Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel XX. Mrs. Lovell führt ein zahmes Tier vor

Der Rasenabhang des Parks von Fairly, jetzt weiß von Schnee, zog sich in langen Wellenlinien bis zum Salzwasser hinunter, und unter den letzten tief herniederschleppenden Eichen war eine mit Ginster bestandene Schneise, die im Sommer grün, jetzt mit einer schweren blütengleichen Last des irisch gefallenen Schnees bedeckt war. Hier saß Mrs. Lovell zu Pferde, allein, die behandschuhte Hand in die Hüfte gestemmt, sehr reizvoll und mit der Landschaft in Einklang gekleidet. Sie erwartete einen Reiter und bemerkte das Nahen eines Fußgängers nicht, doch neigte sie ruhig grüßend das Haupt, als Robert den Hut zog.

»Man sagt, Sie seien toll. Sie sehen, ich habe Zutrauen zu Ihnen.«

»Ich wollte, ich vermöchte Ihnen für Ihre Güte zu danken, gnädige Frau.«

»Sind Sie krank?«

»Ich bin gestern abend gestürzt, gnädige Frau.«

Die Dame klopfte den Hals ihres Pferdes.

»Ich habe keine Zeit, darauf einzugehen. Sie verstehen, daß ich Ihnen nicht mehr als eine Minute schenken kann.«

Sie warf einen Blick auf ihre Uhr.

»Wir wollen sagen, genau fünf. Um gleich anzufangen: Ich kann nicht vorgeben, nichts von der Angelegenheit zu wissen, die Sie hier herunter führt. Ich werde mir nicht anmaßen, Ihnen die Leviten darüber zu lesen, wie Sie vorgehen, aber lassen Sie mich Ihnen die bestimmte Versicherung geben, daß der Herr, welchen Sie in dieser eigentümlichen Art anzugreifen belieben, weder gegen Sie, noch gegen irgend jemand sonst, ein Unrecht begangen hat. Es ist daher schmählich ungerecht, ihn im besonderen zu belangen. Sie wissen, daß es für ihn ausgeschlossen ist, sich mit Ihnen zu schlagen. Ich spreche deutlich.«

»Ja, gnädige Frau,« sagte Robert, »und ich will deutlich antworten. Er kann sich mit einem Manne, wie ich bin, nicht schlagen. Das weiß ich. Ich trage ihm das nicht nach. Ich glaube wohl, daß er in dieser Angelegenheit völlig unschuldig ist, soweit es sich um ein Tun handelt.«

»Das macht Ihr Benehmen gegen ihn um so schlimmer.«

Robert blickte ihr in die Augen.

»Sie sind eine Dame. Sie werden nicht über das entsetzt sein, was ich Ihnen sage.«

»Ja, ja,« sagte Mrs. Lovell hastig, »ich habe von der Sache – ich weiß von der Geschichte. Es ist jemand unrecht getan worden, oder wenigstens denken Sie das. Ich behaupte nicht, daß Sie toll sind, aber, gütiger Himmel, wie sind Sie vorgegangen! Wirklich, mein Herr, Ihre Gefühle mögen noch so stark dabei engagiert sein, aber Sie gehen auf eine ganz untunliche Art zu Werke.«

»Nicht, wenn ich mir Ihre Hilfe dadurch habe erwerben können.«

»Das ist ritterlich gesagt.«

Sie lächelte mit ungezwungener Anmut. Im nächsten Augenblick sah sie auf ihre Uhr.

»Die Zeit ist rascher vergangen, als ich vorausgesehen habe. Ich muß Sie verlassen. Lassen Sie uns dies Übereinkommen treffen.«

Sie senkte die Stimme.

»Sie sollen die erforderliche Adresse haben. Ich selbst will es übernehmen, sie aufzusuchen, wenn ich das nächste Mal in London sein werde. Das wird bald sein. Dafür bitte ich Sie, mein Herr, um Ihr Ehrenwort, diesen Herrn nicht weiter zu belästigen. Wollen Sie mir das geben? Sie dürfen mir vertrauen.«

»Das tue ich, gnädige Frau, von ganzem Herzen!« sagte Robert.

»Das genügt mir. Mehr verlange ich nicht. Guten Morgen.«

Ihr Abschiedsgruß geleitete ihn wie eine Vision. Ihre Stimme klang ihm in den Ohren wie Harfenton. Die Farbe ihres Reitkostüms an diesem Tage, das mit der schneebedeckten Erde harmonierte, sowie die gütige Mission, die sie auf sich genommen hatte, trugen dazu bei, sie seiner lebhaften Einbildungskraft wie ein göttliches Wesen erscheinen zu lassen, das er im Herzen segnete.

Zum erstenmal in seinem Leben dachte er mit Bitterkeit, ein wie großes Glück dem Höhergeborenen zufalle, mit einem so anbetungswürdigen Geschöpfe zusammenzukommen und mit ihm wie mit seinesgleichen reden zu dürfen, und er gedachte Rhodas als eines derb irdischen Wesens, in ihrer Kälte so abstoßend wie jener schwarze Wassergürtel sich gegen den Schnee am Ufer abhob.

Er ging ein paar Schritt in den Spuren von Mrs. Lovells Pferd, bis ihm sein Tun allzu anmaßend erschien, obschon es ihm geradezu verhaßt vorkommen wollte, umzuwenden und seine Schritte nach der entgegengesetzten Richtung zu lenken; so blieb er stehen, allem Anschein nach tief in die Betrachtung eines Kriegsschiffes und der Bäume des Waldes hinter seinen Masten versunken. Sein Herz klopfte, sei es durch die Ermüdung des Stehens, sei es vor Erregung so laut, daß er nichts hörte, nicht einmal das Gelächter näherkommender Menschen; aber plötzlich aufblickend sah er, wie in einem Bilde Mrs. Lovell mit einigen Herren zu Pferde im Schritt auf sich zu kommen. Die Dame sah leise über seinen Kopf hin und grüßte ihn im Vorüberreiten mit einem ruhigen Blick des Erkennens, ein oder zwei der jüngeren Herren gafften ihn spöttisch an.

Edward Blancove ritt neben Mrs. Lovell. Seine Augen hefteten sich mit eindringlicher Aufmerksamkeit auf Robert, und Robert betrachtete ihn ebenso gründlich, obschon er nicht wußte, warum. Sein Blick hatte etwas von dem offenen Blick eines Kindes, und er hatte ein kindisches Gefühl währenddessen, als versage sein Hirn den Dienst. Einer der älteren Herren, von militärischem Äußeren, warf sich in die Brust und sagte, während er mit der einen Hand seinen Schnurrbart strich, halb herausfordernd:

»Sie sind nicht beritten heute?«

»Ich habe nur ein Pferd,« antwortete Robert einfach.

Algernon Blancove kam als letzter. Er redete seinen Feind weder an, noch würdigte er ihn eines Blickes, er umkrampfte nur fest seine Reitpeitsche. Alle ritten vorüber und schlossen sich einige Schritt weiter zu einer Reihe zusammen, und wieder hörte man ihr Lachen, während sie sich zu der Dame hinüberbeugten.

»Komisch, an einem Tag wie heute, die Pferde herauszuführen,« dachte Robert und sank in die vorherige Träumerei zurück. Die Spur der Dame führte ihn jetzt heimwärts, denn er hatte keinen eigenen Willen. Als er um die Ecke der Landstraße bog, sah er zu seiner Verwunderung Mrs. Boulby an der Hecke stehen. Sie schrak zusammen wie eine Bettlerin mit einem schuldbewußten Gesicht.

»Mein Lieber,« sagte sie, um ihr Dortsein zu rechtfertigen, »ich würde mich nicht eingemischt haben, wenn es sich um ein ehrliches Spiel handelte. Dazu bin ich allzusehr Engländerin. Ich habe dabei gestanden, als wenn du mir völlig fremd wärest. Vor einer Frau treiben die Männer immer ein ehrliches Spiel. Darum bin ich hergekommen, falls dieses Stelldichein vielleicht eine Falle für dich hätte sein sollen. Nun kommst du mit nach Hause, nicht wahr, und bist mir nicht böse?«

»Ich will jetzt in den alten Piloten kommen, Mutter,« sagte Robert, während er ihr die Hand drückte.

»Das 's recht! Und du bist mir nicht böse, daß ich dir nachgegangen bin?«

»Folg' du nur deiner eignen Spur, Mutter!«

»Das tat ich auch, Robert, und schön ärgerlich bin ich, wenn ich mich nicht in dem versehen habe, was ich zu hören meinte, als die Dame da und ihre Begleiter vorbeiritten, ohne sich an die Ohren einer alten Frau zu kehren. Sie hatten eine Wette deinetwegen gemacht, Robert.«

»Dann hoffe ich, die Dame hat sie gewonnen,« sagte Robert, fast ohne zuzuhören.

»Sie hat auch gewonnen. Sie sollte dich dazu kriegen, sie zu treffen und dich zu ergeben und dich sozusagen für besiegt zu erklären, soweit ich ihr Geschwätz verstehen konnte; die Vornehmen lachen immer so, wenn sie reden, und sie können sich's ja auch leisten zu lachen, denn sie kommen ja doch immer am besten dabei weg. Aber ich bin wütend. Ich hatte so 'n Gefühl, als wenn ich platzen sollte. Natürlich, ich will ja auch, daß du friedlich sein sollst, aber ich mag nicht, daß man meinen Jungen zum Gegenstand einer Wette macht!«

»Still, Mutter, still,« sagte Robert ungeduldig.

»Ich hab 's doch gehört, Robert, und wie sie der Dame zu ihrem Erfolg Glück wünschten, während sie vorüberritten. Wenn es dich ärgert, daß ich sowas denke, mein alter Junge, denn will ich 's wirklich lassen. Ich sehe, es nimmt dich mit, denn da bist du wieder an deinem Hut. Es muß einen ja auch mitnehmen, wenn man so zum Gegenstand einer Wette gemacht wird. Ich hab' so 'n Gefühl, daß, wenn du nur ganz fix und kräftig wärest, solltest du dich mit ihnen allen schlagen. Hübsch genug aussehen tut die Dame ja, das steht fest, so feine Knochen und so schlank und so blond.«

Robert fragte, welchen Weg sie eingeschlagen hätten.

»Zurück zu den Ställen, mein Junge. Ich hörte, wie sie es sagten, weil einer der Herren sagte, nun sei die Komödie ja vorüber, und die Dame habe den Tag gewonnen, und der Schnee ballte sich unter den Hufen der Pferde, und so war 's besser, schnell umzukehren, ehe Mylord sie draußen sähe. Und ein anderer sagte, du wärest ein Wilder, den sie gezähmt hätte, und du müßtest ein Halsband tragen, sagten sie, auf dem Mrs. Lovells Name eingraviert wäre. Aber ärg're dich nicht, du weißt ja doch, daß sie nicht meines Roberts Freunde sind. Und ich versichere dich, Robert, dein Hut 's so hübsch, wenn du ihn nur bequem sitzen lassen wolltest, aber wenn du soviel daran 'rumfummelst, wirst du den Rand noch ganz ruinieren. Am allerbesten machst du dich, – das hab' ich immer gesagt, – wenn du dich zum Boxen zurecht gemacht hast. Hüte, die sind was für die Vornehmen, und stehen ihnen, als wenn sie ein Titel für ihren Kopf wären, obschon du ruhig Baron Robert heißen könntest, das könntest du wahrhaftig, und wenn ich das bedenk', dann steht dir der Hut sehr nett, gar nicht so, wie die gewöhnlichen Sonntagshüte, nur scheint mir, ist er dir nicht bequem. O, o, meine Zunge ist 'ne Elle zu lang. Es is' immer der arme Kopf, der dir weh tut, und daß ich das vergessen kann! Das kommt davon, daß du nie so tust, als ob du krank bist; – o, ich weiß noch, wie hübsch du den einen Tag aussahst, auf dem Feld hinter unserm Haus, bei dem Wettboxen mit dem Bootsführer Simon Billet; und da haben sie auch deinetwegen gewettet, denn mein Mann wettete auf dich, und davon kommt es, daß ich daran hab' denken müssen, zu vergleichen, wie du mit 'nein Hut aussiehst und ohne Hut.«

So plauderte Mrs. Boulby den ganzen Weg. Ein wenig seitab von der Landstraße war ein kleiner Hügel, von wo aus man die Ställe in Fairly übersehen konnte. Robert verließ sie und ging auf diesen Punkt, von wo .aus er die Reiter mit den Stallknechten sah, wie sie sich an den Köpfen ihrer Pferde zu schaffen machten.

»Gott sei Dank, ich bin doch nur fünf Minuten lang ein Narr gewesen,« das war das Resümee seiner Empfindungen, das er bei diesem Anblick zog. Er schloß die Augen und betete aus Herzensgrund, daß er nur niemals wieder Mrs. Lovell begegnen möchte. Es war ihm unmöglich, sich der Einsicht zu erwehren, daß sie ihn zum Narren gehalten habe, dennoch ließ ihn sein ritterlicher Glauben an die Frauen an der Überzeugung festhalten, daß sie, nun sie Dahlias Geschichte wisse, alles, was in ihren Kräften stehe, für das arme Mädchen tun und ihm ihr Wort halten werde. Das Hämmern in seinem Kopf hinderte alles weitere Denken. Es war äußerst heftig geworden. Er versuchte, seine Gedanken zu sammeln, aber der Versuch glich dem eines im Halbschlaf Träumenden, den Zusammenhang eines Traumes zu erfassen, wenn gleich darauf völlige Finsternis alles Gesagte und Geschehene verschlingt. In seiner Verzweiflung dachte er liebevoll an Mrs. Boulbys Kognak.

»Mutter«, sagte er, nachdem er sie eingeholt hatte, »ich hab' die Idee, wenn ein Mann im Bett liegt, kann ihm Kognak nichts tun. Ich will zu Bett geh'n, und du braust mir 'n Grog und sorgst dafür, daß keiner mir nah kommt, und wenn ich anfangen sollte, zu phantasieren, dann denk' nur, daß es nichts weiter ist, als 'n Gekritzel auf leerem Papier.«

Die Witwe versprach feierlich, all seinen Wünschen zu gehorchen, aber er hatte bereits angefangen zu phantasieren, ehe er noch ausgezogen war. Er rief wiederholt nach Major Waring, von den Mrs. Boulby ihn liebevoll hatte sprechen hören, als von einem Herrn, der sich nicht schäme, sein Freund zu sein; zuerst machte er ihm Vorwürfe, daß er nicht hier sei, und dann rief er ihn aufs zärtlichste, indem er ihn Percy nannte, und warf sich selber vor, daß er ihm nicht geschrieben habe.

»Zwei gegen einen, und im Dunkeln!« stöhnte er immer wieder, »und ich bin einer gegen zwanzig, Percy, und an hellichtem Tage. Ist das ehrliches Spiel, frag' ich dich?«

Roberts Rufe wurden alles andere als ›ein Gekritzel auf leerem Papier‹ für die Witwe, als er Nic Sedgetts Namen erwähnte und sagte: »Kuck dir nur seine rechte Schläfe an, ich hab' ihn ein zweites Mal gezeichnet.«

An seinem Bett stehend, knüpfte Mrs. Boulby, ein Stückchen ans andere fügend, die Geschichte jenes schändlichen mitternächtlichen Überfalls, welcher ihren tapferen Jungen blutend vor ihr Haus gebracht hatte, zusammen. Sie verstand, daß Nic Sedgett der Helfershelfer einer der Herren in Fairly gewesen sein mußte, welches, konnte sie indessen nicht heraus bekommen, und folglich setzte sie die Sache aufs Konto Mr. Algernon Blancoves.

Durch eifrige Erkundigungen erfuhr sie, daß Algernon in Gesellschaft des schändlichen Nic gesehen worden sei, wie auch, daß Nicodemus' Antlitz sich dem hatte bequemen müssen, den Trost kalter Umschläge anzunehmen, was eine ausreichende Bestätigung war. Als die Nacht herabsank, war Robert in den Händen des Doktors, ohne Bewußtsein davon, daß Mrs. Boulby ihr Abkommen verletzt habe. Sein Vater und seine Tante wurden von seinem Zustand in Kenntnis gesetzt und bereiteten sich beide darauf vor, ihre Häupter unter das Ende eines gottlosen Lebenswandels zu beugen. Ganz Warbeach wußte, daß Robert in Gefahr sei und glaubte, er liege im Sterben.


 << zurück weiter >>