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Drittes Kapitel.

Zahlreiche Equipagen eilten dem Ballhofsplatze hinter der kaiserlichen Hofburg in Wien zu und hielten nach einander vor dem durch zwei große Gaslaternen hell erleuchteten Portal der Staatskanzlei. Vornehm rollten große Karossen mit Kutschern und Lakaien in den verschiedensten Livreen heran, der Portier in dem langen hellblauen goldgestickten Rock mit dem großen Stabe eilte an die Schläge, die Damen in reicher Soiréetoilette, in weite Mäntel und Capuchons eingehüllt, entstiegen den Wagen und eilten durch das große Portal, um rechts die mächtige Treppe hinaufzusteigen zu den oberen Räumen des weiten Palais, in welchem Kaunitz und Metternich das › Austria est imperatura orbi universo‹ zur Wahrheit zu machen gestrebt hatten und welches jetzt der Feldmarschalllieutenant Graf Mensdorff-Pouilly als Minister des kaiserlichen Hauses und des Aeußern bewohnte.

Dazwischen fuhren »fesche« Fiaker an, welche die Herren in Wien, und wenn sie die schönsten Marställe besitzen, ausschließlich zum Gebrauche in der Stadt benutzen, und der Portier eilte ihnen nicht minder eifrig entgegen, als den vornehmen Equipagen.

Einem dieser Fiaker entstieg ein junger Offizier in der bunten, kleidsamen, in Grün, Scharlach und Gold schimmernden Ulanen-Uniform. Er zog den großen weißen Mantel aus, warf ihn in den Wagen zurück und befahl dem Kutscher, ihn in der Nähe des Burgplatzes zu erwarten.

Dann stieg er, einen letzten Blick auf seinen untadelhaften Anzug herabwerfend und den noch sehr feinen schwarzen Schnurrbart leicht zwischen den Fingern heraufwirbelnd, die Treppen hinan, lustig und siegesgewiß, wie es ein junger Ulanenoffizier immer und überall, auf dem Parket wie zu Pferde sein muß und wie es dieser Offizier vor vielen Andern zu sein ganz besondern Grund hatte.

Denn der Lieutenant von Stielow, ein Mecklenburger und seit einigen Jahren, wie viele seiner norddeutschen Altersgenossen, im österreichischen Militärdienst, hatte vor einem Jahre von einem kinderlos verstorbenen Oheim in seinem Vaterlande einen so bedeutenden Majoratsbesitz ererbt, daß die Ziffer seiner jährlichen Revenüen selbst unter der an große Vermögen gewöhnten österreichischen Aristokratie Aufsehen erregt hatte und daß, so sehr man sich in diesen Kreisen sonst den Fremden gegenüber in kalter Höflichkeit abschließt, diesem außerdem schönen und liebenswürdigen jungen Manne, der durch eine feine norddeutsche Bildung unter seinen österreichischen Alters- und Standesgenossen sehr vorteilhaft hervorstach, sich die vertraulichere Intimität der Familien des wiener hohen Adels geöffnet hatte, namentlich derjenigen, in welchen man einige Töchter zu verheirathen hatte.

Es war also sehr natürlich, daß der junge Mann, dem das Leben so heiter sich öffnete, fröhlich und zuversichtlich die große Treppe der Staatskanzlei heraufstieg, um sich zu einer jener beschränkteren Soiréen zu begeben, in welchen die Gräfin Mensdorff außer den großen offiziellen Empfangsabenden die ihr näher stehende wiener Gesellschaft vereinigte und welche, wenn auch einen mehr privaten Charakter tragend, doch von Allem, was zur politischen Welt gehörte, sehr gesucht waren, weil man hoffte, hier irgend einen Zipfel des Schleiers heben zu können, in welchen während jener Tage bewegter Spannung und Erwartung die verschiedenen diplomatischen Lager ihre Thätigkeit einander gegenüber einhüllten, sich den Anschein gebend, als passire nichts in der Welt, wodurch die gemüthliche Ruhe des geselligen Verkehrs gestört werden könnte.

Die Lakaien in der einfachen, tadellos eleganten Livree des Mensdorff'schen Hauses öffneten die Thüren zu dem mit der Wohnung der Gräfin zusammenhängenden kleineren Appartement und der Lieutenant von Stielow trat in den hell erleuchteten, mit bunten und frischen Damentoiletten, blitzenden Uniformen und schwarzen Civilanzügen in mannigfaltigen Gruppen erfüllten Salon.

In dem zweiten, an den ersten größeren Salon anstoßenden Zimmer, das mit allen jenen tausend comfortabeln Kleinigkeiten ausgestaltet war, die zu dem täglichen Wohnraum einer vornehmen Dame gehören, saß in einem nicht großen, niedrigen Divan die Gemahlin des Ministers, eine geborne Prinzessin Dietrichstein, eine Dame von äußerst aristokratischer Erscheinung, und empfing ihre Gäste mit jener natürlichen ungezwungenen und freundlichen Gemütlichkeit, welche der vornehmen Gesellschaft Wiens eigen ist, wenn sie sich unter sich befindet.

Neben der Gräfin Mensdorff saß eine volle, üppige Gestalt, in schwarzer reicher Toilette, an der jedoch ohne Ueberladuug angebrachte farbige Steine von fürstlichem Reichthum den Gedanken an Trauer ausschlossen.

Das bleiche Gesicht dieser Dame, von schwarzen vollen Locken umrahmt, war von wunderbarer Schönheit, aber tiefem Ernst, und ihre ebenholzschwarzen großen Augen voll Feuer und Ausdruck schienen sich nicht voll Lust und Freudigkeit dem Leben zuzuwenden, sondern blickten mit jenem schwärmerischen, sinnenden Ausdruck vor sich hin, den man oft auf alten Bildern von Aebtissinnen geistlicher Orden bemerkt.

Es war die Fürstin Obrenowitsch, die Gemahlin des Fürsten Michael von Serbien, welche von ihrem Gemahl getrennt mit ihrem jungen Sohn in Wien lebte. Eine geborne Gräfin Huniady, voll des lebenswarmen ungarischen Blutes und in allen Zirkeln der ersten Gesellschaft Wiens mit offenen Armen empfangen, trotz der Trennung von ihrem Gemahl durch Beweise von dessen hoher Achtung bei jeder Gelegenheit ausgezeichnet, schloß diese schöne Dame voll Geist und Leben sich dennoch, ohne der Welt völlig zu entsagen, in ein häusliches, zurückgezogenes Leben ein, bei welchem sie vor Allem ihre ganze Aufmerksamkeit und Sorgfalt der Erziehung ihres jungen Sohnes, des dereinstigen Erben des serbischen Fürstenhutes, widmete. Es war daher immer ein évènement, wenn man die schöne, fromme und stolz abgeschlossene Fürstin in den Salons der wiener Aristokratie sah.

Vor den Damen stand ein nicht großer Herr in den Sechzigern. Er trug die graue, knapp anschließende Uniform eines österreichischen Feldmarschalllieutenants, auf welcher das einfache Maria-Theresienkreuz neben dem Kommandeur des Leopoldordens und dem Malteserkreuz glänzte. Sein rothes volles Gesicht, das auf einem auffallend kurzen Hals aus dem eng zugeknöpften Uniformkragen hervorsah, trug den Ausdruck unverwüstlicher Laune und Heiterkeit, seine dunkeln, blitzenden Augen funkelten voll Leben und lustiger Bosheit, der kurze Schnurrbart und das volle Haar waren schneeweiß und sein Kopf war so kurz geschoren, daß das bürstenartige weiße Haar auf dem rothen vollen Gesicht zu dem treffenden und in der wiener Gesellschaft verbreiteten Vergleich Anlaß gegeben hatte, des Feldmarschalllieutenants Reischach Kopf sehe aus wie eine überzuckerte Erdbeere.

Der Feldmarschalllieutenant Baron Reischach, einer der tapfersten Offiziere der österreichischen Armee, zum aktiven Dienst jetzt untauglich durch die vielen Wunden, mit denen sein ganzer Körper übersäet war und die ihn häufig viel leiden ließen, lebte in der wiener Gesellschaft als ein überall gern gesehener Hausfreund, der es möglich machte, an den verschiedensten Orten zu sein, der Alles wußte, was nur irgend zu wissen war, und der durch seine spaßhaften Geschichten aus jedem Kreise die Langeweile zu verscheuchen verstand.

Machte man Vormittags eine Visitentournée, so war man sicher, ein oder gar mehrere Male mit dem Baron Reischach zusammenzutreffen, der es nie unterließ, sich nach dem Befinden aller seiner alten Freundinnen zu erkundigen, ihnen die Tagesneuigkeiten zu bringen und kleine Attentions zu erweisen. Abends war er im Burgtheater zu finden und man sah ihn in den Zwischenakten in den Logen der älteren Damen der wiener Gesellschaft erscheinen, wobei er indeß immer noch Zeit fand, einen Blick auf die Bühne zu werfen und der einen oder der andern unter den ersten Schauspielerinnen ein Kompliment über ihre Toilette oder ihr Spiel zu sagen – nach der Theaterzeit fand man ihn in den Salons – bald einen großen Raout durcheilend, hier ein Bonmot lancirend, dort eine pikante Neuigkeit einsammelnd, bald auf eine Viertelstunde an dem Theetisch eines kleinen Zirkels verweilend und das Füllhorn seiner unerschöpflichen launigen Geschichten leerend. Noch später war er dann zu finden in einem gemüthlichen Winkel des Speisesaals im Hotel zur Stadt Frankfurt, bei einem Glase alten Ungarweins, wo er die Seele eines jovialen Abendzirkels bildete, dessen Kern aus den Grafen Wallis, Fuchs und Wrbna bestand.

So war der Feldmarschalllieutenant Baron Reischach, der da, die Hand mit dem grünbebuschten Hut auf den Säbel gestützt, vor den Damen stand.

Etwas sehr Spaßhaftes mußte er ihnen gesagt haben, denn die Gräfin Mensdorff lachte laut, und selbst über das ernste Gesicht der Fürstin von Serbien flog ein leichtes Lächeln.

»Nun erzählen Sie uns aber, Baron Reischach,« sagte die Gräfin Mensdorff, »was Sie für Beobachtungen heute an der Burg gemacht haben – nicht wie die Wolter gespielt hat, – das wissen wir schon, die ist ja für Sie immer süperbe, unvergleichlich – nein, sagen Sie uns ein wenig, was Sie sonst im Hause und in den Logen beobachtet haben – da ist gewiß wieder sehr Vieles passirt oder nicht passirt, was Sie uns zu erzählen haben. Sie sehen, Sie haben die Fürstin schon zum Lächeln gebracht, machen Sie sie ganz heiter.«

Der Feldmarschalllieutenant erwiederte mit leichter Verbeugung gegen die Fürstin Obrenowitsch: »Ich weiß nicht, ob die Fürstin einem Weltkinde wie mir lange zuhören möchte – übrigens passirte auch gar nichts. Unser junger mecklenburgischer Ulane war sehr lange in der Loge der Gräfin Frankenstein und sprach sehr lebhaft mit der Comtesse Clara, was einige unserer Freundinnen, die Sie kennen, sehr zornig machte. Ich sah –«

Hier wurden die weiteren Mittheilungen des Feldmarschalllieutenants durch den Gegenstand seiner Beobachtungen, den jungen Ulanenoffizier von Stielow, unterbrochen, der herantrat, um die Gräfin Mensdorff zu begrüßen.

Diese lächelte. »Wir sprachen von Ihnen, Baron Stielow, man will Sie heute Abend im Burgtheater so beschäftigt gesehen haben, daß Sie der Wolter nicht die gehörige Aufmerksamkeit schenken konnten, – was der Herr von Reischach sehr übel genommen hat.«

Der junge Offizier erröthete leicht, grüßte den Feldmarschalllieutenant in militärischer Haltung und sagte: »Seine Excellenz ist ein sehr scharfer Beobachter, wenn er mir die Ehre erzeigt hat, mich zu bemerken – ich war nur kurze Zeit in der Burg und habe dort nur einige Bekannte in ihren Logen besucht.«

Herr von Reischachs neckische Bemerkung, welche er auf der Zunge zu haben schien, wurde durch das Herantreten eines großen Herrn in der Generalsuniform und einer schlanken eleganten Dame unterbrochen, welche kamen, um die Dame des Hauses zu begrüßen, und dem Herrn von Stielow die Gelegenheit gaben, sich zurückzuziehen und der Fortsetzung des begonnenen Gesprächs auszuweichen.

Es war der Graf Clam Gallas, welcher soeben mit seiner Gemahlin, einer jüngeren Schwester der Gräfin Mensdorff, erschienen war. Der Graf, eine hohe Gestalt, bei dem die Uniform nicht die Nonchalance des großen österreichischen Kavaliers einzuengen im Stande war, einen fast Habsburgischen Typus in den Gesichtszügen, mit dem goldenen Vließ dekorirt, reichte seiner Schwägerin mit kordialer Einfachheit die Hand, während seine Gemahlin, eine nicht mehr ganz junge Dame von selten eleganter Figur und wunderbar konservirter Schönheit, sich neben der Fürstin Obrenowitsch in einem Fauteuil niederließ.

»Wo ist denn der Mensdorff,« fragte der Graf Clam Gallas, »ich habe ihn nicht gesehen – er ist doch nicht wieder krank geworden?«

»Er wurde zum Kaiser gerufen,« erwiederte die Gräfin, »und wenn er zurückkommt, wird er wohl noch Einiges zu erledigen haben – ich habe ihn schon entschuldigt, – er wird aber wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen.«

»Ich habe Wunderdinge von Ihrem Fest in Prag gehört, Gräfin,« wendete sich der Feldmarschalllieutenant von Reischach an die Gräfin Clam – »man kann nicht genug davon erzählen, die Gräfin Waldstein, die ich heute bei der Fürstin Lori Schwarzenberg traf, war noch ganz enchantirt davon.«

»Ja, es war sehr gelungen,« sagte die Gräfin Clam, »und hat uns Allen viel Freude gemacht. Wir hatten die Idee,« fuhr sie fort, indem sie sich zur Fürstin Obrenowitsch wendete, »in Prag Wallenstein's Lager aufzuführen, – das ist nun allerdings schon recht oft aufgeführt und würde nichts Besonderes sein – das Eigentümliche dabei war aber, daß die Vertreter der Wallenstein'schen Armee, welche Schiller so wunderbar lebendig im Geiste jener Zeiten uns vorführt, von lauter Abkömmlingen der Feldobersten des dreißigjährigen Krieges dargestellt wurden. Es kam dadurch eine ganz besondere Bedeutung und ein ganz besonderer Geist in die Vorstellung – ich versichere Sie, wir waren Alle angeweht vom Hauch der Vergangenheit, und sowohl die Darstellenden wie die Zuschauer befanden sich in wirklich gehobener Stimmung. Der Geist des alten mächtigen Oesterreichs stieg waffenklirrend vor uns empor, und wenn die schwedischen Hörner geblasen hätten, so wäre die ganze Gesellschaft zu Pferde gestiegen, um hinaus zu reiten wie ihre Vorfahren.«

»Ja,« sagte der Graf Clam, »es war ein mächtiger Eindruck, den wir Alle empfanden – nun, wenn's Gott will, wird ja wohl die Zeit kommen, wo wir noch einmal den österreichischen Degen ziehen können, um kaiserlicher Majestät wieder zu ihrer Stellung im Reich zu verhelfen. Mir will es scheinen, als ob die Zeichen der Zeit nach Sturm aussähen und als ob wir reiten werden.«

Eine augenblickliche Stille trat ein. Herr von Reischach sah ernst vor sich hin und schwieg, wie immer, wenn von Politik und kriegerischer Aktion die Rede war – es that das dem alten Soldatenherzen weh – konnte er doch mit seinen zerhauenen und zerschossenen Gliedern nicht mehr dabei sein.

Die Gräfin Mensdorff in feinem Takte wollte in ihrem Salon politischen Erörterungen keinen Raum geben und unterbrach die kleine Pause, indem sie sich lächelnd zu dem Feldmarschalllieutenant von Reischach wendete:

»Schade, daß Sie nicht dort waren, Baron Reischach, Sie hätten gewiß den Kapuziner vortrefflich gegeben und der sündigen Welt Moral gepredigt.«

»Ohne Zweifel,« sagte der Feldmarschalllieutenant und fügte mit komischem Pathos hinzu: » Contenti estote, begnügt euch mit eurem Kommißbrode!«

»Ja, wenn eine Gänseleberpastete darauf liegt und ein alter Ungar daneben steht,« lachte Graf Clam, – »dann läßt er das Kommißbrod liegen.«

» Nullum vinum,« rief Herr von Reischach mit der Hand abwehrend und den Kopf schüttelnd – » nisi Hungaricum!« fügte er dann leiser, sich gegen die Fürstin Obrenowitsch verneigend, hinzu, welche durch ein leichtes Lächeln für das ihren heimischen Reben gezollte Kompliment dankte.

Neue Gäste traten hinzu, der Kreis der Damen vergrößerte sich und der Graf Clam ging mit dem Baron Reischach plaudernd in den vorderen Salon.

Hier waren die sämmtlichen Damen- und Herrengruppen im lebhaften Gespräch, – die jüngere Welt mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, die älteren Damen das Treiben der jüngeren beobachtend und die Herren forschende Blicke nach den Mitgliedern des diplomatischen Korps richtend, welche mit einander bald flüchtige Worte wechselten, bald in längerem Gespräche verweilten.

In der Mitte des Salons unter der reich erleuchteten Krystallkrone stand der französische Botschafter, Herzog von Gramont, eine hohe Gestalt von untadelhafter, beinahe militärisch gerader Haltung, den weißen Stern der Ehrenlegion auf dem schwarzen Frack, das breite dunkelrothe Band über der Brust. Ein kurzer schwarzer Backenbart rahmte sein längliches, fein geschnitztes Gesicht ein, das jenen Typus der altfranzösischen Aristokratie trug – anmuthige Freundlichkeit mit vornehm zurückhaltender Würde. Sein sehr kleiner, schön geschnittener Mund wurde durch einen spitzen, aufwärts gedrehten Schnurrbart leicht beschattet, seine Stirn war hoch und frei, aber mehr sanft gerundet als kühn gewölbt, aus seinem dunkeln Auge blickte jene phlegmatische Sorglosigkeit, welche ebenfalls ein Erbtheil des alten französischen Adels ist und ihn in so vielen Phasen der Geschichte dahin geführt hat, die wichtigsten und ernstesten Dinge mit einer Leichtigkeit zu behandeln, die man sich oft nicht zu erklären weiß. Sein noch vollkommen schwarzes Haar war in sorgfältig geordneter Coiffure über der Stirne in eine Art von kleinem Toupé zusammengefaßt, das seiner ganzen Erscheinung noch mehr den Stempel jener altfranzösischen grandseigneurs aufdrückte, welche in der Umgebung der großen, mächtigen Prunkgemächer und der gerade geschnittenen, steifen Parkalleen ein so leichtes und anmuthig sorgloses Leben zu führen verstanden.

Der Herzog stand einen Augenblick allein, die Gesellschaft musternd, als, das Gespräch mit einigen Damen beendend, ein Herr in mittleren Jahren auf ihn zutrat, dessen scharf markirtes, mageres Gesicht bei Weitem nicht die sorglose, vornehme Ruhe des französischen Botschafters ausdrückte, vielmehr in stetem Wechselspiel der Züge sich veränderte. Er trug einen Backenbart und sein dunkelblondes Haar hatte jenen eigentümlichen Schnitt und Fall, den man bei norddeutschen Militärs findet. Er war kleiner als der Herzog, seine Bewegungen lebhaft und gewandt, seine Toilette von untadelhafter Einfachheit und über seine Brust lief das breite weiß und orange Band des preußischen rothen Adlerordens.

Herr von Werther, der preußische Gesandte, begrüßte den Herzog mit ausgezeichneter Höflichkeit, aber ohne jene Vertraulichkeit, welche ein näheres persönliches Verhältniß andeutet.

»Endlich finde ich eine Gelegenheit, Herr Herzog,« sagte Herr von Werther in französischer Sprache, »Ihnen guten Abend zu sagen wie befindet sich die Herzogin, ich sehe sie nicht –«

»Sie ist etwas erkältet,« erwiederte der Botschafter, – und Frau von Werther – sie scheint auch von dieser Saison der Grippe an's Haus gefesselt –«

»Sie ist in der That leidend und auch ich wäre nicht ausgegangen,« sagte Herr von Werther lächelnd – »wenn es nicht unsere Pflicht wäre, Neuigkeiten zu sammeln.«

»Und haben Sie diesen Zweck erreicht?« fragte der Herzog.

»Noch nicht – Graf Mensdorff ist beim Kaiser, wie mir die Gräfin sagte, und bisher habe ich nichts gehört, als die verschiedenen Cancans aus der Gesellschaft. – Doch,« – fügte er etwas ernster und in leiserem Tone hinzu, »scheint mir die Luft voll ernster Dinge zu sein – Sie werden wissen, daß hier eine ziemlich unverträgliche Stimmung mehr und mehr um sich greift –«

»Ich bedaure, wenn das so ist,« sagte der Herzog von Gramont, »denn ein scharfer Zusammenstoß der entgegenstehenden Ansichten – und Ansprüche kann nur zum Kriege führen, der mir persönlich nicht wünschenswert erscheint.«

»Sie wissen,« erwiederte Herr von Werther, »daß wir gewiß den Krieg nicht suchen, aber dürfen wir ihn um den Preis unserer Machtstellung und unserer Würde vermeiden? Würden Sie uns das rathen können?«

»Wir stehen den Ereignissen fern und verhalten uns ihnen gegenüber beobachtend,« sagte der Herzog zurückhaltend, »und wir können nur gute Wünsche haben, Rath zu geben kommt uns nicht zu, wenn man uns nicht zur Vermittelung auffordert. – Uebrigens sehen Sie,« fügte er mit verbindlichem Lächeln hinzu, »man beobachtet uns, wir stehen hier isolirt und man möchte Konsequenzen aus unserer harmlosen Unterredung ziehen –«

»Sie haben Recht,« erwiederte Herr von Werther, »entziehen wir uns den neugierigen Blicken.«

Und mit leichter Verbeugung gegen den Herzog wendete er sich, indem er leise vor sich hinflüsterte: »Er weiß Nichts« – zu einem großen, starken, älteren Herrn mit kahler Stirn, scharfen Zügen und lebhaften braunen Augen in der hannöverischen Generalsuniform, der einige Schritte von ihm stand.

»Guten Abend, General Knesebeck,« sagte er zu diesem, der ihn mit militärischem Anstand begrüßte, »was haben Sie für Nachrichten aus Hannover?«

»Seit einiger Zeit gar keine,« erwiederte der General langsam und zurückhaltend, »mein Bruder lebt still auf dem Lande und schreibt mir selten, kümmert sich auch wenig um das, was in Hannover vorgeht.«

»Ich freue mich herzlich,« fuhr Herr von Werther fort, »daß Graf Platen in Berlin war, und wie ich von dort höre, ist der Besuch sehr freundschaftlicher Natur gewesen, Gott gebe, daß das dazu beitragen möge, so manche kleine Verstimmungen verschwinden zu lassen, die leider hie und da zwischen Preußen und Hannover bestanden, während doch beide Staaten bestimmt sind, einig mit einander zu gehen, wie die Geschichte und die Traditionen des siebenjährigen Krieges uns ermahnen.«

»Ich bedaure von Herzen die Verstimmungen, die von beiden Seilen hie und da veranlaßt sind,« erwiederte Herr von Knesebeck, »wir sind in Hannover gewiß auf Einigkeit mit unserem Nachbar hingewiesen; vor Allem aber müssen wir, so viel an uns liegt, auch immer daran arbeiten, die Einigkeit unter allen deutschen Mächten zu erhalten. Wir finden unsere Sicherheit nach Innen und Außen vorzüglich in der Freundschaft der beiden deutschen Großmächte und in einiger Macht des deutschen Bundes. Gott erhalte diese.«

Eine weitere Bemerkung des Herrn von Werther wurde durch das Herantreten des englischen Botschafters, Lord Bloomfield, abgeschnitten, eines Mannes mit jenem scharfgeschnittenen, charakteristischen Gesicht der englischen Aristokratie, von gesundem, lebensfrischem Ausdruck, mit dem grünen Bande des irischen Ordens der Distel dekorirt, der beide Herren begrüßte und das Gespräch auf die leichten Tagesereignisse der wiener Gesellschaft leitete.

Während so in den Salons der Gräfin Mensdorff die Soirée ihren gleichmäßigen, gewöhnlichen Verlauf nahm und auf der Oberfläche der eleganten, lächelnden Gesellschaft sich nichts von der unruhigen Spannung zeigte, welche im Innern so mancher Anwesenden vorhanden war, saßen auf der andern Seite der Staatskanzlei, in dem großen, mit blauen Seidenmöbeln und gleichen blauen Fenstervorhängen ausgestatteten Vorsaal vor dem Kabinet des Ministers, zwei Männer in den weiten Fauteuils um den großen runden Tisch an der Langseite des Saales. Ein leichtes Feuer flackerte in dem großen Kamin in der Ecke und eine mächtige Lampe mit weiter Kuppel von weißem Milchglas, welche auf dem Tisch stand, ließ den großen Raum im Halbdunkel, während sie die Gesichter der beiden Personen hell erleuchtete und einen schwachen Reflex auf das lebensgroße Bild des Kaisers Franz Joseph warf, das in prachtvollem Goldrahmen die Mitte der Wand erfüllte und den Kaiser in der großen Generalsuniform in der jugendlichen Schönheit des frühen Alters zeigte, in welchem er den Thron bestiegen hatte.

Der eine dieser beiden Männer saß nachlässig hingelehnt in seinem Lehnstuhl. Er mochte die Mitte der Fünfzig erreicht haben. Sein Gesicht trug den Stempel des geistreichen Lebemannes, mit einer gewissen Beimischung von katholischer Schwärmerei, einen Gesammtausdruck, wie man ihn zuweilen auf alten Bildern von Kardinälen und Prälaten findet. Eine gewisse behagliche Haltung, die weichen, feinen und weißen Hände, die bequem elegante Toilette vervollständigten diesen Anklang an die Bilder geistlicher Herren aus der italienischen Schule.

Es war der Unterstaatssekretär Geheimerath Freiherr von Meysenbug, und neben ihm saß der Ministerialrath von Biegeleben, eine lange Gestalt, steif, trocken und pedantisch, mit leberkranker Gesichtsfarbe und bureaukratischverbissenem Ausdruck. Seine Erscheinung hielt die Mitte zwischen einem Professor und einem Kanzleidirektor, er saß gerade auf seinem Stuhl, den Hut in der Hand.

»Der Graf bleibt lange,« rief Herr von Meysenbug ungeduldig, indem er mit den feinen Fingern auf der dunkeln Decke des Tisches trommelte, »ich bin sehr gespannt, was er bringen wird – ich fürchte, ich fürchte, er spielt uns noch einen Streich und bewegt Seine Majestät zum Einlenken!«

»Das glaube ich nicht,« erwiederte Herr von Biegeleben mit langsamer und ruhiger Stimme, »Seine Majestät ist zu sehr durchdrungen von der Idee, die alte Stellung der Habsburger in Deutschland wieder herzustellen, als daß er daran denken sollte, mit den berliner Ansprüchen zu paktiren. Er hat in Frankfurt die glorreichen Erinnerungen des Reiches wiederaufleben gesehen und zugleich bitter und tief den échec empfunden, den ihm der preußische Widerstand damals bereitete, – er wird festhalten.«

»Aber Graf Mensdorff will abgehen, er will die Verantwortung der Folgen eines Bruches nicht auf sich nehmen!« sagte Herr von Meysenbug nachdenklich.

»Nun und wenn er es thäte?« fragte Herr von Biegeleben mit einem steifen Lächeln – »der Kaiser würde vielleicht noch entschiedener und rascher vorgehen.«

»Vielleicht,« sagte Herr von Meysenbug, »aber Graf Mensdorff ist doch schließlich eine lenksame Natur und – bedarf des Rathes, – würden wir die Fäden so in der Hand halten wie jetzt, wenn er einen Nachfolger fände?«

»Ich besorge nicht, daß wir überflüssig würden,« sagte Herr von Biegeleben. »Sie, Excellenz, stehen zu fest auf der römischen Basis und es würde schwer sein, Sie zu beseitigen, – ich für meine geringe Person – nun wen haben wir hier, der die deutschen Angelegenheiten kennt und bearbeiten kann? – Herrn von Gagern?«

Herr von Meysenbug zuckte mit den Achseln und machte eine leichte Bewegung mit der Hand.

In diesem Augenblick öffnete sich die äußere Thüre des Vorsaals und Graf Mensdorff trat ein.

Die Erscheinung dieses Ministers, der bestimmt war, Oesterreich einer so schweren Katastrophe entgegenzuführen, bot nichts Außergewöhnliches.

Er war ein Mann von mittlerer Größe, einem feinen, vornehmen Gesicht von französischem Typus und kränklichem Teint, kurzem schwarzem Haar und kleinem schwarzem Schnurrbart. Er trug die Uniform des Feldmarschalllieutenants und den Stern des Leopoldsordens. Seine Haltung war in Folge chronischer Kränklichkeit schwankend und unsicher und er suchte sich stets einer längeren Unterhaltung im Stehen zu entziehen, die ihn angriff.

Die beiden Herren erhoben sich.

Graf Mensdorff begrüßte sie und sagte: »Ich bedaure, daß Sie gewartet haben, meine Herren, ich wurde länger aufgehalten, als ich dachte.« Dann ging er durch den langen Saal in sein Kabinet, die Herren von Meysenbug und Biegeleben einladend, ihm zu folgen.

Alle Drei traten in das Kabinet des Ministers, einen weiten Raum, ebenfalls nur durch eine auf dem großen Schreibtisch in der Mitte stehende Lampe erleuchtet.

Graf Mensdorff ließ sich erschöpft in den vor dem Schreibtisch stehenden Lehnstuhl sinken und athmete befriedigt auf, als er auf demselben, den Arm bequem auf die Seitenlehne gestützt, Platz genommen, indem er die beiden Herren durch eine Handbewegung aufforderte, an der Seite des Schreibtisches sich neben ihn zu setzen.

Die drei Männer saßen einen Augenblick schweigend. In den Gesichtszügen der beiden Ministerialräthe drückte sich die lebhafteste Spannung aus, – Graf Mensdorff blickte ermüdet vor sich hin.

»Nun, meine Herren,« sagte er endlich, »es scheint, daß Ihre Wünsche erfüllt werden. – Seine Majestät der Kaiser will keinen Schritt rückwärts, er will um keinen Preis die Bundesreformvorschläge Preußens in Norddeutschland zur Geltung kommen lassen, mit einem Wort, er ist entschlossen, nach allen Richtungen energisch vorzugehen und die große deutsche Frage mit Entschiedenheit anzufassen – auf die Gefahr hin, daß daraus der Bruch entstehe – und der Krieg,« setzte er leise mit einem halb unterdrückten Seufzer hinzu.

Die Herren von Meysenbug und von Biegeleben sahen sich mit dem Ausdruck lebhaftester Befriedigung an und warteten dann gespannt auf die weiteren Mitteilungen des Grafen Mensdorff.

»Ich habe übrigens nichts unterlassen,« fuhr dieser fort, »um Seine Majestät von solch' entscheidendem Entschluß und so folgenschwerer Politik abzubringen. Sie wissen, ich mache keinen Anspruch, viel von der Politik zu verstehen – darin muß ich mich auf Sie und Ihr besseres Wissen verlassen – aber ich bin Soldat – und wenn ich mich auch nicht für einen großen General halte, so versteh' ich doch vollkommen, was zu einer schlagfertigen Armee gehört. – Nun, meine Herren, die Politik, die wir jetzt machen wollen, führt zum Krieg – denn der Bismarck ist halt nicht der Mann, der sich etwas bieten läßt – zum Kriege aber gehört eine schlagfertige Armee, die dem Gegner gewachsen ist – und die haben wir nicht, ganz und gar nicht, nach meiner militärischen Ueberzeugung. Wohin soll uns das also führen?« Er hielt erschöpft und nachdenklich inne.

»Aber Eure Excellenz müssen die Dinge nicht zu schwarz ansehen,« sagte Herr von Meysenbug, »wir haben 800,000 Mann, wie das Kriegsministerium konstatirt, und –«

»Das Kriegsministerium,« fiel Graf Mensdorff lebhaft ein, »mag konstatiren was es will – ich bin praktischer Soldat und frage wenig nach den Akten des Kriegsministeriums – ich kenne aber die Armeeverhältnisse ganz gut, und wenn wir die Hälfte von Ihren 800,000 Mann marschiren lassen können – so will ich froh sein. – Und damit sollen wir auf zwei Kriegstheatern operiren,« fuhr er fort, »denn Sie werden es sehen, beim ersten Kanonenschuß fängt Italien an, – ich bin sogar überzeugt, daß da schon eine Allianz mit Preußen besteht –«

Herr von Biegeleben lächelte mit der Miene eines überlegenen Fachmannes, der einen Dilettanten sprechen hört, vor sich hin und bemerkte dann in geschäftsmäßig ehrerbietigem Tone: »Eure Excellenz darf ich daran erinnern, daß unsere Gesandtschaften in Berlin und Florenz auf das Bestimmteste einberichten, daß von einer preußischitalienischen Allianz keine Rede sei, ja daß die leichte Spannung wegen der Schwierigkeiten, die Preußen der Anerkennung Italiens gemacht, noch immer fortbestehe. – Uebrigens würde Italien nicht – wie mir heute noch der Herzog von Gramont sagte – die französische Vermittelung behufs der Abtretung von Venetien gegen volle Entschädigung so eifrig nachsuchen, wenn es eine preußische Allianz geschlossen hätte oder zu schließen im Begriff stände.«

»Ja, ja,« sagte Graf Mensdorff nachdenklich, »die Gesandtschaften berichten, daß keine preußisch-italienische Allianz da sei, ich weiß es wohl – und doch bin ich vom Gegentheil überzeugt – ich bin auch überzeugt, daß die ersten Fäden dieser Allianz in Paris zusammenlaufen, – ich habe ein Gefühl für so etwas – wenn es auch nicht in den Berichten der Akten steht –«

»Aber,« warf Herr von Meysenbug ein, »der Herzog von Gramont würde doch nicht –«

»Gramont!« unterbrach ihn Graf Mensdorff lebhafter als bisher, – »und glauben Sie denn, daß Gramont weiß, was in Paris vorgeht? Glauben Sie, daß der Kaiser Napoleon das letzte Wort seiner labyrinthischen Politik in offiziellen Expeditionen an Gramont schreiben lassen wird? – Gramont weiß, was er sagen soll – und,« fügte er leiser und langsamer hinzu, – »er soll gewiß nichts sagen, was den Krieg verhindern könnte, denn dieser Krieg paßt zu sehr in die französischen Interessen; die preußisch-österreichische Waffenbrüderschaft in Holstein hat in Paris große Furcht erregt, darum soll Deutschland in blutigem Riß auseinanderklaffen, – wer in diesem Kriege geschlagen wird, in dem wird Deutschland besiegt, und wer da siegt – soll für Frankreich siegen!«

»Eure Excellenz sehen aber in der That Schwarz in Schwarz,« sagte Herr von Meysenbug mit leichtem Lächeln, – »im Gegentheil, ich hoffe, daß der Sieg der österreichischen Waffen Deutschlands Einigkeit unter der kaiserlichen Fahne wieder herstellen wird – und wenn Italien sich rührt, so werden wir diesem wüsten Königreich, das Kirche und Staatsordnung mit Vernichtung bedroht, ein schnelles Ende machen!«

»Wollte Gott, ich könnte Ihren Glauben theilen,« sagte Graf Mensdorff trübe, »allein ich kann an den Sieg der österreichischen Waffen nicht glauben, und wenn Benedek die Armee und ihre Verhältnisse kennen wird, wie ich sie kenne, so wird er dasselbe sagen. – Ich habe das auch dem Kaiser Alles gesagt,« fügte er noch leiser hinzu, »und habe gebeten, mir dieß Ministerium abzunehmen, das mir die Verantwortung für eine Politik auflegt, die schweren Katastrophen zuführt.«

»Aber Excellenz!« riefen die Herren von Meysenbug und Biegeleben erschreckt.

»Nein, nein,« sagte Graf Mensdorff mit mattem Lächeln, – »ich gehe noch nicht, Seine Majestät hat mir befohlen, auf dem Posten zu bleiben, und als Soldat bleibe ich, – als Soldat,« wiederholte er mit Betonung, »denn wäre ich ein politischer Minister der modernen Schule, so bliebe ich nicht, – so aber – nun die Ordre ist gegeben, jetzt also heißt es vorwärts. – Wie also können wir es machen, daß die Sache zur Entscheidung, zum Entweder, Oder kommt? – denn wenn einmal gehandelt werden soll, so bin ich für baldiges Handeln, jeder Tag gibt unseren Gegnern neue Stärke.«

»Das Mittel ist einfach,« sagte Herr von Biegeleben, indem er sich noch gerader auf seinem Stuhl aufsetzte und die rechte Hand in dozirender Bewegung erhob, – »die holsteinischen Stände wünschen dringend einberufen zu werden, um sich über die Lage des Landes und die Erbfolge auszusprechen – rufen wir sie zusammen; das durchkreuzt alle Absichten Preußens und zwingt die Herren in Berlin, Farbe zu bekennen; zugleich aber erhalten wir dadurch eine gewaltige Stütze in der Sympathie der Herzogthümer und der großdeutschen Partei in Deutschland.«

»Aber wir sind nur ein Kondominus in den Herzogtümern,« warf Graf Mensdorff ein, »die Souveränetätsrechte üben wir nach dem Gast einer Vertrag nur mit Preußen gemeinschaftlich aus –«

»Gerade dieser Punkt, – erlauben Eure Excellenz.« unterbrach ihn Herr von Biegeleben, »führt den Konflikt herbei, und kommt er, so tritt er für uns unter den günstigsten Bedingungen ein, für eine volkstümliche Sache.«

»Nun, mir scheint es nicht ganz recht,« sagte Graf Mensdorff, »und auf die Sympathieen der Bierhausredner in den Herzogtümern und in Deutschland, auf die Sänger und Turner gebe ich sehr wenig – lieber hätte ich eine Armee wie die preußische, – aber seien Sie so gut, mir ein kleines Memoire darüber zu machen mit der Instruktion an Gablenz, damit ich es Seiner Majestät vorlegen kann.«

Herr von Biegeleben verneigte sich im rechten Winkel und über Herrn von Meysenbug's Gesicht flog ein leichtes Lächeln der Befriedigung.

»Wie sieht es in Deutschland aus?« fragte Graf Mensdorff, »wie steht es in Sachsen? Ist man dort fertig?«

»Vollkommen,« erwiederte Herr von Biegeleben. »Herr von Beust ist sehr ungeduldig und hat eine Denkschrift gesendet, in welcher er die Notwendigkeit schnellen Handelns auseinandersetzt. Auch er hält die Einberufung der holsteinischen Stände für das beste Mittel, Licht und Klarheit in die Situation zu bringen. Die Stimmung der Bevölkerung in Sachsen ist vortrefflich. Wollen Eure Excellenz die Note des Herrn von Beust lesen?«

Er öffnete das Portefeuille, das er vor sich auf den Tisch gelegt hatte.

Graf Mensdorff wehrte mit der Hand ab.

»Wo der Beust nur die Zeit hernimmt, das Alles zu schreiben!« sagte er mit mattem Lächeln und einem leisen Seufzer. – »Wie steht es mit Hannover?« fuhr er dann fort, »haben wir dort Hoffnung?«

»So eben ist der Kurier mit dem Bericht des Grafen Ingelheim angekommen,« erwiederte Herr von Biegeleben, indem er aus seiner Mappe eine Depesche nahm und sie leicht durchblätterte, – »er ist zufrieden. Graf Platen ist von Berlin zurückgekommen und hat versichert, daß alle dort gemachten Versuche, ihn zu gewinnen und die hannöverische Politik nach Preußen herüberzuziehen, vergeblich gewesen seien. Er habe nichts versprochen und hat dem Grafen Ingelheim gesagt, er hoffe, man werde in Wien seine Gesinnungen kennen.«

»Ja wohl kenne ich ihn,« sagte Graf Mensdorff halb für sich mit leichtem Achselzucken. – »Und der König Georg?« fragte er dann.

»Der König,« erwiederte Herr von Biegeleben, »will von Krieg nichts wissen, er betont jedesmal, das gute Einvernehmen zwischen Oesterreich und Preußen sei Deutschlands Heil – indeß, wenn es zum Bruch kommt, so wird der König gewiß auf unserer Seite stehen.«

»Das scheint mir nicht sicher,« sagte Graf Mensdorff, »der König Georg ist, wie ich ihn beurtheile, deutsch und welfisch, – aber nicht österreichisch. Auch sollen die Traditionen des siebenjährigen Krieges in ihm lebendig sein.« –

»Es ist richtig,« nahm jetzt Herr von Meysenbug das Wort, »daß der König von Hannover nicht österreichisch gesinnt ist, und doch glaube ich, ist er uns sicher, trotzdem mächtige preußische Einflüsse ihn umlagern. Man muß zunächst versuchen, ihm etwas zu bieten, das seinen Ideen entspricht; der König träumt von der Größe Heinrich's des Löwen – Graf Ingelheim weiß durch den Doktor Klopp, daß er sich viel mit der Geschichte seines großen unglücklichen Vorfahren beschäftigt –«

»Doktor Klopp? Was ist das?« fragte Graf Mensdorff mit leichtem nervösem Gähnen.

»Ein früherer Lehrer, der im Jahre 1848 sich als Demokrat und Vertheidiger der Reichsverfassung schwer kompromittirte, jetzt aber konvertirt ist.«

»Zu unserer Kirche?« fragte Graf Mensdorff.

»Das – nicht« – erwiederte Herr von Meysenbug nach leichtem Zögern – »aber zu unseren Gesinnungen und Interessen. Er zeigt große Gewandtheit für historische Darstellungen in unserem Interesse und man hat ihm einen gewissen Ruf gegeben, so daß ihm die Herausgabe der Leibnitziana übertragen ist. Er sieht Graf Platen viel und ist uns sehr nützlich.«

»So so,« sagte Graf Mensdorff lächelnd, »das ist wohl Ihre Privatdomäne, lieber Meysenbug?«

»Ich interessire mich allerdings sehr für den strebsamen Schriftsteller,« erwiederte Herr von Meysenbug ruhig, »den übrigens Graf Ingelheim ganz besonders in Hannover protegirt.«

»Nun – und die Anerbietungen an den König Georg?« fragte Graf Mensdorff.

»Meine Meinung ist,« sagte Herr von Meysenbug, »daß man für das hannöverische Bündniß das preußische Westphalen und Holstein bei günstigem Ausgang des Krieges bietet. Wir schafften dadurch eine stärkere und widerstandsfähigere Position im Norden, und das so verstärkte Hannover würde demnächst nie mit Preußen in freundliche Beziehungen kommen können, sondern ganz auf uns angewiesen sein.«

»Die Verkeilung des Bärenfells, dessen Träger noch im Walde spazieren geht,« sagte Graf Mensdorff, – »nun, machen Sie mir darüber ein Memoire, ich werde es dann dem Kaiser vorlegen. Ich zweifle aber, daß der König von Hannover für diese Anerbietungen sich und sein Land in so große Gefahr bringen wird.«

»Wir müssen ihm auch die Mittel bieten, dieser Gefahr zu begegnen. Wir haben die Brigade Kalik dort oben, stellen wir ihm diese zur Disposition und den Feldmarschalllieutenant von Gablenz dazu als General.«

»Unsere besten Soldaten,« warf Graf Mensdorff ein, – »doch er steht ja dort auf sehr wichtigem Posten, – wenn aber der König Georg das Alles nicht annimmt?«

»Dann,« sagte Herr von Meysenbug – »werden die Verhältnisse das Ihrige thun. Die Unsicherheit des Grafen Platen, der nach keiner Seite einen entschiedenen Schritt thun will, wird Mißverständnisse und Mißtrauen schaffen und schließlich eine Situation herbeiführen, welche Preußen zwingen muß, Hannover zu brüskiren, dann wird der Stolz des Königs aufwallen und bedeutende preußische Kräfte werden im Norden absorbirt werden, ohne daß wir« – fügte Herr von Meysenbug lächelnd hinzu – »vertragsmäßige Pflichten gegen Hannover haben. – Man gibt sich übrigens von Berlin aus unendliche Mühe um Hannover,« fuhr er fort, »und Hai sogar, als Graf Platen in Berlin war, eine Familienverbindung vorgeschlagen –«

»So?« fragte Graf Mensdorff aufmerksam, »welche denn?«

Herr von Meysenbug nahm aus seinem Portefeuille einen Brief und reichte ihn dem Minister, indem er mit dem Finger eine Stelle desselben bezeichnete.

»Graf Platen hat dem Grafen Ingelheim erklärt, er könne sich darauf verlassen, daß nichts aus der Sache werden würde,« sagte er mit kurzem Händereiben, während der Minister las, »und in Berlin ist der uns ganz ergebene Stockhausen, der jede Verständigung zu verhindern wissen wird.«

»Nun also, meine Herren,« sagte Graf Mensdorff, indem er aufstand und das Papier dem Herrn von Meysenbug zurückreichte, »Sie kennen nun die Intentionen Seiner Majestät, machen Sie sich an's Werk. – Ich sehe Sie doch noch drüben bei der Gräfin?«

Beide Herren verneigten sich und verließen das Kabinet.

Graf Mensdorff blieb einen Augenblick zusammengesunken in seinem Lehnstuhl sitzen. Finsterer Ernst lag auf seinen Zügen, und der Blick seines Auges, losgelöst von den Umgebungen, schien sich in weite Fernen zu verlieren.

Dann erhob er langsam das Haupt und blickte in dem großen, halbdunkeln Kabinet umher:

»O ihr großen Männer, die ihr hier in diesen Räumen über Oesterreichs Größe wachtet – könntet ihr an meiner Stelle sein. Meine Hand wäre gerne bereit, den Degen zu führen für mein Vaterland – aber das Schiff des Staats zu steuern in diesem klippenvollen Meer, dazu ist sie nicht gemacht. – Ich sehe einen Abgrund vor mir, an dessen Rand Oesterreich, mein liebes Oesterreich steht, – ich kann es nicht zurückhalten – und kann auch nicht meinen Platz verlassen, der mir die ganze Verantwortung auflegt. Ich muß auf dem Posten ausharren, weil ich Soldat bin, und kann doch nicht als Soldat handeln.«

Wieder versank er in tiefe Gedanken.

Da ertönte ein leises Klopfen an der innern Thür des Kabinets und fast unmittelbar darauf traten zwei Knaben von acht und fünf Jahren ein, zuerst schüchtern und vorsichtig; als sie aber den Grafen allein sahen, eilten sie freudig auf ihn zu und stellten sich an seinen Lehnstuhl.

Graf Mensdorff erwachte aus seiner Träumerei, – seine Züge klärten sich auf und er legte lächelnd seine Arme um die beiden Knaben.

»Wir haben Dich heute noch nicht gesehen, Papa,« sagte der Jüngere, »und da haben wir gewartet, um Dir gute Nacht zu sagen. Schlaf' wohl, lieber Papa, – wir müssen gleich zu Bett und sind auch schon recht müde.«

Graf Mensdorff streichelte leicht das Haar des Kindes und drückte, indem er beide Knaben näher an sich heranzog, einen Kuß auf ihre reinen weißen Stirnen.

»Gute Nacht, meine Kinder,« sagte er dann herzlich, – »ich danke euch, daß ihr auf mich gewartet habt – hoffentlich seid ihr den ganzen Tag artig und fleißig gewesen?«

»Ja wohl, Papa,« riefen beide Kinder mit stolzer Sicherheit, »wir hätten sonst nicht die Erlaubniß erhalten, aufzubleiben und Dich noch zu sehen!«

Des Ministers Auge, vorher so düster, leuchtete freundlich und milde, und wer ihn so dasitzen gesehen hätte, den Mann mit den weichen Zügen und dem lächelnden Blick, – die beiden Kinder im Arm, – der hätte schwerlich geglaubt, daß dies der Mann sei, der ein großes Weltreich in seiner entscheidendsten Krisis zu leiten habe und der Deutschland seiner gewaltigsten und blutigsten Katastrophe entgegenführte.

»Schlaft wohl, meine Kinder,« sagte Graf Mensdorff – »Gott segne euch!« Er küßte sie nochmals und machte über dem Haupt eines jeden das Zeichen des Kreuzes.

Freundlich blickte er ihnen nach, als sie sein Kabinet verließen, – dann wurde sein Auge wieder trübe. – »Sie sind glücklich« – flüsterte er, – »ihnen raubt noch keine Sorge den Schlaf.«

Er erhob sich und klingelte.

Sein Kammerdiener trat ein.

»Ist die Gesellschaft bei der Gräfin groß?«

»Es ist der kleine Empfangstag,« – antwortete der Kammerdiener, »aber die Gesellschaft ist sehr zahlreich.«

Graf Mensdorff seufzte, warf einen kurzen Blick in den Spiegel und verließ das Kabinet, um sich in die Salons seiner Gemahlin zu begeben.

Dort war die Gesellschaft inzwischen noch zahlreicher geworden und wogte in lebhafter Bewegung durcheinander. Die Diplomaten hatten ihre Neuigkeiten ausgetauscht oder sich vergewissert, daß es nichts zu erfahren gäbe, und sich den geselligeren Gruppen angeschlossen, um in leichtem Geplauder die Zeit bis zur Rückkehr des Ministers auszufüllen; die jüngeren Herren umflatterten die jungen Damen und man sah den Lieutenant von Stielow in lebhaftem Gespräch mit einer jungen Dame von auffallender und äußerst distinguirter Schönheit.

Diese junge Dame, die einzige Tochter der verwittweten Gräfin Frankenstein, war dieselbe, welche der Feldmarschalllieutenant von Reischach vorhin als den Gegenstand der Aufmerksamkeit des Lieutenants von Stielow im Burgtheater bezeichnet hatte, und in der That schien der junge Offizier mit ganz besonderem Eifer in das anscheinend leichte Salongespräch vertieft zu sein, denn er sah mit mehr als gewöhnlicher Teilnahme zu der jungen Dame herab, die, auf die Seitenlehne ihres Fauteuils gestützt, den Blick ihres großen braunen Auges zu ihm aufgeschlagen hatte, während ihre Hand leicht mit dem Fächer von weißen Federn spielte, der in seiner Einfachheit mit ihrer ganz weißen, mit kleinen Veilchenbouquets garnirten Toilette harmonirte.

»Es bleibt also dabei, Comtesse,« sagte Herr von Stielow, »wenn Sie mit Ihrer Frau Mama nach der Schweiz gehen, so nehmen Sie mich als Reisebegleiter an – ich kenne alle schönen Punkte und werde Sie vortrefflich führen.«

»Ich habe über unsere Reisebegleitung nicht zu bestimmen, Herr von Stielow,« erwiederte die junge Dame, – »aber ich zweifle nicht, daß es meiner Mutter sehr angenehm sein wird, wenn wir Sie in der Schweiz treffen und Sie so freundlich sein wollen, uns zu führen.«

»Das ist eine unendlich höfliche Antwort, meine Gnädigste« – sagte der Lieutenant etwas mißmuthig – »aber mir etwas zu höflich. Ich weiß wohl ganz gewiß, daß die Frau Gräfin mich höflich willkommen heißen wird, wenn sie mir begegnet, und mich auch nicht abweisen wird, wenn ich um die Erlaubniß bitte, eine Tour durch die Berge mit Ihnen zu machen, – aber –«

»Nun,« unterbrach ihn die junge Dame mit feinem, schalkhaftem Lächeln, »dann ist ja unser Reiseplan fertig und Alles in Ordnung – oder wollten Sie etwa eine unhöfliche Antwort? – das können Sie doch nicht von mir erwarten.«

»Sie sind nicht freundlich, Gräfin,« antwortete Herr von Stielow, indem er sich auf die Lippe biß und einen vergeblichen Versuch machte, den kleinen Schnurrbart mit den Zähnen zu fassen, – »Sie wissen ganz gut, daß ich keine höfliche Redensart machen will, sondern daß ich eine ernsthafte Frage stellte. Ich möchte um keinen Preis zudringlich sein und es nur der Höflichkeit Ihrer Frau Mutter verdanken, daß ich nicht fortgeschickt werde. – Sehen Sie,« fuhr er nach einem Augenblick freier und wärmer fort, – »ich verspreche mir sehr viel Freude von unserer Reise, – ich liebe die weite freie Natur und die reine Luft der Berge – und ich glaube, daß auch Sie in der Freiheit jener schönen Thäler und Höhen reichen Genuß finden werden, denn Sie haben Verständniß dafür und müssen sich dort wohler fühlen als hier – im Hauch der Grüfte, wie der Dichter sagt –«

Die junge Dame hatte ihm zugehört, indem ihr Auge immer wärmer und inniger zu ihm empor leuchtete, dann hatte sie plötzlich den Blick gesenkt und unterbrach ihn jetzt mit neckischem Ton, der aber durch das sanfte Lächeln gemildert wurde, das ihre Lippen umspielte: »Und woher wissen Sie, daß ich mich in diesem Grabeshauch der Stadt nicht ganz in meinem Element fühle?«

»Das weiß ich, Comtesse Clara,« sagte der junge Offizier lebhaft, »und weil ich das weiß, möchte ich gern Ihr Führer sein und das große Gedicht der schönen Natur mit Ihnen lesen – aber nur wenn Sie es ernstlich wollen und mich wirklich gern mitnehmen –«

»Wir machen da Pläne für den Sommer,« unterbrach sie ihn abermals, »und die ganze Welt spricht von Krieg, – wer weiß,« fuhr sie fort, und ein Schatten lagerte sich über ihre Stirn, – »ob nicht alle Pläne zu Wasser werden – oder in Flammen aufgehen! –«

»Mein Gott,« rief Herr von Stielow, »wenn der Krieg kommt, so ist natürlich Alles anders – aber das hindert uns doch nicht, Pläne zu machen für den Fall, daß es ruhig bleibt. – Also –«

»Da kommt Graf Mensdorff,« sagte die junge Dame, indem sie aufstand, »vielleicht wird man etwas Neues hören – und meine Mama winkt mir, verzeihen Sie, wenn ich Sie verlasse, Herr von Stielow, – wir werden Sie ja wohl in diesen Tagen sehen, – dann werden Sie mir erzählen, ob Sie etwas über Krieg und Frieden gehört haben und ob unsere idyllischen Reisepläne Chancen haben oder nicht –«

»Also wollen Sie mich mitnehmen?« fragte er lebhaft, – »aber ich bitte um keine höfliche, sondern um eine freundliche und aufrichtige Antwort.«

Sie sah ihn einen Augenblick fest an und sagte dann, indem eine leichte Röthe das zarte Kolorit ihres Gesichtes erhöhte: »Ja – wenn Ihnen diese stille Reise pikant genug ist – und Sie Wien vergessen können.«

Und mit leichtem, elastischem Schritt schwebte sie über das Parket nach der andern Seite des Salons hinüber, wo ihre Mutier im Kreise einiger Damen stand.

Herr von Stielow sah ihr einen Augenblick betroffen nach und mischte sich dann unter die übrigen Gruppen.

Graf Mensdorff war in der Gesellschaft erschienen und hatte sich zunächst eine Zeitlang in dem Kreise aufgehalten, der sich um seine Gemahlin gebildet.

Die Diplomaten waren unruhig geworden und begannen mit mehr oder weniger höflich versteckter Unaufmerksamkeit sich von den gleichgültigen Gesprächen loszumachen, in welche sie engagirt waren.

Endlich trat der Minister allein in den zweiten Salon. Man sah den Herzog von Gramont in seiner freien und leichten Haltung ihm entgegentreten und ihn herzlich begrüßen.

Die beiden Persönlichkeiten waren der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit – Niemand aber näherte sich, um ihr eifriges Gespräch zu stören, das etwa zehn Minuten dauerte.

Als Graf Mensdorff den Herzog verließ, stand er bei seiner Wendung dem Herrn von Werther gegenüber.

Er begrüßte ihn mit vollkommenster Höflichkeit und abermals richtete sich die Aufmerksamkeit der spähenden Seitenblicke aus allen Theilen des Saales auf diese Gruppe.

Dieselbe löste sich nach zwei Minuten.

Graf Mensdorff verließ mit tiefer Verneigung den preußischen Gesandten und ging mit lebhaften Schritten durch den Salon auf den General von Knesebeck zu, nahm dessen Arm und führte ihn etwas abseits von den Gruppen zu einem lebhaften und kordialen Gespräch.

Der Herzog von Gramont hatte sich wieder unter die Gesellschaft gemischt. Die Herren von Meysenbug und von Biegeleben waren erschienen und wurden von den Diplomaten zweiten Ranges umgeben.

Nach einer Viertelstunde fühlte man, daß eine Atmosphäre voll Eiseskälte den Baron Werther umgab, der Faden eines jeden Gesprächs, das er hier oder dort begann, fiel nach einigen Phrasen voll Höflichkeit zu Boden und nur mit großer Gewandtheit konnte er den Eindruck seiner Isolirtheit verbergen, bis die vorrückende Zeit ihm erlaubte, sich zurückzuziehen.

Allmälig leerten sich die Salons des Palais am Ballplatze.

Der Lieutenant von Stielow stieg die großen Treppen hinab und fand seinen Fiaker auf der bestimmten Stelle am Burgplatze.

Herr von Stielow gab dem Kutscher eine Adresse, stieg ein und hüllte sich in seinen weißen Mantel.

»Was hat sie sagen wollen mit der Bemerkung über das Vergessen von Wien, – sollte sie wissen? – Nun, ganz Wien weiß ja, was ich thue, und ich verberge mein Leben nicht! – Wenn sie es wollte, würde ich alle Thorheiten abwerfen – aber will sie es? –«

Er versank in Nachdenken.

»Sie wird es wollen,« rief er nach einer Weile – »und dann wird mein Lebenslauf dem reinen Stern folgen, – fort dann mit allen Irrlichtern, – die aber doch sehr reizend sind!« – setzte er flüsternd hinzu.

Der Wagen hielt vor einem großen Hause auf dem Ringe.

Herr von Stielow verabschiedete den Kutscher, grüßte den Hausmeister mit bekannter Miene und stieg zwei Treppen hinauf. Auf sein Läuten öffnete eine hübsche Kammerjungfer die Glasthüre des Vorsaals.

Der junge Offizier warf seinen Mantel ab und trat in einen sehr eleganten, dunkelblau möblirten Salon, vor dessen Kamin ein geschmackvoll arrangirter Theetisch von einer mächtigen Carcellampe beleuchtet wurde.

Auf einer Chaise longue an der Seite des Kamins lag eine schlanke junge Frau in weißem Negligé.

Ihr blasses Gesicht vom edelsten griechischen Schnitt war theils von dem weichen Licht der Lampe, theils von der rothen Glut des Kamins beleuchtet, und ihre Augen, deren tiefes Schwarz noch die Ebenholzfarbe des glänzenden, glatt gescheitelten Haares überbot, schimmerten bald in weicher, süßer Träumerei, bald funkelten sie in scharfen, blitzenden Strahlen auf.

Ihre weißen, mehr mageren als vollen Arme, von den weiten Aermeln nur halb bedeckt, ruhten in ihrem Schooße, und die schlanken Finger spielten mit einer Quaste ihres Gürtels.

Die ganze Erscheinung war von wunderbarer Schönheit, deren dämonischer Eindruck durch die wechselnden Lichtreflexe erhöht wurde, welche über das Gesicht und die ganze Gestalt hinspielten.

Bei dem Eintritt des jungen Mannes sprang sie auf und aus ihrem Auge leuchtete ein Blitz, von dem man schwer hätte sagen können, ob in seiner Glut mehr Liebe, Stolz oder Triumph flammte.

So mußte Kleopatra ausgesehen haben, als Antonius zu ihr trat.

Sie flog dem Offizier entgegen und schlang die Arme um ihn, während ihr Blick sich mit heißer Glut in seine Augen tauchte.

»Kommst Du endlich, mein süßer Freund?« flüsterte sie, »Du hast mich lange warten lassen!«

Auf dem Gesicht des jungen Mannes hatte bei seinem Eintritt, etwas wie Kälte gelegen, und in der Bewegung, mit welcher er seinen Arm um ihre Schulter legte, war vielleicht etwas mehr Höflichkeit als Zärtlichkeit gewesen.

Fühlte dieß die junge Frau?

Ihr Blick wurde noch tiefer und glühender, ihre Arme rankten sich noch fester um den Hals des Offiziers und durch ihren schlanken Körper zitterte ein leises Beben.

Ein magnetischer Strom schien von ihr auszugehen und ihren Geliebten zu durchdringen. Er führte sie sanft zu der Chaise longue, kniete vor ihr nieder und küßte ihre linke, herabhängende Hand, während sie mit der Rechten seine Haare von der Stirne strich.

Der Stern verhüllte sich in Wolken, das Irrlicht schimmerte in farbenleuchtender Glut.


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