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Kapitel II. Queen Annes Farm

Mrs. Fleming hatte einen Bruder in London, welcher als kleiner Junge aus seinem kentischen Heim davongelaufen war und Zuflucht in einem Bankhause gefunden hatte. Welche Stellung Anton Hackbutt in diesem wohlrenommierten Geschäft bekleidete, welcherlei Einfluß er dort ausübte, waren Dinge, von denen niemand etwas wußte. – Tatsache war, daß er der Bank seit einer langen Reihe von Jahren angehörte und seiner Schwester einmal angedeutet hatte, er sei nicht gerade ein Bettler. Aus diesen Fakta folgerte der Bauer, daß ein Angestellter eines Londoner Bankhauses, der eigenes Geld besaß, die Mittel und Wege kennen gelernt haben müsse, es in Umlauf zu bringen, – gewissermaßen auf goldenem Grunde zu pflügen; folglich mußte sein Kapital sich inzwischen um eine recht stattliche Summe vermehrt haben. Was für ein Kapital? fragst du. Nun, wenn jemand jahrelang mit der unerschütterlichen Hingebung eines schöpferischen Geistes über einem Chaos brütet, so wird er es schließlich schon fertig bringen, das Konkrete aus dem Abstrakten heraufzubeschwören. Der Bauer sah allerlei rundliche Ziffern unter den Besitztümern seiner Familie und stand seinem Schwager wacker darin bei, goldene Berge zu türmen, er überzählte seine Gewinne, überwand seine Wagnisse, und beäugte den Haufen visionären Goldes mit so platonischem Interesse, daß es beinahe korrekt von ihm war, von Uninteressiertsein zu reden. Es gab zwischen den Schwägern ein Streitobjekt, einen Geldposten, der trennend zwischen ihnen stand: Wenn Anton es, auf eine Anfrage hin, abschlug, dem Bauern hundert Pfund zu leihen, so setzte dies böses Blut zwischen ihnen, das sie einander entfremdete. Gerade hundert Pfund fehlten daran, Queen Annes Farm zu einem blühenden Hof zu machen. Hätte man ihre Hypotheken um hundert Pfund entlasten können, so hätte die Farm ihrem alten Feinde, dem Taxator, siegreich widerstehen und einem Verjüngungsprozeß unterzogen werden können. Aber die Radikalen waren am Ruder, gaben Gesetze und erstickten die Landwirtschaft, und »ich hab' einen Geizhals zum Schwager«, sagte Bauer Fleming. Ja! hätte er nur die hundert Pfund im Rückhalt gehabt, dann hätte er säen können, was er Lust hatte und wann er Lust hatte, dann hätte er den launischen Wolken und ihren Schätzen ein Schnippchen geschlagen und auf seinem eigenen, geliebten Grund und Boden die Melodien gespielt, die er wollte. Statt dessen aber und mit dieser nur allzufesten Überzeugung, daß jene hundert Pfund seiner Tasche in jeder Hinsicht Unberechenbares eingetragen haben würden, stöhnte der arme Mann unter jedem anhaltenden Regen, und doch mußte er, so oft in der Kirche um Niederschläge gebetet wurde, mit der übrigen Gemeinde auf die Knie fallen und inbrünstig darum bitten. Wohl tat er es, doch mit bitteren Vorwürfen für Anton, auf dessen Konto er diesen ihm auferlegten Zwang schrieb.

Bei dem Tode seiner Schwester teilte Anton seinem hartbetroffenen Schwager mit, daß er nicht in der Lage sei, der Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. »Mein Platz ist ein Vertrauensposten,« schrieb er, »und ich bin unabkömmlich.« Doch erbot er sich freiwillig, die Hälfte der Beerdigungskosten zu tragen, wobei er eine Summe angab, innerhalb deren Grenzen das Ganze zu halten wäre. Es wäre unrecht, die Ursachen, aus denen die Handlungen eines Menschen, der unter der Prüfung eines großen Kummers steht, entspringen, kritisch zu sondieren, so mag denn des Bauers ärgerliche Zurückweisung von Antons Anerbieten mit Stillschweigen übergangen werden. In seinem Antwortschreiben bemerkte er, daß seiner Frau Beerdigung gerade so viel kosten solle, wie er für gut befände. Jegliche »Einmischung« verbat er sich wütend. Er hoffte, sein Schwager hielte ihn auch seinerseits »nicht für einen Bettler«, und es paßte ihm nicht, sich wie ein solcher behandeln zu lassen. Der Brief zeigte die markige Bauernfaust. Farmer Fleming erzählte seinen Kumpanen und dem Krämer in Wrexby, mit dem er ins Gespräch kam, er wolle seine verstorbene Frau ehren, und sollte es ihm seinen letzten Groschen kosten. Einen oder zwei Monate darauf munkelte man allgemein, er habe Wort gehalten.

Antons Erwiderung hierauf trug das Gepräge eigentümlicher Sanftmut. Er schrieb ganz unglücklich darüber, daß der Bauer seine Absicht entschieden mißverstanden habe. Augenscheinlich hatte sein unergründlich tief verankertes Gewissen eine Berührung erfahren. Er schrieb ein zweites Mal, ohne eine Antwort abgewartet zu haben, er erwähnte sogar gewisser Fonds, doch nur, um sie als »weltliche Dinge« beiseite zu schieben, er hoffte, daß sie sich dermaleinst im Himmel alle wieder begegnen möchten, dort, wo brüderliche Liebe sowohl wie Geld immer zur Stelle sei und nicht immer grad ein Haus weiter. Es war ein Wink eingeflochten, daß eine gelegentliche Einladung ihn freuen würde, ob er nun kommen könne oder nicht, denn Ferien seien eine kostspielige Sache, und Eisenbahnfahrten müßten zweimal überlegt werden, ehe man sie unternähme, auch wüßte man nie, wenn man seinen Posten einmal im Stich ließe, wer der Stellvertreter wäre. Er versprach nicht gerade, daß er käme, aber er gab offen zu, daß ihn die Aufmerksamkeit einer Einladung angenehm berühren würde. Daß Farmer Fleming zunächst Genuß darin fand, Antons Annäherungsversuch zu ignorieren, gereicht ihm eben nicht zur Ehre. Groll wird indes durch ein reumütiges Entgegenkommen weit eher genährt als beschwichtigt. Zudem dachte er vielleicht (da Weltklugheit und ein Hang zur Wiedervergeltung einander durchaus nicht immer ausschließen), daß Anton wohl noch etwas wärmer und entgegenkommender sein könnte, nun sein menschliches Gefühl einmal aufgewacht war. Spekulation ist meist ein gefährlich Ding, aber Bauer Fleming war in der verzweifelten Lage eines Mannes, den eine kleine Schuldenlast drückt, und der die ersten leisen Fußtritte der Gläubiger zu hören meint, ein Geräusch, das der ungeübten Phantasie so furchtbar ist, wie der nackte, fürchterliche Gedanke eines Bankerotts. Zudem war es ein so wunderlich Ding, Sanftmut bei Anton zu finden, daß sich danach alles von ihm erwarten ließ. »Woll'n doch 'mal seh'n, was er tun wird,« dachte der Farmer, während er zwischen seinen Zornausbrüchen Atem schöpfte, – und nur ein noch sehr junger Zorn gönnt sich dazu nicht einmal die Zeit. Man beobachte nur die Leidenschaften, sie sind alle mehr oder weniger intermittierend.

Wie sich alsbald zeigte, war seine Handlungsweise eine äußerst weise, denn schließlich schrieb Anton, sein Heim in London sei so unfreundlich, daß er beschlossen habe, sich eine freiere und geräumigere Wohnung zu nehmen, in welcher ihm die Anwesenheit einer verständigen jungen Haushälterin, die Lust hätte, London zu sehen und die Welt ein wenig kennen zu lernen, ganz angenehm sein würde. Sein Vorschlag ging nun dahin, eine seiner Nichten könne vielleicht diesen Platz ausfüllen, er schlug seinem Schwager vor, den Gedanken einmal in Erwägung zu ziehen und bat ihn, überzeugt zu sein, daß er jetzt und zukünftig der Freund seiner Familie sei. Dabei sprach Anton sehr salbungsvoll von den Versuchungen Londons. Wer hätte für möglich halten sollen, daß dieser Brief von einem alten, griesgrämigen Geizhals stamme? »Erzähle ihr nur,« schrieb er, »daß hier an jeder Straßenecke ein Stand mit Obst ist das ganze Jahr rund, daß hier Austern zu haben sind und Miesmuscheln, wenn sie die mag, – viel immergrüne Gewächse, eine Unmenge Bilder in den Läden, – immer was Neues zu sehen an Musselins und Seidenstoffen, daß man oben auf den Omnibussen fahren kann, alle möglichen umherziehenden Musikanten hören, und daß wir, wenn sie fürs Militär ist, mitunter mal einen Spaziergang machen wollen, um die Soldaten zu Pferde zu sehen.« Er machte sogar einen ganz fidelen Witz, als er auf die berühmte Garde-Kavallerie zu sprechen kam – Krieger, die nur so dasitzen auf ihren Pferden und sich anstaunen lassen, und denen das ganz egal ist, von wegen der famosen militärischen Zucht. »Blaue Garde-Kavallerie und rote Garde-Kavallerie,« schrieb er, »die blauen sind eben noch nicht gekocht.« Aller Wahrscheinlichkeit nach stammte dieser despektierliche Witz nicht von ihm selbst, aber immerhin erschien sein Charakter dadurch in einem ganz neuen Licht. Nun, wenn eins von den Mädchen hinsollte, so war natürlich Dahlia die gegebene. Der Bauer begann seiner Gewohnheit nach über dem Gedanken zu brüten. Es war unbestreitbar, daß die Klugheit gebot, dem fidelen, alten Geizhals einen von der Familie an die Seite zu geben. Andererseits hatte er Angst vor London, und Dahlia war außergewöhnlich hübsch. Er legte Robert die Sache vor, im Gedanken an die Andeutungen, die seine Frau gemacht hatte, und in der stillen Hoffnung, Robert würde seine mühevollen Erwägungen mit einem verliebten Wort zum Stillstand bringen und die Gelegenheit, sich zu erklären, beim Schopfe fassen. Robert indessen hatte keinerlei Erwiderung und schien gar nichts dagegen zu haben, daß Dahlia reise. Die einzigen Gegner der Sache waren Mrs. Sumfit, eine gutmütige, bescheidene Verwandte des Farmers, eine Witwe aus Sussex, eine rundliche, liebevolle Person, die im Hause die Wirtschaft besorgte, und Master Gammon, ein alter Mann mit den Augen einer antidiluvianischen Eidechse, der ihrem lauten Protestieren stumm beipflichtete, der langsamste alte Mann unter der Sonne, – eine Art Vorarbeiter auf dem Hofe, ehe Robert gekommen war und beide, ihn und den Bauern, in den Hintergrund gedrängt hatte. Master Gammon bemerkte ein für allemal mit Emphase, »er habe für London nie viel übrig gehabt«. Da er niemals in London gewesen war, wurde seiner Meinung nicht viel Wert beigelegt, aber als er sich weiter auf das Thema einließ, erschienen die Sünden und Vergehen der Metropole durch seine höchst mißbilligenden Schilderungen doch in recht eindrucksvoll düsterem Lichte. Weltklugheit und Dahlias Bitten trugen indessen doch schließlich bei dem Bauern den Sieg davon, und so reiste das schöne Mädchen in die große Stadt.

Nach Monaten einer Trennung, die wie ein Riß durch ihr Innerstes ging, und als der Trost, der in Briefen zu liegen pflegt, nicht mehr ausreichen wollte, erhielt Rhoda eines Tages, nachdem sie zuvor, ohne zu begreifen, warum, zum Schweigen verpflichtet war, ein Miniatur-Gemälde von Dahlia, so schön, daß ihr Neid auf London, welches ihr die Schwester festhielt, in Dankbarkeit zerschmolz. Sie hatte Erlaubnis, das Bild eine Woche lang zu behalten; es war unmöglich auszuhalten, es Mrs. Sumfit nicht zu zeigen, welche es andächtig betrachtete, und unausbleiblich, daß es in überquellendem Gefühl reichlich mit Tränen benetzt wurde. Sie erkundigten sich nicht danach, weswegen es geheim zu halten sei, wahrscheinlich lag in dem Geheimnisvollen ein Reiz mehr. Es gab neue Tränen, als das Bild wieder eingepackt und fortgeschickt werden mußte. Rhoda dachte fortan in einer zarten Scheu an die ihr neue Veredlung in Dahlias Zügen, und ihr Herz flog ihrem Onkel entgegen, der es sich angelegen sein ließ, das liebliche Gesichtchen so zu schmücken.

Eines Tages stand Rhoda an ihrem Schlafstubenfenster und war eben im Begriff, hinunterzugehen und es mit den täglichen Klößen aufzunehmen, dem unausbleiblichen und hauptsächlichen Mittelpunkt des Mittagessens des Hauses, als sie einen Fremden sich an dem Türgriff der eisernen Pforte zu schaffen machen sah. Ihr schlug das Herz. Sie erriet sofort, daß es der Onkel sei. Dahlia war jetzt schon monatelang fort, und Rhodas immer wachsende Ungeduld entsprang einer inneren Überzeugung, es müsse demnächst ein intimeres Lebenszeichen von ihr kommen, als Briefe zu gewähren vermögen. Sie lief die Treppe hinunter und den Kiesweg entlang. Es war ein kleiner, untersetzter Mann, von dürrem, zähem Aussehen, offenbar in seinem Sonntagshabit, ganz schwarz, mit schwarzen Handschuhen, obschon es ein Tag vorm Sonntag war.

»Darf ich Ihnen helfen, Herr?« sagte sie, und ihre Hand berührte die seine und empfand einen leichten Druck.

»Wie geht es meiner Schwester?« Alle Angst zu fragen, war verschwunden.

»Na, laß mich erstmal hinein,« antwortete er in der Art und Weise eines neckischen Jünglings. »Ihr seid so fest eingeriegelt, als wenn ihr vor allen Dieben in London Angst hättet. Bist doch nich bange vor mir, Fräuleinchen? Kann dir sagen, ich bin nich so einer, der lange draußen vor der Festung 'rumflankiert, ich bin von der Sorte, die zupackt, hab' 'n Löwenmut, wenn ich weiß, das Gesetz steht mir bei.«

Er sprach mit einer komischen, keuchenden Stimme, als wenn eine zerbrochene Flöte sich mit einem schlecht geharzten Fiedelbogen zusammentäte.

»Du bist im Garten von Queen Annes Farm,« sagte Rhoda.

»Dann bist du wohl meine hübsche, kleine Nichte, was? ›Die dunkle Deern,‹ wie dein Vater sagt. ›Klein,‹ was sag' ich! Brauchst dich ja nicht zu schämen, neben 'nem Grenadier zu stehen. Wahrhaftig, famoses Land, das so feine Mädels hervorbringt!«

»Also du bist Onkel Anton?« sagte Rhoda. »Sag mir, wie's meiner Schwester geht. Ist sie ganz glücklich? Geht's ihr gut?«

»Dahly?« gab der alte Anton langsam zurück.

»Ja, ja, meine Schwester!« Rhoda sah ihn mit angstvoller Spannung an.

»Na, brauchst keine Angst zu haben um deine Schwester Dahly.« Während er sprach, heftete der alte Anton seine kleinen braunen Augen fest auf das Mädchen und schien augenblicklich in tiefes Sinnen verloren. Eine Frage rief ihn wieder zu sich selbst.

»Ist sie gesund?«

»Gewiß! Magen is' gut, und Kopf is' gut, Lungen, Gehirn, alles gut! Ein büschen schwindlig is' sie manchmal, – das is' aber auch alles.«

»Schwindlig? Im Kopf?«

»Ja, und so in der Stimmung. Aber da mach' dir man weiter keine Sorgen um. Du siehst ja aus, als ständ'st du ganz gut auf deinen Beinen. Du bist was für mich, glaub' ich!

»Aber, meine Schwester« – sagte Rhoda gerade noch einmal, als der Bauer heraustrat und von der Schwelle her grüßte.

»Bruder Toni!«

»Ja, da is er, Bruder William John!«

»Wirklich, ja, da ist er endlich!« Der Bauer kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.

»Hoffentlich nicht zu spät, was?«

»Es ist nie zu spät – zum Bessermachen,« sagte der Bauer.

»Was denn besser zu machen? Meine Manieren? was?« Anton versuchte den scherzhaften Ton festzuhalten, und so kamen sie über ein gewisses Unbehagen hinweg, das beide nach so vielen Jahren und so mancherlei Differenzen fühlten.

»Schon mit Rhoda Bekanntschaft gemacht, wie ich seh',« äußerte der Bauer beim Hineingehen.

»Deine dunkle Deern, wie du schriebst. Wie 'ne Kohle beim Licht is sie. Ganz wie du schriebst. Das Gegenstück zu ihrer Schwester. Ja, wir haben schon ein bißchen geschwatzt.«

»Kommst gerade recht zum Mittagessen, Bruder Toni. Wir haben nicht viel, aber was da ist, bieten wir dir gern an. Einen Augenblick, Schwager.«

Der Bauer führte Anton einen Augenblick außer Hörweite, fragte ihn etwas und erhielt eine Antwort, worauf die Spannung in seinen Zügen nachließ. Doch sah er so etwas perplex aus und nickte ein paarmal nachdrücklich mit dem Kopfe, wenn Anton den seinen gelegentlich hob, als wolle er gewisse Punkte der flüsternd gegebenen Auseinandersetzung auf die Weise bestätigen. Es war, als stelle ein Schuldner seinem Gläubiger in aller Bescheidenheit seinen Fall dar und könne nur hie und da Mut genug zusammenraffen, um den auf ihm ruhenden kritischen Blick zu begegnen. Auf Mrs. Sumfits Ruf, daß die Klöße auf dem Tisch ständen, gingen sie hinein. Der alte Anton verbeugte sich, als der Farmer seinen Namen nannte, und man setzte sich zu Tisch. Aber es war ein Unterschied zwischen dieser Mahlzeit und den sonstigen, an die die Hausgenossen gewöhnt waren, man machte Konversation.

Der Farmer fragte Anton, auf welchem Wege er hergekommen. Anton gab umständlich, aber nicht ohne ein gewisses Selbstgefühl zur Antwort, er habe zunächst den Zug benutzt, sei dann an der Station mit einem Droschkenkutscher ins Gespräch gekommen, der ihm geraten hätte, einen Platz auf einem Wagen zu nehmen, der nahe an Wrexby vorüberführe. Er hätte ihm ein Glas Bier gegeben, und dafür hätte der ihm mit dem Fuhrmann bekannt gemacht, und dieser hätte ihn für einen Schilling fünfzehn Meilen mit entlang genommen und eine Stunde von hier abgesetzt. Das wär' ganz nett gewesen.

»Zu Haus geschlachtet, Bruder Toni,« sagte der Bauer mit einem gewissen Stolz, und bot dem Schwager das Pökelfleisch.

»Zu Haus gebackenes Brot auch, Bruder William John,« sagte Anton, der ganz munter wurde.

»Ja, und eigengebrautes Bier, wie man's denn eben hat.« Der Bauer trank und seufzte.

Anton kostete das Bier und bemerkte: »Gutes Bier, und nicht teuer.«

»Ist jedenfalls nicht verfälscht. Wenn man so liest, wie das Bier in eurem London ist, denn ist dies nicht schlecht. Man muß sich bloß immer sagen: 's ist rein'. Rein, das ist mein Motto. Rein, wenn auch klein!«

»Ja, da bei uns bezahlt man sein gutes Geld für schieres Gift,« sagte Anton. »Was tu ich also? Trinke Wasser und danke vielmals, das ist das Klügste.«

»Schont Magen und Börse.« Der Bauer legte ein klein wenig Nachdruck auf »Börse«.

»Ja, ich rechne so, drei Groschen den Tag spar ich allein an Bier«, sagte Anton.

»Und dreimal sieben macht einundzwanzig.« Das sagte Mr. Fleming und machte eine kleine bestürzte Bewegung mit seinem Ellbogen, als Anton den Gedanken aufnahm, »Und zweiundfünfzig mal einundzwanzig?«

»Ja, ja, das macht, das macht – na, was macht das, Mas' Gammon,« fragte der Bauer, sich räuspernd.

Master Gammon war eifrig und beharrlich dabei sich mit Klößen vollzustopfen. Er hielt einen Augenblick in seiner Anstrengung inne, um sein Hirn mit dieser unerwarteten Last zu beschweren, aber er schob sie gleich wieder beiseite.

»Kann nich denken, wenn ich eß'. Konnte nie recht mit den dummen Zahlen. Weiß ich nich'.«

»Ach was, Alter, du bist wie ein Pferd, das nie unter dem Sattel gegangen. Versuch's noch mal,« sagte der Bauer.

»Wenn ich meine Karre man zieh', brauch' ich nich' über 'n Zaun zu springen,« gab Master Gammon zurück.

Der Bauer fühlte, daß er in dem Gleichnis den Kürzeren zog, und mit einer Art Angst, wie sie ein Junge vor seinem Lehrer fühlt, hielt er sich Anton noch weiter vom Hals, indem er fortfuhr Master Gammon mit dem arithmetischen Problem zu hänseln, bis der alte Mann, zur Verzweiflung getrieben, heraus donnerte:

»Wenn ich für euch arbeite, Bauer, so brauch' ich noch lange nich' für euch zu denken!« Daraufhin ließ man ihn in Ruh.

»Na, Robert?« schob der Farmer die Frage weiter. »Man los! Was macht das?«

Robert bat um einen Augenblick Bedenkzeit, während Anton ihn mit Habichtsaugen beobachtete.

»Ich will Ihnen sagen, was das macht, fünf Pfund macht das!« sagte Robert.

Das kitzelte Anton, der ihn mit dem Ausruf losließ. »Famos! Ja, das macht Goldstücke in der Tasche, Herr, das haben Sie fein ausgerechnet. Ja, woll'n wir mal sagen fünf Pfund? Na, und die fünf auf Zinsen gelegt und Zinseszinsen dazu, – bald sind da noch fünf; und wenn man's mit denen ebenso macht: in zehn Jahren – na? da kommen Sie zu Zahlen, na, ich sag' bloß, da schwimmen Sie rein in Zahlen!«

»Na, also das tust du, glaub's schon!« sagte der Bauer mit einem schlauen Lächeln.

Anton fing das Lächeln auf, schwieg und sah plötzlich ganz zugeknöpft aus, dann reichte er, um seine Verwirrung zu verbergen, seinen Teller Mrs. Sumfit hin, um sich noch etwas auffüllen zu lassen. Dies augenscheinliche Ausweichen und das stillschweigende Zugeben, das in dieser Bitte um »noch einen Kloß, Madamchen«, lag, erfüllte den Bauer mit heimlichem Entzücken.

»Wenn Sie mir erst alles über meinen Liebling erzählt haben, Herr,« meinte Mrs. Sumfit schmeichelnd.

»Nach Tisch, Mutter, nach Tisch,« sagte der Farmer.

»Also müssen wir darauf warten, bis all die Klöße auf sind?« rief sie mit einem kläglichen Blick auf Master Gammons Teller.

»Nach Tisch wollen wir uns sprechen, Mutter.«

Diese Zurückhaltung machte Mrs. Sumfit Angst, daß irgend etwas mit Dahlia nicht in Ordnung sei, aber darum verlangte es sie nicht weniger davon zu hören, und immer wieder warf sie einen jämmerlichen Blick auf Master Gammons gemächliches Verfahren. Der Veteran stopfte und stopfte ruhig weiter. Immer aufs neue hatte er einen tüchtigen Mundvoll auf die Zinken seiner Gabel gespießt. Master Gammon war als ein bedächtiger Esser immer der Letzte bei Tisch, und es hatte offenbar einen steten, prickelnden Reiz für ihn, Mrs. Sumfits Ungeduld täglich gegen Ende der Mahlzeit damit aufzuziehen, noch ein kleines Extra zu den ungeheuerlichen Massen zu fordern, deren er Herr geworden. Er sah sie unbeweglich an, mit dem Blick eines wiederkäuenden Ochsen auf dem Felde und sagte, indem er ihr seinen Teller hinhielt, mit der Ruhe eines ausgezeichneten Gewissens: »Sie machen sie so gut, Madam.«

Und so ärgerlich Mrs. Sumfit war, so war sie doch für das Kompliment und für die praktische, nachdrückliche Wertschätzung ihrer Leistungen niemals unempfänglich.

»Ich will Sie gewiß nicht hetzen, Master Gammon,« sagte sie, »Gott weiß, ich freu' mich immer, wenn ich sehe, wie es Ihnen und allen schmeckt, aber wo ich alles von meiner Dahly hören soll, – ist es so, als hätt' ich Stecknadeln im ganzen Körper, ja, so is' es! Und da in London is' meine Süße,« fuhr sie fort, »und, rein' gar nix weiß man von ihr. Und da sitzt einer und kann einem alles erzählen. Nun, ich hab' aber auch nie gewußt, wie langsam das so mit die Klöße gehen könnte!«

Der Kessel auf dem Herde summte leise. Alle anderen Messer und Gabeln waren still, alle Zungen desgleichen. Master Gammon aß, und der Kessel summte. Zweimal stieß Mrs. Sumfit ein verzweifeltes: »O Herrjeh!« hervor, aber es war nutzlos. Keine menschliche Macht hatte Master Gammon jemals zu irgendeiner heftigen Demonstration oder zu irgendeiner Beschleunigung der Gangart, die ihm nun mal paßte, getrieben. Endlich konnte sie sich nicht mehr halten und rief beinahe weinend:

»Wann in aller Welt sind Sie denn mal fertig, Master Gammon?«

Auf diese pointierte Anrede hin legte Master Gammon Messer und Gabel nieder. Er schlug seine schweren, schläfrigen Augenlider zur Hälfte auf und antwortete:

»Wenn ich meine Knöpfe fühl', Madam.«

Danach nahm er sein Werk mit unverminderter Gemütsruhe wieder auf.

Mrs. Sumfit fiel wie gebrochen in ihren Stuhl zurück.

Aber selbst Klöße, so hartnäckig sie sind, müssen sich endlich dem unwiderstehlichen Schritt der Zeit fügen und verschwinden. Master Gammons Teller war leer. In der Schüssel war noch ein halber Kloß nach. Der Bauer und Rhoda, denen ein Unterlassen wie ein Mangel an Gastlichkeit vorgekommen wäre, nötigten ihn, den letzten kümmerlichen Rest zu nehmen.

Der rachsüchtige Alte, der so fest und feist war, wie Klöße und Knöpfe vereint ihn machen konnten, lehnte in bekümmertem Tone ab und ging fort ohne jemanden anzusehen. Mrs. Sumfit wandte sich an alle anderen und bat sie, doch nur zu sagen, was sie mehr hätte tun können, um Master Gammon gefällig zu sein. Gerade als Anton bereit war, von ihrer Dahlia zu sprechen, warf sie mit höchst bekümmerter Miene diese Frage auf. Der Bauer forderte Robert freundlich auf, eine Pfeife mit ihnen zu rauchen. Rhoda schob ihm einen Stuhl hin, aber er dankte beiden und sagte, er habe auf dem Felde zu tun und könne sich nicht aufhalten. Sie dachte, daß er sich fürchtete, Dahlias Namen zu hören, weil es ihm weh täte und blickte ihm mitleidig nach.

»Macht der junge Mensch seine Sache ordentlich?« fragte Anton.

Der Bauer lobte Robert als einen fixen Kerl, doch habe er Raupen im Kopf, habe so seine eigenen Ideen über die Landwirtschaft, und von denen sei er nicht abzubringen, »er ist immer höflich, aber ich weiß nicht, es ist immer so, als dächte er, er verstände alles doch noch mal so gut, als wir aus der alten Schule. Na, so sind ja wohl die jungen Leute heutzutage. Den alten Master Gammon hält er immer zum Narren, lacht ihn einfach aus, den alten Kerl. Na, und das schickt sich doch nicht. Gammon weiß ja nich' viel davon, von der neuen Mode mit dem Schaffüttern und all den verdammten Unsinn mit Melonenzucht und so 'n Krimskrams. Aber Robert is' doch man'n Anfänger. Und was er weiß, das hat er von mir, der dumme Bengel. Bloß frag' ich mich immer, wie kommt er zu all die neumod'schen Ideen, wenn sie doch gerade das Gegenteil von meinen sind? Wenn sie das Gegenteil von meinen sind, dann sind sie doch auch das Gegenteil von das, was ich ihm gelernt hab'. Na, und was is' da denn viel mit los? Und das kann er nich' einsehn. Aber bei der Arbeit is' er gut. Da läßt sich nichts von sagen!«

Und der alte Anton gab Rhoda einen Klaps auf die Schulter.


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