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Kapitel XI. Ein bezeichnendes Duett in Moll

Dahlia, die Ursache all der Zweifel und Fragen im Herzen ihrer Schwester, lag lang ausgestreckt auf dem Sofa eines behaglich eingerichteten londoner Wohnzimmers und schluchzte, das Taschentuch vor den Augen, leise vor sich hin. Ihre Leidenschaft hatte sich in heftigem Weinen Luft gemacht, nun schluchzte sie noch ein wenig zum Trost.

In ihrem kostbaren Seidenkleid lag sie da, wie der Schatten ihres einst so lebensfrohen Selbst, während die große, rote Wintersonne, sich dem Untergang zuneigte und ihre letzten, satten Strahlen auf die Wand oberhalb ihres Hauptes warf. Sie spielten auf ihrem nußbraunen Haar und ließen es wie lebendige Feuerfäden funkeln, aber Dahlia hatte kein Auge für ihr Spiel. Gänzliche Abspannung und Angst davor, ihre Augenlider im Spiegel zu sehen, ließen sie in völliger Ruhe verharren.

Die Dunkelheit senkte sich auf sie herab, das kümmerliche Gaslicht der Straßenlaternen zeigte ihren fest eingehüllten Körper.

Ein Mädchen kam herein, um den Tisch zu decken, und verrichtete seine Obliegenheiten in der den Dienstboten einer londoner Pension eigenen, automatenhaften Art, bereitete durch ihre Schürversuche einem ohnehin müde brennendem Feuer den völligen Untergang und unterdrückte mühsam ein Gelüst zu singen.

Dahlia bemerkte sehr wohl, was um sie her vorging, sie hätte viel darum gegeben, ihrer Nase den Geruch des Mittagessens zu ersparen, ihren krankhaft erregten Sinnen erschien es wie eine große, unmittelbar bevorstehende Gefahr, aber es fehlte ihr die Energie zu einem Ausruf oder zu irgendwelcher Initiative überhaupt. Die Speisedüfte fluteten zu ihr hin, und sie konnte sich nur passiv dagegen wehren.

Anfangs überwältigte es sie fast gänzlich: das Fleisch roch so herbe, die Kartoffeln so säuerlich, jedes Gemüse kündigte sich so unangenehm sonderlich an, ja, selbst Brot und Salz strömten, so schien es ihrer krankhaften Phantasie, einen feinen, durchdringenden, betäubenden, greulichen Hauch zu ihr herüber, wie der Druck einer Wolke, die Pfeile der Krankheit herniedersendet.

So erschien es ihr, bis sie hätte aufschreien können, aber nur ein paar neue Tränen flössen ihr die Wangen herab, und sie lag da und erduldete es still.

Todesruhe und Schweigen lagerte über dem gedeckten Tische, als die Haustür unten geöffnet wurde und ein leichter Schritt die Treppen heraufsprang.

Ein junger Herr in Dinertoilette trat ein; ein loses, schwarzes Cape hing ihm leicht über die Schultern. Er blickte auf den Tisch, dann auf das Sofa und sagte:

»O, da ist sie ja!« ging dann zum Fenster und pfiff vor sich hin.

Nach einem Augenblick großer Geduld wandte er sein Gesicht ins Zimmer zurück und fing an, mit dem Fuße leise auf den Teppich zu klopfen.

»Nun?« sagte er, als er einsah, daß diese Andeutungen großartiger Selbstbeherrschung keine Beachtung fanden. Seine Stimme war gleichermaßen außerstande, ein Lebenszeichen hervorzurufen. Nun nahm er den Hut ab und sagte: »Dahlia!«

Sie regte sich nicht.

»Dann hat mein Hiersein ja sehr wenig Zweck,« warf er hin.

Einige hastigere Atemzüge waren die Antwort.

»Nimm um Himmels willen das Taschentuch weg, mein gutes Kind! Warum läßt du denn das Essen kalt werden? Hier« – er hob einen Deckel auf – »hier ist Roastbeef. Das magst du doch, – warum ißt du's denn nicht? Das ist mal wieder recht ungereimt von dir. Und warum haben sie dir keinen Champagner auf den Tisch gestellt? Du kommst ganz herunter, wenn du den nicht trinkst. Gerade wenn diese melancholischen Anwandlungen über dich kommen, sollst du ihn trinken – aber es ist verlorene Liebesmüh', einer Frau zureden zu wollen, daß sie irgend etwas für ihr eigenes Bestes tut. Dahlia, willst du nicht die Gnade haben, mir ein oder zwei Worte zu gönnen, ehe ich wieder fortgehe? Ich hätte hier gegessen, aber es wartet jemand im Klub auf mich. Was in aller Welt hat es denn für einen Zweck, sich leblos zu stellen? Du hast den gewünschten Erfolg bereits erzielt, ich fühl' mich so ungemütlich, wie nur irgendmöglich. Gräßlich ungemütlich!«

»Na, also,« als er sah, daß Worte keinerlei Erfolg hatten, faßte er seine Vorstellungen und Vorwürfe in diesen Seufzer resignierter Philosophie zusammen, »ich gehe jetzt. Warte mal – hab' ich meine Schlüssel für die Tempelstraße? – ja! Ich fürchte, selbst wenn du die Gewogenheit haben solltest, gnädig zu sein und mir einen Blick zu schenken, werde ich dich dennoch ein paar Tage lang nicht sehen können. Morgen um fünf Uhr fahre ich zu Lord Elling. Ich habe da ein Zusammentreffen mit meinem Vater verabredet. Ich fürchte, wir werden wohl Weihnachten über dort bleiben. Adieu.« Er wartete einen Augenblick. »Adieu, liebes Kind.«

Nachdem er zwei oder drei Schritte zur Tür gemacht, sagte er: »Übrigens, brauchst du irgend etwas? Geld? – Brauchst du zufällig Geld? Ich werde dir morgen einen Scheck schicken. Ich habe genug für uns beide. Ich werde der Wirtin sagen, daß sie dir ein feines Weihnachtsdiner bestellt. Wie ist es mit Wein? Champagner ist ja da, weißt du, und auch Ale in Flaschen. Sherry? Ich will gleich ein paar Zeilen an meinen Weinhändler schicken, ich glaube, der Sherry geht auf die Neige.«

Ihr Gehörsinn war jetzt ebenso empfindlich verletzt, wie ihr Geruchsinn zuvor. Sie hätte nicht sprechen können, und hätte es ihr Leben gegolten. Er würde höchst erstaunt gewesen sein, zu erfahren, daß seine Fürsorge für ihr leibliches Wohl während seiner Abwesenheit nicht als eine Freundlichkeit von seiner Seite aufgefaßt würde, denn dergleichen ist doch entschieden sehr freundlich; und für wen anders, als für jemand, den er gern hatte, würde er die Flaschen gezählt haben, die er zu ihrer Verfügung zurückließ, ja, sich so weit darüber beunruhigen, daß die geringe Anzahl der Sherryflaschen in seiner Wirtschaft seine Gemütsruhe entschieden störte?

»Na, leb' wohl,« sagte er endgültig. Dann schloß sich die Tür.

Hätte Dahlia ihr Elend irgendwie simuliert, so würden sich jetzt ihre Augen sowohl, wie ihre Ohren positive Gewißheit über sein Fortgehen zu verschaffen gesucht haben. Aber wenn sie ihr Taschentuch entfernt hätte, so würde sich ihr ja der greuliche Anblick des Mittagstisches dargeboten haben, und der hatte sie schon zur Genüge leiden lassen. So blieb sie, wie sie war, sagte nur vor sich hin: »Ich bin tot,« und schwelgte in einem todesähnlichen Gefühl. Sie bemerkte kaum, daß sich die Tür noch einmal öffnete.

»Dahlia!«

Sie hörte ihren Namen aussprechen und zwar flehentlicher, mehr in ihrer Nähe.

»Dahlia, mein armes kleines Mädchen!« Ihre Hand wurde heftig gedrückt, aber es durchschauerte sie nicht.

»Ich bin tot,« wiederholte sie im Geist, denn die Berührung griff ihr nicht wie sonst ans Herz und ließ es schneller klopfen.

»Dahlia, sei doch vernünftig! Ich kann dich so nicht verlassen. Wir werden eine Zeitlang getrennt sein. Und was hast du hier für ein jämmerliches Feuer! Du warst doch selbst meiner Ansicht, daß es alles so am besten sei. Es ist wirklich schwer für mich! Ich tue, was ich kann, um dich zufr– glücklich zu machen, und wahrhaftig, – zu sehen, wie du dein Mittagessen kalt werden läßt! Deine Hände sind ja wie Eis! Das Fleisch wird gar nicht mehr zu essen sein. Du weißt doch, daß ich nicht mein eigner Herr bin. Komm, Dahlia, mein Liebling.«

Er ergriff sie sanft unterm Kinn und zog ihr das Taschentuch fort.

Dahlia stöhnte über das Enthüllen ihres vom Weinen entstellten Gesichts und wandte sich müde der Wand zu.

»Bist du krank, mein Lieb?« fragte er.

Männer sind immer so bedenklich praktisch. Er bat dringend um die Erlaubnis, zu einem Arzt senden zu dürfen.

Aber Frauen sind, wenn sie sich's einmal in den Kopf gesetzt haben, unglücklich zu sein, für keinerlei praktischen Trost zugänglich. Sie wies sein Anerbieten, zum Doktor zu schicken, mit einem Stöhnen zurück.

»Was kann ich denn sonst für sie tun?« dachte er naturgemäß und sprach es auch naturgemäß, aus.

»Sag mir doch adieu,« flüsterte er. »Und mein schönes Lieb wird mir schreiben. Ich werde so pünktlich antworten. Ich lasse sie gar nicht gern allein zu Weihnachten! Und sie wird mir mal eine Zeile italienisch schreiben und mal ein bißchen französisch – aber ja die Accents nicht vergessen! – und mit dem ekligen Deutschen braucht sie sich keine Mühe zu geben: kshrra-kruzzra-kratz! – das können ihre hübschen Lippen nun mal nicht, und darum wollen sie es auch nicht, nur französisch und italienisch! › La dolcessa d' amor dentro me suona‹. Weißt du noch, was wir zuerst für Spaß daran hatten? › Amo zoo‹, › no amo me?‹ mein süßes Lieb?«

Das war so ein Pröbchen der Baby-Liebhaber-Sprache, die zu ihrer Zeit ja gewiß ihren Reiz besitzt und einem liebenden Weibe jederzeit wie eine süße Liebkosung klingen mag, wenn sie nicht eben in Dahlias Lage ist. Selbst in dem Falle kann sie zweckdienlich sein, oder die Frau kann sie nachsichtig beiseite schieben, wenn sie ihr zur Zeit nicht gerade angebracht erscheint, aber die Worte müssen durchaus einfach und ungesucht herauskommen, sonst wird das armselige Machwerk durchschaut und seine Hohlheit erbittert zurückgewiesen. Eine solche Zurückweisung erfolgt wohl mit einem unaussprechlichen Gefühl von Herzweh, denn es handelt sich ja um die Sprache der Stunden, die dem Weibe die heiligsten seines ganzen Lebens waren, die jetzt heuchlerisch mißbraucht wird, um die Unglückliche zu blenden und sie in einen Traum von eitel Täuschung einzulullen. Handelt es sich um ein verworfenes Geschöpf, so mag es sich vielleicht dazu verstehen, trotz alledem darauf einzugehen, es wird seine Rolle in dem Possenspiel auf sich nehmen, allerhand Worte päppeln, schmollen und allerliebst das Mäulchen verziehen, so daß es den Anschein hat, als erständen die alten Tage aufs neue, und obschon beide Teile wissen, daß sie tot sind, wird der Zweck dennoch erreicht werden.

Aber Dahlias Gram war ein tiefgehender: ihr Herz war intakt. Sie gewahrte nicht einmal die Gelegenheit zu einem koketten Spiel, die sich ihr bot. Sie empfand die Hohlheit seiner Rede, nichts weiter, und sie sagte: »Lebe wohl, Edward!«

Er hatte sich auf ein Knie niedergelassen. Nun sprang er leichtfüßig auf: »Lebewohl, Liebling,« sagte er. »Aber erst muß ich sehen, daß mein Lieb sich an den Tisch setzt. So ein jämmerliches Mittagessen, wie sie da hat!« und er murmelte: »Bei Gott, ich fürchte, ich bekomme überhaupt keins mehr!« Seine Uhr bestätigte ihm, daß jegliches Mittagessen, was ihm im Klub bereitet sein möchte, verdorben sein würde.

»Schad't nichts,« sagte er laut und untersuchte betrübt das Roastbeef, während er überlegte, daß sein Gast im Klub inzwischen, da es eine Stunde später war, als die festgesetzte Mittagsstunde, zweifellos weggegangen sein würde.

Eine Minute lang etwa starrte er auf das klägliche Bild. Die Kartoffeln sahen aus, als hätten sie sich in ihrem eigenen Dampf das Leben genommen. Dann waren da gestowte Zwiebeln mit einer glasierten Oberfläche, gleich dem blanken Boden einer zinnernen Pfanne. Ein Stückchen Brot lag neben dem einsamen Teller. Weder kalt noch warm, hatte der Gesamtanblick des Mittagstisches etwas Abstoßendes, Ekelerregendes, durchaus nichts irgendwie Verlockendes.

Die Erwägung, an dieser Mahlzeit teilzunehmen, stattete ihn plötzlich mit einem Vermögen kritischer Wertschätzung ihr gegenüber aus und ein plötzliche Regung warmen Mitgefühls für das arme Ding, auf welches solche elende Gerichte warteten, hemmt den philosophischen Vorwurf, den er andernfalls einem Menschen gegenüber für angebracht gehalten hätte, der so wenig wußte, in welcher Weise jede Art Mittagessen zu behandeln sei. Er ging mit langen Schritten zum Fenster, schloß die Vorhänge, die er vorher auseinandergezogen hatte, klingelte und sagte:

»So, Dahlia – ich will mit dir essen, mein Lieb. Ich habe eben geklingelt, daß wir etwas mehr Licht bekommen. Es ist einem ganz frostig hier. Das Mädchen wird dich sehen, also nimm dich zusammen. Wo ist der Schlüssel zum Schrank? Wir müssen etwas Wein herausnehmen. Auf alle Fälle wird der Champagner nicht schal sein.«

Er begann eine Melodie gottergebener Resignation vor sich hinzusummen. Dahlia verharrte noch immer regungslos, aber eben bevor die Tür aufging, richtete sie sich schnell auf und saß zitternd, mit abgewandtem Gesicht auf dem Sofa.

Der Befehl, mehr Licht, Kohlen und Holz zu bringen, wurde gegeben. Als das Mädchen das Zimmer verlassen hatte, stand Dahlia auf, hielt sich an der Wand aufrecht und schwankte in ihre Stube.

»Armes Ding!« stieß der junge Mann hervor, nicht ohne die Überzeugung, daß diese Demonstration völlig unnötig sei. Denn in der Auffassung eines jungen Mannes ist alles, was inbezug auf eine Frau ausgesprochen unangenehm ist, auch durchaus nicht nötig, – im Gegenteil! Sind nicht die Frauen die Blumen, welche das Leben unter dem wechselnden Monde schmücken? Es ist wahrhaftig höchst peinlich zu entdecken, wie sie sich als eine Art Maschinerie entpuppen, die aus Mangel am rechten Ölen knarrt und festhakt und in Zuckungen zu geraten droht und tragisch wird und unsereins nach der verkehrten Seite hin in Aufruhr versetzt. Indes – Champagner tut ihnen gut: ein wunderbarer Wein, – ein unfehlbares Heilmittel für das ganze Geschlecht!

Er suchte nach den Schlüsseln, um eine Flasche zu bekommen und sie sogleich zu entkorken. Die Schlüssel lagen auf dem Kaminsims – ein schlechtes Zeichen für Dahlias hauswirtschaftliche Gabe, aber – mag es hingehen in der Eile. Er begrüßte froh die Kerzen und hatte bald alle Schränke des Zimmers königlich geöffnet.

Instinktiv setzt das menschliche Geschlecht Geschäftigkeit an Stelle der Gemütlichkeit. Er bestellte noch mehr Lichter, mehr Teller, mehr Gabeln und Messer. Er ließ Eis holen: das Mädchen erwiderte, das sei nur in einer ziemlich weit entfernten Straße zu haben. »Springen Sie in eine Droschke – Champagner ohne Eis ist nichts, selbst im Winter nicht,« sagte er und klingelte nochmals, als sie das Haus schon verlassen wollte, um ihr einen berühmten Fischhändler zu nennen, bei dem sie sicherlich Eis bekommen könne.

Die Pension begriff alsbald, daß Mr. Ayrton innerhalb ihrer Mauern zu speisen beabsichtige. Frische Kartoffeln wurden aufgesetzt. Die Wirtin selbst kam herauf, um das Feuer anzuschüren. Das Mädchen wurde eine Viertelstunde zwischen dem Auftrag, Eis zu holen und der Ausführung anderer, sofort zu erledigender Befehle, hingehalten. Einer derselben war der, Mrs. Ayrton ein Glas Champagner auf ihr Zimmer zu bringen. Er selbst goß auch eins hinunter. Als Mrs. Ayrtons Glas ihm unberührt zurückgebracht wurde, trank er auch das aus, und je animierter er wurde, um so mehr söhnte er sich mit ihr aus, so daß er, als sie erschien, ihre Hände ergriff und sie nur scherzend wegen der Verachtung zur Rede stellte, die sie einer so vorzüglichen Medizin habe angedeihen lassen und – trotz ihres Widerspruchs – erklärte, sie sähe entzückend aus, und so setzten sie sich zu Tisch, sie mit einem verzweifelten Blick in den Spiegel, während sie in ihren Sessel sank.

»Es ist übrigens nicht schlecht,« sagte er, indem er seinen Mundvoll saftlosen, halbkalten Fleisches mit Champagner hinunterspülte. »Die Sache ist die, die Klubs verwöhnen einen zu sehr. Dies ist spartanische Kost. Komm, trink mir mal zu, Liebste! Ein Schlückchen!«

Durch allerhand zärtliches Zureden bekam er sie schließlich dahin, ihr Glas zu leeren. Sie hatte ein weiches Herz und vermochte sichtlicher, lebhaft geäußerter Freundlichkeit nicht lange zu widerstehen. Ihm machte es Spaß, ihr in frisch aufsteigenden Perlen zuzutrinken, sie machten die Förmlichkeit mit allem Zeremoniell durch, und sie lächelte. Er machte Witze und lachte und erzählte, und sie blickte mit einem Anflug ihres süßen Lächelns zu ihm hinüber. Er bemerkte bald, daß sie nichts weiter bedürfe, als eine Wiederherstellung ihres Selbstgefühls und wagte, indem er sie funkelnden Auges ansah, ein kühnes Kompliment.

Dahlia ließ den Kopf sinken; sie glich in diesem Augenblick einer Jacht, deren schlaffe Segel von einem plötzlichen Windstoß, der sie mit dem Salzwasser in Berührung bringt, gefaßt werden; aber sie hob sofort ihr Gesicht wieder zu ihm empor, und nun lag der volle Reiz lieblichsten Errötens darauf: von diesem Moment an war wieder glatter Kurs.

»Hat mein Liebling seine Schwester gesehen?« fragte er sanft.

Dahlia antwortete in gleichem Tone: »Nein.«

Beide sahen weg.

»Sie wird die Stadt doch nicht verlassen, ohne dich aufzusuchen?«

»Ich hoffe – ich weiß nicht. Sie – sie ist zweimal in unserer früheren Wohnung gewesen.«

»Allein?«

»Ja, ich glaube wohl.«

Dahlia hielt den Kopf gesenkt, während sie antwortete, und sein Blick ging unsicher über sie hinweg.

»Warum schreibst du ihr denn nicht mal?«

»Sie wird Vater mitbringen.«

Ein Schluchzen erstickte ihre Stimme; ach, über ihn, daß ich einräumen muß, daß er, obschon er, während sie auf dem Sofa lag, scheinbar alle Möglichkeiten erschöpft hatte, um sie wieder zu sich zu bringen, wohl wußte, wie vollkommen seine Herrschaft über sie war, sobald er wirklich freundlich gegen sie war! Seine Furcht, sie könne in die alte Melancholie zurücksinken, war gering.

»Du kannst deinen Vater nicht sehen?«

»Nein.«

»Aber versuch's doch! Es ist wirklich das beste.«

»Ich kann nicht.«

»Warum nicht?«

»Nicht –«, sie hielt inne und faltete ihre Hände in ihrem Schoß.

»Ja, ja, ich weiß schon,« sagte er, »aber trotzdem! Du könntest ihn sicherlich sehen. Du erregst Verdacht, der gänzlich unnötig ist. Noch ein Glas, mein Lieb?«

»Nein, nicht mehr!«

»Nun, was ich sagen wollte, du zwingst ihn zu denken – und das ist doch ganz unnötig. Er mag in dieser Hinsicht so schroff denken, wie er will, aber was schadet denn eine kleine unschuldige Täuschung hie und da. Es gilt ja nur Zeit zu gewinnen. Du bringst mich da wirklich in eine höchst fatale Lage. Ich habe auch einen Vater. Und der hat so seine eigenen Auffassungen. Er ist ein stolzer Mann, wie ich dir gesagt habe, grenzenlos ehrgeizig, und es ist ihm darum zu tun, mich zu etwas zu bringen, nicht nur in der Juristerei, sondern auch hinsichtlich irgendeiner glänzenden Partie. Gegen all diese Ideen gilt es für mich Front zu machen. Es kann eben nicht alles auf einmal geschehen. Wenn ich ihm plötzlich die Pistole auf die Brust setze, – wir wollen uns die Folgen gar nicht erst ausmalen. Schreib' deiner Schwester, sie soll mit deinem Vater herkommen. Und wenn sie besondere Fragen stellen – was mir höchst unwahrscheinlich vorkommt – aber, wenn sie es tun sollten, na, dann beruhigst du sie eben.«

Sie seufzte.

»Warum war denn mein armer Liebling so außer sich, als ich hereinkam?« fragte er.

Das Sprechen wurde ihr schwer. Er wartete, indem er geduldig ein Stückchen Brot nach dem andern in seinen Fingern zerkrümelte, und endlich sagte sie:

»Meine Schwester ist zweimal da gewesen – in unserer alten Wohnung. Das zweite Mal ist sie in Tränen ausgebrochen. Das Mädchen hat es mir gesagt.«

»Aber Frauen weinen so leicht und beinah um nichts, Dahlia.«

»Rhoda weint mit festgeballten Händen und festgeschlossenen Augenlidern.«

»Na ja, das ist vielleicht so ihre Art.«

»Ich hab' sie nur einmal weinen sehen, und das war, als Mutter im Sterben lag und sie bat, ihr noch eine Rose aus dem Garten zu holen. Ich begegnete ihr auf der Treppe. Sie war wie aus Holz. Sie haßt Tränen. Sie hat mich so lieb.«

Tränen des Mitgefühls rollten über Dahlias Wangen.

»So, und du weigerst dich also bestimmt, deinen Vater zu sehen?« fragte er.

»Noch nicht!«

»Noch nicht,« wiederholte er.

»O Edward, noch nicht, ich kann es nicht. Ich weiß, daß ich schwach bin. Ich kann ihm jetzt nicht gegenübertreten. Wenn meine Rhoda allein gekommen wäre, wie ich hoffte! – Aber er ist bei ihr. Schilt mich nicht, Edward, ich kann es dir nicht erklären. Ich weiß nur, daß ich wirklich nicht die Kraft habe, ihn zu sehen.«

Edward nickte. »Für die Sentimentalität, die einige Frauen in alles hineintragen, gibt es keine Erklärung,« sagte er. »Dein Vater und deine Schwester werden wieder nach Hause reisen. Sie werden sich so ihre eignen Gedanken gemacht haben. Du weißt selbst, wie ungerecht dieselben sein werden. Indessen – wenn es dir Spaß macht, dich als Opfer zu fühlen – hm!«

Londoner Pensionszimmer im Winter, bei geschlossenen Vorhängen und einem trübe brennenden Feuer im Kamin oder mit zurückgezogenen Vorhängen, zwischen welchen die unfreundlichen Strahlen der Straßenlaternen die Bewohner grüßen, sind für ruhelose Geister kein angenehmer Aufenthaltsort. Edward schritt das Zimmer auf und ab. Er zündete sich eine Zigarre an und paffte verstimmt darauf los.

»Willst du noch auf eine Stunde mit in irgendein Theater kommen?« fragte er.

Sie stand gehorsam auf, weil sie sich fürchtete, zu sagen, sie glaube in dem aufdringlichen Licht sehr schlecht auszusehen, aber er erleichterte ihr ihren Entschluß durch seine schnelle Auffassungsgabe, indem er ihr das Kleid, das sie tragen sollte, die Juwelen, die Farbe des Theaterumhangs selbst bezeichnete. So angespornt ging Dahlia in ihr Zimmer und zog sich gehorsam an, dankbar dafür, daß er sie der ernsten Mühe einer Wahl ihrer Toilette überhoben hatte. Als sie wieder herauskam, fand Edward sie wunderbar schön.

Ein Jammer, daß sie so, gar keine Charakterstärke besaß und gar keine scharfe geistige Gewandtheit, um sich mit der seinen zu messen und mit ihr zu ringen und dadurch den häuslichen Herd anziehend zu machen! Aber schön war sie wahrhaftig. Edward küßte ihr die Hand zur Anerkennung. Obschon es in der Praxis langweilig war, daß sie so traurig war, standen die Farbe und der ganze Geist der Traurigkeit ihr doch vorzüglich. Der Kummer schmiegte sich an ihre sanft herabsinkenden Augenlider wie eine Schwester.


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