Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel III. Was es mit dem Dämon des Geldes auf sich hat

»Eine Pfeife Tabak mitten am Tage ist die reinste Schlemmerei,« stieß Anton heraus, dessen Art und Weise den gebogenen Pfeifenstiel zu halten, einen der rücksichtslosen Vergnügungssucht hingegebenen Sinn offenbarte, und es klang wie eine für alle Zeiten festgenagelte Sentenz, wie ein in wunderlichen, hölzernen Lettern alter Zeit ausgeschnitzter Wahrheitsspruch, – »das heißt,« fuhr er fort, – »wenn man dabei nicht alle zwei Minuten nach der Uhr kucken muß, als säße einem der Teufel auf den Hacken. Aber wenn man hier so sitzt, weißt du, dann ist der Nachmittag gerad' so wie 'n langer Abend; es ist keiner da, der einem was zu sagen hat. Man kann Pantoffeln anziehen, kann die Beine auf 'n Stuhl legen, man kann reden und in der Stube 'rumgehen, einmal, zweimal, dreimal. – Weiß der Himmel, ich würde noch an das Biertrinken kommen, wenn ich meine Nachmittage in der Stadt so ganz für mich hätte, bloß weil 's mir Spaß machen würde, meine Rechnereien in einer Schenkstube zu machen, wenn's so 'ne rechte große Schenkstube war', solche mit so 'ner Art von Logen darin und mit dunkelroten Gardinen, mit einem Feuer und einem Geruch von Sägespänen, Bier und Tabak, und wo so 'n Jung' immer an einem vorbeiging und so 'ne Melodie pfiff, wie sie gerade Mode is'. Dann kommt einer 'rein. ›Na, was sitzt da denn für 'n fauler, alter Kerl‹ sagt er so vor sich hin (und meint mich), und ich möcht' ihn wohl fragen, wo sein Kopf wohl saß', wenn er so immerzu zweihundertundfünfzigtausend durch fünfundvierzig und ein halb teilen sollte.«

Der Bauer nickte ihm aufmunternd zu. Es schien ihm nicht unwahrscheinlich, daß einiges Hin- und Heroperieren mit diesen Summen Anton in Besitz dieser Summen setzen werde, daß es die ganz genaue Ausrechnung seines Geheimschatzes sei, und er arbeitete sich damit ab, sich die Zahlen in seinem Gehirn einzuprägen, wodurch er ein bißchen geistesabwesend wurde. Währenddes mischte Mrs. Sumfit Rum und heißes Wasser und stieß ihn ans Knie und kniff die Lippen fest zusammen und schleuderte Anton von der Seite vorwurfsvolle Blicke zu, wegen seiner abschweifenden Beredsamkeit.

Rhoda ertrug es nicht länger.

»Nun laß mich von meiner Schwester hören, Onkel,« sagte sie.

»Ich will dir was sagen,« antwortete Anton, »sie hat lange nicht so 'ne süße Amselstimme wie du.«

Das Mädchen wurde dunkelrot.

»Ja, so rot werden, das kann sie auch,« sagte Anton.

Die Art, in der er von Dahlia sprach, deutete an, daß sie beide genug voneinander hätten; aber von dem speziellen Zwecke seines außergewöhnlichen Besuches hatte einstweilen nicht einmal der Bauer eine Andeutung bekommen. Mrs. Sumfit erlaubte sich die Bemerkung, ob ihm der Grog auch steif genug sei, aber er trank unter ihren Augen einen herzhaften Schluck und schnalzte hinterher aufs überzeugendste mit den Lippen.

»Ja, ja, in London könnt' ich mir so 'n Stoff nich' leisten, weder an einem Alltag, noch an 'nem freien Abend,« meinte Anton.

»Warum nicht?« fragte der Bauer.

»Da käm' ich ins Spekulieren – immer tiefer – da hülfe nix: Mexikaner und Peruaner und Venezueler und Spanier – alle miteinander. Mit allen Farben Papieren hab' ich zu tun: mit Spaniern in Schwarz und Weiß, mit Peruanern in Orange, mit Mexikanern – so rot, wie die britische Armee. Ja, so bin ich nun 'mal. Wenn ich Rot leiden mag, dann nehm' ich Rot. Vernunft spricht da gar nicht mit. Nein, aber ich spekulier' gar nicht.«

»Das is' auch das Sicherste, Bruder Toni,« sagte der Bauer.

»Ja, und sicher, das is' mein Fall, war's immer und wird's immer sein! Denkst du,« – Anton goß den letzten Rest Grog hinunter bis zu dem Zucker unten drin, und bis der Teelöffel an seiner Nase festklebte – »denkst du, ich hätte sonst so 'ne Stellung, wie ich sie hab', und sie vertrauten mir all das an, was sie mir anvertrauen? Na, du weißt da auch nicht viel von. Meinst wohl, sie gäben mir Geld in die Hand – Tausende auf einmal, Gold und Banknoten und Wechsel – wenn ich so 'n windiger Kerl war? Sie wissen, daß ich 'n respektabler Mann bin, fünfundvierzig Jahr bin ich nun in Boynes Bankgeschäft, – danke vielmals, Madam, ja, hier macht mir der Grog nichts. Jawohl, noch 'n Glas, gewiß! ›Wenn das Herz von 'nen Mann,‹ – na, mit meinem Singen is' nich' viel los.«

Mrs. Sumfit flüsterte geziert: »Ja, mit dem Herzen der Frau ist es ebenso, und ich hab' auch eins, und wenn ich nun nicht bald hör, was das mit meinem süßen Liebling is', dann sterb' ich da wohl noch an; wenn ich man bloß wüßte, wer ihr Haar schneidet, und wo sie ihre Kleider genäht kriegt, und was sie für 'n Pillen –«

Der Bauer unterbrach sie gereizt.

»Ein paarmal hunderttausend und mehr geteilt durch fünfundvierzig und 'n halb,« sagte er. »Warte doch, Mutter, eins nach dem andern! Fünfundvierzig und ein halb, Bruder Toni, das war die Summe, – vorhin sagtest du doch davon, – ein halb – was? Ist das ›halb‹ ein Bruch oder wie man das nennt? Ach, ich kann' das noch ganz gut, mit Brüchen und Logarimen und Kniffen und so weiter, und Algebra, – aber die kam mir immer so 'n bißchen spanisch vor, das war immer so – hui! und dann war das, als wenn ich auf so 'ner Leiter ständ', ganz hoch, und dann wurd' mir's rein schwindelig. Wie war das mit den fünfundvierzig und ein halb, Bruder Toni, wenn du vielleicht mal so gut sein möchtest und das ein bißchen erklären.«

»Fünfundvierzig und ein halb?« murmelte Anton, und es wurde ihm ganz wunderlich.

»Na, is' ja auch egal, wenn du da nich' gern von sprichst, Bruder Toni.« Der Bauer tippte ihn freundschaftlich mit dem Pfeifenstiel an.

»Fünf und ein halb,« sagte Anton nachdenklich, »das 'n Bruch, Bruder William John, – ich weiß noch die Namen rief der Pastor bei eurer Trauung: ›Ich, William John, nehm' dich, Susanne,‹ – jawoll, das 'n Bruch, aber was soll das?«

»Ich mein' nur, is' das fünfundvierzig und die Hälfte von fünfundvierzig oder die Hälfte von eins? So wie 'n richtiger Bruch: 'ne Eins und dann 'n Strich und darunter 'ne Zwei.«

»Ja, so 's ganz richtig,« stimmte Anton bei.

»Wieviel Tausend soll ich denn dadurch teilen?«

»Wieso? Teilen? Bruder William John? Ich weiß gar nicht, was du meinst.«

»Na, nun mal 'raus mit 'n Schlüsseln, nun mal aufgemacht, nun 's Zeit!« lachte der Bauer, ganz stolz über seines Schwagers vollkommene Nüchternheit nach zwei Gläsern steifen Grogs. Er sah, daß Anton, bei aller Freundschaft, fest entschlossen war, keinem Menschen die Summe Geldes in seinem Besitz zu verraten.

»Wenn's vier Uhr ist, denn's Zeit zuzuschließen«, sagte Anton, »und die Türen zuzuschlagen, daß es knallt; und dann können die Diebe meinetwegen von dem Geld träumen, soviel sie Lust haben. Was ist die Uhr, Madam?«

»Noch nicht drei,« erwiderte Mrs. Sumfit, »aber nun seien Sie gut, und fangen Sie an von Dahly zu erzählen, und wo sie das großartige Kleid her hat und den Hut mit den blauen Blumen, der neben ihr auf'n Tisch liegt; bitte, nun man zu!«

Rhoda hustete.

»Und hellila Handschuh hat sie an, wie 'ne richtige Dame,« fuhr Mrs. Sumfit fort.

Rhoda trat sie auf den Fuß.

»Au, du!« die behagliche Alte fuhr vor Schmerz zusammen, während sie mit der Hand nach dem unglücklichen Fuß griff, um ihn zu streicheln.

»Was hast du denn bloß, du Racker! Ich werd' wahrhaftig gar nicht mehr 'rumgehen können, und wer soll denn wohl kochen? denn du verstehst da ja gerad' so viel von, wie'n lütje Deern, die zum erstenmal die Nase in die Küche steckt.«

»Komm, Dody, nimm dich doch in acht,« sagte der Bauer auf Mrs. Sumfits Lamentationen hin vorwurfsvoll.

»Sie hält Onkel Anton auf, wenn er gerade so weit ist, Vater,« verteidigte sich Rhoda.

»Möchtest es gern wissen?« Anton heftete seine kleinen Augen auf sie, »möchtest es gern wissen, Kind?« Er hielt inne, putzte umständlich an seiner Brille und fuhr fort: »Ich, Susanne, nehme dich, William John, – und sowas kommt nun davon. Hab' ich gesagt, als ich so schafsköpfig bei deiner Mutter und deinem Vater stand, mein Lieber, sag' ich zu mir selbst, du bist kein Mann zum Heiraten, und wenn die beiden, sag' ich, wenn die mal Kinder kriegen, – ihnen zum Segen, wie die Leute so sagen, aber ich kenne das Leben, und ich weiß, was die jungen Leute sind – na, wo war ich doch? Ja, so 'n Grog, der macht einen gesprächig, Bruder William John, aber wo laufen einem die Gedanken hin? Einfach weg, wie 's Kleingeld! Ja, was ich noch sagen wollte, da dachte ich, vielleicht könnte ich doch einmal dazu kommen, denen zu helfen, die sozusagen das Resultat von der Hochzeit waren, und daß ich denn doch nich bloß so 'n schwarzer Mann sein würde. Meine Pfeife ist aus.«

Rhoda stand auf und stopfte die Pfeife frisch und brannte sie stillschweigend an. Sie erriet, daß man dem alten Mann seinen Willen lassen müßte, und so schwatzte er eine ganze Weile fort, entwarf ein Bild von der Hochzeit und von einem Einbruch in Boynes Bank, von der Firma Boyne, Birt, Hamble und Company. Endlich kam er auf Dahlia.

»Was sie eigentlich will, das kann ich nich' 'rauskriegen,« sagte er, »und was die gute Dame da oder irgend jemand sonst meint, wie sie das fertig bringt, sich so anzuziehen, da weiß ich auch nichts von! Man kann ja mit ein klein wenig oft weit kommen, wenn man das 'n bißchen klug anzufangen weiß; aber, ich will mal sagen, ich sitz' da bei meinem Tee,« – Anton machte eine Handbewegung, als wollte er ein Bild vor seine Führer hinlegen. Ich bin keiner, der klagt, und ich sag' auch; wenn man jung is', denn soll man das sein, und kann ja ein bißchen spazieren gehen und in die Läden kucken, aber ich sitz' da bei meinem Tee, na ja, und das Teegeschirr ist ja auch da, und Tee gemacht, und vielleicht auch ein klein Stück Butterbrot dazu, – was man so nötig hat, da achtet sie ja wohl auf. Aber wenn man denn so mit allem fertig ist, dann will man doch auch 'n bißchen Gesellschaft haben, denn dann freut man sich doch, – also, ich sitz' denn bei meinem Tee: na, und dann geht das über mir in ihrem Schlafzimmer los: na, und das kenn' ich denn schon: dann kommt sie herunter: ich sitz' da bei meinem Tee, und dann kommt sie 'reingestürzt.« Nun folgte eine dramatische Schilderung von Dahlias Art und Weise, ihn zu provozieren, die mit der Ankündigung schloß, daß seine Pfeife ausgegangen wäre.

Da drängte es sich dem Bauern, obschon sein Geist sich noch um die Tausende von Pfund und eine gewisse unbegreifliche mit denselben vorzunehmenden Division zwecks Produzierung einer deutlich faßbaren Totalsumme abmühte, die ihm Antons Reichtümer klar offenbaren sollte, auf, daß seine Älteste durch ihre gedankenlose Flüchtigkeit die wahren Interessen der Familie gefährde, und das bekümmerte ihn. Doch hatte ihm Anton, ehe er das Haus betrat, versichert, daß Dahlia wohl und daß alles mit ihr in Ordnung sei. So sah er Mrs. Sumfit an, die jetzt ihrerseits anfing für Dahlia zu plädieren: sie sei ja noch solch junges Ding und dabei so bildschön! und einmal seien wir schließlich alle jung, und was wir wohl für Barmherzigkeit vom Himmel hoffen könnten, wenn wir über die Jugend so hart zu Gericht sitzen wollten. Was ein richtig frommer Mann wäre, bei dem hieße es immer: noch einmal versuchen. Und am Ende wär' man auch 'n bißchen hart mit Dahlia umgegangen, und etwas empfindlich wär' sie ja. Schließlich appellierte sie an Rhoda, für die Schwester zu sprechen. Rhoda saß still und reserviert da.

Ihr stand es ganz fest, daß ihre Schwester völlig recht habe in allem, was sie tue, aber das Bild des alten Mannes, der allabendlich von der Arbeit zurückkam, um seinen Tee ganz allein zu trinken, tat ihr weh. Es war ihr unmöglich, etwas zu sagen, und als sie schwieg, fühlte Mrs. Sumfit plötzlich wieder die heftigsten Schmerzen an ihrem vorhin getretenen Fuß und gab ihr allerhand böse Namen, was eben kein allzuseltener Fall war, denn die gute alte Frau konnte gelegentlich etwas Zänkisches an sich haben und gehörte zu denen, deren Herz gewissermaßen eine Wage ist, so daß es ihnen unmöglich ist, einen Menschen hingebend zu lieben, ohne sich zu einem andern in eine entsprechende Opposition hinein zu steigern. Rhoda lächelte nur dazu.

Allmählich zogen sich die beiden Frauen zurück und ließen die Männer allein.

Anton wandte sich zu seinem Schwager und schlug ihn aufs Knie.

»In dem Mädchen da, hast du 'n Edelstein, Bruder William John!«

»Na ja, is 'n ganz gute Deern. Hat nur nicht allzuviel von 'ner Hausfrau. Sie hat 's so mehr mit den Gedanken. Und ein eigen Kraut ist sie auch. Ich muß sagen, mit der andern, das ist mir nicht ganz recht, Bruder Toni. Wenn das nicht anders wird, muß sie aus London weg. Es ist nichts als Gedankenlosigkeit. Du mußt nichts Schlechtes denken von der armen Dahly. Sie ist nun mal immer die Hübsche gewesen, und wenn sie das wissen, dann sind sie auch danach: sie war immer der Verzug von ihrer Mutter.«

»Ja, die arme Susanne! eine rechtschaffene Frau vor dem Herrn ist sie gewesen.«

»Ja, ganz gewiß,« sagte der Bauer und nickte mit dem Kopf.

»Und ein gutes Eheweib,« warf Anton hin.

»Hat nie 'n besseres gegeben! Ich wollte, sie lebte noch und könnte selber nach den Kindern sehen.«

»Ich bin über den Kirchhof gekommen, da nebenan,« sagte Anton, »und hab' gelesen, was da auf ihrem Grabstein steht. Und das gab mir 'n Stoß. Die Erste, die mir dann begegnete, war ihr Kind, die junge Deern da, Rhoda, und da hab' ich so bei mir gedacht, daß ihr vielleicht fragen könntet, ob ich nich' irgend was für euch tun wollte, – natürlich soweit ich das kann.«

In des Bauern Auge blitzte es auf, doch mit der ihm eignen Reserve verbarg er es unter einem Stirnrunzeln.

»Mehr als du kannst, wird sicher keiner von dir verlangen,« bemerkte er kühl.

»Viel kann's nicht sein,« seufzte Anton.

»Ja, wie man's nimmt; nahebei besehen ist schließlich die ganze Welt ein Nichts,« der Bauer stimmte in die gleiche Tonart ein.

»Was ist Geld!« warf Anton hin.

Sofort nahm der Bauer sein Bürgerrecht in dieser Welt wieder in Anspruch.

»Ja, so 'ne Frage magst du wohl an uns arme Teufel stellen,« meinte er, und dabei lachte er sich ins Fäustchen im triumphierenden Gefühl, Anton jetzt wenigstens auf einem relativen Bekenntnis eines gewissen weltlichen Besitzes festgenagelt zu haben.

»Was verstehst du unter Geld haben?« bemerkte letzterer, der offenbar in die Falle ging, »fünfzig Pfund?«

»Fsss!« stieß der Bauer heraus, als nähme er einen tüchtigen Schluck von irgendeinem kräftigen Stoff zu sich.

»Zehntausend?«

Mr. Fleming simulierte einen zweiten Schluck mit einer beinah verächtlichen Miene, doch immerhin freundlich.

»Na hör mal,« drängte Anton, »zehntausend, das ist doch schließlich nicht so ohne! Mit zehntausend bist du 'n feiner Kerl. Zu fünf Prozent. Ich sag' dir, ich kenn' manchen Vornehmen, der sich gratulieren würde, wenn er die hätte. Bei Gott, das tu ich! Aber du kennst eben nichts von der Welt, Bruder William John. Da sind welche, die haben auch nich' ein – die sind nich' so reich als du!«

»Oder als du, Bruder Toni?« der Bauer wagte mit einem Griff das Rühr-mich-nich'-an zu packen.

»Ach, ich!« Anton lachte vor sich hin. »Ich hab' das so 'raus, hier ein bißchen was zusammen zu schrappen und da 'n bißchen. Ich hol's auch 'mal aus 'm Rinnstein. Ich will dir was sagen, diese Juden sind gar nich' so dumm, so immer herumzuziehen, wenn da auch ein Fluch auf liegt. Die haben das 'raus mit 'n Multiplizieren. Die wissen, wie man das macht, daß aus Brüchen ganze Zahlen werden. Na, mit 'n vornehmen Herrn da kann ich nich' mit. Was mein Reichtum is', das is' meine geachtete Stellung. Das hab' ich dir von Anfang an gesagt, und das sag' ich dir jetzt auch. Aber ich will dir was sagen, Bruder William John, 'ne Aufregung is' das, wenn man so mit Beuteln voll Tausenden in 'n Arm geht.«

Im ganzen war der Farmer ein verständiger Mann und hatte genau soviel simplen gesunden Menschenverstand, wie andere Leute, aber was die Reichtümer betraf, in deren Besitz er den Bruder seines Weibes wähnte, war er derart leichtgläubig, daß das Geringste ihn zu den kindischsten Übertreibungen von deren mutmaßlichem Umfang verführte. Nun Anton selbst den Brand schürte, verlor er gänzlich den Boden unter den Füßen. Zudem hatte er mehr von der kräftigen Mischung zu sich genommen, als er sonst je um diese Tageszeit zu tun pflegte, und da es ihm schien, als könnte er Anton wirklich dazu kriegen, eine spezialisierte Übersicht des Vermögens, dem er (wie Anton es, auszudrücken beliebte) seine geachtete Stellung dankte, zu geben, so arrangierte er in seinem Kopf ein kleines Spiel, indem er durch irgendwelche vage Mutmaßungen seine schlauen Berechnungen mit den von ihm eingeräumten Tatsachen in Einklang zu bringen versuchte. Er zähmte die wilden Sprünge seiner Phantasie nach Möglichkeit, zog in Betracht, was ihm seine Frau von Antons Art, als Knabe Ersparnisse zu machen, erzählt hatte, dachte an die nebelhaften Andeutungen von Fonds und von allerhand kühnen Handstrichen, die kluge Leute in Geldangelegenheiten machen konnten, an Antons knappe Art zu leben und an die Lebensbeschreibungen berühmter Geizhälse: und nachdem er dies alles gewissenhaft in Rechnung gezogen hatte, beschloß er eine sichere Schlußfolgerung aus dem allen zu ziehen, und daher zielte er zu niedrig.

Wenn die Phantasie eines Menschen derart mit dem Gelde spielt, so hebt sie es damit außerhalb des Bereiches konkreter Bedeutung. Es ist ein mutwillig Ding, das sich bald dehnt, bald zusammenzieht, während es seine Tänze im Menschenhirn ausführt, etwa wie der Sonnenstrahl auf der Decke des Zimmers, den eine Teetasse zurückwirft, wenn dieses etwas forcierte Gleichnis dem Verständnis hierfür zu Hilfe zu kommen vermag. Der Bauer blieb an dreißigtausend und einigen hundert Pfund hängen – gewisse eventuelle ausständige Schulden ausgenommen – die etwa in Antons Testament verzeichnet stehen möchten, so von dreißigtausend oder, um keinenfalls zu hoch zu greifen, zwanzigtausend Pfund. Die er vermachen würde, – und an wen denn? An ihn und seine Kinder. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach an seine Kinder, nach seinem eignen Tode. Oder etwa nicht? Auf alle Fälle könnten sie brillante Heiraten machen, und dann sollte der Hof an denjenigen der beiden jungen Ehemänner fallen, der ihm am besten gefiele. Bauer Fleming verlangte gar nicht nach einem Leben in Gemächlichkeit und Glanz, obschon dreißigtausend Pfund oder selbst zwanzigtausend ein hübsches Vermögen waren. Adelige Herren haben sich um weniger, denn das, zur Heirat einer Erbin herabgelassen! Der Gedanke, daß das wahrhaftig so wäre, durchfuhr ihn so jäh, daß sein Herz in warmer Zärtlichkeit für den guten, geduldig sich abplackenden alten Kerl da neben ihm aufwallte, der gelebt hatte und gestorben war, um seine Familie reich und angesehen zu machen. Gleichzeitig konnte er es nicht lassen, sich auszumalen, daß Anton, wie er da, obschon vom Alter ein wenig gebeugt, so breitschultrig vor ihm saß, mit seinen derben Beinen und seiner für einen Londoner gesunden Gesichtsfarbe, von jeder Lebensversicherung gegen eine für sein Alter mäßige Summe einwandlos aufgenommen werden würde. Der Bauer dachte an seine eigene Gesundheit, und es durchzuckte ihn schmerzlich, als er sich vorstellte, wie ihn der höfliche Arzt der Versicherungsgesellschaft (ein Herr, der den Bewerbern geradezu aus den verhüllten Flügeltüren des Hades entgegenzutreten scheint, ihre Brust beklopft, ein-, zwei-, dreimal und daraufhin seine verhängnisvollen Daten niederschreibt) untersuchte. Wahrscheinlich würde Anton keine höhere Prämie zu zahlen haben als er.

»Bist du in einer Lebensversicherung, Bruder Toni?« unversehens entschlüpfte ihm die Frage.

»Nein, Bruder William John,« gab Anton zurück, indem er wie ein aufgezogener Automat dazu nickte. »Das hat so seine zwei Seiten. Ich bin langlebig. Langlebige Menschen versichern ihr Leben nicht, d. h., wenn sie nicht verrückt sind. Davon haben nur die Versicherungs-Gesellschaften Vorteil.«

»Aber man hört doch von Unglücksfällen,« warf der Bauer hin.

»Ach, sowas passiert mir nicht,« entgegnete Anton.

Der Bauer sprang auf und reckte sich gähnend.

»Wollen wir mal durch 'n Garten geh'n, Bruder Toni?«

»Herzlich gern, Bruder William John!«

Der Bauer schämte sich doch ein wenig über die ärgerliche Regung, die über ihn gekommen war, und erst, nachdem Anton auf seine Erkundigung hin zugegeben hatte, daß er zwölf Jahre älter sei, als er selbst, beruhigte er sich darüber, daß seine Erwägungen doch ganz angebracht gewesen seien. Anton war ihm doch fast eine Generation voraus. Sie gingen miteinander durch den Garten, und von den Fenstern aus konnte man wahrnehmen, wie einer dem andern brüderlich auf die Schulter klopfte. Als sie zu den Frauen und zum Tee zurückkehrten, war des Farmers Gemüt etwas mehr abgekühlt, und alle seine Rechnereien hatten sich in Nebel aufgelöst. Während des Tees war er niedergeschlagen.

»Was hast du, Vater,« fragte Rhoda.

»Ich will's dir sagen, liebes Kind,« antwortete Anton an seiner Statt. »Er beneidet mich um eine, von der ich wollte, sie fragte mich das, während ich in London bei meinem Tee sitze.«


 << zurück weiter >>