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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Langsam hatte sich der Lieutenant von Wendenstein erholt, seit seine Natur die Krisis überwunden, und wenn auch oft noch Augenblicke und Stunden großer Schwäche gekommen waren, so hatte doch im Ganzen die Besserung ohne bedenkliche Schwankungen ihren Fortgang genommen und der Arzt hatte die Hoffnung gegeben, daß für die künftige Gesundheit des jungen Mannes keine nachtheiligen Folgen Zurückbleiben würden.

Je mehr die Besserung aber fortschritt, – je mehr die Kräfte des Kranken zurückkehrten, je mehr sein Blick klar, freudig und fest aus dem allmälig sich wieder mit leichter Röthe färbenden Gesicht strahlte, um so mehr hatte sich Helene zurückgezogen und die Pflege der Frau von Wendenstein und ihrer Tochter überlassen, während sie selbst ihren ganzen Eifer darauf richtete, der alten Dame alle möglichen Aufmerksamkeiten zu erweisen und ihr die gewohnte häusliche Bequemlichkeit zu ersetzen.

Das war aber gar nicht nöthig, denn Frau von Wendenstein bedurfte keine andere Stärkung, als den Blick in das täglich sich mehr und mehr belebende Gesicht ihres Sohnes.

Mit strahlenden Augen und glücklichem Lächeln folgte sie den Fortschritten der Genesung und mit der scharfen Beobachtung der Mutterliebe entdeckte sie jede noch so feine und unmerkbare Nüance, welche durch Farbe und Ausdruck auf dem Gesichte des jungen Offiziers die Rückkehr des frischen Lebens und der Jugendkraft andeutete.

Frisch und heiter wurde sie wieder und mit lebhaftem Interesse hatte sie Einblick genommen in die häusliche Wirthschaft des alten Lohmeier – sie hatte oft ihre große Zufriedenheit und zugleich ihr Erstaunen geäußert über die große Ordnung in den reichen Leinenschätzen, in allem übrigen Hausgeräth und in der Eintheilung der Tagesarbeit, – da doch nur ein so junges Mädchen, wie Margarethe, dem Allen vorstand, – dann hatte sie hier und dort guten Rath ertheilt, freundlich den reichen Schatz ihrer Erfahrung als Hausfrau geöffnet und mit inniger Liebe hatte das junge Mädchen sich ihr angeschlossen, mit tiefer Verehrung blickte der alte Lohmeier auf diese so vornehme, so würdige Dame, welche doch so genau mit allen häuslichen Angelegenheiten Bescheid wußte und welche so freundlich und mütterlich seiner Tochter, dem Stolz seines Herzens, die Hand reichte.

Der Lieutenant hatte es wohl bemerkt, daß Helene nicht mehr an seinem Bette erschien, fragend ruhte oft sein Blick auf ihr, als er wieder aufstehen durfte und im Zimmer seiner Mutter saß, – aber er sprach wenig, – war es ihm doch nicht ganz klar, ob die süßen und reizenden Bilder, welche wie eine duftige Erinnerung in seinem Innern lebten, Wahrheit oder Gebilde seiner krankhaften Phantasieen gewesen.

Träumerisch und still ging Helene einher, sie hob selten das Auge zu dem jungen Manne empor – die tiefen Gefühle ihres Herzens, welche in den Tagen der Angst und Gefahr so mächtig emporgewallt waren, hatten sich wieder still in die innerste Verborgenheit versenkt, und der zarte, dichte Schleier weiblicher Zurückhaltung deckte das Leben ihrer Seele.

Frau von Wendenstein hatte oft den milden Blick voll Theilnahme auf das junge Mädchen gerichtet, – aber sie hatte mit keinem Worte das stille innere Leben und Weben des jungfräulichen Herzens berührt, sie wußte, daß ein edles weibliches Herz eine Blume ist, die sich erschließen und blühen muß auf ihre eigene Weise – erschreckend und sich schließend bei jeder Berührung.

Sie hatte in ihrem stillen, frommen Sinn auch diese beiden jungen Herzen in die Hände Gottes befohlen, der sie lenken und führen werde nach seinen gnädigen und liebevollen Rathschlüssen.

Der Kandidat war wenig gekommen. Er war unermüdlich thätig, die Kranken zu trösten und zu erbauen, und in der ganzen Stadt sprach man von ihm mit Anerkennung und Hochachtung. Er hatte auch dem Lieutenant von Wendenstein, als dieser wieder gekräftigt der sicheren Genesung entgegensah, freundliche und herzliche Worte gesagt, ihn zur Dankbarkeit gegen die Vorsehung ermahnt, welche ihn von den Grenzen des Todes in's Leben zurückgerufen, – den Lieutenant aber hatte beim Anblick seines Gesichts und beim Ton seiner Stimme ein unwillkürliches konvulsivisches Zittern ergriffen und dann hatte er lange dagesessen in tiefem Sinnen – schauerlichen, furchtbaren Bildern folgend, welche in verworrenen Schrecknissen aus seiner Erinnerung heraufstiegen, – welche es ihn, aber nicht in feste, klare Formen zu bringen gelungen war. Und jedesmal, wenn er den Kandidaten sah, hatte er dasselbe unerklärliche Gefühl von Kälte und Todesangst, jedesmal suchte er von Neuem in seinen Erinnerungen und konnte sie doch nicht zur Klarheit bringen, – er schalt sich selbst wegen seiner Abneigung gegen den frommen jungen Geistlichen, und je mehr seine Genesung fortschritt und seine Nerven wieder die alte Spannkraft annahmen, um so mehr kämpfte er dagegen an und zwang sich, freundlich und herzlich gegen den Kandidaten zu sein.

So war in ruhigem Stillleben der Tag herangekommen, an welchem die Damen mit dem Lieutenant, der wieder langsam zu gehen begonnen hatte, nach Blechow zurückreisen sollten. In die Freude über den dem Leben wiedergegebenen Sohn hatte sich ein neuer, tiefer Schmerz für Frau von Wendenstein gemischt. Die Einverleibung Hannovers in Preußen war als beschlossen und unabänderlich bekannt, und der Oberamtmann hatte in einem ruhigen, aber traurigen Brief seiner Frau mitgetheilt, daß er seinen Abschied erbeten habe, da er in den letzten Jahren seines Lebens nicht im Stande sei, einem neuen Herrn zu dienen. Er wolle zunächst nach Hannover ziehen und dann für seinen Sohn, den Lieutenant, von dem er ebenfalls nicht wünsche, daß er in den neuen Verhältnissen im Militärdienst bleibe, ein Landgut kaufen, wo dann für die ganze Familie eine neue Heimat erwachsen solle.

Diesen Brief hatte Frau von Wendenstein am Vorabend der Abreise erhalten. Als sie ihn gelesen, rannen langsam große Thränen aus ihren Augen. So sollte sie denn nur heimkehren, um das alte Haus zu verlassen, in dem sie nun so lange Jahre geschaltet und gewaltet hatte, in dem jede Stelle verwachsen war mit lieben Erinnerungen ihres in seiner stillen und einfachen Abgeschlossenheit so glücklichen Lebens. – Aber sie konnte den Entschluß ihres Mannes, dessen Willen sie ohnehin in Allem zu gehorchen gewöhnt war, nur billigen, und als sie dann weiter dachte, über den schweren Abschied von dem Amtshause, das ja doch nicht ihr eigenes war, hinaus, als sie daran dachte, dann ihrem Sohne eine eigene Heimat zu gründen und auszustatten, ein Haus zu rüsten, das die bleibende Wohnstätte ihrer Kinder und Enkel sein solle, – da trocknete sie ihre Thränen, ein mildes Lächeln spielte um ihre Lippen und mit heiterer Ruhe las sie den Brief des Oberamtmanns den Ihrigen vor.

Freudig strahlte das Gesicht des Lieutenants.

»O, wie danke ich dem Vater!« rief er, »für diesen Entschluß, wie danke ich ihm, daß er mir erlaubt, mich vom Dienst zurückzuziehen, es wäre zu schmerzlich für mich gewesen, die alten Fahnen zu vergessen, für die ich mein Blut vergossen!«

Und lächelnd seiner Mutter die Hand reichend, sagte er:

»Und wie schön wird meine liebe Mama, unsere neue Heimat einrichten, – o – es wird reizend sein!«

Und sein voller, strahlender Blick fiel auf Helene, welche, die Augen auf ihre Arbeit gesenkt, ihm gegenüber saß. Sie blickte nicht auf, – aber sie fühlte diesen Blick und eine dunkle Röthe flog über ihr Gesicht, – und Frau von Wendenstein sah mit weichem, glücklichem Lächeln zu ihr herüber, – aus dem Kummer der Gegenwart stieg vor ihr das Bild einer lichten, freundlichen Zukunft empor.

Während dieß in den oberen Räumen des Hauses vorging, saß Margarethe mit ihrem Vater und Fritz Deyke bei dem einfachen Abendessen. Das junge Mädchen löste mit geschickter Hand die braune Schale von den schön aufgeplatzten, frischen Kartoffeln, den Erstlingen der dießjährigen Frucht, für ihren Vater und den Gast, der im Hause so heimisch geworden war.

Alle Drei schwiegen, düster blickte der junge Bauer vor sich hin.

»Sie essen nicht,« sagte der alte Mann, auf den Teller seines Gastes blickend, obgleich er selbst eben so wenig Appetit zeigte.

»Vielleicht habe ich es nicht recht gemacht,« sagte Margarethe, indem sie versuchte, den Ton scherzhaften Schmollens anzunehmen, – aber es klang wie Thränen durch diesen Ton.

Fritz Deyke warf einen schnellen Blick auf ihr bleiches Gesicht und ihre niedergeschlagenen Augen.

»Ich kann nicht!« rief er mit halb erstickter Stimme, entschlossen Messer und Gabel neben seinen Teller legend. »Wenn ich daran denke, daß ich morgen fortgehen soll,« fuhr er fort, – »dann möchte ich wahrhaftig wünschen, niemals hieher gekommen zu sein; wenn ich so wieder zu Hause sitzen und hieher denken werde, – an die ganze Zeit – an unsern Tisch hier, – wie hübsch das Margarethe Alles gemacht hat, – dann werde ich gar nichts mehr essen können!«

Der alte Lohmeier blickte ihn voll Theilnahme an, – man sah, auch ihm wurde es schwer, an die Trennung von dem frischen, treuen und guten Burschen zu denken.

»Bleiben Sie noch hier!« sagte er einfach, »Sie wissen, daß wir Sie gern behalten.«

Margarethe sah mit schimmerndem, feuchtem Blick zu dem jungen Bauern hinüber.

»Das kann nichts helfen,« sagte dieser, – »einmal muß ich ja doch fort, und je später, desto schlimmer wird es.«

Er seufzte tief und sein Auge begegnete dem Blick des jungen Mädchens.

Margarethe zuckte zusammen und brach in lautes Schluchzen aus. Schnell sprang sie auf, bedeckte das Gesicht mit den Händen und lehnte weinend den Kopf an einen großen Schrank, der in der Tiefe des Zimmers stand.

Fritz Deyke eilte zu ihr hin.

»Mein Gott, mein Gott,« rief er und versuchte die Hände von ihrem Gesicht zu ziehen, – »ich kann das nicht ansehen, – mir wird das Herz zerspringen!«

Dann stand er einen Augenblick still vor dem weinenden Mädchen, die Augen in tiefem Sinnen auf den Boden geheftet.

Schnell trat er zum Tische zurück – vor den Alten hin.

»Herr Lohmeier« sagte er mit fester Stimme, – »ich kann's nicht länger zurückhalten, – ich wollte erst nach Haus und mich mit meinem Vater verständigen, – und dann wollte ich zurückkommen, – aber es geht nicht – das Weinen kann ich nicht ansehen – da muß ich ein Ende machen, und was mein Vater sagen wird, das weiß ich schon im Voraus, – Herr Lohmeier – ich kann ohne die Margarethe nicht zufrieden und glücklich sein, – ich habe reichlich, – überreichlich – um eine Frau zu ernähren, – ich weiß, Sie glauben, daß ich ein rechtschaffener Bursche bin – geben Sie mir Ihre Tochter!«

Margarethe rührte sich nicht, sie nahm die Hände nicht von ihrem Gesicht, – ihr leises Weinen war hörbar in dem stillen Zimmer, während Fritz Deyke in athemloser Spannung auf den Alten blickte.

Dieser sah ernst vor sich hin. Ein lebhaftes Erstaunen zeigte sich nicht auf seinen Zügen, – er mochte wohl Aehnliches erwartet haben, – aber nachdenkend schwieg er eine Weile.

»Mir wäre es schon recht,« sagte er dann – »ich habe Sie liebgewonnen und würde Ihnen mit Ruhe das Glück meines Kindes anvertrauen, – aber da sind noch zwei Personen zu fragen – meine Tochter zuerst–«

Mit einem Sprunge war Fritz neben dem jungen Mädchen.

»Margarethe,« rief er, – »willst Du mit mir gehen?« Er legte den Arm um ihre Schultern und zog sie sanft nach dem Tische zu ihrem Vater hin.

Sie ließ die Hände, mit denen sie noch immer ihr Gesicht bedeckt hatte, sinken – ihre Augen standen voll Thränen, – aber sie strahlten von Liebe und Vertrauen, und indem sie frei und voll den jungen Menschen ansah, sagte sie laut und klar:

»Ja!«

»Nun, das wäre Eins,« sagte der alte Lohmeier lächelnd, – »das Zweite aber ist ernster, – das ist die Einwilligung Ihres Vaters. – Die Zeit ist ernst und traurig,« fuhr er trübe fort, – »wird Ihr Vater, der alte Hannoveraner, die preußische Schwiegertochter freundlich in seinem Hause willkommen heißen, – die Tochter des treuen und festen Preußen, die ich verleugnen würde, wenn sie jemals die Liebe zu ihrem Könige vergäße?«

Fritz Deyke schwieg einen Augenblick.

»Herr Lohmeier,« sagte er dann, »Sie wissen, daß ich Hannoveraner bin von ganzem Herzen und von ganzer Seele, und daß es mir ein großer Schmerz ist, daß wir jetzt preußisch werden sollen, – aber was kann ich, und was kann Margarethe dafür? Wir haben die Politik nicht gemacht und können sie nicht anders – wollte Gott, Preußen und Hannover könnten sich so gut verständigen wie wir Beide, – ich übrigens,« fuhr er heiterer fort, – »kann mich gar nicht beklagen, – denn wenn Preußen mein Vaterland nimmt, so nehme ich dafür das Beste, was es für mich in Preußen gibt, und meine Annexion ist friedlicher und nimmt das Herz zum Herzen!«

Er umschlang Margarethe und blickte bittend den Alten an.

Dieser aber sah noch immer ernst darein.

»Wird Ihr Vater auch so denken?« fragte er.

Fritz dachte einen Augenblick nach.

Plötzlich rief er:

»Warten Sie einen Augenblick!« und schnell eilte er aus dem Zimmer.

Betroffen blickte der Alte ihm nach. »Wohin geht er?« fragte er.

»Ich glaube, ich weiß es,« sagte Margarethe – »er hat mir oft erzählt von der hohen Verehrung, welche sein Vater für die Frau von Wendenstein hegt, und wie er auf ein Wort von ihr Alles zu thun bereit sei.«

Nach kurzer Zeit kam Fritz Deyke zurück.

»Die gnädige Frau von Wendenstein läßt Sie bitten, zu ihr zu kommen,« sagte er mit glücklichen Blicken zum alten Lohmeier.

Dieser stand sogleich auf, stäubte mit den Fingern die Aermel seines Rockes ab, strich mit der flachen Hand über das graue Haar und ging hinauf.

Fritz und Margarethe blieben allein.

Er setzte sich und zog das junge Mädchen sanft auf einen Stuhl, den er neben den seinen gestellt.

Was sie sich sagten? So wenig und doch so unendlich viel, so Altes und doch so ewig Neues – eine jener unzähligen Variationen der ewigen Liebesmelodie, die durch das Menschenleben klingt von der Wiege bis zum Grabe, und deren unvergängliche Tone die Seele hinübertragen in die große Harmonie der Ewigkeit.

Frau von Wendenstein führte den alten Lohmeier in das Krankenzimmer ihres Sohnes, – dort blieben sie eine halbe Stunde allein und das Resultat dieser Unterredung war, daß der Alte seine Zustimmung zu der Verlobung seiner Tochter mit Fritz Deyke gab, mit dem Vorbehalt der Einwilligung des alten Deyke, und damit dieser seine künftige Schwiegertochter kennen lerne, war verabredet, daß Margarethe Frau von Wendenstein begleiten sollte. Diese hatte es übernommen, sie dem Vater ihres Geliebten vorzustellen, und sie zugleich in die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gegend einzuweihen – und mit großem Stolz hatte der alte Lohmeier diesen Vorschlag angenommen, denn seine Verehrung für diese alte Dame, welche hier jetzt viele Wochen lang am Bette ihres Sohnes in seinem Hause zugebracht hatte, war ganz ungemein groß. Mit wichtiger und würdiger Miene hatte er den jungen Leuten mitgetheilt, was er »mit der gnädigen Frau von Wendenstein verabredet,« – und das Glück war groß bei den Beiden, wenn auch Margarethe mit einigem Zagen daran dachte, daß sie dem gestrengen Bauermeister gegenübertreten sollte, von dem ihr Fritz immer mit so großem Respekt gesprochen.

So war die Abreise herangekommen. Bei einer leisen Andeutung, welche Frau von Wendenstein früher gemacht über einen Ersatz für die Kosten und die Mühe, welche ihr und ihres Sohnes länger Aufenthalt dem alten Lohmeier verursacht, hatte dieser sich so entschieden gekränkt und beleidigt gezeigt, daß nie wieder davon die Rede gewesen, – am Tage der Abreise gab sie Margarethen ein prachtvolles Kreuz in Rubinen und Diamanten an einer Schnur großer Perlen.

»Ich habe hier viele Thränen geweint,« sprach sie sanft, – »daran mögen Sie die Perlen erinnern, mein liebes Kind, – aber die ewige Liebe, die wir anbeten unter dem heiligen Leidens- und Erlösungszeichen des Kreuzes, hat meine Thränen getrocknet und mein Herz getröstet und erhoben. – Daran möge Sie das Kreuz erinnern – und wenn Sie in Ihrem Leben Thränen vergießen, dann blicken Sie auf das Kreuz mit festem Glauben und innigem Vertrauen.«

Mit feuchten Augen hatte Margarethe das Geschenk empfangen, bewegt hatte der alte Lohmeier die weiße, feine Hand der Frau von Wendenstein an seine Lippen gedrückt und das Kreuz mit der Perlenschnur sorgfältig verschlossen in einen alten Eichenschrank, in welchem die einfachen und gediegenen Schmucksachen seiner verstorbenen Frau aufbewahrt waren, – das Alles sollte seine Tochter haben, wenn sie sich verheiratete und als Hausfrau einzöge in den alten, stattlichen Bauerhof im Wendlande.

Und dann waren sie abgereist, begleitet von tausend Glück- und Segenswünschen des alten Lohmeier, der, wenn Alles geordnet wäre, versprach, nachzukommen und im Stillen schon daran dachte, für die letzten Tage seines Lebens dem einzigen Kinde nachzufolgen in die neue Heimat.

So hatte auf der Stätte, wo im blutigen Kampfe die Waffen der Hannoveraner und der Preußen sich gegen einander erhoben, die christliche Barmherzigkeit und der liebevolle Zug zweier jungen, frischen Herzen aus der Saat des Hasses Liebe geerntet – nach dem Willen des Ewigen, der überall das Böse zum Guten wendet und der auf den Wegen, welche die Dämonen des Kampfes und Streites die Menschen führen, überall mit unermüdlicher Sorge ihren finstern Spuren das lichte Kind des Himmels folgen läßt: die Versöhnung.

Traurig und ernst war das Wiedersehen in Blechow. Lange drückte der Oberamtmann schweigend den dem Tode entrissenen Sohn an die Brust; stumm küßte er die Stirn der Gattin. Trübe und ernst waren die Tage, die folgten.

Der Oberamtmann arbeitete mit dem Auditor von Bergfeld, um die Akten des Amtes in voller Ordnung als Beweis der rechten und pünktlichen Dienstführung dem Nachfolger übergeben zu können, – Frau von Wendenstein ging in stiller, wehmüthiger Geschäftigkeit im Hause umher, um alle die lange gesammelten Schätze einer fast zwanzigjährigen Haushaltung, doppelt werthvoll durch die Erinnerungen, welche sich an sie knüpften, nur ihrem Blick und ihrem Herzen verständlich, – um alle diese Schätze einzupacken in große Kisten für den Transport aus dem alten, weiten Hause. Und die großen, mächtigen Eichenschränke sahen so traurig aus mit den geöffneten Thüren und den leeren Fächern, und durch das ganze Haus wehte schaurig und kalt der Geist des Abschieds, der Trennung, – dieser Geist, der wie ein Bote des Todes finster durch das Menschenleben zieht, jedesmal, wo er uns nahe tritt, das Herz berührend mit dem bangen Vorgefühl des großen, letzten Abschiedes für die Ewigkeit. Jeder Abschied bricht eine Blüte aus dem vollen Kranz, mit welchem der Frühling des Lebens unser Herz schmückt, bis sie zuletzt alle hinabsinken unter die winterliche Schneedecke des Todes, – aber jede Blüte läßt auch eine Frucht zurück, welche die Keime in sich trägt zu reineren und schöneren Blumen, die sich dereinst erschließen werden zu unzerstörbarer Schönheit unter dem Lebenshauch des ewigen Frühlings.

Fritz Deyke hatte eine lange Unterredung mit seinem Vater gehabt, und finster hatte der Alte vor sich hingeblickt bei den Worten seines Sohnes. Er liebte diesen Sohn, er hatte unbedingtes Vertrauen zu ihm und er war fest überzeugt, daß seine Wahl keine unwürdige sei, – aber eine städtische Schwiegertochter im Hause zu haben, – eine preußische Frau im alten Bauerhofe des hannöverischen Wendlandes, das wollte ihm nicht in seinen Sinn. Doch er sagte nichts und ging auf die Bitte seines Sohnes zum Amthause zur Frau von Wendenstein.

Als nun die alte Dame, zu welcher er emporblickte wie zu einem Musterbilde aller weiblichen Vollkommenheit, ihm erzählte von der gastlichen Aufnahme, welche ihr verwundeter Sohn und sie Alle im Hause des alten Lohmeier gefunden, als sie ihm den Wohlstand des bürgerlichen Besitzes schilderte, der Margarethens Vater zugehörte – als sie ihm freundlich und herzlich zusprach, die großen Kämpfe der Zeit nicht zu übertragen an den stillen Herd des Hauses, da hatte er ernst und ruhig der alten Dame die Hand gereicht und gesagt:

»Es sei, wie mein Sohn es wünscht, – er ist brav und treu, – die Frau, die er in mein Haus führt, soll mir willkommen sein und mein väterlicher Segen soll auf ihrem Haupte ruhen.«

Dann hatte Frau von Wendenstein die Thüre des Nebenzimmers geöffnet, und tief erröthend in zitternder Verwirrung, aber mit freiem und klarem Blick war Margarethe hereingetreten, – gekleidet in die Tracht der reichen Bäuerinnen des Wendlandes. Rasch schritt sie auf den Alten zu, ergriff seine Hand und küßte sie und eine warme Thräne fiel auf diese rauhe, arbeitgewohnte Hand nieder.

Da flog ein weiches, mildes Lächeln über das starre, tiefgefurchte Gesicht des alten Bauermeisters, sanft, wie lange nicht, blickte sein Auge auf die kräftige, schlanke Gestalt des jungen Mädchens nieder, – er legte seine Hand auf ihr glänzendes Haar und sprach mit tiefer Stimme:

»Gott segne Dich, meine Tochter!«

Damit war Alles gesagt – und Alles in Ordnung; – es war ein Mann von wenig Worten der alte Deyke, – aber sein Wort war ein Felsen, und wenn es gesprochen war, so konnte man Häuser darauf bauen.

Dann war Margarethe in sein Haus gekommen, und als sie da einherging an seiner Seite, als sie mit staunender Bewunderung den Reichthum dieses alten Hofes ansah, als sie mit klugem Verständniß hie und da eine Bemerkung über die Verhältnisse der Wirthschaft machte, da war sein Gesicht immer heller und heller geworden. Als sie dann aber die Mägde aus der Küche fortgeschickt und mit geschickter Hand ganz Allein das Feuer entzündet und das Mittagsessen gekocht, als sie den Tisch gedeckt und Alles so gewandt und zierlich aufgetragen hatte, während Fritz sie mit leuchtenden Augen ansah, – als sie endlich dem Alten die Pfeife gebracht, die Kohle darauf gelegt und ihn dann mit den großen klaren Augen so lieblich und bittend angesehen, da hatte sein Blick sich leicht umflort, das Bild seiner verstorbenen Hausfrau stieg freundlich vor ihm empor, – er hatte seinem Sohn die Hand gereicht und gesagt:

»Ich danke Dir, daß Du mir diese Tochter gebracht.«

In tiefer Rührung waren beide jungen Leute vor ihm niedergekniet und mit halb erstickter Stimme hatte er leise zu ihnen gesagt:

»Gott segne und behüte euch, – meine lieben, lieben Kinder!«

Der Lieutenant ging still und sinnend umher. Seine Wunde war fast geheilt, seine Nerven stärkten sich wieder und die wunderbare Regenerationskraft der Jugend ließ das Blut immer voller und frischer durch seine Adern strömen. Er sah Helene selten; kam sie vom Pfarrhause herüber, so waren sie umgeben von den Uebrigen und wenige Worte hatten sie mit einander gewechselt. Der alte, heitere und vertrauliche Ton, welcher früher zwischen den Jugendgespielen geherrscht hatte, wollte nicht wiederkommen, – es war etwas Neues und Wunderbares zwischen ihnen, das scheu zurückbebte von der Lippe, wenn es in Worten Ausdruck suchte.

An einem Nachmittage, während der Oberamtmann mit dem Auditor arbeitete und Frau von Wendenstein mit ihren Töchtern und Margarethe bei dem traurigen Geschäfte der Auflösung des Hauses thätig war, schritt der Lieutenant langsam und gedankenvoll den Weg zum Pfarrhause heraus.

Die Rosen waren verblüht in dem kleinen, freundlichen Garten, und die herbstlichen Astern erhoben ihre bunten Häupter, hie und da überragt von großen, weithin leuchtenden Sonnenblumen.

Helene saß am offenen Fenster und blickte oft von ihrer Arbeit träumerisch in die herbstliche Gegend, – ihr Vater und der Kandidat waren hinausgegangen, um einige Besuche in der Gemeinde zu machen, – sie war allein mit ihren Gedanken.

Plötzlich fuhr ein leichtes Zittern durch ihre Glieder, eine schnelle Röthe schlug in ihrem zarten Gesicht auf, sie ließ die Arbeit in den Schooß sinken. Der Lieutenant von Wendenstein kam den Weg herauf und schritt durch den Garten dem Hause zu.

Einen Augenblick später ertönte sein Klopfen an die Thüre, mit Anstrengung rief sie: »Herein!« und der junge Mann trat in's Zimmer.

Ein freudiger Schimmer leuchtete in seinem Gesicht auf, als er Helene allein sah.

Rasch näherte er sich ihr und reichte ihr die Hand.

»Der Vater ist ausgegangen,« sagte sie mit niedergeschlagenen Augen und bebender Stimme, – »wollen Sie Platz nehmen!«

Der Lieutenant blieb vor ihr stehen und blickte sie tief und innig an. Dann hob er ihre Hand an seine Lippen und drückte einen Kuß darauf.

Tief erröthend wollte sie die Hand zurückziehen, – er hielt sie mit sanfter Gewalt fest.

»Ich bin sehr glücklich,« sagte er, – »Sie allein zu finden, – ich habe Sie schon lange etwas fragen wollen, – worüber ich nicht klar bin.«

Sie hob erstaunt und fragend den Blick zu ihm empor, – sie wollte sprechen, aber sie fand kein Wort.

»Helene,« sagte er mit leiser Stimme, – »als ich verwundet und krank in Langensalza lag, ohne Kraft zum klaren Denken, vom Fieber umfangen, da umschwebten mich so süße, freundliche Bilder, – ich sah vor mir einen tröstenden Engel, der mich so treu und liebevoll ansah, – ich hielt seine Hand in der meinen, ich drückte meine Lippen auf diese hülfreiche, gütige Hand, – und ich sagte aus dem Grunde meines Herzens: ›liebe Helene‹« –

Sie zog jetzt rasch ihre Hand zurück und setzte sich in heftiger Bewegung auf den Stuhl am Fenster, blaß und zitternd die Augen auf den Boden geheftet.

Er trat zu ihr heran und fuhr in innigem Tone fort:

»Sagen Sie mir nun – denn über meine Erinnerungen aus jener Zeit legt sich zuweilen ein trüber Schleier – sagen Sie mir, waren das Gebilde meiner Phantasie, die ich nicht aus meiner Seele entfernen kann, die mich immer und immer verfolgen – oder war es Wirklichkeit?« –

Sie antwortete noch immer nicht und saß still und regungslos da.

»Helene,« sagte er bittend, – »in diesen süßen Bildern meiner Erinnerung sah ich auch einen Blick, der mir so schöne und liebe Dinge sagte in stummer Sprache, – dieser Blick steht vor mir Tag und Nacht, – Helene, sehen Sie mich nur einmal an, damit ich sehen kann, ob das Bild in meinem Herzen den Fieberträumen oder der Wahrheit angehört.«

Er sank vor ihr in die Kniee und ergriff ihre herabhängende Hand, mit sehnendem, liebevollem Ausdruck zu ihr aufschauend.

Da schlug sie langsam das Auge auf, – und in diesem Auge las er die Antwort, dieß Auge sprach wieder jene stumme Sprache, die in seinem Herzen wiedertönte, – und wie damals drückte er ihre Hand an seine Lippen, wie damals ließ sie sie ihm lieblich lächelnd, und wie damals sagte er glücklich und strahlend, mit weichem Tone: »Liebe, liebe Helene!«

Lange saßen sie stumm und sahen sich in die Augen – er konnte nicht müde werden, diese lieben Züge zu betrachten, die sich in den Tagen der Todesgefahr so tief in seine Seele gegraben hatten.

Dann aber sprang er auf, beugte sich über sie und schloß sie innig und fest in die Arme.

Die Thüre öffnete sich, – der Pastor und der Kandidat traten ein.

Voll Erstaunen blickte der alte Herr auf diese unerwartete Szene, – ein jäher Blitz zuckte mit bösem, feindlichem Ausdruck aus den scharfen Augen des Kandidaten, schnell aber senkten sich seine Blicke zu Boden und ein glattes Lächeln spielte um seinen Mund.

Helene hatte in lieblicher Verwirrung den Kopf tief gesenkt, – der Lieutenant trat rasch dem Pastor entgegen und ergriff lebhaft dessen Hand.

»Lieber Herr Pastor,« sagte er mit entschlossenem Tone, – »meine liebe Jugendfreundin Helene hat mein Leben behütet und bewacht, als es an einem schwachen Faden noch mit der Welt zusammenhing, – ich habe sie gebeten, auch weiter – immer und immer – der treue Engel meines Lebens zu sein – und – sie will es –« fügte er mit einem glücklichen Blick auf das junge Mädchen hinzu, – »wollen Sie einst an dem Altar dieser lieben Kirche, wo ich Ihnen das Bekenntniß der Konfirmation ablegte, unsere Hände ineinander fügen?«

Und er blickte treuherzig dem alten Geistlichen in die Augen, der noch immer tief erstaunt vor dieser Wendung der Dinge stand, von welcher sein einfacher, ruhiger Blick nichts geahnt hatte.

Er sah seine Tochter an. Der Blick, welchen sie schüchtern und erröthend auf den jungen Mann warf und dann bittend zu ihm erhob, sagte ihm, daß zwischen den jungen Leuten Alles einig sei und daß Gott hier zwei Herzen zu einander geführt hatte, die es ihm nicht zukam zu trennen. Er liebte den jungen Offizier und konnte nur mit Zufriedenheit diese Fügung annehmen, welche ihm den jungen Mann so nahe führte, – aber seine Gedanken und Pläne in Bezug auf seine Tochter hatten eine so ganz andere Richtung gehabt, – er konnte sich nicht so schnell in diese neue Lage finden.

Helene sprang auf, – eilte zu ihrem Vater und lehnte sich an seine Brust.

Der alte Herr warf einen ernsten Blick auf seinen Neffen, welcher mit mildem, gleichmäßigem Lächeln und gesenkten Blicken dastand.

»Mein lieber Herr von Wendenstein,« sagte er, – »Sie wissen, wie sehr ich Sie und Ihre Familie von Jugend auf liebe, – und wenn meine Tochter Ihnen ihr Herz geschenkt, so kann ich nur als Vater und als Geistlicher die Hände segnend auf Ihre Häupter legen, – ich muß indeß gestehen, daß das Alles mich sehr überrascht, – ich hatte andere Gedanken in Bezug auf die Zukunft meiner Tochter,« – und er blickte abermals ernst und forschend zu dem Kandidaten hinüber.

Dieser trat zu ihm hin und sprach mit ruhiger Stimme und freundlichem Lächeln, ohne die Augen aufzuschlagen:

»Laß keinen Mißton in die freundliche Harmonie dieser Stunde dringen, lieber Oheim, – Du weißt, ich bin vor Allem meinem geistlichen Beruf ergeben, – irdische Wünsche, so theuer sie meinem Herzen sein mögen, können den geistlichen Frieden meiner Seele nicht stören, und wenn der Himmel es anders fügt, als ich es gewünscht und gehofft, so sehe ich darin nur eine gnädige Weisung, mich mehr und mehr mit der ganzen Kraft meiner Seele vom Irdischen abzuwenden, um diese ganze Kraft der treuen Erfüllung meines heiligen Amtes zu widmen. Ich werde aus tiefster Seele für das Glück meiner Cousine beten! – Ich bringe Ihnen meinen herzlichen Glückwunsch, Herr von Wendenstein,« fuhr er fort und reichte dem jungen Offizier die Hand.

Dieser ergriff sie lebhaft mit bewegtem Blick auf den jungen Geistlichen. Aber die Hand war kalt wie Eis und ein tiefer Schauer durchdrang unwillkürlich alle Nerven des Lieutenants, als er sie berührte und ihren zähen, schlangenartigen Druck fühlte. – –

Zum letzten Male sollte das alte Amtshaus in Blechow um seinen gastlichen Tisch die Freunde des Hauses vereinen, um die Verlobung des Lieutenants mit Helenen zu feiern. So hatte es der Oberamtmann gewollt, und er hatte auch bestimmt, daß der alte Deyke, Fritz und Margarethe und auch der alte Lohmeier, der herübergekommen war, an diesem Ehren- und Freudentage der Familie theilnehmen sollten, der zugleich ein ernster und schwerer Abschiedstag war. Der Oberamtmann wollte diesen harten, traurigen Abschied verklären durch die Vereinigung mit der Feier zweier Herzensbündnisse – Alle sollten in das Leben eine freundliche, lichte Erinnerung mitnehmen an die vergangenen Tage des alten Hauses – der alten Zeit, welche nun mit erlöschenden Strahlen hinabsank in das Meer der Vergangenheit.

Alles war bereits gepackt und zur Absendung fertig, – nur das Tischgeräth und das alte, schwere Silberzeug war noch draußen, um zum letzten Male seine gediegene Pracht zu entfalten.

Am Morgen war der Regierungsassessor von Wendenstein gekommen und hatte eine lange und ernste Unterredung mit seinem Vater gehabt.

Er theilte ihm mit, daß man ihm angetragen, als Hülfsarbeiter in das Ministerium des Innern in Berlin einzutreten, und er sprach den Wunsch aus, dem Antrage zu folgen, da er dort dafür wirken könne, mit schonender, milder Hand sein Vaterland in die neuen Verhältnisse einzufügen. Doch stellte er seinen Entschluß der Entscheidung des Vaters anheim.

Lange stand der alte Oberamtmann ernst, in tiefem Sinnen da.

»Du bist jung, mein Sohn,« sagte er dann mit ruhiger, milder Stimme, »Dein Leben gehört der Zukunft, Du mußt in die Arbeit des Lebens hinein und darfst Dich nicht in die Vergangenheit begraben. Der König hat alle Beamten ihres Eides entbunden, – Du bist also frei, – ergreife die Gelegenheit, eine Carrière zu machen und Deine Kraft für das gemeine Beste nützlich zu verwenden, – vergiß aber nie Dein gutes, treues hannöverisches Vaterland, – halte seine Erinnerung heilig in Deinem Herzen, – und wo Du kannst – wirke, daß man ihm mit Liebe entgegenkomme und seinen Schmerz um die schöne und ehrenvolle Vergangenheit achte. Mein Segen sei mit Dir auf Deinem neuen Wege!«

Schweigend hatte der Regierungsassessor die Hand seines Vaters geküßt und dann war zwischen Beiden nichts mehr darüber gesprochen worden. –

Ernst und bewegt saß die Gesellschaft um den Tisch im Speisesaal des Amtshauses. Voll Würde nahm der alte Deyke seinen Platz zur Seite des Oberamtmanns ein, – verlegen, aber stolz und glücklich saßen Fritz und Margarethe neben einander, in lichter Freude blitzte das Auge des Lieutenants, in stiller Seligkeit schimmerte das zarte, sinnige Gesicht Helenens, und wollte zuweilen eine Thräne in das sanfte, klare Auge der Frau von Wendenstein dringen, so blickte sie hin auf den wiedergeschenkten Sohn und seine liebliche Braut, – und ein glückliches Lächeln spielte um ihre Lippen, so daß es schwer gewesen wäre, zu sagen, ob der silberne Tropfen an ihrer Wimper aus dem bittern Kelche des Schmerzes oder aus der klaren Quelle der Freude entstamme.

»Denkst Du noch daran, meine süße Helene,« sagte der Lieutenant leise zu seiner Geliebten, – »wie Du mir einst auf der Terrasse die dunkle Wolke zeigtest, welche in die Ferne zog aus dem silbernen Strahl des Mondes? Siehst Du, sie ist wiedergekommen und ruht im vollen und reinen Licht, – und nun soll sie keinen Blitz und kein Wetter mehr in sich tragen, sondern Segen und Glück bringen dem Garten unseres Lebens!«

Sie sah ihn lächelnd, mit liebevollem Blick an. –

»Es scheint,« flüsterte sie, »daß Du jetzt den Schlüssel zu dem Reich der Bilder und Träume gefunden hast,– den Du damals glaubtest nur aus meinen Händen empfangen zu können.«

»Und habe ich ihn nicht aus Deinen Händen?« sagte er, – »Du hast ihn mir gegeben an den Grenzen des Todes, – und ich will ihn treu bewahren im goldenen Licht des Lebens!«

Das Dessert war aufgetragen. – Ein Posthorn erschallte draußen.

»Der Herr Baron von Klentzin,« meldete der alte Diener nach einigen Minuten.

»Das ist der Verwalter des Amtes Blechow« – sagte der Regierungsassessor, »welchen der Civilkommissär von Hardenberg bestimmt hat, um Dich abzulösen, lieber Vater.«

Ernst erhob sich die Gesellschaft.

Der preußische Beamte trat ein, ein großer, schlanker junger Mann, elegant in seiner Erscheinung, gewandt in seinen Bewegungen.

Würdig und ruhig ging ihm der Oberamtmann entgegen.

»Seien Sie mir willkommen, Herr von Klentzin, in meinem Hause, – das heute noch das meine ist, – und morgen das Ihrige sein wird,– Sie finden uns bei der Feier eines Familienfestes, der Verlobung meines Sohnes, und ich bitte Sie, sich zu uns zu sehen.«

Er stellte den jungen Mann seiner Frau und den Uebrigen vor und deutete ihm dann den Platz neben der Frau von Wendenstein an. Auf seinen Wink reichte der Diener dem Gast einen gefüllten Champagnerkelch.

»Ich werde Ihnen morgen das Amt übergeben,« sprach der alte Herr, – »und ich hoffe, Sie werden es in Ordnung finden, – heute erlauben Sie mir, Sie nur als Gast zu behandeln.«

Herr von Klentzin verneigte sich.

»Ich komme als ein Fremder in Ihren Kreis,« sprach er, – »und ich fühle, daß ich Ihrem Herzen kaum willkommen sein kann. – Aber ich bitte Sie, Herr Oberamtmann, – und Sie Alle hier, überzeugt zu sein, daß ich Ihre Gefühle auf das Tiefste würdige und achte, – wir wissen, was die Liebe zum Vaterlande heißt, – und wahrlich,« fügte er mit warmem Tone hinzu, – »wir kommen zu Ihnen mit offener Hand und offenem Herzen. Möchte die Zukunft uns Alle vereinigen ohne Schmerz und Bitterkeit in Liebe zu dem gemeinsamen, großen deutschen Vaterlande! – Jetzt erlaube ich mir auf das Wohl des Brautpaares mein Glas zu leeren!«

»Herr von Klentzin,« sagte der Oberamtmann mit einem Klange tiefer Wehmuth in der Stimme, – »solange hier um meinen Tisch sich Freunde gastlich vereinten, war es eine schöne und unabänderliche Sitte des Hauses, zu trinken auf das Wohl unseres Königs und Landesherrn, – er ist jetzt fern – er ist nicht mehr der Herr dieses Landes – Sie werden es verstehen, wenn ich wünsche, an diesem letzten Tage, den ich hier verlebe, von der alten Sitte meines Hauses nicht abzuweichen. Eine neue Zeit steigt herauf, – aber gedenken wir der alten in Segen und Liebe!«

Herr von Klentzin ergriff sein Glas.

»Nur aus der Liebe zur Vergangenheit kann der Segen der Zukunft erblühen,« sprach er mit bewegter Stimme, »und fern sei es mir, den Scheidegruß an die Vergangenheit durch meine Gegenwart zu stören.«

Alle erhoben sich.

Ernst sprach der Oberamtmann:

»Dem Könige, der unser Herr war und dem der Dienst meines Lebens gehörte! Gottes Segen folge ihm nach!«

Die Stimme versagte ihm.

Tief bewegt neigte Herr von Klentzin sein Glas gegen das des Oberamtmanns und in leiser Schwingung zitterte der Klang durch die tiefe Stille des Gemachs.

Alle leerten schweigend ihre Gläser.

Das war der letzte Toast auf den König Georg V. im alten Amtshause zu Blechow.

Sinnend blickte Herr von Klentzin nieder.

»Wir haben ein schönes, reiches Land gewonnen,« flüsterte er vor sich hin, – »Gott gebe, daß wir auch diese Herzen gewinnen zu treuer und starker Brüderschaft!«


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