Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel XIII. Der Pächter redet

Robert sollte an einem festgesetzten Tage zur Station fahren, um Rhoda und ihren Vater bei ihrer Rückkehr von London dort zu empfangen. Er hatte sich vorgenommen, recht vergnügt nach Dahlias Befinden und nach ihrem Wohlergehen zu fragen, um dadurch ein für allemal die törichte, allgemeine Auffassung zu zerstören, als liebe er das Mädchen und gräme sich jetzt über ihre Abwesenheit, aber ein einziger Blick in Rhodas Antlitz, als sie aus dem Eisenbahnwagen stieg, hielt ihn davon zurück, auch nur ein Wort über den Gegenstand zu äußern, und des Pächters gebeugtere Haltung, sein Annehmen einer helfenden Hand beim Besteigen des Wagens waren Zeichen von schlechter Vorbedeutung.

Mr. Fleming trug seinen Kummer nicht zur Schau wie jemand, der sich darin gefällt. Allem Anschein nach nahm er ihn so ruhig auf sich, wie es ein altes, verwittertes Haus tun würde, obschon ein solches Sich-fügen nach außen hin bei Männern nicht immer der Beweis von Gemütsruhe ist. Er sprach hie und da vom Wetter, von dem Stand der Äcker längs der Eisenbahnlinie, auf der sie gekommen, und zeigte gelegentlich mit Mißbilligung auf dies oder jenes Feld, aber er tat es, wie jemand, der keinerlei Berufsinteresse am Bestellen des Bodens mehr hat.

Zweifellos hatte er aus Erfahrung gelernt, kein Verständnis für irgendwelche Erleichterung zu finden, die ihn aus einem Äußern seiner Gefühle, aus einem Verlangen nach Teilnahme hätte verwachsen können. Einmal, als eine Art Unsicherheit über ihn kam, als ein geheimer Stolz auf Dahlias Schönheit und ihre Vorzüge ihm zuflüstern wollte, daß ihre Flucht ihr vielleicht einen Weg zu höherem Glück eröffnen könne, machte er ein kleines Geräusch, sich selbst zum Trost, während er in seinem Herzen hoffte, vielleicht könne ihr noch vergeben werden. Jetzt wußte er es besser. Durch sein Schweigen verschloß er sich gegen das Gefühl von Scham, welches unter dem Reden in ihm laut geworden sein würde.

»Ganz gut mit Mas' Gammon fertig geworden?« fragte er, gegen Robert gewendet, und dieser gab zurück: »Vorzüglich! Aus dem alten Mann wird noch was, haben Sie keine Angst.«

An dem fertig gedeckten Teetisch war es Master Gammons Los, als Zielscheibe für allerhand Hänseleien zu dienen, anderenfalls wäre es mit Recht zu fürchten gewesen, daß Mrs. Sumfit die Ohren aller Anwesenden mit Ausnahme des glücklichen Veterans vom Pfluge mit der Wiederholung von Dahlias Namen und Klageliedern über ihren Liebling, dessen niemand erwähnte, versengt haben würde. Auch litten sie durch dieselbe trotz aller Vorsichtsmaßregeln.

»Na, mein'twegen, wenn 'ch denn bei'n Essen nix' hören soll – a's wenn ich's vielleicht mit 'runterschlucken un' in 'n Magen kriegen könnt' – denn kann ich ja wieder 'mal warten, bis es so weit is',« sagte sie, goß ihren Tee mit einem Schluck hinunter und strich ihre Schürze glatt.

Der Bauer hob den Kopf.

»Mutter, wenn du so weit bist, wär's mir sehr angenehm, wenn du zu Bett gingst,« sagte er, »wir brauchen die Küche.«

»Zu Bett?« rief Mrs. Sumfit, deren Schürze plötzlich in den wirrsten Falten lag.

»Hinauf jedenfalls, Mutter, wenn du fertig bist – eher nicht.«

»Denn 's da was Schlimmes los! denn 's was passiert, Willem. Und mich willst du da doch nich' von ausschließen? Mein Platz is' bei'n Teetopf, und da laß ich mir nich' von wegbringen, wenn ich doch immer daran denken muß, wie ihr Lockenkopf so ein' Zoll nach 'n andern übern 'n Tisch un' die Tassen 'rüberwuchs. Mas' Gammon,« wandte sie sich überredend an den beharrlichen Futterer »fünf Tassen nehmen Sie doch immer?«

Ihre letzte Hoffnung war, unter Master Gammons freundlichem Beistand die Teestunde noch ein wenig in die Länge zu ziehen.

»Nee, vier, Ma'm,« sagte ihr eingefleischter Gegner, nachdem er diese Anzahl vollendet und infolgedessen den Löffel über die Tasse gelegt hatte.

Mrs. Sumfit wiegte sich hin und her auf ihrem Stuhl.

»Herrgott, Mas' Gammon! Es waren doch immer fünf, solang' wie Sie nu' hier sind, auch nie eine Tasse weniger.«

»Vier, Ma'm. Ich weiß nich',« sagte Master Gammon mit einem bedächtigen Kopfnicken, »daß ich je fünf Tassen Tee auf einmal getrunken hätte. Nich' so hinter'nander weg.«

»Ich weiß es aber doch, Mas' Gammon. Und ich soll das woll wissen. Denn ich gieß' sie Ihnen doch schließlich ein. Immer fünf sind es, und, bitte, nu' geben Sie mir doch 'mal Ihre Tasse her.«

»Vier is' immer mein Maß, Ma'm,« beharrte Master Gammon unerschütterlich. Wie ein Fels saß er da.

»Wenn's man Klöße wär'n,« stöhnte Mrs. Sumfit, »denn wären's nich' vier un' nich' fünf, denn wären's einfach, bis Sie nich' mehr könnten, und denn könnten wir hier auf unseren Stühlen kleben bleiben, un' Sie würden man immerzu und immerzu beibleiben; das wissen Sie auch ganz genau.«

»Ja, das 's' mit 'n Essen, Ma'm,« ließ sich Master Gammon zu einer Erklärung seiner Angewohnheiten herbei: »In 'n Trinken bin ich ganz regelmäßig.«

Mrs. Sumfit schlug die Hände zusammen. »O Gott, Mas' Gammon, Sie sind doch auch der langweiligste alte Mann, der mir noch vorgekommen is'. Ich hab' doch so schönen Tee in 'n Topf, und gar nich' dünn, und er würd' Ihnen so schön schmecken! Na, das soll Ihnen der Himmel vergeben, das 's' alles, was ich sag', un' mehr sag' ich nich'. Mr. Robert, vielleicht woll'n Sie so gut sein, un' noch eine Tasse trinken? Is' wirklich 'n guter Tee, und mein' Dody, mein' klein' Haustochter,« fügte sie schmeichelnd hinzu, »die erzählt uns denn, was sie erlebt hat. Ich sitz' ja doch wie auf Kohlen un' wie auf Stecknadeln, um was zu hören.«

»Später, Mutter,« warf sich der Pächter ins Mittel. »Morgen.« Er sprach freundlich, aber seine Brauen zogen sich zusammen.

Sowohl Robert wie Rhoda merkten, daß sie speziell in die Angelegenheit verflochten seien, die ohne Mrs. Sumfits Beistand zur Verhandlung kommen sollte. Das Benehmen ihres Vaters verbot es Rhoda, irgendeinen Vorschlag zugunsten der unglücklichen alten Frau zu machen.

»Un' daß ich gar nich' davon hören soll, wie Ihr in 'm Theater wart!« seufzte Mrs. Sumfit. »O, es is' wirklich hart. Ganz grausam nenn' ich das. O, un' wie meine Süße woll angezogen war? Gewiß wie zu 'm Balle.«

Sie sah, wie der Pächter ungeduldig den Fuß bewegte.

»Na, wenn denn keiner die letzte Tasse mehr trinken will, denn will ich es,« fuhr sie fort.

Keine Stimme außer der ihren war zu hören, bis die Tasse geleert war, worauf Master Gammon, seiner Gewohnheit gemäß, zu Bett ging, um der Versuchung zu einem Abendessen zu entgehen, das er, als ein zum Schlage Neigender, scheute, und Mrs. Sumfit bereitete sich mit betrübter Miene darauf vor, das Teegeschirr abzuwaschen, aber der Bauer ging mit der Bemerkung, das könne morgen geschehen, zur Tür und öffnete dieselbe für sie.

Sie seufzte tief auf und faltete resigniert die Hände. Als sie an ihm vorüberging, um ihren jämmerlichen, erzwungenen Rückzug anzutreten, erfüllte der schwere Ernst seines Antlitzes sie mit tiefster Besorgnis, sie fiel auf die Knie und rief:

»O, Wilhelm, es is' wirklich nich', um erzählen zu hören, aber du, der du doch weggereist bist, um Dahly, unser Herzblatt, zu sehen, du bist mit großen Schatten unter den Augen wiedergekommen, und es liegt über dem ganzen Hause, als wenn das Jüngste Gericht nahe wär'. Un' gleich in 'n ersten Augenblick setzt du dich an 'n Teetisch, und ich bin mit kein' einzigen von euch allein, un' du weißt doch, wie ich das Mädchen lieb hab'. Und nu' so 'rausgeschmissen zu werden! Wie kann ich denn zu Bett gehen und schlafen, un' mein Herz springt man so; das 's' wirklich nicht christlich. Bloß ein einziges Wort von mein' Dahly.«

Der Bauer erwiderte: »Mutter, verschon' uns mit so 'n Weiberkram. Was einer tragen soll, das muß er tragen. Und du sollt'st man vor deinem Gott auf die Knie fallen und nich' so 'n Heide sein, Alte. Steh auf. Du hast ja 'ne Bibel in deiner Schlafstube, da such' dir Trost drin.«

»Nein, Wilhelm, nein!« schluchzte sie, immer noch auf den Knien, »da is' auch nich' 'n bißchen Trost in, wenn so 'ne arme Seele ganz im Dunkeln tappt, und denn hat man keine Geduld mit so Bibelsprüchen. Ich un' meine Bibel! Wie kann ich da überhaupt in lesen, wenn ich gar nich' weiß, wo über ich traurig bin, und hab' auch nich' ein gutes Wort gehört, Wilhelm. Das is' mir denn bloß so, a's wenn der Teufel Blitze über die Seite wegschösse, wie mein' arme, selige Großmutter woll sagte, un' glaubte, daß Hexen das damals tun könnten, wenn sie es böse mit einen meinten. Nein. Heute kuck ich das Heilige Buch bloß von außen an, und ich will und will und will es nich' aufschlagen!«

Dieser heftige Abschluß ihrer Tirade wurde dadurch bewerkstelligt, daß der Bauer sie am Arm ergriff, um sie wieder auf die Füße zu stellen.

»Geh' zu Bett, Mutter!«

»Ich mach's nich' auf,« wiederholte sie trotzig. »Un' es is' und is' auch nich' gut,« setzte sie gewissermaßen den Nachdruck ihrer ganzen gewichtigen Person hinter diese Worte, »un' das würd' ich auch den Allerfrömmsten ins Gesicht sagen – ja, gerade würd' ich das! – daß man einen immer so die Bibel um die Ohren haut!«

»Nun, nun, nicht so böse,« sagte der Bauer.

Sie lenkte sofort ein.

»Lieber Wilhelm, ich hab' siebenun'fufzig Pfund Sterling und noch 'n ganz Teil Schillinge auf der Sparkasse, und die sollte mein' Dahly immer haben und nich' die dunkle Deern da, die da so muffig sitzt, un' ich bin doch so unglücklich, ich würd' dir sie alle zusammen geben, wenn du mir bloß sagen wollt'st, was da mit mein' Liebling los ist. Ja, Wilhelm, und mein'm armen Mann sein Haus in Sussex – das sind siebzehn Pfund in 'n Jahr. Wenn du man bloß so gut sein wolltest un' mir man ein einziges Wort sagen!«

»Bring sie hinauf,« sagte der Pächter zu Rhoda, und Rhoda ging auf sie zu und nahm ihre Hände, und mit Hilfe ihres Ziehens von vorn und des Bauers Schieben von hinten und unter so viel kreischendem Widerstand, wie eine so fette und dabei so geschmeidige Person ihn nur irgend zu leisten vermochte, wurde sie hinausbefördert. Der Pächter und Robert hörten noch vom Gange her ihr Kämpfen und Schreien, aber plötzlich hörte ihr Widerstreben auf.

»Das Mädel hat Kraft,« sagte der Bauer, der neben der geschlossenen Tür stand.

Auch Robert dachte das. Seine Phantasie bemächtigte sich der Tatsache, und sein Herz begann so heftig zu klopfen, daß es ihm schmerzte.

»Vielleicht hat sie versprochen, ihr zu erzählen. – was geschehen ist, was es auch sein mag,« warf er hin.

»Nein, nein, das tut sie nicht. Sie respektiert meine Wünsche.«

Robert fragte nicht, was geschehen sei.

Mr. Fleming blieb an der Tür stehen, und es kam kein weiteres Wort über seine Lippen, bis er Rhodas Schritt zurückkommen hörte. Er verschloß abermals die Tür hinter ihr, ging an den viereckigen Tannentisch, lehnte seinen Körper auf die Knöchel seiner zitternden Paust und sagte: »Damit wär'n wir denn ziemlich zu Ende. Ich habe den Geschmack am Leben verloren.«

Damit hielt er inne. Von den Schweißperlen auf seiner Stirne abgesehen, verriet sein Gesicht nichts von der Qual, die er erduldete. Er sah keinen der beiden an, sondern ließ seinen Blick unter den schwerarbeitenden Brauen hervor gradaus auf einer Lehne des Armsessels am Kamin haften, während seine Schultern auf die lebende Stütze seiner fest zusammengeschlossenen Hände tief herabsanken. Rhodas Augen, starr, wie die ihres Vaters, ruhten voll auf Robert, wie in qualvoller Angst vor dem, was nun ausgesprochen werden würde.

Das Feuer flackerte einmal hell auf, und in dem Strahl sah er, daß die Seele des Mädchens nicht mit ihm war. Er würde den Pächter sofort unterbrochen haben, aber er hatte nicht den Mut dazu, selbst wenn er die Fähigkeit in sich gefühlt hätte, dieser seltsamen, ernsten, ochsenähnlichen Starrheit des Blickes, darüber das menschliche Elend gleich einer Tatsache lagerte, die das träge Hirn noch nicht hatte fassen können, ein Leuchten zu entlocken.

»Mein Geschmack am Leben,« nahm der alte Mann seine Rede wieder auf, »der 's vorbei. Damit hab' ich, als ich hinreiste, nicht gerechnet, daß ich 'n Kampf mit der ganzen Welt aufnehmen sollte. Das 's zuviel für 'n Mann in meinen Jahren. Da 's der Hof. Soll der verkommen? Ich bin 'n Bauer aus der alten Zeit, von so vor dreißig Jahren und länger. Ich versteh da nich' viel mehr von, als heutzutage ein Tagelöhner. Kosten tu ich nich' viel. Ich will bloß satt zu essen haben, und dafür will ich arbeiten, und ich möcht' mein bißchen Land in Sicherheit wissen, so wie ich es von meinem Vater bekommen hab'. Nich' für mich selbst, darum is' das nich', – wenn da auch vielleicht ein bißchen Stolz mit bei is', wie es das ja meistens is'. Man kann ja sagen, es is' mir um den Namen! Es kommt mir vor, als wenn mein Vater mich ganz laut fragte: ›Was hast du mit Queen Annes Farm gemacht, Wilhelm?‹ und dann hör' ich nichts, as' 'n dumpfes Echo. Na, Gott hat es nich' so gut mit mir gemeint, daß er mir 'n Sohn gegeben hat. Er hat mir Töchter gegeben.«

Mr. Fleming beugte den Kopf tief, als böte er ihn der Waffe, die ihn züchtigte, dar.

»Töchter!« Er bückte sich noch mehr.

Seine Zuhörer hätten glauben können, seine kopflose Anrede an sie ermangele auch eines richtigen Schlusses, denn es schien, als wolle er ebenso abrupt aufhören, wie er angefangen hatte; so lange währte die Pause, ehe er mit einem müden Aufrichten seines Körpers in festerem Tone fortfuhr:

»Keiner soll mich unterbrechen.« Seine Hand hatte sich nach der Richtung hin ausgestreckt, wo Rhoda stand, aber kein Blick begleitete die Bewegung, seine Augen sahen nach einer ganz andern Stelle.

Der Anblick der leeren, ins Blinde hinein gereckten Hand, die auf die Mauer über sie hinweg deutete, durchschauerte ihre Seele mit einer Ehrfurcht, die sie verstummen hieß, obschon seine nächsten Worte ihr Herz wie Dolchstöße trafen.

»Meine älteste Tochter – die hat Schande über dieses Haus gebracht. Ihre Mutter ist im Himmel, und diese Mutter wird über sie erröten müssen. Meine älteste Tochter ist in London unter die Huren gegangen.«

Seine Rede hatte die Schärfe der Heiligen Schrift. Robert warf einen raschen Blick unsäglichen Mitleids auf Rhoda. Er sah ihre Hände sich tastend heben, bis sie mit ineinandergeschlungenen Fingern ihre Schläfen umklammerten, so daß ihr Druck wie ein eisernes Band ihr Haupt umschloß, während ihre Lippen sich öffneten und ihre Zähne, ihre Wangen, ihre Augäpfel von gleicher Weiße waren. Ihr trauriges, gleichmäßiges Ein- und Ausatmen, ohne daß die Brust sich hob oder senkte, bei dem die Luft eingesogen und wieder ausgestoßen wurde, als handle es sich um die flache Klinge eines scharfgeschliffenen Schwertes, war furchtbar anzusehen. Sie sah aus wie ein aus dem Grabe erstandener Leichnam, der jemand von den blutigen Feldern des Lebens zurückrufen möchte.

Der Pächter fuhr fort:

»Begraben wir sie! Nun wißt ihr beiden das Schlimmste. Da 's' meine zweite Tochter. Die hat keinen Flecken, wenn sie die Leute für das nehmen wollen, was sie wirklich ist. Sie 's' träge. Aber ich glaub', sie würd' sich das Fleisch von 'n Knochen schinden für einen, den sie lieb hat. Sie hat Temperament. Aber sie 's' rein an Leib und Seele, das glaub' ich und schwör' ich vor Gott. Ich – alles was ich beten möcht', das is', daß die Deern es gut haben soll. Alles was ich hab', kriegt sie mal. Oder vielmehr – der Mann, der sie, ich mein', der Mann, der sich nich' schämt, sie zu heiraten, mein' ich!«

Hier versagte seine Barschheit, und er mußte nach Worten suchen, die ihm bald schwach, bald emphatisch kamen, alle indes gleichermaßen gezwungen und unnatürlich, denn seine Erregung hatte den Punkt erreicht, wo die Natur ihre Grenzen zugeben muß, und er suchte jetzt absichtlich nach Elend und nach Demütigung, rechts und links, zum Teil, um dadurch zu beweisen, unter welch' unseligen Stern ihn die Vorsehung gestellt habe.

»Sie wird dankbar sein. Ich werd' mich bald davonmachen. Was für 'ne Schande ich, der ich auch der Vater von der andern bin, dem Bunde bringe, das, hoff ich, wird mit mir ins Grab versenkt werden; der Mann von dieser da soll nicht darüber zu klagen haben, daß ihr Charakter und ihr Arbeiten für ihn die Schande nicht zudeckt, die er vielleicht in der Verwandtschaft sehen könnte. Und mit sonstiger Verwandtschaft wird man ihm ja nicht zur Last fallen.

»Ich hab' immer gedacht, Stolz wär' was Schlechtes. Aber ich danke Gott, daß uns Flemings allen was davon im Blute sitzt. Ich danke Gott jetzt dafür, – ja, wahrhaftig. Wir sehen die nicht noch mal wieder an, an denen wir uns versündigt haben. Das heißt, wir strecken nicht die Hand nach ihnen aus. Wir gehen. Keiner sieht uns mehr, und keiner wird sie mehr sehen. Darauf verlaßt euch!«

»Ich möchte mein Kind hier so sehen, daß ich keine Angst mehr vorm Tod zu haben brauchte. Denn ich hab' Angst vorm Tod, solange sie nicht sicher in irgend jemandes Schutz ist, – in 'n freundlichen Schutz, wenn ich das so haben könnt'! Irgendeiner – ein junger oder ein alter!«

Zum erstenmal hob der Bauer den Kopf und starrte Robert mit leerem Ausdruck an.

»Ich würde sie,« sagte er, »wenn ich wüßte, daß ich heute oder morgen früh sterben müßte, irgendwie verheiraten, irgendwie – lieber, als daß ich sie hier allein ließe, würde ich sie an den alten Kerl, den alten Gammon, verheiraten.«

Der Bauer wies mit der Hand zur Decke hinauf. Sein düsterer Ernst leitete und trug selbst diese Andeutung von des eventuellen Bräutigams Alter und Lebensgewohnheiten und allem, was damit zusammenhing, durch die Pforten der Lächerlichkeit hindurch. Keiner lachte, keiner dachte auch nur daran, zu lachen.

»Das sagt einem ja die Vernunft, daß mir 'n junger Mensch lieber wär, als 'n alter. Der würde den Hof bewirtschaften und ihn nicht verkaufen, und denn blieb er doch in der Familie, wenn er denn auch nicht an 'n Fleming käm'. Wenn er nur orndtlich solide ist und sich nicht wie so 'n Hans in allen Ecken aufspielt mit sein'n Land. In einer Sache recht haben, ja, gewiß, das ist recht haben, – aber ich mein' nur, darum hat man noch nicht in allem recht. Darum hat man erstmal nur in einem recht. Wenn junge Leute bei einer Gelegenheit mal den Nagel auf 'n Kopf treffen, denn möchten sie immer gleich denken, sie hätten in allem recht.«

Das ging natürlich auf seine alten Zwistigkeiten mit Robert und bewies zur Genüge, auf wen es der Bauer als Mann für Rhoda abgesehen hatte, wenn bis dahin noch irgendein Zweifel über diesen Punkt bestanden haben sollte.

Nachdem er seine Augen aufgeschlagen hatte, verließ ihn seine ungewohnte Rednergabe, und mit schwankender Stimme und unsicherem Blick schloß er:

»Beinah hab' ich ihren Onkel vergessen. Solange ich noch was auf Reichtum gab, solange hab' ich seine Reichtümer für was gerechnet. Ich weiß nich', wieviel er hat, aber was er hat – dafür hab' ich sein Wort – das geht alles – Gott weiß, wieviel es sein mag! – an diese Deern. Und er sagt auch, sie wär's wohl wert, daß 'n junger Mensch sein Herz an sie hängte. Mag auch wohl sein. Das kommt ja zur Hauptsache auf 'n Geschmack an. Sie kriegt alles. Und den Hof auch. – Na, denn gute Nacht!«

Er gab ihnen kein weiteres Zeichen, sondern ging in seiner gedrückten Art ruhig nach der Tür, die ins Innere des Hauses führte und von dort weiter und überließ ihnen das übrige.


 << zurück weiter >>