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Sechstes Kapitel.

In demselben Boudoir in dem Hause an der Ringstraße in Wien, in welches der Lieutenant von Stielow sich aus der Soirée des Grafen Mensdorff begeben hatte, lag jene wunderbar schöne Frau, welche damals den jungen Offizier mit so berauschender Glut umfing, auf ihrem Ruhebett.

Sie trug ein perlgraues Morgenkostüm mit leichten hellrosa Schleifen, ein weißes Spitzentuch umgab das feine Oval ihres Gesichts und bedeckte fast ganz das glänzende, glatt anliegende Haar.

Die Morgensonne warf einzelne Strahlen durch die zusammengezogenen Vorhänge des mit reizender Eleganz ausgestatteten Raums. Diese spielenden Reflexe, welche bei jeder Bewegung der jungen Frau über ihr Gesicht liefen, gaben ihrer Schönheit einen eigentümlichen Reiz, und es schien, daß sie sich dessen wohl bewußt war, denn sie warf von Zeit zu Zeit einen Blick in einen runden Spiegel, der an der entgegengesetzten Wand so aufgehängt war, daß er fast ihre ganze Gestalt erblicken ließ, und hatte Sorge, daß ihr leicht an ein großes dunkelrothes Kissen gelehntes Haupt sich nicht aus dem Bereich der leicht herüberspielenden Sonnenstrahlen entfernte.

Ihre Züge trugen aber heut nicht jenen hingebenden, bezaubernd schwärmerischen Ausdruck, mit welchem sie an jenem Abend den Lieutenant von Stielow empfangen hatte, vielmehr ruhte auf ihrem Gesicht eine eisige Kälte und ein Zug schneidenden Hohns umspielte die schönen Lippen, welche halb geöffnet die fest aufeinander gepreßten Zähne sehen ließen.

Vor ihr stand ein Mann von etwa dreißig Jahren, elegant, aber mit jener äußersten Genauigkeit der Mode gekleidet, welche man selten bei einem vornehmen Manne findet. Seine Züge waren nicht unschön, aber ziemlich gemein und trugen den Stempel der Debauche zweiten oder dritten Ranges.

Er hatte die Hände in den Taschen und wiegte sich auf den Absätzen hin und her.

Dieser Mann, dessen ganze Erscheinung so wenig zu der so äußerst vornehmen und wahrhaft eleganten Einrichtung des Boudoirs und noch weniger zu der graziösen und ätherischen Erscheinung der jungen Frau paßte, war der Gemahl derselben, der Kaufmann und Wechselagent Balzer.

Das eheliche tête à tête schien nicht der angenehmsten Natur zu sein, denn auch das Gesicht des Mannes zeigte lebhafte Aufregung und eine höhnische Ironie.

»Du kennst mich,« sagte er mit jener rauhen Stimme, welche durch den Genuß starker Spirituosen und durch fortgesetztes Nachtschwärmen erzeugt wird, und mit jener eckigen Härte der Betonung, welche man stets bei Personen ohne geistige Bildung und gute Erziehung findet, »Du kennst mich und weißt, daß ich meinen Willen durchzusetzen verstehe. – Ich muß die zwölfhundert Gulden haben und zwar bis morgen!« rief er laut, indem er mit dem Fuß auf den Boden stampfte.

Die junge Frau spielte leicht mit einer Schleife ihres Morgenrockes, deren rosige Farbe nicht zarter und duftiger war, als diejenige der feinen Fingerspitzen, die sie in Bewegung setzten, und antwortete, ohne ihre Stellung zu ändern und ohne die Augen zu ihrem Manne zu erheben, mit leiser, aber scharfer und fast zischender Stimme:

»So spiele glücklich – oder betrüge irgend einen Deiner Klienten, deren Geschäfte Du an der Börse machst.«

»Deine Beleidigungen lassen mich kalt,« – erwiderte er mit fingirter Kaltblütigkeit – »ich glaube, wir können uns die Mühe sparen, uns gegenseitig unsere Gesinnungen zu erkennen zu geben. Ich bin praktisch und vor Allem Geschäftsmann,« – fuhr er mit giftigem Lächeln fort – »Du kennst unsern Vertrag und weißt, unter welchen Bedingungen ich als Dein rechtmäßiger Herr und Gemahl über gewisse Dinge ein Auge zudrücke, die ich sehr ernst zu nehmen ein Recht hätte – wenn es mir eines Tages so gefiele.«

Sie bewegte keine Muskel, nur eine leicht auffliegende Röthe auf ihrer schönen marmorweißen Stirn zeigte eine Spur von innerer Bewegung.

Ohne den Ton ihrer Stimme im Geringsten zu modifiziren, sprach sie kalt:

»Du weißt ebenfalls, daß es mir sehr leicht ist, mich von dieser Kette, auf die Du trotzest, zu befreien, und kennst mich genügend, um überzeugt zu sein, daß der Uebertritt zum Protestantismus mir keinen Augenblick Bedenken erregen würde, um eine definitive Scheidung zu erlangen.«

»Ich glaube nicht, daß religiöse Bedenken Dir jemals zu schaffen machen können,« hohnlachte er.

»Wenn ich also,« fuhr sie ruhig und ohne aufzublicken fort, »diese lästige, aber durchaus nicht unzerreißbare Kette überhaupt dulde, so geschieht das nur, weil ich den Skandal verabscheue, und weil ich nicht will, daß ein Wesen,« – sie sprach das mit einer unendlichen Verachtung – »dessen Namen ich nun einmal nicht los werden kann, bis in die tiefsten Abgründe der Gemeinheit und des Verbrechens falle. Deßhalb dulde ich Dich und erhalte Dich – aus keinem andern Grunde. Hüte Dich also, die Kette lästiger zu machen, als sie es ohnehin schon ist. – Was übrigens Deine sogenannten Bedingungen betrifft, so werden sie pünktlich gehalten. Oder hast Du etwa nicht regelmäßig empfangen, was ich Dir ausgesetzt?«

»Es handelt sich darum nicht,« erwiederte Herr Balzer roh, »es handelt sich darum, daß ich, um unabweisbare Verpflichtungen zu decken, unaufschieblich zwölfhundert Gulden brauche und daß Du sie mir schaffen mußt, – was Dir eine Kleinigkeit ist. Dein kleiner Ulanenlieutenant ist ja eine unerschöpfliche Goldgrube,« fügte er mit gemeinem Lachen hinzu.

»Ich bedaure,« erwiederte sie kalt, »daß Du genöthigt sein wirst, eine andere Goldgrube zu suchen.«

»Du scheust den Skandal, wie Du mir eben sagst. Eh bien, ich werde Dir einen ganz hübschen Skandal arrangiren, sobald er kommt.«

»Dieser Skandal,« sagte sie leicht lächelnd, »würde darin bestehen, daß Du die Treppe hinuntergeworfen würdest und nie wieder einen Kreuzer von mir empfingst.«

Er schwieg einen Augenblick. Ihre so einfache Logik machte entschieden einen Eindruck auf ihn.

Nach einigen Sekunden aber trat er einen Schritt näher zu ihr hin, ein häßliches Lachen spielte um seinen Mund und ein Ausdruck höhnischer Freude glänzte aus seinen Augen.

»Du hast Recht,« sagte er, »ein solcher Skandal wäre zwecklos. Aber da Dein lieber Freund, der Herr von Stielow, so wenig ergiebig ist, so muß ich Sorge tragen, daß Du von dieser sterilen Verbindung losgemacht wirst und Dich wieder in Kreise begibst, die mehr goldene Früchte tragen. Ich werde dafür sorgen, daß Herr von Stielow von den süßen Ketten befreit wird, in denen Du ihn gefangen hältst. Es thut mir leid, Dir dadurch Kummer zu machen, denn es scheint, daß dieser kleine Ulan meiner schönen Gemahlin sonst so kaltes Herz etwas in Flammen gesetzt hat. – Aber – was kann's helfen – erst das Geschäft und dann das Vergnügen!«

Ein leichtes Zittern bewegte die feinen Fingerspitzen, welche die duftige Schleife stärker drückten, als deren zarte Natur vertrug, und zum ersten Mal in der ganzen Unterredung schlug sie die dunkeln Augen empor.

Ein scharfer, durchdringender Blick flog wie ein Blitz zu ihrem Manne hinüber.

Dieser fing den Blick auf und lächelte triumphirend.

Sie senkte die Lider wieder und sprach mit leicht vibrirender Stimme:

»Es steht Dir frei, zu thun was Du willst.«

»Gewiß,« erwiederte er, – »und ich werde ganz zart und ohne Skandal verfahren. Es wird dem Herrn von Stielow gewiß sehr interessant sein, die Stylübungen, welche die Dame seines Herzens ohne Zweifel an ihn richtet, mit denjenigen zu vergleichen, welche sie zu gleicher Zeit früheren und abwesenden Freunden zusendet.«

»Was willst Du damit sagen?« fragte sie lebhaft.

Ihr Haupt richtete sich von dem purpurnen Kissen empor und der volle Blick ihres Auges traf ihn mit durchdringender Schärfe.

»Ich will damit sagen,« erwiederte er brutal, »daß ich dem Herrn von Stielow einen Brief des Grafen Rivero an Dich und Deine Antwort darauf zusenden werde. Wenn die Ehemänner zuweilen gleichgültig gegen gewisse Stirnverzierungen sind, so pflegen die Liebhaber sehr empfindlich in diesem Punkt zu sein.«

Und er begann wieder, sich auf den Absätzen hin und her zu wiegen.

Sie preßte die rosigen Nägel in die zarten Hände und blickte einen Augenblick nachdenkend vor sich hin.

»Wo hast Du die Briefe, von denen Du sprachst?« fragte sie dann kalt.

»Wohl verwahrt,« erwiederte er lakonisch.

»Ich glaube Dir nicht, wie kämst Du zu einem Brief von mir an den Grafen?«

»Du warst im Begriff, ihm zu antworten. Sein Brief und der Deinige lagen auf Deinem Tisch – als Du wahrscheinlich eiligst den lieben Stielow empfangen mußtest, und einen Shawl darüber warfst. Dort wurden sie vergessen, und als ich meiner theuren Gattin einen Besuch machen wollte, fand ich sie und nahm sie an mich – damit sie nicht in falsche Hände kämen,« fügte er hohnlachend hinzu.

»Also Diebstahl,« sprach sie mit unendlicher Verachtung.

»Deine Sache ist das sechste Gebot – nicht das siebente,« erwiederte er mit rohem Ton.

»Ich muß meine Unvorsichtigkeit bezahlen,« flüsterte sie halblaut. Dann erhob sie den Blick mit eisiger Kälte zu ihm und sagte:

»Du sollst die zwölfhundert Gulden morgen haben – gegen die Auslieferung der gestohlenen Briefe.«

»Ich werde pünktlich um diese Stunde morgen hier sein,« erwiederte er mit vergnügtem Tone. »Hat meine reizende Frau sonst noch Befehle für mich?«

Sie deutete, ohne sich zu bewegen, mit dem leicht erhobenen Finger nach der Thür.

Ein heller Glockenschlag ertönte draußen.

»Herr von Stielow!« rief das eintretende Kammermädchen. Zugleich hörte man das Klirren eines Säbels im Vorzimmer.

»Gutes Geschäft und viel Vergnügen!« rief Herr Balzer und entfernte sich durch eine Seitenthür.

Kaum hatte er das Zimmer verlassen, so veränderten sich wie durch einen Zauberschlag die Züge der jungen Frau. Alle jene harten, scharfen Linien, welche in dem Gespräch mit ihrem Manne ihrem Gesicht fast den Ausdruck einer Wachsmaske gegeben hatten, verschwanden, die zusammengepreßten Zähne öffneten sich und das Auge nahm jenen feuchten, magnetischen Glanz an, der dem Blick einen so lieblichen Zauber gibt.

Sie erhob sich halb und breitete ihre Arme dem Eintretenden entgegen.

Herr von Stielow, frisch, keck und elegant wie immer, eilte auf sie zu und blieb einen Moment wie geblendet von ihrer Schönheit vor ihr stehen; dann beugte er sich zu ihr herab und drückte seine Lippen auf ihren Mund.

Sie schlang die Arme um seinen Nacken und hauchte mehr als sie sprach: »Mein süßer Freund!«

Nach einer langen Umarmung zog er ein kleines, niedliches Tabouret neben das Ruhebett, auf welchem sie lag, und setzte sich so, daß ihre Häupter fast in gleicher Höhe waren. Sie änderte mit leichter, graziöser Bewegung ihre Stellung und lehnte den Kopf an seine Schulter, während sie mit beiden Händen seine Rechte ergriff und an ihr Herz drückte. Indem sie so mit einer leisen, schlangenartig weichen Bewegung sich immer inniger an ihn schmiegte und sich um ihn ranken zu wollen schien, schloß sie die Augen und flüsterte:

»O, nun bin ich glücklich!«

Es war ein schönes, liebliches Bild, diese beiden so eng an einander geschmiegten, schönen und anmuthigen jungen Gestalten; bei aller zitternden Glut, die man in ihnen wallen sah, bot das ganze Bild keinen unedlen, niedrigen Zug, – es war ein Bild glücklicher, reiner Liebe.

Kein Zug in dem Antlitz der jungen Frau hatte auch nur entfernt die Szene ahnen lassen, welche sich so unmittelbar vorher in demselben Raum abgespielt hatte, und Niemand hätte beim Anblick dieses schönen jungen Mannes, der mit seinen Lippen das duftige Haar des an seine Schulter gelehnten Hauptes berührte, vermuthet, daß in seinem Herzen durch den duftigen Nebelhauch des Rausches, der ihn umgab, ein reiner Stern leuchtete, der immer wieder hervortauchte.

Es war ein Bild der Gegenwart, des glücklichen, flüchtigen Augenblicks, den man genießt, ohne zu fragen, was ihm vorherging, was ihm folgen werde.

Ein tiefer Seufzer hob die Brust der jungen Frau und zitterte durch ihre ganze an den Geliebten geschmiegte Gestalt.

»Warum seufzt meine süße Toni?« fragte Herr von Stielow, »welches Glück fehlt Dir, die geschaffen ist, das Glück zu spenden?«

»O mein Geliebter,« sagte sie, und ein zweiter Seufzer zitierte aus ihren Lippen, – »ich bin nicht immer so glücklich wie jetzt, wo ich an Deiner Brust ruhe – und eben noch –« – sie stockte.

»Was war eben noch?« fragte er, »was hat diese schönen Lippen nun schon zweimal seufzen lassen, die doch nur zum Lächeln – und – zum Küssen bestimmt sind?«

Und er hob leicht den Kopf der jungen Frau empor und drückte den Mund auf ihre Lippen.

»Mein Mann war hier,« sagte sie, zum dritten Mal seufzend.

»Ah,« machte er, – »und was wollte dieser Unglückliche, der eine solche Blume sein nennt und es nicht versteht, an ihrem Duft sich zu erfreuen?«

»– Und für den sie niemals duften würde,« fiel sie lebhaft und mit einer Vibration der Stimme ein, welche an die frühere Szene erinnerte, »er quälte mich,« fuhr sie fort, »mit Vorwürfen, mit Eifersucht –«

Sie stockte – dann erhob sie den schönen Kopf von seiner Schulter, rückte ein wenig zurück und lehnte sich wieder in ihr rothes Kissen, ohne seine Hände loszulassen.

»Siehst Du,« sagte sie, »früher, wenn er mir Vorwürfe machte und eine Othelloszene spielte, weil ich diesen oder jenen Herrn öfter bei mir sah, Diesem oder Jenem freundlicher zulächelte, so ließ mich das völlig gleichgültig, – ich sah hoch auf ihn herab und antwortete ihm, ohne daß mein Herz schneller schlug oder mein Blick sich senkte – jetzt aber,« fuhr sie fort, indem ihr Auge mit feuchtem Glanz auf ihm ruhte und die rosigen Schleifen auf ihrem Busen sich in schnellerer Bewegung hoben und senkten, – »jetzt zittere ich – und mein Blick möchte sich verhüllen mit dichten Schleiern, – mein Herz schlägt und treibt mein Blut durch die Adern – denn –«

Sie warf sich wieder zu ihm hin – lehnte ihr Haupt wie zusammenbrechend an seine Brust und flüsterte:

»Denn jetzt bin ich schuldig!«

Er beugte sich zu ihr und drückte sie an sich.

»Und bereust Du das?«

»Nein,« sagte sie mit Innigkeit. – »Aber es demüthigt mich, wenn ich daran erinnert werde, daß er doch mein Gemahl ist, daß ich von ihm abhängig bin, – abhängig,« fuhr sie leiser und stockend fort – »in allen materiellen Dingen – und wenn er mich diese Abhängigkeit fühlen läßt – schwer fühlen läßt –«

»Und warum,« unterbrach er sie, »sollst Du von ihm abhängig sein? Warum Dich nur einen Augenblick an solche Abhängigkeit erinnern – wenn Dein Freund, Dein Diener da ist, den Du glücklich machst, wenn Du ihm sagst, was Du bedarfst, was Du wünschest?«

»O, ich bedarf so wenig,« sagte sie, – »aber er verweigert mir Alles!«

»Arme Toni!« rief er, »ist es möglich, daß diese Lippen jemals einen Wunsch vergebens aussprechen!«

Er zog ihre Hände an seine Lippen.

»Was war es, – was hat er Dir verweigert?«

»O,« rief sie schmerzlich, »daß ich damit die.süßen Stunden unserer Liebe beflecken sollte – laß das – es ist schon vergessen!« und sie seufzte abermals.

»Es wird nicht eher vergessen sein, als bis Du es mir gesagt hast, – ich bitte Dich, wenn Du mich liebst – so sage mir, was Dich drückt, damit rasch dieser Mißton verschwinde.«

»Er zankte mit mir,« antwortete sie, ohne die Augen zu erheben, »wegen der Rechnung für meine Schneiderin und verweigerte mir rücksichtslos jeden Beistand – und,« fuhr sie lebhaft fort, – »solche Sorgen quälen mich so sehr, diese Dinge passen nicht in meinen Kopf und in mein Herz – wo nur ein Gedanke und ein Gefühl wohnen.« –

»Nun nur noch ein Wort,« rief er heiter, »den Betrag jener elenden Rechnung, welche sich untersteht, in diesem schönen Kopf und in diesem süßen Herzen den Platz mit mir theilen zu wollen?«

»Zweitausend Gulden,« flüsterte sie.

»Welche Oekonomie!« rief er, – »doch was bedarf eine so herrliche Schöpfung der Natur der Kunst einer Schneiderin! Ich bitte demüthigst um die Erlaubniß, diese Wolken von den strahlenden Augen meiner Liebe verscheuchen zu dürfen.«

Und er küßte ihre beiden Augen.

Sie drückte in rascher Bewegung die Lippen auf seine Hand.

»Daß ich empfangen und immer empfangen muß!« rief sie. – »O daß ich eine Königin wäre und Du ein armer Junker, daß ich die Strahlen des Glanzes und des Glückes über Dich leuchten lassen könnte, Dich hervorheben unter Tausenden und zu mir Heraufziehen an die goldenen Stufen meines Thrones!«

Sie hatte sich aufgerichtet und saß in wahrhaft königlicher Haltung da. Ihr Auge strahlte in dunklem Feuer und als sie leicht die Hand gegen ihn erhob, da hätte man glauben sollen, daß auf den Wink dieser schönen Hand Armeen marschiren und Tausende von Höflingen sich in den Staub bücken müßten.

Dann verschleierte sich ihr Auge leicht und mit sanftem, schmelzendem Ton sagte sie:

»So aber habe ich Nichts zu geben, als meine Liebe!«

»Und mehr verlange ich nicht von meiner Königin!« rief er, indem er von dem Tabouret herab auf die Kniee sank und sie mit glühenden Blicken ansah.

Sie nahm seinen Kopf in ihre beiden Hände und drückte einen langen Kuß auf seine Stirn.

Ein heller Glockenton durchzitterte das Gemach.

Ein Geräusch entstand im Vorzimmer.

Die Kammerjungfer trat eiligst ein und rief mehr im Tone des Schreckens, als in dem der Anmeldung:

»Der Graf von Rivero!«

Die junge Frau fuhr empor.

Mit einer fast rauhen, heftigen Bewegung stieß sie Herrn von Stielow auf das Tabouret zurück und warf sich in die andere Ecke ihres Sophas.

Tiefe Blässe überzog ihr Gesicht.

Herr von Stielow sah sie erstaunt an.

»Weise doch diesen störenden Besuch ab!« flüsterte er.

»Es ist ein alter Bekannter, den ich lange nicht gesehen,« – sagte sie mit gepreßter Stimme, »es ist –«

Ehe sie vollenden konnte, öffnete sich die Portière des Vorzimmers, und mit vornehmer, eleganter Sicherheit trat ein großer, schlanker Mann von etwa fünfunddreißig Jahren ein; er war in dunkle Farben gekleidet, sein Gesicht mit edlen, scharfgeschnittenen Zügen trug den mattblassen Teint der Südländer, die großen, dunklen Augen wurden nur durch das tiefe Schwarz der kurzgeschnittenen Haare und des kleinen Schnurrbartes überboten.

Der als Graf Rivero Angemeldete näherte sich mit der ruhigen Bewegung des vollkommenen Weltmannes der jungen Frau, während indeß sein dunkles Auge mit tiefer Glut ihr entgegenstrahlte.

Sie reichte ihm die Hand, auf welche er seine Lippen drückte und länger ruhen ließ, als es die einfache Höflichkeit verlangte.

Herrn von Stielow entging dieß nicht, und in das Erstaunen, welches seine Mienen bei dem ersten Anblick des so plötzlich und mit solcher Sicherheit hier Eintretenden ausgedrückt hatten, begann sich ein entschiedenes Mißvergnügen zu mischen.

»Ich bin durch eine plötzliche Wendung in meinen Geschäften veranlaßt, ganz unvermuthet und so viel schneller, als ich erwartete, zurückzukehren, und freue mich, meine wiener Freunde wieder begrüßen zu können. Mein erster Gruß gehört natürlich der schönen und liebenswürdigen Frau, welche die schönste Blume in dem Kranze meiner Erinnerungen an Wien bildet.«

Er drückte abermals seine Lippen auf die zarte Hand, welche er bis dahin in der seinen gehalten, und setzte sich dann auf einen Fauteuil, indem er mit leichter Verneigung gegen den Herrn von Stielow einen fragenden Blick auf die Dame richtete.

Diese hatte sich von der Unruhe und peinlichen Bestürzung, welche ihre Züge beim Eintritt des Grafen gezeigt hatten, vollständig wieder erholt. Ihr Auge war ruhig, ihre Lippen lächelten und ein sanfter Rosenhauch lag auf ihren Wangen.

Mit leichtem, anmuthigem Ton sagte sie:

»Die Herren kennen sich nicht – Herr von Stielow – das Nähere sagt seine Uniform, im Uebrigen ein thätiges Mitglied unserer jeunesse dorée – war im Begriff, mir das Neueste aus der Tageschronik unserer eleganten Welt zu erzählen, – Graf Rivero – Reisender, Gelehrter, Diplomat – je nach Laune, kommt von Rom und wird mir viel von dem Karneval erzählen – oder vielleicht von den Katakomben, je nachdem ihn sein Herz zu dem einen oder den andern gezogen hat.«

Die Herren verneigten sich gegen einander – Graf Rivero mit der kalten, aber verbindlichen Artigkeit des Weltmannes, Herr von Stielow mit ziemlich schlecht verhehltem Widerwillen.

»Mein Herz,« sagte der Graf dann, sich lächelnd gegen die junge Frau wendend, »hat weder die übermüthige Jugendlust des Karnevals, noch ist es bereits reif für die Katakomben, aber meine schöne Freundin liebt es, mir die Laune für die Extreme zuzuschreiben.«

»Sie waren lange nicht in Wien, Herr Graf?« fragte Herr von Stielow mit kaltem Tone.

»Seit einem Jahre haben mich Geschäfte in Rom zurückgehalten,« erwiederte der Graf, »und ich dachte noch längere Zeit dort zu bleiben, aber nothwendige Geschäfte haben mich zurückgerufen. – Und ich bin dieser Notwendigkeit dankbar,« fügte er zu der Dame gewendet hinzu, »denn sie führt mich zurück zu meinen Freunden in dem schönen, fröhlichen Wien.«

Die junge Frau warf einen schnellen Blick auf Herrn von Stielow, der seinen Schnurrbart mit den Lippen zerbiß, und ihre Lippen zitterten leicht.

Lächelnd sprach sie dann:

»Und wovon werden Sie mir erzählen, Herr Graf, da weder der Karneval noch die Katakomben Sie interessirt haben?«

»Von den schönen Antiken,« erwiederte er, »jenen tausendjährigen Marmorbildern, welche hier durch die lebendige Jugend überboten werden.«

»In Wien werden Sie keinen Geschmack für Antiken finden,« sagte Herr von Stielow in einem Tone, der den Grafen verwundert aufblicken ließ, – »man liebt hier die Vergangenheit nicht und hält sich an die Gegenwart.«

»Man hat Unrecht,« sagte der Graf kalt, indem er den Kopf erhob und ein stolzes Lächeln seinen Mund umspielte, »die Vergangenheit ist die Tiefe – die Gegenwart die Oberfläche.«

Herrn von Stielow's Stirn zog sich in Falten.

Die junge Frau warf ihm einen bittenden Blick zu, den er nicht bemerkte.

»Die Vergangenheit ist oft langweilig,« sagte der Offizier in kurzem Ton.

Jetzt schien auch der Graf durch diesen Ton unangenehm berührt.

Er erwiederte kurz und kalt:

»Und die Gegenwart oft sehr fade.«

Herrn von Stielow's Augen blitzten.

Der Graf stand auf.

»Meine schöne Freundin,« sprach er, »ich bin erfreut, Sie so blühend und unverändert wiedergefunden zu haben. Ich werde Sie wiedersehen und hoffe eine Zeit zu finden, wo wir ungestört plaudern und ich Ihnen von Rom und der Vergangenheit erzählen kann, ohne fürchten zu müssen, Jemand zu langweilen.«

Er küßte ihre Hand, verneigte sich leicht und fast unmerklich gegen Herrn von Stielow und verließ das Zimmer.

Herr von Stielow sprang auf, nahm seine Mütze und wollte ihm nacheilen.

Die junge Frau ergriff seine Hand und rief:

»Karl, ich bitte Dich, höre mich an!«

Er riß sich mit ungestümer Bewegung los und folgte dem Grafen.

Die junge Frau blickte ihm mit weit offenen Augen und ausgestreckten Händen nach.

Sie schien ihm folgen zu wollen – aber sie blieb stehen, ihre Hände sanken langsam nieder und ihr Kopf fiel auf die Brust herab.

So stand sie einen Augenblick da und man hörte nur die lauten Athemzüge ihres wogenden Busens.

»So ist diese Entscheidung doch gekommen, die ich zu vermeiden hoffte,« sprach sie dann langsam zu sich selbst. »Ich kann nichts thun, nicht eingreifen, ohne das Uebel schlimmer zu machen. – Sie werden sich schlagen – was wird das Ende sein? – Werde ich sie Beide verlieren? – Dieser Graf ist mir nützlich – nothwendig für die Zukunft, die ich träume, – er liebt mich nicht, – o nein, – aber er bedarf mich für seine Pläne, das fühle ich und durch ihn kann ich erreichen, wonach ich dürste: Macht, Einfluß, Herrschaft. – Und dieser kleine Offizier, – was kann er mir sein, mir bieten, – er ist reich!« flüsterte sie – »doch was will das sagen, – und doch, und doch,« rief sie lauter, »möchte ich ihn festhalten, seine schöne Gestalt, sein reizendes Haupt umklammern, um ihn zurückzuziehen vor der Gefahr. – – Antonie, Antonie,« sprach sie plötzlich kalt und rauh, das Haupt erhebend – »ich glaube, Du hast Dein Herz nicht getödtet, Du bist auf dem Wege, eine Sklavin zu werden!«

Und sie schüttelte den Kopf, wie um eine Wolke zu entfernen. Ein trotziger Zug legte sich um ihren Mund, ihre Gestalt hob sich höher empor und ihr Auge öffnete sich in flammender Energie.

»Nein,« rief sie – »nein, ich will nicht Sklavin sein – auch nicht meines Herzens. – Ich will herrschen – herrschen – herrschen,« wiederholte sie immer leiser, aber immer fester und energischer.

Dann aber löste sich allmälig die feste Spannung in ihren Gliedern, sie sank auf das Ruhebett, kreuzte die schönen Hände über der Brust, ließ das Haupt langsam auf das Kissen sinken und während ihre Augen sich mit feuchtem Schmelz verschleierten, flüsterten ihre zitternden Lippen:

»O, er war so schön!«

Und wie in träumende Bewußtlosigkeit versunken blieb sie liegen.

Herr von Stielow hatte inzwischen den Grafen eingeholt, der die Treppe hinabstieg.

»Ich habe auf Ihre letzte Bemerkung nicht geantwortet, Herr Graf,« sagte er, »weil in Gegenwart einer Dame eine Antwort nicht passend gewesen wäre. Sie schienen mir eine Lektion geben zu wollen und ich glaube, mein Name sowohl als die Uniform, die ich trage, sollten Ihnen sagen, daß ich solche Lektionen von Niemand annehme, am wenigsten von Unbekannten.«

Der Graf blieb ruhig stehen.

»Es scheint, mein Herr,« sagte er, »daß Sie Streit mit mir suchen.«

»Und wenn ich es thäte?« rief der junge Offizier aufbrausend.

»So würden Sie sehr Unrecht haben,« erwiederte der Graf.

»Ich habe niemals Unrecht, wenn ich eine Insolenz zurückweise!« erwiederte Herr von Stielow, der durch die Nähe des Grafen immer aufgeregter wurde.

»Wohlan, mein Herr,« sagte dieser, »ich glaube, jetzt ist es an uns, das Gespräch abzubrechen und die Fortsetzung desselben unsern Sekundanten zu überlassen.«

»Ich liebe in solchen Dingen Eile und Pünktlichkeit,« rief Herr von Stielow.

Er reichte dem Grafen seine Karte.

»Ich werde in meiner Wohnung Ihren Sekundanten erwarten.«

»Nichts hindert mich,« erwiederte der Graf, »diese Angelegenheit auf der Stelle zu ordnen.«

Und mit kalter Verbeugung trennten sich Beide.


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