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Kapitel XVII. Ein Bauersmann von altem Schrot und Korn

Etwa eine Meile von Fairly Park lag der Hof eines andern Bauern, aber der war von anderer Art. Der Hampshirer genoß unter den Landwirten der Gegend ein hohes Ansehen; er war der Fünfte einer Familie, die einen kleinen Besitz von hundertundsiebzig Morgen Landes mit sichtlichem Vorteil verwaltet hatte und zwar in einer Weise, die Sutton rings im Lande den Ruf einer Musterfarm erworben hatte. Königliche Augen hatten seine Schweine beifällig gemustert, königlicher Verstand hatte sich in landwirtschaftlichen Fragen von Jonathan Eccles beraten lassen, und es war ein Scherz, mit dem er sich oft tröstete, daß er seinen Prinzen gute Zucht gelehrt habe. Als Revanche für den geleisteten Dienst hatte der Prinz ihn aus einem kräftigen Radikalen in einen zuverlässigen Royalisten verwandelt. An den Wänden seines Wohnzimmers hingen unter Glas und Rahmen Briefe seines Prinzen, die ihm für besonderen Samen und geschätzten Rat dankten – wirkliche autographische Briefe von höchstem Wert. Der Prinz war den Fluß hinaufgedampft, in welchem sich die Erntefelder von Sutton spiegelten und hatte an einem Fleck angelegt, der zu Ehren des Ereignisses mit einem großen grauen Stein bezeichnet worden war, und seit dem Tage stand Jonathan Eccles auf einer so stolzen Zinne, daß er Horizonte der Verzweiflung überblickte, die ihm bis dahin unbekannt gewesen waren. Denn er hatte einen Sohn, und dieser Sohn war ein ausgelassener Teufel, ein überaus wilder, junger Bursche, der an dem Leben eines Landmannes keinen Geschmack fand und offen erklärte, er sei nicht willens, den Sutton-Hof in den Händen der Eccles zu lassen, indem er eines Tages auf und davon ging und sich in die britische Armee anwerben ließ.

Diese eingerahmten Briefe wurden ein Gegenstand melancholischer Betrachtungen, wenn Jonathan daran dachte, daß keine Nachkommenschaft von seiner Seite sich eines Tages angesichts neidischer Nachbarn derselben würde rühmen können. Das Streben des Menschen geht nach einem Höhepunkt, aber es ist das traurigste von der Welt, zu fühlen, daß wir ihn erreicht haben. Mr. Eccles zuckte die Achseln mit aller Philosophie, die er aufzutreiben vermochte und übertrug seine persönliche Enttäuschung auf sein Vaterland, dessen landwirtschaftliche Triumphe, wie er sagte, gezählt seien. »Diese Yankees werden uns ausstechen!« Er prophezeite Alt-England noch zwanzig Jahre fortgesetzter Vorherrschaft (dank der treibenden Kraft der jetzigen Generation von Engländern) danach, sagte er, würden die Yankees den Markt überschwemmen. Hinfort keine grünen Weiden in Groß-Britannien, kein schönes Vieh mit sauberen Füßen, keine gelben Ernten, – nein, überall riesige Feueressen, schwarze Erde unter schwarzen Rauchmassen, und rauchgeschwärzte Gesichter. In zwanzig Jahren würde das russige England eine einzige ungeheure Fabrik sein, bis uns die Yankees auch hierin aus dem Felde schlagen würden; darüber hinaus hatte Jonathan Eccles keine Lust, irgendwelche bestimmte Prophezeiungen auszusprechen, sondern begnügte sich damit, dem Herrn zu danken, daß er alsdann unter dem Rasen liegen werde. Der Verfall unseres Ruhmes sollte mit Blut umsäumt sein: Jonathan gab zu, daß in dem gesunkenen Geschlecht immerhin noch ein Stoff lebendig sein werde, der einen heißen Kampf liefern werde, ehe er sich unter sein Schicksal beugen werde.

Für diesen gewaltigen Fluch hatte England dem jungen Robert, dem umherschweifenden Sohne Jonathans, zu danken.

Es war jetzt zwei Jahre her, daß Robert von einer Tante eine kleine Summe geerbt und – wie der Bauer – verbittert, wie er war – mutmaßte, sie mit Prassen durchgebracht hatte. Er betrachtete in der Morgensonne ein paar ungeheure Saatmelonen, einen neuen Futterstoff seiner eigenen Erfindung für Schafe, als der Gruß eines Wanderers an sein Ohr schlug, und er seinen Sohn Robert an der Gartenpforte gewahrte.

»Da bin ich, Vater,« rief Robert von draußen.

»Dann bleib' nur da,« war sein Willkommensgruß.

In ihrem Körperbau, wie in der Art zu sprechen, glichen sie einander. Anrede und Entgegnung klangen wie zwei Schüsse aus einer Pistole. Der alte Mann war hochgewachsen, breitschultrig und muskulös, eine Ausgabe in Grau seines Sohnes, dessen nachlässigen Anzug er, während er sprach, mit einem Blick eingewurzelten Widerwillens streifte. Roberts Krawatte hing schlaff herab, sein Haar war ungekämmt, aus seiner Tasche baumelte ein Taschentuch. Er bot den Anblick eines verlorenen Sohnes, der, statt reuig, mit unverschämter Dreistigkeit heimkehrt, um seinen Anteil zu fordern.

»Aus dieser Entfernung kann ich nicht sehen, wie's dir geht, Vater,« sagte Robert, indem er von seinem Vorrecht einzutreten kühn Gebrauch machte.

»Bist du betrunken?« fragte Jonathan, als Robert auf ihn zukam.

»Gib mir die Hand, Vater.«

»Erst gib mir Antwort. Bist du betrunken?«

Robert bemühte sich, den selbstzufriedenen Blick des uneingeschüchterten Gewissens festzuhalten, empfand aber, daß er vor jenem klarurteilenden, streng ehrbar lebenden alten Manne mit den eisernen Nerven eine alberne Figur spiele. Wollte er nicht heftig werden, so hatte er keine andere Alternative als die, wie ein Hanswurst dazustehen.

»Komm, Vater,« sagte er mit einem jämmerlichen Versuch zu lachen, das sich wie das Kichern eines dummen Tölpels ausnahm, »hier bin ich endlich. Ich sage nicht, schlachte das gemästete Kalb und nimm dir eine Lehre aus der Schrift, sondern einfach, gib mir die Hand. Ich hab' niemand was zuleide getan, als mir selbst, – ich will verdammt sein, wenn ich je 'ne Gemeinheit begangen hab'. Und 's ist am Ende keine. Schande für dich, deines Sohnes Hand zu schütteln nach solch langer Zeit der Abwesenheit.«

Jonathan Eccles behielt beide Hände fest in der Tasche.

» Bist du betrunken?« wiederholte er.

Robert raffte sich zu einer Antwort zusammen: »Nein.«

»Na, dann sag mir eben, wann du zum letztenmal betrunken gewesen bist.«

»Das ist eine sehr freundliche väterliche Begrüßung,« warf Robert ein.

»Es glückt dir doch nicht, dich um 'ne einfache Frage herumzudrücken, junger Mann,« sagte Jonathan.

Robert rief ärgerlich: »Es fällt mir gar nicht ein, mich um 'ne einfache Frage herumzudrücken.«

»Na, also, wann bist du zuletzt betrunken gewesen? Beantworte mir das!«

»Gestern abend.«

Jonathan zog die Hand aus der Tasche und schlug sich aufs Knie:

»Darauf hätt' ich doch schwören können.«

Roberts ganze Sicherheit war plötzlich verschwunden; wie ein überführter Verbrecher stand er vor seinem Vater.

»Du weißt, Vater, daß ich nicht lüge. Ich war gestern abend betrunken. Ich konnt's nicht helfen.«

»Das würde ein kleiner Junge auch sagen.«

»Ich war betrunken gestern abend. Sag', daß ich 'n Vieh bin!«

»Fällt mir nicht ein!« rief Jonathan, und seine Stimme klang, als lege er Verwahrung gegen diese gemeine Anschuldigung des Charakters des Viehs ein.

»Dann sag', daß ich schlimmer als ein Vieh bin,« rief Robert außer sich. »Mein Wort darauf, daß mir das in Jahr und Tag nicht passiert ist. Gestern abend war ich wahnsinnig. Einen Grund dafür kann ich dir nicht angeben. Ich dachte, ich wär' 'drüber hinaus, aber ich hab' Sorgen, und eine Flut schwemmt einen über die Untiefen weg, – so kam's mir vor. Komm, Vater, – mach mich nicht noch einmal verrückt!«

»Wo hast du zu trinken gekriegt?« fragte Jonathan.

»Ich hab' im ›Piloten‹ getrunken.«

»So! na, dann wird man ja wieder vier Wochen von ›dem verfluchten alten Eccles‹ reden, von ›dem unnatürlichen Vater‹. Wie lange bist du hier?«

»Achtundvierzig Stunden.«

»Achtundvierzig Stunden? Wann gehst du wieder fort?«

»Ich möchte die Nacht hier bleiben.«

»Na, und was sonst?«

»Ich möchte ein Pferd leihen, das ein Hindernis zu nehmen vermag.«

»Weiter!«

»Und zwanzig Pfund.«

»O!« sagte Jonathan, »wenn die Landwirtschaft Dir so leicht fiele, wie die Unverschämtheit, dann würdest du ein brillanter Bauer sein. Ganz, was ich mir dachte! Was ist denn aus dem Geld geworden, was deine Tante Hanne blödsinnig genug war, dir zu hinterlassen?«

»Das hab ich ausgegeben.«

»Bist du ausgekniffen?«

Robert stand einen Augenblick da, als könne er nicht recht gehört haben, dann wurde sein Gesicht fahl, er schwankte und schlug die Hände vors Gesicht. Seine kaum verwundene Trunkenheit hatte ihn entnervt.

»Geh' hinein, geh' hinein,« sagte der Vater in einem Anflug von Besorgnis, obschon der Zorn die Oberhand hatte.

»Ach, du brauchst dich nicht über mich zu beunruhigen.« Robert ließ die Arme sinken. »Mir ist irgendwie 'n bißchen schwach, verdammt schwach, – ich fühl' mich wie 'n Weib, wenn mein Vater mich fragt, ob ich mir 'ne Gemeinheit hab' zu Schulden kommen lassen. Ausgekniffen? Ich würd' nicht mal aus den Hulks Hulks = alte Schiffsrümpfe, die in England zu Gefängnissen benutzt werden. auskneifen. Du magst das Schlimmste hören, und dies ist das Schlimmste: ich hab' kein Geld. Ich bin keinen Pfennig schuldig, aber ich hab' auch keinen.«

»Und ich werd' dir auch keinen geben,« ergänzte Jonathan, und stumm maßen sie einander mit den Augen.

Eine knarrende Stimme ertönte von jenseits der verschnittenen Taxushecke:

»Hi hi, Bauer, ist das der verloren gegangene junge Mann?« und zugleich trottete ein Nachbar, Namens John Sedgett, durch das Tor und den Gartenweg hinauf.

»Sieh, sieh,« kicherte er, »was is' denn hier für 'n Spektakel? Da haben wir ja 'n richtigen Krawall in Fairly! O, Bob Eccles! Bob Eccles! Man los! Noch mal!«

Mr. Sedgett wollte sich vor Vergnügen ausschütten. Er war ein ausgemergeltes Männchen mit Triefaugen, dessen Atemholen klang, als käme es aus einem Brunnenschacht, der Spürhund für jeden Skandal und Klatsch im Dorfe, dessen einziges menschliches Gefühl »so 'n Tippen in der Brust« war, wie er zu sagen pflegte, und der auf das Glück hin, das ihm in der Energie und Tüchtigkeit seiner dritten Frau im Besorgen des Geschäfts geworden war, seine Hökerei im Dorfe niedergelegt hatte und nun umherlief und die Leute aufeinanderhetzte – eine höchst schätzenswerte Kunst – in einem Lande, wo jedermanns Haus so durchaus seine Burg ist.

»Was der Teufel ist denn in Sie gefahren?« rief ihm Jonathan zu.

Mr. Sedgetts Leiden machte sich bemerkbar und verlangte Mitleid, aber sobald der Anfall vorüber war, kicherte er aufs neue:

»O, Bob Eccles! Wirst du denn nie älter? Und das am ersten Tage, wo du wieder hier bei uns bist! Na, weißt du, Bob, als einer vons Militär könnst du doch auch 'n bißchen Respekt vor deinen Vorgesetzten haben. Ja, und Stephen Bilton, der Jäger, sagt, Bob, du hätt'st den jungen Herrn vom Pferd 'runtergerissen – du zu Fuß und er zu Pferd. Ich hätt' hundert Pfund dafür gegeben, wenn ich bloß dabei gewesen wär'. Und wo Damen dabei waren! Gott bewahre doch! Aber ich freu' mich doch, daß du wieder da bist. Diese Melonen vom Bauer sind wirklich 'ne feine Erfindung, rechts und links sprechen die Leute davon und sagen, ›Bauer Eccles,‹ sagen sie, ›der 's doch unser bester Bauer, auf den kann Hampshire stolz sein, – der 's zwei von den anderen wert‹. Ne, sind das aber feine! Na, und du bist also wieder da, Bob, und willst wohl dabei helfen, was, alter Kerl?«

»Ja, hier bin ich, Mr. Sedgett,« sagte Robert, »und spreche mit meinem Vater.«

»O, ich möchte um alles in der Welt nicht stören.« Mr. Sedgett tat, als wollte er sich zurückziehen, doch Jonathan bestand darauf, daß er sich erst einmal seine Geschichte vom Herzen rede: »Zum Teufel auch mit deinen dummen Andeutungen, Sedgett! Was 's denn losgewesen? Mir kann keiner was tun!«

»Nein, das kann keiner, Nachbar, und Bob auch nicht, wenn sich's um Mann gegen Mann handelt. Können sogar drei auf einen kommen bei Bob Eccles! Mit denen nahm er's schon als Jung' auf. Kann ja sein, weißt du, kann sein, daß er das Gesetz gegen sich hat, – na, Himmel, wenn auch! gegen's Gesetz, da kann eben keiner an! Das Gesetz fragt nicht danach, ob man 'n Held ist. Das Gesetz, das ist jedem über, und irgendein Gesetz ist eben bei allem, nicht wahr, Nachbar Eccles? Da hat dein Freund, der Prinz, gerad' so gut mit zu rechnen, wie du und ich. Aber du weißt ja natürlich, was Bob getan hat. Warum ich mal eben vorkam, war bloß, um zu fragen, warum tust du das bloß, Bob? Was mußtest du den jungen Herrn vom Pferd' reißen? Ich weiß nicht, wieviel Pfund ich darum gegeben hätt', wenn ich bloß dabei gewesen wäre!«

»Pfund Talglichte machen nicht viel aus,« warf Robert hin.

»Das 's 'ne gräßlich schlechte Sorte Branntwein, im ›Pilot‹,« sagte Mr. Sedgett giftig.

»Warst du betrunken, als du diesen Angriff machtest?« fragte Jonathan seinen Sohn.

»Ich hab' nachher getrunken,« erwiderte Robert.

»Der Branntwein im ›Pilot‹ is' man 'n schlechter Trost,« bemerkte Mr. Sedgett.

Jonathan hatte halbwegs Lust, seinen Sohn zum Tor hinauszuweisen, aber Sedgetts Anwesenheit warnte ihn, daß das, was er tue, nackt vor den Augen der ganzen Welt dastehe.

»Hast du irgend'nen Schinder im Jagdgebiet aufgegriffen? Wen denn? Wer hat dir zu 'nem Pferd verholfen?«

Robert bemerkte, daß er zu Fuß gewesen sei.

»Zu Fuß – was? zu Fuß!« Jonathan versank in Nachsinnen; es schien ihm unmöglich, sich seinen Sohn als Fußgänger zwischen den Jagenden vorzustellen oder die Frechheit eines Fußgängers zu realisieren, der es wagen sollte, einen berittenen Jäger anzugreifen. »Du warst zu Fuß? Den Teufel auch, – zu Fuß warst du? Zu Fuß! Und hobst einen Mann aus dem Sattel?«

Jonathan gab es auf, das Rätsel zu lösen. Er streckte mit einer sehr entschiedenen Geberde seinen Zeigefinger aus:

»Wenn sich's um einen Angriff handelt, mußt du die Folgen tragen, das merk' dir. Mein Land bringt mir Geld ein, und mein Land kostet mir Geld, und kein trunkener Hund soll mir von seinem Ertrag zehren. Ein Streit im Jagdgebiet ist unenglisch; das ist, was ich dazu sage!«

»Da hast du ganz recht, Vater,« sagte Robert.

»So soll's sein, Nachbar,« sagte Mr. Sedgett.

Woraufhin Robert ihn beim Arm ergriff und ihm, während er den hageren Kerl festhielt, befahl, jetzt mit dem, was er wisse, herauszurücken.

»O, ich weiß nichts weiter, als was ich gesagt habe.« – Mr. Sedgett flocht einen schwachen Widerspruch ein, daß seine Knochen (sein wesentlichster Bestandteil) ein solches Anpacken nicht vertrügen – »nur, daß du das Pferd beim Zügel gefaßt und es nicht hast loslassen wollen, weil der junge Herr nicht so sprechen wollte, wie sich's für 'n vornehmen Herrn schickte, und – o, kneif doch nicht so –«

»Heraus mit der Sprache!« rief Robert.

»Und du sagtest, Steeve Bilton sagte, da sagtest du: ›Wo ist sie?‹ sagtest du, und er fluchte, und du fluchtest, und da kam eine Dame herangeritten, und da rissest du ihn 'runter, und sie schrie auf, und der Herr fiel herunter, und Steeve sagte, da hätte sie gesagt: ›Schämen Sie 'sich!‹«

»Und das war das richtigste Wort, was den ganzen Tag gesprochen wurde!« Robert gab ihn frei. »Viel wissen Sie eben nicht, Mr. Sedgett, aber es genügt, um meinem Vater die Sache auseinanderzusetzen, und mit Ihrer Erlaubnis möchte ich das jetzt tun.«

Mr. Sedgett bemerkte: »Meinetwegen tu das!« und es schien ihm bei weitem vorzuziehen, daß sein Begriffsvermögen als nicht ganz vollgültig angesehen werden könnte, als daß er sich die Gelegenheit entgehen lasse, die wundervolle Geschichte dieses Skandals und seiner Ursache anzuhören. Etwas, was über einen Wink hinausging, setzte ihn in Trab, wobei er sich mit schmerzlich verzogener Miene die Ellbogen rieb.

»Der Postbote wird seinen Dienst nicht rascher besorgen, als Sedgett diese Geschichte an jeder Tür im Kirchspiel loslassen wird,« sagte Jonathan.

»Ich kann nur sagen, daß mir das um deinetwillen leid tut.« Robert wollte eben seiner Zerknirschung noch weiteren Ausdruck verleihen, aber sein Vater griff das Wort auf:

»Wer kann mir etwas anhaben? Meinetwegen? Hab' ich die Gewohnheiten eines Narren – oder eines ›Viehs‹, wie du sagst. Aber ich kenne das Vieh besser, und wenn du es kenntest, würdest du das Vieh nicht anführen, um deine ekelhaften Schandtaten damit zu bemänteln. Wer kann mir 'was nachsagen? Du hast mit diesem jungen Herrn über 'n Frauenzimmer Streit gehabt – hast du ihm was zu Leide getan?«

»Wenn man's mit den Knöcheln tun könnte, hätte ich ihm wohl das Gehirn zerschlagen, Vater,« sagte Robert.

»Du hast ihn geschlagen, und du kamst am besten dabei weg?«

»Jedenfalls kam er am schlechtesten dabei weg, und das wird er auch weiterhin tun.«

»Dich reitet der Teufel! Was bist du denn hingegangen und hast dich betrunken? Ich könnt's ja begreifen, wenn du Prügel gekriegt hättest. Dann ertränk' meinetwegen die Erinnerung daran, wenn dies Fusel-Saufen nach deinem Geschmack ist, aber wenn du doch, sozusagen, den Preis davonträgst, was brauchst dich denn Hals über Kopf in 'ne Mistkuhle zu schmeißen? Wahrhaftig, das kann doch nur 'n verfluchter Idiot tun!« Jonathan tat einen Schlag ins Leere, es war ihm, als müsse er ersticken, wenn er sich nicht irgendwie Luft mache. Dann donnerte er noch einmal los: »Warum gingst du hin und trankst?«

»Ich ging, Vater, ich ging – warum ging ich denn?« Robert schlug sich verzweifelt mit der Hand gegen die Stirn. »Warum in aller Welt ging ich doch? weil ich ganz allein auf der Welt bin, wahrscheinlich. Keiner kehrt sich an mich. Ich bin wie auf offener See, und kein Ruder zum Steuern! Das wird's wohl sein. Darum hab' ich getrunken. Ich dachte, es wär' das beste, etwas geistige Getränke an Bord zu nehmen. Nein, dies war der Grund – nun weiß ich's wieder: die Dame da, wer sie denn auch gewesen sein mag, sagte irgend etwas, das tat mir weh. Ich hielt den Kerl vor ihren Augen am Wickel und schüttelte ihn, obschon sie mich bat, ich sollt's sein lassen. Und da sagte sie – aber ich hab's mir rein weggetrunken.«

»So, geh' hinein, und sieh dich mal in dem Spiegel,« sagte Jonathan.

»Gib mir erst die Hand,« – Robert streckte ihm bittend die seine hin.

»Eher laß ich mich hängen,« sagte Jonathan fest. »Ein Bett und einen Platz am Tisch sollst du haben, solange ich lebe, und einen Spiegel, um dich darin anzusehen, – aber meine Hand ist für anständiges Vieh. Den einen Weg oder den andern, du hast die Wahl.«

Als er Robert immer noch zögern sah, fügte er hinzu: »Ich würde verflucht viel mehr Respekt vor dir haben, wenn du dich packtest.« Er deutete mit der Hand über sein Grundstück hinaus.

»Es tut mir leid, daß du dir seit kurzem das Fluchen angewöhnt hast, Vater,« sagte Robert.

»Zwei Feuersteine schlagen Funken, mein Junge. Wenn du dich fern hältst, bin ich ruhig genug in meiner Redeweise, deiner Tante Anne zu Gefallen.«

»Sieh, Vater, ich habe deine Hilfe nötig, ich gehe daher hinein.«

»Selbstverständlich!« entgegnete Jonathan, durch seines Sohnes derbe Aufrichtigkeit nicht im geringsten verletzt, »wozu ist denn auch ein Vater sonst nütze? Ich werde dir die Grenze angeben, und die steht, wie eine steinerne Mauer. Magst ja d'rüber springen, wenn du kannst! Bild' dir nicht ein, daß es deine Tante Jane ist, die dich drinnen empfängt.«

Robert war nie ein Liebling seiner Tante Anne, der Haushälterin Jonathans, gewesen.

»Nein, die arme, liebe Seele! Gott segne sie im Himmel!« rief er.

»Etwa dafür, daß sie dir hinterlassen hat, was du in 'ne verfluchte Masse von Branntwein umgesetzt und verkonsumiert hast?«

»Dafür, daß sie getan hat, was sie irgend konnte, um mich zum Manne zu machen. Und es ist ihr beinah geglückt, der guten, freundlichen alten Seele, die sie war! Mit diesem ihrem Geld hat sie mich auf den besten Standpunkt im Leben gebracht, den ich noch innegehabt habe. Segen über ihr gutes Herz; Segen ihrem Andenken! Alle Segenswünsche über diesen Engel, die ein armer Teufel auf Erden nur irgend aussprechen kann!«

Das Fieber in Robert erlosch in einem Strom lindernder Tränen.

»So, geh' hinein,« sagte Jonathan, der Trunkenheit für die wesentliche Wasserquelle in eines Mannes Augen hielt. »Ich glaube, du bist heute morgen schon wieder daran gewesen.«

Robert schritt seinem Vater, den er völlig verstand und wertschätzte, voran ins Haus. Er wußte, viel väterliche Liebe und ein herzlicher Händedruck war sein und die Vererbung des Hofes noch dazu, sobald er den rechten Weg einschlug. Mittlerweile war Jonathan bereit, seinen väterlichen Verpflichtungen nachzukommen, als da waren, seinen Sprößling, von dem er eine bessere Meinung gehabt haben würde, wenn Robert – da er doch einmal zum Teufel ging – es getan hätte, ohne irgend jemand der Seinen damit zu beunruhigen, ein Obdach und Nahrung zu gewähren und öffentliches Schimpfen über ihn zu vermeiden; wie die Sache lag, nahm Jonathan schweigend das Verhängnis auf sich. Weder in Wort noch Ton forderte er seitens der herben alten Jungfrau, die als Tante Anne bekannt war, jene Geringschätzung dem Wanderer gegenüber, den er ihr zuführte, heraus, die immer angenehm zu hören ist, wenn zwei über den unwürdigen Charakter eines Dritten, unter dem sie zu leiden haben, einig sind. Er sagte: »Hier, Anne, hier ist Robert. Er hat noch kein Frühstück gehabt.«

»Er möchte gern ein kaltes Bad vorher nehmen,« sagte Robert, indem er der fleischlosen, halbdurchsichtigen Frau seine Wange bot.

Tante Anne öffnete die Lippen, um Jonathan ein kurzes, halbunterdrücktes: »Uff« zuzurufen, nachdem sie Robert von oben bis unten betrachtet hatte, und sie schauderte bei Roberts Anblick und sagte noch mehrmals: »Uff« als ein hingeworfenes Zeichen ihres Verständnisses zu allem, was geäußert wurde, aber es war ein entsetztes: »Nein!« mit dem sie ein Näherkommen von Roberts Wange zurückwies.

»Dann sieh, daß du ihm etwas Frühstück besorgst,« sagte Jonathan, »was einen Kuß anbetrifft, so hast du in keiner Weise Verpflichtungen gegen einen betrunkenen –«

»Hund, heißt das Wort, Vater,« half Robert ein. »Hunde können sich das leisten. Ich hab' nie einen in dem Zustand gesehen, so leidet ihr Ruf nicht darunter.«

Er sprach leichthin, aber in seiner Haltung lag eine tiefe Niedergeschlagenheit. Als seine Tante Anne das Zimmer verlassen hatte, rief er aus:

»Weiß Gott, Frauen haben eine ganz besondere Art, einen etwas fühlen zu lassen. Sie 's 'ne fromme Frau. Sie riecht den Teufel in mir.«

»Wahrscheinlicher den Branntwein,« erwiderte sein Vater.

»Schön! ich bin auf 'm Weg, ich bin auf 'm Weg!« Robert seufzte tief auf.

»Ich hab' dir den Weg nicht zurecht gemacht,« sagte sein Vater.

»Nein, Vater, das hast du nicht. Hart arbeiten, fest schlafen: das ist Glück. Ein Jahr lang hab' ich's gekannt. Du bist der Mann, dem ich nacheifern möchte, wenn ich könnte. Der Teufel kam zuerst. Der Branntwein kommt erst in zweiter Linie. Ich war so lange ruhig. Ich glaubte, jetzt könnte ich mich auf mich verlassen.«

Er setzte sich und brachte sein Haar gänzlich in Unordnung durch einen Versuch, es zu glätten.

»Durch die Weiber ist der Teufel zuerst in die Welt gekommen. Die Weiber sind's, die den Teufel in uns wecken, und warum sie –«

Er schlug mit der Faust auf den Tisch, gerade als seine Tante Anne das Tischtuch drüber legen wollte.

»Erschrick nicht, Weib,« sagte Jonathan, als er sah, wie sie furchtsam zurückfuhr. »Du trinkst zu viel Tee morgens und abends – zum Teufel mit dem Zeug!«

»Niemals, niemals hast du mich bisher angefahren, Jonathan,« lispelte sie in strengem Ton.

»Ich sag' dir ja nicht, daß du ihn lieben sollst, aber du sollst ihm was zu essen geben. Das ist alles. Und ich muß an meine Arbeit, Acker und Vieh – die vergelten einem, was man ihnen tut.

Robert blickte auf.

»Acker und Vieh! das klingt wie etwas, darauf ein Segen liegt. Wenn ich das nächste Mal zur Kirche gehe, werde ich wissen, wie's dem alten Adam zu Mute war. Geh' nur, Vater, ich werd' nichts im Haus zerbrechen.«

»Du wirst doch nicht gehen, Jonathan?« bat die zitternde alte Jungfer.

»Gib ihm etwas von deinem Tee, recht starken, und so viel er trinken kann – er muß etwas herabgeschraubt werden,« war Jonathans Antwort, und mit einem Streifblick auf eines der eingerahmten Bilder, schritt er durch die Tür, und Tante Anne war allein mit dem erhitzten Gesicht und den aufgeregten Augen ihres Neffen, der ihr kaum als etwas anderes erschien, denn als Dämon der Fleischeslust. Aber es war eine Bibel im Zimmer.

Eine Stunde später saß Robert zu Pferde und war unterwegs zum Sammelplatz der Meute.


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