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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Die Morgensonne schien in das Zimmer des Lieutenants von Stielow. Aber nicht wie gestern lag der junge Mann in glücklicher Träumerei auf seinem Ruhebett – mit raschen, unruhigen Schritten ging er hin und her – lebhafte, schmerzliche Unruhe lag auf seinem bleichen Gesicht, dem man eine schlaflos durchwachte Nacht ansah.

Er war am Abend vorher zu seiner Braut gekommen, – in jener reizenden, süßen Plauderei liebender Herzen, die sich so viel zu sagen haben und sich nie genug sagen können, war eine Stunde verflossen, – dann hatte Klara über heftige Schmerzen in der kleinen Wunde an ihrem Arm geklagt, man hatte kühlende Umschläge gemacht, – die Schmerzen waren heftiger und heftiger geworden und eine starke Geschwulst war am Arme heraufgestiegen – man hatte den Hausarzt kommen lassen, dieser hatte verschiedene Mittel versucht – aber immer heftiger hatte das junge Mädchen geklagt – immer bedenklicher war das Aussehen der kleinen Wunde, immer stärker die Geschwulst des Arms geworden. Bis gegen Morgen hin war der junge Mann im Hause der Gräfin Frankenstein geblieben, endlich hatte der Arzt, der sich die Geschichte der Verwundung hatte erzählen lassen, eine neue Salbe aufgelegt und der jungen Gräfin ein Schlafmittel gegeben.

Die Gräfin Frankenstein hatte Herrn von Stielow ernstlich nach Hause geschickt, um ihm einige Ruhe zu gönnen, und versprochen, in der Frühe des Morgens den berühmten Oppolzer rufen zu lassen. Niemand glaubte zwar an eine ernste Gefahr, aber in tiefer Angst und Unruhe hatte der junge Mann die Nacht zugebracht, von unüberwindlicher Bangigkeit ergriffen.

Am Morgen hatte er seinen Diener geschickt und die Antwort erhalten, daß die Comtesse geschlafen habe und daß der Doktor Oppolzer jeden Augenblick erwartet würde. Er machte seine Toilette, um selbst zu dem Hause der Gräfin zu eilen.

Als er seine Uniform angezogen hatte und eben den Säbel umschnallte, meldete sein Diener den Grafen Rivero.

Der junge Mann machte eine Bewegung der Ungeduld, – winkte indeß, den Besuch eintreten zu lassen.

Ruhig und ernst, aber frisch und elegant trat der Graf in das Zimmer.

Mit artiger Verbeugung reichte er dem jungen Offizier die Hand und sprach mit seiner klangvollen Stimme, indem ein warmer Strahl freundlichen Wohlwollens aus seinem Auge blickte:

»Ich habe gehört, daß Sie mit Feldmarschall Gablenz hier sind, und wollte mich beeilen, Sie zu begrüßen, ehe Sie vielleicht wieder fortgehen – und Ihnen meine Freude aussprechen, daß Sie die Gefahren des Krieges glücklich überstanden haben.«

»Sie sind sehr freundlich, Herr Graf,« antwortete Herr von Stielow mit leicht befangenem Tone, – »ich freue mich herzlich, Sie wiederzusehen.«

Der Graf schien eine Einladung, sich zu setzen, zu erwarten, – Herr von Stielow blickte etwas verlegen zu Boden.

Dann schlug er sein offenes Auge empor und sagte: »Herr Graf, Sie verzeihen, wenn ich ganz frei zu Ihnen spreche, – ich bitte Sie dringend, mir die Ehre Ihres Besuches zu einer andern Stunde zu schenken, um das Vergnügen der Fortsetzung unserer Bekanntschaft zu haben, – die, wie ich hoffe,« setzte er mit herzlicher Verbindlichkeit hinzu, »uns einander immer näher führen wird, – in diesem Augenblick – muß ich gestehen, bin ich unendlich pressirt, in großer Unruhe und Besorgniß.« –

»Besorgniß?« fragte der Graf, – »es ist gewiß keine Neugierde, wenn ich mir erlaube, zu fragen, – was –«

»O, ich hoffe, es wird nichts Ernstes sein,« sagte Herr von Stielow, – »meine Braut – Sie wissen, daß ich verlobt bin?«

»Ich habe es gehört,« sagte der Graf – »und wollte auch dazu Ihnen meinen herzlichsten Glückwunsch aussprechen.«

Herr von Stielow verbeugte sich leicht und sprach: »Meine Braut ist leidend, ein sonderbarer Unfall hat sie betroffen – der mich in hohem Grade beunruhigt, – ich war so eben im Begriff, zu ihr zu eilen, um zu sehen, wie es steht, und um zu hören, was Oppolzer gesagt hat, den der Hausarzt heute früh zugezogen.«

»Oppolzer konsultirt?« rief der Gras mit erschrecktem Ausdruck, – »mein Gott, – ist die Comtesse denn ernstlich leidend?«

»Man sollte es kaum glauben,« sagte Herr von Stielow, – »indeß die Symptome sind höchst bedenklich; – eine leichte Verwundung am Handgelenk hat sich so auffallend verschlimmert und einen so krankhaften Zustand hervorgerufen.« –

»Eine Verwundung!« rief der Graf – sein Gesicht wurde sehr ernst und zeigte den Ausdruck der höchsten Aufmerksamkeit.

»In der Halle des Nordbahnhofs – als meine Braut die Verwundeten besuchte,« sagte der junge Offizier, – »hat eine andere Dame bei dem Abschneiden eines Stückchens Leinwand sie leicht mit einer kleinen Scheere verletzt, – es war kaum eine Wunde zu nennen – aber im Laufe des gestrigen Abends ist eine so heftige Anschwellung des Arms, Schmerzen und Starrheit – Fieber eingetreten, der Arzt fürchtete, daß irgend ein Medikament an der Scheere gewesen sein könnte, – doch hat er es nicht ergründen können. – Sie verzeihen mir unter diesen Umständen,« sagte er, dem Grafen die Hand drückend, »daß ich Sie bitte, mich zu entschuldigen.« –

Der Graf hatte in tiefem Ernste zugehört, sein Gesicht war blaß geworden, sein großes dunkles Auge blickte sinnend in das bewegte Antlitz des jungen Mannes.

»Lieber Baron,« sagte er langsam, – »ich interessire mich lebhaft für Sie, aufrichtig und von Herzen, – vielleicht kann ich Ihnen nützlich sein. Ich habe mich in früheren Jahren sehr eingehend mit tiefen medizinischen Studien beschäftigt, – namentlich die Kenntniß der Gifte und Gegengifte, – welche einst,« fuhr er mit leichtem Seufzer fort, »in meinem Vaterlande eine so wichtige und furchtbare Rolle spielten, ist der Gegenstand meines hohen Interesses gewesen, – ist durch einen unglücklichen Zufall an jener Scheere irgend ein schädliches oder gefährliches Mittel gewesen, so wird es mir vielleicht gelingen können, Hülfe zu bringen, – wollen Sie mir erlauben, Ihre Braut zu sehen?«

Und mit tiefer Stimme, im Tone der festesten Ueberzeugung fügte er hinzu:

»Glauben Sie mir, – ich würde nicht Jedem meine Hülfe anbieten, – ich glaube aber, – wenn ernste Gefahr vorhanden und Hülfe überhaupt möglich ist, meiner Sache sicher zu sein.«

Herr von Stielow hatte zuerst mit stummem Erstaunen das Anerbieten des Grafen angehört, – dann leuchtete ein Strahl freudiger Dankbarkeit aus seinem Auge und schnell die Hand des Grafen ergreifend, rief er lebhaft:

»Kommen Sie!«

»Wir müssen an meiner Wohnung vorbeifahren, um einige Präparate mitzunehmen!« sagte der Gras, – »wenn wirklich irgend eine Art von Vergiftung stattgefunden, so kann die Rettung von Augenblicken abhängen!«

Statt aller Antwort ergriff der junge Mann den Arm des Grafen und zog ihn lebhaft mit sich fort.

Sie stiegen in den unten bereit stehenden Fiaker, einen der besten Schnellfahrer Wiens, und waren in wenig Minuten vor der nicht entfernten Wohnung des Grafen. Dieser stieg aus und kehrte schnell mit einem kleinen schwarzen Kästchen zurück. Nach einer schnellen Fahrt stiegen sie vor dem Hause der Gräfin Frankenstein aus und traten in den Empfangssalon.

Der im Vorzimmer wartende Diener hatte sie mit schmerzlicher Miene empfangen und auf die schnelle Frage des Herrn von Stielow nach dem Befinden der Comtesse mit fast weinender Stimme geantwortet:

»Ach Gott, Herr Baron, – es ist ein entsetzliches Unglück, – die arme Comtesse ist sehr schlecht, – man hat nach dem Beichtvater geschickt, und so eben auch zu Ihnen, Herr Baron,« und dann war er fortgeeilt, um die Gräfin zu benachrichtigen.

Herr von Stielow eilte mit großen Schritten im Salon auf und nieder, Schmerz und Verzweiflung im Gesicht.

Der Graf wartete ruhig und unbeweglich, die Hand auf die Lehne eines Sessels gestützt.

Nach wenigen Augenblicken erschien die Gräfin Frankenstein – blaß und abgespannt, – die Augen vom Wachen ermüdet und von Thränen geröthet.

Sie warf einen Blick des Erstaunens auf den Grafen, den sie einigemal in Gesellschaften gesehen hatte, und dessen Gegenwart hier in diesem Augenblick ihr unerklärlich war.

Herr von Stielow eilte auf sie zu und mit Ungestüm ihre Hand ergreifend rief er mit bebender Stimme:

»Um Gotteswillen, – wie steht es, – was ist es mit Klara?«

»Fassen Sie sich, lieber Stielow,« sagte die Gräfin ruhig, aber mit leichtem Schluchzen in der Stimme, – »die Hand des Herrn hat uns schwer getroffen, – wenn er kein Wunder thut, werden wir sie verlieren!«

Und sie brach in leises Weinen aus.

»Aber mein Gott, was ist es denn, – was hat der Arzt gesagt?« rief der junge Mann mit dem Blick starren Entsetzens, »was ist in der Wunde?«

»Klara muß einen Todten berührt haben, – es ist Gift ans einer Leichenwunde in ihr Blut gedrungen, – es ist kaum Hoffnung, sie zu retten« – sagte sie tonlos.

»Ich muß zu ihr – ich muß sie sehen!« rief der junge Mann in wildem Tone.

»Ihr Beichtvater ist bei ihr,« sagte die Gräfin, »um ihr Trost und Muth zuzusprechen, – lassen Sie sie erst mit Gott einig werden!«

Und das Haupt erhebend, zwang sie sich gewaltsam zur Ruhe und richtete einen fragenden Blick auf den Grafen, der schweigend und ernst dastand und dessen Blick bei der Erwähnung des ärztlichen Urtheils über die Natur des Leidens der Comtesse zornig aufgeblickt, dann aber sich mit Ausdruck freudigen Dankes zum Himmel erhoben hatte.

Als der Blick der Gräfin sich auf ihn richtete, trat er mit dem sichern Anstand des Weltmannes vor und sich leicht verbeugend sprach er:

»Sie werden sich meiner erinnern, Frau Gräfin, obgleich ich nur einigemal die Ehre hatte, Ihnen zu begegnen. – Ich glaube, Herr von Stielow wird mir erlauben, mich seinen Freund zu nennen, – er sprach mir von dem auffallenden Leiden, von welchem die Comtesse befallen ist, – und ich habe mich erboten, meine in früheren Jahren erworbenen ärztlichen Kenntnisse in Anwendung zu bringen, um zu helfen, wenn es möglich wäre, ehe ich wußte, um was es sich handelt. Jetzt habe ich gehört, welcher entsetzliche Fall hier vorliegt, und – wenn Sie mir das Vertrauen schenken wollen, so bitte ich Sie, mir schleunigst die Anwendung eines Mittels zu erlauben, von dem ich mir, – so Gott will, – Rettung verspreche.«

Mit tiefem Erstaunen hatte die Gräfin zugehört.

»Sie – Herr Graf – ein Arzt?« – fragte sie.

»Ein Arzt aus Neigung,« erwiederte er, – »darum aber nicht schlechter als Viele, die es aus Beruf sind.«

Die Gräfin blickte ihn zögernd an.

»Ich bitte Sie um Gotteswillen, lassen Sie den Grafen gewähren,« rief Herr von Stielow, – »jede Hülfe müssen wir annehmen, – mein Gott, mein Gott! ich kann sie nicht verlieren.«

»Herr Graf,« sagte die Gräfin Frankenstein, – »ich danke Ihnen von ganzem Herzen – für Ihre Teilnahme und Ihr Anerbieten, – Sie verzeihen mein Bedenken,« fuhr sie zögernd fort, – »das Leben meines Kindes –«

»Bedenken und Zögern kann hier tödtlich sein,« sagte der Graf ruhig.

Die Gräfin blickte sinnend vor sich hin, Herrn von Stielow's Blicke hingen mit dem Ausdruck der Todesangst an ihrem Gesicht.

Die Thüre nach den innern Gemächern öffnete sich und Pater Ignatius, der Beichtvater der Gräfin und ihrer Tochter, trat in den Salon.

Er trug den schwarzen Priesterrock, seine Haltung war einfach elegant und würdig zugleich, sein scharf geschnittenes, blasses, von kurzem dunklem Haar umrahmtes Gesicht trug den Ausdruck geistlicher Ruhe, festen und klaren Selbstbewußtseins, die dunklen Augen blickten voll Intelligenz unter den scharf gezeichneten Brauen hervor.

»Die Comtesse ist ergeben in den Willen Gottes und vorbereitet, das heilige Sakrament zu empfangen, um gerüstet zu sein, wenn der ewige Rathschluß Gottes unsere Gebete für ihre Erhaltung nicht erhören sollte,« sprach er langsam mit tiefer, wohltönender Stimme.

»O mein Gott, mein Gott!« rief Herr von Stielow voll Verzweiflung, »ich beschwöre Sie, Frau Gräfin, – greifen Sie zu dem Rettungsmittel, das der Himmel Ihnen bietet!«

»Der Herr Graf Rivero,« sagte die Gräfin Frankenstein, auf den Grafen deutend, zu ihrem Beichtvater, – »erbietet sich, meine Tochter zu retten durch Mittel, welche ihm sein Studium der Medizin an die Hand gibt, – Sie verstehen, – ich bitte nochmals um Verzeihung, Herr Graf, – daß ich bedenklich bin, wo es sich um das Leben meines Kindes handelt, – ich erwarte den Arzt jeden Augenblick, – auch Oppolzer wird wieder kommen, – er hatte freilich wenig Hoffnung.« –

Pater Ignatius warf einen scharfen, forschenden Blick auf den Grafen, den dieser mit ruhiger Würde, fast mit dem Ausdruck stolzer Ueberlegenheit erwiederte.

»Es ist allerdings eine schwere und ernste Frage,« sagte der Pater zögernd.

»Mit jeder Minute wird die Rettung schwerer,« rief der Graf mit einiger Lebhaftigkeit, – »ich glaube,« fuhr er dann ruhig fort, »daß der Herr Pater in diesem ausnahmsweisen und äußersten Fall gewiß meiner Ansicht sein wird, daß man Alles versuchen und auch dem außergewöhnlichen Rettungsmittel Vertrauen schenken müsse.«

Er hatte bei diesen Worten den Blick fest und voll auf den Beichtvater der Gräfin gerichtet, – leicht erhob er die Hand und machte über Stirn und Brust auf eine besondere Weise das Zeichen des Kreuzes.

Erstaunt, beinahe erschrocken sah der Pater ihn an, fast demüthig senkte sich sein Blick vor dem großen, strahlenden Auge des Grafen und schnell sich zur Gräfin wendend sprach er:

»Es wäre ein Frevel gegen die heilige Vorsehung, wollten wir nicht dankbar das Rettungsmittel ergreifen, das die sichtbare Fügung Gottes in dieser äußersten Noth und Gefahr uns sendet. Sie würden Ihr Gewissen beschweren, Frau Gräfin, wollten Sie die dargebotene Hülfe zurückweisen.«

Die Gräfin Frankenstein sah den Geistlichen ein wenig verwundert an.

»So kommen Sie,« sprach sie nach einem augenblicklichen Schweigen zu dem Grafen Rivero.

Und Alle gingen nach der Wohnung der jungen Gräfin hinüber. In ihrem Zimmer blühten noch die Blumen, ruhig stand das Christusbild in der Nische und zu seinen Füßen lag das Etui mit der trockenen Rose.

Die Portièren nach dem Schlafzimmer, einem geräumigen Gemach mit grauer Seidentapete, waren weit zurückgeschlagen, ebenso die dunklen grünen Vorhänge des Bettes, und man sah die junge Gräfin in weißem Negligé ruhig auf den Kissen liegen. Der Aermel des rechten Armes war aufgeschlagen und der stark angeschwollene Arm mit Kompressen belegt, welche die neben dem Bette sitzende Kammerjungfer in kurzen Zwischenräumen mit einer stark riechenden Feuchtigkeit aus einer Arzneiflasche befeuchtete.

Das Gesicht der Comtesse war stark geröthet, ihre Augen hatten fieberhaften Glanz, blickten aber mit ruhig ergebenem, wenn auch tief traurigem Ausdruck den Eintretenden entgegen.

Bei dem Anblick des leidenden jungen Mädchens stürzte Herr von Stielow allen Anderen voraus, fiel am Rande des Bettes auf die Kniee nieder und rief, die Hände faltend, mit halb erstickter Stimme: »Klara,– meine Klara!«

Sie blickte Ihn mit unendlich liebevollem Blick an.

»Mein geliebter Freund!« sagte sie sanft und streckte ihm ihre zarte linke Hand entgegen, – »wie schön ist das Leben, – wie schmerzlich ist es, an den Tod zu denken, – der mir so nahe sein soll, – Gott wird gnädig sein und uns nicht trennen!«

Herr von Stielow beugte das Haupt auf die Hand seiner Geliebten und berührte sie leicht mit den Lippen. Er war keines Wortes mächtig. Nur ein heiserer, schwerer Seufzer drang aus seinem Munde.

Mit festem Schritt und rascher, gebietender Bewegung trat der Graf Rivero an das Bett.

»Hoffen Sie, Comtesse,« sprach er mit sicherer, klarer Stimme, – »Gott wird meine Hand segnen! – Und nun, Herr Baron, überlassen Sie mir den Platz – die Augenblicke sind kostbar!« Er berührte leicht die Schulter des knieenden jungen Mannes.

Dieser stand schnell auf und trat zurück.

Der Graf entfernte die Kompressen und untersuchte mit kaltem, prüfendem Blick den Arm. Dieser war von unten herauf stark geschwollen, bläulich gefärbt, dick aufgelaufene Streifen zogen sich bis zum Schultergelenk herauf.

Alle Blicke ruhten mit äußerster Spannung auf dem ernsten Gesicht des Grafen, der scharf die Wunde betrachtete und mit tastendem Finger die Streifen der Geschwulst verfolgte. Die Comtesse blickte mit einem Blick, in welchem sich Erstaunen und hoffnungsvolles Vertrauen mischte, auf diesen ihr fast unbekannten Mann, der in so sicherer Ruhe vor ihr stand und mit so zuversichtlicher Stimme ihr gesagt hatte: »Hoffen Sie!«

Der Graf hatte seine Untersuchung vollendet.

»Es ist ganz richtig,« sprach er, – »verwesende Materie ist in die Wunde gedrungen, die Vergiftung ist weit vorgeschritten, – fast wäre es zu spät gewesen!«

Er öffnete das schwarze Kästchen, welches er mitgebracht und neben sich auf den Tisch gestellt hatte.

Dasselbe enthielt einen kleinen chirurgischen Apparat und mehrere Fläschchen von geschliffenem Krystall.

Der Graf nahm ein Messer mit goldenem Griff und hellpolirter glänzender Klinge.

»Ich bitte um Verzeihung, Comtesse,« sagte er mit dem ruhigen Tone des Weltmannes, – »ich muß Ihnen wehe thun, – aber es ist nothwendig.«

Die junge Gräfin lächelte.

Der Graf nahm mit fester Hand den leidenden Arm und schnell wie der Blitz machte er im Kreuz zwei tiefe Schnitte in die Wunde.

Ein dickes, mit Eiter vermischtes Blut quoll daraus hervor.

»Ein Tuch!« rief der Graf.

Man reichte ihm ein Batisttuch, – er entfernte schnell das Blut, ergriff eines der Krystallfläschchen, öffnete die Wunde weit und goß einen Theil des Inhalts in dieselbe.

Das Gesicht der Comtesse wurde todtenblaß, – sie schloß die Augen, krampfhaft drückte sie die Lippen auf einander.

»Schmerzt es?« fragte der Graf.

»Entsetzlich!« hauchte das junge Mädchen kaum hörbar.

Der Graf nahm aus dem Kästchen eine kleine Spritze mit scharfer Stahlspitze, füllte sie mit der Flüssigkeit aus dem Flacon, und der Geschwulst folgend spritzte er an den Endpunkten der angelaufenen Streifen an verschiedenen Stellen diesen Inhalt in das Fleisch des Arms.

Immer schmerzlicher verzog sich das Gesicht der Comtesse, die Gräfin Frankenstein blickte mit angstvoller Besorgniß auf die Manipulationen des Grafen, Herr von Stielow rang in stummem Schmerz die Hände, Pater Ignatius hatte die Hände über der Brust gefaltet und bewegte die Lippen in stummem Gebet.

Der Graf nahm ein anderes Flacon, füllte ein Glas zur Hälfte mit reinem Wasser und zählte langsam und vorsichtig eine Anzahl Tropfen von der in dem Fläschchen enthaltenen Flüssigkeit hinein.

Das Wasser färbte sich blutroth, – ein starker, eigentümlich durchdringender Geruch verbreitete sich im Zimmer.

Der Graf berührte leicht mit seinem Finger die Stirn der Kranken.

Sie öffnete die Augen – ihr Gesicht zuckte noch von brennendem Schmerz.

»Trinken Sie dieß!« sagte der Graf in mildem, aber unbedingt befehlendem Ton. Zugleich hob er sanft ihr Haupt empor und brachte das Glas an ihre Lippen.

Sie sog den Inhalt ein. Beobachtend ruhte der Blick des Grafen auf ihr.

Nach einiger Zeit wurden ihre Züge ruhiger, die heftigen Zuckungen des Schmerzes ließen nach. Sie öffnete die Augen und athmete, wie erleichtert, tief auf.

»Ach, wie wohl das thut!« flüsterte sie.

Ein Ausdruck von Befriedigung zeigte sich auf dem Gesicht des Grafen, – dann sprach er mit ernster, feierlicher Stimme:

»Ich habe gethan, was menschliche Kunst und Wissenschaft vermag, – jetzt steht es in der Hand Gottes, dem Werk meiner Hand seinen Segen zu geben. – Beten Sie zu Gott, Comtesse, – inbrünstig und aus voller Seele, daß er meinem Mittel die Kraft gebe, das Gift zu überwinden!«

»Ja, ja,« sagte das junge Mädchen lebhaft und ihr Blick suchte ihren Verlobten, – »komm zu mir, mein geliebter Freund!«

Herr von Stielow eilte an das Bett und sank mit gefalteten Händen vor demselben nieder.

»Ich kann meine Hände nicht in einander fügen,« sagte sie leise, ihn innig anblickend, – »aber laß mich meine Hand auf die Deinigen legen, und vereint soll unser Gebet zum Himmel aufsteigen, daß seine ewige Gnade uns bei einander lasse!«

Und sie begann mit flüsternden Lippen zu beten, während die Augen des jungen Offiziers sich mit dem Ausdruck heißer tiefer Andacht aufwärts richteten.

Plötzlich durchflog ein Zittern die Gestalt der jungen Gräfin, fast angstvoll zog sie ihre Hand zurück und mit entsetztem Blick starrte sie ihren Verlobten an.

»O,« rief sie mit bebender Stimme, – »unser Gebet kann nicht emporsteigen in reiner Harmonie, – welch' ein furchtbarer Gedanke, – wir beten nicht zu demselben Gott!«

»Klara!« rief der junge Mann, – »welcher Gedanke – es ist nur Ein Gott im Himmel – und er wird uns erhören!«

»Ach!« – rief sie, ohne auf seine Worte zu achten, »es ist nur Ein Gott, aber Du wandelst nicht die Wege, die zu ihm führen, Du bist nicht im Schooße der Kirche, – o, ich habe wohl daran gedacht im Glück des bewegten Lebens, aber ich habe mich getröstet, mein Gewissen beruhigt, – aber jetzt in dieser äußersten Noth, an den drohenden Pforten der Ewigkeit, faßt es mich mit furchtbarem Schauer; – Gott kann uns nicht hören – und,« fuhr sie mit starrem Blick fort, – »wenn ich sterben muß – wenn keine Hülfe mehr möglich ist – soll ich in die Ewigkeit gehen mit dem Bewußtsein, daß seine Seele verloren ist – entsetzlich, entsetzlich!«

»Klara, Klara!.« rief Herr von Stielow mit dem Ton der höchsten Angst, die starren Blicke auf ihr schmerzlich bewegtes Gesicht richtend, »Gott ist derselbe für Alle, die ihn mit reinem Herzen anbeten, und kein Gebet kann reiner und inniger zu ihm aufsteigen, als das meinige!«

Die Gräfin Frankenstein war auf einen Sessel gesunken und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, – forschend und durchdringend blickte der Pater auf die ergreifende Szene, auf den schönen, ruhigen Zügen des Grafen Rivero leuchtete es auf wie ein Glanz der Verklärung.

Klara blickte trübe und schmerzlich auf ihren Geliebten. Sanft schüttelte sie den Kopf. »Du betest nicht an dem Altare meiner Kirche, – uns scheidet das Höchste und Heiligste, was da lebt im Menschenherzen!«

»Klara, meine einzig Geliebte,« rief der junge Mann, die gefalteten Hände erhebend, »der Altar, an welchem Dein reines Herz zu Gott betet, muß der heiligste, der schönste sein, – o daß dieser Altar hier vor mir stünde, damit ich mich vor ihm niederwerfen könnte, um Gott um Deine Erhaltung zu bitten!« – und die brennenden Blicke mit begeistertem, strahlendem Ausdruck emporrichtend, nahm er die Hand seiner Braut und legte sie auf die seinige. Ein unbeschreiblicher Ausdruck von Entzücken leuchtete in dem Auge der jungen Gräfin auf.

»Der Altar Gottes ist hier,« sagte Graf Rivero mit tiefem, bewegtem Ton, indem er unter seiner Weste hervor ein goldenes Kreuz zog, auf welchem man den wunderbar schön in Silber ziselirten Leib des Heilands erblickte, – »und sein Priester steht neben Ihnen!«

Er löste das Kruzifix von einer feinen goldenen Kette, an welcher es befestigt war.

»Es kann keinen höheren und heiligeren Altar geben, als diesen,« sprach er, das Bild des Gekreuzigten ehrfurchtsvoll mit den Lippen berührend, – »der heilige Vater in Rom hat es geweiht mit seinem apostolischen Segen! – Junger Mann,« sagte er mit tiefem Ernst zu Herrn von Stielow, der stumm auf den Knieen lag und halb fragend, halb verklärt und begeistert seine Blicke emporrichtete, – »junger Mann, Gott hat Sie hoch begnadigt, indem er Ihnen auf so wunderbare Weise den Weg des Heils öffnet, hören Sie die Stimme Gottes, die durch diese reinen Lippen zu Ihnen spricht, ergreifen Sie die Gnade, die Ihnen winkt im Schooße der heiligen Kirche, und bekennen Sie Gott mit dem Bekenntniß, das vielleicht in der nächsten Stunde von den sterbenden Lippen Ihrer Braut zum Throne des Ewigen aufsteigen wird. Sie erbitten ein Wunder vom Himmel zur Rettung Ihrer Geliebten, – öffnen Sie Ihre Seele dem wunderbaren Gnadenborn, der Ihnen entgegenströmt.«

»Ich will es,« rief Herr von Stielow und sein Gesicht leuchtete in flammender Erregung.

Klara schloß die Augen und drückte fest ihre Hand auf die des jungen Mannes.

»Du hörst es, mein Gott,« flüsterte sie, »ich danke Dir, die Wege Deiner Gnade sind heilig und über alles Hoffen und Denken.«

»Herr Pater,« sagte der Graf mit würdevoller Hoheit, – »thun Sie Ihre Pflicht als Priester und nehmen Sie diese zum ewigen Heil erweckte Seele in den Schooß der alleinseligmachenden Kirche auf!«

Der Pater Ignatius stand da in tiefer Bewegung, freudig strahlte sein Blick, – aber zögernd antwortete er:

»Ist das möglich – hier, – ohne Vorbereitung?«

Der Graf erhob leicht die Hand.

»Ich nehme Alles auf mich,« sagte er ruhig und stolz, – »die Formen können später erfüllt werden« – und er reichte dem Pater das Kruzifix, das dieser ehrfurchtsvoll küßte.

»Legen Sie Ihre Hand auf das Bild des Heilands und sprechen Sie, was der Priester des Herrn hier Ihnen sagen wird,« sagte der Graf.

Herr von Stielow wendete sich zu dem Pater, der sich ihm genähert hatte, und that wie ihm der Graf geboten.

Langsam und feierlich sprach der Priester die Worte des katholischen Bekenntnisses; mit tiefer Andacht wiederholte sie der junge Offizier, leise flüsternd sprach Klara sie mit; hoch aufgerichtet stand der Graf da, das glänzende Auge aufwärts gehoben, das Lächeln begeisterten Triumphes auf den Lippen.

Die Gräfin Frankenstein war auf die Kniee gesunken und senkte das Haupt auf die gefalteten Hände.

Das Bekenntniß war abgelegt, – mit demüthiger Geberde reichte der Pater das Kruzifix dem Grafen zurück, der es küßte, dann wieder an die Kette befestigte und an seiner Brust barg.

»Jetzt vereinigen Sie Ihr Gebet,« sagte er dann mit unendlicher Milde, – »keine Dissonanz wird Sie mehr trennen und in reiner Harmonie wird Ihre gemeinsame Bitte zum Throne der ewigen Liebe und des Erbarmens aufsteigen.«

Herr von Stielow legte seine gefalteten Hände auf den Rand des Bettes; Klara drückte ihre linke Hand darauf und leise die Lippen bewegend sprachen diese beiden jungen liebevollen Herzen mit Gott – ihn anstehend, sie miteinander den Weg des Lebens vollenden zu lassen.

Lange beteten sie so vereint und inbrünstig – schweigend blickten die Umstehenden auf dieß so schöne, so rührende Bild. – Tiefe Stille herrschte in dem Gemach.

Endlich erhob sich Herr von Stielow, nachdem er die Hand der Comtesse leicht mit den Lippen berührt hatte. Die Gräfin Frankenstein näherte sich ihm und küßte ihn auf die Stirn. »Gottes Segen komme über Sie, mein Sohn!« sprach sie innig. Mit träumendem, schimmerndem Blick sah der junge Mann um sich, – es schien, als stiege er aus einer fremden, ihm plötzlich erschlossenen Welt herab in diese Umgebungen, als müsse er sich wieder zurecht finden nach der gewaltigen Erschütterung, welche sein ganzes Wesen in seinen Tiefen durchbebt hatte.

Der Graf näherte sich dem Bette und untersuchte den verwundeten Arm.

Die Wunde war hochroth, ein Kranz von Bläschen umgab sie. Gleiche Bläschen zeigten sich auf dem ganzen Arm.

»Das Mittel wirkt,« sagte er, – »das Gift beginnt herauszutreten, – ich habe die gewisse Hoffnung der Rettung.«

Herr von Stielow warf sich an seine Brust.

»Mein Freund für ewig!« rief er und Thränen stürzten aus seinen Augen.

»Wie soll ich Ihnen danken, Herr Graf!« sagte die Gräfin Frankenstein in tiefer Bewegung.

»Danken Sie Gott, Frau Gräfin,« erwiederte dieser, – »der heute zwei Wunder gethan hat, indem er ein Leben dem irdischen Glück erhielt und eine Seele der ewigen Gnade zuführte. – Doch,« sagte er dann lächelnd im Tone der Gesellschaft, – »ich rechne auf Ihre Diskretion, – Sie dürfen mich nicht mit der medizinischen Fakultät in Konflikt bringen.«

Er gab einige Anordnungen über die weitere Behandlung der Wunde mit dem Mittel, welches er zurückließ, flößte der Kranken noch eine Arznei ein und verließ das Haus mit dem Versprechen, nach einigen Stunden wiederzukommen.

Schnellen Schrittes ging er zum Hause der Frau Balzer, –. seine Züge nahmen einen finstern, strengen Ausdruck an, als er die Treppe zu der Wohnung der jungen Frau hinaufstieg.

In dem Salon derselben fand er den Abbé Rosti, ihn erwartend. Der junge Geistliche saß auf einem Sessel vor der Chaise longue der Dame des Hauses, welche in reizendem hellblauen Morgenanzug frisch und heiter mit ihm plauderte.

Bei dem Eintritt des Grafen erhob sich der Abbé, die junge Frau begrüßte ihn mit anmuthigem Lächeln und streckte ihm ihre schöne Hand entgegen.

»Wir haben Sie erwartet,« sagte sie, – »der arme Abbé leidet schon lange unter dem Zwange der Konversation, welche er mit mir machen mußte,« fügte sie mit neckischem Tone hinzu, – »wo waren Sie?«

»Ich habe die Ausführung eines großen Verbrechens verhütet,« erwiederte der Graf ernst und düster, indem sein Auge fest auf dem Gesicht der jungen Frau haftete.

Sie zitterte unwillkürlich unter diesem Blick.

»Ein Verbrechen?« rief sie, – »und wo sollte es begangen werden?«

»Es war begangen!« sagte der Graf ruhig, ohne seinen Blick abzuwenden, – »es war begangen an einem reinen und edlen weiblichen Wesen, das eine ruchlose Hand einem entsetzlichen Tode geweiht hatte, – an der Gräfin Klara Frankenstein.«

Frau Balzer stand starr und regungslos da. Eine tiefe Blässe legte sich auf ihr Gesicht, ihre Lippen zitierten, ihr Auge senkte sich vor dem festen und unbeweglichen Blick des Grafen. Ihre Brust hob sich – sie wollte sprechen, – aber es drang nur ein unterbrochener, zischender Athemzug aus ihren Lippen.

»Sehen Sie, Abbé,« sagte der Graf, mit der Hand leicht auf die junge Frau deutend, – »dieses Weib, das da vor Ihnen steht, das eben mit lächelnder Lippe zu Ihnen sprach, das in seinem Blick alle edlen und schönen Gefühle des Herzens wiederzuspiegeln versteht, – dieses Weib ist eine Mörderin, die mit kalter Grausamkeit das Gift der Verwesung in das warme und reine Blut eines unschuldigen Wesens flößte, eines Wesens, das ihr nichts Anderes zu Leide that, als daß es die Liebe eines jungen Mannes besaß, für den Diese da in wilden Flammen entbrannt ist. – Gott wollte es anders,« fuhr er fort, – »und gab mir die Macht, dieß Opfer der furchtbaren Bosheit zu retten!«

Erstaunt, – entsetzt hörte der Abbé die Worte des Grafen, fragend blickte er auf diese schöne, elegante Frau, gegen welche sich eine so furchtbare Anklage erhob.

Sie hatte die Hand auf die Brust gepreßt, wie um die aufwallende Bewegung derselben gewaltsam niederzudrücken. Ihr Auge hob sich bei den letzten Worten des Grafen mit dem Ausdruck des Schreckens und eines wüthenden Hasses empor – doch konnte sie seinen Blick nicht ertragen und sah wieder zur Erde nieder.

»Herr Graf« sagte sie mit mächtiger Anstrengung, aber mit kalter, ruhiger und scharfer Stimme, – »Sie sprechen Beschuldigungen aus, – Sie sprechen im Tone eines Richters mit mir, – den ich nicht verstehe, – dessen Berechtigung ich nicht anerkenne.«

Und mit gewaltiger Willenskraft erhob sie den Blick und sah dem Grafen fest und starr in's Gesicht.

Dieser richtete sich hoch empor, – sein Auge flammte, – er trat einen Schritt gegen sie vor und langsam die Hand erhebend sprach er mit gedämpfter Stimme, deren mächtiger, dumpfer Ton zitternd durch das Zimmer drang:

»Ich spreche keine Beschuldigung aus, sondern eine Anklage, welche zu beweisen mir leicht wäre, ich spreche als Richter, weil ich, wenn ich es wollte, Dein Richter sein könnte – Antonie von Steinfeld!«

Entsetzt blickte die junge Frau auf den Grafen – alle ihre Fassung verschwand, gebrochen sank sie in sich zusammen.

»Ich könnte,« fuhr der Graf fort, »der Richter sein jener unnatürlichen Tochter, welche ihre alte kranke Mutter, eine würdige Dame, die sie mit den größten Opfern erzogen, verließ, um einem abenteuernden Schauspieler zu folgen, indem sie die letzten Kostbarkeiten ihrer Mutter, die Werthpapiere, welche ihr kleines Vermögen bildeten, stahl, – welche im wilden Taumel dahin lebte, während ihre unglückliche Mutter, welche nicht wagte, ihre Schande an die Öffentlichkeit und die Gerichte zu bringen, in tiefster Dürftigkeit darbte, bis ihr der Gram das Herz brach. – Ich könnte der Richter sein der verlornen Dirne, welche tief und tiefer sank, bis sie einen erneuten Diebstahl an einem jungen Manne, den sie umgarnt, durch zwei Jahre Strafhaft büßte, – welche dann als Kunstreiterin und Schauspielerin in den kleinen Städten Böhmens und Galiziens umherzog, bis es ihr gelang, einen Mann zu finden, der wenig besser wie sie – ihr seinen Namen gab und sie in die Lage setzte, das Gewerbe im Großen zu treiben, das sie früher auf den Straßen begonnen, – ich könnte der Richter der Mörderin sein, welche ein junges, reines Leben kaltblütig und planvoll einem entsetzlichen Tode weihte. – Glaubst Du, Unwürdige,« fuhr er fort, und seine Stimme schwoll an wie rollender Donner, – »daß es mir mehr als ein Wort kosten würde, um den falschen Flitterschleier von der Fäulniß Deiner Existenz zu reißen und Dich dem Abscheu und der Verachtung der Welt preiszugeben? – glaubst Du,« rief er, dicht vor sie hintretend, indem seine Augen Blitze schleuderten, – »daß es mein Gewissen belasten würde, durch einen Tropfen von sichererer Wirkung als jenes Gift, das Du in die Adern der Unschuldigen flößtest, die Erde von Deinem schuldbeladenen Dasein zu befreien?«

Die junge Frau war bei jedem Worte des Grafen tiefer und tiefer zusammengebrochen, – als er geendet, lag sie zu seinen Füßen, ihre Augen starrten ihn an wie ein Gespenst, das höchste Entsetzen, eine hoffnungslose Angst malte sich auf ihrem Gesichte.

Der Abbé blickte mit einer Mischung von Mitleid und Abscheu auf diese vernichtete, gebrochene Gestalt.

Schweigend ließ der Graf seinen durchdringenden Blick auf ihr ruhen.

»Danke Gott,« sprach er dann, – »daß er das Opfer Deines mörderischen Hasses durch meine Hand gerettet,– ohne Erbarmen hätte meine Hand Dich vernichtet. – Versuche,« sagte er nach einem kurzen Stillschweigen, während dessen die junge Frau hochaufathmend mit den angstvollen Blicken an seinen Lippen hing, – »versuche jetzt den Himmel zu versöhnen, – indem Du die Gaben, welche die Natur Dir gab und die Du im Dienst der Sünde gemißbraucht, für die heilige Sache Gottes und seiner Kirche verwendest. Du sollst mir dienen als Werkzeug, und um der Sache willen, der Du Dich weihst, wird Dir vielleicht einst vergeben werden, was Du bisher verbrochen.«

Sie sah ihn fragend an, – das Leben und die Hoffnung kehrte in ihr Gesicht zurück.

»Ich fordere kein Versprechen von Dir, – ich werde sehen, was Du thust, und ob Dein Gehorsam die Probe besteht, – bedenke, daß stets, auch wenn ich ferne bin, mein Auge auf Dich gerichtet ist und meine Hand über Dir schwebt, – sie wird zerschmetternd auf Dein Haupt fallen, wenn Du je um eines Haares Breite von den Wegen abweichst, die ich zu gehen Dir vorschreiben werde. Ich werde Dich befreien von allen Fesseln, die Dich hier ketten, Du sollst frei sein in meinem Dienst – Deine Kräfte zu gebrauchen nach allen Richtungen, – aber noch einmal: hüte Dich, Deine eigenen Wege zu gehen, – sie würden Dich in das rettungslose Verderben führen.«

Sie hatte sich langsam erhoben und stand vor ihm mit gesenkten Augen, die Hände über der Brust gekreuzt, – es wäre schwer zu sagen gewesen, was in ihrem Innern vorging, auf ihrem Gesicht lag kein anderer Ausdruck als der der tiefsten Demuth und Ergebung.

Der Graf sah sie noch einige Augenblicke schweigend an.

»Ich habe gesprochen,« sagte er, – »ich werde nicht warnen, – sondern strafen, – wenn meine Worte vergessen werden sollten.«

Sie neigte stumm das Haupt.

Dann verschwand der feierliche Ernst aus seinem Gesicht, seine Züge nahmen wieder ihre gewohnte, gleichmäßige vornehme Ruhe an.

»Ist Herr Balzer im Hause?« fragte er.

»Ich glaube es,« erwiederte sie mit leiser Stimme, – »er hat mich vorher um eine Unterredung bitten lassen.«

»Ich wünsche ihn zu sehen,« sagte der Graf.

Sie verneigte sich schweigend und verließ das Zimmer.

»Welche Szene!« rief der junge Abbé schaudernd, als sie fort war, – »welch' ein entsetzliches Weib!«

Der Graf blickte sinnend vor sich hin.

»Und glauben Sie,« fragte der Abbé, »daß sie Ihrer Schonung danken, daß sie umkehren – sich bessern wird?«

»Ich weiß es nicht,« sagte der Graf ruhig, – »wir müssen hoffen, daß ihr Herz sich einst der Gnade öffnen wird, – jedenfalls ist sie ein Werkzeug von unschätzbarem Werth.«

»Was beabsichtigen Sie?« fragte der junge Priester erstaunt.

Langsam setzte sich der Graf in einen Lehnstuhl und winkte dem Abbé, sich an seiner Seite niederzulassen.

»Mein junger Freund,« sagte er ernst und milde, – »Sie gehören zu der heiligen Liga, Sie sind ein Soldat der streitenden Kirche, Sie haben Geist, Muth und Glaubenstreue, – Sie sind berufen, mit mir zu arbeiten an der Aufrichtung des Reiches Gottes auf Erden, an dem Aufbau des Tempels der Verheißung auf dem Felsen Petri, – ich sage Ihnen, ein großer Kampf, eine große Arbeit steht uns bevor, – eine Arbeit auf neuer Grundlage.«

Er schwieg nachdenkend.

»Was wir bisher gethan und vorbereitet, ist zertrümmert,« sagte er dann, »eine neue Phase beginnt. Oesterreich hat sich losgesagt von dem Grunde seiner Existenz, – es hat sich losgesagt von der Kirche, auf deren Boden dieser Kaiserstaat erwachsen ist, durch die er allein gehalten und in die Zukunft hinübergeführt werden konnte. – Dem ersten Schritt auf dieser Bahn werden schnell andere folgen nach dem unerbittlichen Gesetz der logischen Konsequenz – wir müssen Oesterreich aus unserer Rechnung streichen. Ob wir mit Frankreich rechnen können, ist mir nicht klar, – es möchte so scheinen auf den ersten Blick, – aber das Fundament des jetzigen Frankreichs bietet uns keine Garantieen, – es ist eine dämonische Gewalt, die dort herrscht, – und diese Gewalt hat ja zuerst die Hand an das alte, heilige Recht der Kirche gelegt, – ich sehe,« fuhr er, wie im Anschauen der Bilder seines Geistes verloren, fort, – »ich sehe die Welt in neue Formen sich hineinbilden, ich sehe die deutsche Nation langsam erwachen zu mächtigem Auferstehen, – sollte es der Wille der Vorsehung sein, daß das Reich deutscher Nation, das einst zerbröckelnd auseinanderfiel, der feste Grundstein des Reiches Gottes werde? – Die Zukunft wird es zeigen,« sagte er nach einer Pause, – »wir aber müssen auf der Warte stehen, wir müssen die neue Zeit mit scharfem Blick erfassen, unsere Macht in ihr begründen, um mit sicherer Hand in die Ereignisse eingreifen zu können. Was uns zu thun obliegen wird, läßt sich jetzt nicht übersehen, – jedenfalls ist hier weder etwas zu sehen, noch etwas zu thun, hier sind Trümmer, die allmälig zu Schutt zerfallen werden. – Ich gehe nach Paris,« fuhr er das Haupt emporrichtend fort, »dort ist der Mittelpunkt der sich vorbereitenden Ereignisse, dort werden wir mit klarem Blick die Fäden überschauen, welche die Welt lenken – Sie begleiten mich?« – sagte er halb fragend, halb im Tone bestimmter Aufforderung.

Der Abbé verneigte sich.

»Ich bin angewiesen,« erwiederte er, »zu Ihrer Verfügung zu stehen, und es erfüllt mich mit Freude und Stolz, unter einem Meister, wie Sie, thätig zu sein.«

»Ich werde diese Frau mit mir nehmen,« sagte der Graf, – »ich werde sie von ihren hiesigen Verhältnissen lösen und sie auf einen Boden stellen, wo sie ihre eminenten Fähigkeiten entfalten kann, – sie wird jetzt, da sie sich in meinen Händen weiß, große Dienste leisten.«

Der Abbé blickte erschrocken auf.

»Diese Frau?« sagte er, – »mit solchen Werkzeugen sollen wir unsere heilige Sache beflecken?«

Der Graf richtete sein ausdrucksvolles Auge groß und fest auf den jungen Priester.

»So sind auch Sie angesteckt von den Zweifeln der schwachen Seelen,« sagte er langsam, – »welche den Zweck wollen, aber ängstlich die Mittel prüfen?«

»Kann die Sünde dem Himmel dienen?« fragte der Abbé zögernd.

Der Graf stand auf. Hoch richtete sich seine schlanke Gestalt empor, sein leuchtender Blick maß stolz den jungen Priester vor ihm und in vollem Tone sprach er mit dem Ausdruck klarer und fester Ueberzeugung: »Dient nicht der flammende Wetterstrahl, der da tödtet und die Hütte der Armuth in Asche legt, den ewigen Absichten Gottes, – sind nicht alle zerstörenden Kräfte der Natur wiederum wunderbare Mittel in der Hand der Allmacht? Das eben ist ja die Allmacht Gottes, daß auch das Böse dem Guten dienen, zum guten Ziel sich fügen muß – und selbst jener große Dichter der Deutschen, der nicht auf dem Boden des Glaubens steht – malt seinen Teufel richtiger und wahrer, als sonst die Welt, – als eine Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft! – Nun,« rief er, und ein Ausdruck mächtiger Energie flammte in seinem Auge, »wir wollen die Krieger der streitenden Kirche sein, wir wollen ihre Feinde zertrümmern und dem Kreuz zum Siege verhelfen – und wir sollten feige zurückbeben vor dem Teufel, sollten seine Macht anerkennen und fürchten? Nein, wir müssen die Kraft in uns fühlen, die dämonischen Mächte der Finsterniß zu zwingen, daß sie dem Himmel dienstbar werden; das ist der wahre Sieg über die Sünde; nicht der Sieg des ängstlichen Schulknaben, der sie flieht, um ihr nicht zu unterliegen, sondern der Sieg des Herrn und Meisters, der im Namen Gottes den gefallenen Engel zwingt, gegen die Mächte der Welt zu fechten!«

»Verzeihen Sie,« sprach der Abbé mit zweifelndem Ton, – »ist es nicht Vermessenheit, wenn wir, die schwachen, sündhaften Geschöpfe, mit den Kräften der Finsterniß zu schalten unternehmen, wie es die allwissende und allmächtige Hand Gottes kann und darf, – können wir nicht jenen zur Beute werden, während wir glauben sie zu beherrschen?«

Der Graf sah ihn mit strengem, fast zürnendem Blick an.

»Die Welt,« sagte er, »kämpft gegen uns mit allen Mitteln, welche sie besitzt, – und sie wählt die schärfsten am meisten und liebsten, – sollen wir in den heiligsten Kampf, den es gibt, mit ungleichen Waffen eintreten, – welche uns zum Voraus die Niederlage gewiß machen? Nein und tausendmal nein, die schärfsten, die schneidendsten Waffen muß unsere Hand führen, schärfer und schneidender, als die der Gegner! – Das Schwert tödtet,« fuhr er fort, – »und es steht geschrieben: Du sollst nicht tödten! Dennoch sehen Sie, daß Hunderttausende das Schwert an der Seite tragen und ihre Lebensaufgabe darin finden, die Kunst des Tödtens regelrecht und taktisch zu erlernen! – Warum richtet man sie nicht, diese Heere, – warum bekränzt man sie mit Lorbeeren, wenn sie durch den Mord von Tausenden – von tausend Unschuldigen siegreich geworden sind? – Weil sie die Waffe führen im Dienst eines guten und wahren Prinzips, im Dienste der Vertheidigung des Herdes, im Dienste des Ruhmes und der Größe des Vaterlandes. Und das Vaterland gehört doch dieser Welt, gehört der vergänglichen Erde! – Wir aber sollten zögern und bangen, das Schwert zu führen mit der Hand und dem Geiste, wenn es gilt die Vertheidigung der ewigen Heimat unserer Seele – wenn es gilt dem Ruhm, der Macht und Größe des ewigen Vaterlandes der ganzen Menschheit, des unsichtbaren, allerheiligsten Reiches Gottes? – Wahrlich, mein junger Freund, – Diejenigen, welche für irdische Güter das Schwert ziehen und das Blut ihrer Mitmenschen vergießen, haben kein Recht, uns in der Wahl unserer Mittel zu beschränken, die wir für das ewige, unvergängliche Gut streiten. Aber – es sind unsere Feinde vor Allem, welche uns die stumpfen Waffen in die Hand drücken möchten, damit sie ihres Sieges gewiß sind, – und gelingt es ihnen, Zweifel in unsere Seelen zu werfen, so ist der Sieg ihnen im Voraus gewonnen. Verbannen Sie den Zweifel aus Ihrem Herzen, stärken Sie Ihre Seele, sonst kann Ihre Hand das Schwert der streitenden Kirche Christi nicht führen!«

Der Abbé neigte das Haupt.

»Verzeihen Sie dem jungen Herzen das schwankende Zagen,« sagte er leise, – »ich will ringen und beten, es mit dem festen Panzer gläubigen Gehorsams zu umgürten.«

Der Graf blickte ihn milde und freundlich an.

»Bitten Sie Gott,« sagte er, »daß er Ihr Herz stähle und kräftige, ohne es die Wege gehen zu lassen, welche das meinige in Verzweiflung und Schmerzen hat durchwandeln müssen, bis es zur ruhigen Festigkeit und klaren Ueberzeugung gekommen ist.«

Er trat nahe zu ihm heran und legte die Hand auf seine Schulter.

»Auch ich,« sprach er mit weicher Stimme, »war jung wie Sie, – ich war heiter und glücklich wie Sie, – ich hatte ein schönes, geliebtes Weib, an dem meine ganze Seele hing, – ich hatte ein Kind, eine Tochter von zwei Jahren, aus deren reinem Auge mir des Himmels lichter Gruß entgegenstrahlte, – ich war Arzt in Rom, meine Hand war glücklich, der Reichthum strömte mir zu, – ich hätte die ganze Menschheit an mein Herz drücken können, wenn ich mein Weib im Arm, mein süßes, liebes Kind auf den Knieen hielt, und allen Leidenden zu helfen mit allen Kräften meines Geistes war mein heiligstes Streben, mein Dank für all' das Glück, welches Gott mir gegeben, – Und ich hatte einen Bruder,« fuhr er fort, den träumerischen Blick tief in die Erinnerungen der Vergangenheit tauchend, – »ich liebte ihn von seiner zartesten Kindheit an, – ich, der Aeltere, hatte seinen Geist gebildet, sein Herz erzogen, – er war ein Jünger der edlen Kunst, jener holden Blüte meines schönen Vaterlandes, und mit Stolz sah ich auf die Schöpfungen seines Pinsels, in denen der Athem des Genius lebte und welche sich heranbildeten näher und näher zu den großen Vorbildern der Vergangenheit. – Es war eine schöne, glückselige Zeit. – Mein Bruder wollte seinen Pinsel versuchen an jenem höchsten und heiligsten Bilde, das die Kunst schaffen kann, – der gottbegnadigten Jungfrau mit dem Jesuskinde. Mein Weib saß ihm dazu als Modell, – mein Kind auf ihrem Schooß sollte die Haltung des göttlichen Kindes angeben. War es eine Sünde, ein vermessener Frevel? – Hatte doch auch der große Rafael nach den Formen irdischer Frauen die Madonna gemalt und der wunderbare Geist der Gottheit sich doch so herrlich seinem Blick geoffenbart – ich freute mich und war glücklich, in dem Gedanken, von der Hand des geliebten Bruders Alles, was ich Theures auf Erden besaß, im Bilde zum göttlichen Dienst vereinigt zu sehen. – Lange Stunden war ich abwesend in meinem Beruf,« fuhr er mit düsterem Tone fort, – »und als ich eines Tages zurückkehrte, – da waren sie verschwunden! Mein Bruder hatte mein Weib verführt, – oder sie ihn, – ich weiß es nicht, – ich weiß nichts, als daß sie fort waren, und daß sie auch mein liebes, unschuldiges Kind mitgenommen hatten, damit seine klaren, reinen Augen mir keinen Trost bringen könnten in meiner Einsamkeit.« –

Er hatte die letzten Worte leiser und leiser gesprochen, sein Blick wurde starr, seine Züge zuckten vor schmerzlicher Bewegung.

Er ließ sich wie gebrochen in einen Lehnstuhl sinken, der Abbé blickte in tiefer Erschütterung auf ihn hin.

»Es ist lange her,« sagte der Graf nach einigen Augenblicken in ruhigem, wehmüthigem Ton, »daß ich nicht mehr davon gesprochen, daß ich mit der Sonde des Wortes diese Wunde nicht mehr berührt habe, – Sie sehen,« fügte er mit unendlich schmerzlichem Lächeln hinzu, – »die Wunde ist noch nicht geschlossen. – Alle Nachforschungen waren vergeblich,« fuhr er dann fort, – »ich fand keine Spur der Verschwundenen. Soll ich Ihnen meinen Zustand schildern? Kaum vermöchten es Worte der menschlichen Sprache. Ich verzweifelte an Gott, – wild empörte sich meine Seele gegen den Himmel, ich wollte meinem Leben ein Ende machen und nur die leise Hoffnung, mein Kind, mein armes Kind wieder zu finden, ließ mich von einem Tage zum andern den letzten Entschluß verschieben. Ich verabscheute die Menschheit, ich hielt die Hülfe meiner Wissenschaft den Kranken, den Sterbenden zurück, ich freute mich in kaltem Hohne, wenn die Väter dahinstarben, wenn die Kinder ihren Eltern entrissen wurden, während sie mit Einem Mittel, mit Einer Operation meiner geschickten Hand hätten gerettet werden können. Ich haßte und verachtete Staat und Gesellschaft, – konnten ihre Gesetze, ihre Institutionen Verbrechen verhindern oder bestrafen, wie das, welches an mir begangen war? Hätte ich die ganze Menschheit vernichten können mit einem einzigen Worte, ich hätte hohnlachend dieses Wort gesprochen und alle lebende Kreatur in das ewige Nichts geschleudert! – O mein junger Freund,« sagte er mit einem tiefen, schweren Athemzug, – »es waren schreckliche Tage und Nächte, die ich da durchlebte, – auch mein Geist ist niedergefahren zur Hölle, und was in ihren Tiefen zittert und kocht, habe ich empfunden, auch in meiner Brust ist es in gräßlichen, gellenden Tönen erklungen, jenes ›Nein‹ der Auflehnung gegen den großen Schöpfer der Welt, gegen den Gott der ewigen Liebe und Gnade. – Ein alter, würdiger Priester, ein gewaltiger Kämpfer der streitenden Kirche, trat mir nahe, fast gewaltsam drängte er sich in mein Leben und der Feuerstrahl seiner Beredsamkeit drang zunächst wie ein zürnendes Wetter in die Nacht meiner Seele, alle Fasern meines Wesens erschütternd. – Aber aus den blitzenden Wettern ward Licht. – An der Hand jenes weisen Lehrers und Führers lernte ich erkennen, daß keine Ordnung des Staates und der Gesellschaft, so wohlbegründet, so weise gefügt sie sein möge, die Sünde überwinden könne, daß allein die Macht der heiligen Kirche, dieser Gesellschaftsordnung Gottes, wenn sie einst die Welt umfaßt in allgewaltiger Gliederung, die Sünde besiegen und das Verbrechen von der Erde verschwinden lassen kann. Ich lernte verstehen, daß es keine höhere, keine heiligere Aufgabe gibt, als zu streiten für die Erreichung dieses Ziels – die Alles umfassende Herrschaft der Kirche – welche das Erlösungswerk des Heilandes vollenden soll, indem sie das Blut Christi durch die ganze erschaffene Menschheit strömen läßt, – daß es keine schönere, keine stolzere und herrlichere That gibt, als die Sünde selbst zu zwingen, daß sie dem Himmel diene. – Aber,« fuhr er fort und sein Auge blitzte in gewaltiger Energie und in unbeugsamer Willenskraft, – »ich sah auch das furchtbare Rüstzeug der Feinde der Kirche und »ich lernte begreifen, daß der Sieg nur errungen werden könne, wenn wir alle Waffen des Willens, des Geistes, der Macht mit fester und rücksichtsloser Hand führen, – wenn wir vor Allem die dämonischen Gewalten der sündigen Welt mit eiserner Hand erfassen, sie zum Dienst der heiligen Sache, zum Vernichtungskampf untereinander zwingen. – Ich weihte mein Leben dem Dienste der streitenden Kirche – und Gott stärkte mein Herz und erleuchtete meinen Geist, – und er gab mir viele Macht und Gewalt über die Menschen und die verschlungenen Fäden ihrer Schicksale, – oft habe ich in meiner Hand die furchtbare Gewalt des Dämons gefühlt – aber der Engel in mir ist nicht gefallen, die dämonische Gewalt hat dem Himmel gedient – wie des Dampfes titanische Riesenkraft dem Druck der Menschenhand gehorcht! – Und ich sollte zweifeln und schwanken,« rief er lebhaft, »in der Wahl meiner Waffen, – ängstlich die Mittel prüfen, mit denen ich meine Ziele – große und heilige Ziele verfolge, – wegwerfen die Gewalt, die ich über meine Feinde habe, – mich und die Sache, der ich diene, zum Gespött der Gegner machen? O ich fürchte die Mächte der Hölle nicht,« – sprach er stolz und begeistert, – »diese Hand ist stark genug, um sie meinem Willen zu beugen und im Namen Gottes den bösen Willen zu zwingen, daß er das Gute schaffe!«

Der Abbé blickte mit Bewunderung in die schönen, erregten Züge des Grafen.

»Verzeihen Sie, mein Meister,« sprach er demüthig, – »meinen Zweifel – und entziehen Sie mir niemals Ihre starke Hand, mich zu leiten und zu stützen.«

Der Graf reichte ihm die Hand.

»Auch Ihre Kraft wird sich stählen in der Arbeit des Kampfes,« – sagte er, – »aber vergessen Sie niemals, daß nicht der Mensch – die schwache und sündige Kreatur für irdische Wünsche und Bestrebungen, es wagen darf, die Waffen zu führen, welche zu ergreifen nur Der das Recht hat, der Allem entsagt, um nur zu leben und zu sterben als ein Werkzeug zum immer größeren Ruhme Gottes!«

Die Thüre öffnete sich. Herr Balzer trat ein.

Er begrüßte den Grafen mit jener Miene gemeiner Vertraulichkeit und jener unverschämten Sicherheit, welche ihm eigenthümlich war.

Mit einer stolzen Neigung des Kopfes erwiederte der Graf seinen Gruß, kalt und ruhig blickte er ihn an.

»Sie haben gewünscht, mich zu sprechen, Herr Graf,« sagte Herr Balzer, – »womit kann ich Ihnen dienen?«

»Unsere Unterredung wird hoffentlich nur kurz sein,« erwiederte der Graf, – »ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen, den Sie annehmen werden, denn er wird Sie aus einer sehr schlimmen Lage befreien.«

Herr Balzer war betroffen über den kurzen, überlegenen Ton, in welchem der Graf zu ihm sprach, seine Sicherheit schien ein wenig erschüttert.

»Einen Vorschlag?« sprach er befremdet, – dann fügte er mit gemeinem Lächeln hinzu: »ich höre gern jeden Vorschlag an – und wenn er annehmbar ist –«

»Ich will, daß Ihre Frau vollkommen frei sei,« sagte der Graf kurz und kalt, – »und«

»Das wird ein wenig schwer sein,« rief Herr Balzer mit zufriedener Miene, – »eine Scheidung, – sie müßte protestantisch werden – und der Skandal –«

»Sie wird auch frei – wenn sie Wittwe ist,« sagte der Graf.

Herr Balzer machte fast einen Sprung von dem Grafen rückwärts.

Aengstlich blickte er umher, – dann blickte er erstaunt in das ruhige Gesicht des Grafen und sagte mit gezwungenem Lächeln:

»Sie scherzen, mein Herr.«

»Durchaus nicht,« sagte der Graf, – »Sie werden die Güte haben, mich ruhig und ohne Unterbrechung bis zu Ende anzuhören, und ich zweifle nicht, daß Sie mir vollkommen Recht geben werden.«

Herr Balzer schien nicht zu wissen, was er von diesem so ruhig und sicher sprechenden Manne denken solle, – indeß deutete er durch eine Neigung des Kopfes an, daß er bereit sei, zu hören.

Im einfachsten und natürlichsten Tone von der Welt sprach der Graf weiter:

»Ihre Verhältnisse, mein Herr, sind vollkommen zerrüttet, – Sie stehen nicht nur vor dem Bankerott, sondern befinden sich mitten in demselben, schon seit lange fristen Sie Ihre finanzielle Existenz nur durch jenes eigentümliche System, welches die alten Schulden durch neue größere deckt, – welches aber mit unerbittlicher Notwendigkeit zuletzt zum vollständigen Zusammenbrechen führt –«

Herr Balzer blickte mit tiefem Erstaunen auf den Grafen.

»Der letzte Augenblick des unausbleiblichen Ruins ist gekommen,« sprach dieser, – »ich bin im Besitz einer Reihe von Forderungen, welche, auf einmal geltend gemacht, Sie umwerfen müssen. – Außerdem aber verwickelt sich Ihre Lage in sehr unangenehmer Weise noch dadurch, daß Sie in letzter Zeit, um sich zu retten, oder vielmehr um den Augenblick des Ruins hinauszuschieben, zu dem Mittel der Wechselfälschung gegriffen haben.«

»Herr Graf,« rief Herr Balzer in einem Tone, dessen Unverschämtheit nur schlecht die Angst und den Schrecken verdeckte, – »ich –«

Mit einer stolzen Handbewegung gebot ihm der Graf Schweigen.

Er zog aus der Tasche seines Ueberrocks mehrere Wechselpapiere.

»Sie sehen,« sagte er, dieselben leicht auseinander blätternd, – »die gefälschten Wechsel sind in meinen Händen, – das Zuchthaus ist Ihnen gewiß, wenn ich dieselben der Behörde überliefere.«

Aus dem gemeinen Gesicht des Herrn Balzer war jede Spur von Sicherheit verschwunden. Mit starrem Schrecken blickte er den Grafen an, ohne ein Wort zu sprechen.

»Sie sind also verloren,« sagte dieser kalt, – »und wenn Sie noch einen Funken von Ehrgefühl besitzen, so müßten Sie den Tod der Zukunft vorziehen, welche Sie erwartet.«

Herr Balzer erhob in sprachloser Verwirrung die Hände wie bittend zu dem Grafen.

Dieser blickte ihn ernst an und fuhr fort:

»Ich will Sie aber nicht vernichten, – ich will Ihnen Gelegenheit geben, ein neues Leben zu beginnen –« Ein Strahl von Freude blitzte aus den Augen des Wechselagenten, – er verstand noch nicht, aber er begann zu hoffen.

»Herr Graf,« rief er, – »befehlen Sie – –«

»Hören Sie genau, was ich verlange,« sagte der Graf, – »von Ihrem pünktlichen Gehorsam wird Ihre Zukunft abhängen.«

Herr Balzer horchte gespannt.

»Sie werden,« sagte der Graf, »sogleich nach Gmunden fahren, – von dort werden Sie einen Brief an Ihre Frau schreiben, in welcher Sie ihr sagen, daß Sie den Bankerott nicht mehr aufhalten können und daher den Tod vorzögen, – dann werden Sie dafür sorgen, daß an irgend einer tiefen Stelle des Sees Ihr Hut, Ihr Stock und etwa ein Handschuh oder ein Taschentuch schwimmend auf dem Wasser gefunden werde. Nachdem dieß geschehen, werden Sie den Bart abschneiden, eine Perrücke aufsetzen und sich nach Salzburg begeben, wo Sie die unter dieser Adresse bezeichnete Person aufsuchen werden, welche Ihnen einen Auswanderungspaß und die Summe von fünftausend Gulden übergeben wird.« Er reichte Herrn Balzer eine beschriebene Karte. – »Dann werden Sie,« fuhr er fort, »sich unverzüglich über Hamburg mit dem ersten Schiffe nach New-York begeben und sich dort an Diejenigen wenden, welche die Person, die Sie in Salzburg finden, Ihnen bezeichnen wird. Sie werden dort jede Förderung und Unterstützung finden, um ein neues Leben zu beginnen, – wenn Sie Ihren Namen und Ihre Vergangenheit vergessen. Denken Sie aber daran, daß man Sie stets beobachtet und Sie vernichten kann, wenn Sie nicht pünktlich gehorchen!«

Herrn Balzer's Gesicht hatte bei den im einfachsten Tone gesprochenen Worten des Grafen zunächst ein hohes Erstaunen ausgedrückt, dann war etwas wie Hohn und boshafte Freude über seine Züge geflogen, endlich blickte er in tiefem Nachdenken vor sich hin.

»Nehmen Sie meinen Rettungsvorschlag an?« fragte der Graf.

»Und meine Wechsel?« sagte Herr Balzer mit einem scheuen Blick.

»Ich habe sie gekauft, – sie bleiben in meinem Portefeuille,« – erwiederte der Graf.

»Ich nehme an!« sagte Herr Balzer, – »Sie sollen mit mir zufrieden sein, – aber,« fügte er mit einem unendlich widerwärtigen Lächeln hinzu, – »fünftausend Gulden ist wenig – Sie schätzen meine Frau gering –«

»Man wird Ihnen die gleiche Summe bei Ihrer Ankunft in New-York zahlen,« sagte der Graf kalt, »wenn Sie Alles pünktlich besorgt haben.«

»Ich gehe,« sagte Herr Balzer, – »soll ich,« fügte er mit einem schlecht gespielten schmerzlichen Ausdruck hinzu – »von meiner Frau keinen Abschied nehmen?«

»Nein,« erwiederte der Graf, – »sie soll an Ihren wirklichen Tod glauben, – das ist mein bestimmter Wille, – sie soll ganz frei sein, – auch in ihrem Gewissen!«

Herr Balzer wendete sich zum Gehen.

»Ich erwarte also in drei Tagen Nachricht aus Salzburg!« sagte der Graf. – »Und nun,« fuhr er ernst und feierlich fort, – »segne Sie der Himmel und öffne Ihnen in seiner Gnade die Wege eines neuen Lebens!«

Er streckte die Hand gegen ihn aus, milde Freundlichkeit strahlte aus seinem Blick.

Herr Balzer verbeugte sich und verließ das Zimmer.

»Hier sind wir fertig,« sagte der Graf, als er mit dem Abbé allein war, – »bereiten Sie sich vor, in acht Tagen abzureisen.«


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