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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Herr Pietri hatte am nächsten Morgen seinen Vortrag bei Napoleon beendet und erhob sich, um sich in sein Zimmer zurückzuziehen.

Der Kaiser blickte ernst vor sich nieder.

»Ich muß der Kaiserin Charlotte einen Besuch machen,« sagte er leise.

»Die arme Kaiserin, – sie ist in der That zu beklagen« – bemerkte Pietri.

»Warum klammert sie sich eigensinnig an diesen lächerlichen mexikanischen Thron an?« rief Napoleon – »ich kann doch den Kaiser Maximilian nicht auf seinem Throne halten, den er selbst durch seinen liberalen Idealismus unterminirt hat? – Er hat sich von der kirchlichen Partei getrennt, hat den Klerus tief verletzt, diese einzige Macht, welche ihm dort die Massen zuführen konnte, und welche vor Allem im Stande war, ihm Geld zu schaffen, das er bedarf, denn ohne Geld wird er bald weder Truppen, noch Generale, noch Minister, noch Freunde haben. – Soll ich,« fuhr er nach einer Pause fort, – »soll ich in diesen mexikanischen Abgrund fortwährend Ströme französischen Blutes und französischen Geldes sich ergießen lassen, ohne ihn doch jemals ausfüllen zu können, – jetzt, wo diese deutsche Drohung sich neben den Grenzen Frankreichs erhebt, – wo ich schweigen und lächeln muß, weil ich nicht handeln kann?« – er biß die Zähne fest zusammen, ein Ausdruck zornigen Grimmes flog über sein Gesicht, – – »diese mexikanische Expedition war eine große Idee,« sagte er dann – »die Befestigung des monarchischen Prinzips auf der anderen Hemisphäre diesem drohenden Nordamerika gegenüber, – die Herrschaft der lateinischen Rassen; – mit der Unterwerfung der Südstaaten ist diese Idee unmöglich geworden, – der Kaiser Maximilian hat nicht verstanden, sich eigene Stützen für seinen Thron zu schaffen, – ich habe kein Interesse mehr, ihn zu halten – und ich kann es nicht.«

»Wenn Eure Majestät die Südstaaten kräftig unterstützt hätten« – warf Pietri etwas schüchtern ein.

»Konnte ich das allein?« rief der Kaiser lebhaft, – »hat mich nicht England im Stich gelassen, – England, das doch wahrlich noch ein größeres Interesse hatte als ich, dem Wachsthum und der Konsolidirung dieser amerikanischen Republik entgegenzutreten, welche das Schwert schleift, mit welchem sie einst den baumwollenen Lebensfaden des stolzen Großbritanniens durchschneiden wird? Sollte ich allein den Haß und die Feindschaft dieser Macht der Zukunft auf mich laden, ohne die Sicherheit, sie überwinden zu können, – um den Thron eines Kaisers zu erhalten, der in liberaler Experimentalpolitik Wilde mit konstitutionellen Theorieen regieren will? Er thut mir leid, – dieser Maximilian,« fuhr er nach einigen Schritten durch das Zimmer fort, – »es ist etwas Edles, Großes in ihm – aber auch viel Unklarheit – »er hat etwas von seinen Vorfahren – von Joseph II., der hundert Jahre zu früh auf die Welt kam, und von jenem anderen Maximilian, der ebensoviel zu spät geboren wurde, den die deutschen Dichter den letzten Ritter nennen, indem sie Franz I. vergessen. Ich beklage ihn,« sagte er seufzend, – »aber ich kann ihm nicht helfen. – Uebrigens ist es ja nicht so schlimm, nach dieser Expedition wieder Erzherzog von Oesterreich zu werden, – es gibt Fürsten, die keine solche Rückzugslinie haben, wenn der Thron unter ihnen zusammenbricht! – Ich wollte, die Kaiserin Charlotte wäre fort,« – sagte er dann mit dumpfer Stimme, – »sie war sehr erregt gestern, – es wird ein peinlicher Besuch werden!«

Er ließ den Adjutanten vom Dienst rufen, befahl seinen Wagen vorfahren zu lassen und zog sich in sein Toilettenzimmer zurück.

*

In ihrem Salon in der Beletage des Grand Hotel am Boulevard des Italiens saß die Kaiserin Charlotte von Mexiko in schwarzem Anzug. Ihr früher so schönes, frisches und anmuthiges Gesicht war bleich und traurig, tiefe Linien durchzogen dasselbe und gaben ihm den Ausdruck frühen Alters, ihr Haar war fast verborgen unter einem schwarzen Spitzentuch, das in die Stirn herabreichte, – um den Mund zuckte eine unruhige, nervöse Bewegung, und aus den müden Augen blitzte zuweilen ein unsteter, fieberhafter Glanz hervor.

Vor der Kaiserin stand der General Almonte, der Gesandte Mexikos in Paris – ein vornehm aussehender Mann vom Typus der Südländer – traurig blickte er auf diese Fürstin, welche vor nicht langer Zeit über das Meer hingezogen war, um den in märchenhaftem Schimmer strahlenden Thron Montezuma's zu besteigen, und welche da jetzt gebrochen in tiefem Weh vor ihm saß – statt Montezuma's Diadem hatte sie die Märtyrerkrone von Guatimozin gefunden.

»Sie glauben also nicht, General,« sagte die Kaiserin mit zitternder Stimme, »daß von Frankreich noch Etwas zu hoffen ist?«

»Ich glaube es nicht,« erwiederte der General ernst, – nach Allem, was ich hier zu sehen und zu hören Gelegenheit gehabt, ist der Kaiser fest entschlossen, sich aus der ganzen Sache schnell und definitiv zurückzuziehen; – wenn Seine Majestät der Kaiser Maximilian seinen Thron erhalten will, – was ich im Interesse des unglücklichen, so lange von Abenteurern aller Art ausgebeuteten Landes dringend wünsche, – so muß er ohne Frankreich rechnen, – er muß im eigenen Lande Stützen suchen, – vor Allem suchen, die festeste und mächtigste Stütze wieder zu gewinnen, welche er verloren – die Kirche und den Klerus, welche ihm Soldaten und Geld schaffen wird. – Nicht hier,« fuhr der General fort, »ist Hülfe zu finden, – wollen Eure Majestät meinen Rath hören, so müssen Sie nach Rom gehen, – der Papst allein kann jene in Mexiko so gewaltige Macht des Klerus dem Kaiser wieder zuführen, – freilich wird er dafür Bedingungen stellen, – aber schnell müßte gehandelt werden, – ehe es zu spät wird,« fügte er in dumpfem Tone hinzu.

»O,« rief die Kaiserin aufstehend und einige Male mit raschen Schritten durch den Salon gehend, – »o, daß mein edler, unglücklicher Gemahl den Lockungen dieses Dämons gefolgt ist, den man Napoleon nennt, – daß er unser schönes Miramar verlassen hat, um sich in diesen Abgrund zu stürzen, in den wir tiefer und tiefer versinken. – Wenn Sie wüßten,« rief sie mit funkelnden Augen, vor dem General stehen bleibend, – »wie ich ihn gebeten habe, diesen Mann, – er war in Saint-Cloud, – um mich zu vermeiden,« rief sie immer schneller und erregter sprechend, – »ich folgte ihm dorthin, ich drang fast gewaltsam zu ihm ein, – ich habe gebeten und gefleht, – ich habe allen Zorn in mein Herz zurückgedrängt, – ich habe ihn gebeten, wie man Gott bittet, – ich habe mich zu seinen Füßen geworfen, – ich, die Enkelin Louis Philipp's, zu den Füßen des Sohnes jener Hortense – o, mein Gott!«

Sie sank erschöpft auf das Kanape zurück.

»Und was antwortete der Kaiser?« fragte der General, mit tiefem Mitleid auf diese unglückliche Frau blickend, deren verhängnißvolles Diadem so schwer auf ihrem Haupte lastete.

»Nichts,« seufzte die Kaiserin, »Phrasen des Bedauerns, kalte Worte des Trostes, welche wie Hohn klangen in seinem Munde. – General,« rief sie plötzlich, sich aufrichtend und den starren Blick auf den Gesandten richtend, – »General, ich fürchte, daß mein Verstand sich verwirrt, – so vielen Kummer kann keine menschliche Seele ertragen, so viele Thränen kann kein Auge vergießen, ohne den Mächten der Finsterniß zu verfallen. – Nachts,« rief sie, den Blick in das Leere gerichtet, wie einer Vision ihres Innern folgend, – »Nachts, wenn nach langem, thränenreichen Wachen ein unruhiger Schlummer sich auf mich niederläßt, – dann sehe ich ihn heranschleichen, diesen der Hölle entstiegenen Dämon, – er reicht mir einen Becher, grünlichgelbe Flammen züngeln daraus hervor – ich schauere bis in das Innere meines Herzens, – aber er hält den Becher an meine Lippen, die Flammen schlagen in mein Gehirn mit furchtbaren Schmerzen, – ich muß trinken – trinken den entsetzlichen Trank, den er mir reicht, – und dieser Trank ist Blut, – Blut meines Gemahls!« rief sie laut aufkreischend und die Hände abwehrend in krampfhafter Bewegung vor sich streckend.

»Majestät, – um Gotteswillen beruhigen Sie sich!« rief der General entsetzt.

Ein Geräusch entstand im Vorzimmer.

Ein Lakai trat ein.

»Seine Majestät der Kaiser fährt so eben in den Hof,« rief er und öffnete die Flügel der Thüre zum Vorzimmer.

Rasch erhob sich die Kaiserin Charlotte. Sie fuhr mit ihrem Taschentuch über die Stirn, – die Starrheit verschwand aus ihren Zügen, ruhig und mit schmerzlichem Lächeln sprach sie:

»Lassen Sie mich mit ihm allein, General – vielleicht hat Gott sein Herz erweicht.«

Napoleon erschien im Vorzimmer, – er war im schwarzen Frack mit Stern und Band des Ordens unserer lieben Frau von Guadeloupe. Oberst Favé begleitete ihn.

Die Kaiserin trat ihm bis zur Schwelle ihres Zimmers entgegen. General Almonte zog sich mit tiefer Verbeugung in das Vorzimmer zurück. Die Lakaien schlossen die Thür.

Napoleon küßte der Kaiserin die Hand, führte sie zum Sopha und setzte sich in einen Lehnstuhl zu ihrer Seite. In angstvoller Spannung blickte die Kaiserin zu ihm hin, seine tief verschleierten Augen waren zu Boden geschlagen.

»Eure Majestät sind zufrieden hier?« fragte er in höflichem Ton, »ich würde mich glücklich schätzen, wenn Sie die Gastfreundschaft eines meiner Schlösser annehmen wollten –«

»Ich bedarf Nichts,« sagte die Kaiserin mit leichter Ungeduld, – »ich bin gekommen, um mein Urtheil zu hören, – ich bitte Eure Majestät mir zu sagen, ob dasselbe gefällt ist, und was ich zu hoffen habe.«

»Ich glaube Eurer Majestät gestern schon meine Auffassung über die politische Situation ausgesprochen und begründet zu haben,« – sagte der Kaiser in ruhigem Ton, – »ich kann nur nochmals mein Bedauern wiederholen, daß diese Situation mir verbietet, – absolut verbietet, den Wünschen Eurer Majestät entgegenzukommen, – wie ich es so sehr gewünscht hätte,« fügte er mit artiger Verbeugung hinzu.

Ein leichtes konvulsivisches Zittern spielte um die Lippen der Kaiserin Charlotte.

»Sire,« sagte sie mit gepreßter Stimme, – »es handelt sich nicht um meine Wünsche, – sie haben sich niemals auf jenen fernen Thron gerichtet, – es handelt sich um die Ehre, vielleicht um das Leben meines Gemahls, – denn er wird das Leben seiner Ehre opfern.«

»Aber, Madame,« sagte der Kaiser, leicht den Schnurrbart drehend, – »ich wüßte nicht, wie die Ehre verlangen könnte, sich eigensinnig unter den Trümmern eines Thrones zu begraben, welcher nicht mehr zu halten ist. Ihr Gemahl hat eine große und gute Sache unternommen; daß sie nicht durchgeführt werden kann, ist die Schuld der Verhältnisse, nicht die seine, – Niemand wird ihm einen Vorwurf machen.«

Ein bitteres Lächeln umzog den Mund der Kaiserin.

»So faßt mein Gemahl die Sache nicht auf,« sagte sie, »er wird nicht als entthronter Fürst die Welt durchziehen, – nach seiner Ansicht darf ein Fürst den Thron, den er einmal bestiegen, nur mit dem Leben aufgeben.«

»Der Kaiser Maximilian wird eine Ansicht, die auf den gegenwärtigen Fall nicht paßt, nicht bis zum Aeußersten treiben,« erwiederte Napoleon, – »ich werde den General Castelnau an ihn abschicken, – er soll ihm nochmals in meinem Namen die ganze Notwendigkeit der Lage, unter deren Herrschaft ich mich befinde, darlegen, – der Kaiser wird sie begreifen, – er wird zurückkehren, und ich bitte Sie dringend, Madame, durch Ihre Rathschläge die Mission des Generals zu unterstützen.«

Eine fliegende Röthe zog rasch über das Gesicht der Kaiserin, ihre Augen funkelten in zitterndem Glanz – ihre Lippen zuckten, und mit rauhem Ton sprach sie:

»Die Mission wird vergeblich sein – und ich – werde niemals meinem Gemahl Etwas rathen, das er in seinem hohen, ritterlichen Sinne mit seiner Ehre für unvereinbar hält.«

Der Kaiser biß sich leicht auf die Lippen, sein verschleiertes Auge öffnete sich eine Sekunde und ein harter, fast feindlicher Blick schoß daraus auf die Kaiserin hin.

Sie sah diesen Blick, – ein Schauer durchflog ihre Gestalt, – in gewaltsamer Anstrengung preßte sie die Hand auf ihr Herz und tief aufathmend sprach sie, den glühenden Blick auf den Kaiser richtend:

»Sire – es ist nicht die Ehre meines Gemahls allein, um welche es sich hier handelt, – für diese einzutreten ist allerdings zunächst unsere eigene Sache, – aber es steht noch ein Anderes auf dem Spiel, – ein Anderes, das Eure Majestät näher angeht – und das ist die Ehre Frankreichs.«

Der Kaiser lächelte kalt.

»Meine Armeen ziehen sich nur auf meinen Befehl aus Mexiko zurück, – und bringen reiche Lorbeeren mit,« sagte er.

»Lorbeeren?« rief die Kaiserin mit funkelnden Augen, – »ja – der einzelne Soldat, der dort tapfer gefochten, der bringt Lorbeeren mit und Lorbeeren wachsen auf den Gräbern der Gefallenen, – aber die Fahnen Frankreichs – welche sich abwenden von dem Thron, den Frankreichs Kaiser aufgerichtet, – von dem Fürsten, der auf Frankreichs Ruf dorthin gegangen ist und der jetzt der Erniedrigung, dem Untergang preisgegeben wird, – diese Fahnen sollten in Trauerflor sich verhüllen, denn sie haben Frankreichs Ehre verlassen! – O Sire,« rief sie gewaltsam sich zwingend, – »ich bitte Sie noch einmal – ich beschwöre Sie – kommen Sie von Ihrem harten Entschluß zurück!«

Die Stirn des Kaisers legte sich in finstere Falten, ein eisiges Lächeln umspielte seine Lippen.

»Madame,« sagte er, – »Eure Majestät wird mir zugeben, daß ich der beste – jedenfalls der einzig kompetente Richter über das bin, was die Ehre Frankreichs erfordert.«

Die Augen der Kaiserin schleuderten Blitze, ein Ausdruck voll stolzer Verachtung erschien auf ihrem Gesicht.

»Eure Majestät sind der Richter,« – sagte sie,« – »so lassen Sie mich denn den Advokaten der französischen Ehre sein, – mein Blut gibt mir das Recht dazu, – es ist das Blut Heinrich des Vierten – und mein Großvater war König der Franzosen!«

Der Blick des Kaisers trat klar und frei aus den Schleiern seines Auges hervor, wie eine Degenklinge zuckte er gegen diese aufgeregte Frau, welche nur bebenden Lippen zitternd vor ihm saß.

Er stand auf.

Die Kaiserin erhob sich ebenfalls.

Sie preßte beide Hände auf ihr Herz, – ihr ganzer Körper bog sich zusammen unter der gewaltigen Willensanstrengung, mit welcher sie ihrem Blick die Ruhe, ihrem Munde das höfliche Lächeln wiedergab.

»Sire,« sagte sie mit inniger, weicher Stimme, – »verzeihen Sie der Gattin, die für die Ehre und das Leben ihres Gemahls spricht, wenn ich im Eifer mich fortreißen ließ zu allzukühner Vertheidigung der Sache, die für mich die höchste und heiligste ist – und sein muß. – Sire, ich bitte Sie um Gottes und der ewigen Barmherzigkeit willen, haben Sie Mitleid – geben Sie uns noch ein Jahr Ihren Schutz – oder geben Sie uns Geld, – wenn Ihnen das Blut Frankreichs zu kostbar ist.«

Und mit unbeschreiblich angstvoll bittendem Blick sah sie diesen Mann an, von dessen Munde das Wort der Hoffnung ertönen sollte, das sie dann auf den Flügeln der Liebe und der Freude ihrem in banger Sehnsucht harrenden Gemahl bringen könnte, seine verzagende Seele mit neuer Stärkung zu erquicken.

Mit kaltem Ton sagte Napoleon:

»Madame, der größte Freundesdienst in ernsten Augenblicken ist volle Wahrheit und Aufrichtigkeit. Es würde ein Verbrechen gegen Eure Majestät sein, wollte ich Ihnen unerfüllbare Hoffnungen machen, – meine Entschlüsse sind unabänderlich, wie die Notwendigkeit, welche sie diktirt hat – ich habe Nichts mehr für Mexiko übrig – keinen Mann mehr, keinen Thaler.«

Da verzerrten sich die Züge der Kaiserin auf entsetzliche Weise, blutig färbte sich das Weiße in ihren Augen, in flammendem Phosphorschein glühten ihre Blicke, ihre Lippen zogen sich von den glänzend weißen Zähnen zurück – ihre Arme vorgestreckt, schritt sie auf den Kaiser zu und unter den keuchenden Athemzügen ihrer Brust die Worte hervorstoßend, rief sie mit einer Stimme, welche fast nicht mehr menschlich klang:

»Ja es ist wahr, das Bild meiner Träume – die gräßliche Erscheinung meiner Nächte, – da steht er mit dem Blutbecher vor mir, – der Dämon der Hölle, – der Henker meiner Familie. – Morde meinen Gemahl, lächelnder Teufel, – morde mich, die Enkelin Louis Philipp's, dieses Königs, der Dich dem Elend entriß und Dich vor dem Schaffot rettete!«

Wie vor einer Gespenstererscheinung wich der Kaiser langsam gegen die Thüre zurück.

Die Kaiserin blieb stehen und nur die Hand gegen ihn ausstreckend, rief sie, indem ihre Züge sich immer furchtbarer entstellten und ihre Augen immer wilder glühten:

»Geh' hin, Verdammter, – aber nimm ihn mit Dir, meinen Fluch, – den Fluch, welchen Gott auf das Haupt des ersten Mörders schleuderte, zertrümmern soll Dein Thron, – die Flammen sollen Dein Haus vertilgen, und wenn Du am Boden liegst im Staube, aus dem Du emporgestiegen, vergehend in Schande und Ohnmacht, – dann soll der Engel der Rache Dir mit Posaunentönen in die Tiefen Deiner verzweifelnden Seele hinein die Namen rufen: ›Maximilian und Charlotte!‹«

Von Entsetzen erfaßt wandte sich der Kaiser um, die Augen mit der Hand bedeckend. Er eilte der Thüre zu und schnell das Vorzimmer durchschreitend, wo der Adjutant und der General Almonte tief erschrocken der schauerlichen Stimme der Kaiserin lauschten, rief er mit halb erstickter Stimme:

»Kommen Sie, Favé, – kommen Sie schnell, die Kaiserin ist nicht wohl!«

Er stieg schnell die Treppe hinab, ängstlich zurückblickend – bestürzt folgte ihm der Adjutant.

General Almonte war in das Zimmer der Kaiserin geeilt.

Die unglückliche Fürstin war in der Mitte des Salons in die Kniee gesunken, die linke Hand auf die Brust gepreßt, die rechte weit ausgestreckt, starrte sie mit blicklosem Auge zur Decke empor, wie ein steingewordenes Bild der Verzweiflung.

Der General eilte auf sie zu.

»Um Gotteswillen,« rief er, sich zu ihr niederbeugend – »ich beschwöre Eure Majestät, fassen Sie sich, – beruhigen Sie sich, – was ist geschehen?«

Ein leichtes Zittern durchflog die Glieder der Kaiserin, langsam wendete sie den Blick dem General zu – voll Verwunderung sah sie ihn an, sie fuhr mit der Hand über die Stirn und ließ sich von dem General ausrichten, der sie zu dem Sopha hinführte. Eine Kammerfrau war ängstlich eingetreten und unterstützte den General, der Lakai stand mit erschrockenem Gesicht an der Thüre des Vorzimmers.

Plötzlich blieb die Kaiserin stehen, – ihr Blick irrte suchend im Zimmer umher.

»Wo ist er?« rief sie mit heiserer Stimme – »er ist fort, er darf nicht fortgehen, – ich will mich an seine Fersen heften, Tag und Nacht soll mein Racheschrei in seine Ohren dringen!«

»Majestät!« rief der General.

»Fort,« schrie die Kaiserin überlaut, – »laßt mich, – meinen Wagen, meinen Wagen, – ihm nach, dem Verräther, dem Mörder meines Gatten!«

Und mit Gewalt den General und die Kammerfrau von sich schleudernd, stürzte sie durch das Vorzimmer die Treppen hinab – immer rufend: »Meinen Wagen, meinen Wagen!«

Der General eilte ihr nach. Der Lakai folgte.

Im großen Hof des Grand Hotel verliefen sich eben die Neugierigen, welche die Anwesenheit der kaiserlichen Equipage angezogen. Auf dem großen Balkon saßen die Fremden, Zeitungen lesend und plaudernd.

Da hörte man die laute Stimme dieser schwarzgekleideten Frau mit den verzerrten Zügen, mit den blutig starren Augen, welche an dem Ausgang der großen Treppe erschien und mit gellendem Tone unaufhörlich rief: »Meinen Wagen! meinen Wagen!«

Der General Almonte hatte die Kaiserin erreicht. Er versuchte sie zu beruhigen – es war unmöglich – alle Blicke richteten sich auf die sonderbare Gruppe.

Der General, in der äußersten Sorge, dieser furchtbaren Szene ein Ende zu machen, befahl dem Lakai, den zum Dienst der Kaiserin im Hofe haltenden Wagen herbeizurufen.

Die Equipage fuhr vor.

Mit einem Sprunge stürzte die Kaiserin hinein. Der General trat an den Schlag, um ihr zu folgen. Da verließen sie ihre Kräfte, – sie brach zusammen, – ihre Augen schlossen sich, weißer Schaum drang aus ihrem Munde, – bewußtlos in konvulsivischem Zucken sank sie in die Kissen zurück.

Mehrere Lakaien eilten herbei. – Sanft trug man sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer.

»Welch' ein Trauerspiel beginnt hier,« sprach der General Almonte, der langsam von Schauern geschüttelt folgte, – »und welch' eine Fortsetzung desselben liegt noch im Schooße der' Zukunft!«

*

Langsam bewegten sich am späten Nachmittag im Bois de Boulogne die glänzenden Equipagen der Aristokratie, der haute finance und der fremden Diplomatie. Die ganze Welt von Paris war in der Stadt geblieben, weil die europäische Krisis alle Interessen an den Mittelpunkt fesselte, – und diese ganze Welt machte vor dem Diner ihre gewohnte langsame Spazierfahrt um die schönen Ufer der beiden Seen in dem prachtvollen, in wunderbarer Sauberkeit gehaltenen Gehölz von Boulogne, zwischen den stolzen, schwerfälligen Equipagen mit den gepuderten Lakaien fuhren die Wagen der Damen der Halbwelt, leicht und zierlich mit eleganten tänzelnden Pferden, und die jungen Herren ritten, ohne Rücksicht auf die mißbilligenden Blicke der Damen der wirklichen Welt, an diese Wagen heran, lachend und scherzend die pikanten Bemerkungen erwiedernd, welche ihnen von den Damen der avant-scène und des Café anglais zugerufen wurden.

In offener Kalesche, von einem prachtvollen braunen Viererzug gezogen, zwei Piqueurs in grün und goldener Livree voran, ein Stallmeister am Schlage, erschien in all' diesem heitern bunten Treiben der Kaiser. Neben ihm saß der General Fleury. Das Gesicht Napoleon's strahlte von Heiterkeit, lebhaft unterhielt er sich mit dem General, mit freundlicher Verbindlichkeit erwiederte er rechts und links die Grüße und langsam fuhr die glänzende Equipage dreimal am Ufer des Sees hin und her. Eine Stunde später wußte ganz Paris, daß der Kaiser sich vortrefflich befinde und daß die Angelegenheiten sehr gut stehen müßten, denn Seine Majestät sei von einer bemerkbaren Heiterkeit gewesen.

Eben so heiter war der Kaiser bei der Tafel, zu welcher die Marschälle und einige hohe Offiziere befohlen waren.

Der Cercle war vorbei, – die Sonne war herabgesunken und der laue, aber schon dunkle Abend lag über der riesigen Stadt.

Der Kaiser trat in sein Kabinet. Er legte die Uniform ab, die er bei dem Diner getragen, und ließ sich einen einfachen schwarzen Ueberrock reichen.

Als der Kammerdiener sich entfernt, rief er Pietri.

»Ist mein Wagen ohne Livree bereit?« fragte er.

»Er steht an der Seitenthüre zu Eurer Majestät Befehl.«

»Sie haben mir,« sagte der Kaiser, »von jener merkwürdigen Schülerin der Lenormand erzählt – auch Morny hat mir davon gesprochen, – Madame Moreau? nicht wahr?«

Pietri lächelte.

»Sie hat schon vieles Wunderbare vorhergesagt, – ich habe sie selbst einmal besucht, und ihre Prophezeiungen haben mich frappirt.«

»Und sind eingetroffen?« fragte der Kaiser.

»Vieles, Sire, ist geschehen, wie sie es vorhergesagt.«

»Ich will sie hören,« sagte der Kaiser, »kommen Sie.«

Und er stieg, von seinem Sekretär gefolgt, die Treppe zu dessen Zimmer hinab.

Sie schritten durch einen Korridor und traten durch eine Seitenthür in den innern Hof der Tuilerieen, hier stand ein einfacher Wagen mit zwei schwarzen Pferden bespannt, – ein Kutscher ohne Livree auf dem Bock, – man konnte ihn für den Wagen eines Arztes halten.

Der Kaiser stieg ein.

Pietri folgte ihm, nachdem er dem Kutscher zugerufen: »Rue Tournon 5.«

In schnellem Trabe verließ der Wagen den Hof und fuhr die Rue de Rivoli hinab.

Ein zweiter, eben so unscheinbarer Wagen folgte ihm in einiger Entfernung.

Er enthielt den Chef der Polizei des Palastes und einen seiner Beamten.

Im alten Paris, in der Nähe des Palais du Luxembourg, liegt die Rue Tournon, eine jener alten Straßen, welche noch den Typus der vergangenen Zeiten trägt, mit niedrigen, einfachen Häusern, alten Läden und kleinen Fenstern.

Vor dem Hause No. 5 hielt der Wagen des Kaisers, – Pietri ging voran durch einen großen offenen Thorweg, welcher in einen kleinen Hof führte. Der Kaiser folgte ihm. Der zweite Wagen hielt an der Ecke der Straße, seine Insassen stiegen aus und begannen langsam, rauchend und plaudernd auf dem Trottoir hin und her zu gehen.

Napoleon III. folgte seinem Sekretär über den Hof, trat am Ende desselben in eine um einige Stufen erhöhte Thür und stieg eine schmale dunkle Treppe hinauf. Ein kleiner Vorplatz in der ersten Etage war durch eine einfache, aber elegante Lampe erhellt, unter derselben las man auf einem Porzellanschilde: Madame Moreau.

»Es ist dasselbe Haus und dasselbe Appartement, welches die Lenormand bewohnte,« sagte Pietri, während er die neben dem Schilde befindliche Glocke zog.

Der Kaiser blickte mit großem Interesse umher.

»Hier war also Napoleon I.,« sagte er sinnend, – »und hier wurde ihm die Krone prophezeit, welche sein Haupt zu schmücken bestimmt war!« –

Die Thüre öffnete sich. Ein junges Frauenzimmer in der Tracht der pariser Hausmädchen erschien. Der Kaiser schlug den Kragen seines Ueberrocks herauf und hielt sein Taschentuch vor den untern Theil des Gesichts.

Pietri trat vor und deckte ihn mit seiner Gestalt.

»Madame Moreau?« fragte er.

»Ich weiß nicht,« erwiederte das Mädchen, »ob Madame noch empfängt, es ist spät –«

»Wir sind Freunde,« sagte Pietri, – »Madame wird uns nicht abweisen.«

»Wollen die Herren in den Salon treten, – ich werde Sie melden.«

Sie führte den Kaiser und seinen Sekretär in einen kleinen, aber mit einer fast reichen Eleganz möblirten Salon. Dicke Teppiche bedeckten den Boden, große Fauteuils standen um einen Tisch, auf welchem verschiedene illustrirte Journale lagen, – eine große helle Ampel hing von der Decke herab und erleuchtete den Raum.

»Jetzt müssen Eure Majestät das Antichambriren lernen,« sagte Pietri scherzend, dem Kaiser einen Fauteuil hinrückend.

Dieser legte nur leicht die Hand auf die Lehne und blickte mit großem Interesse im Zimmer umher. An der Wand hing ein großer Kupferstich, sein Bild im Krönungsornat. Leicht seufzend blickte der Kaiser auf die schlanke jugendliche Gestalt des Bildes, – dann sagte er, lächelnd auf den Kupferstich deutend:

»Diese Dame scheint gut gesinnt zu sein.«

»Sie ist die Schülerin der Lenormand, Sire,« antwortete Pietri, »und lebt in den Traditionen ihrer Meisterin, – auch war sie ein besonderer Schützling des Herzogs von Morny –«

Eine kleine, von einer sehr dichten, dunkeln Portière maskirte Thüre öffnete sich, die Portière wurde zurückgeschoben und eine kleine, in eine einfache schwarzseidene Robe gekleidete, ziemlich korpulente Frau von etwa fünfzig Jahren, mit dunklem, glatt anliegenden Haar und schwarzen, lebhaften, scharf und durchdringend blickenden Augen, welche seltsam abstachen gegen das volle, etwas aufgeschwemmte und ziemlich gewöhnliche Gesicht, erschien auf der Schwelle.

Pietri trat vor.

»Ich danke Ihnen, Madame,« sagte er, »daß Sie uns noch zu dieser späten Stunde empfangen haben, – Sie haben mir vor einiger Zeit so glänzende Proben Ihrer Kunst gegeben, daß einer meiner Freunde, der auf der Durchreise hier ist, Sie bitten möchte, den Schleier von seiner Zukunft zu heben.«

»Treten Sie ein, meine Herren,« sagte Madame Moreau einfach und ruhig, mit wohlklingender Stimme und im Tone einer Dame von Welt.

Und sie kehrte in ihr Kabinet zurück. Pietri und der Kaiser folgten ihr.

Dieß Kabinet war ein kleiner viereckiger Raum, der außer der Thür zum Salon noch eine andere kleine Thür hatte, durch welche die Besucher nach der Konsultation sich zu entfernen pflegten, wenn sie mit etwa im Salon Wartenden nicht zusammentreffen wollten.

Dieß Kabinet hatte eine dunkle Tapete. Die nach dem Hof führenden Fenster waren durch dichte, faltige dunkelgrüne Vorhänge verdeckt. Ein hoher, alter Schrank stand an der einen Wand, in der Nähe des Fensters ein nicht großer Tisch mit grünem Tuch überzogen, vor demselben ein Lehnstuhl, auf welchem die Wahrsagerin Platz nahm. Auf dem Tisch stand eine Lampe mit dunkelgrünem Schirm, welche die Tischplatte hell erleuchtete, aber das übrige Zimmer im Schatten ließ. Auf der andern Seite des Tisches standen einige dunkelgrüne Fauteuils und ein kleiner Divan von gleicher Farbe.

Der Kaiser setzte sich auf einen der Lehnstühle in den Schatten, oft das Tuch gegen sein Gesicht erhebend.

Madame Moreau achtete darauf nicht. Sie war es gewohnt, daß ihre Besucher strenges Incognito zu bewahren wünschten.

Sie hatte vor ihrem Tische Platz genommen und fragte: »Wünschen Sie das große Spiel?«

»Gewiß,« antwortete Pietri, der sich neben den Lehnstuhl des Kaisers gestellt hatte.

Napoleon blickte mit forschender Aufmerksamkeit in dem kleinen Raum umher.

»Ich bitte den Herrn, mir seine Hand zu reichen, – die linke, wenn es Ihnen gefällig ist.«

Napoleon erhob sich und trat an den Tisch, so daß der Schatten des dunklen Lampenschirmes auf sein Gesicht fiel, und reichte der Wahrsagerin seine Hand, welche lang, schlank und weich, jünger erschien, als des Kaisers Haltung und seine Züge.

Madame Moreau ergriff diese Hand, kehrte die innere Fläche derselben nach oben und öffnete zunächst den Winkel, welchen der Daumen mit dem Zeigefinger bildete, bis zu seiner äußersten Spannung.

»Welche zähe, langsame Willenskraft,« – sagte sie langsam, ohne den Blick von der Hand des Kaisers zu erheben, – »aber eine Erschlaffung liegt mit darin, – eine zögernde Zurückhaltung – diese Hand ist gemacht, um sorgfältig und stetig die Sehne eines Bogens zu spannen, – aber sie wird zögern, den Pfeil dahinfliegen zu lasten, – sie möchte auch des abgeschnellten Pfeils Herrin bleiben, – der Pfeil aber gehört dem Schicksal. – Diese Hand wird die Sehne nicht schnellen lassen, wenn das Ziel erfaßt ist und der Blick den Moment erkennt, – sie wird sie fahren lassen unter der Erschütterung eines plötzlichen Anstoßes – der Pfeil aber gehört den ewigen Mächten des Verhängnisses« – fügte sie leiser hinzu. Dann fuhr sie mit aufmerksamem Blick in die Handfläche fort: »Bald nach ihrem Beginn gebrochen windet sich die Linie des Lebens in verschlungener Krümmung oft gekreuzt und durchzogen von hemmenden Falten weiter, – dann steigt sie in kühnem, weitem Bogen empor, höher und höher, bis –«

Sie sah mit starrem, träumenden Blick in die Hand und schwieg lange.

»Sie haben eine merkwürdige Hand, mein Herr,« – sagte sie dann, immer ohne aufzusehen, – »eine ähnliche Hand wie Sie hat jener große Fabius Cunctator gehabt – doch,« fuhr sie fort – »da sind auch Züge, die in Catilina's Hand gewesen sein müssen, aber ohne die unruhige Hast jenes Verschwörers, – und hier sind die Linien Cäsar's – nein – des Augustus. – Mein Herr,« sagte sie, – »Ihre Hand ist sehr merkwürdig, sie ist gemacht, langsam und vorsichtig die Fäden zu knüpfen, sie ist gemacht zum Bauen und Sammeln, zum Erhalten und Pflegen, – und doch zwingt sie das Schicksal oft zum Zerstören –«

»Und wohin führt die Linie des Lebens?« fragte der Kaiser mit so gedämpfter Stimme, daß man kaum den Ton derselben hörte.

Langsam und nachdenkend sagte Madame Moreau: »Sie wendet sich zurück nach ihrem Ausgange hin.« Der Kaiser warf einen Blick auf Pietri.

»Unklar wie die Pythia,« flüsterte er.

Hatte Madame Moreau diese Worte dennoch verstanden oder nicht, – sie sagte:

»Die Räthsel, welche die Linien der Hand übrig lassen, werden meine Karten vielleicht zu lösen im Stande sein.«

Und sie ließ die Hand des Kaisers los, nahm aus einer Schublade ihres Tisches ein Spiel großer Karten mit schön gemalten wunderlichen Bildern und Charakteren und ersuchte den Kaiser, dieselben zu mischen.

Dieser that es, immer sein Gesicht im Schatten des Lampenschirms haltend, und reichte dann das Spiel zurück.

Madame Moreau legte die Karten in langen Reihen vor sich auf den Tisch und prüfte sie aufmerksam.

»Mein Herr,« sagte sie dann, – »dieß ist eine Konstellation, wie sie selten vorkommt, – ich sehe Sie umgeben von hellem Glanz, von den Höchsten der Erde, Ihre Hand lenkt die Geschicke Vieler, – mein Gott!« rief sie, – »nur einmal habe ich diese Konstellation gesehen, es ist so – es kann nicht anders sein – hier der Adler über Ihrem Haupt; der Stern in der Diagonale, – der goldene Bienenstock – es wäre ein unwürdiges Spiel, zu schweigen, – es hieße meine Kunst erniedrigen –«

Sie stand schnell auf und sprach, indem sie sich tief verneigte, mit einer Bewegung, der es trotz ihrer kleinen und korpulenten Figur nicht an einer gewissen Anmuth und Würde fehlte:

»Mein armes Haus hat das Glück, den Souverän Frankreichs unter seinem Dach zu sehen, – Sire – ich grüße in tiefer Ehrfurcht meinen großen und geliebten Kaiser!«

Napoleon III. machte eine Bewegung der Überraschung, – dann trat er aus dem Schatten hervor und sprach lächelnd:

»Ich mache Ihnen mein Kompliment, Madame, über die Allwissenheit Ihrer Karten, – war mein großer Oheim hier bei Ihrer Meisterin, so darf wohl sein Neffe und Nachfolger die Schülerin aufsuchen. – Da wir nun ohne Maske sind,« fuhr er fort, »so lesen Sie mir weiter die Schrift des Schicksals in Ihren Karten.«

Madame Moreau kehrte zu ihrem Stuhl zurück und nahm auf einen Wink des Kaisers Platz, – welcher sich seinerseits nun dicht neben den Tisch setzte und mit aufmerksamem Blick auf die ausgebreiteten Karten sah.

»Sire,« sagte die Moreau, – »Eure Majestät können denken, daß ich, die ich Frankreich liebe und mit ganzem Herzen an dem großen Geschlecht Eurer Majestät hänge, – oft in der Stille meine Kunst versucht habe, um die Schicksale des Kaiserreiches meinem Auge klar zu machen, und – wunderbar, dieselbe Konstellation, welche sich jedesmal fast unverändert mir zeigte, liegt heute wieder vor mir in den Karten, welche Eurer Majestät kaiserliche Hand selbst gemischt hat, – ich konnte mich nicht täuschen. – Es wäre lächerlich, – wollte ich jetzt, nachdem ich weiß, wer vor mir steht, von Eurer Majestät Vergangenheit sprechen,« sagte sie dann, lange in die Karten blickend, – »nur Eines möchte ich sagen,« fuhr sie zögernd fort, – »darf ich sprechen?« fragte sie mit einem Blick auf Pietri.

»Ich habe keine Geheimnisse vor diesem Herrn,« sagte Napoleon.

»Sire,« fuhr Madame Moreau fort, immer in die Karten blickend, »Eure Majestät sind glücklich an der Seite Ihrer erhabenen Gemahlin, welche alle Tugenden in sich vereinigt – und dennoch –«

»Und dennoch?« fragte der Kaiser erstaunt in einem Ton, durch den fast ein leichter Unmuth hindurchklang.

»Sire,« sagte die Moreau langsam und feierlich, – »das Leben Eurer Majestät liegt auf der Grenze zwischen den Mächten des Lichtes und der Finsterniß, ein heller schimmernder Stern strahlt auf dasselbe herab – aber die tiefen Schatten eines dämonischen Verhängnisses dringen oft mächtig herauf, um jenes reine Licht zu verhüllen. Unter dem Schimmer jenes Sterns, unter dem Einfluß seiner segensvollen Strahlen öffnete sich das junge Herz Eurer Majestät einer von dem vollen Hauch jugendlicher Poesie durchdufteten Liebe, – der Segen des großen Kaisers, des erhabenen Märtyrers von St. Helena, lag auf dieser Liebe, sie hätte Eurer Majestät Leben erleuchtet und erwärmt, – und diese Liebe wurde erwiedert von einem Herzen, in dessen Schlägen das Blut des großen Oheims lebte –«

Betroffen sah der Kaiser vor sich nieder, – ein wehmüthiger Zug erschien auf seinem Gesicht.

»Sire,« fuhr Madame Moreau fort, »die finsteren Schatten zogen herauf, die Nacht des Verhängnisses bedeckte jene Liebe und ihre Hoffnungen. Das Herz, das für Sie schlug, ist den Leiden eines traurigen, einsamen Lebens verfallen und Ihnen fehlt die Gefährtin, welche der gute Genius Ihrer Jugend Ihnen im Strahle Ihres Sterns zugeführt hatte, und welche oft Ihr zweifelndes Herz gestärkt hätte.«

Der Kaiser schwieg. Ein Seufzer hob seine Brust.

»Fahren Sie fort,« sagte er dann.

»Auch heute, Sire,« sprach die Moreau, – »zweifelt Ihr Herz, – auch heute ringen in Ihrem Geiste die verschiedenen Mächte, – Sie schwanken zwischen Krieg und Frieden, – und merkwürdig,« – fügte sie hinzu, indem sie aufmerksam auf die Karten blickte und einige Bilder mit dem Finger bezeichnete, – »die Männer des Schwertes rathen zum Frieden –«

Gespannt hörte der Kaiser zu.

»Sire,« sagte die Moreau, »Sie haben Rußlands Stolz gebrochen, Sie haben die Königin von England an das Grab Ihres Oheims geführt, – Sie haben die Demüthigung des Königs von Rom am Hause Habsburg gerächt, – Sire, überall hat Ihr Stern Ihnen glänzend geleuchtet, – hüten Sie sich vor Deutschland!« sagte sie in dumpfem Ton, – »dort wallen die dämonischen Schatten Ihres finstern Verhängnisses herauf, – hüten Sie sich, hüten Sie sich!« rief sie lebhaft und hob die Hände wie beschwörend empor, – »wenigstens jetzt halten Sie die ehernen Würfel des Krieges zurück!«

Der Kaiser starrte vor sich hin. Ein leichter Schauer zitterte durch seine Glieder.

»Und Sie werden sie zurückhalten,« fuhr die Moreau fort, indem sie, die Bilder der Karten verfolgend, lange Linien über das ausgebreitete Spiel zog, »denn ich sehe Sie umgeben von den ruhigen Bildern des Friedens, – und nur unten im Grunde schleift der Kriegsgott eifrig das Schwert für künftige Tage –

»Und Frankreich soll sich demüthigen!« sagte der Kaiser leise, wie zu seinen eigenen Gedanken sprechend, – »soll nachgeben, zurückweichen!«

»Ich sehe keine Demüthigung,« sprach Madame Moreau, mit blitzenden Augen in die Karten blickend, – »ich sehe strahlenden Glanz, so hell, wie er kaum den Thron Ihres Oheims umleuchtete – ich sehe die Völker der Welt um die Stufen Ihres kaiserlichen Stuhls versammelt, ich sehe die Kaiser und Könige, alle Fürsten Europas – fast der Erde Sie in strahlendem Kreise umringen, – der Sultan begrüßt den kaiserlichen Herrn von Frankreich, der Nachfolger Peter's des Großen, – ha, was ist das?« rief sie, – »Sire, wachen Sie, wachen Sie über' dem heiligen Gastrecht, – der Mord lauert auf Alexander II. auf dem heiligen Boden Frankreichs, – doch Gott wendet den Streich ab, ich sehe nur Glanz, schimmernden Glanz und stolze Freude und die Völker Europas, Asiens und Amerikas, die schwarzen Nubier Afrikas vereinigt, – in staunender Bewunderung der Herrlichkeit des kaiserlichen Frankreichs.«

Die Augen des Kaisers öffneten sich – ein stolzer Strahl blitzte aus ihnen hervor.

»Und dann?« fragte er.

»Sire,« sagte die Moreau, – »Ihr Stern steht siegreich hoch am Zenith, – dann steigen die Wolken wieder herauf, blutige Blitze durchzucken sie, ich sehe Lanzenspitzen funkeln, ich sehe den Kriegsgott in donnernden Wettern über die Erde schreiten, – ich sehe Eure Majestät an der Spitze wogender Heere, – ich sehe Sie in Deutschland« – sie bedeckte die Augen mit der Hand – »doch das ist fern!« sagte sie langsam, »mein Blick verwirrt sich, – ich habe nicht die Kraft, wie die große Lenormand, die weitesten Fernen der Zukunft zu sehen, – später wird das klarer werden, – aber zu ewigem Frieden hat das Schicksal Sie nicht bestimmt, Sire, – sehen Sie hier –« und mit prophetischem Tone sprach sie:

»Wenn der Oelbaum seinen Schatten über Frankreich wirft, müssen die Lorbeeren verwelken!«

Der Kaiser blickte sie sinnend an.

»Also zunächst wird der Frieden mir Glück und Glanz bringen, – aber ich soll die Lorbeeren nicht durch den Oelbaum überwuchern lassen?«

Sie nickte leicht mit dem Kopf, immer auf die Karten blickend. Es zuckte über ihr Gesicht, sie öffnete die Lippen, als wollte sie etwas sagen, – aber sie schwieg.

Der Kaiser stand auf. Nochmals durchforschte sein Blick aufmerksam das Gemach.

»Also in diesem Zimmer hat der Kaiser Madame Lenormand besucht?« fragte er.

»In demselben Zimmer, Sire,« sagte die Moreau aufstehend, – »es sind nur die Ueberzüge der Möbeln verändert!«

»Ich danke Ihnen, Madame,« sagte Napoleon, – »verfolgen Sie mein Horoskop, – ich werde mich freuen, mehr von Ihnen zu hören!«

Und mit freundlichem Lächeln grüßend, schritt er durch die Thüre, welche Madame Moreau, die Lampe in der Hand, ihm öffnete, hinaus.

An der Treppe reichte er Pietri den Arm und sagte:

»Bleiben Sie, Madame, ich will kein Aufsehen. Ich rechne auf Ihre Diskretion. Adieu!«

Rasch fuhr die unscheinbare Equipage nach den Tuilerieen zurück.

In seinem Kabinet angelangt, setzte sich der Kaiser an seinen Schreibtisch. Pietri blieb neben ihm stehen.

Der Kaiser schrieb:

»Mein lieber Herr Drouyn de Lhuys!

»Ich sende Ihnen hiebei eine Zusammenfassung der Grundsätze, welche nach meiner unabänderlichen Ueberzeugung maßgebend sein müssen für die Politik, welche Frankreich gegenüber den Ereignissen, die sich in Deutschland vollzogen haben, beobachten muß. Ich zweifle nicht, daß Sie meine Ansichten theilen werden, und bitte Sie, an meine aufrichtige Freundschaft zu glauben.«

Und er unterzeichnete: Napoleon.

Schweigend reichte er Pietri das Papier.

»Sire,« sagte dieser, nachdem er es gelesen – »wen haben Eure Majestät zum Nachfolger des Herrn Drouyn de Lhuys bestimmt?«

»Moustier kennt die Verhältnisse in Berlin genau,« sagte der Kaiser, – »bereiten Sie einen Brief an ihn vor, um zu fragen, ob er die Leitung des auswärtigen Ministeriums übernehmen will.«

Pietri verneigte sich.

»Und noch Eins,« sagte Napoleon, – »lassen Sie morgen früh Herrn Hansen kommen, vielleicht kann man noch einen Versuch machen.«

»Zu Befehl, Sire.«

»Was denken Sie von Madame Moreau?« fragte der Kaiser, der sich bereits nach der Thür gewendet hatte, die zu seinen innern Gemächern führte, – indem er noch einmal stehen blieb, – »wie kommt sie auf jene Episode meiner Jugend?« flüsterte er leise.

»Sire,« erwiederte Pietri, – »es ist schwer, etwas darüber zu sagen –«

»There are more things in heaven and earth, then are dreamt in our philosophy,« – sagte Napoleon in reinem Englisch – und freundlich nickend entließ er seinen Sekretär, der sich mit tiefer Verbeugung zurückzog.


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