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Kapitel I. Die kentische Familie

In Kent finden sich noch Überreste echten Bauernblutes, das in steifen, biedern, unaufdringlichen Männern und in äußerst stattlichen Frauen zutage tritt. Man unterscheidet dort noch aufs genauste zwischen kentischen Frauen und Frauen aus Kent, wie einem jede Matrone aus dem Südosten auseinandersetzen wird, die das Glück genießt, jenem bevorzugten Teile der Grafschaft anzugehören, in welchem das zartere Geschlecht Mannestaten verrichtete. Gegen was für glücklose Häupter sich solche gerichtet haben mögen, darüber erfahren wir indessen nichts, und wenn die geschwätzige Überlieferung diesem Punkt gegenüber diskretes Schweigen wahrt, wie sollte die strenge Muse der Geschichte sich irgendwelchen Vermutungen darüber hingeben. Anzunehmen dürfte wohl sein, daß es sich dabei um Sachsen gehandelt hat, weil so viel Wesens daraus gemacht wird, sie gebrochen zu haben.

Meine einfache Geschichte handelt von zwei kentischen Jungfräulein und zieht sich von einem Heim voller Blumen, durch Regionen, in denen Blumen nur spärlich und kümmerlich gedeihen, nach solchen, wo die Blumen, welche einen süßen Duft aushauchen, in tödlichem Feuer bewährt worden sind.

Mrs. Fleming von Queen Annes Farm war die Frau eines in der Grafschaft angesessenen Bauern. Beide waren von gutem kentischen Schlag, trotz gewisser Abweichungen innerhalb der Rasse. Der Bauernhof verdankte seinen Namen einer Überlieferung, die er mit manchen anderen Höfen innerhalb eines gewissen Umkreises der Metropole teilte, wonach die prähannoversche hohe Frau den Platz ihrerzeit zu einem Erholungsaufenthalt für ihre königlichen Kleinen benutzt haben sollte. Es war ein viereckiges, dreistöckiges Gebäude aus rotem Ziegelstein, von Wind und Wetter rissig und fleckig geworden, an dessen einer Wand der Efeu in dichten Massen hinaufkletterte und in triumphierender Fülle das Dach krönte. Malerisch konnte man das Haus kaum nennen. Vielmehr hatte es manch einen durch seine Ähnlichkeit mit einem rotröckigen Grenadier frappiert, der, im Dienst verwittert, fest genug, aber nicht eben mit besonderem Wohlbehagen auf seinem Posten steht. Eine hohe, teils aus Feldsteinen, teils aus Ziegeln errichtete Mauer schloß den Hof ein, sie war rings mit grauen Flechten und bräunlichen Tuffs bärtigen Mooses überwuchert, die von der Berührung mancher Winde und Regenschauer Zeugnis ablegten. Zerstreute Massen bleichen Grases, Goldlacks und rankenden Steinbrechs hingen über eine Mauer herab, und der Efeu schoß hie und da eine Ranke auf den Weg hinaus. Es hieß, daß das große eiserne Tor einstmals von dem königlichen Wappen bekrönt gewesen wäre, doch war dies verschwunden, sei es mit der Familie, sei es vor dem Zeichen herannahenden Rostes. Denn Rost überzog alle seine Gitterstäbe, blickte man aber zwischen diesen hindurch, so gewahrte man die jugendfrische Pracht eines Gartens, der seinesgleichen suchte, und der von dem Geschick einer ordnenden, arbeitsamen und gewandten Hand Kunde gab.

Der Garten stand unter Mrs. Flemings Obhut. Auf seinen üppigen Beeten stand, wie sich ein Dichter ausdrücken würde, die Freude ihrer Liebe geschrieben. Sie hatte die poetische Passion für Blumen. Vielleicht würde man heutzutage zu ihrem Geschmack die Achseln zucken. Sie fröhnte einer altmodischen Vorliebe für Tulpen. Auf einem mit Tulpen umsäumten Kiespfade, die bald in einem natürlichen heißen Rot erglühten, bald künstlich gesprenkelt waren, erreichte man das Haus. Sie mochte gern einen ganzen Hümpel Farbe, und als Dahlien in unsern Gärten aufkamen, hing sie ihr Herz an Dahlien. Dank ihrer Sorgfalt erhielt die eifrige Frau auf einer Blumenausstellung einen Preis für eine ihrer Dahlien, und »Dahlia« war der Name, auf den ihre älteste Tochter getauft wurde, worüber das ganze Kirchspiel von Wrexby so lange lachte, wie sich der Spaß nur irgend in die Länge ziehen ließ. Man lachte auch, als Mrs. Flemings zweite Tochter den Namen Rhoda erhielt, aber das hielt nicht solange vor, weil man wußte, daß sie sich mehr dem einsamen, nachdenklichen Bibellesen ergeben und ihre Gedanken mehr den ewigen Blumen zugewandt habe. Landleute haben nicht viel Auffassung für das Hervorkehren irgendwelcher Leidenschaft, sei es, wofür es auch sei. Ihnen kommt eine solche ebenso aufdringlich und ärgerlich vor, wie größeren Gemeinden das Genie. Jahrelang war Mrs. Flemings Benehmen einfach ein Gegenstand des Dorfklatsches, und man verzieh ihr öffentlich ihre kleinen Eitelkeiten, bis der trügerisch wohlhabende Anstrich, den ihre Arbeit dem Hauswesen verlieh, das erzwungene Eingeständnis nicht länger verbergen konnte, daß Armut im Hause sei. Da wurde den Augen Wrexbys der durchgestoßene Ellbogen so aufdringlich sichtbar, daß man die Schönheit des Gesichtes darüber zu würdigen vergaß.

Zudem hatte die Kritik allerhand an ihrer Vorliebe für große Mohnblumen auszusetzen. Sie wollte und wollte ihre Sorgfalt an Mohn verschwenden, und man erzählte sich, sie hätte gesagt, so lange sie lebe, sollten ihre Kinder auch ordentlich zu futtern haben. Prunkendes Unkraut in einem ehrbaren Garten zu pflegen, war ein Indizium eines moralischen Mangels, wie er durch den von ihr geäußerten Vorsatz, ihren Tisch mit reichlichen Nahrungsmitteln zu versorgen, einerlei von wo und auf welche Weise sie dahin kämen, gründlichst bestätigt wurde. Die Begründung, durch welche sie, wie man sich erzählte, ihrem strikten Vorsatz einen Rückhalt zu geben suchte, war so ein recht ärgerlicher: unwiderleglich in der Theorie und gänzlich aller Prinzipien bar in der Praxis. Sie sagte nämlich: »Gutes Brot und gutes Fleisch und genug von beidem, das macht gutes Blut; und meine Kinder sollen stämmig sein.« Das ist eine Parole, wie eine fremdländische Prinzeß oder ein Sklavenhalter sie ausgeben könnte, aber das englische Wrexby in seinem schwerblütigen Temperament verlangte ein Äquivalent für sein Rindfleisch und die mannigfaltigen Nahrungsmittel, welche die hungrigen Kinder der gebieterisch dekretierenden Frau konsumierten. In der Praxis zeigte es sich willfährig, denn es hatte sich einmal daran gewöhnt, ihr zu liefern, was sie brauchte. Blieb die Zahlung auch lange im Hintertreffen, so galt doch dies Hintertreffen als kein verlorener Posten, denn Mrs. Fleming besaß, ohne es zu wissen, ein wichtiges Geheimmittel, mit welchem sie die Hüter ihres Kredits meisterte: Sie hatte ein unfehlbares Gedächtnis und eine absolute Anerkennung auch für die allerfernliegendsten ihrer Schulden, so daß es schien, als sei sie nur immer ein klein wenig spät und nur in der Theorie außergewöhnlich querköpfig. Somit half Wrexby willig dazu, ihre Kinder stämmig aufzuziehen, und wären nicht alle Menschen, mit Ausnahme von Künstlern, Poeten und Novellisten, der Größe ihrer eignen Schöpfungen gegenüber so mit Blindheit geschlagen, die Einwohner dieses kentischen Dorfes hätten sich einem erfreulichen Stolz auf die Schönheit und die derbe Anmut dieser jungen Mädchen hingeben dürfen, – waren sie doch blondlockig und schwarzhaarig, ein verwandter Gegensatz, anzusehen wie Feuer und Rauch. In Gestalt, Haltung und Ausdruck waren sie, um mich der wohlrednerischen, modernen Art der Lobpreisung zu bedienen, ihrem Stande weit überlegen. Sie schritten aufrecht daher, wie Geschöpfe, die sich auch eines rein animalischen Stolzes nicht schämen, der nie ganz weit von dem Stolz vollentfalteter Schönheit entfernt ist. Sie trugen sich stattlich, wie junge Orientalinnen, deren Kopf ein edles Gleichgewicht behauptet, weil sie gewöhnt sind, den Krug vom Brunnen zu tragen. Die dunkle Rhoda hätte als Rahel gelten können, und Dahlia nannte sie Rahel. Sie warfen einander gegenseitige Komplimente zu, die dem Buch, das ihre Hauptlektüre bildete, entstammten. Königin von Saba war Dahlias Titel. Kein Meister der Kallisthenie könnte sie besser trainiert haben, als es das Rezept ihrer Mutter für gute Blutmischung, vereint mit einer gewissen Harmonie in ihrem ganzen System getan hatte, noch hätte irgendeine Schulmamsell sie eine korrektere Ausdrucksweise lehren können. Das Charakteristikum für Mädchen, die eine Neigung haben, über ihren Stand hinauszuwachsen, ist ein hungriger Nachahmungstrieb, und Phrasen und Redewendungen hochkorrekter Leute, wie des Herrn Pfarrers und seiner Frau Gemahlin, der Menschen aus ihren Geschichtenbüchern, besonders der höfischen französischen Märchenbücher, in denen die Prinzen in gerade so zierlich abgerundeten Perioden reden, wie es den zarten, seidenen Einbänden entspricht, fast mit Engelzungen, ein Vorbild für alle gewöhnlichen Sterblichen, blieben ihnen im Gedächtnis, sie summten sie immer wieder vor sich hin, und nach und nach gingen sie ihnen in den eignen Wörterschatz über.

Die leiseste Andeutung von Liebe auf den Lippen gewöhnlicher Sterblicher, forderte Dahlias Spottlust heraus, und die Jünglinge von Wrexby und Fenhurst hatten ihren heimlichen Prinzen Florizel gegenüber keine Chancen. Mit Schäfertugenden schmückte sie diese nicht aus; im Gegenteil, solche reine, junge Herren gäbe es, meinte sie, nur in der großen, mystischen Stadt London. Natürlich träumten die Mädchen von London. Um sich zu bilden, schrieben sie ganze Seiten aus einem Buch aus, welches »das Marsfeld« hieß und unter den Bänden der kleinen Bibliothek ihres Vaters der Bibel an Umfang fast gleichkam. Die Taten, welche die Helden dieses Buches vollbrachten, assimilierten sich in ihrer Phantasie mit den Reden der Märchenprinzen, und wenn sie die Söhne der Müller, Pächter, Malzbauern und Krämer musterten, stieg als frühreife Besorgnis der Gedanke in ihnen auf, welcher Art Jünglinge sich wohl dereinst um sie bewerben möchten. Rhoda beunruhigte sich hierüber im Alter von fünfzehn Jahren aufs höchste, dank der Gewohnheit ihrer Schwester, ihre eigenen, trübseligen Ahnungen hinsichtlich dieses Gegenstandes, hinter dem Vorwand ständiger Sorge über der Schwester traurige Chancen zu verbergen.

Was die Kleidung betraf, so war darin die Frau Pfarrer von Wrexby ihr Vorbild. Und einst erschien die blendende Vision einer wunderschönen Dame in Squire Blancoves sonst immer leerem Kirchenstuhl. Sie erfuhren, daß sie eine Cousine seiner Frau sei, eine Witwe, namens Mrs. Lovell. Während des ganzen Gottesdienstes sahen sie zu ihr hinüber, und ganz entschieden hatte die Dame sie auch wieder angesehen; und dieser Blick blieb, obschon sie durchaus nicht begriffen, warum, lange in ihrer Erinnerung haften, und oft, wenn Dahlia später, ihrer Gewohnheit nach, beim Einnehmen ihres Platzes die Augen eine Zeitlang schloß, versuchte sie sich ihr eigen Bild heraufzubeschwören, wie es sich der Dame in perlgrauer Seide, mit der lila Sammetmantille und dem grünen, rosengarnierten Kapottehütchen gezeigt haben mochte, und das Bild, welches in ihr aufstieg, hielt sie viele Jahre lang als ihr eigenes Bild fest.

Mrs. Fleming focht ihren Kampf mit einer ihrer Landsmänninnen würdigen Entschlossenheit und mit so gutem Erfolg, wie er sich unter der Bürde eines stets verzagten Gatten irgend erringen ließ. William John Fleming war eben ein armer Bauer, für den sich das Räderwerk der Welt zu schnell drehte, – ein robuster Mann, der augenscheinlich nicht leicht totzukriegen war, ob ihm die Wunde auch tief ging. Seine Gesichtsfarbe war trotz mancher Falten und Runzeln eine blühende, und seine großen, ruhig dreinblickenden Ochsenaugen, die niemals verrieten, was hinter ihnen vorging, offenbarten nur selten, daß sie dem, was sie sahen, irgendwelche Bedeutung entnähmen. Bis ihm sein Weib genommen wurde, bildete er sich ein, daß er ein mächtig Kreuz an ihr zu tragen habe, aber da er ein Mann von wenig Worten und von Natur gutmütig war, hatte sie den Trost, sterben zu dürfen, ohne dessen gewahr zu werden. Dies sein Kreuz verkörperte sich ihm in der Auffassung, daß sie himmelschreiend extravagant sei. Der Anblick seines reichlich gedeckten Tisches schnitt ihm ins Herz, und obschon er seinen Sprößlingen nichts mißgönnte, was er bezahlen konnte, waren ihm die hungrigen Münder allzeit ein betrüblicher Anblick. »Machst sie bloß fett und lecker,« damit pflegte er seines Weibes Argumenten über Brot und Rindfleisch entgegenzutreten.

Doch klagte er nicht. Kam es einmal zu einer Auseinandersetzung, so begnügte er sich damit, aus einer sicheren Ecke seine Prophezeiungen darein zu geben und seiner Frau vorzustellen, was davon kommen werde, wenn ihre Kinder Leckermäuler würden. Er konnte nicht leugnen, daß Brot und Rindfleisch blutbildend wären, noch daß sie billiger seien, als Portwein, den die Doktoren dieser oder jener zarten Person in der Nachbarschaft zu verschreiben pflegten, so mußte er seine Zuflucht zu heimlicher Unzufriedenheit nehmen. Leichter zu ertragen war die Bedrängnis, die ihm aus der Sorgfalt, der Zeit und den nicht unbeträchtlichen Geldsummen erwuchs, die auf den Blumengarten verschwendet wurden. Er liebte Blumen, und es schmeichelte ihm, seines Weibes Gartenbaukunst bewundern zu hören. Der Garten war etwas Besonderes für den Bauernhof, und wenn er Sonntags unter den üppig blühenden Rosen von der Kirche nach Haus kam, so hatte deren Duft solch angenehme Täuschung von Wohlhabenheit an sich, daß es die Kosten wohl lohnte. Und dennoch wurde bei der vollen Blütenpracht des Gartens immer wieder ein grausamer Schlag lebendig. Sein Weib hatte einmal seine Eitelkeit empfindlich verwundet. Wenn aber die konzentrierte Eitelkeit eines schweigsamen Mannes verletzt wird, dann verlangt sie die Rache eines Riesen; weil es indessen kaum möglich ist, solch eine ungeheuerliche Genugtuung zu erlangen, wenn die eigne Prau die Beleidigung verursacht hat, so konnte sich der Bauer nicht anders aus der Affäre ziehen, als daß er auf ein entlegenes Rübenfeld ging und mit zum Himmel gereckter Faust schwur, sie niemals zu vergessen. Seine Frau hatte ihm, da sie sah, wie der Garten gedieh und der Hof verfiel, vorgeschlagen, die Arbeit, die er auf seine Felder verwandte, dem Garten zuzuwenden, also im Grunde ein männliches Kindermädchen unter der Direktion seiner Frau zu werden. Das Weib sah nicht, daß der Garten ohnehin den Bauernhof aussog, die Arbeit zersplitterte und ihn augenscheinlich ärmer machte. Sie hatte kein Verständnis dafür, daß er, wenn er ihr erlaubt, sich dem Zeitvertreib einer Dame hinzugeben, während er selbst sich fruchtlos im Schweiße seines Angesichts abmühte, nur dem Impuls seiner angeborenen Gutherzigkeit, durchaus nicht der ihm innewohnenden Klugheit, gehorchte. Daß sie sich »erster Mann an der Spritze« dünkte und ihm vorschlagen konnte, seinen Namen dazu herzugeben, dies vor der Welt öffentlich zu bekennen, war himmelschreiend.

Mrs. Flemings Gesundheit ließ nach. Unter diesem Vorwand, mit der Feierlichkeit, die den ihr vom Schicksal noch zugemessenen Herbsttagen entsprach, überredete sie ihren Gatten wegen eines Volontärs zu inserieren, der eine kleine Summe Geldes zahlen wolle, um die Landwirtschaft zu erlernen und Argumente zugunsten der Korngesetze zu hören. Ihr zu gefallen opferte er sieben Schilling für ein Inserat und lachte, als ein Angebot auf dasselbe erfolgte, indem er die Bemerkung hinwarf, er zweifle, ob Gutes daraus entspränge, daß man sich mit Fremden einlasse. Ein junger Mann, der sich Robert Armstrong nannte, unterzog sich daraufhin einer Begutachtung seitens der Familie. Er zahlte die ausgemachte Summe und war bald dem Hausstand als ein Dazugehöriger eingefügt. Er hatte die Länge eines Gardegrenadiers und die Gewandtheit eines Professions-Cricketspielers, war ein Wassertrinker und augenscheinlich das Opfer einer ausgesprochenen Abneigung gegen seinesgleichen, denn er sprach von der großen, nachterleuchteten Stadt mit einem Schauder, der nicht eben ein Vorzug in den Augen zweier Jüngferlein erschien, durch deren Träume die märchenhafte Metropole gewissermaßen mit feurigen Fransen durch den dunklen Raum flog.

In anderer Hinsicht hatte der Fremde etwas Einnehmendes, denn er war hübsch und gesetzten Wesens. Sehr liebevoll sprach er von einem Freunde, einem aktiven Offizier, was man für verzeihliche Eitelkeit hielt. An das Ideal seines Geschlechts, wie es in der Phantasie der Schwestern lebte, reichte er nicht hinan, dennoch flüsterte Mrs. Fleming, im Vertrauen auf ihre Divinationsgabe, kurz vor ihrem Tode ihrem Gatten ein mütterlich Wort über ihn zu.

Ihr Gebet an den Himmel ging dahin, ihr zu gewähren, daß ihr eine Doktorrechnung erspart bleibe. Sie starb ohne langes Kranksein in ihrem geliebten Junimonat, während die Rosen, die sie selbst gezogen, zum Fenster hineinrankten und ihren süßen Duft zu ihr hinsandten. Am vorhergehenden Maitag hatte sie auf dem Rasen gesessen, der sich vor dem eisernen Torweg ausbreitete, während Dahlia und Rhoda die Dorfkinder mit Blumen kränzten und die Schönste zur kleinen Maikönigin krönten. Ein Anblick, bei dem in Mrs. Flemings Erinnerung der Tag wach wurde, wo ihre eigne Älteste und Schönste schüchtern in ihrem weißen Kleidchen und mit ihren blonden dichten Locken, diese Huldigung entgegennahm. Es war eine große Versammlung und der Tag der köstlichste aller Maitage, bis der herrische Ostwind ihm sein Regiment aufgezwungen und sein festliches Gepräge gestört hatte. Der Mühlbach der nahen Mühle schlängelte sich blau durch die grünen Weiden, in der Luft lag ein Duft von Rahmkübeln und Weizenbroten, die Tannen von den Hügelketten jenseits Fenhurst und Helms waren näher gerückt, um an dem Schauspiel teilzunehmen und standen da wie Freunde, die eine alte Bekanntschaft aufzufrischen wünschten. Dahlia und Rhoda machten die Kinder darauf aufmerksam, daß sie wie alte gebückte Bettelmänner aussähen. Die beiden Edeltannen auf dem Grundstück des Müllers verglichen sie mit Adam und Eva, wie sie vor dem feurigen Schwerte dem Paradiese den Rücken wandten, und der Ausspruch eines phantasiereichen Kindes, daß sie nichts an hätten, als Haare, machte das Bild sowohl Rhoda wie Dahlia unvergeßlich.

Der Zauber des Wetters brachte zahllose Schmetterlinge auf das Feld und auch einen Geiger, zu dessen Fiedel die kleinen Jüngferchen tanzten; andere, die der Zeit weiblicher Reife bereits näher standen, würden auch gern getanzt haben, wenn die Schwestern einen Partner angenommen hätten, aber Dahlia hielt das plötzliche Bewußtsein zurück, daß sie unter der unmittelbaren Beobachtung zweier augenscheinlich Londoner Herren stand, und sie schlug Robert Armstrongs Aufforderung, sie zum Tanze zu führen, aus. Die Eindringlinge waren ein Paar gut aussehende Jünglinge, die man als den Sohn und den Neffen des Squire Blancove von Wrexby-Hall kannte. Sie blieben eine Zeitlang da und sahen dem Treiben zu und zerstörten Dahlias Herzenseinfalt. Gleich vielen Freudentagen, die die Götter gewähren, fehlten auch diesem die Schatten nicht. Am Rande der Festwiese erschien ein junges Weib, die Tochter eines Wrexbyer Käthners, welche ihre Heimat verlassen und vor kurzem mit einem befleckten Namen dahin zurückgekehrt war. Keiner redete sie an, und sie stand demütig abseits. Als Dahlia sah, daß jeder mit einem gewissen, selbstzufriedenen Geflüster von ihr wegrückte, wünschte sie sie in ihren Kreis hineinzuziehen. Sie warf ihrem Vater gegenüber den Namen Mary Burts hin, in der Annahme, daß ein so gutherziger Mann es selbstredend sanktionieren würde, wenn sie zu dem vernachlässigten jungen Weibe hinginge. Zu ihrem Erstaunen geriet ihr Vater in heftigen Zorn, stieß ein strenges Verbot hervor und brauchte dabei ein Wort, das ihr das Blut in die Wangen trieb. Rhoda stand neben ihr und schritt eigenwillig, ohne die Erlaubnis dazu zu erbitten, geradeswegs auf Mary zu, und stand mit ihr zusammen im Schatten Adams und Evas, bis der Bauer ihr eine Botschaft zuschickte, daß er nach Haus wolle. Ihre Strafe für diesen sündigen Akt war eine Woche strengsten Stillschweigens, und der Bauer hätte sie noch länger dazu verurteilt, hätte nicht die verhängnisvoll zunehmende Schwäche ihrer Mutter ihn daran gehindert. Dies Erlebnis warf einen sonderbaren Schatten über die Schwestern. Sie vermochten die Bedeutung der Unfreundlichkeit, Härte und Entrüstung ihres Vaters nicht zu begreifen. Warum? warum nur? fragten sie einander bestürzt. Die Heilige Schrift war in gewissen Dingen hart, aber entsprach es ihrer Lehre, nach der Sühne unerbittlich zu bleiben? Allmählich drängte es sich ihrer Erkenntnis auf, und zwar nicht ohne heiße Bitterkeit, daß der Gutherzigste der Männer grausam wird und seines Christentums vergißt, wenn es sich um gefallene und reuige Frauen handelt.


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