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Kapitel XV. Ein Besuch in Wrexby Hall

Am andern Tage, als Squire Blancove die Vermessungen zur Anlage eines neuen Fahrweges durch seinen Park überwachte und währenddessen die grüne Böschung auf und nieder schritt, bemerkte er Bauer Fleming am Arm eines hochgewachsenen jungen Mannes, und als das Paar näher herankam, nahm er mit Genugtuung wahr, daß der würdige Bauer sehr gebeugt ging, als leide er an einem neuen akuten Anfall seines wohlbekannten chronischen Leidens, eines Mangels an Geld.

Nun gelüstete es den Squire über die Maßen nach dem freien Bauernhofe, Queen Annes Farm. Er hatte so viele Kaufangebote darauf gemacht, daß er dessen endlich müde geworden war und hatte sich den Ruf erworben, das schürende Element einer Unzahl von hypothetischen Kabalen zu sein, die sämtlich dahin zielen sollten, den Bauer von seinem Besitz wegzugraulen und zu vertreiben. Aber wenn Naboth mit seinem Weinberge in der Hand ankam, so konnte, falls er denselben zum entsprechenden Werte übernahm, nicht einmal der Pfarrer von Wrexby (obschon sein Streit mit ihm jedes Ereignis seines Lebens vergällte,) einen Bibelspruch gegen ihn ausfindig machen.

Der Squire hatte seine Mußezeit während des Gottesdienstes dazu benutzt, nach einem Text zu suchen, der sich gegen ihn ins Feld führen lasse, falls der Bauer zum Konkurs getrieben werde und er, der Squire, den möglichsten Nutzen daraus ziehe. Seiner heidnischen Auffassung von einzelnen Taten der Erzväter entsprechend, ließ sich indessen – im Gegenteil – im Falle er seinen Grundbesitz vergrößerte, viel mehr zu seinen Gunsten sagen, als umgekehrt, auch vermochte er im ganzen alten Testament keinen einzigen Satz ausfindig zu machen, der seinen Plänen gleichsam ein persönlicher Feind hätte sein und. somit im Munde des Pfarrers zu Wrexby gegen ihn hätte verwertet werden können.

»Na, Bauer,« sagte er in einem Ton heiterer Leutseligkeit, »mit der Wintersaat zufrieden? Von meinen Fenstern aus sieht man Ihre Felder so schön daliegen, wie Ihr Land es in einem so ungünstigen Jahr nur irgend leisten kann.«

Hierauf entgegnete der Bauer: »Herr Baron, ich habe weder den Mut, noch die Absicht, weitschweifig zu werden. Darf ich Sie um eine Unterredung bitten, hier oder wo Sie sonst befehlen?«

»Hat die Sache irgend etwas mit Feder und Papier zu tun, Fleming? In dem Falle gehen wir am besten in mein Arbeitszimmer.«

»Nicht, daß ich wüßte. Nicht, daß ich wüßte!« Des Bauers Augen suchten Roberts.

»Am besten irgendwo, wo die Wahrscheinlichkeit ist, ungestört zu bleiben,« rief Robert, indem er seinen Hut vor dem Squire lüftete.

»Ja, Sie sehen, ich bin beschäftigt.« Squire Blancove fingierte eine auffallende Gleichgültigkeit, wie sie gegebenenfalls, wenn sie mit Glück durchgeführt wird, (wie es Geldfürsten – seien sie nun Gutsbesitzer oder Wucherer, tun können) ihre hundert Pfund wert zu sein vermag. »Läßt es sich nicht aufschieben? Kommen Sie morgen wieder.«

»Morgen ist es einen Tag zu spät,« sagte der Bauer ernst. Worauf der Squire mit der Erwiderung: »Nun, meinetwegen, dann kommen Sie nur mit,« ihnen den Weg zum Hause voranschritt.

»Sie sind Ihrer zwei gegen einen, falls es sich um ein Geschäft handelt,« sagte er, indem er Robert durch ein Kopfnicken bedeutete, die Tür zur Bibliothek zu schließen. »Setzen Sie sich. Nun also, was führt Sie her? Bitte, wenn ich Gesichter ziehen sollte, legen Sie dem freundlichst keinerlei Gewicht bei, denn mich plagt wieder einmal die Gicht, und da schießt's plötzlich wie ein glühender Pfeil aus dem Fegefeuer durch mein Bein hindurch.«

Er stöhnte und ließ sich tief in einen Lehnstuhl sinken, während der Bauer und Robert stehen blieben, und der Bauer das Wort nahm:

»Ich werde Sie nicht mit viel Redensarten aufhalten, Herr Baron. Ich habe Ihnen eine Tatsache mitzuteilen und eine Frage zu stellen.«

Staunen, welches ein von ihm vorausgeahnter Schmerz auf seinem Gesicht in übertriebenem Maße zum Ausdruck brachte, ließ den Squire wild um sich blicken.

»Teufel auch, derart redet man zu einem Gefangenen auf der Anklagebank: ›Dieses ist die begangene Mordtat. – Sind Sie der Schuldige?‹ Tatsache und Frage! Nun, heraus damit! Beide auf einmal!«

»Ein Vater ist für die Sünden seiner Kinder nicht verantwortlich,« sagte der Bauer.

»Gut, das 'ne Tatsache,« erwiderte der Squire mit Nachdruck. »Der Ansicht bin ich auch immer gewesen. Aber falls Sie zur Kirche gehen, Bauer, – sollten Sie's nicht tun, verdenk' ich's Ihnen nicht! – der Kerl, der da predigt (ich vergeß' seinen Namen), der behauptet ganz das Gegenteil. Der schwört darauf, Sie sind dafür verantwortlich. Bezahlen Sie Ihres Sohnes Schulden und stöhnen Sie nicht weiter darüber! Er hat das Geld ausgegeben, und Sie sind der Hauptschuldner, das 's' seine Auffassung. Na, also weiter! Ihre Frage?«

»Ein Vater ist nicht verantwortlich für die Sünden seiner Kinder, Herr Baron. Meine Tochter hat mich verlassen. Sie is' weg. Ich hab' meine Tochter im Theater in London gesehen. Sie hat mich auch gesehen und ihre Schwester, die bei mir war, auch. Sie ist verschwunden. Das is' 'ne harte Sache, wenn man das von sein eigen Fleisch und Blut sagen muß. Sie is' verschwunden. Sie is' weggegangen, obgleich sie wußte, daß ihres Vaters Arme ihr offen standen. Sie war mit Ihrem Sohn zusammen.«

Der Baron trommelte auf der Lehne seines Stuhles. Er sah mit einem unsicheren Blick auf, als warte er auf die Frage, die nun kommen sollte, aber als er den ruhigen Augen des Bauern begegnete, rief er gereizt aus: »Na, und was geht mich das an?«

»Was Sie das angeht, Herr Baron?«

»Wollen Sie mich etwa für meines Sohnes Verhalten verantwortlich machen? Mein Sohn ist 'n Schlingel – das weiß jedermann. Ich hab' ihm einmal seine Schulden bezahlt, und seitdem bin ich mit ihm fertig. Kommen Sie mir nicht mit dem Bengel! Wenn's noch 'n größeren Fluch gibt, als die Gicht, so ist's 'n Sohn!«

»Meine Tochter,« sagte der Bauer, »sie is' mein Fleisch und Blut, und ich muß sie finden, und ich bin hier, um Sie zu bitten, daß Sie Ihren Sohn dazu bringen, mir zu sagen, wo ich sie find'. Mit dem jungen Mann abrechnen, das will ich woll. Aber ich will mein Kind wiederhaben.«

»Ja, ich kann sie Ihnen doch nicht geben,« brüllte der Squire, den der doppelte Fluch seines Lebens auf einmal quälte. »Was kommen Sie denn zu mir? Ich bin nicht verantwortlich für das, was der Hund tut. Sie tun mir leid, wenn Ihnen daran liegt, das zu hören. Wollen Sie sagen, daß mein Sohn sie aus Ihrem Hause entführt hat?«

»Das sag' ich nicht, Herr Blancove. Ich such' meine Tochter, und ich hab' sie mit Ihrem Sohn zusammen geseh'n.«

»Schon gut, schon gut,« sagte der Squire, »das zeigt eben, was für Gewohnheiten er huldigt. Mehr kann ich nicht sagen. Aber was hat es mit mir zu tun?«

Der Bauer blickte Robert hilflos an.

»Nein, nein,« rief der Squire aus, »wir brauchen hier keinen Dolmetscher oder Zwischenträger. Ich verhandle mit Ihnen. Mein Sohn – Ihre Tochter. Das versteh' ich soweit. Das 'ne Sache zwischen uns beiden. Sie haben 'ne Tochter, die irgendwie auf 'n falschen Weg geraten ist, es tut mir leid, das zu hören. Ich hab' 'nen Sohn, der überhaupt nie auf 'nem rechten Wege war, und ich kann Sie versichern, das ist mir auch weiter kein Trost. Wenn Sie die Briefe und die Rechnungen sähen, die ich seinetwegen bekomme! aber ich trag' meinen Kummer nicht bei den Nachbarn herum. Wenn ich Ihnen 'nen Rat geben darf, Fleming, dann tun Sie am besten daran, sich ruhig zu verhalten. Machen Sie weiter keinen Lärm. Nachbarn – Getratsch finde ich so ziemlich das Schlimmste, was 'n Mann, der das Unglück hat, Kinder zu haben, zu tragen haben kann.«

Der Bauer beugte sein Haupt in der bitteren Ergebung, die für sein Entgegennehmen der Schickungen der Vorsehung charakteristisch war.

»Nachbarn werd' ich überhaupt bald keine mehr haben,« sagte er. »Die mögen schwatzen. Ich verlang' nich' zuviel von Ihnen, Mr. Blancove. Ich bin 'n gebrochener Mann: aber ich will meine arme verlorene Tochter wiederhaben, und bei Gott, ob Sie nun verantwortlich für Ihren Sohn sind oder nicht, Sie müssen mir dabei helfen! Es kann ja sein, daß sie verheiratet ist, wie sie sagt. Kann auch sein, daß sie's nich' ist. Aber finden muß ich sie!«

Der Squire nahm rasch ein Stückchen Papier vom Tische und schrieb darauf.

»So!« er händigte dem Farmer das Papier ein, »das ist meines Sohnes Adresse: ›Boynes Bank, City, London‹. Gehen Sie da zu ihm, und Sie werden ihn da auf einem Kontorbock hocken sehen, und 'ne ordentliche Tracht Prügel wird ihm nichts schaden. Sie haben meine ausdrückliche Erlaubnis dazu, das kann ich Sie versichern, das können Sie ihm sagen. ›Boynes Bank‹, die kann Ihnen jeder zeigen. Er ist ein Schlingel von einem Kommis da, mag ein kostbar nützliches Mitglied dort sein, darauf könnt' ich schwören. Hauen Sie ihn ordentlich durch, wenn Sie Lust haben!«

»Ja,« sagte der Bauer, »›Boynes Bank‹. Da bin ich schon 'mal gewesen. Er ist nicht bei seiner Arbeit da, er 's' irgendwo in Hampshire zu Besuch, sagte mir einer der jungen Leute. Fairly Park heißt es; aber ich komm' zu Ihnen, Mr. Blancove, denn Sie sind doch der Vater.«

»Ja, hören Sie, mein guter Fleming, ich hoffe, Sie teilen meine Ansicht, daß ich dafür schon genug bestraft bin.« Der Squire stand unter greulichen Verzerrungen auf.

Robert trat vor den Bauer.

»Verzeihen Sie, Herr,« sagte er, obschon der Baron mit einem höchst mißbilligenden Stirnrunzeln auf seine Anrede reagierte, »wenn man über diese Geschichte sprechen würde, so wäre das eine ziemlich häßliche Sache, wie Sie sich nicht verhehlen können. Sie würde Mr. Fleming in dieser Gegend schaden, und er würde dieselbe, falls es ihm so gut schiene, verlassen. Aber Sie können Ihren Namen nicht von dem Ihres Sohnes trennen – entschuldigen Sie, daß ich mir die Freiheit nehme, das zu sagen, – öffentlich können Sie das nicht tun; und Ihr Herr Sohn hat das Unglück, an ein oder zwei Orten, wo er als Kavallerist gedient hat, recht gut bekannt zu sein. Die Sache mit dem Juwelier« –

»Halloh!« riet der Squire in plötzlicher Bestürzung aus.

»Ja, Herr, über die Angelegenheit weiß ich genau Bescheid, weil ich in dem Regiment, aus dem Ihr Sohn, Mr. Algernon Blancove, austrat, als Gemeiner gedient habe, und seinen Namen möchte man, wenn ich so sagen darf, lieber nicht gedruckt sehen. Wie weit er Mr. Fleming gegenüber schuldig ist, läßt sich einstweilen noch nicht sagen; aber wenn Mr. Fleming ihn eines Verbrechens für schuldig hält, so wird Ihr Sohn die Folgen zu tragen haben, und was wir tun, das werden wir gründlich tun. Daß wir uns sachverständigen Rat sichern werden, brauche ich nicht zu sagen. Mr. Fleming hat sich zunächst an Sie gewandt, teils Ihretwegen und teils seiner selbst wegen. Er kann Freunde finden, die ihm sowohl raten, wie helfen werden.«

»Sie meinen, Herr,« donnerte der Squire, »daß er Feinde von mir finden kann, wie jenen verdammten Kerl da unten, der sich ›Hochehrwürden‹ nennen läßt. Das genügt, das genügt. Da scheint mir eine Art Erpressungsversuch zugrunde zu liegen. Sie wollen mir wohl Daumenschrauben anlegen!«

»Wir wollen Daumenschrauben anlegen, Herr,« sagte Robert kühl.

»Keinen Pfennig kriegen Sie aus mir heraus!«

Robert schoß das Blut heiß zu Kopf.

»Sie können in diesem Augenblick nicht halb so glühend, wie ich, wünschen, daß Sie 'n junger Mann wären,« bemerkte er, und im selben Augenblick gerieten Sie miteinander in Berührung, denn der Baron machte eine schnelle Bewegung zum Glockenzug hin, und Robert fiel ihm in den Arm. »Wir gehen schon,« sagte er, »wir brauchen keine Diener, um uns den Weg zu zeigen. Jetzt will ich Ihnen was sagen, Herr Blancove, Sie haben einen alten Mann in seinem Unglück beleidigt; dafür sollen Sie büßen und Ihr Sohn auch, denn von dem weiß ich, daß er 'n Schuft ist, der am besten außer Landes transportiert würde. Sie meinen, Mr. Fleming wär zu Ihnen gekommen, um Geld zu kriegen. Sehen Sie den alten Mann an, dessen einziger Fehler ist, daß er zu gutmütig ist, er ist einzig und allein zu Ihnen gekommen, damit Sie ihm hülfen, seine Tochter wiederzufinden, mit der Ihr Schuft von einem Sohn zuletzt gesehen worden ist, und Sie schwören darauf, daß er Ihnen Geld hat abnehmen wollen. Wissen Sie nicht selber, daß Sie 'n Hundsfott sind, ob Sie auch hundertmal 'n Baron sind und sich für 'n feinen Herrn halten? England ist lange gut, aber Sie machen es 'nem kühnen, freien Mann zur Hölle. Bleiben Sie in Ihrem Lehnstuhl sitzen, und ich rate Ihnen, daß weder Sie noch irgendeiner von Ihnen mir über 'n Weg kommt, und wenn Sie ein einziges Wort zu Ihren Dienern sagen, ehe wir aus 'm Haus heraus sind, dann stell' ich mich auf 'n Hausflur hin und gebe ihnen die Geschichte Ihres Sohnes zum besten und verekele Ihnen Wrexby so, daß Sie froh sein werden, wenn Sie erst 'raus sind. So, Mr. Fleming, nun haben wir hier nichts mehr zu tun, unser Wild ist anderswo.«

Robert nahm den Farmer beim Arm und verließ in guter Haltung das feindliche Gebiet, als der Baron, der einen zwischen Staunen und Wut wechselnden Anblick geboten hatte, sie durch einen Ruf zurückhielt. Er fing damit an zu sagen, daß er mit Mr. Fleming spreche und nicht mit diesem jungen Rauhbein von einem Beschützer, das der Bauer da mitgebracht habe, und fragte dann in sehr vernünftiger Weise, was er tun und welche Art Maßregeln er ergreifen könne, um dem Farmer dabei behilflich zu sein, sein Kind wiederzufinden. Robert hielt sich bescheiden im Hintergrund, während der Bauer mühselig mit ein paar Sätzen zustande kam, die den Fall auseinandersetzen sollten, und zum Schluß sagte der Squire, daß er, falls es ihm sein Fuß gestatte (ein pathetischer Hinweis auf die Schwachheit des Fleisches), am folgenden Tage nach Fairly reisen wolle, um eine persönliche Unterredung mit seinem Sohne zu haben, und, soweit es in seiner Macht stehe, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, obschon er keineswegs für die Torheiten eines jungen Mannes verantwortlich sei.

Er war ein wenig erschrocken über des Farmers Bemerkung, daß Dahlia, ihrer eigenen Versicherung zufolge, verheiratet sei, und darum selbst um. so ungeduldiger, Mr. Algernon zu sehen und von seinem ehrenwerten Sprößling, den er ein zweites Mal als einen Fluch bezeichnete, der ebenso schrecklich sei, wie sein gichtischer Fuß, und trotz alledem seiner eignen Initiative ebensowenig überlassen bleiben dürfe, wie jener, die Wahrheit zu erfahren. Der Bauer verbeugte sich stumm zu diesen Bemerkungen, wie auch dazu, daß ihm der Baron nochmals riet, um seiner selbstwillen nicht in dem Kirchspiel von seinem Unglück zu reden.

»Ich bin nicht der Mann, das zu tun, Herr Baron, aber man kann nie sagen, woher das Gerede seine Nahrung zusammenträgt. Man spricht davon, man spricht davon.«

»Von meinem Sohn?« rief der Squire.

»Von meiner Tochter!«

»Na ja, guten Morgen,« setzte der Baron heiterer hinzu. »Ich werde nach Fairly fahren, und mehr können Sie nicht verlangen.«

Als der Bauer außerhalb des Hauses und außer Hörweite war, verwies er Robert sein unbedachtes Aufbrausen und wies darauf hin, wie er, der Bauer, durch sein friedliches und ruhiges Vorgehen den Zweck seines Besuchs erreicht habe. Robert lachte, ohne sich zu verteidigen.

»Ich kannt' Sie nicht wieder,« wiederholte der Bauer mehrmals, »ich kannt' Sie gar nicht wieder, Robert!«

»Nein, ich bin vielleicht 'n bißchen verändert,« gab Robert zu. »Ich hab' die Absicht, Sie um 'n paar freie Tage zu bitten. Ich hab' Rhoda gesagt, daß ich Dahlia, wenn sie zu finden ist, finden will, und das kann ich nicht, wenn ich hier kleben bleib'. Geben Sie mir drei Wochen frei. Auf 'm Feld' ist eben nichts zu machen. Der alte Gammon kann kaum eine Furche gegen den Strich tun. Es gibt gar nichts zu tun, also seine Lieblingsbeschäftigung, wenn man ihn nicht dabei stört.«

»Mas' Gammon is' 'n netter alter Mann,« sagte der Bauer mit starker Betonung.

»Das sag' ich auch. Wie sähe man sonst so viele blühende Höfe!«

»So, so, Robert, Sie sind zu hart mit dem alten Mann; Sie sollten lernen zu vergeben.«

»Tu' ich auch. Wenn man einem sein Unrecht sagt, zeigt man ihm den besten Weg zum Bessermachen. Ich würde dem Squire und manchem andern vergeben, wenn ich sie auf zwei Schritt Entfernung von meiner Faust hätte.«

»Vergeben Sie meiner Tochter Rhoda, daß sie Sie nicht gewollt hat?«

Robert verzog das Gesicht.

»Na, ja, das tu ich schon,« sagte er. »Bloß, daß es mir so 'n Gefühl von Durst gibt. Weiter nichts.«

Der Bauer mußte daran denken, als sie den Hof betreten hatten.

»Unser Bier ist so mäßig, Robert,« sagte er entschuldigend, »aber Rhoda soll Ihnen was bringen, daß Sie 's mal probieren, wenn Sie mögen. Rhoda, Robert ist so schrecklich durstig.«

»Soll ich?« sagte Rhoda, und sie stand, seines Auftrages gewärtig da.

»Ich bin kein durstiger Geselle,« erwiderte Robert. »Sie wissen ja, daß ich all dergleichen Getränke gemieden habe, seit ich diese Schwelle betreten habe. Aber wenn ich trinke,« er schraubte seine Stimme zu einer harten, hellen Lebhaftigkeit auf, »dann trink' ich ordentlich, und dann muß es ein kräftiger Stoff sein. Ich bin Ihnen sehr dankbar, Fräulein Rhoda, für das, was Sie mir freundlichst zur Stillung meines Durstes anbieten, Sie können mir nichts Besseres geben, und glauben Sie nicht, daß ich mich beklage; aber Ihr Vater hat recht: es ist wirklich 'n bißchen dünn und würde meinen Durst nicht klein kriegen, und ob ich davon tränke, bis Master Gammon nicht mehr an sein Mittagessen denkt.«

Dann kündigte er seine bevorstehende Abreise an.

Der Bauer sank stumm und mutlos in seinen Lehnstuhl am Kamin. Es lagerte ein Schatten über dem Hause, und die Bewohner besorgten ihre häuslichen Verrichtungen schweigend, wie es Wesen tun, die ein Gewitter herannahen fühlen. Vor Sonnenuntergang hatte sich Robert auf seinen langen Weg zur Station gemacht, und Rhoda empfand heißen Neid der Freiheit eines Mannes gegenüber, der – wenn es ihm nicht gefällt – nicht dazusitzen und unter vertrauten Bildern, in einem Heim, das seinen Kummer stündlich nährt, Trübsal zu blasen braucht.


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