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Zwölftes Kapitel.

König Georg V. war am 16. Juni früh Morgens in Göttingen angekommen und zu ihrem großen Staunen und nicht geringer Bestürzung erfuhren die Einwohner, welche am Abend vorher noch kaum einen wirklichen Begriff von dem hohen Ernst der Lage gehabt hatten, daß der Krieg ausgebrochen, der König im Gasthofe zur Krone angekommen und die Armee in der Zusammenziehung nach Göttingen begriffen sei.

Die Stadt der alten Georgia Augusta hatte kaum jemals so viel buntes und geräuschvolles Leben in ihren Mauern gesehen.

Unaufhörlich rückten durch die Thore der Stadt oder vom Bahnhofe her neue Truppen an und bezogen theils Quartiere in der Stadt, theils in den Dörfern der Umgebung.

Alle Soldaten hatten sich mit frischen Eichenreisern geschmückt, klirrend zogen die stolzen, herrlich berittenen Kavallerieregimenter heran, rasselnd rollten die Batterieen über das Pflaster und lustige Lieder erklangen von allen Seiten aus den Reihen der kriegesmuthigen Schaaren.

Vor dem Gasthofe zur Krone war ein reges Leben. Ordonnanzen von den rothen Leibhusaren hielten dort, der Befehle gewärtig, Adjutanten kamen und gingen, Lakaien eilten geschäftig hin und her, Gruppen von Bürgern standen versammelt in leisem, flüsternden Gespräch und blickten neugierig hinauf nach den mittleren Fenstern des ersten Stockwerks, wo der König wohnte.

Wenn aber ein neues Regiment anrückte und kurz vor dem Anmarsch an das Hotel die Klänge des God save the King ertönten, dann öffnete sich oben das Fenster und der König erschien an demselben in der Generalsuniform und der Feldmütze, ernst und still, freundlich herabgrüßend zu den Truppen, die daherzogen, um seinem Feldruf zu folgen und deren Fahnen sich neigten vor dem königlichen Kriegsherrn. Jubelnd und brausend aber stieg der althannöverische Hurrahruf empor, daß die Fenster klirrten und das Herz des Königs freudiger schlug, denn man konnte es hören, daß dieser Ruf aus dem Herzen drang und daß die Soldaten, welche mit demselben ihren König begrüßten, ihr Blut freudig vergießen würden zu seiner Vertheidigung.

Gegen neun Uhr erschien der Senat der Universität, geführt von dem Prorektor, dem berühmten Staatsrechtslehre Zachariä, in den schwarzen Talaren mit der Verbrämung in den Farben der Fakultäten, und die fast priesterlich dunkle Tracht der Vertreter der Wissenschaft, welche in dem Kriegsgetümmel den König zu begrüßen kamen, mischten sich mit den bunten, glänzenden Uniformen und trugen dazu bei, dem lebensvollen, wechselnden Bilde neuen Reiz zu verleihen.

Der König hatte die Professoren empfangen, hatte mit dem Generaladjutanten und dem General Gebser, welchen er zum Kommandeur der Armee bestimmt hatte, gearbeitet und saß allein in seinem Zimmer.

Sein Gesicht war bleich und ermüdet von der Unruhe und Aufregung des vergangenen Tages und der schlaflosen Nacht, aber hoher Muth und unbeugsame Entschlossenheit leuchtete aus seinen Augen.

Der Kammerdiener öffnete die Thür und meldete den Kronprinzen.

Freundlich lächelnd streckte der König seinem Sohne die Hand entgegen, welche dieser ehrerbietig küßte.

»Hast Du etwas geschlafen?« fragte der König.

»Wenig,« antwortete der Prinz, dessen Gesicht heute unter dem Eindruck des bewegten, rauschenden Treibens um ihn her etwas mehr Leben zeigte als sonst, – »ich habe mit vielen Offizieren der heranziehenden Truppen gesprochen.«

»Ein herrlicher Geist in der Armee, nicht wahr?« rief der König freudig bewegt, »es macht mich überaus glücklich, mich von solchen Truppen umgeben zu wissen!«

»Ja,« antwortete der Prinz zögernd, – »der Geist ist vortrefflich, – aber –«

»Was aber?« fragte der König gespannt und befremdet, – »hast Du irgend etwas bemerkt, das mit diesem Geist nicht übereinstimmte?«

»Der Geist ist ganz vortrefflich, Papa,« erwiederte der Kronprinz langsam und etwas mit der Stimme anstoßend, als ob er die Worte nicht recht finden könne, – »aber – aber es ist kein rechtes Vertrauen in die Führung da!«

»Kein Vertrauen in die Führung!« rief der König lebhaft aufstehend, – »beim Beginn des Feldzuges, – das wäre ja sehr schlimm!«

Er schwieg einen Augenblick.

»Bist Du dessen sicher?« fragte er, – »wer hat Dir das gesagt?«

»Viele Offiziere antwortete der Prinz, »vom Generalstab, – die Adjutanten, – und man hat mich dringend gebeten, es Dir zu sagen.«

»So?« fragte der König, – »und zu wem hat man kein Vertrauen, – hat man die Namen genannt?«

»Doch,« sagte der Prinz, – »man glaubt nicht, daß der General Gebser die richtige Energie für das Kommando im Felde habe, – auch sei sein Name nicht populär unter den Truppen, und auch General Tschirschnitz sei zu alt für die Strapazen des Krieges und zu sehr in den aktenmäßigen Bureaudienst eingelebt –«

Mit rascher Bewegung ließ der König seine Hand über den vor ihm stehenden Tisch gleiten und bewegte heftig die darauf stehende Glocke.

»Der Flügeladjutant vom Dienst!« befahl er dem eintretenden Kammerdiener.

Unmittelbar daraus trat der Flügeladjutant Rittmeister Graf Wedel, der Bruder des Schloßhauptmanns, in das Zimmer.

»Eure Majestät befehlen?«

»Mein lieber Wedel,« sagte der König, »der Kronprinz theilt mir soeben, wie das seine Pflicht ist, mit, daß unter den Offizieren und den Truppen das Vertrauen zu dem General Gebser fehle, welchem ich das Kommando über die Armee zu übertragen beschlossen habe, und daß auch der Generaladjutant nicht das nöthige Vertrauen habe. Der Augenblick ist ernst, – sagen Sie mir als Offizier und mein Flügeladjutant bei Ihrem Eid und Ihrer Pflicht, was Sie darüber wissen.«

Graf Wedel, eine schöne, kräftige Männergestalt mit kurzem schwarzen Haar und schwarzen Vollbart, richtete sein großes, dunkles Auge voll und offen auf den König und antwortete mit fester, klarer Stimme:

»Was Seine Königliche Hoheit Eurer Majestät gesagt hat, ist, soweit ich Gelegenheit gehabt, mich über die Stimmung zu orientiren, – die volle Wahrheit!«

Der König saß einen Augenblick nachdenklich.

»Und Sie haben das von ernsten und tüchtigen Offizieren gehört?« fragte er.

»Von den Offizieren des Generalstabes,« erwiederte Graf Wedel, »und mehreren andern Offizieren, die ich zu sprechen Gelegenheit gehabt.«

»Und wer würde das Vertrauen der Armee als ihr Führer haben?«

»Der Generallieutenant von Arentschildt!« erwiederte Graf Wedel ohne zu zögern.

»Ich danke Ihnen,« sagte der König ernst, »bitten Sie den General von Brandis und Graf Platen, zu mir zu kommen.«

»Zu Befehl, Majestät!«

Und in militärisch dienstlicher Haltung verließ Graf Wedel das Zimmer.

»Das ist schlimm – sehr schlimm!« sagte der König ernst und traurig, »denn eine Armee, die kein Vertrauen zu ihren Führern hat, ist halb geschlagen, – gut aber, daß ich noch zu rechter Zeit davon erfahren habe.«

Der Kronprinz war an's Fenster getreten und blickte zu den bunten Gruppen auf der Straße herab.

Die beiden Minister traten ein.

General von Brandis, lächelnd und ruhig wie immer, Graf Platen bleich und abgespannt.

»Meine Herren,« sagte der König, »ich höre, daß die Persönlichkeiten des Generaladjutanten und des von mir gewählten Kommandeurs der Armee nicht das volle Vertrauen der Truppen haben.«

Er hielt inne.

»Es ist leider so, Majestät, – ich habe dasselbe hier von allen Seiten gehört,« sagte Graf Platen.

»Und Sie, General Brandis?«

»Majestät,« sagte der General mit seiner ruhigen Stimme, – »ich habe viele ähnliche Aeußerungen hier gehört, wie ich nicht leugnen kann, indeß, wenn man auf alle solche Aeußerungen, die in so aufgeregter Zeit gemacht werden, entscheidendes Gewicht legen wollte, so müßte man oft das Kommando wechseln. – Die Hauptsache scheint mir, daß gut kommandirt und rasch vorwärts gegangen wird.« –

»Ich gebe gewiß nicht viel auf das, was hie und da gesprochen wird,« sagte der König, »indeß dieß scheint mir ernst zu sein und ich möchte wahrlich nicht, daß die Armee ohne Vertrauen zu ihren Führern in's Feld rückte!«

»Gewiß, Majestät, ist die Sache ernst,« sagte Graf Platen, – »es ist mir peinlich,« – fuhr er fort, »hier in militärischen Dingen, die nicht zu meinem Ressort gehören, eine Meinung auszusprechen und Eure Majestät wissen, daß ich mich nicht durch Aeußerungen, die von einer oder der andern Seite kommen, beeinflussen lasse –«

General Brandis lächelte leicht.

»Hier aber,« fuhr Graf Platen fort, – »liegt doch gewiß ein Fall vor, in welchem man den Aeußerungen der allgemeinen Stimmung Rechnung tragen muß.«

»Haben Sie auch den Generallieutenant von Arentschildt nennen hören?«

»Er wird allgemein genannt, Majestät!« erwiederte Graf Platen.

General Brandis schwieg.

»Ich kenne Arentschildt wenig!« sagte der König nachdenklich, – »was denken Sie über ihn, General Brandis?«

»Herr von Arentschildt ist ein tüchtiger General und ein ehrenhafter Charakter,« sagte der Kriegsminister.

»Halten Sie ihn für den Mann, um die Armee glücklich hindurchzuführen?« fragte der König.

»Majestät, die Probe für einen General ist der Erfolg, – ich bin ein alter Feldsoldat und beurtheile den Soldaten nur im Felde.«

Der König stützte den Kopf in die Hand und saß lange schweigend da.

Endlich richtete er sich empor.

»Es gilt die Zukunft meines Hauses und meines Königreichs,« sprach er ernst – »ich opfere alle persönlichen Wünsche und Rücksichten, wo jene großen Interessen in Frage kommen, – niemals würde ich es mir verzeihen, wenn durch einen begangenen Fehler der Erfolg in Frage gestellt würde, – es ist keine Zeit zu verlieren, – der Entschluß muß gefaßt werden. – Mein armer, braver Tschirschnitz,« sagte er leise, das Haupt schüttelnd, – »es wird ein harter Schlag für ihn sein. – Wen würde man denn als Generaladjutanten mit Vertrauen begrüßen?« unterbrach er sich.

»Man nennt den Oberst Dammers, Papa,« sagte der Kronprinz, der wieder vom Fenster zurückgetreten war und sich dem Könige genähert hatte.

»Oberst Dammers?« fragte der König.

»Ein tüchtiger und energischer Offizier,« sagte der General Brandis, »ein Mann der That und des Entschlusses!«

»Ich habe mich mit ihm unterhalten,« sagte Graf Platen, – »es ist ein sehr verständiger und intelligenter Mann, – ich habe ihm die Politik der letzten Zeit entwickelt und er sah vollständig deren Richtigkeit ein, – ich glaube –«

»Ist der Oberst hier?« fragte der König.

»Er war soeben im Hause,« antwortete der Kronprinz.

Der König klingelte.

»Ich lasse den General Gebser und den Generaladjutant von Tschirschnitz bitten,« sagte er seufzend.

Beide Herren traten ein.

General Gebser, eine hohe, elegante Gestalt mit kühnem Gesichtsschnitt, freiem Blick, leicht ergrauend an Haar und Schnurrbart; der Generaladjutant von Tschirschnitz trug einige Papiere in der Hand.

»Mein lieber General Gebser und Sie, mein Generaladjutant!« sagte der König mit bewegter Stimme, »ich habe ein ernstes Wort mit Ihnen zu reden und einen neuen Beweis Ihres Patriotismus und Ihrer Hingebung für mich und mein Haus von Ihnen zu fordern.«

General Gebser blickte den König gerade und frei an, der alte Generallieutenant von Tschirschnitz richtete seinen Blick erstaunt von dem Papier, das er in der Hand trug, auf seinen Herrn, als begriffe er nicht, welche Beweise der Hingebung man von ihm noch erwarten könne.

»In einer Stunde wie diese,« fuhr der König fort, »ist ein offenes, ehrliches Wort nothwendig. Ich höre, daß die Armee die Wahl, welche ich getroffen, indem ich Ihnen, mein General Gebser, das Oberkommando zu übertragen beschlossen, nicht mit der freudigen Zustimmung ausgenommen hat, welche sie verdient, und daß ein anderer Name populärer unter den Reihen der Soldaten ist. Auch,« fuhr er fort, »höre ich, daß die Sorge allgemein ausgesprochen wird, Sie, mein lieber Generaladjutant, könnten bei Ihren vorgerückten Jahren zu sehr von den Strapazen dieses ohne Zweifel überaus mühevollen und anstrengenden Feldzuges angegriffen werden und es könnte dadurch vielleicht eine Unterbrechung des Dienstes eintreten, welche mitten im Marsch verhängnißvoll werden könnte. – Meine Herren,« sagte er leiser, indem er den Kopf vorbeugte, als wolle er durch die sein Auge verhüllenden Schleier den Eindruck wahrnehmen, welchen seine Worte hervorbrachten, – »Sie wissen, daß ich stets bereit bin, meine Person und alle persönlichen Rücksichten der Sache meines Landes zum Opfer zu bringen, – ich weiß, Sie denken wie ich und ich darf von Ihren treuen Herzen ein gleiches Opfer erwarten. Ich, Ihr König, der Ihre Verdienste und Gesinnungen hoch anerkannt und stets anerkennen wird, – ich bitte Sie, dieß Opfer zu bringen.«

Der König schwieg, – ein tiefer Athemzug drang aus seiner Brust herauf.

Der General Gebser hob den Kopf stolz empor, ein Lächeln zuckte über seine Lippen. Bleich, aber ohne zu zögern, trat er einen Schritt gegen den König vor und sprach mit fester Stimme:

»Es war meine Pflicht, Majestät, auf meines Königlichen Kriegsherrn Befehl die Armee gegen den Feind zu führen und meinen Degen zur Verteidigung des Vaterlandes zu ziehen. Es ist ebenso meine Pflicht, wenn Eure Majestät einen Würdigeren finden, diesem das Kommando zu übergeben. Ich danke Eurer Majestät für das mir geschenkte Vertrauen –«

»– Das keinen Augenblick erschüttert ist,« fiel der König ein.

»Und ich hoffe,« fuhr der General fort, »daß Derjenige, welcher an meine Stelle tritt, mit demselben Eifer und derselben Hingebung Eurer Majestät und dem Vaterlande dienen möge, – ich weiß, daß dieß geschehen wird,« fügte er hinzu, »denn er ist hannöverischer Offizier!«

Der König reichte ihm stumm die Hand, und festen Schrittes, ohne den Kronprinzen oder die Minister zu beachten, verließ der General das Zimmer.

Der Generaladjutant von Tschirschnitz biß in mächtiger Bewegung auf seinen weißen Schnurrbart – eine Thräne glänzte in seinem Auge.

»Majestät,« sprach er langsam, »es ist nicht die Zeit und der Ort, die freundliche Theilnahme in ihren Motiven zu prüfen, welche so sorgsam mein Alter vor den Beschwerden des Feldzuges zu schützen sucht, – ich habe nichts weiter zu thun, als Eure Majestät um meine Entlassung vom Dienst als Generaladjutant zu ersuchen. Eure Majestät wissen, daß ich diese Entlassung schon erbeten habe und daß ich mich gern zurückziehe in die Stille, – daß dieß aber im gegenwärtigen Augenblick geschehen muß, in welcher die Armee gegen den Feind zieht, – das ist ein tiefer Schmerz für das Herz eines alten Soldaten. – Vielleicht hätte diese Erinnerung« – und er deutete auf die Waterloomedaille auf seiner Brust – »mir trotz meines Alters die Kraft gegeben, die Mühen des Feldzuges zu ertragen, doch, es ist ja ein Gesetz der Natur, daß die Alten den Jungen weichen müssen, – ich bitte Eure Majestät, Ihrem alten Generaladjutanten ein gnädiges Andenken zu bewahren.« –

Die rauhe soldatische Stimme des alten Herrn versagte ihm.

Der König trat lebhaft auf ihn zu und breitete die Arme aus.

»Wir nehmen nicht Abschied, mein lieber Tschirschnitz!« rief er, – »wir sehen uns hoffentlich glücklich und bald nach diesen schweren Kämpfen wieder und Sie werden mir noch lange Ihren bewährten Rath geben!«

Und er drückte den General an seine Brust.

»Nehmen Sie die Ernennung zum General der Infanterie als Beweis meiner Dankbarkeit und Zuneigung,« sagte er weich.

Der General schwieg und verneigte sich.

»Eure Majestät erlauben,« sagte er dann, »daß ich mich nach Hannover zurückziehe, – dem alten Invaliden wird der Feind nichts thun,« fügte er bitter hinzu.

»Gehen Sie, lieber General,« sagte der König, – »die Königin wird den Rath treuer Diener bedürfen.«

Der Kronprinz trat heran:

»Ich bitte Sie, Mama zu grüßen,« sagte er freundlich.

»Leben Sie wohl, königliche Hoheit,« erwiederte der General, »Sie sehen einen alten Diener Ihres Großvaters und Ihres Vaters scheiden – so sinkt die alte Zeit herab, möge die Zukunft neue Menschen bringen – aber die alte Treue bewahren.«

Und der General verließ ebenfalls das Zimmer.

Der König athmete tief auf.

»So,« rief er, »das Schwerste wäre gethan. – Jetzt die neuen Ernennungen – und Gott gebe, daß die Wahl eine glückliche sei. – General Brandis – wollen Sie die Patente vorbereiten,« sagte er zum Kriegsminister gewendet, »und dafür sorgen, daß der General Arentschildt sich sogleich bei mir zur Uebernahme des Kommandos meldet, ebenso Oberst Dammers, um den Dienst als Generaladjutant anzutreten.«

Der General entfernte sich ernst und schweigend.

Graf Platen näherte sich dem Könige und sagte:

»Graf Ingelheim war soeben angekommen, als Eure Majestät mich rufen ließen und er bittet um Audienz.«

»Er soll kommen!« rief der König lebhaft.

Graf Platen ging hinaus und trat wenige Augenblicke darauf mit dem Gesandten des Kaisers Franz Joseph wieder herein.

Graf Ingelheim, ein großer, schlanker Mann von achtundfünfzig Jahren, kurzem, graublonden Haar und vornehm freundlichen, bartlosen blassen Gesicht, trug einen schwarzen Anzug mit dem Stern des Guelphenordens und dem Maltheserkreuz.

»Es freut mich, mein lieber Graf, Sie hier zu sehen!« rief ihm der König heiter entgegen, – »Sie haben also das Kriegsgetümmel nicht gescheut –?«

»Majestät,« erwiederte der Graf, »mein kaiserlicher Herr hat mir befohlen, Eure Majestät nicht zu verlassen und Allerhöchstdieselben zur Armee zu begleiten, – ein Befehl,« fügte er hinzu, »der mit meinen innigsten Wünschen übereinstimmt, denn abgesehen davon, daß es mich glücklich macht, Zeuge des heldenmütigen Zuges der tapfern hannöverischen Armee zu sein, – so ist hier wie im österreichischen Lager die gleiche Sache – die Sache des Rechts und der deutschen Unabhängigkeit. – Ich bitte Eure Majestät also um die Erlaubniß, in Allerhöchstihrem Hauptquartier bleiben zu dürfen.«

»Mit tausend Freuden, mein lieber Graf, biete ich Ihnen die Gastfreundschaft meines Hauptquartiers,« rief der König, – »Sie werden vielleicht,« fügte er lächelnd hinzu, »bei Ihrer militärischen Campagne die Diners Ihrer diplomatischen Feldzüge entbehren müssen, indeß – à la guerre comme à la guerre! – Wir gehen großen Entscheidungen entgegen,« fuhr er ernster fort.

»Die ohne Zweifel für Eure Majestät zu hohem Ruhm und zu dauerndem Glück ausfallen werden,« sagte Graf Ingelheim lebhaft.

»Glauben Sie, daß es gelingen kann, Süddeutschland zu erreichen?« fragte der König.

»Ich bin dessen gewiß,« erwiederte der Graf, – »nach allen Nachrichten, die mir zugekommen sind, – ich habe soeben noch einen Brief vom Grafen Paar aus Kassel erhalten – ist die Straße frei und die wenigen preußischen Truppen, die dort sein können, werden nicht wagen, Eurer Majestät Armee aufzuhalten.«

»Ich wollte, die nächsten Tage wären vorüber,« sagte der König düster, »die Sorge über den Ausgang des Zuges lastet schwer auf mir, und ich mag nicht daran denken, daß wir von überlegenen Kräften umringt werden könnten –«

»Die brave Armee wird sich durchschlagen, Majestät, wenn es nöthig ist,« rief Graf Ingelheim, »ich zweifle nicht daran, ich habe sie auf der Reise hieher gesehen, – vor Allem aber denken Eure Majestät daran, daß Sie nicht allein stehen, – die große Entscheidung wird auf den sächsischen Schlachtfeldern fallen, und wenn der Kaiser erst dort geschlagen und gesiegt hat, dann werden Eure Majestät im Triumph wieder in Ihre Residenz einziehen!«

Der König schwieg.

»Die Hauptsache ist,« sprach er nach einer Pause, »daß wir die Bayern erreichen, – wenn dieß gelingt, so ist die Armee gerettet und kann an der großen Entscheidung über Deutschlands Geschick frei mitwirken. Wir müßten genau wissen, wo die bayerische Armee steht.«

»Wie ich gestern gehört, sollen die bayerischen Vorposten nahe bei Eisenach und Gotha stehen,« sagte Graf Ingelheim.

»Nun, dann wäre ja die Vereinigung nicht schwer! – wäre es aber nicht zweckmäßig, dem bayerischen Hauptquartier wissen zu lassen, wo wir stehen und wohin wir marschiren, damit sie dort demgemäß ihre Operationen einrichten können?«

»Ohne Zweifel, Majestät,« fiel Graf Platen ein, – »sobald der neue Kommandeur und der Generalstab unseren Marsch werden festgestellt haben.« –

»Mir scheint doch,« sagte der König, »daß der schnellste Marsch und die geradeste Linie die einfache von den Verhältnissen selbst gegebene Vorschrift sei.« –

»Ich weiß nicht,« antwortete Graf Platen, – »es scheinen mir da sehr verschiedene Ansichten und Bedenken vorhanden zu sein, die sich nicht recht vereinigen lassen.«

»Nicht vereinigen, – das verstehe ich nicht!« rief der König, – »doch,« – fügte er mit traurig schmerzlichem Ausdruck halb laut hinzu, – »das muß ich meinen Generalen überlassen! – Sorgen Sie jedenfalls dafür, Graf Platen, – daß vertraute und zuverlässige Personen auf die Straßen nach Süden gesendet werden, um genau zu erkunden, ob dort feindliche Truppen und in welcher Stärke vorhanden sind.«

»Zu Befehl, Majestät!«

»Hat man Nachrichten von Hessen?« fragte der König.

»Ja, Majestät, bis gestern,« sagte Graf Ingelheim, »der Kurfürst ist entschlossen, in Kassel zu bleiben, die Armee ist dem General von Lothberg übergeben und konzentrirt sich bei Fulda.«

»Dorthin müßten wir also auch gehen,« rief der König, denn mit der hessischen Armee vereint bilden wir ein Korps, das schon sehr ernsten Widerstand leisten und nicht so leicht aufgehalten werden kann.«

Der Kammerdiener meldete den Kriegsminister.

»Der General Arentschildt und Oberst Dammers stehen zu Eurer Majestät Befehl,« meldete der General Brandis, – »und hier sind die Ernennungspatente,« fügte er hinzu.

»Lassen Sie die Herren kommen!« rief der König. – »Mein lieber Graf, wir sehen uns bei Tisch,« und er reichte dem österreichischen Gesandten die Hand, »im Campagnekostüme, wenn ich bitten darf, – Graf Platen, ich übertrage Ihnen die Sorge dafür, daß der Graf Ingelheim alle Bequemlichkeit findet, welche mein Hauptquartier bieten kann.«

Die beiden Herren traten ab; sie begegneten in der Thür die eintretenden Offiziere.

Der General von Arentschildt, eine nicht große, überaus magere Gestalt mit scharf markirten, etwas verwitterten Zügen und einem mächtigen grauen Schnurrbart, der lang über die Lippen herabhing, trat zuerst ein. Ihm folgte der Oberst Dammers, ein noch junger Mann, hochblond, von rothen, frischen Farben und raschen, energischen Bewegungen. Sein helles, blaugraues Auge fuhr mit sicherem, scharfen Blick über die Anwesenden und blieb dann erwartungsvoll auf dem Könige haften.

Ihnen folgte der General von Brandis.

»Meine Herren,« sagte Georg V. ernst und mit einer gewissen stolzen Kälte, »ich habe Sie, wie Ihnen mein Kriegsminister mitgetheilt hat, zu den in diesem Augenblick für mich und das Vaterland wichtigsten Stellungen berufen – ich bin überzeugt, daß Sie das Vertrauen, welches man Ihnen allgemein entgegenträgt – und das ich Ihnen beweise,« – fügte er hinzu, »vollständig rechtfertigen werden. Ich bitte Sie nun, schleunig Ihre Geschäfte zu übernehmen, und Sie, mein General von Arentschildt, werden mir, sobald als irgend thunlich, über die Richtung unseres Vormarsches Ihre Meinung sagen!«

»Majestät!« rief der General und schlug sich schallend auf die Brust, »Majestät, dieß Vertrauen ehrt mich hoch, und was ein alter Soldat thun kann, um es zu rechtfertigen, wird geschehen. – Ich bitte Eure Majestät –«

»Was?« fragte der König.

»Mir den Oberst Cordemann zum Chef des Generalstabs zu geben.«

Der König schwieg einen Augenblick.

»Also auch ein neuer Generalstabschef,« sagte er halblaut. – »Es ist in der Ordnung,« fuhr er fort, »daß Sie einen Generalstabschef nach Ihrer Wahl haben, – Oberst Dammers, fertigen Sie das Nöthige aus, und Sie, General Brandis, verständigen Sie den General von Sichart auf die schonendste Weise davon.«

»Der General hat mich bereits ersucht, Eurer Majestät sein Abschiedsgesuch zu unterbreiten,« antwortete Herr von Brandis.

»Der brave Mann!« rief der König, – »ich will ihn nachher noch sehen und persönlich von ihm Abschied nehmen.«

»Jetzt, meine Herren, an die Arbeit, – Ernst, ich bitte Dich, mir den Geheimen Kabinetsrath zu schicken.«

Der Kronprinz und die Offiziere verließen das Zimmer.

Mit tiefem Athemzug lehnte sich der König in seinen Sessel zurück. Gedankenvoll lauschte er dem von unten heraufdringenden brausenden Geräusch von Stimmen und Schritten, in welches sich hie und da militärische Signale, Pferdegetrappel und Trommelschlag mischte, und leise sprach er vor sich hin:

» Nec aspera terrent

Der neu organisirte Generalstab installirte sich in der Aula der Universität und in rastloser Arbeit wurde dort die Mobilmachung und Marschfertigkeit der Armee vorbereitet.

Während so die ganze Stadt in fieberhafter Bewegung und Thätigkeit war, fuhr ein Wagen schnell dem Bahnhofe zu.

In demselben saß der alte General von Tschirschnitz mit untergeschlagenen Armen, finster vor sich hinblickend.

»Das also ist das Ende so langer Dienstzeit, begonnen auf den Schlachtfeldern von 1813, durchgeführt durch lange Jahre voll Mühe und Arbeit, – und jetzt fortgeschickt vor dem Feinde, – warum? – weil einige junge Offiziere, einige ehrgeizige Kletterer, die Bahn frei haben wollten und die Gelegenheit benützten, sich von der strengen und festen Zucht des alten Tschirschnitz los zu machen.«

Er schnallte seinen Säbel ab und legte ihn auf den Rücksitz des Wagens.

»Da liege,« sagte er finster, »du alte ehrliche Waffe, – du bist zu derb und zu gerade für diese Zeit und diese Generation, – schreiben werden sie viel, auch viel hin und her laufen, – Pläne machen, Ordres und vorzüglich Contreordres erlassen, – um den Soldaten aber werden sie sich nicht kümmern, marschiren werden sie nicht und schlagen, wenn es sein muß. – Nun,« sagte er aufathmend, – »die Armee wird schlagen, die Truppen werden den Feind fassen, wenn sie ihn sehen, trotz aller Instruktionen und Theorieen, – das bin ich gewiß.«

Er war am Bahnhof angekommen, und während er, den Säbel in der Hand, in einen der leeren Züge einstieg, die nach Hannover zurückkehrten, um neue Truppen zu holen, rangirte sich am Bahnhof klirrend und rasselnd das Cambridge-Dragoner-Regiment, unter dem Befehl des Oberstlieutenants Grafen Kielmannsegge, der auf schnaubendem Pferde an der Spitze hielt, um das Regiment durch die Stadt in seine Quartiere in den vor Göttingen liegenden Dörfern Harste und Gladebeck zu führen.

Freundlich schaute der alte General von seinem Coupé hinüber nach den prächtigen, waffenschimmernden, muthstrahlenden Reitern.

Dann lehnte er sich mit wehmüthigem Lächeln zurück, – die Lokomotive pfiff und dahin brauste der Zug nach Hannover.

In demselben Augenblick schmetterten die Trompeten der Regimentsmusik durch die Lüfte, die Pferde hoben die Köpfe, die Reiter setzten sich fester in den Sattel, die Reihen schlossen sich und dahin zog das herrliche Regiment in die Stadt der Georgia Augusta.

Vor der vierten Schwadron ritt auf courbettirendem Pferde ein großer, schöner Mann, der Rittmeister von Einem, und neben seinem Zug sah man den Lieutenant von Wendenstein, frisch und strahlend im kriegerischen Waffenschmuck. Sein Auge leuchtete und man konnte ihm ansehen, daß nur die Gewohnheit des Dienstes ihn bewog, sein vorwärts strebendes Pferd in der Linie zu halten, – lieber wäre er dahingejagt in sausendem Ritt dem Feinde entgegen. Wohl klang in seinem Herzen ein leiser, wehmüthiger Ton nach, wenn er des alten Hauses in Blechow gedachte, – des letzten Abends im Kreise der Seinen und des Liedes, das ihm so wunderbar in die Seele gegriffen hatte, – aber dieser Ton mischte sich harmonisch in die fröhlichen kriegerischen Fanfaren der Trompeten, in das Wiehern der Pferde und das Klirren der Waffen, – sein Auge blitzte dem Sonnenlicht entgegen und lächelnd flüsterten seine Lippen das hoffnungsvolle Wort: »Auf Wiedersehen!«

Das Regiment zog am Gasthofe zur Krone vorbei; mit schallendem Hurrah begrüßten die Schwadronen den König am Fenster – und dann zogen sie hinaus zum andern Thor den Dörfern zu, in denen sie bei den Bauern die herzlichste Aufnahme fanden, denn der hannöverische Kavallerist war zu allen Zeiten ein willkommener Gast bei dem hannöverischen Bauer, um wie viel mehr jetzt, wo die braven Reiter mit dem Könige in's Feld zogen!

Bei dem Dorfe Gladebeck stand die vierte Schwadron auf Vorposten.

Die Pferde waren gefüttert und mit Streu versorgt, – regelrecht nach allen Vorschriften des Dienstes und nach dem Herzen der Kavalleristen, die erst für die Pferde und dann für sich sorgen.

Ein lustiges Feuer brannte neben der Straße vom Dorfe her am Fuße eines Hügels, von welchem aus man eine weite Ebene von Wiesen und Fruchtfeldern überblicken konnte. Von unten herauf leuchteten die Fenster der Bauernhäuser durch die laue Nacht herüber und von ferne schallten Stimmen, einzelne Signale und Pferdegewieher. Vom dunklen Himmel schimmerten die Sterne herab und der weiche, milde Nachtwind zog erfrischend nach der Hitze des Tages über die Felder hin.

Auf dem Hügel stand ein Reiterposten unbeweglich, den Karabiner am Schenkel.

Vor dem Feuer aber lagen auf reinem, hoch aufgeschüttetem Stroh zwei junge Offiziere, – die Lieutenante von Wendenstein und von Stolzenberg. In einem Feldkessel kochte brodelnd und prasselnd das Wasser; Cognac, Citronen und große Stücke Zucker waren reichlich vorhanden, und der Lieutenant von Stolzenberg, ein blühender, frischer junger Mann, bereitete in zwei silbernen Feldbechern das duftige, herzstärkende Getränk, welches Schiller zu seinem unsterblichen Liede begeisterte. Schinken, Brod und Würste lagen daneben und bewiesen, daß die Bauern von Gladebeck ihren Gästen geliefert hatten, was ihre Vorratskammern vermochten.

Herr von Stolzenberg hatte das Getränk gemischt, gekostet und reichte seinem Kameraden den Becher, den er mit einem Stückchen Holz umrührte.

»Glaubt Ihr an Ahnungen, Wendenstein?« fragte er.

»Das weiß ich wirklich nicht,« antwortete der Gefragte, indem er sich aus der völlig liegenden Stellung, in welcher er sich, den Blick zum Himmel gerichtet, befand, etwas aufrichtete, den Becher nahm und einen herzhaften Zug daraus that, – »das weiß ich wirklich nicht, – ich habe darüber noch niemals nachgedacht, – aber,« fügte er lächelnd hinzu, indem er den Becher vor sich auf die Erde stellte, »ich möchte wohl daran glauben, – denn wenn eine Ahnung ein gewisses unbestimmtes Gefühl ist, das uns durchdringt und uns eine Art Spiegelbild der Zukunft erblicken läßt, so muß meine Zukunft sehr schön und sehr hell sein; mir lacht Alles so froh und lustig entgegen und ich möchte vor reinem Vergnügen meilenweit in die Nacht hineinreiten. – Seht Ihr, Stolzenberg,« sagte er, indem er eine Cigarre aus seiner Tasche nahm und mit einem kleinen Messer sorgfältig die Spitze abschnitt, – »es ist doch eine wahre Freude, daß der langweilige, öde Garnisonsdienst ein Ende hat und wir nun hinausziehen in's Feld, in den wirklichen, wahrhaftigen Krieg, alter Freund, so eine Nacht wie diese im Bivouak unter freiem Himmel ist doch das Herrlichste, was ein Soldat wünschen kann, – gebt mir eine Kohle für meine Cigarre!«

Herr von Stolzenberg reichte ihm ein glimmendes Stück Holz, an welchem jener mit aller Sorgfalt eines Feinschmeckers im Gebiet des Rauchens seine Cigarre anbrannte, deren feiner Duft alsbald in leichten Wölkchen durch die Luft zog.

»Doch, was sprecht Ihr von Ahnungen, Stolzenberg?« fragte er dann, – »ist Euch etwa eine Ahnung passirt?«

Herr von Stolzenberg schürte langsam mit einem eichenen Ast das Feuer und blickte sinnend in die Glut.

»Ja,« sagte er ernst.

»Nun, nun,« rief Herr von Wendenstein, »Ihr sagt das ja mit einer Stimme, wie der steinerne Gast, – sprecht ernsthaft und erzählt mir etwas davon. – Vorher aber trinkt noch einen ordentlichen Schluck, – Ihr wißt, irgend ein Philosoph hat gesagt, die Ahnungen kämen aus dem Magen – und für den Magen ist nichts besser, als ein paar Zoll hoch vernünftiges Getränk darin.«

Herr von Stolzenberg kam der wohlmeinenden diätetischen Verordnung seines Freundes bereitwillig nach und sprach dann, wieder ernst in das Feuer blickend:

»Wißt Ihr, – ich scheue mich eigentlich, davon zu sprechen, denn es ist Nichts, – wenn Ihr wollt, – mir ist weder ein Geist erschienen, noch habe ich einen Traum gehabt, noch sonst irgend etwas, was sich bestimmt beschreiben läßt. – Als ich ganz fertig aus meinem Zimmer ging, um zu Pferd zu steigen, da fuhr mir plötzlich eine eisige Kälte wie ein elektrischer Schlag durch alle Glieder und es war, als ob eine Stimme in mir sprach: Du kehrst nicht zurück. Der Eindruck war so mächtig und so plötzlich, daß ich einen Augenblick wie festgebannt stehen blieb. Dann aber war eben so plötzlich Alles vorüber, so daß ich kaum wußte, was mir geschehen war.«

»Unsinn ist es!« sagte Herr von Wendenstein, der sich, den Kopf auf dem linken Arm, wieder ganz zurückgelegt hatte und den Blick nach den Sternen richtete, – »ich bleibe dabei, Euer Magen ist in Unordnung, natürlich auch – bei dem frühen Aufstehen und der Unruhe des Tages vorher. – Ihr werdet die Dosis Punsch verdoppeln müssen.«

»Und noch einmal,« sagte Herr von Stolzenberg sinnend und ohne auf den Scherz seines Freundes einzugehen, »hatte ich dasselbe Gefühl. – Als wir heute bei der Krone in Göttingen vorbeizogen, der König vom Fenster herabgrüßte und unsere Leute wie rasend Hurrah schrieen, da erhob ich den Säbel, um zu salutiren – und in demselben Augenblick durchfuhr mich abermals jene eisige Kälte und abermals rief es in mir: Du kehrst nicht zurück! – und der König auch nicht,« – fügte er dumpf und trübe hinzu.

»Mensch, seid Ihr rasend?« rief Herr von Wendenstein und richtete sich mit kräftigem Ruck empor, – »ahnt für Euch, soviel Ihr wollt, wenn Euch das Vergnügen macht, aber laßt den König aus dem Spiel, – thut mir wenigstens den Gefallen und sprecht zu Niemand von Euren Hallucinationen!«

Herr von Stolzenberg blickte vor sich hin.

»Wenn es sein soll« – sagte er halb leise – »nun in Gottesnamen, – kommt es zum Schlagen, so werden ja manche brave Soldaten fallen und es ist ja unser Loos so – ein schöner, ehrlicher Reitertod, das ist ja Alles, was man wünschen kann – nur keine langen Leiden und nicht zum Krüppel geschossen werden.«

»Ich antworte Euch nicht mehr,« sagte Herr von Wendenstein, – »das sind zu dumme Gedanken beim Ausrücken in's Feld. – Aber,« fügte er hinzu, indem er sich halb aufsetzte und dem Kameraden gerade in's Gesicht blickte, – »ich will Euch auch eine Confidence machen.«

Und halb scherzhaft, halb in glücklicher Erinnerung lächelnd, sagte er:

»Ich glaube, ich bin verliebt!«

»Ihr?« rief Herr von Stolzenberg lachend, – »das wäre nicht zum ersten Mal, – übrigens ist der Moment schlecht gewählt.«

»Warum?«

»Weil ein ordentlicher Reiter, wenn er in's Feld rückt, keine Gedanken zurücklassen soll! – Vorwärts heißt es – und ein Verliebter ist ein schlechter Soldat.«

»Das versteht Ihr nicht,« sagte Herr von Wendenstein, – »im Gegentheil, es macht so glücklich, wenn man hinauszieht, dem Kampf entgegen, zu denken, daß ein Herz für uns schlägt, uns folgt mit guten Gedanken und Wünschen, – und wenn man etwas Tüchtiges ausführen kann, – stolzer schlägt im Gedanken an den braven Reiter – und dann nachher, – wenn man zurückkommt, – o es muß sehr schön sein!«

»Wenn man zurückkommt,« – sagte Herr von Stolzenberg düster, – »doch,« fügte er in heiterem Tone hinzu, »wer ist denn Eure neue Flamme?«

Die mit träumerischem Ausdruck zu den Sternen aufgeschlagenen Augen des Herrn von Wendenstein richteten sich wie erstaunt auf seinen Freund und mit etwas verletztem Ton sagte er, indem er sich wieder ganz in das Stroh zurückwarf:

»Neue Flamme! – was das für ein Ausdruck ist, – übrigens werde ich Euch das nicht sagen!«

»Dann ist es Ernst,« erwiederte Herr von Stolzenberg, – »und jetzt muß ich Euch ein ordentliches Glas Punsch verordnen, – denn ich bleibe dabei, die Liebe ist eine Krankheit, besonders wenn man in's Feld zieht.« –

Herr von Wendenstein antwortete nicht, sondern fuhr fort, aufmerksam den Lauf der Sterne zu beobachten, welche ja in diesem Augenblick auch hinabfunkelten auf das alte Haus in Blechow, auf die alten Bäume und die wohlbekannten Fluren und Föhrenwälder, auf das Pfarrhaus und die blühenden Rosenbeete – und leise summte er vor sich hin:

»Wenn Menschen auseinander geh'n, –
So sagen sie: Auf Wiedersehen!«

»Halt, wer da!« rief der Posten aus dem Hügel und schlug den Karabiner an.

Die beiden jungen Offiziere sprangen im Nu auf.

Ein offener Halbwagen mit zwei Extrapostpferden kam schnell die Straße herauf und hielt auf den Ruf des Postens.

In einem Augenblick waren die beiden Offiziere am Schlage. Einige Dragoner erschienen in kurzer Entfernung.

»Wen haben wir hier?« fragte Herr von Stolzenberg in den Wagen hineinblickend, in welchem eine Gestalt im Mantel saß, – »man passirt die Vorposten nicht!«

Ein junger Mann mit offenem frischen Gesicht warf den Mantel zurück und bog sich zum Schlage heraus, die Offiziere begrüßend.

»Es ist Alles in bester Ordnung, meine Herren,« sprach er lächelnd, – »ich bin der Kanzlist Duve, vom Grafen Platen und dem General von Arentschildt abgeschickt, um eine Depesche des Grafen Ingelheim an den Baron Kübeck nach Frankfurt zu bringen und zugleich die hessische Armee zu suchen, um ihr Nachrichten von uns zu bringen, damit wir uns mit ihr vereinigen können. – Hier sind meine Depeschen und hier die Ordre zum Passiren der Vorposten.«

Der Lieutenant von Stolzenberg trat mit dem Passirschein an das Licht des Feuers, las denselben und gab ihn dann dem Herrn Duve zurück.

»Es ist in voller Ordnung,« sagte er dann. »Ich wünsche Ihnen glückliche Reise und guten Erfolg, – schaffen Sie uns bald die Hessen und wo möglich die Bayern herauf!«

»Was ich thun kann, wird geschehen,« erwiederte der Kurier.

»Stolzenberg,« rief Herr von Wendenstein, »gebt ein Glas Punsch her! Da, mein Herr,« sagte er, »nehmen Sie das mit in Ihrem Wagen, – es wird Ihnen gut thun in der Nacht, – wer weiß, wo Sie wieder etwas bekommen!«

»Auf gute Wache!« sagte Herr Duve und leerte den gebotenen Becher.

Die Pferde zogen an, der Wagen rollte davon und die beiden Offiziere kehrten zu ihrem Feuer zurück.

Nach kurzer Zeit rief der Posten abermals an – Schritte ertönten von der andern Seite des Hügels, – die Parole wurde gegeben und den schnell aufgesprungenen Offizieren trat der Rittmeister von Einem entgegen.

Die Lieutenants salutirten, – Herr von Stolzenberg meldete: »Nichts Neues, ein Kurier durchpassirt mit Depeschen und richtigem Passirschein.«

»Gut, meine Herren,« sagte der Rittmeister, – »es ist Alles in bester Ordnung, – doch nun,« – fügte er heiter lächelnd hinzu, – »lassen Sie den Dienst und geben Sie mir ein Glas von Ihrem Getränk und etwas zu essen, denn ich habe bis jetzt so viel mit den Pferden und Leuten zu thun gehabt, daß ich noch nichts für mich gefunden habe!«

Die Offiziere beeilten sich, dem Rittmeister ein Souper anzubieten, wie es ihr einfacher, aber reichlicher Vorrath erlaubte, und dazu brauten sie ihm ein so duftiges und würziges Glas Punsch, wie er es besser nicht im tiefen Frieden hinter dem behaglichsten Theetisch hätte finden können.

»Ja,« sagte Herr von Einem, indem er sich, bequem auf das Stroh niedergestreckt, eine Cigarre anzündete, – »so in den ersten Tagen ist das noch Alles sehr schön und bequem, – aber später, nach einiger Zeit, – da werden wir auch solchen Punsch nicht mehr trinken – und solche Cigarren nicht mehr rauchen.«

»Um so besser!« rief Herr von Wendenstein lustig, »da werden wir unsern Humor und unsern lustigen Reitersinn auf die Probe stellen, – aber Herr Rittmeister, – werden wir bald marschiren, – eben passirte ein Kurier zur hessischen Armee durch, – mir scheint, um uns mit der zu vereinigen, müßten wir marschiren, die Hessen können doch nicht wieder herauf kommen!«

»Ob wir marschiren werden?« sagte der Rittmeister seufzend, – »ja davon weiß ich nichts, – vorläufig sieht es noch nicht darnach aus – der hohe Generalstab sitzt und arbeitet und geschrieben wird – und wieder geschrieben, – wenn wir marschiren, das weiß ich nicht.«

»Um den General von Tschirschnitz thut es mir aber doch leid,« sagte Herr von Stolzenberg, – »es war ein alter derber Herr – und manchmal war nicht gut mit ihm Kirschen essen, – aber altes Schrot und Korn steckte drin, – warum ist er denn eigentlich fortgeschickt?«

»Graf Kielmannsegge, der vor einer Viertelstunde hier war,« sagte der Rittmeister, »hat mir erzählt, die Armee habe kein Vertrauen mehr in seine Dienstfähigkeit.«

»Nun, man hielt ihn ja schon lange für etwas gebrechlich,« bemerkte Herr von Wendenstein, »im Dienst war aber nichts davon zu merken, – wenn man je etwas damit zu thun hatte. – Wie ist denn Oberst Dammers, der neue Generaladjutant?«

»Ich kenne ihn wenig, – es soll ein energischer Mann sein. – Doch das sind Alles Dinge, die uns nichts angehen, – die Kavallerie ist noch von dem alten Schlage, – wo der Feind ist, da geht man hin und schlägt ihn oder fällt, – Punktum!«

Und er that einen großen Zug aus seinem Glase.

»Gott gebe, daß die neuen Besen da oben gut kehren – und daß wir bald vorwärts gehen.«

Er stand auf.

»Gute Nacht und gute Wache, meine Herren, auf Wiedersehen morgen, und hoffentlich auf dem Marsch!«

Die Offiziere salutirten, – langsam schritt der Rittmeister in die Dunkelheit dem Dorfe zu.

Herr von Stolzenberg und Herr von Wendenstein aber beschlossen, abwechselnd Jeder eine Stunde zu schlafen, während der Andere wachen würde, – so sank die Mitternacht herab und still ward es bei den Vorposten, während in Göttingen immer neue und neue Truppenzüge ankamen, Beurlaubte, Reservisten und ungediente junge Leute aus dem ganzen Lande zusammenströmten, um in die Armee eingereiht zu werden.

Der neue Generalstab arbeitete die ganze Nacht, es wurde viel debattirt und geschrieben in der großen Aula der Georgia Augusta und endlich beschlossen, daß die Armee vier Tage in Göttingen bleiben müßte, um sich marschfertig zu machen.

– Vier Tage ist eine lange. Zeit, wenn die Ereignisse nach Stunden zählen! –


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