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Kapitel XIX. Robert im tiefsten Elend

Die Nacht war warm mit dem frisch gefallenen Schnee, ob auch die Sterne kalt herniederfunkelten. Eine Flucht südwestlicher Regenwolken war mitten am Himmel mit einem scharfen Wind aus dem äußersten Norden zusammengeprallt, und die Feuchtigkeit war gleich einem gewebten Leichentuch herabgesunken und hatte das ganze Land, die Giebel der Häuser und die Bäume eingehüllt.

Der junge Harry Boulby war auf See, und dies stille Wetter war gerade, was seine Mutter für ihn wünschte. Die Witwe sah durch ihr Schlafstubenfenster hinaus und horchte auf, als müsse die völlige Stille einen plötzlichen Schrei erzeugen. Der Gedanke an ihren Jungen wandte ihr Herz zu Robert zurück. Sie dachte an Robert, als das gedämpfte Geräusch eines schnell daherkommenden Pferdes sie zwang, die Straße hinaufzublicken, und da sah sie es herankommen – ein Roß ohne Reiter. Im nächsten Augenblick war es außer Sehweite.

Mrs. Boulby stand entsetzt. Es schien, als riefe die Stille der Nacht, die über der Gegend lagerte, sie zum Zeugen dafür auf, daß sie ein wirkliches irdisches Gespenst gesehen habe, und der tote Aufschlag der Hufen auf dem schneeigen Grunde in seinem Vorübereilen jagte einen Schauer durch ihre Glieder, als handle es sich um einen Spuk. Aber sie hatte einen Sattel auf dem Pferde gesehen, und die Steigbügel waren geflogen, und das Pferd hatte einen scheuen Ausdruck gehabt. In ihrem Ahnenlassen eines blutigen Erlebnisses war die Szene eine nur allzu irdische. Was, wenn es Roberts Pferd war? Sie versuchte über ihre weibliche Furchtsamkeit zu lachen und mußte doch fast einen Schrei zurückdrängen, während sie es tat. Es gab keine andere Hilfe dagegen, als an die gute Wirkung ihres Kognaks so fest zu glauben, wie ihre Gäste, so ging sie nach unten und nahm einen kräftigenden Schluck, worauf ihr Blut schneller zu fließen begann und das Ereignis rasch in die Schlupfwinkel der Zeit verschwand und sie einschlief.

Noch war der Morgen dunkel und die Straßen ohne ein Zeichen des Lebens, als ein Traum von jemand, der an ihrem Grabstein klopfe, sie aufstehen ließ. »Ach, der Kognak!« stöhnte sie. »Das ist der Zoll, den ein armes Weib zu entrichten hat.« Was wir als reuevolles Bekenntnis einer Schuld auffassen dürfen, als deren Opfer sie sich über Nacht gefühlt hatte. Sie wußte, daß guter Kognak keine schlechten Träume schafft, und war selbst überführt. Seltsame Empfindungen durchzuckten sie, als das Klopfen beiblieb, und bald hörte sie von der leeren Straße herauf einen stöhnenden Ruf: »Mutter!«

»Mein Liebling!« antwortete sie, zweifelhaft, ob es Harry oder Robert sei, der sie rufe.

Ein Blick aus dem offenen Fenster zeigte ihr Robert, der an dem wunderlichen alten Portal lehnte, den Kopf mit einem Tuch verbunden; aber er hatte nicht die Kraft, auf die Entfernung hin eine Frage zu beantworten, und als sie ihn eingelassen hatte, tat er zwei Schritte und brach dann auf der Diele zusammen.

Während er da lag, tastete er nach ihren Röcken. Sie rief nach Hilfe, aber mit schnellem Verständnis für den Stolz seines Charakters, wußte sie, was er mit seinem gebrochenen Flüstern wollte, ehe sie noch ihr Ohr seinen Lippen genähert hatte, und sie schwieg, einen so jämmerlichen Anblick sein schwacher Versuch auch bot, sich auf einem Ellbogen aufzurichten, der sich nicht aufrecht halten wollte.

Von seinem Kopf floß Blut herab, und Blutflecken waren auf Nacken und Brust. Sein einer Arm war hilflos, seine Kleider waren wie in heftigem Kampf zerrissen.

»Ich bin ganz bei Sinnen,« wiederholte er immer wieder, aus Furcht, sie könne ihren Schrei wiederholen.

»Gott segne dich für deinen Mut!« rief die Witwe, und da blieben sie, er wie ein Adler mit geknickten Flügeln, von Zeit zu Zeit einen Versuch machend, sich aufzurichten und in fortwährendem Kampf mit seiner verzweifelten Schwäche. Sein Gesicht war zur Erde gekehrt, nach einer Weile war er still. Erschrocken beugte sich die Witwe über ihn: sie fürchtete, er habe den letzten Seufzer ausgehaucht; aber das Kerzenlicht zeigte ihr, wie ihn ein Schluchzen schüttelte, wenigstens schien es ihr so, obschon sie es kaum glauben konnte von diesem männlichen Burschen. Dennoch erwies es sich als wahr, sie sah sogar die Tränen. Er weinte über seine Hilflosigkeit.

»O, mein geliebter Junge!« stieß sie hervor, »was haben sie mit dir gemacht? Diese Feiglinge, die sie sind! aber nun hab' Mitleid mit einer Frau, und laß mich irgend jemand rufen, der dich auf ein Bett trägt, Lieber! Und heb' nicht so die Hand zu mir auf, wie 'n angeschossener Vogel. Du bist ganz vollständig bei Sinnen, das weiß ich, ganz bei Sinnen, mein lieber Jung'; aber mir zu Liebe, Robert, du meines Harry guter Freund, nur mir zu Liebe, laß dich in ein reines, schönes Bett tragen, bis ich Dr. Bean holen lassen kann. Bitte, bitte!«

Ihre flehentlichen Bitten hatten eine Reihe von angestrengten Versuchen seinerseits aufzustehen, zur Folge, und endlich gelang es ihm, sich auf den Rücken zu drehen und sich mit Hilfe der Witwe so weit aufzurichten, daß er gegen die Wand gelehnt dasaß. Die Veränderung der Lage machte ihn zunächst schwindlig und betäubt. Er versuchte noch einmal den alten Satz herauszubringen, daß er ganz bei Sinnen sei, aber seine Hand schlug gegen die Stirn, ehe er die Worte zu formen vermochte.

»Was so 'n Mann doch für 'n Stolz hat,« dachte die Witwe, als der fürchterliche Kampf, auf die Beine zu kommen, wieder anhob; bald tastete er an ihnen entlang bis zum Knie wie mit fragender Hand, hielt dann wieder inne, als müsse er sich besinnen, bald setzte er sich in Positur, als wolle er mit einem Ruck in die Höhe kommen, der jämmerlich mißlang; es war ein Stöhnen und Sich-wieder-zurück-Lehnen, ein in Verzweiflung Versinken und wieder aufs neue Beginnen, mit einer Geduld, wie sie ein in einem Kreise eingeschlossenes Insekt beweist.

Die Witwe ertrug seinen Mannesstolz mit Geduld, bis die Art seiner Bewegungen ihren Nerven zuviel wurde, weil sie dieselben an eine Tür erinnerten, die in losgelösten Angeln haltlos kreischt. Sie umfing ihn mit ihren Armen. »Und sollte mir das Rückgrat daran zerbrechen, aber dich da vor meinen Augen zu Tode winden sollst du nicht, ob aus Stolz oder aus Demut, armer, lieber Kerl,« sagte sie, und mit einem gewaltigen Ruck half sie ihm auf die Füße. Er sank über ihre Schulter mit einem so entsetzlichen Stöhnen, daß sie einen Augenblick dachte, sie habe ihn tödlich verletzt.

»Gute alte Mutter,« sagte er in knabenhaftem Ton, um sie zu beruhigen.

»Ja, und nun wirst du auch so tun, als wenn du mein Sohn wärest,« sagte sie zärtlich zu ihm.

Sie redeten miteinander, während sie langsam, Schritt für Schritt, die Treppe hinaufstiegen.

»Ein Schlag über 'n Kopf, Mutter – ein Schlag über 'n Kopf,« sagte er.

»War es das Pferd, mein Junge?«

»Ein Schlag über 'n Kopf, Mutter.«

»Was haben sie meinem Jungen Robert getan?«

»Sie haben,« er stieß es launig heraus, so schwach er war, und ob ihm gleich alle Pulse vor Schmerz klopften, – »sie haben etwas von deinem Kognak auf mich losgelassen, Mutter – und der 's in meinen Kopf gekommen.«

»Wer hat das getan, mein Junge?«

»Sie haben's getan, Mutter.«

»O, nimm dich in acht mit deinem Fuß, da ist ein Nagel, und o, da 's ein Balken, dein armer Hinterkopf – arme Seele! Da hat er sich noch mal gestoßen! Und sie haben dir das getan? und warum denn?« nahm sie ihr zärtliches Fragen wieder auf.

»Sie haben es getan, weil –«

»Ja, mein Liebling, warum denn?«

»Weil, Mutter, weil sie gerad' dazu Lust hatten.«

»Gott im Himmel sei Dank, daß du noch Spaß machen kannst, mein Junge,« sagte die Frau erstaunt und mit aufrichtiger Bewunderung. »Und dem Herrn sei Dank, wenn du nicht schlimm verletzt bist, und daß sie sein hübsches Gesicht nicht entstellt haben,« fügte sie hinzu.

Im Schlafzimmer ließ er sich zum Teil von ihr ausziehen, verbat sich aber jeden ärztlichen Beistand und befahl ihr, kein Gerede über ihn zu machen; dann legte er sich hin und schloß die Augen, denn der Schmerz war furchtbar, raste ihm durch den Körper und riß ihn mit einem plötzlichen Ruck zusammen, – raste aufs neue und riß ihn wieder, so oft seine Gedanken sich einen Augenblick von dem dumpfen Wehgefühl freizumachen vermochten.

»Mein Liebling,« flüsterte sie, »ich will eben ein bißchen Kognak; holen.«

Sie eilte fort, um es zu besorgen.

Er war in derselben Lage, als sie mit Glas und Flasche zurückkehrte.

Sie goß ein wenig Kognak ins Glas und pries ihn hoch als Heilmittel, und was nicht alles der Kognak für ihn tun würde, aber er wehrte leicht mit der Hand ab, bis sie ihm vorwarf, er sei unfreundlich und verdreht.

»Nun, mein liebster Junge, mir zu Liebe – nur mir zu Liebe. Willst du? Ja, du willst, mein Robert!«

»Keinen Kognak, Mutter!«

»Nur einen kleinen Fingerhut voll?«

»Nie mehr Kognak für mich, Mutter!«

»Sieh, Liebling, mußt es nicht so ernsthaft nehmen, es ist doch nur, weil du eine kleine Stärkung brauchst.«

»Keinen Kognak,« war alles, was er sagen konnte.

Sie sah auf die Etikette, welche die Flasche trug. Ach, sie wußte, woher er kam und welche Qualität es war. Sich selbst konnte sie wohl mal 'was vormachen, wenn sie selbst allein in Betracht kam – aber sie schwankte bei dem Gedanken, ihn Robert als eine zuverlässige Medizin aufzuzwingen, obschon er einen angenehmen Geschmack hatte und wirklich, wie sie meinte, für die Kundschaft gut genug war.

Sie machte noch einige schwache Versuche, zu seinen Gunsten zu sprechen, aber er bewies seinen Entschluß als unerschütterlich, indem er ein taubes Ohr für sie hatte.

Hätte sie selbst vollkommen an ihn geglaubt, würde sie – und sie war sich völlig bewußt, daß sie es hätte können – seinen Kopf aufgerichtet und ihm ihn hinuntergegossen haben. Aber diesen Versuch verbot ihr ihre aufrichtige Liebe zu Robert. Sie brach in ein unbezähmbares Weinen aus.

»Halloh, Mutter,« sagte Robert, indem er seine Augen in dem trüben Kerzenlicht, welches ihn umgab, öffnete.

»Mein alter Junge, den ich so lieb hab'! Dir nicht helfen zu können! Was soll ich tun, – was soll ich tun?«

Plötzlich auffahrend rief er: »Wo ist das Pferd?«

»Das Pferd?«

»Mein Alter wird morgen nach dem Pferde fragen!«

»Ich sah ein Pferd, mein Junge, gerad' eh' ich mein Abendgebet an meinem Bett sprach, ohne Reiter sah ich's die Straße hinunterkommen. Wie Donnergepolter klang's mir in den Ohren. 0, mein Junge, ich dachte, kann das Roberts Pferd sein? – denn ich wußte ja, daß du Feinde hättest, wie jeder brave Kerl sie hat – wobei Gott im Himmel unsere einzige Hoffnung ist!«

»Mutter, puff' mich in die Rippen!«

Er streckte sich lang aus für die Operation und schloß den Mund.

»Tüchtig, Mutter! – und rasch! – Lang' halt' ich's nicht aus.«

»O, Robert!« stöhnte die Frau, ganz versteinert, – »dich schlagen?«

»Gerade in die Rippen! Mit geballter Faust tu es, – flink!«

»Mein Liebling! – mein Junge! – Ich hab' nicht den Mut dazu!«

»Ah!« Roberts Brust sank zusammen, aber noch einmal straffte er alle seine Muskeln und sagte: »Jetzt tu es, – tu es!«

»O, wenn man in ein schwaches Feuer hineinstößt, so löscht man es aus, Liebling. Du willst mich doch nicht zu einer Mörderin machen, mich, die du Mutter nennst! O, wie ich den Namen lieb habe! Ich will dir gehorchen, Robert! Aber – so!«

»Stärker, Mutter!«

»Da! Gott verzeih mir!«

»So stark du kannst – es ist alles in Ordnung.«

»Da! – und da! – o! – Barmherzigkeit!«

»Nun drück gegen meinen Magen!«

Sie nahm alle Kraft zusammen um seinen Wunsch zu erfüllen, nahm seinen Kopf in ihre Hände und betastete ihn. Der Schmerz der Berührung entrang ihm einen halberstickten Schrei, auf welchen sie mit einem andern antwortete. Er lachte, während er vor Schmerz zuckte.

»Du grausamer Jung', über deine Mutter zu lachen,« sagte sie, von dem Laut der Beruhigung, der ihr in diesem lieben menschlichen Lachen lag, entzückt. »So, nicht dein Gehirn so schütteln, das muß ruhig liegen. Und hier ist die Stelle von dem bösen Hieb – und dabei ist er verliebt – das weiß ich! Was würde sie sagen, wenn sie ihn so sähe? Aber eine alte Frau ist die beste Pflegerin, das glaub' nur!«

Sie fühlte ihn schwer auf ihrem Arm. ruhen und wußte, daß er ohnmächtig geworden war. Indem sie ihren ersten Impuls zu schreien, erstickte, ließ sie ihn sanft auf das Kissen niedergleiten und klopfte, um ihr Mädchen aufzuwecken.

Gemeinsam hatten die beiden alsbald ein Feuer, heißes Wasser, Bandagen, Essig in einer Schale und jede notdürftige Erleichterung, die in Frage kommen konnte, beschafft; das Mädchen befolgte die Anweisungen ihrer Herrin mit einer Art tröstender Ehrerbietung, denn Mrs. Boulby hatte ihr nichts weiter gesagt, als daß ein Mann verletzt sei.

»Ich hoffe, wenn es denn doch einer sein soll, daß es der Moody ist,« sagte das Mädchen.

»Eine schöne Art Christ bist du ja, muß ich sagen,« antwortete Mrs. Boulby.

»Christ oder nicht, man kann doch nich' helfen, was zu wünschen, Ma'm. Man 's doch nich' bloß Hände und Kniee.«

»'S wär' besser für dich, du wärst nichts weiter,« sagte die Witwe. Zunge jedenfalls, das merk' dir, bitte, hast du nicht zu sein! Nun kommst du mir nach, – so, und daß du kein Wort sprichst! Du bleibst hinter der Tür stehen und tust, was ich dir sag'. Bist ja 'n Soldatenkind, Susan, da hast du keine Erlaubnis, dich aufzuregen.«

»Meine Mutter war oft ohnmächtig,« sagte Susan, um sich gegen jede mögliche Schwäche zu verwahren.

»Du kannst leise hineinkucken.« Den Brocken warf Mrs. Boulby ihrer schwachen Weibesnatur zu.

Wäre das Mädchen nicht durch das weise Einräumen dieses Vorrechts vorbereitet worden, es hätte niemals ertragen, Roberts Stimme in ihrem rasenden Schmerz zu hören und sich wirklich vorzustellen, daß es Robert, der Liebling von ganz Warbeach, sei, der da zu Schaden gekommen. Da ihre Angst nicht so lebhaft war, wie die ihrer Herrin, weil ihre Liebe geringer war, erschreckten Roberts Späße, während ihm das Blut abgewaschen, das Haar rings um die Wunde abgeschnitten, der Kopf bepflastert und verbunden wurde, sie mehr, als daß sie sie beruhigt hätten.

Die Leichtigkeit, mit der er die Sache nahm, war unheimlich, seine Weigerung, trotz allen Zuredens, einen Arzt rufen zu lassen, ganz heidnisch und gleichsam ein Zeichen, als sei er dem Verderben bereits geweiht.

Sie glaubte, sein Arm sei gebrochen und schmollte mit ihrer Herrin, daß sie seine Versicherung des Gegenteils so bereitwillig annahm. Vor allem aber fiel ihr seine Weigerung, einen Tropfen Kognak zu nehmen, jetzt, wo er ihm doch gut tun mußte, als ein Beweis für die Torheit der Männer auf, welcher Verständnis entgegen zu bringen alle Frauen sich wappnen müßten. Vieles, was sie nicht verstand, wurde im Zimmer geflüstert, ehe Mrs. Boulby herauskam, ihr nochmals das strengste Schweigen einschärfte und sagte, daß der Kranke nichts anderes trinken wolle als Tee.

»Er bat,« sagte sie halb zu sich selbst, »am Morgen, wenn die Sonne nicht hell wäre, die Fenstervorhänge zurückzuziehen, damit er zu unserm Fluß hinuntersehen könne, bis wohin die Schiffe kommen.«

»Das klingt, als wenn er daran dächte, am Leben zu bleiben,« bemerkte Susan.

»Er!« rief die Witwe, »es ist Robert Eccles. Der gibt nicht nach, und wenn er nur auf 'm halben Zoll stehen könnte.«

»Nein?« stieß Susan hervor und staunte ihn an, ohne eine Frage zu riskieren, wie er das anfangen sollte.

»Am allerwenigsten,« beeilte sich die Witwe hinzuzufügen, »wenn er dächte, daß er nur Teufel gegen sich hätte. Ich hab' ihn sagen hören: ›der ist ein Narr, der sich gegen Gott wehrt, und der ist ein Schuft, der dem Teufel nachgibt;‹ und das ist ganz mein Robert, von seiner eignen Hand gemalt.«

»Aber bringt ihn das nicht so häufig zu dergleichen, Ma'm?« fragte Susan traurig, indem sie den Teetopf auf den Kessel setzte.

»Ich glaube, er ist gefeit,« sagte die Witwe.

Mit dem ersten Morgengrauen war Mrs. Boulby drunten auf dem Hof von Warbeach, und als man ihr sagte, Farmer Eccles sei in den Ställen, fand sie den unerschütterlichen Bauern selbst damit beschäftigt, Roberts Pferd zu striegeln.

»Na, Madam,« sagte er, indem er ihr zunickte, »Sie gewinnen, wie Sie sehen. Ich dacht' es mir wohl, ich hätte d'rauf schwören können, daß Sie gewinnen würden. Kognak ist bei einigen unserer jungen Burschen stärker, als Blut.«

»Wenn ich bitten dürfte, Mr. Eccles,« erwiderte sie, »Robert schickt mich, um mich zu erkundigen, ob das Pferd sicher und unverletzt nach Hause gekommen ist.«

»Tragen ihn seine Beine noch nicht selbst, Madam?«

»Seine Beine sind gnädig verschont geblieben, Mr. Eccles, es ist sein Kopf.«

»Dahin, heißt's ja, steigen die geistigen Getränke meist.«

»Bitte, glauben Sie mir, Mr. Eccles, wenn ich Ihnen sage, daß er vergangene Nacht nichts als Tee in meinem Hause angerührt hat.«

»Das tut mir leid, ich will noch am liebsten, daß er zu Ihnen geht. Wenn er denn trinkt, laß ihn was Gutes trinken, und wie ich höre, stehen Sie ja in dem Ruf, daß es das bei Ihnen gibt. Bitte, bestellen Sie ihm von mir, daß ich ihm ganz freistelle mit sich selbst den Teufel zu spielen, aber nicht mit meinen Tieren.«

Der Bauer fuhr bei seiner Arbeit fort.

»Nein, Sie sind doch kein harter Mann,« rief die Witwe. »Sie können doch nicht hart sein, wenn ich Ihnen sage, daß er nüchtern war, Mr. Eccles, daß er gestürzt ist und bewußtlos wurde.«

»Hab' noch nie gehört, daß ihm so was passiert wäre, Mrs. Boulby, und was mehr ist, ich glaub's nicht. Am Ende sind Sie wegen seiner Sachen gekommen? Seine Tante ist drinnen und wird sie Ihnen geben, und gern. Und ich laß mich Robert empfehlen, und das nächste Mal, wenn er daran denkt, Warbeach zu beehren, soll er lieber vorher schreiben.«

Mrs. Boulby machte einen höflichen Knicks. »Sie denken schlecht von mir, Herr, weil ich eine Wirtschaft habe. Aber ich liebe Ihren Sohn, wie mein eigen Kind, und wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen, Mr. Eccles, so werden Sie auch noch mal stolz auf ihn sein, ehe Sie sterben. Ich weiß ebensowenig wie Sie, wie er gestern zu Fall gekommen ist, aber ich weiß, daß er nicht getrunken hat, und daß er schlechte Feinde hat.«

»Das 's kein Wunder, Madam.«

»Nein, Mr. Eccles, das hat ein Mann, der zugleich tapfer und gut ist, früh zu lernen.«

»Gut gesagt, Madam.«

»Soll ich Robert sagen, daß sein Vater ihm sein Haus verweigert?«

»Das hab' ich nicht gesagt, Mrs. Boulby. Mein Grundsatz ist dies: Mein Haus steht meinem Blut offen, solange es nicht geradezu Schande darein bringt, und dann mag ihn jeder haben, wer irgend Anspruch auf ihn erhebt. Ich will ihm kein Geld geben, weil ich davon bess'ren Gebrauch zu machen weiß, und er soll meine Tiere nicht mehr reiten, weil er sie nicht zu behandeln weiß, das ist alles.«

»So bleiben Sie also auf der knappen Linie der Pflicht,« faßte die Witwe seine Rede zusammen.

»Das hoffe ich zu tun,« versetzte der Bauer.

»Das ist immerhin ein Trost,« meinte sie.

»So viel man davon braucht,« sagte er.

Die Witwe knickste noch einmal. »Ich kam nicht zu Ihnen, um Sie zu beunruhigen, Herr. Robert ist – dem Höchsten sei Dank! – nicht bedenklich verletzt, wenn auch ernstlich.«

»Wo ist er verletzt,« fragte der Bauer merkwürdig rasch.

»Am Kopfe ist es.«

»Was möchten Sie haben?«

»Zunächst seinen besten Hut.«

»Gerechter Gott!« rief der Farmer. »Na, wenn das seinen Kopf wieder heilmachen kann, der steht zu seinen Diensten.«

Ganz elend von seiner Herzlosigkeit verschwendete die Witwe ein wenig Emphase an ihre Schlußbemerkungen. »Erstens möchte er seinen besten Hut haben und seinen Rock und ein reines Hemd, das gibt einem Manne ein besseres Ansehen, Mr. Eccles, und gut auszusehen ist sein Wunsch, denn er gehört nicht zu denen, die ein groß Lamento über sich anstellen, und Doktoren mögen sterben und verderben, ehe er zu ihnen geht. Und um was ich Sie dringend bitten möchte, ist dies, daß, wenn Sie Ihren Sohn sehen, Sie ihn nicht merken lassen, daß ich Ihnen von der Wunde an seinem Kopfe oder von irgendwelchen sonstigen Verletzungen was erzählt habe. Ich wünsch' Ihnen einen guten Morgen, Mr. Eccles.«

»Guten Morgen, Mrs. Boulby. Sie sind 'ne ehrenwerte Frau.«

»Ja, nun möcht' er mir um 'n Bart gehen,« murmelte sie in ihrer Empörung in sich hinein.

Die augenscheinlich medizinisch wirksamen Kleidungsstücke wurden von Tante Anne verabfolgt, ohne ein einziges Wort von Seiten jener blassen alten Jungfer. Die überaus höfliche Feindschaft zwischen den beiden Frauen verleugnete den gähnenden Abgrund zwischen ihnen nicht. Tante Anne brachte ein Bündel herbei und legte den Hut drauf, auf den sie sorglich ein Traktätchen gesteckt hatte: »Des Trunkenbolds Erwachen!« Mrs. Boulbys Auge streifte diese Überschrift voller Zorn und sie dachte bei sich selbst: »O ihr guten Leute! was für eine glühende Lust, euch irgend was anzutun, weckt ihr einem im Herzen!« Sie bezwang ihren Impuls und beruhigte ihre Seele auf dem Heimwege dadurch, daß sie die einzelnen Blätter des Traktats auf die gerade zusammengefegten Kehrichthaufen verteilte, auch warf sie einem neugierigen Schweine, das von einem übelriechenden Trog nach irgend etwas aussah, das ihm der Himmel senden möchte, eines derselben zu.

Sie fand Robert, den gebogenen Arm über ein Becken haltend, und Susan, die ihm denselben mit kaltem Wasser und einem Schwämme kühlte.

»Keine zerbrochenen Knochen, Mutter!« rief er ihr entgegen. »Ich bin ganz heil, 's ist alles wieder in Ordnung. Diesmal bin ich mit sechs Stunden davongekommen. Ist es Tauwetter? Du brauchst mir nicht zu erzählen, was mein Alter gesagt hat. In 'ner halben Stunde werde ich zum Frühstück fertig sein.«

»Herrgott, was 'n gewaltiger Arm!« rief die Witwe. »Na, das ist auch kein Wunder, wie könntest du sonst der Schrecken der Männer sein? Du unartiger Junge, auch nur daran zu denken, dich zu rühren. Hier wirst du liegen bleiben.«

»So? Werd' ich?« sagte Robert, und er machte einen Satz, so daß er aufrecht im Bett saß, etwas blaß von der Anstrengung, die ihn auch seelisch angegriffen zu haben schien, denn er fragte etwas zweifelhaft: »Wie seh' ich denn aus, Mutter?«

Sie brachte ihm einen Spiegel, und, nachdem Susan fortgeschickt, prüfte er seine Gesichtszüge.

»Na, na!« sagte die Witwe, während sie sich auf das Bett setzte, »es ist nicht schwer für mich zu erraten, du hast 'n Stelldichein.«

»Um zwölf Uhr, Mutter.«

»Mit ihr?« flüsterte sie leise.

»Es ist mit einer Dame, Mutter.«

»Und lauern doch so viele Feinde ringsherum, Robert, mein lieber Junge. Sag' mir nicht, daß sie dich gestern abend nicht angefallen hätten. Ich hab' nichts gesagt, aber ich könnt's auf die Bibel schwören. Meinst du, du kannst gehen?«

»Ach, Mutter, ich geh' nach meinem Gefühl, und weiter darüber nachzudenken, brauch' ich überhaupt nicht. Gott weiß, was ich sonst denken müßte.«

Die Witwe schüttelte den Kopf. »Ich glaub', dich hält doch nichts zurück?«

»Aus meinem Innern heraus kann nichts es tun, Mutter.«

»Kann sie nicht – doch nein, es ist einerlei: Ich hab' kein Recht zu fragen, Robert, und wenn ich irgendwie neugierig bin, so ist es wegen gestern abend, und warum du schlechte Kerls sollst entwischen lassen. Aber was für Gedanken ein Mann darüber hat, das läßt sich nie berechnen; ich sag' nur eins, und das behaupte ich, Nic Sedgett, der 's die Seele von allem Unheil, was hier gegen dich ausgebrütet wird. Und gestern abend behauptete Stephen Bilton oder sonst jemand, Nic Sedgett da oben in Fairly gesehen zu haben.«

»Klatscherei, Mutter! Warum sollt' er nicht? Woll'n doch nicht darüber klagen, wenn einer sich ehrlich sein Leben verdient?«

»Er hat Galle im Blut, Robert, ich kann nie begreifen, warum ihm der Herrgott nicht 'n garstiges Gesicht gegeben hat. Ich hab' gehört, daß die Mädchen hinter dem Kerl her sind.«

»Uff, Mutter, hinter mir sind sie's nicht.«

»Will sie dich nicht haben, Robert?«

Er lachte. »Wir werden's heute schon sehen.«

»Du Schlingel!« rief die Witwe, »als wenn ich nicht wüßte, daß es Mrs. Lovell ist, die du heute treffen willst! Ja, und wollte der Himmel, daß sie sähe, was in dir steckt, denn du solltest niemand anders heiraten, als 'ne geborene Dame.«

»Fühl' nur mal in meine Taschen, Mutter, dann wirst du das Reden über mein Heiraten schon ein bißchen sachte angehen lassen. Und nun will ich aufstehen. Ich hab' so 'n Gefühl, als müßten meine Beine noch einmal von vorne an lernen, wie sie mich tragen sollen. Ich hab' meinem guten Alten wahrhaftig von vornherein 'ne gesunde Puste und gute Glieder zu danken, mich kriegt man nicht so leicht unter, siehst du, obschon ich ein- oder zweimal nah genug daran war.«

Mrs. Boulby murmelte: »Ja, willst du denn immer noch den Streit mit diesen Herren weiterführen?«

Er sah sie fest an, während ein verschmitztes Lächeln in seinen Zügen spielte; dann nahm er ihre Hand und sagte:

»Ich will dir ein wenig erzählen, du verdienst es und wirst nichts weiterplaudern. Mein Fluch ist der, daß ich über meine Gefühle nicht reden kann; aber es ist doch keine Schande, ein Mädchen gern zu haben, nicht wahr, selbst wenn es nichts von einem wissen will? Nein, es ist keine Schande. Ich bin mit dem Gelde von meiner lieben alten Tante zu einem Bauern nach Kent gegangen und hab' Landwirtschaft gelernt, – erst vom Militär frei, so wahr –. Aber ich muß mir das Fluchen abgewöhnen. Während der Hälfte der Zeit, die ich weg war, bin ich dort gewesen. Der Bauer ist 'n guter, nüchterner, 'n bißchen trübseliger Mann, – so eine Art verprügelter Engländer, aber das weiß er nicht, zäh und immer rückwärts gehend. Er hat zwei Töchter: eine ging nach London und kam da irgendwie ins Unglück. Für die andere würd' ich mir diese Ader aufstechen lassen und daran zu Tode bluten – und dabei singen; und die haßt mich. Ich wollt', sie tät's! Sie dachte, daß ich solch ein guter junger Mann wäre! Ich trank niemals, ich ging früh zu Bett und war mit den Vögeln wieder auf und an der Arbeit. Mr. Robert Armstrong. Dieser Wechsel meines Namens war wie eine Kopfbedeckung von Blei. Ich war nie ganz ich selbst damit, fühlte mich wie so ein Armsünder – es war unmöglich für ein Mädchen, sich aus so einem Kerl, wie ich einer war, etwas zu machen. Hör' mal zu, Mutter: Sie 's dunkel, wie eine Zigeunerin. Sie ist das treueste, starkherzigste Geschöpf von der Welt. Schwarzes Haar hat sie, große braune Augen, – du sollst sie nur mal sehen! Sie paßt zu mir. Ich könnte zu ihr sagen: ›Stell dich dahin, bewache mir dies oder jenes!‹ und ich könnte mich todsicher auf sie verlassen, – sie würde zu Grunde gehen auf ihrem Posten. Ist die Tür zu? Mach die Tür zu, ich will nicht, daß man mich sieht, wenn ich von ihr spreche. Na, einerlei, ob sie hübsch ist oder nicht. Sie ist keine Dame, aber meine Dame ist sie; sie ist das Weib, auf das ich stolz sein könnte. Sie schickt mich zum Teufel. Ich glaub', in ihre Backen könnt' sich auch 'ne Frau verlieben: die sind so rund und weich und so zart gefärbt. Kannst gern denken, ich war 'n Narr, – ich bin auch einer. Und hier bin ich, weit weg von ihr, und ich fühle es, daß ihr jeden Tag ein Leid geschehen könnte, und sie könnte auftauen und so sein, daß die Teufel in der Hölle sich über mich lustig machen würden. Wer soll sie beschützen, wenn ich fern bin? Was bleibt mir anders übrig, als zu trinken und zu vergessen? Nur, wenn ich danach wieder zur Besinnung komme, fühle ich mich wie 'n kriechendes Gewürm zu ihren Füßen. Wenn ich nur ihre Füße küssen könnte! Ich hab' sie nie geküßt, – nie! Und kein Mann hat sie je geküßt. Verflucht! mein Kopf! Da kommt der Schmerz wieder. Das ist mein letzter Fluch, Mutter. Ich wollte, da wäre eine Bibel zur Hand, aber ich will versuchen, das Versprechen auch so zu halten. Mein Gott, wenn ich an sie denke, dann kommt es mir vor, als müßte alles auf Erden stillhalten und warten, was nun passiert. Ich bin wie 'n Rad, das nicht aufhören kann mit Spinnen. Nun fühl' mal meinen Puls! Warum kann ich ihn nicht ruhig kriegen? Aber da ist sie, und ich könnte diese alte Welt aufknacken, um zu sehen, was daraus werden mag. Ich war so sanft wie Milch all' die Tage, wo ich in ihrer Nähe war. Mein Trost ist, daß sie mich nicht kennt. Und das ist zugleich mein Fluch. Wenn sie es täte, dann müßte es ihr so klar sein wie der Tag, daß ich zu ihr passe, zu ihr gehöre, gerade der Mann für sie bin. Ich bin es, beim Himmel! – das ist ein erlaubter Schwur. Gerade die Seele zu sehen, deren ich bedarf, und sie nicht haben sollen! Nun bin ich hier, Mutter, sie liebt ihre Schwester, und ich muß erfahren, wo ihre Schwester zu finden sein mag. Einer von den Herren dort oben in Fairly ist der Schuldige. Ich sage nicht welcher, vielleicht weiß ich's gar nicht. Aber o, was für eine Menge Blitze sehe ich hinten in meinem Kopf!«

Robert fiel auf das Kissen zurück. Mrs. Boulby wischte sich die Augen. Ihr Mitgefühl und ihre Liebe für den leidenschaftlichen jungen Mann hatte sie überwältigt, und sie setzte ihre Gefühle ins Praktische um, indem sie überlegte: »Ein Rumpsteak verträgt sein armer Magen noch nicht.«

Er schien derselben Meinung zu sein, denn als er, nachdem er bis elf Uhr liegen geblieben, aufstand und am Frühstückstische erschien, aß er nichts als einige Brocken trockenen Brotes. Es war komisch, die unendliche Sorgfalt zu beobachten, mit welcher er die Tadellosigkeit seines Huts und Rocks prüfte, die nervösen Blicke, die er auf die Uhr warf, während er diese Kleidungsstücke umständlich abbürstete und anlegte. Der Hut wollte nicht sitzen, wie sonst, wegen der Beule auf seinem Kopfe, und er stand vor dem Spiegel wie ein Weib, das mit seiner Putzmacherin schmollt, bald preßte er den Hut herunter, bis der Schmerz unleidlich wurde, bald versuchte er, ob es ihn einigermaßen kleidete, wenn er ihn so trüge, wie die Umstände es verlangten. Er beschäftigte sich so lange damit, bis Mrs. Boulbys Ausruf des Erstaunens ihn die Gedanken ahnen ließen, die andern bei dieser Beobachtung aufsteigen mochten. In unserm allerinkonsequentesten Handeln liegt oft gerade der beste Schlüssel zu unserm Charakter, und wieviel seine durch Rhoda verwundete Eitelkeit mit seinem ganzen Auftreten in Warbeach zu tun hatte, wäre ungerecht, eben jetzt in Erwägung zu ziehen, weil seine edleren Eigenschaften dadurch in den Schatten gestellt werden könnten; aber bis zu welchem Grade sie mitsprach, wird sich bald zeigen. Auf Mrs. Boulbys Zureden nahm er einen derben Spazierstock ihres Mannes mit silberner Krücke mit, ein aus dem Holz des »Royal George« geschnitztes Andenken, auf welchen gestützt, er mehr das Ansehen eines pensionierten Seemanns hatte, als ihm lieb gewesen wäre zu wissen. So ging er zu dem verabredeten Stelldichein mit der Dame.


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