrol, wenn sie die Hauptstadt haben. Wir müssen also sehen, daß wir sie dort nochmals treffen, denn Ihr kennt ja die alte Prophezeihung, Ehrwürden, welche sagt, daß bei Innsbruck am Berg Isel der Tyroler Glücksstätt' ist.

Kenn' die Prophezeihung, sagte der Pater eifrig, und will's Gott, soll sie an uns zur Erfüllung gehen. Bei Innsbruck, am Berge Isel, da liegt die Freiheit Tyrols begraben, und wir wollen den goldigen Schatz da wieder ausgraben, und wollen ihn wieder aufleuchten machen über unsere Berg' und über unsere Thäler. Dazu sollst mir helfen, Anton Wallner, mit Deinen berühmten Schützen von Windisch-Matrey. Aber zuerst denk' ich, Freund, werden wir auch hier noch zu thun finden, denn unsere Kundschafter sind heimgekommen mit der Nachricht, daß der Feind im Anmarsch ist. Zuerst kommt der französische General Royer mit den Sachsenregimentern und den Baiern, und dann hinterher kommt der Höchstcommandirende, der Marschall Lefebvre, oder, wie er sich stolz nennt, der Herzog von Danzig. Der General Royer ist aber schon bis Sterzing gekommen, und wenn wir's dulden, werden die Sachsen bald gen Brixen anmarschiren.

Wir werden's aber nit dulden, rief Anton Wallner, wir werden sie nit so weit kommen lassen, und gleich jetzt will ich mit meinen Schützen die Gebirgspässe besetzen, wo der Feind hindurch kommen muß. Wollen den Herrn Herzog von Danzig mit solchem Feuerwerk empfangen, daß er seine Freud' daran haben soll.

Thu's, liebster Tonerl, rief der Pater freudig. Ich aber will zuerst gen Brixen ziehen und die Herren vom Magistrat zur Raison bringen. Die sind vor lauter Angst und Feigheit gar beredte Herren worden, und haben mir viel hundert Bauern, die durch Brixen gehen wollten, um zu mir zu stoßen, abwendig gemacht, und sie veranlaßt, wieder umzukehren und heimzugehen. Werd' mir die Herren ein bissel näher anschauen und sie lehren, gute Patrioten zu sein.

Er nickte Anton Wallner freundlich zu, und zehn seiner besten Schützen zu sich rufend, wanderte der Pater gen Brixen hin, begab sich geradeswegs in das Rathhaus, wo die Herren vom Magistrat in ernster Berathung zusammensaßen, und hielt ihnen eine seiner glühenden Strafpredigten, die indeß die Herren vielleicht weniger erschütterte, als die letzten Drohungen, die er derselben hinzufügte. Er schwur, daß, wenn die Herren nicht sofort durch Sturmglocken und reitende Boten das Landvolk zusammen beriefen und ihm zuschickten, er morgen sämmtliche Herren vom Magistrat würde erhängen oder erschießen lassen.

Und dieser Schwur that seine Wirkung, denn die entsetzten Herren wußten gar wohl, daß Pater Haspinger die Macht und den Willen habe, seine Schwüre zu erfüllen. Die Sturmglocke ertönte also, reitende Boten flogen hierhin und dorthin, und am nächsten Morgen schon trafen mehr als zweitausend streitbare Männer beim Pater Haspinger ein. Gallerie der Helden. Andreas Hofer. S. 110.

Gut, sagte der Pater, wenn jetzt auch der Andre Hofer und der Speckbacher mit ihren Mannschaften kommen, und wir uns Alle mit einander vereinigen, so mein' ich, werden die Sachen gut gehen, und der heilige Cassianus wird unsere Gebete verstanden haben.

Während Anton Wallner mit seinen Schützen die Bergschluchten diesseits von Brixen auf der Straße nach Mittewald besetzte, war Joseph Speckbacher mit seiner Schaar weit hinter Mittewald bis gen Sterzing vorgedrungen, und hatte erfahren, daß die Sachsen mit ihrem General Royer in Sterzing Rasttag hielten, um erst am nächsten Morgen weiterzuziehen, durch das wilde Eisackthal gen Brixen hin.

Nun, wenn die Sachsen Rasttag halten, so müssen wir Arbeitstag halten, damit wir ihnen die ewige Ruh' und Rast erarbeiten, sagte Joseph Speckbacher fröhlich. Jetzt auf, meine Wackern, wir müssen die Sachsen zwischen zwei Feuer nehmen. Verräther sind sie allzumal, und ehrlose Leut'. Schämen sich nit, dem fremden Eroberer und Kronenräuber, dem Bonaparte, zu dienen, und wollen zum Verräther werden am eignen Vaterland! Sind deutsche Männer und wollen gegen uns, ihre deutschen Landsleute, kämpfen, blos, weil es ihnen der Franzos befiehlt, wollen gegen uns kämpfen, weil wir nit auch dem Franzmann uns unterwerfen, sondern uns unser deutsches Herz, unsere deutsche Sprach' und unser deutsches Recht rein erhalten wollen von der französischen Tyrannei. Daß der Deutsche gegen den Deutschen kämpfen will für den Fremden, das ist doch ein gar ehrlos verrätherisches Unterfangen, und dafür wollen wir die Sachsen und die Baiern jetzt bestrafen, im Namen Gottes und der heiligen Jungfrau. Lassen wir sie also ruhig in den Engpaß hinein, und erst, wenn sie drin sind, dann ist's an der Zeit, sie anzugreifen. Zurück können sie nit, dafür sind wir da, und vorwärts können sie auch nit weit, dafür ist der Pater Rothbart da. Jetzt kommet und laßt uns festliche Vorbereitungen machen, wie sich's geziemt, wenn man vornehme Gäste erwartet. Wollen ihnen ein paar Triumphpforten bereiten und wollen ihnen auch ein schönes, angenehmes Schauspiel vormachen, wollen's ihnen vorspielen, wie die Lawinen von unsern Bergen herunter rollen! Aber gar kunstvolle und mächtige Lawinen wollen wir ihnen bauen!

Ja, ja, das wollen wir, riefen und jubelten die Bauern, und singend und lachend und jodelnd und schnalzend gingen sie an's Werk. Zuerst bauten sie dem Feind »Triumphpforten« auf dem Wege, das heißt, sie legten Verhacke und Verhaue an, und machten die Straße unwegsam und schwierig, sie beschmierten das hölzerne Geländer der Brücke, die hier beim Dorfe Pleis über die brausende Eisack führt, mit Pech, und lockerten die Bretter der Brücke, dann aber begannen sie die Lawinen zu bauen. Sie fällten eine Menge großer Lerchenbäume, befestigten diese am untern und obern Ende an Stricken, ließen sie an denselben an den grade in die Tiefe hinabsteigenden Felswänden eine Strecke hinunter gleiten, und befestigten dann oberhalb die Stricke an den starken Aesten noch feststehender Bäume auf der Höhe. Nun warfen sie auf diese schwebenden Gerüste Strauchwerk und Erde, Steine und Felsstücke, und als dies vollbracht, als die Lawinen vollendet waren, da zogen sie sich vorsichtig und schnell in die Bergschluchten zurück. Nur Zoppel, der Knecht des Joseph Speckbacher, und ein alter Bauersmann blieben bei den Lawinen zurück. Zu beiden Seiten derselben, neben den Stricken, standen sie mit der Axt in der Hand, mit flammenden Wuthblicken hinunterschauend in die Bergschlucht, wo der Weg zur Seite der Eisack sich schauerlich eng und einsam durch das schwarze, düstere Thal dahinzog.

Tiefe Stille herrschte ringsumher, nur zuweilen raschelte es im Gebüsch, und man sah den Lauf eines Gewehrs aufblitzen, zuweilen mochte man vermeinen, daß da oben auf den steilen Spitzen und den hohen Felskuppen flinke Gemsen sichtbar wurden. Aber es waren Tyroler Schützen, die auf die Wachtthürme ihrer natürlichen Festungen hinaufgeklettert waren, um den Feind zu erspähen, und wenn sie ihn erschaut, mit ihren Kugeln ihm ein Willkommen entgegen zu donnern.

Tiefe Stille herrschte noch immer ringsumher, und neben den Stricken, welche die künstlichen Lawinen hielten, standen noch immer die beiden Männer, die scharfen Aexte in der Rechten haltend.

Auf einmal ward vor dem Eingang der Schlucht ein lauter, schrillender Pfiff vernommen, der ringsum das ganze düstre Thal entlang wiederholt ward.

Das ist das Zeichen, daß der Feind bei dem Wirthshaus am Sack vorüber ist und in die Eisackschlucht einmarschirt, murmelte Zoppel, indem er rasch noch einmal die Schärfe seiner Axt mit der Hand untersuchte. Dann schaute er mit gespannter Aufmerksamkeit hinunter in das enge schauerliche Felsenthal, in dessen Tiefe hart neben der grollenden und schäumenden Eisack dahin ein Fußpfad, der einzige Weg, auf welchem man diese Schlucht passiren konnte, sich dahin schlängelte.

Dort, wo der Weg zwischen den beiden, dicht aneinander tretenden Felsen hervortrat, welche den Hintergrund abschlossen, dort sah man jetzt einige Soldaten in den Engpaß einschreiten.

In demselben Augenblick zeigte sich auf dem Felsblock, der hier steil und schroff emporstieg, die Gestalt eines Tyrolers. Er trat bis dicht an den Felsenabhang heran, ließ die Soldaten, welche langsam und mißtrauisch sich umschaueten, einige Schritte vorwärts thun, und hob dann seinen Stutzen empor. Der Schuß knallte, sofort sah man unten einen der Soldaten zusammenstürzen und oben den Tyroler seinen Stutzen zum zweiten Male laden. Wieder legte er sein Gewehr an, wieder schoß er, und traf seinen Mann.

Aber das Geräusch der beiden Schüsse hatte den Marsch des Feindes beflügelt. Hastigen Schrittes kamen die Soldaten jetzt um die Ecke des Felsens daher gezogen, nun mußten sie, um passiren zu können, die beiden in Todeszuckungen sich windenden Soldaten, die wie eine Barricade ihnen den Weg versperrten, hinwegräumen, und sie hinabrollen lassen in die Fluthen der Eisack, die mit wildem Aufrauschen die beiden Feindesleichen, die ersten Opfer des wieder beginnenden Kampfes, empfingen.

Aber der Tyrolerschütz da oben auf der Felsspitze hatte schon wieder sein Gewehr geladen, und wieder streckte sein Schuß einen der Soldaten nieder. Als er das sah, jodelte er laut auf, und sprang hoch empor, und nickte lachend den Feinden zu, die mit drohenden Blicken zu ihm aufschaueten. Aber er sah nicht, wie da unten einer der Offiziere vier Soldaten zu sich rief, mit der Hand nach der Felsspitze emporzeigte und ihnen einen raschen Befehl gab. Die vier Soldaten sprangen sofort aus der Reihe, und verschwanden in dem Buschwerk, das den Fuß des Felsens bekränzte.

Der Tyroler war wieder beschäftigt, sein Gewehr zu laden, – da raschelte es hinter ihm im Gebüsch, und wie er hastig sich umwandte, sah er einen der Soldaten durch das Gebüsch herbei rennen.

Ein einziger Wuthschrei drang aus der Brust des Tyrolers, dann legte er sein Gewehr an und schoß. Der Soldat stürzte zu Boden, aber im selben Moment sprang ein zweiter Soldat aus dem Gebüsch auf die Felsplatte vorwärts.

Wieder tönte ein Schrei von den Lippen des Tyrolers, aber diesmal klang es wie ein Todesschrei. Er sah, daß er verloren war, daß es für ihn keine Rettung mehr gab und kein Entrinnen, denn schon glänzten Zwischen den Bäumen hervor die Uniformen der zwei andern Soldaten, schon war der zweite Soldat nur noch einige Schritte von dem Rand des Felsens, an welchem der Tyroler stand, entfernt.

Einen letzten, schnellen, verzweiflungsvollen Blick warf der Schütze ringsumher, als wolle er mit demselben Abschied nehmen von Himmel und Erde, von den Bergen und den Thälern des lieben Tyrolerlands. Dann warf er sein Gewehr von sich, und packte, ehe dieser sich dessen erwehren konnte, den Soldaten. Wie zwei eiserne Klammern umschlangen seine Arme den Leib des Feindes, mit Riesengewalt drängte er ihn vorwärts, zu dem Rande des Felsens hin.

In Gottes Namen denn! rief er mit lauter Stimme, die ringsum in den Felsen widerhallte, in Gottes Namen denn!

Mit einer letzten ungeheuren Kraftanstrengung schwang er sich mit dem Soldaten über den Felsabhang hin, und stürzte mit ihm hinunter in die Fluthen der Eisack.

Speckbacher's Knecht, der treue Zoppel, hatte Alles gesehen, Alles begriffen, und als die Beiden, in dieser letzten Umschlingung des Hasses, in den aufschäumenden und aufspritzenden Wogen versanken, wischte er sich verstohlen eine Thräne aus den Augen fort.

Er ist gestorben wie ein braver Tyroler, murmelte er, und die heilige Jungfrau wird ihn gewiß da oben freundlich willkommen heißen. Wir aber, Hisel, wir wollen seinen Tod rächen an dem verdammten Feind da unten.

Ja, das wollen wir, rief der Bauer ingrimmig, und mit einer wüthenden Bewegung hob er seine Axt empor.

Noch ist's nit Zeit, sagte Zoppel bedächtig. Wart' nur, bis sie in dichtem Haufen kommen. Sie nur, Hisel, wie prächtig sie ausschauen in ihren bunten Uniformen, und wie stattlich und stolz sie einhermarschiren!

In der That, »stattlich und stolz« kamen die Sachsen daher marschirt, aber nicht mit schmetternden Trompeten, nicht mit dem Wirbel der Trommeln, schweigend zogen sie vorwärts, mißtrauisch gemacht durch die tiefe Stille, die sie auf einmal umgab, mit aufmerksamem Ohr horchend auf jedes Geräusch, mit spähendem Blick jede Felsspitze musternd.

Jetzt war der Anfang der geschlossenen Reihen unter der Riesenlawine angekommen, mitten in dem schauerlichen Engpaß, und auf einmal ward die Todesstille, die sie bis dahin umgeben, durch eine laute, zürnende Stimme unterbrochen, die wie aus der Luft, wie das Gekrächze des Todesengels ertönte.

Diese Stimme fragte: Zoppel, soll ich nun abhacken?

Noch nicht! Noch nicht! rief eine andere Stimme und ringsum an den Felsenschluchten hallte es wieder: Noch nicht! noch nicht!

Die Sachsen stutzten und schaueten empor. Woher kamen diese Stimmen? Was bedeutete diese schwarze ungeheure Masse, die da drohend und unheilsvoll, einem Felsen gleich, und doch abgelöst von der schroffen Felswand, an der sie eng angedrückt dahin zogen, über ihnen schwebte.

So fragten sie sich in ehrfurchtsvollem Grauen, und standen still, und blickten immer wieder empor zu dieser dunkeln Felsenmasse, die ihr Herz mit seltsamem Entsetzen erfüllte.

Wir wollen umkehren! Wir wollen uns nicht weiter hinein wagen in die Schlucht, murmelten die Soldaten mit bebenden Lippen, aber so leise, daß die neben ihnen marschirenden Offiziere sie nicht hören konnten.

Doch auch diese fühlten ein ahnungsvolles Bangen, und mit lautem Commandowort befahlen sie den Soldaten, zu halten, und eilten zurück zum General Royer, um ihm die geheimnißvollen Worte zu rapportiren, und zu fragen, ob man Halt machen oder umkehren solle?

Im Sturmschritt vorwärts marschiren, lautete der strenge Befehl des Generals.

Im Sturmschritt vorwärts marschiren, tönte es jetzt die Colonne der Soldaten entlang, und gehorsam dem Befehl, ihre Seele Gott empfehlend, setzten sie sich in Marsch, dicht aneinander gedrängt, im eiligsten Lauf dahinbrausend unter dem schwarzen Felsdach, das immer noch drohend über ihren Häuptern hing.

Auf einmal rief eine mächtige Stimme über ihnen: Jetzt, Hisel, im Namen der allerheiligsten Dreifaltigkeit, jetzt hau' ab.

Dann vernahm man zwei Schläge, wie von einer Axt geführt.

Wieder schauten die Soldaten, die nun in dichten Massen jetzt daher stürmten, empor, und ein Grausen befiel sie und ein sprachloses Entsetzen. Die schwarze Felsmasse, die so lange da oben gehangen, sie begann sich zu regen, begann hinunter zu rollen mit wildem Gekrache. Immer gewaltiger schwoll sie an, diese furchtbare grausige Steinlawine, Riesenstämme knickte sie wie Blumenstengel auf ihrem donnernden Lauf und führte sie mit sich hinunter, Felsblöcke brach sie wie weiche Masse sich ab auf ihrer entsetzlichen Wanderung, und nun, wo der Fels senkrecht sich neigte über den Weg, nun stürzte der wandelnde Berg mit einem furchtbaren Gekrache sich hinab in die Tiefe.

Und eine Wolke von Staub hob sich empor und füllte wie mit Pulverdampf die düstere Schlucht. Zugleich aber ward es lebendig oben auf den Felsspitzen, und in die Staubwolke hinein blitzten die Schüsse der Tyroler, die jetzt aus ihren Verstecken hervorsprangen, die von der Höhe, ohne des Auges zu bedürfen, hinunterschossen in die Tiefe, sicher und gewiß, daß kein Schuß fehl ging, daß Jeder seinen Mann traf. Dann trat ein Moment der Stille ein, denn aus der Tiefe empor drang das entsetzliche Todesgestöhne, das heulende Klagegeschrei der vielen Hunderte, welche da unten zerschmettert, zerfetzt, mit zerrissenen Gliedern, lebendig begraben und doch noch ringend in Todesqual, von der furchtbaren Lawine waren erfaßt worden. Neugierig, von Mitleid ergriffen, schauten die Tyroler hinab in die Schlucht. Der Dampf und der Staub hatte sich verzogen, und deutlich konnte man jetzt die furchtbare Stätte da unten überschauen, die Stätte des Grausens, des Todes!

Glücklich Diejenigen, welche die herabstürzende Lawine von dem schmalen Wege ab hinabgestürzt hatte in den Fluß! Sie waren wohl dem Tode als Beute gefallen, aber es war doch nur ein einfaches Sterben, nur ein schnelles Dahinsinken in die Arme des Todes gewesen. Wohl hatte er Hunderte gebettet auf dem steinigten Grunde der schäumenden Eisack, aber diese Hunderte hatten bei ihrem Sterben doch gleich ein leichtes Grab gefunden und die brausenden Wasser hatten ihre Todesqualen abgekürzt. Aber was litten Jene, die dort unter den Trümmern begraben lagen, mit verstümmelten Gliedern, was litten jene Hunderte, die da auf dem Wege lagen, auf diesem wüsten Schlachtfeld, über welche die Felslawine als siegender Feldherr dahin gedonnert war.

Schauerlich war's hinabzublicken, selbst den Tyrolern bebte das Herz bei dem Anblick dieses Schutts, dieses Gerölls, aus dem Haufen blutiger Leichen hervorstarrten und zerrissene Gebeine und einzelne Menschenglieder sich regten, die zwischen Baumzweigen und Steinen dalagen, während hier und dort unter dem Schutt hervor sich blutige Gestalten mit entsetzlichen Wunden emporrangen und doch gehalten wurden von dem fürchterlichen Feind, der wie das Weltgericht über sie herein gebrochen war.

Schaudernd wichen diejenigen der Sachsen, welche von der furchtbaren Lawine nicht getroffen worden, zurück. Wie die Tyroler das sahen, verstummte das Mitleid über die Todten in ihnen, und mit einem wilden Triumphgeschrei stürzten sie hinab von den Höhen auf den weichenden, geängsteten Feind.

Ein wildes Morden, ein rasendes Kämpfen entstand, der Muth her Verzweiflung ließ die Sachsen Stand halten, über die Leichen ihrer Brüder, über Schutthaufen und Trümmer stürmten sie dahin, in den Engpaß hinauf, jeden Schritt vorwärts mit ihrem Blute erkämpfend, immer bemüht, die Gefallenen zu rächen, den Lebenden die Straße zu bahnen.

Aber auf einmal ertönte ein Jauchzen und Schreien vom Eingang der Schlucht, und schmetternde Musik erklang und hallendes Freudengeschrei. Den Sachsen kam Verstärkung! Die Baiern waren da mit ihren Kanonen, denen sie eine günstige Aufstellung gegeben, sie hatten schon die beiden Bauernhöfe am Eingang der Schlucht, in welchen die Tyroler postirt waren, eingenommen, sie stürmten hinein in die Schlucht, und erschreckt von diesem raschen Vordringen zogen die Tyroler sich wieder in die Berge zurück.

Und auf und nieder wogte der Kampf in diesen Engpässen bei Mittewald zwei Tage lang! Zwei Tage standen die Sachsen den Tyrolern im mörderischen Bruderstreit gegenüber, zwei Tage lang kämpfte der Deutsche gegen den Deutschen, dem fremden Tyrannen zur Liebe, der ganz Deutschland unterjocht hatte und dem das treue deutsche Tyrol allein sich nicht unterwerfen wollte!

Oft schwankte der Sieg hierhin und dorthin. Einmal gelang es an einem Ende des Passes den Schaaren des Herzogs von Danzig, den Kapuziner Joachim Haspinger mit seinen Schützen zu verjagen und so die Straße für die durch den Engpaß daher ziehenden Sachsen frei zu machen.

Aber der Kapuziner war nur geflohen, um neue Streiter herbei zu holen, um seine Boten an Speckbacher und Peter Mayer, an Andreas Hofer und Anton Wallner zu senden, um die Sturmglocken läuten zu lassen und neue Schaaren um sich zu sammeln.

Und Speckbacher kam daher gestürmt mit seinen tapfern Schützen, den Sachsen im Rücken, und Anton Wallner kam mit den Seinen, und Peter Mayer brachte neue Schaaren, und Andreas Hofer kündete sein nahes Kommen.

Aber auch die Sachsen erhielten neue Verstärkung von den Baiern und den Franzosen, die von Sterzing einerseits, von Brixen andererseits heranrückten.

Immer auf's Neue raste der Kampf empor, schwankte der Sieg herüber und hinüber.

Aber die Tyroler kämpften für ihr Recht, ihre Freiheit, ihre deutsche Erde, die Sachsen und die Baiern kämpften für die Tyrannei, für den fremden Unterdrücker, für undeutsches Wesen.

Gott gab den Tyrolern den Sieg, und in der »Sachsenklemme« bei Mittewald mußten mehr als tausend Sachsen mit dem Tode es büßen, daß sie gegen deutsche Brüder auf deutscher Erde für den französischen Eroberer gekämpft und gestritten hatten.

Die Tyroler kämpften für ihr Recht, ihre Freiheit, ihre deutsche Erde, und der Herzog von Danzig, der stolze Marschall von Frankreich, ward besiegt, von verachteten Bauern, er mußte sich flüchten vor ihren wüthenden Schaaren, und ohne Mantel und Hut, bebend und leichenbleich, auf schaumbedecktem Roß, kam er zurück nach Sterzing, das er wenige Stunden zuvor in stolzer Siegesgewißheit verlassen, um das »übermüthige Bauernvolk« zu Paaren zu treiben.

Jetzt hatte dieses »übermüthige Bauernvolk« ihn besiegt.

Gott ist mit Denen, welche kämpfen für die deutsche Erde, das deutsche Recht, die deutsche Freiheit!

Gott ist mit Denen, welche sich kühn erheben gegen die französische Tyrannei, den französischen Uebermuth!


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