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Sechzehntes Kapitel.

Während im Norden Deutschlands sich die Katastrophe vollzog, welche dem welfischen Hause so verhängnißvoll werden sollte, erwartete man in Wien noch Alles von der Entscheidung der Waffen, die man in Böhmen von einem Tage zum andern voraussah. Die österreichischen Waffen waren in Italien, jenem Studienfelde der österreichischen Generalstabsoffiziere, siegreich gewesen, die Schlacht von Custozza war gewonnen und neue Zuversicht erfüllte die Wiener auf den Sieg in Deutschland.

Die Wiener hatten ihr Vertrauen auf den Feldzeugmeister Benedek, den Mann des Volkes, gesetzt und sie erwarteten in ihrer leichten, sanguinischen Art von ihm jeden Erfolg; – verschwunden waren bei den Meisten jene ängstlichen Zweifel, welche sie noch vor Kurzem in Unruhe versetzt hatten, – die Waffen Oesterreichs waren ja in Italien siegreich gewesen, – das Glück wendete seine Gunst dem Kaiserstaat zu – und mit Spannung, aber freudiger Zuversicht sah man den Nachrichten aus Böhmen entgegen; man erwartete mit Bestimmtheit einen großen Sieg.

Anders freilich und nicht so zuversichtlich sah es in der Staatskanzlei am Ballhausplatz und in der Hofburg aus.

Graf Mensdorff war trübe und niedergeschlagen; die Nachrichten aus Italien hatten seine düsteren Befürchtungen nicht beseitigen können und nur mit mattem Lächeln hatte er die Glückwünsche wegen des Sieges von Custozza beantwortet. Der Kaiser schwebte zwischen Furcht und freudiger Hoffnung: die Erfolge in Italien ließen in seinem Herzen die hohen und stolzen Erinnerungen von Novara wieder anklingen und eine weite, glänzende Aussicht öffnete sich vor seinem Blick. Aber wenn die Zweifel, die Mahnungen des Feldzeugmeisters Benedek an ihn herantraten, dieses einfachen Generals, der sich wenig mit strategischen Operationen abgegeben hatte, der es nur verstand, die Truppen gegen den Feind zu führen und zu schlagen, der aber fortwährend behauptete, mit diesen Truppen, in der Verfassung, in welcher er sie gefunden, den Feind nicht schlagen zu können, – dann trat eine tiefe Bangigkeit an sein Herz heran und in schwerer Sorge sah er der Zukunft entgegen.

Während so ganz Wien in fieberhafter Unruhe und Bewegung war, während Jeder wünschte, der Zeit Flügel zu verleihen, um die Entscheidung der Zukunft näher zu rücken, lag Frau Antonie Balzer in ihrem stillen Boudoir auf dem schwellenden Sopha. Die Vorhänge waren geschlossen trotz der großen Hitze und eine schwüle Dämmerung herrschte in dem von den verschiedenartigen geheimnißvollen Parfüms durchdufteten Raum, jenen Parfüms, welche die Wohnung einer eleganten und schönen Frau erfüllen und von denen man nicht weiß, was sie enthalten, welche aber wie ein unsichtbares Fluidum die Luft mit magnetischem, sympathischen Reiz durchströmen.

Die junge Frau lag da, schlaff ausgestreckt, und in ihren Zügen sah man weder die liebevolle Hingebung, mit welcher sie Herrn von Stielow empfangen hatte, noch jene eisige und stolze Kälte, welche sie ihrem Gatten entgegenzusetzen pflegte.

Düster starrten ihre großen Augen in's Leere und ein Ausdruck von abgespannter, trauriger Müdigkeit lag auf ihren Zügen.

Eine Menge verschlossener Briefe und Telegramme lag auf einem kleinen Tische neben ihr.

Ihre perlmutterweißen Hände spielten nachlässig mit einem kleinen Bologneserhündchen, welches zusammengekauert in ihrem Schooße lag.

»Ich habe mich für stark gehalten,« flüsterte sie vor sich hin, – »und doch – kann ich ihn nicht vergessen!« –

Sie sprang auf, legte den kleinen Hund auf ein Kissen und ging langsam im Zimmer auf und ab.

»Welch' eine wunderbare Organisation ist doch die menschliche Natur!« rief sie leidenschaftlich und zornig. »Ich habe geglaubt stark zu sein, – ich habe mir vorgenommen zu herrschen, hinaufzusteigen auf dieser bunten Leiter des Lebens, ohne mich aufhalten zu lassen durch die Rücksichten und Gefühle der gewöhnlichen Welt, – und nun, da die erste Sprosse der Leiter sich meinem Fuße bietet, blicke ich rückwärts, – mein Herz weint, ich bin krank vor Liebe und Sehnsucht, – wie eine kleine Nähmamsell,« stieß sie mit zornigem Ausdruck hervor, indem ihr niedlicher Fuß heftig auf den weichen Teppich trat.

Sie starrte vor sich hin.

»Und warum?« sprach sie sinnend, – »warum kann mein Herz den nicht vergessen, der sich so schnöde von mir gewendet, der mich so verächtlich aufgegeben? – Dieser Graf Rivero, – er bietet mir, was ich ersehnte, er ist ein Mann, der auf den Höhen der Welt steht und der mit mächtiger Hand in die Fäden greift, welche das Schicksal der Menschen lenken, – warum liebe ich ihn nicht? – ich könnte glücklich sein! – Und Jener,« fuhr sie fort, indem ihr Auge sich mit feuchtem Schimmer überzog und ihre Arme sich leicht erhoben, – »Jener, nach dem alle Schläge meines Herzens verlangen, den ich zurückrufe in den einsamen Stunden der Nacht, den meine Arme suchen in der leeren Luft, – wer ist er? – ein Kind, – ein Geist, der weit unter mir steht, – und doch – o er ist so schön, – so rein!« rief sie – die Hände wie nach einem Bilde ausstreckend, das sich ihrem innern Blick zeigte, – »ich liebe ihn, – ich bin Sklavin meiner Liebe!«

Und sie sank ermattet in einen weiten Fauteuil, das Gesicht mit den Händen bedeckend.

Längere Zeit saß sie so da, unbeweglich, und nur die heftigen Athemzüge, welche aus ihrer wogenden Brust hervordrangen, unterbrachen die tiefe Stille in dem halbdunkeln Gemach.

Dann sprang sie wieder auf. Blitzendes Feuer loderte in ihren Augen – der Medea gleich stand sie da mit zuckenden Lippen und mit heiserer Stimme rief sie:

»Sie aber, die ihn mir entrissen – könnte ich den Blitz der Vernichtung auf sie schleudern, – jene vornehme Dame, die von der Wiege an alles Glück des Lebens genossen, die im goldenen Schimmer die freundliche Welt um sich gesehen, – die Alles – Alles gehabt hat, was mir versagt war, – soll sie schwelgen in dieser Liebe, – die ich verloren?« –

Sie öffnete hastig ein kleines Kästchen von inkrustirtem Ebenholz und nahm daraus eine Photographie im Visitenkartenformat.

Lange betrachtete sie dieselbe mit glühenden Blicken.

»Welche einfachen, nichtssagenden Züge!« – rief sie, – »wie lauwarm, wie langweilig muß diese Liebe sein – kann sie ihn glücklich machen, ihn, der den glühenden Schlag meines Herzens gefühlt, – der in meinen Armen empfunden hat, was Liebe heißt?!«

Und mit krampfhaftem Griff drückte sie das Bild zusammen.

Die Glocke des Vorzimmers ließ sie aus ihrer starren Träumerei emporfahren, – rasch warf sie das zerknitterte Bild in das Kästchen zurück und zwang ihr Gesicht zu seinem gewöhnlichen kalten und ruhigen Ausdruck.

Unmittelbar hinter der meldenden Kammerjungfer trat der Graf Rivero in das Zimmer – in untadelhafter Eleganz wie immer, kalt, ruhig und freundlich, das Lächeln des Weltmannes auf den Lippen.

Mit leichtem, elastischem Schritt näherte er sich der jungen Frau und drückte seine Lippen leicht auf ihre Hand, – nicht mit der feurigen Inbrunst des Liebhabers, – auch nicht mit der achtungsvollen Ehrerbietung des vornehmen Mannes einer Dame der großen Welt gegenüber, – es lag in der Begrüßung des Grafen eine gewisse gleichgültige Vertraulichkeit, deren verletzender Eindruck nur durch die eigenthümliche Eleganz und Höflichkeit gemildert wurde, welche jede seiner Bewegungen auszeichnete.

Sie schien dieß zu empfinden und ein kalter, fast feindlicher Blick traf ihren Besucher.

»Wie haben Sie geschlafen, meine schöne Freundin,« sagte der Graf lächelnd, »wahrhaftig, man sollte nicht glauben, daß die ganze Welt in Sorge und fieberhafter Unruhe zittert, wenn man in dieß dunkle und stille Asyl tritt!«

»Es sind viele Briefe und Depeschen angekommen!« sagte sie ruhig, indem sie auf den kleinen Tisch neben ihrem Ruhebett deutete.

»Sind Sie sicher,« fragte der Graf, »daß diese starke Korrespondenz keine Aufmerksamkeit erregt?«

Sie lächelte kalt.

»Man ist hier gewöhnt, daß ich viele Briefe erhalte, und ich glaube nicht, daß man bei mir die Fäden ernster Angelegenheiten sucht.«

Der Graf trat an das Fenster und schob einen der geschlossenen Vorhänge zurück, so daß das volle Licht in das Zimmer fiel. Dann zog er den Tisch mit den Briefen an das Fenster und begann sie einen nach dem andern zu öffnen, während die junge Frau sich schweigend in einen Lehnstuhl sinken ließ.

Der Graf zog ein Portefeuille aus der Tasche, nahm daraus einige kleine Hefte, welche verschiedene Chiffres enthielten, und begann mit Hülfe derselben die Briefe zu entziffern.

Der Inhalt mußte ihn in hohem Grade befriedigen, denn ein Ausdruck leuchtender Genugthuung strahlte von seinem Gesicht und mit stolzem Blicke erhob er sich, nachdem er seine Lektüre beendet.

»Ich sehe das Werk sich seiner Vollendung nahen,« sprach er halb zu sich, halb zu Frau Balzer, – »bald wird der Bau der Lüge und Bosheit zertrümmert daliegen und die Wahrheit und das Recht werden wieder triumphiren!«

»Und was wird aus mir?« fragte die junge Frau, den Kopf leicht nach dem Grafen hinwendend.

Dieser trat zu ihr, setzte sich neben ihr Ruhebett und sprach mit vornehmer Höflichkeit, ihre Hand küssend, die sie ihm regungslos überließ:

»Sie haben an einem großen und ernsten Werke mitgewirkt, meine schöne Freundin, und haben demselben sogar sehr wesentliche Dienste geleistet, indem Sie die geheime Korrespondenz vermittelten und mir es möglich machten, den Schein des einfachen Weltmanns und Touristen zu bewahren, – ich verspreche Ihnen eine unabhängige und glänzende Stellung. Das Wie überlassen Sie mir, – ich hoffe, Sie trauen meinem Worte?«

Sie sah ihn mit einem scharfen Blick an und sprach:

»Ich zweifle nicht, daß Sie Ihre Versprechungen halten wollen und halten können.«

»Außerdem,« fuhr er fort, – »bleibt noch viel, viel zu thun übrig, wenn auch das nächste und erste Ziel erreicht ist, und ich denke Ihrem Geiste und Ihrer Thatkraft noch größere und reichere Gebiete zu öffnen, – wenn Sie ferner meine Verbündete bleiben wollen?« – »Ich will es,« antwortete sie, – dann hob ein tiefer Athemzug ihre Brust, ein flüchtiges Roth überzog ihre Wangen und indem ein zitterndes Feuer in ihrem Auge aufblitzte, fügte sie hinzu: – »ich habe einen Wunsch –«

»Sprechen Sie!« sagte er mit dem galanten Ton des Weltmannes, – »wenn es in meiner Macht steht, ihn zu erfüllen –«

»Ich glaube, daß es in Ihrer Macht steht – denn ich habe so viel Proben dieser Macht gesehen, daß ich großes Zutrauen zu derselben habe –«

»Nun?« fragte er, den Blick forschend auf sie gerichtet.

Sie schlug die Augen vor diesem Blicke nieder, legte die Fingerspitzen ihrer beiden Hände aneinander und sprach leise mit fast schüchternem Ton:

»Geben Sie mir Stielow wieder!« –

Ein lebhaftes Erstaunen, mit einem Schatten von Unmuth gemischt, malte sich in seinen Zügen.

»Diesen Wunsch hätte ich allerdings nicht erwartet,« sagte er, – »ich glaubte, Sie hätten diese Caprice vergessen! – Auch möchte die Erfüllung meine Kräfte übersteigen.«

»Das glaube ich nicht,« erwiederte sie und ihr Blick richtete sich wieder scharf und klar auf den Grafen, – »er ist ein Kind und Sie verstehen es, ernstere und reifere Menschen zu leiten –«

»Aber Sie vergessen,« sagte er, – »daß –«

»Daß er in einer schwärmerischen Anwandlung – im Verdruß – sich zu den Füßen einer jener faden, langweiligen Damen geworfen hat, welche im gothaischen Kalender den Platz suchen, wo sie ihr Herz unterbringen können!« rief sie, heftig aus ihrer liegenden Stellung emporfahrend, während ihr Auge Blitze schleuderte. – »Nein, das vergaß ich nicht, – aber gerade deßhalb will ich ihn wieder haben, – ich will Ihnen helfen in Allem,« fuhr sie langsamer fort, »ich will alle Kräfte meines Geistes und meines Willens aufbieten im Dienste Ihrer Pläne, – aber Etwas will ich auch für mich haben und deßhalb: geben Sie mir Stielow wieder!«

»Sie sollen ja,« sagte der Graf, »für sich haben, was Sie nur wünschen, – ich lege Ihnen keine Schranken auf für Ihre persönlichen kleinen Divertissements,« fügte er lächelnd hinzu, – »aber was wollen Sie mit diesem – Kinde – wie Sie selbst sagen? – steht Ihnen nicht Alles zu Gebote bei Ihrem Geist und – einem Blick dieser Augen?«

»Aber ich liebe ihn!« sagte sie leise.

Der Graf sah sie erstaunt an.

»Verzeihen Sie mir,« sagte er lächelnd, – »dieß Kind –«

»Weil er ein Kind ist,« rief sie lebhaft und ein Strom von Leidenschaft ergoß sich aus ihren großen, weit geöffneten Augen, – »weil er so rein ist, so gut – und so schön,« flüsterte sie, indem sich ihr Auge feucht verschleierte.

Der Graf blickte sie mit tiefem Ernst an.

»Wissen Sie aber,« sagte er, »daß eine Liebe, die über Sie herrscht – Ihnen die Fähigkeit nehmen wird, über Andere zu herrschen und – meine Alliirte zu sein?«

»Nein!« rief sie, »nein – sie wird mich stärken und erfrischen, – aber diese Sehnsucht im Herzen macht mich trübe und matt – o geben Sie ihn mir wieder – ich bekenne meine Schwäche, lassen Sie mich in diesem einen Punkt schwach sein, ich verspreche Ihnen, Sie sollen mich überall sonst stark und unerschütterlich finden!«

»Hätten Sie mir früher gesagt, was Sie mir jetzt sagen,« sprach er nachdenklich – »es wäre vielleicht möglich gewesen, – vielleicht, – jetzt aber – meine Macht reicht nicht so weit und – ich darf sie hier nicht gebrauchen – jener junge Mann soll kein Spiel Ihrer Laune sein,« sagte er ernst und bestimmt, – »streifen Sie diese Schwäche ab – seien Sie stark – und vergessen Sie diese Phantasie!«

Sie erhob sich kalt und ruhig.

»Sprechen wir nicht mehr davon!« sagte sie in gewöhnlichem Ton.

Der Graf sah sie mit forschendem Blick an.

»Also geben Sie mir Recht?« fragte er.

»Ich will diese Phantasie vergessen,« sagte sie, ohne daß irgend ein Zug ihres Gesichts sich bewegte.

Abermals ertönte die Glocke im Vorzimmer.

»Das ist Galotti!« rief der Graf und öffnete die Thüre des Boudoirs.

Ein mittelgroßer starker Mann mit vollem Gesicht trat ein. Sein dünnes Haar ließ eine hohe gewölbte Stirn vollständig frei, die hellen Augen blickten scharf und beobachtend umher und die vollen Lippen ließen auf lebhaftes Temperament und lebendige Beredsamkeit schließen.

»Es geht vortrefflich!« rief ihm der Graf entgegen, – »Alles ist bereit, um den großen Schlag zu wagen. Die sardinische Partei ist muthlos, desorganisirt unter dem Eindruck der österreichischen Siege und mit einem Schlage werden wir diese lächerliche Regierung zertrümmern, welche sich die italienische nennt.«

»Herrlich, herrlich!« rief der Eintretende, indem er dem Grafen Rivero leicht die Hand drückte und sich dann der Dame näherte, welche er mit allem Anstande der guten Gesellschaft begrüßte. – »Auch meine Nachrichten sind gut,« sagte er dann, – »man ist bereit im Palaste Farnese und der Graf von Montebello hat auf eine vertrauliche Anfrage ziemlich deutlich zu erkennen gegeben, daß er keinen Schritt thun werde, um zu verhindern, daß Italien sich konstituire, wie es der Frieden von Zürich vorgesehen habe.«

»Ich lasse die Herren hier,« sagte Frau Balzer – »im Salon werde ich ein Frühstück serviren lassen und zu Ihrer Disposition stehen, sobald Sie Ihre Unterhaltung beendet haben.« –

Graf Rivero küßte ihr artig die Hand, Signor Galotti verneigte sich und sie entfernte sich durch die Thür ihres Schlafzimmers.

»Der König wird nach Neapel gehen?« fragte der Graf, als sie hinausgegangen war.

»Auf den ersten Wink von hier aus,« erwiederte Galotti, »ein Korps von Briganten, aus ehemaligen Soldaten der neapolitanischen Garde gebildet, erwartet ihn an der Küste – die sardinischen Besatzungen sind überall schwach und beim ersten Signal wird überall das Volk aufstehen!«

»Und in Toskana?« fragte der Graf.

»Alles bereit – eine große Anzahl von Soldaten des Großherzogs sind des Winks gewärtig und die sardinische schwache Besatzung ist zum großen Theil gewonnen.«

»Glauben Sie also, daß der Moment gekommen ist, um die Lunte an das sorgfältig gefüllte Pulverfaß zu legen?« fragte der Graf.

»Ganz gewiß,« erwiederte Galotti, – »worauf sollten wir warten, die sardinische Armee ist vollständig demoralisirt nach der Schlacht von Custozza und wird vom Erzherzog Albrecht festgehalten, so daß man sie im Innern nicht verwenden kann. – Also schnelles Handeln thut Noth, – in wenigen Wochen kann Italien befreit sein von dem schweren Joche, welches das Recht zu Boden drückt, – Alles wartet mit Sehnsucht auf das Losungswort, dessen Ertheilung in Eure Hand gelegt ist.« –

Der Graf war sinnend an das Fenster getreten.

»So lange ist Alles vorbereitet, – so sorgsam überdacht,« sprach er, – »und doch, nun die Ausführung herantritt, nun das verhängnißvolle Wort: Werde! über die stillen Vorbereitungen das Leben der frischen That ergießen soll – nun möchte der Zweifel auftauchen, ob auch Alles wohl organisirt sei – doch gezögert kann nicht länger werden. – Wir müssen nach Rom, nach Neapel und nach Toskana das Losungswort senden,« sagte er, sich zu Galotti wendend – »hier sind die drei Adressen,« fuhr er fort und nahm aus seinem Portefeuille drei Karten, welche er aufmerksam überlas. »Der Text des Telegramms ist darunter verzeichnet – Namen wie Inhalt der Depeschen sind völlig gleichgültig; – sie werden nirgends Aufenthalt oder Beanstandung finden.«

Und fast zögernd reichte er die Karten Herrn Galotti.

Rasch trat Frau Balzer in das Boudoir.

»Wissen Sie, Graf Rivero,« rief sie lebhaft, »daß die Armee in Böhmen total geschlagen ist? Die Nachricht geht wie ein Lauffeuer durch Wien, meine Kammerjungfer hat sie im Hause gehört.«

Mit starrem Entsetzen sah der Graf sie an. Seine Augen erweiterten sich übermäßig, in nervöser Bewegung zuckten seine Lippen und in schneller Bewegung griff er nach seinem Hut.

»Es ist unmöglich!« rief Galotti – »General Gablenz hatte siegreiche Gefechte gehabt – eine große Entscheidung war nicht erwartet.«

»Wir müssen hören, was es gibt,« sagte der Graf fast tonlos – »es wäre entsetzlich, wenn die Nachricht wahr wäre –«

Er wollte hinaus eilen. Ein heftiger Glockenzug ertönte und fast unmittelbar darauf trat ein junger Mann in der Tracht eines Weltpriesters in das Zimmer.

»Gott sei gelobt, daß ich Sie finde, Graf Rivero,« rief er, – »es darf nichts geschehen, das Unglück ist ungeheuer, – Benedek ist total geschlagen, die ganze Armee in wilder Flucht und Auflösung.«

Der Graf stand stumm. Sein dunkles Auge richtete sich mit brennendem Ausdruck nach oben, tiefer Schmerz malte sich auf seinen Zügen.

»Wir müssen um so schneller und energischer handeln!« rief Galotti, – »wenn diese Nachricht nach Italien kommt, werden die Unsrigen erschreckt und verwirrt werden, die Feinde werden Muth bekommen und die Gleichgültigen werden Feinde werden.«

Und er streckte die Hand nach den Karten aus, welche der Graf noch immer hielt.

Dieser machte eine abwehrende Bewegung.

»Woher haben Sie Ihre Nachricht, Abbé Rosti?« fragte er ruhig.

»Sie ward soeben von der Hofburg auf die Nuntiatur gebracht,« erwiederte der Abbé, – »es ist leider kein Zweifel an ihrer völligen Richtigkeit.«

»Dann ist die Arbeit von Jahren verloren!« – sagte Graf Rivero ernst und traurig.

»Benützen wir den Moment!« rief Galotti, »handeln wir schnell, – mag dann in Deutschland geschehen, was da wolle, wir haben dann wenigstens Italien wiederhergestellt nach seinem alten Recht – und Oesterreich muß uns auch dankbar sein, wenn wir ihm für das verlorene Deutschland den Einfluß in Italien geben!«

»Nein,« sagte der Graf ruhig und kalt, – »wir dürfen uns jetzt in keine Aktion einlassen, bevor nicht die Situation vollständig klar ist. – Unsere ganze schlagfertige Macht in Italien ist wohl stark genug, um überall die piemontesische Herrschaft zu brechen, wenn die reguläre Armee von den siegreich vordringenden österreichischen Truppen festgehalten und successive zertrümmert wird, aber wir sind nicht im Stande, gegen diese piemontesische Armee irgend etwas zu thun, wenn sie frei wird, wir würden alle unsere Getreuen nutzlos opfern und würden eine Organisation zerstören, die wir mit Mühe hergestellt haben, die wir für die Zukunft nothwendig bedürfen und die wir niemals wieder schaffen könnten, wenn wir sie jetzt zertrümmern ließen.

– Und ich fürchte, daß die Armee Viktor Emanuel's frei wird – ich fürchte, daß man in Wien Italien aufgibt!«

»Italien aufgibt nach dem Sieg von Custozza?!« rief der Abbé Rosti, – »das ist unmöglich – wofür?«

»Für Deutschland – das man dennoch verlieren wird!«

»Aber mein Gott!« rief Galotti, »das hatte man vor dem Feldzuge gethan, wenn man es wollte, dann wäre man in Deutschland doppelt so stark gewesen, – aber jetzt –?«

»Mein lieber Freund!« sagte der Graf seufzend, – »erinnern Sie sich des Wortes Napoleon's I.: ›Oesterreich kommt immer zu spät – um ein Jahr, um eine Armee und um eine Idee‹?«

»Es will mir nicht in den Sinn,« rief Galotti lebhaft, »daß wir nun still sitzen sollen, nachdem Alles so wohl vorbereitet ist und wir den Erfolg schon fast in der Hand zu haben glaubten.«

»Ich verlange auch nicht, daß wir unbedingt still sitzen sollen,« sagte der Graf Rivero, – »still sitzen werden wir überhaupt niemals,« fuhr er mit leuchtendem Blicke fort, »wir werden vielleicht nun eine lange und mühsame Arbeit von Neuem beginnen müssen! – für jetzt dürfen wir nur nicht vorschnell handeln, Personen und die Sache kompromittiren und die Zukunft auf das Spiel setzen, bevor wir nicht vollkommen klar sehen. – Wissen Sie,« fragte er den Abbé, »wie der Kaiser die Nachricht aufgenommen hat und was er gethan?«

»Der Kaiser soll tief niedergeschmettert sein, – wie natürlich,« sagte der Abbé – »er hat sogleich den Grafen Mensdorff zur Armee geschickt, um sich vom Zustande derselben zu überzeugen. – Das ist Alles, was man bis jetzt wußte.«

»Mensdorff hat Recht behalten!« sagte Graf Rivero sinnend – und sich mit energischer Bewegung erhebend fügte er hinzu: »Noch einmal, meine Herren, – wir müssen klar sehen, bevor wir handeln, – und wir dürfen den Muth nicht sinken lassen, weil wir vielleicht neue jahrelange Mühe vor uns sehen. – Ich will vor Allem mir Klarheit verschaffen über die Gegenwart, – dann wollen wir über die Zukunft sprechen.«

Er näherte sich der Dame, welche theilnahmlos, den Blick vor sich hin gerichtet, dem Gespräch beigewohnt hatte, und sagte, indem er ihr die Hand küßte: »Auf Wiedersehen, chère amie!« – und etwas leiser fügte er hinzu – »vielleicht kommt bald der Augenblick, wo sich Ihnen ein größeres weites Feld öffnen wird für eine reiche Thätigkeit, die Sie alle kleinen Wünsche vergessen lassen wird!«

Ihr Auge erhob sich zu ihm in raschem Aufblick – sie antwortete nichts.

Die beiden andern Herren verabschiedeten sich und verließen mit dem Grafen das Zimmer.

Die junge Frau blieb allein.

Ein langer flammender Blick folgte den Fortgehenden.

»Du willst mich benützen für Deine Pläne,« rief sie, – »Du lockst mich mit der Hoffnung auf Freiheit und Herrschaft und willst mir eine vergoldete Dienstbarkeit bieten? – Du willst mir den Schlag des Herzens verbieten, weil er das Werkzeug vielleicht unbrauchbar machen könnte? – Ah,« fuhr sie fort, »Du täuschest Dich, Graf Rivero, Du täuschest Dich! Ich bedarf Deiner – aber ich will Deine Dienerin, – Deine Sklavin,« rief sie zähneknirschend, – »nicht sein! Wohlan denn, so beginne der Kampf zwischen uns,« – sagte sie entschlossen, »nicht der Kampf der Vernichtung, – der Kampf aber um den Preis der Herrschaft. Ich will versuchen, ob ich nicht auf Deinen stolzen Schultern mich emportragen lassen kann zu eigener Macht und Unabhängigkeit. – Unabhängigkeit!« sagte sie nach einem kurzen Stillschweigen seufzend, – »wie viel fehlt mir dazu, – – doch gehen wir langsam und vorsichtig vorwärts, – zunächst sei der Versuch gemacht, ob ich diesen Ungetreuen, an dem mein Herz hängt, nicht ohne meinen Herrn und Meister wiedergewinnen kann!«

Sie warf sich auf ihren Sopha und blickte sinnend vor sich hin.

»Aber mein Gott!« rief sie mit angstvoll starrem Blick, die zarte Hand an die Stirn drückend, – »ich will ihn wiedergewinnen und er ist da draußen vor dem Feinde, die große Schlacht ist geschlagen, – vielleicht liegt er schon todt auf dem blutigen Feld« – und ihre Augen blickten in das Leere, gleichsam als suchten sie das entsetzliche Bild, das in ihrem Innern sich bildete.

Dann lehnte sie sich zurück und ein finsterer Ausdruck überzog ihr Gesicht.

»Und wenn es wäre?« sprach sie dumpf – »vielleicht wäre mir besser und ich würde diesen brennenden Stachel los, den ich nicht aus meinem Herzen zu reißen vermag. Der Graf hat Recht, eine solche Liebe ist Schwäche, – und ich will nicht schwach sein! – Wäre er todt – vielleicht würde ich wieder stark werden – aber ihn lebend zu wissen – zu denken, daß er mir nicht mehr gehört, ihn in seiner Schönheit, seinem Reiz zu denken – wie er zu den Füßen einer Andern, – in ihren Armen –«

Sie sprang auf – wilde Glut loderte in ihren Blicken, wogend hob sich ihr Busen, ihre schönen Züge verzerrten sich in gewaltiger Aufregung.

»Nimmermehr, nimmermehr,« sprach sie leise mit zischender Stimme. »Wäre er todt, – ich könnte ihn vergessen – aber jenes Bild wird mich überall verfolgen, meinen Geist verdunkeln und mein Leben vergiften – vergiften,« wiederholte sie und es zuckte wie ein fahler Blitz über ihre Züge – langsam in mechanischer Bewegung ließ sie sich auf den Sopha sinken. »Wie leicht war es in vergangenen Tagen,« flüsterten ihre Lippen, – »die Feinde zu vernichten! – Heute –« und abermals starrte sie vor sich hin. – »Aber ist es denn nöthig, mit chemischen Mitteln den Körper zu zerstören, um Hindernisse zu besiegen?«

Ein dämonisches Lächeln spielte um ihren schönen Mund, ein elektrisches Feuer leuchtete aus ihren Augen.

Lange saß sie nachdenkend, immer schimmernder funkelten ihre Augen, immer lächelnder wölbten sich ihre Lippen – aber wer diese leuchtenden Augen und diese lächelnden Lippen hätte sehen können, den hätten sie an jene farbenglänzenden Blüten der Tropen erinnern müssen, die aus dem Schmelz ihrer sonnenschimmernden Purpurkelche in ihrem berauschenden Duft den Tod ausströmen.

Sie erhob sich und trat an einen Schreibtisch von Rosenholz. Aus einem Fach desselben nahm sie ein Paket Briefe und begann sie aufmerksam zu lesen.

Mehrere warf sie zurück, endlich schien sie gefunden zu haben, was sie suchte. Es war ein kurzer Brief – eine Seite nur beschrieben.

»Dieß hat er mir während des Manövers geschrieben,« sagte sie, – »das werde ich brauchen können.«

Sie las leise:

»Meine süße Königin!

»Ich muß Dir mit einigen Worten sagen, wie mein Herz sich nach Dir sehnt und wie schwer diese Trennung auf mir lastet. Die Mühen und Anstrengungen des Dienstes nehmen mich den Tag über in Anspruch, aber wenn ich Nachts im Bivouak liege, die Sterne auf mich herabschimmern und der weiche Athem der Nacht durch die Natur zieht, dann wird Dein süßes Bild in meinem Herzen lebendig, ich glaube den Hauch Deines Mundes zu fühlen, voll heißer Sehnsucht öffne ich die Arme, um Dich zu suchen und umfangen zu halten, – und wenn endlich der Schlaf auf meine Augen sinkt – dann bist Du bei mir im Traum – und schmiegst Dich an mich, so süß, so berauschend, so heiß, – o daß die unmelodischen Trompetenstöße der Reveille so himmlischen Traum zerschneiden müssen! Ich möchte immer träumen, so lange bis ich wieder bei Dir bin, bis die Wirklichkeit in Deinen Armen, süßer als jeder Traum, mich wieder umfängt. Ich küsse dieß Blatt, das Deine schönen Hände berühren werden.«

Während sie las, war ihre Stimme weicher geworden und wie in Erinnerung versunken blickte sie aus das Blatt.

Dann wurden ihre Züge wieder kalt und hart.

»Das paßt vollkommen!« sagte sie, »und kein Datum – Alles vortrefflich!«

Sie ergriff eine Feder, und indem sie vorsichtig die Schriftzüge des Briefes prüfte, setzte sie darüber: »30. Juni 1866«.

Aufmerksam prüfte sie die Schrift. »So ist es gut,« sprach sie, »es paßt vollkommen!«

Dann bewegte sie eine kleine silberne Glocke.

Ihre Kammerjungfer trat ein.

»Suche meinen Mann auf,« sagte Frau Balzer, »und sage ihm, ich wünschte ihn sogleich zu sprechen.«

Die Kammerjungfer ging und die junge Frau trat sinnend an das Fenster, achtlos herabblickend auf das lebendige und aufgeregte Treiben dort unten, während um ihre Lippen ein leichtes Lächeln der Befriedigung spielte.


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