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Fünftes Kapitel.

Durch die im ersten leichten und hellen Grün schimmernde prachtvolle Allee, welche von Hannover nach der königlichen Residenz Herrenhausen führt, fuhr an einem frischen und schönen Morgen ein Wagen und näherte sich schnell dem vergoldeten Gitter, welches die Einfahrt zu dem äußern Raum des königlichen Schlosses bildet.

Der Wagen hielt am Eingang zum innern Hofe.

Aus demselben stieg ein schlanker, nicht großer Mann von etwa sechsunddreißig Jahren, hochblond, einen langen, etwas aufwärts gebogenen Schnurrbart auf der Oberlippe, in schwarzem Salon-Anzug und grauem Ueberrock.

Dieser Mann trat in ein Seitenportal in der Ecke des Hauptgebäudes jenes alten kurfürstlichen und königlichen Schlosses, – das der berühmte Le Notre zu einer verjüngten Miniaturnachahmung von Versailles geschaffen,–und durchschritt einen langen Gang, welcher direkt zu dem Kabinet des Königs Georg V. führte.

Vor diesem Kabinet, welches zu ebener Erde mit einem unmittelbaren Ausgang nach dem Garten und Park belegen war, saß der dienstthuende Salon-Kammerdiener des Königs. Rechts neben dem Eingang zu den königlichen Zimmern befand sich der Wartesalon für die Herren, welche zum Könige befohlen waren, merkwürdiger Weise mit lauter preußischen Bildern geschmückt. Man sah dort die lebensgroßen Porträts von Blücher und Ziethen, sowie ein vorzügliches Bild des bei Saalfeld gefallenen Prinzen Louis Ferdinand von Preußen.

Der Mann, welcher den Wagen verlassen und sich dem Eingange zu den königlichen Zimmern genähert hatte, fragte den Kammerdiener:

»Ist Seine Majestät allein?«

Der Kammerdiener, welcher sich erhoben hatte und dem Ankommenden den Ueberrock abnahm, erwiederte in gebrochenem Deutsch mit stark englischem Accent:

»Der Geheime Kabinetsrath Lex ist bei Seiner Majestät.«

»Wollen Sie mich melden!«

Der Kammerdiener schlug einmal stark an die Thür des Königs. Man hörte die helle, klare Stimme Georg V., welcher rief: » Come in

Der Kammerdiener trat ein und kehrte nach einigen Augenblicken zurück.

»Der König lassen Mr. Meding bitten, ein Moment zu warten.«

Und er öffnete die Thür zu dem Wartesalon, in welchen der Regierungsrath Meding eintrat.

Der Salon war leer. Der Eingetretene nahm auf dem darin befindlichen breiten Kanapee Platz.

Nach ungefähr fünf Minuten öffnete sich die Thür abermals und ein alter etwas gebückter Herr mit schneeweißem Haar und Schnurrbart in der Uniform eines hannöverischen Generallieutenants mit den goldenen Achselschnüren der Generaladjutanten trat ein. Seine Brust schmückte das Großkreuz des Guelfenordens, die Kriegsdenkmünze von 1813 und die Waterloomedaille. Es war der Generallieutenant und Generaladjutant von Tschirschnitz, des Königs rechte Hand in militärischen Angelegenheiten, der Vermittler aller Befehle in Betreff des Kommandos der Armee.

Der Regierungsrath Meding erhob sich mit den Worten: »Guten Morgen, Excellenz!«

»Guten, guten Morgen!« erwiederte der General in kurzem militärischem Ton, indem er eine große verschlossene Mappe auf den Tisch legte, – »schon so früh hier? Werden wir lange warten müssen? Ich hoffe, Sie haben nicht lange zu thun?«

»Der König arbeitet mit dem Geheimen Kabinetsrath und schreibt wahrscheinlich Briefe – wie lange das dauern wird, läßt sich schwer bestimmen. – Was mich betrifft, so habe ich nur wenig zu thun und werde gewiß nicht viel Zeit in Anspruch nehmen.«

Der General warf sich mit einem lauten Seufzer in einen Lehnsessel.

»Wissen Sie, mein lieber Regierungsrath,« sagte er nach einer Pause, »wie lange ich schon gewartet habe in meinem Leben?« – und er richtete sich etwas empor und sah fragend zu seinem Gegenüber hin.

Herr Meding deutete durch ein leises Achselzucken an, daß es ihm unmöglich sei, die gestellte Frage zu beantworten.

»Acht Jahre, sieben Monate, drei Wochen und vier Tage!« rief der General mit lauter Stimme und in tiefer Entrüstung.

Der Regierungsrath Meding konnte ein helles Lachen nicht unterdrücken und rief:

»Da haben Eure Excellenz allerdings das Möglichste geleistet und Ihre Geduld hat die Probe bestanden!«

»Ich habe ein Buch,« sagte der General finster mit einem halb humoristischen halb wirklichen Grimm, »in welches ich jeden Tag – schon seit der Zeit, da ich bei dem höchstseligen Herrn den Vortrag hatte – die Zeit eintrage, die ich im Wartezimmer zubringe. – Macht bis jetzt acht Jahre, sieben Monate, drei Wochen und vier Tage. – Was sagen Sie dazu? Man sagt,« fuhr er fort, »ich sei achtundsechzig Jahre alt – es ist nicht wahr; gelebt habe ich nur neunundfünfzig Jahre, fünf Monate, eine Woche und drei Tage. – Den Rest habe ich gewartet

Und der General warf sich mit resignirter Miene in seinen Fauteuil zurück.

»Ich muß sagen, Excellenz,« erwiederte Herr Meding, »daß ich noch nicht an eine solche Rechnung gedacht habe, um die Jahre zu konstatiren, die so successive in den unfruchtbaren Abgrund der Antichambre fallen – ich möchte auch vorziehen, darüber lieber im Ungewissen zu bleiben und die dunkeln Augenblicke, die man in dieser Salle des pas perdus zubringt, in den Lethe zu versenken.«

»Sie sind noch jung und geneigt, die Zeit zu vergeuden,« erwiederte der General, »aber ich –«

»Eurer Excellenz Zeit ist freilich auch weit kostbarer, als die meinige,« sagte der Regierungsrath verbindlich.

Eine helle Glocke ertönte in diesem Augenblick.

Wenige Minuten darauf erschien der Kammerdiener und rief: »Mr. Meding.«

Der Regierungsrath verneigte sich gegen den General und trat in die königlichen Appartements. – Er durchschritt das Vorzimmer, dessen Thüren nach dem Kabinet des Königs weit geöffnet waren.

In diesem Kabinet, dessen Fenster nach dem Garten offen standen und das mit blühenden Gewächsen aller Art gefüllt war, saß der König an einem viereckigen Schreibtisch.

Georg V. war damals sechsundvierzig Jahre alt, – ein schöner Mann von blühender Gesundheit. Die scharfgeschnittenen, klassisch geformten Züge seiner Rasse, welche sein Gesicht in den reinsten Linien zeigte, strahlten von Heiterkeit und Wohlwollen, ohne dem königlichen Stolz Abbruch zu thun, der ihn erfüllte. Ein leicht aufwärts gedrehter blonder Schnurrbart bedeckte die Oberlippe, und schwerlich hätte Jemand beim ersten Anblick dieses sich in so freiem und leichtem Mienenspiel bewegenden Gesichts geahnt, daß dem Könige das Augenlicht fehle.

Der König trug die Uniform des hannöverischen Gardejägerregiments, bequem aufgeknöpft. Ueber seine Brust lief unter der Uniform das große dunkelblaue Band des Ordens vom Hosenbande. Auf der Brust trug er die kleinen Kreuze des Guelfen- und Ernst-August-Ordens.

Neben dem Könige stand an der Seite des Tisches der Geheime Kabinetsrath Dr. Lex, ein kleiner, trockener Mann mit ergrauendem vollem Haar, scharfen, intelligenten Zügen und bescheidener, fast schüchterner Haltung, im Begriff, seine Papiere zu ordnen.

Ein kleiner schwarzer King Charles lag zu den Füßen des Königs.

»Guten Morgen, mein lieber Regierungsrath!« rief der König mit seiner hellen reinen Stimme dem Eintretenden zu, – »ich freue mich, Sie zu sehen. Setzen Sie sich und sagen Sie mir, was gibt es Neues – was sagt die öffentliche Meinung in meinem Königreiche?«

»Unterthänigst guten Morgen, Eure Majestät!« erwiederte Herr Meding mit tiefer Verbeugung, indem er auf einem Sessel dem Könige gegenüber Platz nahm.

Der Geheime Kabinetsrath hatte seine Papiere geordnet und entfernte sich langsam.

»Die öffentliche Meinung,« fuhr der Regierungsrath fort, »ist, wie ich Eurer Majestät mittheilen muß, sehr aufgeregt und macht einen gewaltigen Anlauf, um den Krieg zu beschleunigen und Eure Majestät insbesondere zum Anschluß an Oesterreich und zum entschiedenen Auftreten gegen Preußen zu bringen.«

»Warum denn das?« fragte der König, – »die liebenswürdigen Blätter der Opposition sehnten sich ja sonst so sehr nach der preußischen Spitze!«

»Warum? Majestät,« erwiederte der Regierungsrath,– »das möchte schwer zu konstatiren sein, – es werden da wohl viele und verschiedene Einflüsse mitwirken, – aber die Thatsache steht fest – die ganze öffentliche Meinung im Königreiche Hannover will den Anschluß an Oesterreich.«

»Sonderbar,« sagte Georg V., »aus demselben Tone sprach mir der Graf Decken, der gestern bei mir war – er war ganz furios österreichisch.«

»Graf Decken, Majestät,« erwiederte Herr Meding, »spricht aus der Seele des großdeutschen Vereins, den er gestiftet – und ist ein großer Verehrer des Herrn von Beust.«

»Ich weiß, ich weiß!« rief der König, – »er hat aber also doch Recht damit, daß alle Welt den Krieg gegen Preußen predigt, und die Armee am meisten, d. h. die jüngeren Offiziere?«

»Er hat Recht, Majestät,« erwiederte der Regierungsrath.

Der König dachte einen Augenblick nach.

»Und was thun Sie dieser Strömung gegenüber?« fragte er dann.

»Ich suche zu kalmiren, abzuleiten und aufzuklären, soweit mein Einfluß in der Presse reicht, denn ich halte diese Strömung für unheilvoll, – sie trägt dazu bei, den Krieg, das größte Unheil für Deutschland, herbeizuführen und in diesem Kriege Hannover in eine höchst gefährliche Position zu drängen.«

»Ganz recht, ganz recht!« rief der König lebhaft, – »es muß Alles geschehen, um diese kriegerische und antipreußische Aufregung zu beruhigen. Sie wissen, wie sehr ich von der Ueberzeugung durchdrungen bin, daß das gute Einvernehmen der beiden ersten Mächte des deutschen Bundes die einzig sichere Grundlage für die Wohlfahrt Deutschlands ist und wie viel mir stets daran gelegen hat, dieß zu erhalten. – Sie wissen auch, welchen Werth ich auf die preußische Allianz lege. Man nennt mich,« fuhr der König fort, – »einen Feind Preußens – ich bin es wahrlich nicht, – ich vertheidige die Rechte meiner vollen Selbstständigkeit und Souveränetät, aber Niemand kann mehr durchdrungen sein, als ich, von dem Wunsche, mit Preußen in Frieden und Einigkeit zu leben. Diejenigen, die diesen Frieden stören wollen, verkennen die Interessen beider Staaten. Man spricht in Berlin von der Politik Friedrichs des Großen – wie wenig versteht man seine Politik! Wie hohen Werth legte Friedrich II. auf die Allianz Hannovers, so hohen Werth, daß er seinen besten Feldherrn, den Herzog von Braunschweig, an Hannover abtrat! Und welche großen und segensreichen Folgen hatte nicht jene Allianz, obwohl sie gegen Oesterreich gerichtet war! O daß es möglich wäre, die beiden deutschen Mächte in inniger und freundlicher Verbindung zu erhalten, und daß es mir vergönnt wäre, der Punkt auf dem i dieser Verbindung zu sein! Sollte aber der Bruch – was Gott verhüte – erfolgen, so will ich mich an einem so traurigen Kriege weder auf der einen noch auf der andern Seite betheiligen.«

Der König hatte dieß Alles mit jener Bestimmtheit und Deutlichkeit gesprochen, mit der er es liebte, seinen Vertrauten gegenüber seine Auffassung einzelner Fragen und Materien ausführlich zu entwickeln, damit dieselben stets im Stande wären, seinen Ansichten und seinem Willen gemäß zu handeln.

»Sie thun also sehr recht,« fuhr er fort, »wenn Sie nach allen Kräften der kriegerischen und antipreußischen Propaganda entgegenarbeiten.« –

»Ich bin hocherfreut,« erwiederte der Regierungsrath Meding, »Eurer Majestät Intentionen hierin so vollständig entsprochen zu haben, um so mehr, als meine Lage als geborner Preuße gerade in dieser Krisis eine höchst peinliche ist. Was ich aus innigster Ueberzeugung im wahrsten Interesse Eurer Majestät und Hannovers für geboten erachte und stets vertrete, könnte gerade mir leicht anders gedeutet werden – und wird mir anders gedeutet, wie Eure Majestät wissen. Es liegt mir daher gerade in dieser Frage doppelt daran, immer genau vergewissert zu sein, daß ich den Ansichten Eurer Majestät gemäß handle.«

»Lassen Sie sich die falschen Deutungen nicht anfechten, mein lieber Regierungsrath,« sagte der König mit dem ihm eigentümlichen verbindlichen und freundlichen Lächeln, – »ich weiß, daß Sie nach Ihrer Ueberzeugung stets meine und Hannovers Interessen im Auge haben. Sie wissen, daß ich die öffentliche Meinung für die sechste Großmacht Europas halte – vielleicht für die erste – und darum will ich die Presse, das Organ für diese Großmacht, als mein eigenes königliches Ressort behalten, – ich will selbst hören, was das Volk denkt und sagt, und will in den Organen der Regierung nur meine Gedanken und Intentionen zum Ausdruck gebracht sehen, – ich will die wirklichen Gedanken und Meinungen des Volkes kennen – ob sie richtig oder unrichtig seien, – und das Volk soll meine Ansichten und meinen Willen kennen, – so wird Klarheit zwischen mir und meinen Unterthanen sein und das Wohl der Krone wie des Landes gefördert werden. Sie verstehen meinen Gedanken so vortrefflich und haben mir geschaffen, was ich längst schon für nöthig erkannte und so sehnlich wünschte – lassen Sie sich darum keine Mißdeutungen und Verkennungen anfechten.«

Und der König reichte Herrn Meding seine Hand hinüber. Dieser erhob sich und drückte die Lippen auf die königliche Rechte.

»Eure Majestät hat mir stets erlaubt,« sprach er dann, »in allen Fragen des Staatslebens nach Außen und im Innern meine Ansicht und Meinung frei und rückhaltslos auszusprechen, und es ist dieß schöne Recht eine unerläßliche Bedingung für die Erfüllung der schwierigen Aufgabe, welche die besondere von Eurer Majestät mir gegebene Stellung bedingt. Ich bitte Eure Majestät allerunterthänigst, auch jetzt in einem wie ich glaube ernsten Moment meine unmaßgebliche Meinung aussprechen zu dürfen.«

»Sprechen Sie, sprechen Sie, mein lieber Regierungsrath, ich höre mit Spannung,« sagte der König, lehnte sich in seinen Fauteuil zurück und stützte den Kopf leicht in die Hand.

»Eure Majestät wissen,« sagte der Regierungsrath Meding, »daß es eine Art von mot d'ordre der deutschen, ja fast der europäischen Diplomatie ist, an den Krieg zwischen Oesterreich und Preußen nicht zu glauben. Mir kommt dieß vor, wie das Verfahren des Vogels Strauß, der den Kopf versteckt, um die Gefahr nicht zu sehen, und sie so zu beschwören hofft.«

»Sie glauben also an den Krieg?« fragte der König, ohne seine Stellung zu ändern.

»Ich glaube daran, Majestät, – einmal nach der Lage der Verhältnisse – die Fragen stehen auf schiefer Ebene und sind so weit vorgerückt, daß ich eine Umkehr nicht mehr als möglich sehe. Abgesehen von den aus Wien und Berlin einlaufenden Berichten, bestätigt mich in meiner Annahme, daß der Krieg unvermeidlich sei, aber auch die Haltung der offiziellen und offiziösen Presse in Oesterreich und Preußen.«

»Sie spricht eminent friedlich, haben Sie mir gestern gesagt,« warf der König ein. –

»Gerade deßhalb glaube ich, daß man in den beiden Lagern zum Aeußersten entschlossen ist. Würde man nur drohen und die Rüstungen bei einem demnächstigen diplomatischen Kompromiß als Druckmittel in die Wagschale werfen wollen, so würden die Regierungsblätter mit dem Säbel rasseln. Diese Friedensversicherungen aber beunruhigen mich. Jeder sucht den besten casus belli und wünscht die Schuld des Ausbruchs dem Gegner zuzuspielen. Ich bin überzeugt, daß wir, wenn nicht ein Wunder geschieht, in kürzester Frist vielleicht mitten im Kriege sind. Graf Platen will zwar ebenfalls noch nicht daran glauben.«

»Der Vogel Strauß,« sagte der König.

Der Regierungsrath Meding lächelte und fuhr fort:

»Diese Situation ist aber für Eure Majestät und Hannover gefährlicher, als für irgend eine andere Regierung. Denn im Moment der Aktion wird Preußen keine Rücksichten nehmen.«

»Ich habe aber schon erklärt, daß ich unter allen Umständen neutral bleiben will,« sagte der König.

»Gewiß, Majestät, – allein es ist kein Vertrag geschlossen. – Graf Platen hat dem Prinzen Ysenburg nur im Allgemeinen die Intention Eurer Majestät, neutral zu bleiben, ausgesprochen – aber aus Furcht vor dem Lärm in Frankfurt und Wien keine eingehendere Negoziation eingeleitet und namentlich keinen Vertrag geschlossen.«

»Halten Sie den formellen Vertrag für so nöthig?« fragte der König.

»Ich halte ihn für unerläßlich, Preußen wird diesen Vertrag jetzt noch sehr gern schließen und, einmal geschlossen, ihn unter allen Umständen halten. Im Momente der Aktion wird man mehr fordern, und nach dem Sieg – ich glaube, daß der Neutralitätsvertrag die Garantie für die Selbstständigkeit – ja für die Existenz Hannovers ist.«

Der König fuhr auf.

»Halten Sie es für möglich, daß man in Berlin jemals daran denken könne, die Existenz Hannovers anzutasten?«

»Ich möchte für das Gegentheil keine Garantie übernehmen,« erwiederte der Regierungsrath Meding, – »der Kampf, welcher entbrennen wird, ist ein Kampf um die Existenz, – das alte Deutschland wird in diesem Kriege in Trümmer gehen – unter solchen Verhältnissen sind besondere Rücksichten nicht zu erwarten. Ein wirklicher Neutralitätsvertrag, jetzt abgeschlossen, sichert aber nicht nur die Existenz, sondern vielleicht sogar die volle Selbstständigkeit in einem neuen Deutschland, – denn, wie ich wiederholen muß – ich glaube fest, daß ein solcher Vertrag von Preußen unter allen Umständen gehalten werden wird.«

»Aber,« warf der König ein, »man setzt mir täglich auseinander, wie verderblich für Hannover ein Vertrag mit Preußen für den Fall wäre, daß Oesterreich siegen sollte.«

»Ich kenne diese eigentümliche Logik,« erwiederte Herr Meding – »kann sie aber in der That nicht verstehen. Soll Oesterreich vielleicht, wenn es siegreich in Deutschland dastände, Hannover an Preußen geben? – Außerdem wissen Eure Majestät, daß ich an einen österreichischen Sieg nicht glaube.«

Der König schwieg.

»Es ist eine schwierige Lage,« sagte er dann. – »Gestern war Sir Charles Wyke hier, um mich zu beschwören, am Bunde und an Oesterreich festzuhalten. Er brachte mir einen Brief von Lord Clarendon im gleichen Sinne.«

Der König öffnete mit einem kleinen Schlüssel eine der Schubladen, welche sich an der ihm zugekehrten Seite seines Schreibtisches befanden, tastete einige Augenblicke darin und reichte Herrn Meding über den Tisch einen Brief.

»Lesen Sie.«

Der Regierungsrath Meding durchflog den Inhalt des Papiers.

»Ich verstehe vollkommen die englische Politik, Majestät,« sagte er dann, – »man will in London um jeden Preis den Frieden erhalten, auch möchte man Preußen für die dänische Frage eine Lektion geben, – man hofft, wenn Eure Majestät sich entschieden und rücksichtslos auf die Seite Oesterreichs und der sächsischen Fraktion in Frankfurt stellen, daß Preußen vor dem Kampf zurückschrecken und Konzessionen machen, vielleicht die englische Vermittelung anrufen werde, – wodurch dann das englische Kabinet vielleicht Gelegenheit erhielte, etwas auf wohlfeile Weise für Dänemark zu thun. – Ich glaube, man täuscht sich in dieser Berechnung. – Dem sei aber wie ihm wolle – jedenfalls haben Eure Majestät hannöverische und nicht englische Politik zu machen, und um mich zu beruhigen, müßten hinter diesem Brief von Lord Clarendon die englischen Flotten mit Sicherheit zu sehen sein. – Sollten Eure Majestät aber, in Folge der jetzt so dringend angerathenen Politik, in Noth und Gefahr kommen, so wird nicht ein englisches Kanonenboot zu Ihrem Schutze erscheinen. England spielt hier die Rolle jenes bösen Dämons, der den Hektor in Gestalt seines Bruders Deiphobus zum Kampf gegen Achill reizte, und der dann, als der trojanische Held sich nach einer frischen Lanze umsah, verschwunden war. – Ich möchte übrigens,« fuhr Herr Meding nach einer kleinen Pause fort, »Eurer Majestät einen Gedanken aussprechen, durch dessen Ausführung die Bedenken, welche man gegen den Abschluß des Neutralitätsvertrages geltend macht, zum großen Theil verschwinden müßten.«

Der König richtete sich auf und heftete das Auge so fest und gespannt auf den Sprechenden, daß dasselbe wie durch den sehenden Blick belebt erschien.

»Eure Majestät erinnern sich,« sprach der Regierungsrath weiter, – »daß schon durch die ganze letzte Phase der Politik das stete und feste Zusammenhalten Eurer Majestät Regierung mit der kurhessischen von einem sehr starken und heilsamen Einfluß auf den Gang der Dinge war, daß durch dieß feste Zusammenhalten allein die unerhörte augustenburgische Politik des Herrn von Beust unmöglich gemacht, und die Sprengung des Bundes verhindert wurde. – Nach meiner Ueberzeugung müßte nun auch in dieser höchsten Krisis der deutschen Zustände Eure Majestät mit dem Kurfürsten zusammen handeln und auch den Großherzog von Oldenburg zum Anschluß bewegen. Eure Majestät treten damit an die Spitze einer Gruppe, in welcher Allerhöchst Sie die naturgemäße und gern zugestandene Führung haben, sichern die Zukunft Hannovers, leisten Preußen einen Dienst und vertheilen die Unzufriedenheit Oesterreichs auf mehrere Schultern. – Ich würde der unmaßgeblichen Meinung sein, daß Eure Majestät mit dem Kurfürsten von Hessen gemeinschaftlich den Neutralitätsvertrag mit Preußen schließen. Würde – was ich, ich wiederhole es, für unmöglich halte – dieser Vertrag später etwa nicht respektirt, so steht dann auch ein kompakterer Körper da, ihn zu vertheidigen. – Ich glaube, daß durch einen solchen festen und energischen Schritt in dieser Richtung der Krieg weit eher vermieden werden könnte, als durch den von Lord Clarendon angerathenen unbedingten Anschluß an Oesterreich.«

Der Regierungsrath Meding schwieg.

Der König, der mit der größten Spannung zugehört hatte, schlug lebhaft mit zwei Fingern der rechten Hand auf den Tisch.

»Sie haben Recht,« rief er laut, »Sie haben vollkommen Recht!«

Und er drückte mit der linken Hand auf einen an seinem Schreibtisch befestigten Knopf. Der Kammerdiener trat ein.

»Der Geheime Kabinetsrath soll kommen!« rief der König.

Als der Kammerdiener sich wieder entfernt, fuhr der König fort:

»Glauben Sie, daß der Kurfürst bereit sein wird, diesen Schritt mit mir zu thun?«

»Ich weiß, daß der Minister Abée ganz in diesem Sinne denkt,« erwiederte der Regierungsrath Meding, »und ich weiß auch, daß Seine Königliche Hoheit der Kurfürst unendlichen Werth darauf legt, mit Eurer Majestät in Übereinstimmung zu handeln.«

»Ich bitte Sie, mein lieber Meding,« sagte der König, »sofort selbst zum Kurfürsten zu reisen und Seiner Königlichen Hoheit meine Propositionen zu überbringen.«

Ein Schlag ertönte an der äußern Thür. – Der Kammerdiener öffnete dieselbe mit den Worten:

»Der Geheime Kabinetsrath.«

»Mein lieber Lex,« sagte der König, »der Regierungsrath Meding hat mir so eben einen Gedanken ausgesprochen, den ich sofort ausführen will. Er ist der Meinung, daß ich mit dem Kurfürsten von Hessen gemeinschaftlich und solidarisch einen Neutralitätsvertrag mit Preußen schließen soll, und ich will ihn sofort selbst nach Kassel schicken, weil er gewiß der beste Bote sein wird, um die Sache zu realisiren.«

Der Regierungsrath Meding verneigte sich gegen den König und sagte:

»Ich darf Eurer Majestät bemerken, daß Graf Platen ganz mit diesem Schritt einverstanden ist und mich autorisirt hat, dieß Eurer Majestät zu sagen.«

» Tant mieux, tant mieux,« sagte der König – »was meinen Sie dazu, lieber Lex?«

»Ich bin vollkommen einverstanden,« erwiederte der Geheime Kabinetsrath mit einer feinen, etwas scharfen Stimme, »wenn nur Eure Majestät in irgend einer Weise den Neutralitätsvertrag werden abgeschlossen haben, so werde ich beruhigt sein, und wenn dieß in Gemeinschaft mit Hessen geschieht, so wird der Vertrag um so größere Garantieen bieten.«

»Wollen Sie nun so freundlich sein,« sagte der König, zum Kabinetsrath gewendet, »mit dem Regierungsrath zusammen das Schreiben zu entwerfen, das er von mir an den Kurfürsten mitnehmen muß, und es mir sogleich zur Unterschrift zu bringen!«

»Zu Befehl, Euer Majestät!« erwiederte der Geheime Kabinetsrath.

»Wie steht es mit der Gewerbegesetz-Angelegenheit?« fragte der König.

»Majestät,« erwiederte Herr Meding, »die Zünfte sind in großer Aufregung und sehen ihren Untergang in der Aufhebung des Zwanges. Ich thue Alles, um in dieser Richtung aufklärend zu wirken, und lasse in der Presse besonders auf das Beispiel Englands hinweisen, wo die Gilden ohne allen Zwang durch die Macht des korporativen Prinzips so gewaltig an Einfluß und Bedeutung dastehen. Ich hoffe, daß der Abscheu gegen die Neuerung auch hier der ruhigen und klaren Erkenntniß weichen wird, – der Minister Bacmeister greift übrigens die ganze Frage mit so schonender, vorsichtiger und geschickter Hand an, daß ich für den Erfolg nicht in Sorge bin.«

»Es thut mir leid,« sagte der König, »daß die braven Leute in den Zünften sich verletzt fühlen – aber sie werden bald einsehen, daß die Aufhebung des Zunftzwanges ihnen selbst nützt, – daß die Zünfte aus einer verhaßten und stagnirenden Institution zu einem lebenskräftigen Organismus werden. Wenn irgendwo, so ist die freieste Bewegung auf dem nationalökonomischen Gebiet nothwendig. – Wie freue ich mich, bei dem Minister Bacmeister ein so feines und geistreiches Verständniß für meine Ideen und eine so geschickte Hand zur Ausführung derselben gefunden zu haben!«

»In der That, Eure Majestät,« erwiederte der Regierungsrath, »der Minister Bacmeister ist der geistreichste und liebenswürdigste Mann, den ich jemals kennen gelernt habe, – er hat durch seine persönlichen Eigenschaften großen Einfluß auf die Opposition und fast jeden Abend findet er sich in einer Art von parlamentarischem Klub, den er hier gebildet, mit Miquel und Albrecht zusammen. Vieles wird dort in freundlichem Gespräch aufgeklärt, was sonst in den Kammerverhandlungen zu den bittersten Erörterungen und Streitigkeiten führen würde.«

»Das ist ja,« unterbrach der König lebhaft, »was uns hier immer gefehlt hat, – man spricht in Deutschland so viel vom öffentlichen Leben und versteht doch nichts davon, da man nicht im Stande ist, mit einem politischen Gegner auf neutralem Gebiet als Gentleman zu verkehren. – Waren Sie gestern in der Oper?« fragte er abbrechend.

»Nein,« erwiederte der Regierungsrath, »Doktor Schladebach aber hat mir gesagt, daß er sehr unzufrieden war und eine strenge Kritik schreiben werde.«

»Er hat Recht,« rief der König,, »ich bin sehr gespannt, diese Kritik zu lesen; Doktor Schladebach hat ein feines Verständniß für die Kunst und eine so richtige und taktvolle Manier, sein Urtheil auszusprechen. Wenn wir nur erst für das Schauspiel eine eben so gute Kritik gesunden hätten!«

»Ich gebe mir alle Mühe, Majestät,« sagte Herr Meding, »eine tüchtige Kritik zu schaffen, und bitte Eure Majestät nur noch um etwas Geduld, – die Kräfte lassen sich nicht so leicht und schnell finden oder bilden.«

»Gewiß, gewiß,« erwiederte der König – » che va piano va sano – aber wir müssen dahin kommen, eine wirklich gediegene Kritik zu schaffen – sie ist unerläßlich für ein Kunstinstitut, das wirklich auf der Höhe seiner Zeit stehen und seine hohe Aufgabe erfüllen soll. – Doch nun addio, mein lieber Regierungsrath, reisen Sie mit Gott und vieles Freundliche an Seine Königliche Hoheit den Kurfürsten. Kommen Sie bald zurück!«

»Gott segne Sie!«

Der Regierungsrath Meding und der Geheime Kabinetsrath verließen das Kabinet.

Georg V. blieb allein.

Er blieb eine Zeitlang ruhig in seinem Stuhle sitzen, das Auge auf den Tisch geheftet.

»Es ist wahr, es ist wahr,« sagte er halblaut, »der große Konflikt naht sich, die segensreiche Institution des deutschen Bundes, welche fünfzig Jahre lang Deutschland die Ruhe und Europa den Frieden erhielt, kracht in ihren Fugen und wird in dem gewaltigen Kampf zusammenbrechen. – Die einzige Hand, welche mit mächtigem Wink diesen Ausbruch hätte beschwören können, ruht im Grabe. – Der Kaiser Nikolaus ist nicht mehr da, um mit gewaltigem Arm in das rollende Rad des Verhängnisses zu greifen. – Und an mich hängt sich Gewicht an Gewicht von der einen und der andern Seite – wohin mich wenden – zum Heil dieses schönen, reichen und treuen Landes, das Gott mir anvertraut, das ein Jahrtausend mit meinem Hause in Freude und Leid verbunden war?«

Der König blieb eine Zeitlang stumm, dann erhob er sich, die Hand auf die Lehne seines Sessels gestützt, wendete sich nach der Seite, wo an der Wand die lebensgroßen Brustbilder des Königs Ernst August und der Königin Friederike hingen, und ließ sich langsam auf die Kniee nieder.

»O Du allmächtiger, dreieiniger Gott,« sprach er mit leiser Stimme, deren inbrünstiger Ton das Gemach durchdrang, »Du siehst mein Herz, Du weißt, wie ich im Gebet zu Dir gerungen habe in schweren Stunden meines Lebens, Du hast mir Kraft in die Seele gegossen, die schwere Schickung zu ertragen, daß ich das Angesicht meines Weibes und meiner Kinder nicht schauen kann, Du hast mir Licht und Stärke gegeben, als ich in verhängnißvoller Zeit die Regierung dieses Landes übernahm – segne mich auch jetzt – laß mich das Rechte treffen in diesem ernsten Augenblick, erleuchte meinen Geist, zu erkennen, was meinem Lande und meinem Hause zum Heil gereicht, und führe mich gnädig durch die Stürme dieser Tage! – Doch nicht mein, sondern Dein Wille geschehe – und ist es mir beschieden, daß Leid und Trübsal mich treffe, so gib mir Kraft zum Tragen, Muth zum Ausharren!« –

Die betenden Worte des Königs verklangen, – tiefe Stille herrschte im Gemach. Da bewegte ein Luftzug klirrend den geöffneten Flügel des Fensters, etwas Schweres fiel zu Boden, man hörte das Geräusch zerbrechender Scherben.

Der kleine King Charles schlug an.

Der König schrak zusammen, erhob sich rasch und stellte sich vor seinen Lehnstuhl. Dann drückte er an den Knopf der elektrischen Glocke seines Schreibtisches.

Der Kammerdiener trat ein.

»Was fiel dort am Fenster zu Boden?« fragte der König lebhaft.

Der Kammerdiener eilte dem Fenster zu.

»Es ist der Rosenstock, den Ihre Majestät die Königin zur Blüte gebracht und hieher gestellt hat.«

»Ist die Blume beschädigt?«

»Die Blüte ist gebrochen,« erwiederte der Kammerdiener, indem er die Scherben aufhob und die verschüttete Erde zur Seite schob.

Georg V. schauerte leicht.

»Die Blüte ist gebrochen,« wiederholte er halb leise, indem er das Haupt erhob und das Auge wie fragend zum Himmel richtete.

Dann ließ er sich wieder auf seinen Sessel nieder.

»Wer ist im Vorzimmer?« fragte er den Kammerdiener.

»General von Tschirschnitz, Graf Platen, General von Brandis, Minister Bacmeister.«

»Rufen Sie die Herren alle!« befahl der König.

Der Kammerdiener stellte vier Stühle um den Tisch des Königs und entfernte sich.

Nach einigen Sekunden traten die vier Personen in das Kabinet, indem der Kammerdiener je den Namen des Eintretenden nannte.

»Guten Morgen, meine Herren,« rief der König ihnen entgegen – »setzen Sie sich!« –

Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Graf Platen zu Hallermund, – ein Nachkomme jener bekannten Gräfin Platen, welche in dem Königsmark'schen Mysterium so viel genannt wurde, setzte sich zunächst zur Seite des Königs.

Er war ein Mann von fünfzig Jahren mit scharf geschnittenem, vornehmem Gesicht. Das glänzende Schwarz seines dichten, sorgfältig gescheitelten Haares und seines Schnurrbarts schien mit seinen Jahren nicht völlig übereinzustimmen, wohl aber mit der jugendlichen und elastischen Haltung seiner schlanken, eleganten Gestalt.

Zur andern Seite des Königs setzte sich der Minister des Innern, Bacmeister, ein Mann, wenig älter als Graf Platen, dagegen weit mehr den Stempel seines Alters tragend. Sein dünnes, blondes Haar war grau geworden, die Züge seines bartlosen Gesichts trugen den Ausdruck der Ermüdung und Abgespanntheit durch geistige Arbeit, sowie durch Kränklichkeit und körperliche Leiden. Nur wenn er aufmerksam hörte, gewannen diese Züge Leben, das Auge leuchtete in dem Strahl einer hohen und außergewöhnlichen Intelligenz und ein Zug feiner Ironie umspielte oft den geistreichen Mund.

Wenn er sprach, so begleitete seine Worte ein so lebendiges und scharfes Mienenspiel, daß man glaubte, zwischen den Worten, die er sprach, noch viele unausgesprochene Gedanken zu lesen, die scharfen, klaren, wohlgewählten und genau den Sinn treffenden Worte gestalteten sich in Verbindung mit diesem Mienenspiel zu einer so hinreißenden Beredsamkeit, daß selbst seine heftigsten Gegner dem mächtigen Eindruck dieser anfangs unscheinbaren Persönlichkeit verfielen und vollständig sous le charme dieses Eindrucks sich befanden.

Beide Minister trugen den blauen Amtsfrack mit schwarzem Sammtkragen.

Der Kriegsminister, General der Infanterie von Brandis, war ein Mann von einundsiebenzig Jahren, ein alter Legionär des eisernen Herzogs von Wellington, – er hatte in Spanien gedient und die Feldzüge von 1813–15 mitgemacht. Heitere Jovialität strahlte aus seinem für seine Jahre frischen, lächelnden Gesicht, das eine schwarze kurze Perrücke umrahmte. Seine Lippe deckte ein kleiner, ebenfalls kohlschwarzer Schnurrbart.

Er setzte sich mit dem General von Tschirschnitz dem Könige gegenüber.

»Ich habe Sie gebeten, zusammen hieher zu kommen, meine Herren,« sprach der König, »weil ich in dieser ernsten Zeit nochmals Ihre Meinung hören und Ihnen meinen Willen aussprechen wollte. – Ich habe Sie gerufen, General Brandis, und Sie, meine Generaladjutanten, als Vertreter der militärischen Verhältnisse des Königreiches, Sie Graf Platen, als meinen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, in dessen Ressort die unmittelbar vorliegenden großen Fragen fallen – und Sie, mein lieber Minister Bacmeister, weil Sie die innere Lage des Landes und die Stimmungen des Volkes genau kennen, und« – fügte er mit verbindlichem Lächeln hinzu, »weil ich in Ihre Ansicht und Ihren Rath ganz, besonderes Vertrauen setze.«

Der Minister des Innern verneigte sich.

»Sie erinnern sich, meine Herren, daß vor einiger Zeit in einem größeren Conseil, das ich hier in Ihrem Beisein abhielt, die große Frage erörtert wurde, welche Stellung Hannover in dem immer schärfer hervortretenden und sich zuspitzenden, so unendlich beklagenswerten Konflikt zwischen den beiden ersten Mächten des deutschen Bundes einnehmen solle. – Die Herren Militärs – insbesondere auch der heute nicht anwesende General von Jacobi, erklärten übereinstimmend, daß die Armee zu einer ernstlichen Theilnahme an einem etwaigen Kampfe – den Gott verhüten wolle – gegenwärtig nicht bereit sei; eine Mobilmachung und militärische Vorbereitungen ernster Natur wurden aus politischen Gründen für bedenklich erachtet, während auf der andern Seite darauf gedrängt wurde, Maßregeln zu treffen, um von den militärischen Ereignissen nicht ganz unvorbereitet überrascht zu werden. – Um zwischen den beiden Meinungen zu vermitteln, habe ich die Festsetzung eines früheren Termins für die Exerzirzeit befohlen, wodurch einmal die Truppen für alle Fälle leichter disponibel sind, und zugleich auch der Bevölkerung eine Erleichterung geschaffen wird, indem die Exerzirzeit nicht mit der Ernte zusammenfällt. – Die Ereignisse schreiten indeß weiter vor und der Ausbruch des Konflikts scheint unvermeidlich. Es tritt nun die ernste Frage hervor, – ob für Hannover eine Parteinahme nach der einen oder der andern Seite möglich oder gerathen – oder ob die strikte Neutralität zu empfehlen sei. – Ich bitte den Grafen Platen, sich zunächst zu äußern.«

Graf Platen sprach:

»Ich verkenne nicht, Majestät, den Ernst der Lage, indeß glaube ich noch nicht, daß es wirklich zum Krieg kommt. Wir haben schon oft große Echauffements in der Politik gesehen, die sich bald wieder abgekühlt haben. Ich möchte deßhalb ganz untertänigst der Meinung sein, daß noch der Augenblick nicht gekommen sei, um einen ganz bestimmten Entschluß zu fassen und auszusprechen.«

Ein leichtes, fast unmerkliches Lächeln flog über die Züge des Königs. Der General von Tschirschnitz schüttelte den Kopf.

»Wenn es nothwendig werden sollte, sich positiv und definitiv zu erklären,« fuhr Graf Platen fort, »dann würde ich auch gewiß nicht der Meinung sein, sich ganz entschieden auf die eine oder die andere Seite zu stellen. Wir haben Rücksichten nach beiden Seiten zu nehmen und dann kann man ja auch gar nicht wissen, wer denn siegen werde. Die Neutralität scheint mir in diesem Falle das Natürlichste zu sein.«

»Also würden Sie rathen, den Neutralitätsvertrag abzuschließen?« fragte der König.

»Der Vertrag, Majestät,« erwiederte Graf Platen, indem seine schlanke Gestalt sich in sich znsammenschmiegte, – »der Vertrag ist der letzte Schritt, er würde in Wien gewaltig verletzen, und wenn es nicht zum Krieg kommt, würde man uns einen solchen Vertrag schwer verzeihen.«

»Aber werden wir ohne Vertrag die Neutralität halten können?« fragte der König.

»Wir werden ihn immer schließen können,« sagte Graf Platen, »man wird in Berlin immer sehr zufrieden sein, uns nicht gegen sich zu haben.«

»Sie würden also? –« fragte der König.

»Zeit gewinnen, Majestät, – Zeit gewinnen,« sagte Graf Platen, »wir sind jetzt gesucht auf beiden Seiten und würden unsere günstige Position verlieren, wenn wir uns definitiv auf die eine Seite stellten. Je länger wir warten, um so vortheilhafter können wir unsere Lage gestalten.«

Der König bedeckte Stirn und Augen mit der Hand und schwieg einen Augenblick. Dann wendete er sich nach der anderen Seite und sprach:

»Und was meinen Sie, Minister Bacmeister?«

Der Angeredete erwiederte mit einer leisen Stimme, welche aber dennoch die Hörer in eigentümlicher Weise zur Aufmerksamkeit zwang:

»Es ist mein Grundsatz, Majestät, mir in jedem Falle die weiteren Konsequenzen der augenblicklichen Handlung klar zu machen. – Die Haltung, welche Eure Majestät jetzt einzunehmen beschließen werden, hat aber sehr weittragende Konsequenzen. – Eure Majestät können zunächst entweder mit Oesterreich oder mit Preußen gehen. – Gehen Allerhöchstdieselben mit Oesterreich, so können Sie, wenn Preußen so besiegt wird, wie man es in Wien hofft – und wie ich es nicht glaube, vielleicht eine bedeutendere Macht und größeren Einfluß in Deutschland gewinnen, – aber Sie spielen im entgegengesetzten Fall um Ihre Krone. – Eine solche Politik kann kühn und groß sein, aber sie setzt Alles auf's Spiel. – Wollen Eure Majestät sie machen, so können Sie das nur selbst beschließen, ein Minister kann dazu nicht rathen, da es ihm nicht zusteht, die Krone seines Herrn als Einsatz für ein gefährliches Spiel zu benutzen. – Gehen Eure Majestät mit Preußen, so folgen Sie der natürlichen Lage Hannovers und werden im Falle des Sieges zwar nicht eine so glänzende Stellung einnehmen, aber Sie werden auch im Falle des Unterliegens keine Gefahr laufen, da Oesterreich als Sieger Hannover nicht schwächen kann. – Nun bietet sich aber Eurer Majestät die glückliche Chance, durch eine neutrale Haltung, welche man in Berlin jetzt noch acceptirt und stipuliren will, die Sicherheit des Landes und der Krone zu bewahren und vielleicht ohne Kampf und Opfer an den Vortheilen des Sieges Theil zu nehmen. – Nach meiner Ansicht kann da der Entschluß nicht zweifelhaft sein und ich muß mich daher entschieden für die unbedingte Neutralität aussprechen. – Dann aber, Majestät,« fuhr der Minister lebhafter fort, »muß diese Neutralität so rasch wie möglich durch den bündigsten Vertrag besiegelt werden. Je mehr die Ereignisse fortschreiten, um so mehr sehe ich mit Besorgniß den Augenblick kommen, in welchem Preußen sich nicht mehr mit der Neutralität begnügen kann, und an Eure Majestät Forderungen stellen wird, die Sie nicht werden annehmen wollen und können. – Durch Zögern und Hinhalten kann nichts erreicht werden, als Mißtrauen auf beiden Seiten – und die endliche, vollkommene Isolirung Hannovers in einem Kampfe, in welchem allein und ungedeckt zu stehen wir nicht stark genug sind. – Ich stimme deßhalb für den schleunigsten Abschluß eines bündigen Neutralitätsvertrages.«

»General von Brandis,« sagte der König.

Der General antwortete, ohne daß der freundliche, lächelnde Ausdruck seines Gesichts verschwand:

»Eure Majestät wissen, daß ich die Preußen hasse. Ich habe als Kind unter den Eindrücken der Okkupation von 1803 gelebt und werde diese Eindrücke nie vergessen. Ich sage Eurer Majestät ganz offen, daß ich am liebsten meinem persönlichen Gefühl nach an der Seite Oesterreichs gegen Preußen noch einmal meinen alten Degen zöge. Aber ich erkenne alle Gründe des Herrn Ministers des Innern als richtig und schließe mich deßhalb vollständig seiner Ansicht an.«

»Und Sie, Generallieutenant von Tschirschnitz?« fragte der König weiter.

»Majestät,« erwiederte der Generaladjutant mit seiner barschen militärischen Stimme, »ich muß zunächst auch heute nochmals dagegen protestiren, daß die königliche Armee nicht im Stande sein solle, aktiv in die Entscheidung der Dinge einzugreifen. Nach meiner Ueberzeugung ist die Armee dazu im Stande und wird überall, wo sie dazu berufen wird, dem hannöverischen Namen und ihrer Geschichte Ehre machen. Ich spreche dieß mit der vollsten Zuversicht aus und werde meine Ansicht niemals ändern. – Die Rücksicht auf mangelnde Schlagfertigkeit der Armee darf also Eurer Majestät Entschlüsse nicht bestimmen. – Was die politischen Rücksichten und Gründe betrifft, so wollte ich lieber, Eure Majestät fragten mich nicht. – Ich muß die Gründe des Herrn Ministers des Innern als richtig anerkennen – als Soldat beklage ich die Neutralität und würde wahrlich lieber wünschen, an der Seite Eurer Majestät und mit der braven hannöverischen Armee in den Kampf zu ziehen. – Wenn Eure Majestät sich aber für die Neutralität entscheiden, so möchte ich auch wünschen, daß sie sobald als möglich fest und unabänderlich abgemacht wird, denn ich verabscheue die halben Maßregeln und die unklaren Situationen und habe noch nie gesehen, daß sie zu etwas Gutem geführt hätten.«

Der König richtete sich aus der zuhörenden Stellung, die er eingenommen hatte, empor.

»Ich höre also,« sprach er, »daß Sie Alle, meine Herren, die Neutralität Hannovers in dem leider immer unvermeidlicher sich nahenden, tief beklagenswerthen Kampfe zwischen Oesterreich und Preußen für geboten erachten. – Nur meint Graf Platen, daß man den festen Abschluß eines Vertrages hinziehen und Zeit gewinnen solle, während Minister Bacmeister und die Herren Generale den sofortigen Vertragsabschluß für nöthig halten, um den noch günstigen Augenblick nicht zu verlieren. – Ich meinerseits schließe mich der Ansicht des Ministers des Innern aus den von ihm vorgetragenen Gründen an. – Ich bitte Sie, mein lieber Graf,« fuhr er gegen den Grafen Platen gewendet fort, »in diesem Sinne zu handeln und sogleich die erforderlichen Besprechungen mit dem Prinzen Ysenburg zu beginnen.«

Graf Platen war augenscheinlich unangenehm berührt. –

»Zu Befehl, Euer Majestät,« sagte er sich verneigend, »indeß werden Allerhöchstdieselben gewiß einverstanden sein, daß wir wenigstens noch einige Tage warten, bis sich die Situation noch etwas mehr geklärt hat und bis wir wenigstens ganz genau wissen, was in Oesterreich geschieht und was man dort will. – Graf Ingelheim hat mir heute Morgen mitgetheilt, daß der Prinz Karl Solms in besonderem Auftrag des Kaisers an Eure Majestät unterwegs ist.«

Der König erhob das Haupt mit dem Ausdruck des höchsten Erstaunens.

»Mein Bruder Karl?« rief er aus, »was bringt er?«

»Ich weiß es nicht, Majestät,« sagte Graf Platen, »und Graf Ingelheim wußte es auch nicht – oder wollte nicht vorgreifen, – jedenfalls müßte doch diese Mission abgewartet werden, bevor nach Preußen hin definitive Schritte geschehen.«

Der König dachte nach.

Bacmeister schüttelte schweigend den Kopf.

Ein Schlag ertönte gegen die äußere Thür.

Der Kammerdiener meldete den Geheimen Kabinetsrath. –

Dieser trat in das Kabinet und sprach:

»Seine Durchlaucht der Prinz Karl Solms ist soeben angekommen und bittet Eure Majestät um Audienz.«

Der König stand auf.

»Wo ist der Prinz?«

»Er ist bei Ihrer Majestät der Königin und erwartet dort die Befehle Eurer Majestät.«

Der König klingelte.

»Ich lasse den Prinzen Karl bitten, zu kommen,« sagte er dem eintretenden Kammerdiener. – »Sie, meine Herren Minister, wollen so freundlich sein, hier in Herrenhausen zu bleiben, – ich bitte Sie, zu frühstücken, der Geheime Kabinetsrath wird die Honneurs machen. – Mein lieber Generaladjutant, ich danke Ihnen und will Sie nicht länger aufhalten. Aus unserer regelmäßigen Arbeit wird heute nichts werden. Ich bitte Sie, morgen wiederzukommen.«

Die vier Herren entfernten sich.

Der Geheime Kabinetsrath trat an den Tisch des Königs.

»Der Brief an den Kurfürsten, Eure Majestät – eine kurze Erklärung, daß Eure Majestät in jedem Falle neutral zu bleiben wünschten, und im Uebrigen auf die mündlichen Erklärungen des Regierungsraths Meding verwiesen.«

»Es ist gut, gehen Sie,« sagte der König.

Der Geheime Kabinetsrath legte den Brief auf den Tisch, tauchte eine große Feder ein und reichte sie dem König, legte dann dessen Hand auf die Stelle des Papiers, wohin die Unterschrift zu setzen war, und der König schrieb mit fester Hand und großen, kräftigen Zügen: Georg Rex.

»Ist es gut?« fragte er.

»Vollkommen,« erwiederte der Geheime Kabinetsrath, nahm das Papier und entfernte sich.

Kaum hatte er das Kabinet verlassen, als der Kammerdiener die Thüre mit den Worten öffnete:

»Seine Durchlaucht der Prinz Karl.«

Der Prinz trat ein.

Der Stiefbruder des Königs, aus der Ehe der nachmaligen Königin Friederike mit dem Prinzen von Solms-Braunfels, war ein Mann von einigen fünfzig Jahren, von hoher, schlanker Gestalt, das ergrauende Haar kurz geschnitten; das dem Könige ähnliche, aber weit weniger scharf geschnittene Gesicht trug die Farbe der Gesundheit, aber zeigte in den etwas erschlafften Zügen Spuren von Kränklichkeit.

Der Prinz trug die große Uniform eines österreichischen Generalmajors, in der Hand den Hut mit dem grünen Federbusch und einen versiegelten Brief, – auf der Brust den großen Stern des hannöverischen Guelphenordens, den österreichischen Leopoldorden um den Hals. –

Er eilte auf den König zu, der ihn auf das herzlichste umarmte.

»Woher kommst Du, mein lieber Karl,« rief Georg V., »was verschafft mir die so unerwartete Freude, Dich hier zu sehen? – Was machen vor Allen die Deinigen?«

»Ich danke für Deine gnädige Frage,« erwiederte der Prinz– »es geht besser zu Hause und meine Frau befindet sich jetzt wohl.«

»Und die Herzogin von Ossuna?«

»Ich habe die besten Nachrichten.«

»Und Du selbst – was macht Deine Gesundheit?«

»Die Nerven plagen mich zuweilen, sonst geht es mir gut.«

»So« – sagte der König, – »und nun setze Dich und erzähle mir, was Dich herführt – ich habe eine Andeutung davon durch Graf Ingelheim erhalten.«

Der Prinz setzte sich neben den König und antwortete:

»Ich wünschte, daß ich in weniger ernster Zeit und aus weniger ernster Veranlassung hieher käme,« sagte er seufzend, – »der Kaiser schickt mich zu Dir. Hier ist sein Brief.«

Und er reichte dem König das Schreiben, welches er in der Hand trug.

Dieser nahm es, ließ die Finger leicht über das Siegel gleiten und legte es vor sich auf den Tisch.

»Kennst Du den Inhalt, steht etwas Besonderes darin?« fragte er.

»Nichts von Bedeutung, es ist nur meine Beglaubigung. Meine Mission ist mündlich.«

»So sprich, ich bin gespannt zu hören.«

Der Prinz sprach:

»Der Kaiser ist entschlossen, den Kampf um die künftige Gestaltung Deutschlands aufzunehmen und mit allen Kräften durchzuführen, da er überzeugt ist, daß nur durch diesen Kampf und nach einem entscheidenden Siege Oesterreichs dauerhafter Frieden und dauerhafte Sicherheit für die souveräne Selbstständigkeit der deutschen Fürsten herzustellen sein werden.«

»Also habe ich mich nicht getäuscht,« sagte der König, »der Kampf ist beschlossen?«

»Er ist beschlossen,« erwiederte der Prinz, »und der Kaiser legt den höchsten Werth darauf, in diesem Kampf von den deutschen Fürsten umgeben zu sein, wie er es beim Fürstentage in Frankfurt war.«

»Wo man mich mediatisiren wollte« – warf der König halblaut ein, – »doch weiter.«

»Der Kaiser,« fuhr der Prinz fort, »legt vor Allem hohen Werth auf die feste Allianz Hannovers. Er hat mir befohlen, Dir zu sagen, daß er die Interessen des Hauses Habsburg und des Welfenhauses für identisch in Deutschland halte –«

»Das Welfenhaus hat stets gegen den Cäsarismus gekämpft« – sagte der König.

»Der Kaiser,« fuhr der Prinz fort, »hofft, daß die alte innige Verbindung zwischen Hannover und Oesterreich auch in dieser Krisis sich bewähren werde. Er sieht ein, daß bei dem Wiener Kongreß Hannover nicht die richtige Stellung in Deutschland, besonders in Norddeutschland, erhalten habe; – berufen, in Norddeutschland ein mächtiges und selbstständiges Gegengewicht gegen die preußischen hegemonistischen Bestrebungen zu bilden, sei Hannover durch die Diplomatie des Wiener Kongresses zu schwach hingestellt –«

»Weil die Bestrebungen des Grafen Münster von Metternich nicht unterstützt wurden,« bemerkte der König abermals halb für sich.

»Der Kaiser erkennt die Notwendigkeit,« fuhr der Prinz fort, »jenen Fehler des Wiener Kongresses bei einer neuen Gestaltung und Organisation Deutschlands zu verbessern, und schlägt Dir deßhalb ein festes Offensiv- und Defensivbündniß vor.«

»Auf welcher Basis?« fragte der König.

»Die wesentlichen Punkte des Bündnisses, welches der Kaiser im Sinne hat, sind folgende,« erwiederte der Prinz: »Hannover stellt sofort seine ganze Armee auf den Kriegsfuß und verpflichtet sich, gemeinschaftlich und zugleich mit Oesterreich den Krieg an Preußen zu erklären. – Dagegen stellt der Kaiser die in Holstein befindliche Brigade Kalik zu Deiner Disposition und tritt Dir den General von Gablenz für die Dauer des Feldzugs ab. – Er garantirt für alle Fälle den ungeschmälerten Besitzstand Hannovers und verspricht für den Fall des Sieges, Holstein und das preußische Westphalen Deinem Königreiche einzuverleiben.«

»Für den Fall des Sieges,« sagte der König. – »Glaubst Du an diesen Sieg?«

Der Prinz schwieg einen Augenblick.

»Ich bin österreichischer General,« sagte er dann.

»Laß den österreichischen General einen Augenblick bei Seite und antworte mir als mein Bruder!«

»Wenn unsere Kräfte richtig geleitet und in Tätigkeit gesetzt werden,« erwiederte der Prinz nach einer kurzen Zögerung, »und wenn Deutschland kräftig und energisch zu uns steht, so kann uns der Erfolg nicht fehlen. Unsere Artillerie ist vortrefflich und unsere Kavallerie der preußischen weit überlegen.«

»Hm,« machte der König, – »doch lassen wir diese Erörterung, Du könntest glauben, daß ich meine Entschlüsse nur nach dem Nützlichkeitsprinzip fassen wolle, und dem ist nicht so. Für mich liegt in dieser ganzen Krisis ein höheres Prinzip, als das des Erfolgs, und nach diesem Prinzip allein werde ich handeln.«

»Ich bitte Dich unterthänigst,« sagte der Prinz, »die Zukunft und Größe Deines Hauses zu bedenken und nicht zu vergessen, daß Preußen in seiner jetzigen Macht und mit den jetzigen Tendenzen seiner Politik eine stete Drohung und Gefahr für Hannover ist.«

Der König schwieg einige Augenblicke nachdenkend.

»Mein lieber Karl,« sagte er dann, »Du kannst überzeugt sein, daß Alles, was vom Kaiser kommt, bei mir die ernsteste Aufnahme und die höchste Beachtung findet – und daß er, indem er mir die Freude machte, Dich zu mir zu schicken, einen Boten gewählt hat, der ganz geeignet ist, diese Beachtung noch zu verstärken. Ich bin jederzeit bereit, dem Hause Habsburg und Oesterreich meine auf Neigung und Ueberzeugung beruhende Freundschaft zu beweisen. – Hier aber, – ich muß es Dir sogleich sagen, – kommen Prinzipien in Frage, die mir als Herrscher meines Landes und als Mitglied des deutschen Bundes höher stehen als Alles. – Ich will Dir in diesem Augenblick noch keine definitive Antwort geben, Du kannst doch einige Tage hier bleiben?«

»Einige Tage gewiß,« erwiederte der Prinz, »der Kaiser erwartet aber mit Spannung meine Rückkehr und lange möchte ich nicht –«

»Ich will Dich auch nicht lange aufhalten und Deine Proposition sogleich meinen Ministern vorlegen.«

Der König klingelte und sagte dem eintretenden Kammerdiener:

»Wenn die Herren Minister gefrühstückt haben, so lasse ich sie bitten!«

Kurze Zeit darauf traten Graf Platen, General Brandis und Minister Bacmeister in das Kabinet.

Der Prinz Karl begrüßte die Herren einzeln sehr herzlich und Alle setzten sich um den Schreibtisch des Königs.

Georg V. begann:

»Die Situation, über welche wir vorhin sprachen, hat sich etwas modifizirt. – Mein Bruder Karl hat mir die Proposition eines bestimmten Allianztraktats von Seiten Seiner kaiserlichen Majestät von Oesterreich überbracht, unter genau formulirten Bedingungen. – Ich bitte Dich, lieber Karl, diese Bedingungen nochmals zu bezeichnen.«

Der Prinz wiederholte die Punkte, wie er sie vorher dem Könige vorgetragen.

Graf Platen rieb sich lächelnd die Hände.

»Eure Majestät sehen,« sagte er halblaut dem Könige, »wie man sich um uns bewirbt und welche günstige Situation unsere Politik geschaffen hat.«

Bacmeister wiegte langsam das Haupt und drehte die Daumen seiner gefalteten Hände um einander, ein Zug feiner, lächelnder Ironie spielte um seinen Mund.

»Eure Durchlaucht,« sagte er, »sprechen von allerdings sehr bedeutenden Vergrößerungen Hannovers im Falle des Sieges. Was aber wird geschehen, wenn – wir müssen hier alle Fälle erwägen – Preußen siegreich sein sollte?«

»Der Kaiser garantirt für alle Fälle den Besitzstand Hannovers,« sagte der Prinz.

»Durch welche Mittel würde aber Seine kaiserliche Majestät in dem Falle, daß Oesterreich besiegt wäre, dem siegreichen Preußen gegenüber jene Garantie zu unterstützen und zu realisiren denken?« fragte Bacmeister.

»Ich bitte, mein lieber Minister, jetzt keine Diskussion,« sagte der König.

»Sie haben, meine Herren,« fuhr er fort, »die Propositionen gehört. Ich will in diesem Falle, gegen meine sonstige Gewohnheit, wie Sie wissen, Ihnen sogleich meine Anschauung sagen. – Ich meinestheils stehe unabänderlich auf dem Standpunkt, daß ein Krieg zwischen zwei Mitgliedern des deutschen Bundes nach der Verfassung und den Gesetzen des Bundes eine Unmöglichkeit ist. Ein solcher Krieg kann und wird vielleicht leider kommen, wie ein schweres Naturereigniß, wie eine Geißel Gottes, – ihn vorher in's Auge zu fassen, für ihn Verträge zu schließen – das halte ich für unvereinbar mit meinen Pflichten als deutscher Fürst; ich würde mich durch einen solchen Vertrag betheiligen und mitschuldig machen an der Infraktion in die von Deutschland und Europa geheiligte Verfassung des deutschen Bundes. Mit meinem Willen und mit vorbedachter Absicht sollen niemals hannöverische Truppen gegen Deutsche fechten und niemals wird dieß anders geschehen, als im Stande der Nothwehr. – Kann ich schon deßhalb den vorgeschlagenen Allianztraktat nicht für annehmbar erachten, so kommt dazu, daß ich die für die eventuelle Vergrößerung Hannovers gemachten Propositionen niemals annehmen kann. Ich kann keinen Vertrag unterzeichnen, durch welchen ich die Hand ausstrecke nach fremdem Gut. Es ist mein Stolz und meine Freude, daß unter den von mir beherrschten Landen sich kein Fuß breit Erde befindet, der nicht rechtmäßig meinem Hause als legitimes Besitzthum zusteht – soll ich jetzt Verträge schließen über die Eroberung von Ländern, die jedenfalls mir nicht gehören? Westphalen gehört dem Könige von Preußen, einem Fürsten, mit dem ich nicht nur in Frieden lebe, sondern im deutschen Bunde in besonders heiligen Beziehungen stehe. Holstein gehört von Rechtswegen – ich weiß nicht wem, dem Großherzog von Oldenburg, dem Herzog von Augustenburg, Preußen, – ich kann die verwickelte Frage des Erbfolgerechts nicht entscheiden – jedenfalls nicht mir. Und meine Herren, ich will um keinen Preis das schöne Bewußtsein mir trüben lassen, daß mein Königreich mir ganz und rein nach Gottes Recht und Gottes Gnade gehört, – und niemals« – der König schlug stark mit zwei Fingern der rechten Hand auf den Tisch – »niemals werde ich meine Hand ausstrecken nach fremdem Gut! – Der vorgeschlagene Vertrag ist daher nach meiner Ueberzeugung unannehmbar. – – Ein Vorschlag Seiner kaiserlichen Majestät von Oesterreich,« fuhr der König nach einer kurzen Pause fort, »hat aber das unabweisbare Recht auf eine ernste und scharfe Prüfung. – Ich bitte daher einen jeden von Ihnen, die Frage gewissenhaft zu durchdenken und alle Gründe, die etwa gegen meine eben ausgesprochene Ansicht geltend zu machen sein möchten, zu erwägen und zu formuliren. – Ich werde morgen Sie, meine Herren, mit Ihren heute nicht hier anwesenden Kollegen zu einer Sitzung des Gesammtministeriums unter meinem Vorsitz zusammentreten lassen, um dann die definitive Antwort zu hören und festzustellen. – Für heute danke ich Ihnen, die Stunde der Berathung werde ich Ihnen morgen wissen lassen.«

Der König erhob sich.

Die Minister verließen ernst und schweigend das Kabinet.

Der Prinz Solms blickte trübe vor sich hin.

»Habe ich Recht?« fragte ihn der König.

Der Prinz blickte zu seinem königlichen Bruder mit dem Ausdruck tiefer Verehrung auf.

»Du hast Recht,« sagte er leise, »und« – fügte er hinzu, indem sein Blick sich trübe verschleierte und sein Haupt niedersank, – »doch vielleicht großes Unrecht.«

»Nun, mein lieber Karl,« sagte der König mit ruhiger Heiterkeit, »sollst Du mit mir ausgehen. Ich habe das Bedürfniß, einen Gang zu machen, bei welchem Du mein bester Begleiter bist.«

Er drückte auf einen zweiten Knopf an der rechten Seite des Schreibtisches. Der Kammerdiener vom innern Dienst erschien an der Thür des Kabinets, welche zum Schlafzimmer des Königs führte.

»Ich will ausgehen,« sagte der König, indem er seine Uniform zuknöpfte.

Der Kammerdiener reichte ihm die Militärmütze der Gardejäger und die Handschuhe.

»Befehlen Eure Majestät eine Cigarre?«

»Nein! – Lassen Sie den Flügeladjutanten vom Dienst avertiren, daß ich seiner nicht bedarf. Der Prinz wird mich begleiten.«

Der König nahm den Arm des Prinzen und schritt durch die Korridors, an den sich tief verneigenden scharlachrothen Lakaien vorüber, dem großen Ausgangsportal des Schlosses zu. In der Halle vor diesem Portal hörte man ein lebhaftes Gespräch.

»Wer ist da?« fragte der König den Prinzen.

»Graf Alfred Wedel und Devrient.«

In der That standen die genannten Personen neben einander auf dem Vestibüle und waren in einem anscheinend so lebhaften Gespräch begriffen, daß sie das Herannahen des Königs nicht bemerkt hatten.

Der Graf Alfred Wedel, der Hofmarschall und Schloßhauptmann des Königs, ein großer und starker junger Mann von etwa dreißig Jahren, mit frischem Gesicht, schönen, aber starken Zügen, in der kleinen Hofuniform, blauem Frack mit roth umgeschlagenem Kragen, stand vor dem berühmten hannöverischen Hofschauspieler Devrient, einem hohen Sechziger, der die deutschen Befreiungskriege mitgemacht hatte, aber sowenig schwer an der Last seiner Jahre trug, daß er noch mit dem größten Erfolge den Hamlet spielte. Auch außerhalb der Bühne sah man weder seinem lebhaften Gesicht mit dem feurigen Auge, noch der Haltung seines Körpers sein Alter an.

»Guten Morgen, Devrient!« rief der König mit seiner hellen Stimme und blieb mitten im Vestibüle stehen. –

Die beiden Herren unterbrachen ihr Gespräch und Devrient eilte auf den König zu.

»Wie geht es Ihnen,« sprach Georg V. freundlich, »immer munter und frisch? Devrient ist ein Beispiel für uns Alle,« sagte er zum Prinzen Solms gewendet, »er hat das Geheimniß der ewigen Jugend.«

»Majestät,« antwortete Devrient, »auch diese ewige Jugend, welche Allerhöchstdieselben mir gnädigst zuschreiben, hat ihre Coulissen, und ich stehe leider nicht immer vor den Lampen – die Gicht soufflirt mir oft falsch! – Ich war gekommen, um Eurer Majestät Befehle für die nächste Vorlesung zu erbitten – doch ich sehe, Eure Majestät wollen ausgehen.« –

»Ich bin heute beschäftigt, lieber Devrient,« sagte der König, – »morgen auch – wollen Sie übermorgen zu mir kommen?«

»Zu Befehl, Majestät.«

Und freundlich mit dem Kopf nickend, schritt der König dem Ausgang zu, dessen beide große Flügel der Portier geöffnet hatte.

Als er durch das Portal in den inneren Schloßhof trat und die Schloßwache in's Gewehr trat und das Spiel rührte, fragte Prinz Karl:

»Wohin befiehlst Du zu gehen?«

»Nach dem Mausoleum,« antwortete der König.

Und am Arm seines Bruders schritt er festen und schnellen Schrittes durch den Schloßhof.

Devrient trat auf den Grafen Wedel zu, nachdem er dem König einen Augenblick nachgesehen.

»Wenn ich den Herrn so dahin schreiten sehe und an die Zeiten denke, in denen wir leben, so möchte ich fortwährend alle guten Geister des Himmels beschwören, daß sie gnädig über seinem theuren Haupte wachen. – Es gefällt mir nicht,« fuhr er finster fort, »den Herrn da jetzt am Arm eines österreichischen Generals zu sehen. Gott verhüte, daß das eine böse Vorbedeutung ist!«

»Sie sind unverbesserlich,« rief Graf Wedel – »wollen Sie schon wieder die Politik aufrühren und Ihrem Haß gegen Oesterreich Luft machen? Ganz Deutschland stellt sich auf die Seite des Kaisers – soll denn der König sich für Preußen opfern?«

»Diese österreichische Uniform gefällt mir nicht,« sagte Devrient düster.

»Ich wollte, wir hätten dreißigtausend davon hier,« rief Graf Wedel. »Ich werde Sie an den heutigen Tag erinnern, Devrient, wenn der große Sieg erfochten sein wird und wenn das dankbare Oesterreich –«

»Dank vom Haus Oesterreich!?« rief Devrient mit dem Tone und dem Gestus der Bühne, setzte seinen Hut auf und schritt, ohne weiter ein Wort zu sprechen, durch das Ausgangsportal der großen Allee zu, welche vom Schlosse Herrenhausen nach der Stadt führt.

Graf Wedel ging lächelnd und kopfschüttelnd in die innern Räume des Schlosses. –

Im Garten von Herrenhausen in tiefer Waldesstille liegt das Grabmal des Königs Ernst August und der Königin Friederike, ganz ähnlich dem Mausoleum in Charlottenburg, in welchem der König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und die Königin Louise ruhen.

Der König und die Königin liegen in Marmor, von der Meisterhand Rauch's gemeißelt, auf ihren Sarkophagen in dem tempelartigen Bau, welcher von oben her ein Licht von wunderbarem Effekt auf die herrlichen, lebenswahren Gestalten fallen läßt. Der Bau in seiner tiefen Stille, seiner heiligen Einfachheit und seiner unübertrefflich meisterhaften Kunstbildung umfängt den Eintretenden mit der ganzen Majestät des Todes, mit den ergreifenden Schauern, aber auch mit dem tiefen Frieden der ewigen Ruhe.

Ein einziger Posten stand vor dem Eingang.

Vier Personen verließen das Mausoleum schweigend und augenscheinlich ergriffen, von dem Eindruck dieses königlichen Grabmals. Der Kastellan folgte ihnen.

Drei von diesen Personen sind Bekannte aus dem alten Amtshause von Blechow, – der Pastor Berger, seine Tochter Helene und der Regierungsassessor von Wendenstein. In ihrer Begleitung befand sich ein junger Mann von sieben- bis achtundzwanzig Jahren, in einfacher schwarzer Tracht und weißer Binde, welcher ohne irgend ein bestimmtes Zeichen doch den Geistlichen vermuthen ließ. Sein glatt gescheiteltes, blondes Haar fiel gerade an den Schläfen herunter und umrahmte ein rundes, glattes Gesicht ohne bedeutende und bemerkbare Züge. Sein graues, kleines Auge blickte scharf und oft hart unter den gesenkten Lidern hervor, und um die fest geschlossenen dünnen Lippen lag ein Zug von Selbstzufriedenheit und ascetischer Würde, welcher den vollständigsten Kontrast bildete zu dem lebensfrischen, ruhig heitern Ausdruck des alten Pastors Berger, welcher auch hier seine gewöhnliche Tracht, den zugeknöpften schwarzen Rock und das viereckige Baret der lutherischen Geistlichen, trug.

Die vier Personen schritten langsam die große Allee hinab, welche von dem Mausoleum nach dem inneren Schloßpark führt.

Sie waren nur wenige Schritte vom Mausoleum entfernt, als der Posten mit hörbarem Schlag das Gewehr präsentirte und der ihnen folgende Kastellan halblaut rief:

»Seine Majestät der König.«

Aus einer Seitenallee trat Georg V. am Arm des Prinzen Solms.

Die drei Herren entblößten das Haupt und Alle blieben ehrfurchtsvoll stehen.

»Man grüßt Dich,« sagte der Prinz leise.

Der König legte die Hand an die Mütze.

»Wer ist es?« fragte er.

»Ein lutherischer Geistlicher, nach der Tracht,« antwortete der Prinz.

Der König blieb stehen und rief:

»Herr Pastor!«

Der Pastor Berger trat auf ihn zu und sprach mit fester und lauter Stimme:

»Ich grüße in Ehrfurcht meinen königlichen Herrn und obersten Bischof!«

Der König stutzte beim Klange dieser Stimme.

»Bin ich Ihnen nicht im vorigen Jahre im Wendlande begegnet?«

»Eure Majestät sind zu gnädig, sich dessen zu erinnern. Ich bin der Pastor Berger aus Blechow.«

»Ganz recht, ganz recht!« rief der König erfreut. »Ich erinnere mich mit lebhaftem Vergnügen Ihrer schönen Begrüßung in Blechow und alles des Guten, was Sie mir über den Zustand Ihrer Gemeinde sagten. Wie glücklich macht es mich, Sie hier zu begegnen! Was führt Sie nach Hannover?«

»Majestät, die Kräfte wollen nicht mehr so ganz wie früher, und ich muß darauf denken, mir etwas Hülfe zu schaffen, damit meine Gemeinde nicht unter meinem zunehmenden Alter leidet. Der Dienst darf nicht alt und nicht müde werden, – da habe ich nun den innigen Wunsch, meinen Schwestersohn, den Kandidat Behrmann, mir zum Adjunkten bestellen zu lassen, damit er dereinst auch, so Gott will, mein Nachfolger im Amte werde. Dieß beim Konsistorio zu erbitten und zu befürworten, bin ich hergekommen.«

»Gewährt, gewährt, mein lieber Pastor!« rief der König lebhaft, »die Qualifikation Ihres Neffen ist in Ordnung, sonst würden Sie die Bitte nicht stellen. Er ist Ihr Adjunkt. Wie glücklich macht es mich gerade heute und hier, Ihren Wunsch sogleich erfüllen zu können!«

Der Pastor sagte überrascht und gerührt nichts weiter als: »Ich danke Eurer Majestät von Herzen.«

»Und nun, mein lieber Pastor, werde ich Sorge tragen, daß Ihnen Alles gezeigt wird, was in Hannover zu sehen ist. Geben Sie im Schloß Ihre Wohnung an. Morgen erwarte ich Sie zur Tafel, kommen Sie eine Stunde vorher. Sie sollen mir viel von meinem lieben, treuen Wendlande erzählen. – Haben Sie den Park und die Treibhäuser gesehen?«

»Wir wollten dahin gehen, Majestät; jetzt komme ich aus dem Mausoleum und bin noch tief erfüllt von dem erhabenen Eindruck. Ich habe dort meine Seele zum Herrn erhoben und innig gebetet, daß er Eure Majestät schützen möge in dieser schweren und bewegten Zeit.«

Der König blickte tief ernst vor sich hin.

»Ja,« sprach er dann, »wir leben in ernsten, schweren und dunkeln Tagen und der Segen des Herrn thut noth. Ich will thun, was Sie gethan. Ich will beten am Grabe meiner Eltern um Kraft und Erleuchtung. Leben Sie wohl – auf Wiedersehen morgen!«

Und mit militärischem Gruß wendete er sich und schritt dem Mausoleum zu.

Tief ergriffen blickte der Pastor Berger ihm nach. Auf seinem Angesicht zuckte es in mächtiger Rührung, von einer unwillkürlichen Bewegung erfaßt erhob er die Hand und sprach mit lauter Stimme, die wunderbar ergreifend durch die Waldeseinsamkeit schallte:

»Der Herr segne Dich und behüte Dich! Der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und sei Dir gnädig. Der Herr erleuchte sein Angesicht über Dir und gebe Dir seinen Frieden! Amen!«

Bei den ersten Worten dieses Segens war Georg V. still gestanden, hatte sich zu dem Sprechenden umgewendet und seine Mütze abgenommen. Ein Ausdruck tiefer Andacht lag auf seinen Zügen.

Als der Pastor geendet, bedeckte er sich, grüßte schweigend leicht mit der Hand und trat langsam in den einfachen, ernsten Bau, der die letzte Ruhe seiner Eltern beschirmte.


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