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Zweiter Band.

Achtes Kapitel.

In der Hofburg zu Wien herrschte reges Leben. Adjutanten und Ordonnanzen kamen und gingen aus und nach der über der großen Hauptwache belegenen Generaladjutantur. Gruppen von Neugierigen standen trotz der frühen Stunde, um acht Uhr Morgens, hie und da in dem großen Hof und sahen jeden kommenden oder gehenden Offizier mit höchster Spannung an, als brächte er die entscheidendsten Nachrichten.

Die öffentliche Stimmung war auf das Aeußerste erregt. Jedermann fühlte, daß gewaltige Ereignisse wie ein Gewitter in der Luft lagen und daß jeder Augenblick den zückenden Strahl bringen konnte, welcher mit gewaltigem Donnerschlag die schwülen Nebel zerreißen würde.

Die guten Wiener waren kriegerisch gestimmt. Die Presse hatte seit lange die Erbitterung gegen Preußen genährt und man hörte in den verschiedenen Gruppen die heftigsten Aeußerungen gegen die nordische Macht, sowie die zuversichtlichsten Hoffnungen auf den Sieg der österreichischen Waffen.

War doch der Feldzeugmeister Benedek, der Mann der Soldaten, der Mann des Volkes, der Gegner der adeligen Offiziere, zum Oberkommandanten der großen Nordarmee ernannt und sollte es sich nun zeigen, was die österreichische Armee leisten könne, wenn sie aus den Händen der »Junker« in die eines wahren Feldsoldaten überging.

So laut und lebhaft aber auch diese Hoffnungen ausgesprochen wurden, so bemerkte man doch keinen eigentlich hoffnungsvoll freudigen Ausdruck in den Gruppen. Es waren mehr die Lippen, welche sprachen, als das Herz, und wer bis auf den Grund hätte in die Brust dieser lebhaft sprechenden und gestikulirenden Menschen blicken können, der möchte wohl manchem stillen besorgten Zweifel begegnet sein, der die Worte der Lippen Lügen strafte. Es war eben ein neuer, seit dem siebenjährigen Kriege unbekannter und von jener Zeit her traditionell gefürchteter Gegner, dem man entgegengehen sollte, und ein Gegner, von dessen mächtiger Militärorganisation man so viel, so Unglaubliches gehört und gelesen hatte.

Aber diese Zweifel, so mächtig sie sich auch regen mochten, traten nicht aus der Tiefe der Brust hervor – sie dienten nur dazu, das allgemeine Gefühl der Schwüle zu vermehren, das über dem Volke lastete und dem lustigen und leichtlebigen Wien einen ganz ungewohnten ernsten Charakter aufdrückte.

Plötzlich verstummten die Gespräche in den Gruppen und alle Blicke richteten sich nach dem Eingangsthor der Hofburg. Dort erschien der Feldmarschalllieutenant von Gablenz, dieser General, der durch seine glänzende Tapferkeit, durch seine ritterlichen Eigenschaften zum Liebling der Wiener geworden war.

Stolz und elegant schritt er in den Burghof, in der grauen, eng anschließenden Generalsuniform, die Brust mit zahlreichen Orden geschmückt, das Maria-Theresienkreuz am Halse, den Federhut auf dem schönen Kopf mit dem dunkelschwarzen dichten Bart und den feinen, ausdrucksvollen Zügen.

Ihn begleitete sein Generalstabschef Oberst von Bourguignon, zwei Adjutanten und der Lieutenant von Stielow in der kleidsamen, bunten Ulanenuniform, stolz und freudig über die Auszeichnung, sich in der unmittelbaren Umgebung des berühmten Generals zu befinden.

Die Menge grüßte den Feldmarschalllieutenant, der, wie man hoffte, so viel dazu beitragen sollte, um die laut ausgesprochenen Hoffnungen zu erfüllen, – die im Stillen gehegten besorgten Zweifel Lügen zu strafen.

Der General erwiederte die Huldigungen mit leichtem militärischem Gruß, freundlich aber mit vornehmer Würde; er war sich seiner Popularität bewußt, aber er suchte sie nicht – er nahm sie hin wie etwas Selbstverständliches, ihm Gebührendes.

Er durchschritt mit seinen Begleitern den Hof, trat in das große Portal und stieg die Treppe hinauf zu den Gemächern des Kaisers.

Mit tiefer Verneigung öffnete ihm der Thürsteher die Thüre des Vorzimmers.

Tiefe Stille herrschte in dem großen weiten Raum mit dem dunklen Getäfel, den hohen Seidenmöbeln und den schweren Vorhängen vor den mächtigen Fenstern.

An der Thür, welche zum Arbeitszimmer des Kaisers führte, stand ein Arcièren-Leibgardist in militärischer Haltung. Der dienstthuende Flügeladjutant lehnte am Fenster und blickte in den Hof hinab. Beim Eintritt des Feldmarschalllieutenants ging der Flügeladjutant, ein junger, schöner Mann mit kurzem schwarzen Haar und Schnurrbart, in der dunkelgrünen einfachen Uniform der kaiserlichen Adjutantur mit den Majorsabzeichen, demselben entgegen und grüßte militärisch. Der Feldmarschalllieutenant erwiederte den Gruß, und nachdem er ebenfalls den Arcièrengardisten, deren jeder Hauptmannsrang hat und deren Hauptmann der Feldmarschall Graf Wratislaw war, verbindlich gegrüßt, reichte er dem Flügeladjutanten die Hand.

»Wie geht es, lieber Fürst Liechtenstein – was treiben Sie hier in Wien, seit ich Sie nicht gesehen?«

»Uns schlägt des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr,« erwiederte der junge Fürst – »wir sind nicht so glücklich, wie Sie, Excellenz – uns etwas tummeln zu können – und müssen uns begnügen, hier die Berichte von Ihren Heldenthaten zu hören. – Sie gehen, um neue Lorbeeren zu pflücken –«

»Halt, mein lieber Fürst,« unterbrach ihn der General, – »von Lorbeeren muß man immer nur dann sprechen, wenn man sie gepflückt hat, – doch,« fuhr er fort, – »ist Seine kaiserliche Majestät beschäftigt? – ich will mich melden, um sofort zur Armee abzugehen.«

»Graf Mensdorff ist soeben hineingegangen,« erwiederte der Fürst, – »er wird aber gewiß nicht lange bleiben und sobald er hinaus ist, werde ich Sie melden.«

Der Feldmarschalllieutenant trat mit dem Obersten von Bourguignon in eine Fensternische, während der Fürst Liechtenstein sich mit den Adjutanten des Generals und Herrn von Stielow unterhielt.

Während dieß im Vorzimmer vorging, stand der Kaiser Franz Joseph, nach österreichisch-militärischer Sitte in den bequemen, weiten, grauen Oberrock gekleidet, vor dem großen, breiten, mit Papieren, Büchern und Karten überdeckten Schreibtisch seines luftigen und hellen, einfachen Kabinets.

Tiefer Ernst ruhte auf seinen Zügen, die Hand leicht auf den Tisch gestützt, hörte er mit Spannung den Vortrag des Grafen Mensdorff an, der einige Berichte und Depeschen in der Hand hielt.

»Daß Prinz Solms in Hannover nicht reüssirt hat und der König Georg jedes Bündniß ablehnt,« sagte der Kaiser, »ist ein sehr unangenehmer Fall. Dadurch werden nach jener Seite die preußischen Kräfte nicht beschäftigt, und wir müssen Alles thun, um den großen Entscheidungskampf in Böhmen oder hoffentlich in Sachsen mit der ganzen feindlichen Kraft aufnehmen zu können. – Glauben Sie denn, daß ein hannöverisches Bündniß mit Preußen zu befürchten ist?«

»Gewiß nicht, Eure Majestät,« erwiederte Graf Mensdorff, – »der König wird jenes Bündniß ebenso zurückweisen, wie das unsrige. Seine hannöverische Majestät hält eben einfach auf seinem Bundesstandpunkt fest und will sich nach keiner Seite engagiren! – Ich fürchte, der König bringt sich da in eine bedenkliche Isolirung, die bei seiner exponirten und abgeschnittenen Stellung, umgeben von der preußischen Macht, hochgefährlich für seine Sicherheit, – ja für seine Krone werden kann.«

»Für seine Krone?« fragte der Kaiser und warf erstaunt das Haupt empor.

»Majestät,« sagte Graf Mensdorff, »wenn der erste Kanonenschuß gefallen ist, wird sich Preußen auf den Standpunkt der rücksichtslosesten Staatsraison stellen, wie man dort sagt, – und Hannover ist längst ein Ziel der preußischen Wünsche.«

»So lange das Schwert Oesterreichs nicht vom unerbittlichen Wetter der Schlachten in meiner Hand zerbrochen wird,« – rief der Kaiser stolz, »wird keines deutschen Fürsten Krone angetastet werden.«

Graf Mensdorff schwieg.

Der Kaiser machte einige rasche Schritte durch das Zimmer.

Dann blieb er wieder vor seinem Minister stehen.

»Sie glauben immer nicht an den Erfolg?« fragte er, indem er seinen Blick durchdringend auf den Grafen richtete.

»Majestät,« erwiederte dieser, – »ich trage die Uniform eines österreichischen Generals und stehe vor meinem Kaiser – und das am Vorabend eines Krieges, in welchem alle Fahnen des Kaiserstaates entrollt werden, – wie würde es mir ziemen, an dem Erfolge der österreichischen Waffen zu zweifeln?« –

Der Kaiser trat leicht mit dem Fuß auf den Boden.

»Das ist keine Antwort,« sagte er. – »Ich frage nicht den General, sondern den Minister.«

»Ich wollte,« erwiederte Graf Mensdorff, »daß ich als General vor Eurer kaiserlichen Majestät stände – oder vor den Feinden Eurer Majestät, – dann wäre mein Herz leichter – und,« fügte er fast düster hinzu, – »dann hätte ich auch vielleicht mehr Zuversicht auf den Sieg, – wenigstens könnte ich dann mein Leben dafür einsetzen. – Als Minister,« – fuhr er nach einem augenblicklichen Schweigen fort, – »habe ich Eurer Majestät meine Ansicht gesagt – und kann nur dem innigen Wunsch wiederholt Ausdruck geben, daß es Eurer Majestät gefallen wolle, mir die schwere Verantwortung abzunehmen und mir zu erlauben, den Degen zu ziehen.«

Der Kaiser antwortete nicht auf die letztere Bemerkung des Grafen.

»Aber mein lieber Mensdorff,« sagte er dann, »ich kenne Ihr österreichisches Herz – schlägt dasselbe nicht höher bei dem Gedanken, die alte Macht des Hauses Habsburg wieder aufzurichten in Deutschland und diesen gefährlichen Nebenbuhler zu brechen, der unser Oesterreich und mein kaiserliches Haus hinauswerfen möchte aus Deutschland – dem alten Erbe unserer Väter. – Soll ich denn die Gelegenheit vorübergehen lassen, die vielleicht nie so günstig wiederkommt?«

»Eure Majestät können nicht tiefer und inniger die Liebe zu Oesterreich und den Stolz auf die kaiserliche Größe Ihres erhabenen Hauses im Herzen tragen als ich,« – erwiederte Graf Mensdorff mit warmem Ton, »und ich würde meinen letzten Blutstropfen darum geben, um Eure kaiserliche Majestät wieder im Römer zu Frankfurt, umgeben von den Fürsten des Reichs, als Herrn und Führer Deutschlands thronen zu sehen, – aber –«

»Aber,« rief der Kaiser lebhaft und sein Auge leuchtete, – »glauben Sie denn, daß das Ziel zu erreichen ist, ohne daß das Schwert in die Wagschale geworfen wird? Jener Mann in Berlin sagt ja selbst, Blut und Eisen müsse Deutschland regeneriren. Nun wohl – das Eisen mag entscheiden und das Blut komme über ihn!«

»Aber,« fuhr Graf Mensdorff mit ruhigem, fast traurigem Ton fort – »ich kann die Gelegenheit nicht für günstig halten; – auf zwei Kriegstheatern zu schlagen, das ist ein Spiel, dem ich die jetzige Machtstellung Oesterreichs und meine Hoffnungen für die Zukunft nicht aussetzen möchte, – noch dazu wenn der eine Gegner so mächtig und so rücksichtslos energisch ist, daß wir unsere ganze Kraft ihm allein gegenüber gebrauchen würden.«

»Energisch?« warf der Kaiser mit leichtem Ton hin. – »In Olmütz wich der Starke ruhig zurück!«

»Olmütz wiederholt sich nicht, Majestät, der Kaiser Nikolaus lebt nicht mehr und zwischen Alexander und uns liegt Sebastopol!«

Der Kaiser schwieg.

»Darf ich Eure Majestät noch unterthänigst darauf aufmerksam machen,« sprach Graf Mensdorff nach einigen Augenblicken, indem er seine Papiere durchblickte, »daß der Herzog von Gramont auf eine bestimmte Antwort wegen des Vorschlags einer französischen Allianz auf Grund der Abtretung von Venetien dringt?«

»Läßt sich die Antwort nicht mehr hinhalten?« fragte der Kaiser.

»Nein, Majestät – der Botschafter hat mir erklärt, daß eine unbestimmte Antwort der definitiven Ablehnung gleichkommen würde.«

»Und was würden Sie thun?«

Graf Mensdorff sprach langsam und ruhig:

»Wenn Eure Kaiserliche Majestät entschlossen sind, – wie dieß der Fall ist, – im gegenwärtigen Augenblick den gewaltigen Kampf aufzunehmen für die Wiedergewinnung der kaiserlichen Machtstellung Oesterreichs in Deutschland, so ist dieß Ziel hoch und groß genug, um darüber alles Andere zurückzusetzen, – es ist werthvoll und kostbar genug, um ihm ein Opfer zu bringen. Das Haus Habsburg war großmächtig in Europa ohne Venetien, Macht hat es durch diese Provinz nicht erworben – wohl aber viele Verlegenheiten, Mühen und Sorgen. Das Kampfspiel in Deutschland und um Deutschland hat große Chancen des Erfolges, wenn der Feind im Süden beseitigt, die dortige Armee freigemacht wird und wenn unsere Allianz mit Frankreich Preußen verhindert, seine Armeen gegen uns zu konzentriren. Dann wird unser Gegner nach zwei Seiten beschäftigt, während wir unsere ganze Macht auf einen Punkt werfen können, und das jetzt für uns ungünstige Spiel wird zu unsern Gunsten gerade umgekehrt gestaltet. – Der dann entstehenden Konstellation gegenüber wäre ein zweites Olmütz möglich – oder, wenn es dann doch zur Entscheidung der Waffen kommt, der Erfolg weit gesicherter. – Ich, Majestät,« – fuhr Graf Mensdorff fort, indem er den gespannten, forschenden Blick des Kaisers klar und ruhig erwiederte, – »ich würde Venetien abtreten.«

Der Kaiser schwieg und biß die Lippen aufeinander.

»Kaufen,« rief er endlich lebhaft, – »kaufen sollte ich die Stellung meines Hauses in Deutschland, kaufen das Recht meiner Väter, und von wem kaufen? – Von diesem Königreich Italien, das die Fürsten meines Hauses vertrieben, das die Kirche bedroht und selbst des heiligen Stuhles Patrimonium anzutasten bereit ist –! Nein! nein! Denken Sie sich an meine Stelle, Graf Mensdorff, – Sie werden begreifen, daß ich das nicht kann!«

»Majestät halten zu Gnaden,« sagte der Graf, – »kaufen muß man Alles, jede Allianz ist ein Kauf, und je weniger werthvoll das Objekt ist, welches man hingibt, um so besser ist das Geschäft. Oesterreichs italienische Stellung und frühere italienische Politik – deren Richtigkeit noch sehr zu erörtern wäre – ist mit der Lombardei aufgegeben, Venetien kann nicht viel nützen – und nur ein Hinderniß für eine mögliche Allianz mit Italien bilden.«

»Sie denken an eine Allianz mit Italien als möglich?« rief der Kaiser mit Erstaunen.

»Warum nicht?« sagte Graf Mensdorff, – »wenn Italien Alles hat, was italienisch ist, so hat es kein Oesterreich feindliches Interesse mehr und kann sich weit eher mit dem Kaiserstaat verbinden, als mit Frankreich, mit welchem es früher oder später um die erste Stelle unter den Nationen romanischer Rasse in Streit kommen muß.«

»– Und die vertriebenen Erzherzoge und die Heiligkeit des Oberhaupts der Kirche?« fragte der Kaiser. – »Ich kann es nicht,« fuhr er fort, indem er vor sich hin blickte, – »was würde mein Oheim sagen, der sich anschickt, den Italienern die Schärfe des österreichischen Schwertes fühlen zu lassen, – was würde mein ganzes Haus, die Geschichte, – was würde man in Rom sagen! – Wenn Italien geschlagen ist,« – sagte er nach einem Augenblick nachdenkend, – »wenn wir in Deutschland wieder auf der alten Höhe stehen, dann kann man über Venetien unterhandeln, – wenn dann durch dieß Opfer die Sicherheit des heiligen Vaters und des Patrimoniums Petri garantirt werden kann –«

»Wenn Eure Majestät in Deutschland Sieger sein sollten,« erwiederte Graf Mensdorff, – »dann bedürfen wir keiner Unterhandlungen mit Italien mehr. Aber –«

Ein Schlag an die Thür ertönte.

Der dienstthuende Flügeladjutant Fürst Liechtenstein trat ein.

»Eine Depesche für Kaiserliche Majestät vom Feldzeugmeister.«

Und er zog sich wieder zurück.

Die Augen des Kaisers leuchteten, als er eilig mit fast zitternder Hand den Umschlag des Telegramms zerriß.

»Vielleicht ein Zusammenstoß,« murmelte er.

Sein Auge flog mit hastiger Spannung über die Zeilen.

Er wurde todtenblaß, und den Blick starr auf das Papier gerichtet, welches er unbeweglich vor sich hielt, sank er auf den einfachen hölzernen Sessel vor seinem Schreibtisch.

Eine kurze Pause trat ein, während welcher die Brust des Kaisers keuchend arbeitete.

Graf Mensdorff blickte mit äußerster Spannung auf seinen kaiserlichen Herrn, wagte jedoch nicht, das unverkennbar peinliche Nachdenken zu unterbrechen, in welches die empfangene Nachricht ihn versetzt hatte.

Endlich richtete sich der Kaiser wieder auf.

»Eine Depesche von Benedek!« rief er.

»Und was meldet der Feldzeugmeister?« fragte Graf Mensdorff.

Der Kaiser schlug mit der Hand vor die Stirn.

»Er bittet mich, Frieden zu machen um jeden Preis, die Armee sei nicht schlagfertig, wie er näher auseinandersetzen will.«

»Eure Majestät werden nicht glauben,« sagte Graf Mensdorff traurig lächelnd, »daß der Feldzeugmeister mit mir konspirirt. – Wenn er die Armee dem Kampfe, der uns bevorsteht, nicht gewachsen findet – er, der Vertrauensmann der öffentlichen Meinung,« – Graf Mensdorff sagte dieß mit einem feinen, fast unmerklichen Lächeln, – »dann muß wohl meinen Bedenken ein ernstes Motiv zum Grunde liegen.«

Der Kaiser sprang auf und rührte heftig die goldene Glocke, welche auf seinem Schreibtisch stand.

Der Kammerdiener trat ein.

»Fürst Liechtenstein!« rief der Kaiser.

Eine Sekunde darauf stand der dienstthuende Flügeladjutant vor ihm.

»Ich lasse den Grafen Crenneville bitten, sogleich zu kommen. – Wer ist im Vorzimmer?«

»Feldmarschalllieutenant Baron Gablenz mit seinem Generalstabschef und Adjutanten!« meldete Fürst Liechtenstein in dienstlicher Haltung.

»Sehr gut,« rief der Kaiser, »lassen Sie ihn sogleich ein treten.«

Einen Augenblick später führte der Fürst den General und seine Begleiter ein.

Baron Gablenz trat an den Kaiser heran und sprach:

»Ich bitte Eure Majestät, vor meinem Abgang zur Armee mich abmelden und Allerhöchstdenselben meinen unterthänigsten Dank für das durch die Übertragung des Kommandos über das zehnte Korps bewiesene allergnädigste Vertrauen ausdrücken zu dürfen.«

Der Kaiser erwiederte gnädig:

»Dieß Vertrauen, mein lieber Feldmarschalllieutenant, ist verdient und keine Gnade, – Sie werden es rechtfertigen durch neue Lorbeeren, welche Sie an die österreichischen Fahnen knüpfen.«

Baron Gablenz stellte den Oberst Bourguignon, seine Adjutanten und Herrn von Stielow vor.

Der Kaiser richtete an Jeden einige verbindliche Worte mit der ihm eigentümlichen liebenswürdigen und verbindlichen Manier.

Herrn von Stielow fragte er:

»Sie sind Mecklenburger?«

»Zu Befehl, Majestät.«

»Ihr Herz wird vielleicht getheilt sein, denn ich fürchte, Ihr Vaterland wird zu unsern Gegnern stehen, – gezwungen durch seine Lage.«

»Majestät,« erwiederte der junge Offizier mit innigem Ton, – »so lange ich diese Uniform trage, ist mein Vaterland da, wo Eurer Majestät Fahnen wehen. Mein Herz gehört Oesterreich.«

Und er legte die Hand auf die Brust, wo unter der Uniform die Rose an seinem Herzen ruhte, welche er am Abend vorher erhalten.

Der Kaiser lächelte freundlich und legte seine Hand auf die Schulter des jungen Mannes.

»Ich freue mich, daß der Feldmarschalllieutenant Sie gewählt hat, und hoffe von Ihnen zu hören!«

Fürst Liechtenstein öffnete die Thüre mit den Worten:

»Feldmarschalllieutenant Graf Crenneville!«

Der Generaladjutant des Kaisers trat ein. Er trug die Uniform seiner Charge vom kleinen Dienst. Sein feines Gesicht von französischem Typus, mit dem schwarzen kleinen Bart auf der Oberlippe und den klugen, dunklen Augen, ließ in seinem lebhaften Mienenspiel die fünfzig Jahre nicht erkennen, welche der General bereits durchlebt hatte.

»Kaiserliche Majestät haben befohlen?« sprach er.

»Ich danke, meine Herren!« sagte der Kaiser zu den Begleitern des Baron Gablenz gewendet, – »ich hoffe, daß der Feldzug Ihnen Gelegenheit geben werde, mir und dem Vaterlande neue Dienste zu leisten. – Ich bitte Sie zu bleiben, Baron Gablenz!«

Herr von Bourguignon, die Adjutanten und Herr von Stielow traten ab.

Der Kaiser ergriff die Depesche, welche er vorher erhalten, und sprach:

»Soeben erhalte ich ein Telegramm, welches mich veranlaßt, Ihre Meinung zu hören. – Der Feldzeugmeister,« fuhr er mit leisem Beben in der Stimme fort, – »bittet mich, Frieden zu machen, weil die Armee nicht in der Verfassung sei, zu schlagen!«

»Unerhört!« rief Graf Crenneville.

»Was sagen Sie dazu, Baron Gablenz?« fragte der Kaiser den ruhig und schweigend dastehenden General.

Dieser zögerte einen Augenblick mit der Antwort.

Der Kaiser hing mit dem Blick an seinen Lippen.

»Majestät,« sagte der General, »es muß der Bitte des Feldzeugmeisters ein ernster Grund zur Seite stehen, im Allgemeinen fürchtet er keine Gefahr und rücksichtslose Kühnheit liegt mehr in seinem Charakter, als bedenkliche Vorsicht.«

»Die tapfere und glänzende Armee Eurer Majestät soll nicht schlagfertig sein?« rief Graf Crenneville lebhaft, – »womit motivirt der Feldzeugmeister diese Ansicht?«

»Er will sie motiviren,« sagte der Kaiser.

Graf Crenneville zuckte die Achseln.

Baron Gablenz fragte:

»Können Eure Majestät noch Frieden schließen?«

»Wenn ich Oesterreich für immer in die zweite Reihe in Deutschland stellen, oder es vielmehr aus Deutschland herauswerfen lassen will – ja! wenn ich den Preußen eine doppelte Revanche für Olmütz geben will – ja – sonst nicht.«

Graf Crenneville blickte gespannt auf den Feldmarschalllieutenant, welcher in ernstem Nachdenken dastand.

»Majestät,« sprach dieser endlich in ruhigem, eindringendem Ton, – »Niemand kann die gewaltige Kraft unseres Gegners höher anschlagen als ich, – ich habe mit den Preußen zusammen im Felde gestanden und kenne ihre materielle und ihre moralische Macht. Beide sind ungeheuer, – ihre Bewaffnung ist vortrefflich und das Zündnadelgewehr ist von furchtbarer Wirkung. – Würden wir ganz allein Preußen gegenüber stehen, so würde ich mit schweren Sorgen in den Kampf ziehen. Was mich beruhigt, sind unsere deutschen Bundesgenossen.«

»Die Reichsarmee!« sagte Graf Mensdorff.

»Nicht die einzelnen Kontingente fallen für mich militärisch in die Wagschale,« fuhr Baron Gablenz fort, – »sondern der Umstand, daß diese einzelnen Armeen preußische Truppen absorbiren und unsern Gegner zu einer komplizirten Kriegführung zwingen werden. Hätte ich in Hannover bleiben können, so würde diese Rechnung noch richtiger gewesen sein, – indeß, auch ohne jene Kombination wird Preußen mit sehr getheilten Kräften fechten müssen, während wir konzentrirt agiren können. – Dieß, kaiserliche Majestät, ist meine Beruhigung, – hierin beruht meine Hoffnung auf den Erfolg, der – immerhin schwer wird erkämpft werden müssen! – Soweit meine Ansicht als General. – Ueber die Zustände in der Armee, welche etwa die Schlagfertigkeit derselben hemmen könnten, kann ich nicht urtheilen, bis ich sie gesehen habe und die Gründe habe prüfen können, welche den Feldzeugmeister zu seinem Urtheil bestimmen. Was die politische Lage betrifft, so wage ich in dieser Richtung kein Urtheil, – glaube auch nicht, daß kaiserliche Majestät ein solches von mir gefordert haben. – Nur das Eine sei mir erlaubt auszusprechen: Ist Oesterreichs Ehre engagirt, so würde ich jeden Rückzug abweisen – eine verlorne Schlacht selbst kann soviel nicht schaden, als ein Rückzug, ohne den Degen zu ziehen.«

Der General schwieg.

Tiefe Stille herrschte einen Augenblick im Kabinet.

»Meine Herren,« sprach der Kaiser, »die Fragen, welche an mich herantreten, sind so ernster Natur, daß sie der eingehendsten Erwägung und eines Augenblicks stiller, ruhiger Sammlung bedürfen. – In einer Stunde will ich mich entscheiden und will Ihnen, Graf Crenneville, die Antwort für den Feldzeugmeister geben. – Auch Sie, Graf Mensdorff, sollen in einer Stunde die Entscheidung auf die Frage haben, welche Sie mir vorhin vortrugen.«

Die Herren verneigten sich.

»Der Antrag am Bunde auf Mobilisirung der nichtpreußischen Bundesarmee soll sogleich gestellt werden, wie Eure Majestät befehlen?« fragte Graf Mensdorff, indem er seine Papiere zusammenlegte.

»Gewiß,« rief der Kaiser, »es ist nothwendig, daß die deutschen Staaten bestimmt Farbe bekennen, und daß die Streitmacht des Bundes in's Feld gestellt wird. – Ich bin der Ansicht des Baron Gablenz, daß hierin ein großer Theil unserer Macht liegt.«

Und mit einer freundlichen Neigung des Hauptes entließ er die Herren, trat auf den Feldmarschalllieutenant von Gablenz zu, reichte ihm die Hand und sprach:

»Gehen Sie mit Gott, – er segne Ihren Degen und gebe mir Gelegenheit, Ihnen von Neuem dankbar zu sein!«

Der General beugte sich auf die Hand des Kaisers und sagte bewegt:

»Mein Blut und Leben für Eure kaiserliche Majestät und Oesterreich!«

Der Kaiser blieb allein.

Er ging einige Male in rascher Bewegung durch das Kabinet.

Dann setzte er sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und warf hastig einige vor ihm liegende Papiere durcheinander, ohne auf deren Inhalt zu achten.

»Welch' eine furchtbare Lage!« rief er – »mein ganzes Gefühl drängt mich zur Entscheidung dieser deutschen Kalamität, welche wie eine schleichende Krankheit, wie ein nagender Wurm am Herzen Oesterreichs frißt und dessen Erhebung und Erstarkung verkümmert, – das Blut meines Hauses treibt mich, den Handschuh aufzunehmen, den dieser gefährliche, tödtliche Feind meines Geschlechts seit so langer Zeit uns bald höhnend, bald drohend hinwirft – die Stimme des Volks in Deutschland ruft mich – und mein Minister räth mir zum Rückzug, mein General zagt im Augenblick der Entscheidung! – Ist es denn wahr, was mir wie ein schwarzer Alp in dunkeln Stunden oft auf dem Herzen gelegen hat? – bin ich prädestinirt, diesem lieben, schönen, herrlichen Oesterreich, dem ruhmreichen Erbe meiner großen Vorfahren Unglück zu bringen? – Soll mein Name einst in der Geschichte verknüpft sein mit dem Niedergang des habsburgischen Sterns, mit dem Untergang des Kaiserstaates?«

Er starrte trübe vor sich hin.

»O daß Du neben mir stehen könntest, Du großer Geist, der mit seinem edlen, festen Herzen, mit seinem klaren Blick und seinem unerschütterlichen Willen am Steuer des österreichischen Staats stand, Du, an dessen ruhiger, stolzer Kraft der dämonische Riese zerschellte, der die Welt aus den Fugen gehoben hatte – o daß ich einen Metternich hätte! – Was würde er mir rathen, jener reiche, freie Geist, den Niemand verstanden hat und Niemand versteht, weil vor seinem innern Leben der Welt gegenüber das stolze horazische Wort geschrieben stand: Odi profanum vulgus et arceo

Mit einer plötzlichen, raschen Bewegung ergriff er die Glocke.

»Der Staatsrath Klindworth soll sogleich kommen,« befahl er dem eintretenden Kammerdiener, »man soll ihn in der Staatskanzlei suchen!«

Der Kammerdiener entfernte sich.

»Er ist der Einzige,« sprach der Kaiser vor sich hin, – »der noch übrig ist aus jener großen Zeit des alten Oesterreichs, da die Fäden aller europäischen Politik in der Staatskanzlei zusammenliefen, da Metternichs Ohr in allen Kabinetten war und seine Hand die Entschließungen der Höfe lenkte. – Es ist wahr – er war nur ein Agent des großen Staatsmannes, nicht der Vertraute seiner letzten Gedanken – er war nicht Gentz – nein, nicht Gentz – aber er hat mitgewirkt in dem Getriebe der künstlichen Maschine und sein scharfer, durchdringender Verstand hat den Geist des Ganzen erfaßt– oder doch geahnt!. – Wenn er zu mir spricht, so glaube ich jene alte, große, wunderbar reiche, vielfarbige Zeit vor mir aufsteigen zu sehen und ich glaube oft zu ahnen und zu empfinden, was Metternich gethan hätte, wenn er heute noch der Freund und Berather des Hauses Habsburg wäre. – Ich habe das Wollen – ich habe die Kraft zur Arbeit, den Muth zum Kampfe – warum ist das Erkennen so schwer?!« –

Und der Kaiser stützte den Kopf in die Hand und blieb in tiefem Sinnen sitzen. –

Der Kammerdiener öffnete die Thür, welche nach den innern Gemächern führte und meldete:

»Der Staatsrath Klindworth steht zu Eurer kaiserlichen Majestät Befehl.«

Der Kaiser erhob das Haupt und winkte mit der Hand. –

Durch die geöffnete innere Thür trat jener merkwürdige Mann, der seine sonderbare Laufbahn als Schullehrer in der Nähe von Hildesheim begann, dann einen kurzen Augenblick eine öffentliche Rolle als Staatsrath am Hofe des Herzogs Karl von Braunschweig spielte und nach dem tragikomischen Sturze dieses Fürsten jene eigentümliche Thätigkeit, als einer der eifrigsten und gewandtesten Agenten Metternich's begann, welche ihn in alle wichtigen politischen Verhandlungen verflocht und mit allen Souveränen und Ministern Europas in Verbindung brachte, wobei er mit so großer Geschicklichkeit ein künstliches Dunkel um sich zu schaffen wußte, daß nur die Eingeweihtesten in den politischen Kreisen Europas ihn gesehen oder mit ihm verkehrt haben.

Der Staatsrath Klindworth war damals ein Mann von fast siebenzig Jahren, breitschulterig und kräftig gebaut. Der fast zwischen die Schultern gedrückte, in lauernder Haltung etwas vorgebeugte Kopf, mit ganz kurz geschnittenen grauen, fast weißen Haaren, war von jener außergewöhnlichen Häßlichkeit, welche den Blick fesselt und ebenso, wie hohe Schönheit – ja fast noch mehr anzieht. Seine kleinen Augen blitzten scharf und durchdringend unter starken grauen Augenbrauen hervor und schienen mit ihrem schnell umherlaufenden Blick, der sich nie direkt in ein anderes Auge senkte, auf einmal Alles umfassen zu wollen und auch zu können, was sich in ihrem Gesichtskreise Bemerkenswerthes finden lassen möchte.

Sein breiter, großer Mund mit dünnen, blutlosen Lippen war fest geschlossen und in der Mitte fast verdeckt durch die tief herabhängende, große und plumpe Nase, die sich an ihrem untern Theil zu ganz außergewöhnlicher Breite ausdehnte.

Er trug einen langen zugeknöpften braunen Rock und ein weißes Halstuch und zeigte in seiner Haltung das Bild eines älteren, würdigen Herrn, den man eher für einen von den Geschäften zurückgezogenen Rentier, als für einen so vielgewandten und vielgewanderten politischen Agenten gehalten hätte. Seine im politischen Leben so vielbewährte Kunst, niemals zu erscheinen, immer in den tiefsten und dunkelsten Hintergrund zurückzutreten, übte er auch in seiner persönlichen Erscheinung, – es wäre unmöglich gewesen, das Bild einer unscheinbaren, bescheidenen Persönlichkeit treffender und charakteristischer darzustellen.

Der Staatsrath trat ein, verneigte sich tief und näherte sich dem Kaiser bis auf zwei oder drei Schritte. Dann blieb er stehen und ohne ein Wort zu sprechen wartete er in ehrfurchtsvoller Haltung, während ein schneller Blick seines Auges den Monarchen streifte und dann sich wieder zu Boden senkte.

»Ich habe Sie rufen lassen, mein lieber Klindworth,« sagte Franz Joseph, indem er leicht das Haupt neigte, »weil ich begierig bin zu hören, wie Sie die Lage auffassen, in der ich mich befinde, Sie wissen, daß ich gern höre, wie die Lage der Dinge sich in Ihrem Geiste abspiegelt, der noch in den Anschauungen einer vergangenen – großen Zeit lebt.«

»Kaiserliche Majestät sind allzu gnädig,« erwiederte Herr Klindworth mit einer leisen, aber scharf accentuirten und eindringenden Stimme. »Der reiche Schatz meiner Erfahrungen, die ich in einem langen politischen Leben gesammelt, steht meinem allergnädigsten Herrn stets zu Gebot und – wie mein großer Meister, der Fürst Metternich, sagte – die Vergangenheit ist das beste Korrektiv und der richtigste Barometer für die Gegenwart. Die Fehler der Vergangenheit sieht man mit allen ihren Folgen und Konsequenzen – und lernt daraus oft die Fehler zu vermeiden, zu denen die Gegenwart verleiten könnte.«

»Ganz recht,« sagte der Kaiser, »ganz recht – nur machte man in der Vergangenheit – in Ihrer Vergangenheit, weniger Fehler – doch, welchen Fehler würden Sie für den gefährlichsten halten, der jetzt begangen werden könnte?«

Ohne zu zaudern, erwiederte der Staatsrath, indem sein schneller Blick von unten heraus den Kaiser streifte:

»Die Unschlüssigkeit, Majestät!«

Der Kaiser sah ihn betroffen an.

»Und fürchten Sie, daß dieser Fehler begangen werden möchte?« fragte er.

»Ich fürchte, er wird schon begangen!« erwiederte der Staatsrath ruhig.

»Von wem?«

»Weßhalb erzeigen Eure kaiserliche Majestät mir die hohe Ehre, mich zu hören?« fragte der Staatsrath statt der Antwort entgegen, – »Eure Majestät wollen meine bescheidene und unvorgreifliche Meinung hören, damit sie – wenn auch nur als ein Sandkorn in die Wage falle, um Eure Majestät einen Entschluß fassen zu lassen. – Eure Majestät sind also noch nicht entschlossen.«

Und er nahm eine noch demüthigere und bescheidenere Haltung an, als bisher.

Der Kaiser lächelte.

»Sie verstehen es, in den Gedanken Anderer zu lesen, und gegen Ihre Dialektik ist nichts zu machen. – Gut denn,« fuhr er fort, »wenn ich noch nicht entschlossen bin, so ist das kein Fehler, denn jetzt erst tritt der Augenblick des Entschlusses an mich heran!«

»Befehlen kaiserliche Majestät, daß ich ohne allen Rückhalt spreche?« fragte der Staatsrath.

»Gewiß,« rief der Kaiser und mit einem Ausdruck unendlicher Hoheit fügte er hinzu: »um leere Konversation zu machen, habe ich Sie nicht rufen lassen!«

Der Staatsrath legte seine Hände über der Brust zusammen und trommelte leicht mit den Fingern der rechten auf der äußeren Fläche seiner linken Hand.

Dann sprach er langsam und in gewissen Intervallen den Eindruck seiner Worte aus den Augenwinkeln beobachtend:

»Ich kann nach meiner ganz unmaßgeblichen Ansicht die Meinung kaiserlicher Majestät nicht theilen, daß jetzt erst der Augenblick des Entschlusses gekommen sei.«

Der Kaiser blickte ihn erstaunt an.

»Und wann war denn nach Ihrer Ansicht jener Moment!« fragte er.

»Er war da,« erwiederte Herr Klindworth, »bevor Preußen mit Italien seinen Vertrag geschlossen hatte, bevor Italien gerüstet und Preußen seine Vorbereitungen getroffen hatte. – Eure Majestät wollten den großen Zwiespalt zur Entscheidung bringen, Eure Majestät wollten, die Kaiserkrone in Frankfurt aufsetzen, nachdem der Graf Rechberg dort den boeuf historique etwas vorzeitig servirt hatte –«

Der Kaiser zog die Augenbrauen zusammen.

Ohne den Ton zu ändern fuhr der Staatsrath fort:

»Eure kaiserliche Majestät haben aber zu früh Ihre Absichten enthüllt – und darum den besten Moment versäumt – der Schlag mußte urplötzlich kommen und den Gegner unvorbereitet treffen. Dieser lange Depeschenwechsel erinnert mich an die Helden vor Troja, die erst sich lange Reden hielten und ihre Genealogie erzählten, bevor sie ihre Lanzen warfen. – Der Konflikt, – eine Sommation – und Eurer Majestät Armeen mußten in Sachsen stehen! So hätte ich mir die Sache gedacht. Jetzt kommt die sächsische Armee nach Böhmen, – es ist unmöglich, anderswo zu schlagen, als in Böhmen, – d. h. die Kriegslast im eigenen Lande zu tragen. – Das, kaiserliche Majestät, nenne ich Unschlüssigkeit, – ihre bösen Folgen sind schon da und werden sich mit jedem Tage vermehren.«

Der Kaiser dachte nach.

»Glauben Sie nicht, daß Preußen den Krieg fürchtet und vor der letzten Entscheidung zurückweichen wird?« fragte er.

»Nein, Majestät,« erwiederte der Staatsrath, »das wird nicht geschehen. Graf Bismarck ist dazu unfähig.«

»Aber der König,« fragte der Kaiser – »er ist gegen den Krieg, – man spricht von einer Entfernung Bismarck's im letzten Augenblick –«

»Ich glaube daran nicht, kaiserliche Majestät,« sagte Klindworth, – »zwar fehlt mir dem König von Preußen gegenüber die persönliche Basis der Beurtheilung. – Ich habe Friedrich Wilhelm IV. gekannt,« fuhr er fort, »ich habe den Kaiser Nikolaus gekannt und kenne den Kaiser Napoleon. Von jenen verstorbenen Herren hätte ich können, von Napoleon III. könnte ich, durch die geringe Menschenkenntnis die ich besitze, vorhersagen, was sie wahrscheinlicher Weise thun möchten. – Dem König Wilhelm habe ich mich niemals nähern können,« – hier klang ein leichter Ton des Unmuths und Verdrusses durch seine Stimme, – »was er thun möchte, kann ich daher nur auf Grund der Mittheilungen vermuthen, die mir über ihn gemacht sind.«

»Und was vermuthen Sie?« fragte Franz Joseph.

»Ich vermuthe, daß der König nicht nachgeben, sondern schlagen wird. Er ist kein junger Herr mehr, – deßhalb scheut er den Krieg mit seinem Elend und seiner Bedrückung, – er ist ein Hohenzoller und alle Hohenzollern haben eine gewisse traditionelle Deferenz dem Hause Habsburg gegenüber, – deßhalb wird er ganz besonders den Krieg mit Oesterreich scheuen, – aber er ist ein Mann, ein Charakter, ein Soldat, – darum wird er den Krieg lieber führen, als rückwärts zu gehen und seine Heeresorganisation, welche er unter so harten inneren Kämpfen durchgeführt hat, zum Gespött der Welt zu machen. – Der König Wilhelm wird schlagen, Majestät, – er weicht vor der Drohung nicht zurück, – deßhalb war die Drohung ein Fehler, und die Unentschlossenheit trägt ihre bösen Früchte.«

»Wenn aber der Fehler der Unentschlossenheit begangen ist,« fragte der Kaiser, – »wie muß er verbessert werden? Einen Fehler zu machen kann kein Staatsmann vermeiden, die große Kunst ist, ihn zu verbessern. – Was kann jetzt helfen?«

»Schneller Entschluß und schnelles Handeln!« erwiederte der Staatsrath.

»– Aber – Sie wissen nicht,« – sagte der Kaiser zögernd, – »Graf Mensdorff –«

»Ich weiß Alles,« erwiederte Klindworth lächelnd, – »Graf Mensdorff ist krank und kranke Leute entschließen sich schwer.«

»Würde Metternich – der Mann der Vorsicht und der ruhigen Kombination, sich entschlossen haben?« fragte der Kaiser leise, halb zu sich selbst, halb zu Klindworth sprechend.

»Metternich würde es vielleicht nie dahin haben kommen lassen,« erwiederte dieser, »würde er aber heute in der Staatskanzlei sitzen, so ständen Eurer Majestät Regimenter in Dresden und Hannover.«

»Aber Benedek –« sagte der Kaiser.

»Benedek, Majestät,« unterbrach ihn Klindworth, »steht zum ersten Male vor einer großen Verantwortlichkeit, ohne bis jetzt zu handeln. Das drückt ihn nieder.«

»Aber er sagt,« entfuhr dem Kaiser fast unwillkürlich, »die Armee sei nicht schlagfertig.«

»Sie wird es gewiß nicht vom Stillliegen in Böhmen, – lassen Eure Majestät sie schlagen und sie wird schlagfertig sein,« erwiederte Klindworth unerschütterlich.

Der Kaiser ging auf und ab. Der Staatsrath blieb unbeweglich stehen und nur sein graues Auge folgte lauernd den Bewegungen des Kaisers.

Plötzlich trat dieser dicht vor ihn hin.

»Wissen Sie von dem französischen Anerbieten?« fragte er.

»Eine Allianz gegen Abtretung von Venetien,« sagte Klindworth.

»Was denken Sie davon?«

»Ich denke, daß es Eurer Majestät im innersten Herzen widerstrebt – und mit Recht.«

»Es handelt sich nicht um Neigungen oder Abneigungen, sondern um politische Gründe,« – sagte der Kaiser.

»Die politischen Gründe sprechen ganz und gar gegen diese Allianz,« antwortete Klindworth.

»Warum? Graf Mensdorff hat mir Gründe entwickelt, die – ich muß es gestehen, großen Eindruck auf mich gemacht haben!«

Ein scharfer, blitzender Strahl fuhr aus dem Auge des Staatsraths empor, er richtete sich etwas aus seiner gebückten Haltung auf und während das Spiel seiner Finger schneller wurde, sprach er lebhafter und mit lauterer Stimme, als bisher:

»Alle politischen Gründe, Majestät, sprechen gegen diese Allianz – auf dieser Basis. – Vielleicht – ich gebe es zu – würde einer solchen Koalition gegenüber Preußen zurückweichen – vielleicht – aber wie weit? Würden Eure Majestät das erreichen, was Sie anstreben? Nein – es würde eine Verkleisterung des Konflikts sein und in solchen Zuständen würde Preußen gewinnen. – Ich glaube indeß nicht, daß man in Berlin nachgeben würde; man würde, wie ich vermuthe, auch der französischen Allianz gegenüber schlagen und dann – was würde geschehen? – Wenn Eure Majestät siegen, so wird wiederum der Preis des Sieges nicht erreicht werden. Glauben Eure Majestät, daß der Kaiser Napoleon die alleinige Suprematie Oesterreichs über ein fest geeintes Deutschland dulden werde? Niemals! Und würden Eure Majestät dann den vollen Preis des Sieges verlangen, so würden Sie ihn nur erreichen können durch einen neuen Kampf mit dem bisherigen Alliirten, welcher schnell dem besiegten Gegner die Hand reichen würde. Also der Nutzen der Allianz ist sehr zweideutig, besonders da ich weiß, daß Frankreich keiner militärischen Anstrengung fähig ist.«

»Ist das gewiß?« fragte der Kaiser betroffen.

»Eure Majestät wissen,« erwiederte Klindworth zuversichtlich, »daß ich vorsichtig bin in bestimmten Versicherungen, und daß ich Wege der Information besitze, welche sich immer als zuverlässig bewiesen haben. – Frankreich kann nicht hunderttausend Mann schlagfähige Truppen stellen … .«

Der Kaiser schwieg.

»Ist aber der Nutzen dieser Allianz,« fuhr Klindworth fort, »ein ungewisser und zweideutiger, so ist dagegen ihr Schaden nach zwei Richtungen sehr groß.«

Der Kaiser blickte ihn erwartungsvoll an.

»Zunächst, kaiserliche Majestät, wird die Stellung des Hauses Habsburg und Oesterreichs in Deutschland schwer kompromittirt durch die französische Allianz. – Mögen Eure Majestät Erfolge, – halbe Erfolge immer, – erlangen, sei es durch Nachgeben Preußens, sei es durch den Sieg, – immer wird die öffentliche Meinung in Deutschland in Preußen den nationalen Märtyrer erblicken, der vor dem Erbfeind der deutschen Nation hat weichen müssen. Darin wird eine ungeheure Stärkung für Preußen liegen und der Boden, von welchem aus es später in besserer Lage den Kampf wieder aufnimmt.«

»Die Stimmung in Deutschland ist aber für mich!« sagte der Kaiser.

»Zum Theil,« erwiederte Klindworth, »aber nicht für Frankreich. – Majestät,« fuhr er fort, – »ich gehöre nicht zu den Leuten, welche die jetzt so beliebte Nationalitätenpolitik loben – und für Oesterreich ist sie die höchste Gefahr, – ich bin aus jener Zeit, wo man mit kluger Verkeilung der großen und kleinen Staatsbildungen das Gleichgewicht erhielt, – wo man noch der Ansicht war, daß ein geschickt gefügtes Ruthenbündel stärker sei als ein grober Holzklotz – aber man darf dem Nationalgefühl nicht in's Gesicht schlagen, besonders nachdem man dasselbe auch von hier aus – leider, leider – durch großdeutsche Vereine und dergleichen demagogische Mittel, bei denen die Regierungen immer die Düpirten sind, in eine künstliche und fieberhafte Ueberreizung gebracht hat. – Alle jene Personen in Süddeutschland, in Bayern, die jetzt voll Eifer und Erbitterung gegen Preußen schreiben, sprechen und resolviren – ich würde mich nicht wundern, wenn sie bei der Nachricht von der Allianz mit Frankreich in's Lager der Gegner gingen. – Ich kenne den furor teutonicus, Majestät, früher haben wir ihn niedergehalten, jetzt aber ist er künstlich aufgeregt, – wenn eine französische Allianz in diese Stimmung der Gemüther hereintritt, so gehört Deutschland Preußen.«

Der Kaiser hörte sehr aufmerksam zu. Die Gründe des Staatsraths schienen seiner Neigung zu entsprechen und ein leichtes Lächeln spielte um seine Lippen.

Dem Blicke des Herrn Klindworth entging dieß nicht.

»Außerdem aber, kaiserliche Majestät,« sprach er, »würde ich eine solche Allianz im höchsten Grade schädlich halten, wegen des Opfers, durch welches sie erkauft werden soll.«

»Halten Sie den Besitz von Venetien also für so wichtig?« fragte der Kaiser gespannt.

»Dem Besitz von Venetien an sich,« sagte der Staatsrath, »würde ich eine so hohe Bedeutung nicht beilegen, – aber es handelt sich um ein großes Prinzip – dem ich die höchste Bedeutung beilegen muß. – Mit der freiwilligen, vertragsmäßigen Abtretung von Venetien würden Eure kaiserliche Majestät nicht nur feierlich anerkennen, was bis jetzt in Italien gegen das Haus Habsburg, gegen die Legitimität und gegen die Kirche geschehen ist, – sondern auch, was noch weiter gegen diese Faktoren, auf denen Oesterreichs Macht und Stärke beruht, geschehen soll, – das heißt den Raub des Patrimoniums Petri, die Säkularisirung des heiligen Stuhles zu Rom. – Das aber wäre die Abdikation Oesterreichs.«

Der Kaiser rief lebhaft:

»Dasselbe sagt mir mein Gefühl – aber – glauben Sie denn, daß ich überhaupt, – daß ich jemals im Stande wäre, dem Gange der Ereignisse in Italien Halt zu gebieten, daß ich im Stande wäre, wieder zu gewinnen, was verloren ist?«

»Ich glaube es,« erwiederte der Staatsrath fest.

Der Kaiser war betroffen über die Zuversichtlichkeit dieser Antwort.

»Wenn ich Sieger in Deutschland wäre – würde Deutschland einen Römerzug machen?« fragte der Kaiser, – »ich zweifle daran.«

»Das wird gar nicht nöthig sein,« erwiederte Klindworth, »man hat so oft gehört: Italia fara da seeh bien, lassen wir die Italiener machen.«

Und mit leichtem Lachen rieb er sich die Hände.

»Was kann Italien machen?« fragte der Kaiser dringend, »wissen Sie etwas davon?«

»Es ist ein wenig mein Metier, Alles zu wissen,« sagte der Staatsrath, – »erlauben kaiserliche Majestät mir einige kurze Bemerkungen. – Italien ist dem Hause Savoyen und der Demagogie verfallen, – weil Oesterreich bei Solferino besiegt war –«

»Nicht von Italien!« rief der Kaiser.

»Nicht von Italien, – gewiß,« – fuhr der Staatsrath fort, – »indeß, es war besiegt und die Revolution war allmächtig, – die Vertheidiger des Rechts muthlos und vor Allem nicht geeinigt. – Seit jener Zeit ist viel geschehen – man hat von den Gegnern gelernt, ein festes, unsichtbares Band umzieht Alle, welche dem Recht und der Religion dienen und dafür kämpfen wollen – und der apostolische Segen ruht auf diesem Bande. Was die Carbonari der Revolution geschaffen, werden die Carbonari des Rechts wieder herstellen. – Aber wie jenen der äußere Anstoß zum Siege half, so warten auch diese darauf, daß das Schwert Oesterreichs die erste Bresche in jenen Bau des Frevels und des Unrechtes schlage. – Ein Sieg Oesterreichs über die Truppen der gekrönten Revolution – und Italien wird in Flammen stehen, der Kreuzzug gegen das Werk Cavour's wird beginnen und – siegen.«

In mächtiger Erregung hatte der Kaiser zugehört.

Er trat dicht vor den Staatsrath hin, der in seiner ruhigen Haltung blieb.

»Sprechen Sie von Träumen Ihrer Phantasie?« rief Franz Joseph, – »oder von Thatsachen?«

»Von Thatsachen, kaiserliche Majestät, die ich beweisen kann.«

»Wann, wo?« rief der Kaiser.

»In fünf Minuten, hier in Eurer Majestät Kabinet!«

»So führen Sie den Beweis.«

»Dann bitte ich Eure kaiserliche Majestät um die allergnädigste Erlaubniß, eine Person einführen zu dürfen, welche über Alles unterrichtet ist, welche ich – in der Muthmaßung, daß auch dieser Gegenstand hier zur Sprache kommen würde, mitgebracht habe, und welche unten wartet.«

Der Kaiser sah ihn erstaunt an.

»Wer ist diese Person?« fragte er gespannt.

»Der Graf von Rivero, kaiserliche Majestät!«

Der Kaiser sann nach und schien seine Erinnerung nach diesem Namen zu durchforschen.

»Wer ist das?« fragte er nach einer Pause. – »Ah, ich erinnere mich, – wurde nicht im vorigen Jahre ein römischer Graf Rivero durch den Nuntius am Hofe vorgestellt?«

»Ganz recht, Majestät,« sagte der Staatsrath, – »er ist Römer und der Nuntius sein Vertreter, – indeß der Graf Rivero, welcher in den strahlenden Sälen der Hofburg hin und her ging, geht mich nichts an, – mein Graf Rivero ist ein unermüdlicher Kämpfer für das Recht und die Kirche, der in dunkler Stille die große Erhebung vorbereitet hat, welche das Werk des Unheils wieder zerstören soll, – ein mächtiger Führer aller jener Elemente, welche durch verborgene Fäden verbunden zum gemeinsamen Kampf bereit sind.«

»Und wodurch legitimirt er sich?« fragte der Kaiser mit einem Ton, der zwischen Neugier und Mißtrauen schwankte.

Der Staatsrath zog aus seiner Tasche einen verschlossenen Brief und überreichte ihn dem Kaiser.

»Für den Fall,« sagte er, »daß es für kaiserliche Majestät von Interesse sein könnte, ihn zu sehen, hat er mir seine Legitimation anvertraut.«

Der Kaiser ergriff hastig den Brief.

»Aus dem Palaste Farnese,« rief er, – »von meiner Schwägerin!«

Er erbrach den Brief und durchflog den kurzen Inhalt.

»Führen Sie den Grafen herein!« sprach er dann.

Der Staatsrath entfernte sich mit tiefer Verneigung. –

»Ein Glück, daß ich diesen Mann gerufen, – welch' ein neuer Blick öffnet sich mir mit einem Male!« rief der Kaiser, – »wäre es möglich, daß die alte Größe meines Hauses nach allen Seiten wieder erstehen könnte?« –

Er trat sinnend zum Fenster und blickte gen Himmel, – langsam mit seinem Auge dem Zuge der Wolken folgend.

Nach kurzer Zeit meldete der Kammerdiener den Staatsrath Klindworth, und auf den Wink des Kaisers trat dieser ein.

Ihm folgte der Graf Rivero in derselben ruhigen, vornehm gemessenen Haltung, in welcher er das Boudoir der Frau Balzer betreten, und der Kugel des Herrn von Stielow sich gegenübergestellt hatte.

Er trug einen schwarzen Salonanzug von tadelloser Einfachheit und vollendetem Schnitt.

Mit jener Sicherheit, jenem leisen und festen Schritt, welchen die Gewohnheit der Höfe bezeugt, trat er einige Schritte dem Kaiser entgegen, verneigte sich tief und erwartete dann mit klar und ruhig aufgeschlagenem Auge die Anrede des Monarchen.

Der Kaiser maß ihn mit forschendem Blick und sagte:

»Ich erinnere mich, Sie im vorigen Jahre am Hofe gesehen zu haben, Herr Graf.«

»Es ist sehr gnädig, daß Eure kaiserliche Majestät sich dessen erinnern,« sagte der Graf mit seiner weichen, melodischen und eindringenden Stimme.

»Sie kommen von Rom?« fragte der Kaiser.

»Aus dem Palaste Farnese, kaiserliche Majestät.«

»Und was führt Sie hieher?«

»Der Wunsch, Eurer Majestät meine Dienste anzubieten in dem großen Kampfe, welcher Oesterreich bevorsteht.«

»Meine Schwägerin von Neapel empfiehlt Sie mir als einen Mann, der meines vollen Vertrauens würdig ist.«

»Ich glaube dieß Vertrauen verdient zu haben und hoffe auch das Eurer kaiserlichen Majestät zu verdienen,« erwiederte der Graf, sich verneigend in ruhiger Einfachheit und ohne jeden Klang von Anmaßung in seiner Stimme.

»Und wodurch glauben Sie mir nützen zu können?« fragte der Kaiser.

Der Graf erwiederte den forschenden Blick des Kaisers offen und stolz und sprach:

»Ich biete Eurer kaiserlichen Majestät den Beistand einer großen, unsichtbaren Macht, der heiligen Liga des Rechtes und der Religion!«

»Erklären Sie mir, was diese Liga ist und was sie thun kann?«

»Ich werde Eurer kaiserlichen Majestät sagen, wie sie entstanden ist, dann werden Allerhöchstdieselben verstehen, was sie ist und was sie zu thun vermag. – Als nach den gewaltigen Schlägen,« fuhr er fort, – »welche Oesterreichs Armeen in Italien sprengten, die Flut der Revolution sich unter der Führung des ehrgeizigen Hauses Savoyen über Italien ergoß, und auf das Haupt des Königs Viktor Emanuel jene Krone drückte, welche den Uebergang zur rothen Republik bilden soll, da waren alle Diejenigen, welche das Recht und die Religion im Herzen tragen und für die heilige Kirche zu streiten bereit sind, überrascht und zerstreut, – unfähig zum gemeinsamen und energischen Widerstand. – In rascher Eile vollzog sich das Werk des Unrechts und selbst der Kaiser Napoleon, welcher ein ganz anderes Italien sich gedacht hatte, konnte den einmal von ihm entfesselten bösen Geistern nicht Halt gebieten. – Nach dem Fieber folgte die Ermattung. Selbst im Vatikan war man verzagt. – Aber der Ermattung folgte die Reaktion. – In Rom, im Palaste des Königs Franz, dieses einfachen, aber in seiner Einfachheit wahrhaft großen königlichen Helden, der durch die Kanonen von Gaëta seinen Protest gegen das frevelhafte Unrecht durch Europa hatte erklingen lassen, fanden sich die ersten Männer zusammen, welche sagten: – ›Das Unrecht hat gesiegt, weil einzelne böse Männer es wollten und mit vereinten Kräften arbeiteten, – warum sollte das Recht nicht wieder erstehen können, dem doch Gott zur Seite steht, wenn entschlossene und muthige Männer sich ebenso zu gemeinsamer Arbeit verbinden, – alle schwächeren Geister um sich sammeln und mit Muth und Thatkraft erfüllen?‹ – Dieser Erkenntniß folgte der Entschluß, dem Entschluß die That. – Der König Franz billigte den Plan und die Ausführung, und Eurer kaiserlichen Majestät heldenmütige königliche Schwägerin entzündete das reine Feuer des edlen und guten Entschlusses zur hellen Lohe flammender Begeisterung. – Durch ganz Italien wurden die Komites errichtet, Männer und Frauen von erprobter Gesinnung traten der Liga bei, und in Kurzem schon zählten die Mitglieder nach Tausenden. – Die Getreuen des Königs arbeiteten an den europäischen Höfen, in Paris bleibt der kluge, gewandte und vorsichtige Canofari, – Graf Cito reist in Europa, – wir sind unterrichtet über Alles, was geschieht; Galotti organisirt Neapel und Sizilien. Der Einfluß, den die Mitglieder der Liga auf die Massen haben, ist groß, – Waffen und Munition liegen an sichern Orten – und wir stehen heute an der Spitze einer Macht, welche mit einem Wink durch den elektrischen Funken Italien von den Alpen bis zum äußersten Ende Siziliens in Flammen zu setzen vermag. – Verlangen Eure Majestät die näheren Nachweise über die Ausdehnung, die Organisation und die Macht der Liga?«

»Für den Augenblick danke ich Ihnen,« sagte der Kaiser erregt, – »später können Sie mir darüber Mitteilungen machen, die mich hoch interessiren werden! – Wie steht die römische Kurie zu Ihrer Sache?« fragte er dann.

Graf Rivero erwiederte:

»Der heilige Vater, kaiserliche Majestät, ist der oberste Priester der Kirche, – seine Waffen sind geistlicher Natur, er kann keinen unmittelbaren Antheil nehmen an dem Werke, das mit weltlichen Mitteln wirkt, aber dieß Werk kann ihm nur ein wohlgefälliges sein und sein apostolischer Segen ist Jedem gewiß, der daran arbeitet, das weltliche und geistliche Recht wiederherzustellen. – Alle treugebliebenen Priester unterstützen die Bestrebungen der Liga durch alle Mittel, welche ihr heiliges Amt ihnen anzuwenden erlaubt.«

»Und wie denkt diese Liga zu handeln, – was hofft sie zu erreichen?« fragte der Kaiser.

»Majestät,« erwiederte der Graf, – »wir erwarten den Ausbruch des großen Krieges, den Oesterreich zur Wiederherstellung seiner alten Macht und Größe zu unternehmen im Begriffe steht. – Mag im Norden der Erfolg der österreichischen Waffen ein schneller oder langsamer sein, Italien gegenüber sind wir des österreichischen Sieges sicher. – Wir können allein nichts unternehmen, denn wir stehen geordneten Heeren gegenüber, denen wir noch nicht gewachsen sind. – Sobald aber diese Heere der österreichischen Macht gegenüber engagirt und festgehalten sind, sobald der erste Schlag gefallen ist, werden wir das Signal geben und hinter der zerbröckelnden Armee Viktor Emanuel's wird Italien sich erheben, die Freischaaren des Rechts und der Kirche werden überall erstehen und das sardinische Regiment vertreiben, und die legitimen Fürsten werden in ihre Länder zurückkehren. Eurer Majestät Regimenter werden nur die Lombardei zu besetzen haben und sie wird Ihnen wieder gehören!«

»Und Napoleon?« fragte der Kaiser.

»Ich habe Grund zu glauben, daß er vielleicht es nicht ungern sehen wird, wenn das sardinische Italien durch italienische Kräfte wieder aufgelöst wird – er zittert schon vor seinem eigenen Werk – außerdem würde seine Intervention dann zu spät kommen.«

»Und Sie glauben,« fragte der Kaiser, »daß Italien selbst die Lombardei meinem Hause zurückgeben wird?«

»Ja, Majestät,« antwortete der Graf, »unter der Bedingung –«

»Ah – Bedingungen?« rief der Kaiser.

»Majestät,« sagte der Graf, – »wir Alle, die wir an dem großen Werke mitarbeiten, sind Italiener und wollen ein glückliches, starkes Italien. Wir wollen das lombardisch-venetianische Königreich im Norden unserer Halbinsel als Blut von unserem Blut und Fleisch von unserem Fleisch, wir wollen deßhalb die Lombardei Eurer kaiserlichen Majestät und dem Hause Habsburg wiedergeben – aber nicht Oesterreich.«

»Wie trennen Sie das?« fragte der Kaiser ein wenig empfindlich.

»Ich glaube,« erwiederte der Graf, »diese Trennung beweist die tiefe Verehrung, welche wir dem erhabenen Kaiserhause entgegenbringen. – Es ziemt mir nicht,« fuhr er fort, »und ich bin nicht berufen, Eurer kaiserlichen Majestät meine Ansicht über die Regierung der Länder darzulegen, welche den Kaiserstaat bilden, – ich muß aber bemerken, daß nach meiner Auffassung, welcher die Geschichte zur Seite steht, in dem großen Oesterreich nur Ein wahrhaft gemeinsames Band für Alle besteht, dieß ist: der Kaiser und die Armee.«

Der Kaiser neigte fast unwillkürlich das Haupt.

»Für Italien,« fuhr der Graf fort, »ist dieß unumstößliche Wahrheit. Niemand in der Lombardei und in Venetien, oder in meinem ganzen übrigen Vaterlande hat gegen die Herrschaft des Hauses Habsburg etwas einzuwenden. – Was das Nationalgefühl beleidigte, was auch Gutgesinnte verwirrte, war das deutsche Regiment, das man uns in Eurer Majestät Staaten fühlen ließ, – die Regierung war eine fremde und erregte im Volke das Gefühl einer fremden Okkupation. – Lassen Eure Majestät Ihre Unterthanen in Italien Italiener sein – und aller Widerwille wird verschwinden.«

Der Kaiser schwieg. Er schien nicht ganz zu verstehen.

»Erlauben mir Eure kaiserliche Majestät,« sagte der Graf, »das ganze Bild zu entwickeln, wie es vor meinem inneren Blick in leuchtender Klarheit dasteht. – Ich denke mir nach dem Sturz der dämonischen Gewalt, welche mein armes Vaterland jetzt darniederhält, dasselbe als einen großen, in einem, dem deutschen ähnlichen Bunde, geeinten Organismus. Im Süden das Königreich beider Sizilien, im Herzen das heilige Patrimonium Petri und im Norden neben dem in seine natürlichen Schranken zurückgewiesenen Sardinien und den kleineren Herzogtümern das lombardisch-venetianische Königreich. Alle diese Länder, unter ihren legitimen Fürsten italienisch regiert, bilden den großen italienischen Bund, und Eure Majestät stehen in diesem Bunde als italienischer Fürst, wie Allerhöchstdieselben in Deutschland stehen, als Herrscher deutscher Länder. – An der Spitze des Bundes, der die Institutionen für Handel und Verkehr, für die materielle Wohlfahrt und Blüte des Landes in nationalem Geiste gemeinsam entwickelte, stände der heilige Vater – das Haupt der Christenheit, – sein mächtiger weltlicher Schirmherr würden Eure kaiserliche Majestät sein, und wenn dann die Waffen Oesterreichs, wie ich vom Himmel erflehe, in Deutschland siegen, so würde der römische Kaiser von Sizilien bis zur Nordsee der geehrte und geliebte Schirmherr des Rechts und der Schiedsrichter Europas sein.«

Der Graf verneigte sich. Er hatte zuletzt lebhafter als vorher gesprochen und sein strahlender Blick schien das glänzende Bild in schimmernder Vollendung zu sehen, dessen Umrisse er dem Kaiser zeigte.

Die Augen Franz Joseph's leuchteten, während der Staatsrath Klindworth seine scharfen Blicke von dem Grafen zum Kaiser schweifen ließ und sonst ohne Zeichen inneren Antheils an dem Gespräch schweigend dastand.

»Es ist mir von hohem Interesse, was Sie mir entwickelt haben, mein lieber Graf Rivero,« sagte der Kaiser, »und ich freue mich, daß mir Ihre Eröffnungen gerade jetzt gekommen sind. Ihre Pläne entsprechen den Wünschen, die ich als Nachkomme meiner Vorfahren und als Haupt meines Hauses im Herzen tragen muß.«

»Eure Majestät billigen also,« fragte der Graf, »nehmen unsere Dienste an und wollen uns unterstützen?«

»Ich will es,« sagte der Kaiser.

Der Graf zögerte einen Augenblick, dann richtete er sein klares Auge fest auf den Kaiser.

»Und die Autonomie Allerhöchstihres italienischen Königreiches?« fragte er.

»Mein Wort dafür zum Pfande,« sagte der Kaiser.

Der Graf verneigte sich.

»Und Sie, mein lieber Graf,« fragte der Kaiser, – »welche Rolle spielen Sie in dem großen Drama?«

»Ich bleibe jetzt hier,« antwortete Graf Rivero, »um die Situation zu verfolgen und im gegebenen Moment das Signal zu geben. Ich stehe stets zu Eurer kaiserlichen Majestät Verfügung.«

»Sie haben mir durch Ihre Mittheilungen einen großen Dienst geleistet,« sagte der Kaiser, »und mich« – er wendete sich gegen Klindworth – »vielleicht vor einem Fehler bewahrt. – Ich glaube, mein lieber Staatsrath, – die Unschlüssigkeit ist vorbei. – Und nun,« rief er lebhaft, – »an's Werk nach allen Richtungen, – ich fühle Muth und Zuversicht und hoffe, das alte Wort wird wieder wahr werden:

Austria est imperatura ordi universo!‹«

» Ad majorem dei Gloriam!« fügte der Graf mit leiser Stimme hinzu.

Der Kaiser neigte das Haupt und rief dem Grafen, welcher sich mit dem Staatsrath Klindworth zurückzog und in der Thür sich noch einmal verneigte, zu:

»Auf Wiedersehen!«

Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch und schrieb mit fliegender Hand zwei Billets, die er mit seinem Handsiegel verschloß.

Er klingelte dem Kammerdiener und ließ den Flügeladjutanten rufen.

Fürst Liechtenstein trat ein.

»Lieber Fürst,« sagte der Kaiser heiter, »lassen Sie diese Billets sogleich an Crenneville und Mensdorff abgeben!«

Der Fürst nahm die Briefe und entfernte sich schweigend.

»Jetzt,« rief der Kaiser, indem er aufstand und den strahlenden Blick emporhob – »ist die Unschlüssigkeit vorbei – Gott schütze Oesterreich!«


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