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Zweites Kapitel.

In der Gegend der hannöverischen Stadt Lüchow liegt jener reiche und eigenthümliche Landstrich, den man – abgesehen von den offiziellen Landeseintheilungen – allgemein mit dem Namen »das Wendland« bezeichnet. Es ist dieß einer jener Striche in Deutschland, in welchen der alte Wendenstamm mit der ihm eigentümlichen Zähigkeit sich rein erhalten hat und in seiner besonderen Art und Sitte fortlebt.

Es ist ein schönes, reiches, blühendes Land, dieses Wendland; nicht schön im Sinne pittoresker Landschaften, welche durch den Wechsel der Höhen und Tiefen überraschende Gruppirungen dem Auge darbieten – aber wohlthuend durch die reiche Ruhe, welche auf den weiten Ebenen liegt. Hohe und schöne Baumgruppen sind die einzige Abwechslung, welche die Gleichmäßigkeit der Wiesen und Felder unterbrechen, aus diesen Baumgruppen von seltener Schönheit und Mächtigkeit glänzt im gelblichen Sonnenstrahle, der diesen Gegenden eigen ist, hier die einfache Kirche eines stillen Dorfes, dort das Dach eines alten Edelsitzes, weiterhin der Umriß einer kleinen Stadt hervor, von welcher man schon beim fernen Anblick das Gefühl hat, es müsse sich friedlich da wohnen lassen, fern vom Geräusch der Welt, deren brausende und rauschende Wellen nur im langsamen Abrollen hier an diese ruhigen Wohnstätten stiller Menschen heranspülen. Dazwischen breiten sich große sandige Flächen mit gewaltigen Föhrenwaldungen aus, – eintönig und einsam, haben sie etwas voll der Schönheit des Meeres – weithin zieht sich der sandige einsame Weg, das Wild nähert sich weniger scheu den Landstraßen, eine neugierige Dohle begleitet den Wagen, die starken Pferde ziehen im langsamen, aber kräftigen Schritt dahin, man sieht nichts als Himmel, Föhren und Sand, und wenn man einem anderen Wagen begegnet, der in entgegengesetzter Richtung den Weg verfolgt, und den man schon aus der Ferne erblickt, so grüßt man die Reisenden, wechselt auch wohl ein paar Worte und freut sich der Begegnung. Naht man dann dem Ende der Föhrenwaldung und senkt sich der Schatten des reichen Laubholzes auf das sonnenmüde Haupt, zeigt sich die frische Fülle der bewohnten Gegenden dem Auge, so richtet man sich froher auf, tiefer athmet die Brust die weiche Luft ein, die Pferde schütteln die Köpfe und beginnen von selbst einen munteren Trab, und der Kutscher lockt durch sein fröhliches und kunstreiches Peitschenknallen die Dorfhunde aus den Gehöften hervor.

Kurz es ist ein Land, in dem noch das Reisen seine alten Mühen und Strapazen und seine alte Poesie erhalten hat, in dem noch in den Städten die alte Sitte, die alten Gewohnheiten leben, in dem auf den Edelsitzen die alte Gastfreundschaft Thor und Thür weit aufthut, wenn ein Reisender sich naht – bringt er doch einen Athemzug frischen Lebens aus jener großen Welt mit, der man so fern ist und deren Ereignisse nur wie Sagen herüberklingen in den ruhigen Kreislauf des friedlichen Lebens im Hause.

So ist das alte, einfache, schöne und treue Wendland. Seine Bewohner sind wie das Land. Gesund und kräftig wie die Natur, in der sie leben, einfach wie diese, reich, weil sie haben, was sie bedürfen, und keine Bedürfnisse suchen, die sie nicht befriedigen können, stark in ihren einfachen Gefühlen, klar in ihrem einfachen Denken, voll natürlicher, unbewußter Poesie, in ihren Herzen voll warmen reinen Blutes.

In einer jener langgedehnten einsamen Föhrenwaldungen ritt um die untergehende Sonne eines der ersten Tage des April 1866 auf der sandigen Landstraße ein junger Offizier in der Interimsuniform des hannöverischen Cambridge-Dragoner-Regiments. Er ließ sein schönes, schlankgebautes Pferd im langsamen Schritt vorwärts gehen und saß selbst nachlässig und gedankenvoll im Sattel, ohne auf den Weg zu achten, den das Pferd zu kennen schien. Ein leichter hellblonder Schnurrbart bedeckte die Oberlippe des jungen Mannes, sein blaues Auge sah träumerisch in die Ferne, als suchte es in den hellgoldenen Abendwolken, welche die untersinkende Sonne umlagerten, die Bilder, welche sein Inneres erfüllten und beschäftigten. Das kurzgeschnittene, leicht gelockte Haar quoll mit einer gewissen Koketterie unter der leichten Dienstmütze hervor und sein etwas bleiches Gesicht zeigte bei der Kraft jugendlicher Gesundheit jene eigentümliche Zartheit, welche jungen Leuten, die sehr schnell hoch aufgeschossen sind, noch einige Jahre nach vollendetem Wachsthum anhaftet.

Der junge Offizier mochte etwa eine Viertelstunde so langsam und träumerisch durch die Föhrenwaldung hingeritten sein, während der Schatten seines Pferdes immer länger hinter ihm herzog und die Stimmen der zum Neste flatternden Vögel ihn begleiteten.

Da wendete sich der Weg und plötzlich öffnete sich der Wald breit und ließ in einiger Entfernung einen schloßartigen alten Bau sehen, der, von hohen alten Bäumen umgeben, in den letzten Strahlen der Sonne dalag und von seinen großen Fenstern flammendes Licht auszuströmen schien.

Am Ende des Waldes begannen die Häuser eines Dorfes, welches sich seitwärts von jenem großen Gebäude in Halbkreisform – wie alle wendischen Dörfer – hinzog.

Hunde schlugen an. Der junge Offizier erwachte aus seiner langen Träumerei und richtete sich fest im Sattel auf. Das Pferd fühlte diese Bewegung und ohne weiteren Antrieb verließ es seine bisherige Gangart und trabte mit gespitzten Ohren auf dem durch das Dorf sich hinziehenden Wege der Anhöhe des Schlosses zu.

Die Häuser standen an dem schönen und warmen Frühlingsabende offen. An ihren Giebeln sah man die charakteristischen Pferdeköpfe, welche in allen niedersächsischen Gegenden eine Rolle spielen und deren Kultus von den Wenden hier übernommen, gerade von ihnen besonders gepflegt wird.

Alte und junge Bauern saßen vor den Thüren mit leichten häuslichen Arbeiten beschäftigt, auf den offenstehenden Dielen der Häuser waren die Frauen beschäftigt, ihre heutige Arbeit am Webstuhle zu beschließen, wobei sie jene eigentümlichen, wehmüthig monotonen Nationallieder sangen, welche überall dem Wendenstamme eigentümlich geblieben sind.

Der junge Offizier wurde an allen Häusern freundlich begrüßt und erwiederte die Grüße eben so freundlich, indem er einzelne der Bauern bei ihren Namen nannte, in einer Weise, aus der man abnehmen konnte, daß er hier bekannt und heimisch sei.

An der einen Seite des durch das Dorf gebildeten Halbkreises, nicht weit von dem Wege, der sich nach dem Schlosse hinaufzog, stand eine einfache, alte, aber nicht alterthümliche Kirche, daneben in einem sorgsam eingehegten und bereits sauber bestellten Garten, von einer Baumgruppe umgeben, das stille freundliche Pfarrhaus.

Ein Fußpfad führte von dem Pfarrgarten nach der großen zum Schlosse hinlaufenden Straße und auf diesem Pfade gingen zwei Personen der Landstraße zu.

Die eine dieser Personen war ein älterer Herr, der sich den Sechzigern nähern mochte. Sein schwarzer bis zum Halse mit einer Reihe von Knöpfen geschlossener Rock, die blendend weiße Kravate von feinem faltigem Batist, sowie jenes eigentümliche, hohe, viereckige Baret von schwarzem Sammet, welches nach dem Muster der auf uns gekommenen Bilder Luther's und Melanchthon's von den lutherischen Pfarrern in Hannover mit Vorliebe getragen wird, ließ auf den ersten Blick den geistlichen Herrn erkennen.

Sein stark markirtes volles Gesicht von rother gesunder Farbe trug bei der freundlichen, wohlwollenden Heiterkeit, die es ausstrahlte, den Ausdruck eines energischen Willens, einer festen, in sich abgeschlossenen, überzeugungsvollen Sicherheit, welche, abgetrennt von dem großen Strome des Lebens, sich in der stillen besonderen Entwickelung eine eigene Welt erbaut hat und in dieser Ruhe und Genügen findet.

Es war der Ortsgeistliche, Pastor Berger, der seit länger als zwanzig Jahren in der Gemeinde lebte.

Neben ihm ging seine einzige Tochter, welche seit dem vor zehn Jahren erfolgten Tode ihrer Mutter das stille Leben ihres Vaters allein theilte und auf welche dieser alle Sorgfalt liebevoller und ernster Erziehung verwendet hatte, um ihr durch den Aufschluß aller allgemein menschlichen Genüsse des Geistes und Gemüthes einen Ersatz zu bieten für die große Welt, die ihr fern lag, und ihr jenes stille und friedliche Glück zu bereiten, das ihn selbst erfüllte.

Das junge Mädchen trug einen dunkeln Anzug, der bei aller ländlichen Einfachheit eine gewisse Eleganz zeigte. Ihre nicht große Gestalt war schlank und biegsam, das kastanienbraune glänzende Haar, von einem schwarzen Sammethut überdeckt, umrahmte ein feines ovales Gesicht, dessen leicht geöffneter, frischer Mund lächelnd und freudig die Lebenslust einathmete, während des sinnenden Auges feuchter Glanz wunderbare Tiefen ahnen ließ, aus denen eine reiche und lebensvolle Poesie zum Licht emporsteigen könnte.

Der junge Offizier bemerkte die beiden Personen auf dem Fußpfade, hielt sein Pferd an und rief, indem er die Hand zum militärischen Gruße an die Feldmütze emporhob: »Guten Abend, Herr Pastor, guten Abend, Fräulein Helene!«

Der geistliche Herr rief ein fröhliches und lautes »Guten Abend« zurück, indem er zugleich mit der Hand grüßte, seine Tochter neigte leicht das Haupt, ohne mit den Lippen den Gruß zu erwiedern, indeß ein Lächeln, das auf ihren Lippen zitterte, ein lichtvoller Blick, der aus den Tiefen ihres Auges hervorzutauchen schien, zeigten, daß der Gruß von ihr nicht minder freundlich aufgenommen sei, als von ihrem Vater.

Beide beschleunigten ihren Schritt und waren in wenig Augenblicken neben dem jungen Mann, der sie auf der Landstraße erwartet hatte.

Als der geistliche Herr und seine Tochter zu ihm herantraten, war der junge Offizier vom Pferde gesprungen und reichte ihnen die Hand.

»Sie wurden gestern erwartet, Herr von Wendenstein,« sagte der Pastor, »Ihr Bruder ist schon vorgestern angekommen und Ihr Vater begann bereits zu fürchten, daß Ihnen der Urlaub möchte versagt sein!«

»Ich konnte nicht früher abkommen – da ich gestern noch Dienst hatte,« erwiederte der junge Offizier, »dafür kann ich aber nun zwei Tage länger bleiben – und wieder etwas Unterricht in den Naturwissenschaften bei meiner kleinen Lehrerin nehmen« – fügte er hinzu, indem er lächelnd sich zu dem Mädchen wendete, das inzwischen den Hals und Kopf des Pferdes gestreichelt hatte.

»Wenn Sie nicht aufmerksamer und fleißiger sind als das letzte Mal, so werden Sie wenig Fortschritte machen,« erwiederte die Tochter des Pfarrers – »jetzt geben Sie mir nur die Zügel von Roland, der sich weit lieber von mir führen läßt, und kommen Sie schnell mit uns nach dem Schlosse hinauf; – wir waren auf dem Wege dahin und werden um so freundlicher empfangen werden, wenn wir Sie mitbringen.«

Und indem sie die Zügel des Pferdes ergriff, trat sie zur Seite und folgte, das Pferd führend und ihm von Zeit zu Zeit ein freundliches Wort zurufend, ihrem Vater und dem jungen Offizier auf dem Wege zum Schlosse.

Den Eingang zu diesem alten Gebäude bildete ein großes gemauertes Thor, das in einen gepflasterten Hof führte, der von leichten Mauern umgeben war, die unverkennbar die Stelle älterer verfallener Bollwerke eingenommen hatten. In der Mitte dieses weiten geräumigen Hofes stand ein einzelner uralter Lindenbaum, rechts und links lagen Ställe und Räumlichkeiten der häuslichen Wirthschaft in zwei offenbar in neuerer Zeit erbauten breiten und niedrigen Gebäuden. Im Hintergrunde des Hofes lag das eigentliche Wohnhaus, der Ueberrest eines Baues, der vordem sich in großen Umrissen ausgedehnt haben mußte. Ohne irgend architektonische Schönheit, ohne irgend einen erkennbaren Baustyl, machte dieses Haus dennoch jenen ansprechenden Eindruck, welchen große alte Steinmassen mit weiten mächtigen Dimensionen, in freier Gegend und von großen Bäumen umgeben, stets hervorbringen.

Die mächtige eichene Hausthür war weit geöffnet und führte in einen großen Flur, mit Fliesen belegt und durch zwei große, rechts und links von der Thür angebrachte Fenster von hellem Licht erfüllt.

An den Wänden dieses Flurs standen mehrere jener uralten Schränke von schwarz gewordenem Eichenholz, in welchen unsere Vorfahren durch Generationen hindurch ihre häuslichen Schätze an Leinenzeug, Silber und Zinn, ihre Familienpapiere und Alles, was sie Werthvolles und Gediegenes besaßen, zu bewahren pflegten.

Diese Schränke sprechen zu uns wie eine alte Familienchronik, fast wie eine Sage und verschwinden immer mehr vor der neuen Zeit – sie finden keinen Platz in einem unserer modernen winzigen Salons und in den mit Nippes gefüllten Boudoirs unserer heutigen Hausfrauen. Auch bedarf man ihrer nicht mehr, – denn wer wollte heute noch jene reichen Leinenschätze zur Aussteuer der Töchter von ihrer Geburt an sammeln, – man kauft das ja Alles so hübsch, bequem und vor Allem modern in den Magazinen; – wer bedarf heute noch solcher tiefen und weiten Schreine für das Silberzeug des Hauses – hat man doch das hübsche Christoffle, das man mit den Fassons der neuen Mode wechselt! Zwischen diesen ehrwürdigen alten Schränken, welche hier noch in heimischer Würde sich ausdehnten und nichts ahnen mochten von der Generation der windigen Konsolen und Etagèren, die sich draußen weit in der Welt breit machten, hingen eben so alte verdunkelte Oelbilder, Jagdstücke, aus welchen steife Herren, auf eben so steifen Rammsköpfen reitend, Hirsche verfolgten, die über bunte, blumige Wiesen hinliefen, um sich in Wälder zu verbergen, die lebhaft an die geradlinigen Alleen des versailler Parks erinnerten, – Familienporträts von alten Herren in Stutzperrücken und Sammetröcken, in längst vergessenen Uniformen und in schwarzen Talaren, von freundlich blickenden Damen mit Halskrausen, mit Fontangen und Reifröcken. – Und all' diese alte Zeit athmete und lebte hier so natürlich und ruhig, als ob es hier immer heute sei, wie es gestern war, und morgen sein werde, wie es heute gewesen.

Rechts und links von diesem weiten, mächtigen Flur führten einige alte eichene Thüren in die verschiedenen Wohnräume des Hauses, in der Mitte, der Eingangsthüre gegenüber, trat man in ein großes Zimmer, das man heute in den städtischen Wohnungen einen Saal nennen würde und das in seiner gediegenen, einfachen Ausstattung dem ganzen Hause entsprach. Der einzige moderne Gegenstand in diesem Zimmer war ein prachtvoller Flügel, welcher geöffnet dastand und auf welchem zerstreut liegende Notenhefte bewiesen, daß er benützt werde.

Ein hochlehniges, breites Kanapee stand an der Wand, davor ein mächtiger, auf Säulenfüßen ruhender Tisch von dunklem Mahagoniholz, – eine bereits angezündete Lampe mit großer Kuppel von weißem Milchglas auf hohem, schlankem, grünlackirtem Fuß mit weißen Verzierungen und kämpfte mit ihrem milden Licht gegen die Dämmerung, deren gelbe Reflexe durch zwei große Fenster und eine geöffnete, weite Glasthüre hereindrangen. Durch diese Glasthüre trat man auf eine breite, weitgedehnte Terrasse, die sich nach der Gartenseite längs des ganzen Hauses hinzog und an dessen rechter Ecke in eine runde Plattform auslief, die, auf steinernen Fundamenten ruhend, unverkennbar den Ort anzeigte, an welchem einst ein mächtiger, runder Thurm gestanden haben mußte.

Hohe Bäume umfaßten diese Terrasse in genügenden Zwischenräumen, um das volle Licht in die Fenster dringen zu lassen, und ein freier Blick in das weite, reiche Land öffnete sich von hier aus nach allen Seiten. Einzelne, mit Buchsbaum eingefaßte Blumenbeete unterbrachen den reinlichen Kies und zeigten bereits buntfarbige Crocus und volle Schneeglöckchen in freundlichen Gruppen.

So war der alte Amtssitz Blechow, auf welchem seit achtzehn Jahren der würdige Oberamtmann von Wendenstein das Amt verwaltete, in jener alten patriarchalischen Weise der hannöverischen Administration, in welcher früher die Amtshauptmänner zugleich die Pächter der großen Domänen waren und des Lebens goldenen Baum höher achteten, als die graue Theorie administrativer Form.

Die großen Domänenpachtungen hatte zwar der Herr von Wendenstein nicht mehr, wie seine Vorgänger, ein fester Gehalt hatte dieselben ersetzt und Vieles war anders, strammer, bureaukratischer geworden in der Landesverwaltung, – aber der alte Amtssitz auf dem Schlosse zu Blechow war ihm geblieben, ein nicht unbedeutendes Vermögen setzte ihn in den Stand, auf dem großen Fuße der alten hannöverischen Droste und Amtshauptmänner zu leben, und so hatte er, während er durch seine Kenntnisse und seinen klaren Verstand den neuen Anforderungen nach oben hin genügte, nach unten das alte Verhältniß so viel als möglich erhalten, und die persönliche Würde, das persönliche Vertrauen trug, erhielt und verstärkte bei ihm die dienstliche Autorität.

In dem großen Familienzimmer saß auf dem breiten Kanapee vor dem großen Tische, der sich bei der tiefer sinkenden Dämmerung immer heller in dem weißen Glanz der geselligen Lampe beleuchtete, die Herrin des Hauses, die alte Frau von Wendenstein, die würdige Lenkerin dieses alten, weiten, hallenden Hauses, mit den mächtigen Thüren, den ungeheuren Schränken und den alten ehrenfesten Bildern.

Eine einfache weiße Haube von schneeweißem Tüll, mit sorgfältig gefältelter Krause und silbergrauen Bändern umrahmte das feine und etwas bleiche Gesicht der alten Dame, das, obwohl Frau von Wendenstein nur wenige Jahre jünger war, als ihr Gemahl, noch Spuren großer Schönheit um den feingeschnittenen Mund und die großen, mandelförmig geschnittenen blauen Augen zeigte. Das fast ganz graue, aber reiche Haar fiel, oben glatt gescheitelt, an beiden Seiten unter der Haube in einigen sorgfältig gehaltenen grauen Locken hervor, welche die alte Dame häufig mit der feinen weißen Hand leicht zurückstrich und neben der Haubenkrause ordnete. Die Züge dieses Gesichts drückten eine unendliche Milde und Weichheit aus, dabei aber auch eine solch' geordnete tiefe Ruhe, eine solch' gleichmäßige Sicherheit in Blick und Mienenspiel, daß bei dem Anblick dieser Frau, wie sie in dem einfachen, weder modernen noch altfränkischen schwarzseidenen Kleid, mit dem kleinen blendend weißen Halskragen und den schneeigen glatten Manschetten auf dem Sopha saß, die Hände mit der leichten weißen Stickerei auf dem Schooße ruhend und den Blick gedankenvoll, aber freundlich und klar, durch die Scheiben der Fenster auf den Abendhimmel gerichtet, – daß bei diesem Anblick Jedem, der das Haus betrat, ein duftiger Hauch der Häuslichkeit, der Ordnung, der Milde und der herzlichen Gastlichkeit entgegenströmen mußte. In diesem Hause konnte kein unsauberer Fleck sein, kein verdorbenes Gericht und kein Abweichen von der geregelten Zeit und Stunde, – aber es konnte auch kein Kummer das Haupt eines Familiengliedes umwölken, kein Leid das Herz bedrücken, welches das scharfe, treue Auge der Gattin und Mutter nicht erspäht, welches ein freundliches gutes Wort ihres Mundes nicht verscheucht oder erleichtert hätte.

So war die Herrin des alten Amtshauses zu Blechow. Neben ihr saßen zwei junge Mädchen, ihre Töchter, frische, blühende Gestalten von 18 und 15 Jahren; die eine in der entwickelten Schönheit der erwachsenen Jungfrau, die andere im Uebergang aus dem Kindesalter, Beide mit gleicher Einfachheit in schlichter Haustoilette, welcher die feine weiße und mit großer Sorgfalt gearbeitete und gestickte Wäsche, sowie die schön und geschmackvoll geordneten Haare eine vornehme Eleganz verliehen.

Bei den Damen saß der Auditor von Bergfeld, welcher dem Oberamtmann als Hülfsarbeiter bei der Amtsverwaltung beigegeben war und in dessen Familie nach der alten Sitte gastfreie Aufnahme gefunden hatte.

Draußen auf der Terrasse ging der alte Oberamtmann von Wendenstein auf und ab mit seinem ältesten Sohne, der, im Ministerium des Innern in Hannover als Regierungsassessor und Referent beschäftigt, nach Blechow gekommen war, um den auf den nächsten Tag fallenden Geburtstag des Vaters, wie das seit Jahren Sitte war, im Kreise der Familie zu verleben.

Es war eine würdige und anziehende Gestalt, der alte Oberamtmann von Wendenstein. Das kurzgehaltene, graue, durchaus volle Haar umrahmte eine breite und stark gewölbte Stirn, unter welcher dunkle graue Augen so klug, scharf und streng, aber doch mit einem Anflug jovialer Heiterkeit hervorblickten und ein so lebendiges Feuer ausstrahlten, daß man dem alten Herrn, wenn man bloß seine Augen gesehen, gewiß zwanzig Lebensjahre weniger gegeben hätte. Seine scharf geschnittene lange Nase, sein breiter Mund mit vollen rothen Lippen und wunderbar konservirten Zähnen, seine frische Gesichtsfarbe vereinten sich zu einem lebensvollen Bilde von Willenskraft, Geist, Gesundheit und fröhlichem Lebensgenuß, das auf den ersten Blick Sympathie und Respekt zugleich einflößen mußte.

Er trug nach alter Sitte keinen Bart, einen einfachen Anzug von grauem Frühlingstoff und eine leichte Hausmütze. Die kräftige Rechte stützte sich auf einen starken Stock mit großer Elfenbeinkrücke, um den durch podagrisches Leiden etwas erschwerten Gang zu stützen, – die einzige Schwäche in der gesunden und lebendigen Erscheinung des alten Herrn.

Neben ihm ging sein ältester Sohn – dem Vater in den Gesichtszügen unverkennbar ähnlich, – und doch durchaus verschieden in Allem.

Er trug bis auf den runden Hut einen vollkommen städtischen Anzug, glatt, einfach und tadellos,– sein Gesicht, bleicher als das des Vaters, trug einen stets gleichen Ausdruck höflicher Freundlichkeit und zurückhaltender Wichtigkeit. Sein Haar war glatt und sorgfältig gescheitelt, sein coteletteförmiger Backenbart in genauester Gleichmäßigkeit kurz gehalten und seine Bewegungen waren stets ruhig, vorsichtig, gemessen.

So war der Vater in seiner Jugend nicht gewesen, das sah man sogleich, aber es war auch eine andere, ganz andere Zeit, die den Vater hatte heranwachsen sehen, als die, welche den Sohn erzogen, der Vater war eine Persönlichkeit – der Sohn ein Typus.

»Und Du magst sagen, was Du willst,« rief der alte Herr von Wendenstein lebhaft, indem er stehen blieb und sich fester auf seinen Stock stützte, »diese neue Verwaltungsmethode, die immer tiefer einreißt, taugt nichts und führt zu nichts Gutem. Diese ewigen Anfragen zwingen uns zu Berichten, die eine unendliche Zeit fortnehmen und doch selten ein klares Bild der Dinge geben, diese durch alle Instanzen laufenden Reskripte, die oft sehr stark neben den Nagelkopf treffen, nehmen der unmittelbaren Verwaltung des Landes alle Selbstständigkeit, alle eigene Verantwortung und machen den Organismus zu einer Maschinerie. Das Volk und das Land aber – die bleiben doch lebendiges Fleisch und Blut und fügen sich der Maschine nicht, und so wird die Regierung von den Regierten entfremdet und die Beamten werden Schreiber, die sich den Willen und Entschluß dienstlich abgewöhnen müssen und rathlos dastehen, wenn einmal Verhältnisse an sie herantreten, die eben nur durch Willen und Entschluß beherrscht werden können. Bis dann die gehorsamste Anfrage durch alle Instanzen heraufgegangen und das hochgeneigte Reskript vom grünen Tische heruntergekommen ist, sind die Dinge, die eben lebendig sind und nicht im Aktenrepositorium zurückgelegt werden können, ihren Weg gegangen – und,« fügte er mit jovialem Lächeln hinzu, »das ist noch das geringste Uebel, denn sie gehen oft allein am besten. – Die gute alte Zeit – nun, sie hatte auch ihre vielen Mängel – aber darin war sie doch besser. Die Beamten kannten das Volk und lebten mit ihm, sie thaten, was nöthig war, nach den Gesetzen und nach ihrem Gewissen und man ließ sie gewähren. Die Minister reisten durch das Land – so einmal im Jahr und wußten besser, wie es da aussah und auf wen sie sich verlassen konnten, als sie's jetzt aus all' den weitläufigen Berichten erfahren. Nun,« sagte er lächelnd nach einer kleinen Pause – »ich finde mich drein. Will man Berichte, man gibt mir ja Auditoren, die sie schreiben, und die Reskripte nehme ich mit schuldigem Respekt entgegen, aber verwalten thue ich doch nach alter Weise – und meine Unterthanen stehen sich gut dabei; ich glaube, in meinem Amtsbezirk wird man stets Alles in gehöriger Ordnung finden – in besserer, als in manchen anderen, wo die moderne Manier völlig eingebürgert ist.«

Der Sohn hatte den Vater mit der in dieser Familie heimischen Ehrerbietung angehört, ohne jedoch verhindern zu können, daß hin und wieder ein halb ungeduldiges, halb mitleidig überlegenes Lächeln um seine Lippen zuckte. Als der Vater geendet, antwortete er in ruhigem Tone mit jener gleichmäßigen, halb pathetischen, halb monotonen Stimme, welche man bei den Vorträgen an den grünen Sessionstischen durch die ganze Welt überall da hört, wo es grüne Tische, Referenten und Akten gibt:

»Ich finde es sehr natürlich, lieber Vater, daß Du die alte Zeit liebst und sie vertheidigst, Du wirst mir doch aber auch gewiß darin Recht geben, daß die Entwickelung der Zeit andere Anforderungen an die Verwaltung stellt. Die alte Naturalwirtschaft, welche die Basis der Nationalökonomie der früheren Generationen war, autonomisirte Land und Leute und trennte sie in verschiedene Gruppen; die Personen, die Genossenschaften bildeten besondere wirtschaftliche Elemente, die ihr eigenes gesondertes Leben lebten, und es war gewiß richtig, daß damals sich die Verwaltung dem Leben anschloß und ebenfalls gleichsam individualisirt wurde. Heute strebt das nationalökonomische Leben nach Konzentration, die gewaltigen Verkehrsmittel unserer Zeit, die sich in rapiden Progressionen täglich vermehren, verwischen die Grenzen von Raum und Zeit, die vordem die einzelnen Elemente des wirtschaftlichen Volkslebens trennten, die autonomischen Elemente fügen sich als Theile in das ineinandergreifende Ganze, und da muß denn doch auch die Regierung dieser Entwickelung des Lebens in Volk und Land folgen und eine schnellere Wechselbeziehung, eine schärfere Centralisation herstellen, es muß ein festes Prinzip, ein durchgehendes System in die Verwaltung gebracht werden, wenn das ganze Getriebe nicht stocken soll. Glaube mir, lieber Vater, es ist nicht die Regierung, welche das Leben in neue Formen hineinverwalten will, – es ist das Leben selbst, welches in seiner unwiderstehlichen Entwickelung der Regierung eine andere, schärfere und schnellere Verwaltungsmethode zur Notwendigkeit macht. Uebrigens,« fügte er hinzu, »glaube ich nicht, daß unsere Ansichten so weit auseinander gehen, bei all' Deiner Vorliebe für die alte Zeit wirst Du doch mit der neuen sehr gut fertig, und der Minister sagte mir noch neulich, daß die Pünktlichkeit, Ordnung und Raschheit in Deiner Amtsverwaltung bewundernswerth sei und bei jeder Gelegenheit von der Landdrostei rühmlichst anerkannt werde.«

Der alte Herr schmunzelte sichtlich geschmeichelt durch diese Wendung seines Sohnes, und sagte mit gutmüthigem Schmollen:

»Nun, fertig werden kann ich mit der neuen Zeit auch schon – aber ich lobe mir doch die alte, und was Du da sagst, das ließe sich Alles mit weit weniger System, Papier und Dinte machen. – Aber wir wollen uns darum nicht weiter streiten,« fügte er hinzu, indem er seinem Sohn freundlich auf die Schulter klopfte, – »ich bin ein Kind meiner Generation, Du lebst in der Deinigen – jede Zeit drückt dem Menschen ihren Stempel auf, er mag wollen oder nicht; – schade nur, daß die heutige Zeit sich die Arbeit so leicht macht und alle ihre Kinder nach der Schablone formt – sie tragen den Fabrikstempel, nicht mehr das alte gute Manufakturzeichen. – Doch, laß uns hineingehen, da kommt die Mama zur Thür, um mich zu rufen, und in der That, der alte böse Feind da« – er deutete mit dem Stock auf seinen Fuß, – »möchte mit der Abendluft eine Konspiration zu einer neuen Attake gegen meine alten Knochen machen.«

Und langsam wendete er sich zur großen Thür des Familienzimmers, in deren Rahmen so eben seine Gattin erschienen war und mit sorgendem Blick nach ihm hin sah.

Er hatte dieselbe eben erreicht und war an ihrer Seite, von seinem Sohne gefolgt, in das Zimmer getreten, als Hundegebell vom Hofe her ertönte und bald darauf Stimmen auf dem Flur laut wurden.

Ein alter Diener in einer saubern, einfach grauen Livree öffnete die Thür und der Pastor Berger mit seiner Tochter trat in den Familienkreis. Der Oberamtmann ging dem geistlichen Herrn achtungsvoll und freundschaftlich entgegen und schüttelte ihm kräftig die Hand, worauf dieser die Dame des Hauses begrüßte, während seine Tochter von den jungen Mädchen umringt wurde.

»Wir kommen,« sagte der Pastor, »um dem Lebensjahre, das Sie heute beschlossen, mein verehrter Freund, in gewohnter Weise ein freundliches Geleit zu geben, zum Dank für alles Gute, das es gebracht – und wir bringen auch den Lieutenant mit, den wir auf der Landstraße aufgelesen – er ist nur als guter Kavallerist zunächst in den Stall gegangen, um sein Pferd unterzubringen.« – »Also ist er doch gekommen,« sagte Frau von Wendenstein erfreut, »ich fürchtete schon, er möchte keinen Urlaub erhalten können.« –

Die Thür wurde lebhaft geöffnet und mit raschem, klirrendem Schritt eilte der Lieutenant von Wendenstein auf seine Mutter zu, der er die Hand küßte und welche ihn herzlich umarmte. Dann trat er zu seinem Vater, der ihn auf die Wangen küßte und mit einem Ausdruck freudiger Genugthuung auf den blühenden jungen Mann blickte, der in gerader militärischer Haltung vor ihm stand.

»Ich komme spät,« sagte der Lieutenant, »weil wir noch viel zu thun hatten. Die Kameraden lassen sich empfehlen, sie kommen morgen alle, um Dir zu gratuliren, lieber Vater, wenn es irgend angeht, denn wir haben gewaltig viel Arbeit aller Art, – die dießjährige Exerzirzeit soll früher gehalten werden, – die Ordre ist ganz plötzlich gekommen und Du kannst Dir denken, daß das keine geringe Unruhe hervorbringt.«

Der Lieutenant wendete sich dann, nachdem er seinem Bruder freundlich die Hand gedrückt, zu seinen Schwestern und der Tochter des Pfarrers und war bald mit den drei jungen Mädchen und dem Auditor von Bergfeld in eine heitere, oft von lautem Lachen unterbrochene Unterhaltung vertieft, während der geistliche Herr mit dem Oberamtmann und seinem ältesten Sohn sich zu der Dame des Hauses um den großen Tisch vor dem Sopha setzten.

»Das ist auch eine sonderbare Maßregel,« sagte der Oberamtmann, »von der da mein Sohn soeben sprach und von der ich schon in der Zeitung las – diese Verfrühung der Exerzirzeit. – Die auswärtige Politik ist nicht mein Fach und ich habe mich stets wenig darum gekümmert – aber was diese Maßregel in der jetzigen Zeit der ernsten Krisis helfen soll, das verstehe ich nicht.«

»Es ist ein Auskunftsmittel,« sprach der Regierungsassessor mit der Miene eines Eingeweihten, »welche einer mehrseitigen Verlegenheit begegnen soll. Die Spannung zwischen Preußen und Oesterreich wird täglich schärfer und die deutschen Regierungen wollen eine Mobilmachung der Bundeskontingente. Preußen verlangt von der anderen Seite strikte Neutralität, und da hat man diesen Ausweg gewählt, um der Mobilmachung zu entgehen und doch die Truppen schlagfertig unter der Hand zu haben, wenn der Konflikt ausbrechen sollte.« –

»Allen Respekt vor Deiner ministeriellen Auskunft,« sagte der Oberamtmann scherzend – »aber ich kann nicht einsehen, wozu das führen soll. Wenn Preußen die Neutralität verlangt, so wird es durch diese mindestens auffallende Maßregel fast ebenso beunruhigt und verletzt werden, als durch die Mobilmachung – für die militärische Schlagfertigkeit erreicht man viel weniger und Oesterreich mit seinen Verbündeten würde darin ein Ausschließen von ihrer gemeinsamen Aktion sehen. Ich sollte meinen, man müßte sich jetzt für eines oder das andere entscheiden. Kommt der kriegerische Konflikt nicht, – wie ich hoffe – so hat man nichts verloren, und kommt er doch – nun dann hat man wenigstens nach einer Seite Halt und feste Stellung. – Was mich betrifft,« fügte er nachdenklich und ernster hinzu – »ich liebe die Preußen nicht, – wir Hannoveraner vom alten Schlage haben keine Sympathie für das preußische Wesen – ich bedauere, daß man unserer Armee die alte hannöverische Uniform ausgezogen und viel Preußisches bei uns eingeführt hat, ich bedauere noch mehr, daß jetzt der Herr von Bennigsen und seine Nationalvereinler uns ganz unter die preußische Spitze bringen wollen – aber ich möchte doch, daß wir auf vernünftig gutem Fuß mit dem großen und gefährlichen Nachbar stehen, und uns nicht in gewagte Unternehmungen mit dem Oesterreicher einlassen, zu dem ich kein Vertrauen habe und von dem uns und Deutschland noch nichts Gutes gekommen ist, – vor Allem möchte ich nicht, daß wir uns in unserer gefährlichen exponirten Lage zwischen zwei Stühle setzen, – und – – Doch,« fügte er sich unterbrechend hinzu, »das ist die Sache der Herren da oben. Unsern auswärtigen Minister, den Grafen Platen, kenne ich nicht, ich habe ihn einmal in Hannover gesehen und da schien er mir ein artiger, angenehmer Mann zu sein – aber Bacmeister, den kenne ich und verehre seinen Geist und Charakter hoch – was sagt denn der zu der neuen Maßregel?«

Der Regierungsassessor räusperte sich und erwiederte: »Diese Sache geht in ihrer politischen Bedeutung das Ministerium des Auswärtigen und in ihrer Ausführung das Kriegsministerium an, und ich weiß nicht, ob das Gesammtministerium in Betreff der Frage zusammengetreten ist, – jedenfalls habe ich von meinem Chef eine Ansicht über dieselbe nicht aussprechen hören – wie er denn überhaupt sehr vorsichtig in seinen Aeußerungen ist. Uebrigens glaubt man in Hannover noch durchaus nicht an den wirklichen Ausbruch des kriegerischen Konflikts.«

»Gebe Gott, daß man Recht hätte,« rief der Pastor Berger mit einem tiefen Athemzuge – »ein deutscher Krieg, welch' ein gewaltiges Unglück wäre das – und ich wüßte in der That nicht, wohin sich meine Sympathieen wenden sollten, denn der Krieg möge ausfallen wie er wolle, so wird einer der mächtigen deutschen Rivalen die Oberhand in Deutschland bekommen. Ich kann dieß für das papistische Oesterreich mit seinen Kroaten, Panduren und Slaven nicht wünschen – meine unwillkürliche, persönliche Sympathie zieht mich zu unseren nordischen Brüdern, mit denen wir so viel gemein haben – aber daß der preußische Einfluß in Deutschland ohne Gegengewicht mächtig werde, kann ich wahrlich auch nicht wünschen, ist uns doch von Berlin der Nationalismus gekommen und bedroht doch die Union die ganze protestantische Kirche mit gefährlichem Indifferentismus. Gott erhalte, was wir haben, und erleuchte unsern König, daß er das Rechte wähle, um der reinen lutherischen Kirche eine sichere Stätte im lieben Hannoverlande zu erhalten!«

»Ja, Gott erhalte uns den Frieden! darum bete ich täglich,« sagte die Frau von Wendenstein mit einem besorgten Blick auf ihren jüngeren Sohn, dessen fröhliches Lachen eben aus der in der Nähe des Fensters etablirten Gruppe der jungen Leute herübertönte – »welches Elend, welchen Jammer bringt der Krieg in alle Familien, – und was ist am Ende der Gewinn? Ein Gewicht mehr auf der politischen Wagschale der einen oder der andern Macht. – Ich dächte, wenn Jeder darauf sinnen würde, in seinem Hause glücklich und zufrieden zu sein und Diejenigen glücklich und zufrieden zu machen, welche sein Wirkungskreis berührt, so würde die Welt besser bestellt sein, als wenn man sich um Dinge stritte und schlüge, die dem wahren menschlichen Glück doch so unendlich fern liegen.«

»Da haben wir meine liebe Hausfrau,« lachte der Oberamtmann – »was ihr Haus, ihre Küche und ihren Keller nicht berührt, das ist unnütz und schädlich, und ginge es nach ihr, so würde das ganze Staatsleben ein großer Familienhaushalt und die ganze Politik würde in eine abgelegene Polterkammer zurückgelegt.«

»Und hat meine verehrte Freundin nicht ganz Recht?« sagte der Pastor mit freundlichem Lächeln gegen Frau von Wendenstein – »ist es nicht der Frauen Aufgabe, des Friedens Werke zu üben und die Saat, die wir im Tempel des Herrn ausstreuen, im Hause zu pflegen und zu Blüte und Frucht zu treiben? Gott gab den Gewaltigen der Erde das Recht, das Schwert zu gebrauchen, das er in ihre Hand legte – die müssen thun, was ihre Pflicht ist und was sie dereinst verantworten können – aber ich muß glauben, daß der Ewige mehr Freude hat am friedlichen Glück eines einträchtigen Hauses, als an den kunstreichen Schöpfungen der Politik und den blutigen Lorbeeren der Feldschlachten.«

»Nun,« sagte der Oberamtmann, »wir werden in dem Gange der Dinge nichts ändern, also denken wir vorläufig an uns und unseres Leibes Nahrung, die uns Allen gewiß gut thun wird.«

Der alte Diener war an einer Seitenthür des Salons erschienen und hatte deren beide Flügel geöffnet, so daß man den daran stoßenden Speisesaal erblickte, in welchem sich eine weit und geräumig gedeckte Tafel, von schweren silbernen Armleuchtern erleuchtet, zeigte. Der kräftige Duft einer guten Küche drang zu den Versammelten und war so würzig und einladend, daß er unwillkürlich alle Blicke nach der offenen Thür lenkte.

Der Oberamtmann stand auf. Der geistliche Herr bot der Dame des Hauses die Hand und führte sie in den Speisesaal, der Oberamtmann und die übrige Gesellschaft folgte und bald saß man in dem einfachen, mit Hirschgeweihen und Rehkronen dekorirten Zimmer um die große gesellige Tafel und ließ der vortrefflichen Küche des Amtshauses und den edlen Proben der Schätze seines Kellers unter traulichen und fröhlichen Gesprächen, an denen dießmal die Politik keinen Antheil hatte, volle und allseitige Gerechtigkeit widerfahren.

Während die Gesellschaft des Oberamtmanns bei Tisch saß, herrschte in einem der größten und bedeutendsten Bauernhäuser des halbkreisförmigen Dorfes gegen die sonstige stille Gewohnheit dieser Gegenden ein reges Leben. Die große Diele des Hauses, welche noch weit offen stand, war hell erleuchtet und man sah dort verschiedene Gruppen junger Bursche und Mädchen in ihrem kleidsamen Sonntagsstaat; die kräftigen jungen Bauernsöhne in Jacken und pelzverbrämten Mützen, die Mädchen in kurzen, anschließenden Röcken und weißen Tüchern, die dichten Flechten der vollen Haare mit bunten Bändern durchwunden.

Immer kamen noch mehr junge Bursche und Mädchen aus dem Dorfe und schlossen sich den bereits auf der Diele Versammelten an, während andere Dorfbewohner, ältere Bauern, Frauen und Kinder vor dem Hause auf und ab gingen und dem geschäftigen Treiben im Innern zusahen.

Der alte Bauermeister Deyke, einer der Ersten an Besitz in Blechow, der, seit Jahren verwittwet, mit seinem einzigen Sohne Fritz den großen Hof bewohnte, ging auf der Diele von einer Gruppe zur andern in freundlicher Würde, und sein altes, starres, scharf markirtes Gesicht mit den schlauen, stechenden, dunkeln Augen unter den buschigen Brauen zeigte, wie es fähig war, den verschiedenartigsten Ausdruck anzunehmen. Bald sah man auf demselben scherzhafte, muntere Gemütlichkeit, wenn er dem Sohne eines reichen Großbauern die Hand drückte und ihm einen jener derben Späße in's Ohr raunte, zu denen der kräftige Alte aus seinen jüngeren Jahren sich Lust und Neigung bewahrt hatte, bald war es vornehm wohlwollende Herablassung, die seine Züge ausdrückten, wenn er einem der Geringeren ein freundlich aufmunterndes Wort im Vorbeigehen zurief, bald kalte und stolze Zurückhaltung, wenn er dem Bauernsohn eines Hauses, das nicht in ganz klarem Rufe stand, den Abendgruß bot, den die Gastfreundschaft seines Hauses nothwendig machte.

Mit weniger diplomatischer Würde bewegte sich sein Sohn Fritz unter den Gruppen, – ein schlanker, kräftiger Bursch mit guten, treuen blauen Augen und militärisch kurzgeschnittenem flachsblondem Haar, – er scherzte mit den Mädchen, und lustige Dinge mußten es sein, die er ihnen sagte, denn sie steckten die Köpfe zusammen und flüsterten und kicherten, daß sie dunkelroth im Gesicht wurden, noch lange nachdem der muntere Sohn des alten Großbauern sich längst zu einer andern Gruppe gewendet hatte, – und wenn er zu den Burschen trat und sie, zwei von ihnen unter die Arme greifend, zu dem langen Tische führte, der, am Ende der Diele mit weißem Leinen bedeckt, Bierflaschen, Schinken, Brod und kaltes Rindfleisch in reicher Menge trug, so sah man in den Mienen Aller nur herzliches Wohlwollen und aufrichtige Freundschaft für den Sohn des gastlichen Hauses.

Es war eben auch ein prächtiger Junge, beliebt bei Jung und Alt, dieser einzige Sohn des alten reichen Deyke, der Erbe des schönsten Hofes im Dorfe, da war keines von all' den blühenden Mädchen aus den besten Bauernhäusern, das nicht mit Herzklopfen und stillen Hoffnungen nach ihm hingesehen hätte, da war kein Vater, keine Mutter im Dorfe, die ihn nicht mit tausend Freuden zum Schwiegersohn genommen hätten.

Er aber, der junge Erbe, ging ungerührt und unergriffen durch diesen ganzen Flor schöner Bauernmädchen hin, er scherzte und lachte mit allen, tanzte mit allen bei den ländlichen Festen, schenkte bald der Einen, bald der Andern einen Blumenstrauß aus seines Vaters sorgfältig gepflegtem Garten, ein Band oder ein Bild aus dem Kasten eines herumziehenden Hausirers, dessen ausgebreitete Herrlichkeiten die Wünsche der blechower Schönheiten rege machten, – aber näher trat er Keiner und noch nie hatte er merken lassen, daß er die freundlichen Blicke der Mädchen, die aufmunternden Bemerkungen der Väter und Mütter irgend zu verstehen und zu berücksichtigen geneigt sei. Darum war keiner der jungen Bursche auf ihn neidisch – kam er doch keinem in's Gehege, benutzte er doch auch jede Gelegenheit, um mit ihnen im Wirthshause auf seine Kosten einen kameradschaftlichen Trunk zu nehmen, verwendete er doch die Thaler, die sein Vater ihm reichlich zukommen ließ, ebensoviel zum Vergnügen der Anderen, als zu seinem eigenen.

Die Gruppen der jungen Leute ordneten sich und ließen die Mitte der Diele frei, als der Schullehrer des Orts, ein alter einfacher Mann in schwarzem Rock und breitkrämpigem schwarzen Hut, in das Haus trat.

Der alte Bauer Deyke begrüßte den Lehrer mit der Manier eines Mannes, der den Stand und Charakter seines Gastes achtet, aber sich doch viel vornehmer und größer fühlt, als dieser, – sein Sohn sprang dem Lehrer rasch entgegen und rief, indem er ihm die Hand schüttelte: »Wir sind Alle fertig, Herr Niemeyer, und es wird Zeit, daß wir zum Schlosse gehen, es ist schon fast eine halbe Stunde, daß der Oberamtmann sich zu Tisch gesetzt hat, und bis wir hinkommen und uns aufstellen, geht noch eine halbe Stunde hin, – also vorwärts, vorwärts!«

Und mit rascher Geschäftigkeit ordnete er die jungen Burschen und Mädchen paarweise, – die Burschen voran, gab Jedem eine Pechfackel, deren eine große Anzahl an der Seite der Diele bereit lag, und nachdem er sich mit Feuerzeug zum Anzünden derselben versehen hatte, ergriff er den Arm des Lehrers und stellte sich mit diesem und seinem Vater an die Spitze des Zuges, der schweigend nach dem Schlosse aufbrach, während in einiger Entfernung die neugierigen Dorfbewohner leise flüsternd folgten.

Im Speisezimmer des Oberamtmanns war indeß das fröhliche, gesellige Abendessen seinem Ende nahe. Der alte Diener öffnete auf einem Seitentische den Deckel der alten mächtigen Bowle von meißner Porzellan, aus welcher das liebliche Aroma des scharzhofberger Moselgewächses, vermischt mit dem Duft der reichlich darin schwimmenden Ananas, durch das Zimmer drang. Er entkorkte einige Flaschen Champagner, goß deren Inhalt in die Bowle, legte den großen silbernen Schöpflöffel in dieselbe und stellte das Gefäß mit seinem köstlichen Inhalt auf die Tafel vor den Oberamtmann, der die großen Kristallgläser für seine Tischgenossen füllte, nachdem er die Mischung nochmals versucht und durch eine Geberde der Zufriedenheit dem Getränk seine endgültige Genehmigung ertheilt hatte.

Der geistliche Herr erhob sein Glas, sog langsam und mit einem gewissen Respekt den würzigen Duft ein, blickte einen Augenblick sinnend in die goldgelbe Flüssigkeit und sprach dann mit einer Stimme, welche die Mitte hielt zwischen der feierlichen Salbung des Geistlichen und dem Tone der freundschaftlichen Unterhaltung im geselligen Kreise: »Meine lieben Freunde! Unser verehrter Oberamtmann, um dessen gastlichen Tisch wir heute wie so oft traulich beisammen sitzen, tritt morgen ein neues Jahr seines thätigen und gesegneten Lebens an. Wir werden morgen dieß neue Jahr begrüßen – lassen Sie uns heute von dem vergangenen Abschied nehmen. Die Sorgen und Mühen, die es unserem Freunde brachte, sind vergangen und zu gutem Ende geführt, die Freuden und guten Stunden, die es so reichlich in seiner Hand trug, werden in freundlicher Erinnerung fortleben zur Stärkung und Erquickung in trüben Augenblicken, welche die Zukunft auch ihm bringen wird, wie allen Bewohnern dieser Erde, auf der Licht und Schatten mit einander ringen. So bleibe denn das Andenken des vergangenen Jahres im Segen und sei für uns Alle eine Mahnung, treu zu einander zu halten in Liebe und Freundschaft – weihen wir dem scheidenden Lebensjahre unseres lieben Oberamtmanns dieß stille Glas.«

Und indem er sein Glas an den Mund setzte, leerte er es bis auf den Grund.

Alle folgten seinem Beispiele – Frau von Wendenstein und die Mädchen nicht ausgenommen, denn diese Damen, in gesunden, kräftigen und natürlichen Verhältnissen lebend, scheuten vor einem Glase edlen Weines nicht zurück, wie jene krankhaft zarten Repräsentantinnen des schönen Geschlechts in den Kreisen der städtischen Gesellschaft.

»Gott gebe, meine Freunde, daß wir am Schlusse des nächsten Jahres, das etwas wolkenschwerer heraufzieht, eben so froh und gemüthlich hier beisammen sein mögen als heute,« sagte der Oberamtmann, indem eine tiefe Rührung über seine kräftigen, heitern Gesichtszüge hinzog und in seiner Stimme wiederklang – »doch nun,« fügte er munter hinzu in dem Gefühl, daß die Tischunterhaltung nach diesem Scheidegruß an sein vergangenes Lebensjahr nicht wieder in Gang kommen könne – »lassen Sie uns aufstehen und die Friedens-Cigarre rauchen – Johann, nimm die Bowle mit, denn mit ihr wollen wir noch ein ernstes Wort reden.«

Die Gesellschaft stand auf und begab sich in das große Familienzimmer zurück.

Hier waren die Thüren nach dem durch mehrere große Leuchter erhellten Flur weit geöffnet, und ebenso standen die mächtigen Flügel der Hausthür offen, so daß man aus dem Wohnzimmer den Hof, mit dem alten Lindenbaum in der Mitte, sehen konnte.

Der ganze Hof glühte in dunkelrothem Flammenschein und man unterschied zwischen den hie und da von Dampf unterbrochenen Lichtwellen Gruppen von Menschen, denen die Bewegung der Flammenreflexe ein phantastisches Aussehen gab, und das Geräusch flüsternder Stimmen drang von dort herüber.

Der Oberamtmann blieb erstaunt, ja erschrocken stehen, denn sein erster unwillkürlicher Gedanke war eine Feuersbrunst auf seinem Hofe, – der alte Diener aber trat zu ihm heran und sagte halbleise: »Es sind die jungen Leute aus dem Dorf, welche dem Herrn Oberamtmann zum Vorabend seines Geburtstags eine Nachtmusik bringen wollen.«

Der Oberamtmann hielt in der Bewegung, die er schon gemacht hatte, um sich eilig auf den Hof zu begeben, inne und eine freudige Rührung leuchtete aus seinem Auge. Der geistliche Herr, der wohl etwas von dieser Ueberraschung gewußt haben mochte, lächelte zufrieden der Dame des Hauses zu und die jungen Leute sahen neugierig nach dem Schauspiel im Hofe.

Kaum war jedoch der Oberamtmann in dem Wohnzimmer sichtbar geworden, so trat ein sekundenlanges tiefes Schweigen draußen ein. Unmittelbar darauf aber erklang, von kräftigen und reinen Stimmen intonirt, die einfache, ergreifende Weise: »Wer nur den lieben Gott läßt walten«, und durch den weiten alten Flur drangen mit den glühenden Flammenlichtern der Fackeln die reinen vollen Töne des Chorals in das Wohnzimmer der Familie, während durch die großen Fenster der Gartenterrasse der helle Vollmond vom dunkeln Nachthimmel hereinschien und trotz des weißen Lichtes der Lampe helle Streifen auf dem Fußboden erscheinen ließ.

So stand der Oberamtmann da, im milden Licht seines wohnlichen Zimmers von den Seinen umgeben, während der sanfte Mondglanz wie ein Gruß des versinkenden Lebensjahres vom stillen Garten hereinfiel. War es ein Bild des künftigen Jahres, dieses unstäte, blutrothe Licht, welches den Hof erfüllte? – Doch aus diesem Feuerschein heraus tönt ja die trostreiche Weise des alten frommen Liedes, das schon so viele Menschenherzen gestärkt und getröstet hat, – mag die Zukunft kommen – bringt sie Kampf und Trübsal, so wird sie auch Trost und Stärke bringen.

So dachte der Oberamtmann, indem er sinnend hinausblickte.

Seine Gattin hatte sich an seine Seite gestellt, unwillkürlich hatten sich ihre Hände gefaltet und ihr ehrwürdiges Haupt sich leicht geneigt.

»Den wird er wunderbar erhalten
In aller Noth und Fährlichkeit.« –

– erklang es von draußen herein. Die alte Dame warf einen Blick auf ihren Sohn, den Offizier, der mit strahlendem Auge hinaussah auf das wunderbare und eigentümliche Bild der vom Fackelschein beleuchteten Gruppen auf dem Hofe. – Fester falteten sich ihre Hände, ihre Lippen bewegten sich wie im stillen Gebet und eine Thräne rann langsam über ihre Wange. Dann neigte sie das Haupt tiefer und hörte unbeweglich und andächtig den Choral zu Ende. –

Nachdem die ernsten Töne verklungen waren, löste sich die bis dahin unbewegliche Gruppe im Saale auf. Der alte Bauer Deyke und der Schulmeister traten ein. In ehrbarer, würdiger Haltung näherte sich der Bauermeister seinem Oberamtmann und sprach, während der Schullehrer, sich tief verneigend, hinter ihm stand: »Die jungen Leute da haben dem Herrn Oberamtmann zur Vorfeier seines Geburtstages eine Nachtmusik bringen wollen – der Schulmeister hat sie eingeübt« – dieser verneigte sich hier abermals und machte den vergeblichen Versuch, so auszusehen, als wisse er nicht, daß Aller Blicke sich in diesem Augenblick auf ihn richteten, – »da sind sie gekommen und haben auch gefragt, ob es sich wohl schicke – und ich habe nichts dagegen gesagt, denn der Herr Oberamtmann weiß ja, daß das ganze Dorf Antheil nimmt an seinem Familienfest – nun, und wir wissen ja, daß Sie sich freuen, wenn wir Ihnen zeigen, daß wir es gut mit Ihnen und der ganzen werthen Familie meinen; darum nichts für ungut, wenn wir die Unruhe da vor dem Hause machen und wenn« – er wendete sich zur Frau von Wendenstein – »die Frau Oberamtmännin erschrocken ist über den Ueberfall – aber der Schulmeister da sagte, eine Ueberraschung müßte es sein, sonst wäre gar nicht der rechte Sinn in der Sache.«

»Ich danke euch, ich danke euch Allen von Herzen, mein guter alter Deyke!« rief der Oberamtmann lebhaft, indem er dem Bauern die Hand schüttelte – ihr habt mir eine rechte Freude gemacht und solchen Schreck, den verträgt meine Frau schon.« –

»Gewiß,« sagte Frau von Wendenstein, aus deren Augen wieder die gewohnte milde und ruhige Heiterkeit leuchtete, indem auch sie dem alten Bauern die feine weiße Hand reichte, welche dieser mit einer gewissen vorsichtigen Behutsamkeit ehrerbietig ergriff, »ich freue mich von Herzen mit an dem Zeichen der Liebe, das ihr meinem Manne bringt.«

»Aber wo ist denn der Fritz?« rief der Lieutenant lebhaft, »ich müßte mich doch sehr wundern, wenn der nicht dabei wäre, he! alter Deyke, wo ist der Junge, mein alter Spielkamerad?«

»Hier, Herr Lieutenant,« rief die muntere Stimme des jungen Deyke und aus dem dunkleren Theile des Flurs trat die kräftige Gestalt des hübschen Bauernburschen über die Schwelle des Wohnzimmers – »ich freue mich, daß der Herr Lieutenant da sind und sich an mich erinnern.«

Während der Lieutenant dem jungen Bauern entgegeneilte und ihn herzlich begrüßte, trat der Regierungsassessor mit einer gewissen steifen Freundlichkeit zu dem alten Bauern, der ihm ebenfalls derb die Hand schüttelte, und der Oberamtmann rief: »Aber nun für alle Welt zu essen und zu trinken auf den Hof, daß nur das junge Volk vergnügt ist, es soll doch nicht gesagt sein, daß meine Freunde, die mir so große Freude zu machen gekommen sind, trockenen Mundes vom Amtshause zu Blechow gehen!«

Frau von Wendenstein gab ihrer ältesten Tochter einen Wink, diese eilte hinaus und bald sah man die Mägde des Hauses in geschäftiger Eile mit Tischen, weißen Leintüchern, Tellern, Krügen und Flaschen nach dem Hofe eilen.

Der Schulmeister aber flüsterte dem alten Deyke etwas in's Ohr und dieser sagte: »Mit Verlaub, Herr Oberamtmann, der Schulmeister bittet, daß mit der freundlichen Bewirthung möchte gewartet werden, bis sie die übrigen Lieder gesungen hätten, sonst möchte er sie nicht mehr so gut in Ordnung halten können!«

»Also noch mehr wollt Ihr singen?« rief der Oberamtmann vergnügt, »nun dann vorwärts also, Herr Niemeyer, setzt Euch zu uns, lieber Deyke, und trinkt ein Glas mit uns auf die alte Zeit!«

Und indem er einige Lehnstühle in die Mitte des Zimmers rollte, ließ er den Bauern neben sich und dem Pastor Platz nehmen. Der Lieutenant brachte Cigarren und der Regierungsassessor füllte die Gläser, der alte Bauer netzte seine Cigarre mit den Lippen und brannte sie mit weit gespitztem Munde vorsichtig an, stieß sein Glas an das des Oberamtmanns und des Pastors, leerte es zur Hälfte, indem er durch bedächtiges Kopfnicken seinen Inhalt anerkannte, und blieb dann gerade auf seinem Stuhl sitzen mit einer Miene und Haltung, welche ausdrückte, daß er die hohe Ehre wohl zu würdigen wisse, neben dem Oberamtmann und dem Pastor da zu sitzen, daß er sich aber auch wohl bewußt sei, der Mann zu sein, dem solche Ehre zukäme.

Der Schulmeister und der junge Deyke waren wieder hinausgeeilt, und bald drangen in vollstimmigen Chören, richtig und sicher ausgeführt, die schönen einfachen Volkslieder jener Gegenden in den Saal.

Die drei Männer saßen in ihren Stühlen, Frau von Wendenstein hatte ihren Platz auf dem Sopha wieder eingenommen und hörte sinnend auf die melodiereichen Weisen, der Regierungsassessor stand mit dem Auditor von Bergfeld in einer Fensternische, die jüngere Tochter des Oberamtmanns war ihrer Schwester gefolgt, um ihr bei den Anordnungen zur Bewirthung der Sänger zu helfen, und der Lieutenant ging im Zimmer leise auf und nieder, dem Gesange zuhörend, man konnte ihm ansehen, daß er ungeduldig darauf wartete, sich unter die Gruppen draußen zu mischen und mit den jungen Burschen und Bauernmädchen, die er alle von Jugend auf kannte, zu scherzen und zu lachen.

Die Tochter des Pfarrers, von ihren jungen Freundinnen verlassen, war durch die große Thür auf die Terrasse hinausgetreten. Sie stand auf die Brüstung gelehnt und blickte zum Monde hinauf, dessen reiches Licht ihr schönes, sinnendes Gesicht mit silbernem Licht übergoß und ihre klaren Augen seltsam erglänzen ließ.

Nachdem der Lieutenant einige Male seinen Gang durch das Zimmer wiederholt hatte, trat er ebenfalls auf die Terrasse hinaus und sog in vollen Zügen die frische, reine Lust des Frühlingsabends ein, indem sein Auge über die weite so wohl bekannte Ebene hinschweifte, die im hellen Mondlicht vor im dalag.

Da erblickte er die Gestalt des jungen Mädchens an der Brüstung der Terrasse und mit raschem Schritt eilte er zu ihr hin.

»Sie schwärmen im Mondschein, Fräulein Helene,« rief er heiter, »erlauben Sie, daß ich mich daran betheilige – oder wollen Sie ganz allein sein?«

»Ich bin hierher gegangen,« sagte die Tochter des Pfarrers, »weil der Mond mich immer unwillkürlich hinauszieht und auch höre ich den Gesang hier lieber aus der Ferne – übrigens schwärmte ich wirklich ein wenig,« fuhr sie lächelnd fort, indem sie sich von der Brüstung, auf die sie sich gelehnt hatte, aufrichtete, »meine Gedanken waren weit von hier, dort oben bei den Wolken.«

Und sie deutete mit der Hand nach einer großen schwarzen Wolkenschicht, welche finster vom Horizont heraufstieg bis in die Nähe des Mondes, dessen Licht ihre Spitzen mit Silberglanz erhellte – es sah aus wie ein schwarzer Mantel mit lichtglänzendem Saum.

»Das bin ich von Ihnen gewohnt,« rief der Lieutenant, »daß Ihre Gedanken weit hinaus gehen und weit hinauf und ich höre Ihnen so gern zu, wenn Sie etwas schwärmen, das bringt mich in so eine eigene Welt, die ich liebe und die mich anspricht, die ich aber allein nicht finden kann, – es ist wie in den Kindermärchen, wo man in wunderbare Gärten nur gelangen kann, wenn man das Zauberwort ausspricht, vor dem sich das Felsenthor öffnet, – Sie haben dieß Wort, und Sie wissen, schon als Kind war ich nicht glücklicher, als wenn ich Ihnen zuhörte, wie Sie mir Ihre Gedanken erzählten, die mich so weit weg führten aus der täglichen Umgebung, – erzählen Sie mir auch jetzt ein wenig, was Sie mit den Wolken da oben gesprochen haben.«

»Sehen Sie,« sagte das junge Mädchen, indem ihr Blick sich aufwärts richtete und Bildern zu folgen schien, die vor ihrem innern Auge auftauchten, – »sehen Sie die schwarze Wolke dort, die so ruhig und still daliegt im freundlichen Licht des Mondes – ein Bild des Friedens, man sollte glauben, daß das ewig so gewesen ist und ewig bleibt – und doch in wie kurzer Zeit ist die Wolke weit, weit fortgezogen über das Land hin, – wird sie Segen und Fruchtbarkeit bringen oder wird sie in wildem Unwetter Verderben und Zerstörung über die Felder ergießen und die Hoffnung des Landmanns zerstören? Niemand weiß es – aber fortziehen wird sie aus dem stillen hellen Strahl des Mondes, der jetzt so friedlich auf ihr ruht – und der hier noch nach Jahren ebenso leuchten wird. – So ist das Leben, so ist das Schicksal der Menschen,« fuhr sie wehmüthig fort, »heute im freundlichen Licht – in kurzer Zeit fern im wilden Wetter.«

»Immer traurige Gedanken,« sagte der Lieutenant, indem er leicht lächelte, während ein Widerschein des schwärmerischen Ausdrucks, der von dem Gesicht des jungen Mädchens strahlte, über seine Züge flog, – »immer ernst – aber doch schön,« fuhr er nachdenklich fort, – »wenn ich nur wüßte, wo Sie immer so sonderbare Gedanken hernehmen!«

»Sollten sie mir heute nicht kommen,« erwiederte sie, wo so viel von Kriegsgefahr und von der drohenden Zukunft gesprochen ist, – wie bald vielleicht wird manches friedliche Licht verschwinden wie der Mond, wenn die schwarze Wolke höher steigt!«

Der junge Offizier war ernst geworden und blickte einen Augenblick schweigend vor sich hin.

»Wie sonderbar!« sagte er dann – »der Krieg das ist ja mein Handwerk und ich habe immer darauf gehofft, daß es einmal einen frischen, fröhlichen Krieg geben möchte, statt des langweiligen Garnisonslebens – aber was Sie da sagen, das macht mich fast traurig – sind wir Soldaten nicht die schwarze Wolke, die da fortzieht aus dem freundlichen Mondlicht, um Unheil und Verderben zu verbreiten und so viele Hoffnungen zu zerstören? – Und trifft uns vielleicht selbst nicht der Blitz, der im Schooße der Wolke ruht?«

»O, daß es menschlicher Macht vergönnt wäre,« rief die Tochter des Pfarrers lebhaft, »den Zug der Wolken zu lenken und das Schicksal der Menschen zu Licht und Frieden zu führen – doch,« sagte sie nach einer Pause – »wie das silberne Mondlicht sich dort auf die schwarze Wolke legt, so können wir mit unseren Wünschen und Gebeten Diejenigen begleiten, welche der Sturm des Schicksals in die unbekannten Fernen zieht – und das ist der Trost Derer, die zurückbleiben.« –

Der Lieutenant schwieg. Sein Auge haftete mit träumerischem Erstaunen auf den wunderbar belebten Zügen des jungen Mädchens, das im weichen Licht wie von Verklärung übergossen vor ihm stand, er trat langsam einen Schritt näher zu ihr hin – da schwieg der Gesang, laute Stimmen und Gläserklirren tönte vom Hofe herüber und die Töchter des Oberamtmanns traten auf die Terrasse. Der Lieutenant und Helene wendeten sich rasch um und gingen ihnen entgegen.

Der Oberamtmann war auf den Flur getreten und dankte nochmals allen Sängern herzlich für die Freude, die sie ihm gemacht, indem er sie zugleich aufforderte, sich nach dem Gesange den Gaumen anzufeuchten – dann mischte sich die ganze Gesellschaft unter die Gruppen der Bauern und laute fröhliche Unterhaltung, helles Lachen und klirrendes Anstoßen schallte durch den weiten Hof.

Der Lieutenant war langsam in den Saal getreten und blieb dort eine Weile ernst und nachdenklich stehen, während seine Schwestern mit der Tochter des Pfarrers zu den jungen Mädchen des Dorfes traten und mit Allen freundliche Worte wechselten.

Auch der Regierungsassessor trat zu den jungen Bauern und wußte den Ton der Unterhaltung mit ihnen ganz gut zu treffen, hatte er doch seine Jugend unter ihnen verlebt – auch sprachen sie offen und ohne Zurückhaltung mit ihm, aber es war eine gewisse feierliche, ceremonielle Unterhaltung, welche in ruhigem Tone geführt wurde und welche sich langsam und gemessen von einer Gruppe zur andern fortsetzte.

Laute Fröhlichkeit aber begrüßte den Lieutenant, als er nach einiger Zeit ebenfalls in den Hof trat und von seinem Jugendgespielen Fritz Deyke begleitet unter den jungen Bauern umherging, die sich in straffer militärischer Haltung vor ihm aufstellten, nach der Anweisung einiger älterer gedienter Kavalleristen.

So war Alles Leben und Fröhlichkeit. Endlich sah sich der Lieutenant von einer Gruppe junger Leute umgeben, als deren Wortführer Fritz Deyke ihm einen Wunsch vorzutragen schien. Der Lieutenant lachte, nickte zustimmend mit dem Kopf und trat dann zu seinem Vater:

»Die Leute möchten gern das Hannoveranerlied singen, Papa, aber sie wollen, daß Du es ihnen besonders erlaubst, sie wissen nicht, ob es sich schickt, wie sie sagen.«

»Ob es sich schickt?« rief der Oberamtmann heiter und laut, »gewiß schickt es sich und gleich sollen sie anfangen.«

Fritz Deyke, der dem Lieutenant gefolgt war, eilte zu den andern Burschen, diese stellten sich im Halbkreis vor die Thür des Hauses und bald erscholl jenes eigentümliche Lied, dessen Textworte kaum verständlich sind und oft ad libitum verändert werden, das aber von den hannöverischen Bauern und Soldaten bei jeder fröhlichen Gelegenheit mit besonderer Vorliebe gesungen wird.

Der Oberamtmann freute sich von Herzen des fröhlichen Liedes, das die munteren Burschen mit aller Kraft ihrer Lungen erklingen ließen. Er und der Lieutenant sangen den Refrain mit und

»Da sah'n wir von Weiten
Unsern König schon reiten,
Er rief nach seinem Brigadier,
Lustige Hannoveraner seien wir.«

erklang es laut in die Nacht hinein vom alten Amtshause zu Blechow.

Dann zogen langsam und in lauter Unterhaltung die Sänger und die Neugierigen nach dem Dorfe zurück, der Pastor und seine Tochter verabschiedeten sich, um nach dem stillen Pfarrhause zurückzukehren, und bald lag das Schloß in tiefem Schatten und stiller Ruhe.

Frau von Wendenstein küßte ihren jüngsten Sohn innig auf die Stirn, als er ihr gute Nacht sagte, und leise flüsterten ihre Lippen, als sie sich zurückzog:

»Wer nur den lieben Gott läßt walten
Und hoffet auf Ihn alle Zeit,
Den wird Er wunderbar erhalten
In aller Noth und Fährlichkeit.«

Der Lieutenant aber saß noch lange schweigend und nachdenkend auf dem altertümlichen tiefen Lehnstuhl in seiner Schlafkammer, und als er endlich zu Bett gegangen und eingeschlafen war, sah er sich im Traum auf einer schwarzen Wolke vom Sturmwind erfaßt, weiter und weiter in die Ferne getragen, Blitze zuckten um ihn her und der Donner umbrauste ihn, und immer weiter zog es ihn fort von der hellen leuchtenden Mondscheibe, die ihm ihren milden Strahl nachsandte.


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