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Dreizehntes Kapitel.

Und in der That rückten die Ereignisse in jenen denkwürdigen Tagen nach Stunden vor und die Geschichte machte in Stunden so viel Schritte auf ihrem die Welt umgestaltenden Wege, wie sonst in Jahren.

Vom Norden her rückte der General von Manteuffel herab, der General Vogel von Falckenstein besetzte Hannover und übernahm die Verwaltung des Landes, dessen Beamten der König erlaubt und befohlen hatte, in ihren Stellungen zu bleiben, der General Beyer konzentrirte sein in Hessen zersplittertes Korps, der General von Seckendorf besetzte von Magdeburg her Nordhausen, von Erfurt aus rückte ein Theil der Besatzung und eine Ausfalls-Batterie nach Eisenach und vereinigte sich dort mit den Truppen des Herzogs von Koburg-Gotha, um diesen Uebergangspunkt der hannöverischen Armee nach dem Süden zu verschließen.

Die Befehle flogen von Berlin an die Truppenkommandanten und eine rasche und einheitliche Bewegung vollzog sich bei allen preußischen Armeeabtheilungen, dahin zielend, die Knotenpunkte eines Kreises festzulegen, welcher die hannöverische Armee einschloß und der sich immer dichter und fester zusammenzog.

Es blieb nur die freilich natürlichste und geradeste Straße nach Fulda offen.

Diese tapfere, von wunderbarem Geiste beseelte Armee aber lag in Göttingen und der nächsten Umgegend.

Der Generalstab arbeitete Tag und Nacht, um sie marschfertig zu machen. Wohl brausten die jüngeren Offiziere und Mannschaften vor Ungeduld, vorwärts zu gehen – und begriffen nicht, daß die Regimenter, welche aus ihren Standquartieren in so unerhörten Märschen nach Göttingen gekommen waren, nicht marschfertig sein sollten, um von da auf der nach allen Meldungen völlig offenen Straße nach dem Süden weiter zu gehen, – wohl schüttelte der alte General Brandis den Kopf und meinte, es sei wohl besser, mit der nicht marschfertigen Armee durchzubrechen, als mit der marschfertigen eingeschlossen zu werden, – wohl meinte er, daß des großen Wellington Truppen nach reglementmäßigen Begriffen oft sehr wenig marschfertig gewesen seien und doch marschirt wären, geschlagen und gesiegt hätten, – wohl biß der König die Zähne zusammen vor Ungeduld, – er konnte nichts thun, der Herr, dem des Himmels Hand das Augenlicht genommen, als fragen und antreiben und immer wieder fragen und antreiben.

Der Generalstab aber in der Aula der Georgia Augusta bewies dem braven General von Arentschildt, daß nach allen bestehenden Reglements die Armee noch nicht marschiren könne, – die Reglements lagen vor und der Generalstab hatte Recht, – und der General von Arentschildt meldete dem König, daß die Armee noch nicht marschiren könne.

Auch wartete der Generalstab auf das Vorrücken der Hessen und Bayern zur Vereinigung mit der hannöverischen Armee.

Der König mußte warten, verzehrte sich in stiller Ungeduld in seinen Zimmern im Gasthof zur Krone.

Die Truppen in ihren Quartieren und Kantonnements mußten warten, und ihre Ungeduld war nicht still, sondern machte sich Luft in lauten und derben Flüchen, und am lautesten und lebhaftesten war die Ungeduld bei den Kavallerieregimentern, deren Pferde wiehernd den Boden scharrten und deren Mannschaften meinten, sie dürften nur in den Sattel springen, um so marschfertig zu sein als irgend ein Kavallerist der Welt.

Alles wartete.

Graf Platen wartete auf eine Rückäußerung des Prinzen Ysenburg. Er hatte die Erklärung auf die preußische Sommation von Göttingen aus an den Prinzen geschickt und hoffte, daß sich auf Grund derselben irgend eine Negoziation anbahnen lassen würde. – Aber am zweiten Tage kam die Erklärung selbst zurück, – zwar eröffnet, – aber mit der kurzen und kalten Bemerkung des Prinzen Ysenburg, daß nach der Kriegserklärung seine diplomatischen Funktionen aufgehört hätten und daß er daher nicht in der Lage sei, Schriftstücke des hannöverischen Ministers anzunehmen.

So wartete Alles und immer glühender wurde die Ungeduld der nicht marschfertigen Armee, – aber es war so Vieles versäumt und ungeordnet gelassen, wie die neue Armeeleitung fand und vortrug, – daß trotz alledem und alledem – nicht marschirt werden konnte.

Der Kurier Duve hatte seinen Weg, ohne einem preußischen Soldaten zu begegnen, fortgesetzt, er hatte das kurhessische Hauptquartier nicht in Fulda, sondern in Hanau gefunden, dort hatte ihm der General von Loßberg erklärt, er könne keine Dispositionen treffen, da der Prinz Alexander von Hessen bereits das Kommando übernommen habe, – übrigens sei die kurhessische Armee immobil.

Der Kurier war weiter geeilt, hatte in Frankfurt dem österreichischen Bundespräsidialgesandten Baron Kübeck die Depesche des Grafen Ingelheim übergeben und von Herrn von Kübeck ein dringliches Schreiben an den Prinzen Alexander von Hessen erhalten, der sich in Darmstadt befand. Er hatte dem Prinzen mündlich alle Nachrichten über die Stellung der hannöverischen Armee gegeben, welche diesem völlig unbekannt war. Prinz Alexander sendete die Botschaft, daß er die Bayern, welche bei Schweinfurt standen, ersuchen wolle, schnell nach Norden vorzugehen; daß das achte Armeekorps über Fulda auf Eschwege schleunigst vorrücken solle, um der hannöverischen Armee die Hand zu reichen; daß endlich die kurhessische Brigade als Scheindemonstration von Hanau nach Gießen vorgeschoben werden solle.

Man erwartete also im Hauptquartier des Prinzen Alexander, daß die hannöverische Armee eiligst auf der Straße nach Fulda herabkommen, die kurhessische Brigade aufnehmen und sich mit dem achten Armeekorps vereinigen würde. Die Straße nach Fulda war frei und man hätte dort höchstens einzelnen Abtheilungen des zersplitterten Korps des Generals Beyer begegnen können, welche wahrscheinlich einen Kampf gar nicht aufgenommen hätten.

So rechnete man im Hauptquartier des Prinzen Alexander.

Anders aber beschloß der neue hannöverische Generalstab in der Aula der Georgia Augusta. Es waren Meldungen theils von Reisenden, theils von ausgeschickten Kundschaftern gekommen, daß sechzigtausend, achtzigtausend, ja hunderttausend Mann preußische Truppen auf der fuldaer Straße ständen, und so wurde denn beschlossen, diesen Weg nicht zu nehmen und mitten in das preußische Gebiet und zwischen die preußischen Armeen hineinzumarschiren, um über Heiligenstadt und Treffurt nach Eisenach zu kommen, dort die Bahn zu überschreiten und die Bayern zu erreichen, von welchen man keine Nachricht hatte, aber bestimmt annahm, daß sie dort stehen würden.

Vergebens schüttelte der alte General von Brandis wiederum den Kopf und bemerkte in seiner kurzen Weise, daß eine Armee, welche sich durchschlagen wolle, sich immer scharf an den Feind halten müsse, – wenn daher preußische Truppen auf der Straße nach Fulda ständen, so sei es nach den sehr praktischen Grundsätzen der Wellington'schen Kriegführung geboten, dorthin zu marschiren, – jedenfalls habe man mehr Chance, dort den Feind zu werfen und den Süden zu erreichen, als sich aus dem Kesseltreiben herauszuziehen, in welches man sich hineinbegeben wolle.

Der Generalstab beschloß einstimmig den Marsch nach Heiligenstadt und der König genehmigte diesen Marsch.

So brach denn endlich die Armee am 21. Juni Morgens um vier Uhr auf und ein einstimmiger Jubelruf durch alle Quartiere und Kantonirungen begrüßte den Marschbefehl.

In musterhafter Ordnung wie zur Parade zogen die tapfern Brigaden aus. Etwa um fünf Uhr verließ der König Göttingen, zum Abschied begrüßt von dem Senat der Universität und den Civilbehörden.

Es war ein glänzender und prachtvoller Zug, der da in das Morgenlicht hinauszog, in das preußische Gebiet hinein.

Eine halbe Schwadron des Cambridge-Dragoner-Regiments deckte als persönliche Schutzwache den königlichen Kriegsherrn.

Auf hohem, prachtvollem weißen Pferde, dem an kaum sichtbarem, feinem Leitseil der Major Schweppe von den Gardekürassieren die Richtung gab, ritt Georg V. in der stolzen, ritterlichen Haltung, welche zu Pferde seine Erscheinung so besonders königlich und imposant machte, ihm zur Seite der Kronprinz in der Gardehusarenuniform auf leichtem, kleinem Pferde. Ihn umgab das zahlreiche Gefolge vom Militär und Civil, – der alte einundsiebenzigjährige General Brandis hatte den Wagen zurückgewiesen, Graf Ingelheim ritt in grauem Anzug und hohen Ecuyerstiefeln neben dem König; – der glänzenden Kavalkade folgte des Königs sechsspänniger Reisewagen mit Stangenreitern und Piqueurs, sodann eine Reihe anderer Wagen für das Gefolge, Handpferde, Stallmeister und Lakaien.

Wo der königliche Zug vorbeikam an den marschirenden Truppen, da ertönte lautes, jubelndes Hurrah und alle diese frohen und muthigen Soldatenherzen schlugen höher, wenn sie ihren König in ihrer Mitte sahen.

Der heldenmüthige, aber strategisch etwas rätselhafte Zug der Hannoveraner, auf welchen damals die Augen nicht nur von Deutschland, sondern von Europa gerichtet waren, gehört der Geschichte an und ist in den Schriften über den Krieg von 1866 ausführlich erzählt. Späterer Zeit wird es vorbehalten bleiben, die verschiedenen unerklärlich erscheinenden Wendungen, welche die Armee machte, vielleicht zu erklären, welche in Heiligenstadt den Marsch auf Treffurt wieder aufgab und über Mühlhausen nach Langensalza ging, von dort fast unter den Kanonen von Erfurt vorbei auf Eisenach zog und dann plötzlich, nachdem dieser Ort schon so gut wie genommen war, anhielt, weil ein Parlamentär des Herzogs von Koburg-Gotha ohne Legitimation im hannöverischen Hauptquartier erschien. Um diese Mission aufzuklären, war der Major von Jacobi vom hannöverischen Generalstabe nach Gotha geschickt worden, hatte dort, getäuscht über die Zahl der bei Eisenach stehenden preußischen Truppen, den hannöverischen Obersten von Bülow telegraphisch zur Einstellung der Feindseligkeiten aufgefordert, und dieser hatte, der Aufforderung Folge leistend, seine Truppen vor Eisenach zurückgezogen und einen vorläufigen Waffenstillstand zwischen den sich gegenüberstehenden Truppen geschlossen.

Als daher – sagt der offizielle Bericht über diese Vorgänge – der kommandirende General von Arentschildt mit der Erwartung, Eisenach sei genommen, gegen acht Uhr Abends auf jenem Punkt erschien, sah er sich einer vollendeten Thatsache gegenüber, welche seinen Plan vereitelte, den Absichten Seiner Majestät des Königs widersprach, aber in welche noch einzugreifen sowohl der Abschluß des Waffenstillstandes, als auch die einbrechende Nacht ihn verhinderte.

Der Major von Jacobi wurde vor ein Kriegsgericht gestellt, dessen regelrechte Durchführung durch die späteren Ereignisse unmöglich ward.

Die Annahme des Parlamentärs, die mit ihm und dem Herzog von Koburg mitten in der militärischen Aktion begonnenen Verhandlungen, der Rückzug vor Eisenach erzeugten in Berlin die Ansicht, daß der König unterhandeln wolle, und König Wilhelm von Preußen, stets von dem Wunsche beseelt, einen blutigen Zusammenstoß mit den Hannoveranern zu vermeiden, sendete seinen Generaladjutanten von Alvensleben in das hannöverische Hauptquartier, das sich am 25. Juni in Groß-Behringen auf der Straße nach Eisenach befand.

Inzwischen war während des durch die vorläufigen Negoziationen mit dem Herzog von Koburg veranlaßten Stillstandes der hannöverischen Armee Eisenach durch Zuzüge preußischer Truppen so stark besetzt worden, daß es schwer erschien, diesen Platz noch zu nehmen.

General von Alvensleben meldete sich in Groß-Behringen als Bevollmächtigter Seiner Majestät des Königs von Preußen, um »die Befehle Seiner Majestät des Königs von Hannover entgegen zu nehmen«. Die Unterhandlungen drehten sich um den von dem hannöverischen Kriegsrath gemachten Vorschlag, den hannöverischen Truppen ohne Kampf und Blutvergießen freien Durchzug nach dem Süden zu gestatten unter der Bedingung, eine bestimmte Zeit lang nicht gegen Preußen zu fechten. Preußischerseits wurde diese Zeit auf ein Jahr bestimmt und bestimmte Garantieen und Pfänder verlangt. Der König von Hannover nahm die so gestellte Bedingung nicht an, es wurden jedoch auch die Verhandlungen nicht abgebrochen, vielmehr ein Waffenstillstand geschlossen und der König versprach seine definitive Antwort bis zum 26. Morgens zu geben. Als am 26. früh der König den Oberstlieutenant Rudorff vom Generalstabe nach Berlin absendete, wurde dieser von dem General Vogel von Falckenstein, der sich in Eisenach bereits befand und dort fast zwei Divisionen vereinigt hatte, nicht weiter befördert und zugleich erklärte der General Vogel von Falckenstein, daß er von einem Waffenstillstand nichts wisse und angreifen werde.

Die hannöverische Armee war dadurch in eine sehr bedenkliche Lage gerathen. Der König, welcher die Nacht in Groß-Behringen zugebracht hatte, bezog am 26. früh wieder sein Hauptquartier im Schützenhause zu Langensalza.

Weit vor der Stadt, rückwärts von der eisenacher Straße, liegt das Schützenhaus, ein großes, hübsches Gebäude, ein großer freier Platz vor der Vorderfront, dem gegenüber sich das große, schöne Posthaus erhebt. Hinter dem Hause liegt ein großer Garten, von hoher Mauer und bedeckten Gängen umgeben, eine weite Veranda bildet die Vermittlung zwischen dem Hause und dem Garten.

Vor dem Schützenhause stand ein Doppelposten, auf dem Platz sah man die königlichen Equipagen, Offiziere aller Truppenabtheilungen kamen und gingen, die Adjutanten und Ordonnanzen des kommandirenden Generals, welcher sein Hauptquartier in der Stadt hatte, eilten hin und her, um dem Könige Nachrichten zu bringen, – Alles war Leben und militärische Bewegung.

Die Armee war um Langensalza konzentrirt und aus den Quartieren in eitle Defensivstellung gebracht, da die Nichtanerkennung des Waffenstillstandes seitens des Generals Vogel von Falckenstein jeden Augenblick einen preußischen Angriff besorgen ließ. Zwar hatte der General später, als ihm die Verhandlungen mit dem Generaladjutanten von Alvensleben bekannt wurden, den Waffenstillstand zu respektiren erklärt, – indeß die defensive Gefechtsstellung der hannöverischen Armee war beibehalten worden.

Der König saß in seinem Zimmer. Tiefer Ernst lag auf seinen Zügen. Der alte General von Brandis stand neben ihm.

»Mein lieber Brandis,« sagte der König düster, – »ich fürchte, wir befinden uns in einer schlimmen Lage!«

»Leider bin ich dessen gewiß, Majestät!« erwiederte der General.

»Ich fürchte,« fuhr der König fort, »diese unglücklichen und unklaren Verhandlungen haben nur dazu gedient, die preußischen Kräfte, die uns gegenüberstehen, zu verstärken und unsere Stellung zu verschlimmern. Ohne diese Verhandlungen hätten wir Eisenach genommen und wären jetzt vielleicht schon in Sicherheit mit den Bayern vereinigt.« –

»Ganz gewiß,« sagte der General trocken, – »Eure Majestät werden mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen,« fuhr er fort, »daß ich mich stets sehr entschieden gegen diese Art von Verhandlungen ausgesprochen habe. Meiner unmaßgeblichen Ansicht nach muß man entweder verhandeln oder marschiren, Beides zusammen geht nicht. – Auch begreife ich nicht, wohin diese Verhandlungen führen sollten. Ich verstehe den Angelpunkt derselben nicht. Durchmarsch nach dem Süden mit der Verpflichtung, eine gewisse Zeit nicht gegen Preußen zu fechten –«

»Zwei Monate,« – fiel der König ein.

»Welche Bedeutung kann das haben?« – fuhr der General fort, – »welchen Empfang würden wir in Süddeutschland finden, wenn wir dort ankämen und sagten: Hier sind wir, Verpflegung und Quartier brauchen wir, – aber schlagen dürfen wir nicht! – Ich wüßte wahrlich nicht,« sagte er mit einer gewissen Bitterkeit, – »was ich als kommandirender General der süddeutschen Truppen zu einer solchen Ueberraschung sagen sollte. Ich glaube, dann wäre es besser gewesen, in Hannover zu bleiben!«

Ein leichter Zug von Unmuth flog über das Gesicht des Königs, verschwand jedoch sogleich wieder und freundlich, aber ernst sprach er:

»Aber mein lieber Brandis, der kommandirende General und der Generalstab haben mir vorgetragen, daß die Armee ohnehin durchaus nicht schlagfertig und zu militärischen Operationen ernster Natur nicht tüchtig sei, daß sie, wenn es gelänge, nach Süddeutschland durchzudringen, wenigstens acht Wochen bedürfe, um in schlagfertigen Zustand gebracht zu werden! Darauf hin bin ich auf jene Verhandlungen eingegangen, – wie konnte ich anders?«

»Ich wage gewiß nicht,« sagte der General, »Eurer Majestät Entschließungen und Handlungen zu beurteilen, aber ich kann nur immer wiederholen: – diese Theorieen des Generalstabs verstehe ich nicht. Ein Generalstab, der als Resultat seiner Arbeiten immer nur Negationen produzirt und Rückwärtsbewegungen vorschlägt? – Vorwärts wollen wir doch, Majestät!« rief er, »und um vorwärts zu kommen, muß man marschiren. Das Vorwärtsmarschiren kräftigt die Armee, – das Stillliegen ermüdet sie, das zwecklose Hin- und Hermarschiren aber wird sie schließlich demoralisiren.«

Der König schwieg und seufzte tief.

»Majestät,« fuhr der General warm und lebhaft fort, – »es gibt nur noch einen Weg der Rettung, – das ist der schleunige Vormarsch auf Gotha. Die Preußen erwarten nach den bisherigen Operationen, daß wir bei Eisenach den Uebergang über die Eisenbahnlinie bewirken wollen, – dort haben sie ihre Kräfte zusammengezogen. – Lassen Eure Majestät unverzüglich nach Gotha aufbrechen und in forcirtem Marsch vorgehen, – wir werden dort wenig Widerstand finden und durchbrechen. Wir haben neunzehntausend Mann, lassen wir viertausend liegen, so erreichen wir – dafür stehe ich – immer noch mit fünfzehntausend Mann Süddeutschland, bringen dort eine wesentliche Hülfe und erhalten vor Allem Eurer Majestät Fahne im Felde. Wenn wir hier warten,« fuhr er traurig fort, »so muß es böse enden.«

»Aber die Verhandlungen mit Alvensleben –« sagte der König zögernd, – »Graf Platen hofft noch immer ein Resultat –«

»Welches Resultat?« rief General von Brandis, – »die Resultate der beiderseitigen Negoziationen sind bis jetzt wahrlich nicht glänzend gewesen –«

»Der Minister Graf Platen!« meldete der Kammerdiener.

Auf den Wink des Königs trat Graf Platen ein.

»Majestät,« rief er, »der preußische Oberst von Döring ist als Parlamentär von Berlin eingetroffen und bringt eine Depesche des Grafen Bismarck, – es scheint doch, daß man in Berlin weiter verhandeln will –«

»Lassen Sie den Obersten kommen!« sagte der König, indem er aufstand.

General Brandis zuckte die Achseln und trat an's Fenster.

Graf Platen führte den preußischen Stabsoffizier ein.

»Oberst von Döring,« meldete dieser, indem er in dienstlicher Haltung an den König herantrat, »befehligt, eine Depesche Seiner Excellenz des Ministerpräsidenten Grafen Bismarck vorzulesen!«

»Ich bin bereit zu hören, Herr Oberst!« erwiederte der König.

Der Oberst öffnete ein Papier, das er in der Hand trug.

»Ich muß Eurer Majestät zuvor bemerken,« sagte er, – »daß ich meinen Auftrag für tatsächlich erledigt halte, da ich hier die Verhandlungen abgebrochen und die Truppen des Generals Vogel von Falckenstein bereits im Begriff gefunden habe, anzugreifen.«

»Dann kann also Ihre Mittheilung nichts mehr nützen?« sagte der König kalt.

»Erlauben mir Eure Majestät immerhin, meinen Befehl auszuführen.«

»Es könnte doch –« fiel Graf Platen ein.

»Lesen Sie, Herr Oberst!« sagte der König.

Der Oberst las langsam die Depesche vor, welche eine wörtliche Wiederholung der durch den Prinzen Ysenburg am 15. übergebenen Sommation enthielt und ein Bündniß auf Grund der preußischen Reformbedingungen vorschlug.

»Glaubt denn dieser Mann,« rief der König, als der Oberst geendet, »daß ich jetzt –«

»Eure Majestät,« sagte der Oberst Döring mit fester Stimme, »bitte ich unterthänigst, allergnädigst bedenken zu wollen, daß ich als preußischer Offizier über den preußischen Ministerpräsidenten Ausdrücke nicht anhören kann –«

»Ist er nicht ein Mann wie wir alle?« fragte der König mit Hoheit, – »glaubt der Graf Bismarck,« – fuhr er fort, – »daß ich jetzt im Felde, an der Spitze meiner Armee, Bedingungen eingehen kann, welche ich in meinem Kabinet in Herrenhausen zurückgewiesen habe, daß ich jetzt meine Armee gegen Oesterreich marschiren lassen würde?«

»Könnte man nicht vielleicht eine kurze Bedenkzeit –« bemerkte Graf Platen.

»Ich habe keinen Befehl, eine solche anzunehmen,« sagte der Oberst von Döring.

»Und ich bedarf sie nicht,« fuhr der König fort, »um Ihnen meine Antwort zu geben. Sie ist dieselbe wie früher und heißt auf diese Vorschläge einfach: Nein. – Ich habe die Hand zu Verhandlungen geboten, um unnützes Blutvergießen zu vermeiden und dem Bedruck der Einwohner vorzubeugen; auf dieser Basis gibt es für mich keine Unterhandlung, – das Verhängniß mag seinen Weg gehen, – ich kann nichts mehr thun, es aufzuhalten. – Ich danke Ihnen, Herr Oberst, und hätte gewünscht, Ihre Bekanntschaft bei einer erfreulicheren Gelegenheit gemacht zu haben. – Sorgen Sie, meine Herren,« fuhr er zu dem General Brandis und dem Grafen Platen gewendet fort, »daß der Oberst zu den Vorposten geleitet wird.«

Oberst von Döring grüßte militärisch und verließ mit den beiden Ministern das Zimmer des Königs.

Vor dem Hause ging Graf Ingelheim gedankenvoll auf und ab und blickte von Zeit zu Zeit mit gespanntem Ausdruck nach den Fenstern des Königs herauf. Gruppen von Offizieren standen umher und unterhielten sich lebhaft. Man wußte, daß ein preußischer Parlamentär beim Könige, und alle diese jungen kampfesmuthigen Offiziere fürchteten nichts mehr, als daß ohne zu schlagen kapitulirt werden könnte.

»Man könnte sich ja nicht mehr in der hannöverischen Uniform sehen lassen,« rief ein junger Offizier des Garderegiments mit kindlich frischem Gesicht, indem er mit dem Fuß auftrat, »wenn wir hier, ohne den Degen zu ziehen, eingefangen würden wie in einer Mäusefalle. Da marschiren wir seit vierzehn Tagen hin und her und warten bald auf Bayern, bald auf Hessen und kommen nicht vorwärts. Was erwartete man nicht Alles von diesem neuen Kommando – und nun?«

Auf raschem Pferde sprengte ein blutjunger Offizier in der Uniform der Gardejäger heran, den Stern der Kommandeure des Ernst-August-Ordens auf der Brust; er sprang vom Sattel, gab sein Pferd einem herbeieilenden Reitknecht und trat zu der Gruppe der Offiziere.

»Nun, Prinz,« rief der Lieutenant vom Garderegiment, »woher kommen Sie so eilig?«

»Ich bin etwas zu den Truppen hinausgeritten,« antwortete der Prinz Hermann von Solms-Braunfels, der jüngste der Neffen des Königs, indem er den Versuch machte, einen leicht auf der Oberlippe keimenden Flaum mit den Fingern zu fassen, – »ich bin in Verzweiflung, daß der König mich trotz meiner dringenden Bitten hier zum Hauptquartier kommandirt hat, und von Zeit zu Zeit muß ich einmal hinaus in das freie Lagerleben, um frische Luft zu schöpfen. Wo stehen Sie, Herr von Landesberg?« fragte er den Gardeoffizier.

»Vorläufig hier in Langensalza,« antwortete dieser, »und ärgere mich über das Stillsitzen, das uns der Generalstab auflegt. Der König sollte einmal uns hören, alle jungen Offiziere der Armee, – er würde sich bald überzeugen, daß die Armee marsch- und schlagfertig ist.«

»Das weiß Gott!« rief ein Offizier der Gardehusaren, indem er seinen langen Schnurrbart durch die Finger gleiten ließ, »ich begreife überhaupt nicht, wozu man einen Generalstab hat, denn solche Märsche, wie wir sie gemacht haben, die können wir auch allein zu Stande bringen. – Ich habe einmal eine alte Geschichte von Kreuzfahrern oder einem ähnlichen Korps gehört,« sagte der Gardehusar derb, – »die ließen eine Gans vor sich hergehen und folgten der Marschroute, die dieß Federvieh angab. – Das war noch viel einfacher und billiger, – jetzt ziehen sie dem armen Thier die Federn aus und schreiben damit Tag und Nacht, – und was Gescheidteres kommt auch nicht dabei heraus.«

»Doch, da kommt der Parlamentär zurück!« rief Herr von Landesberg und die Offiziere näherten sich dem Schützenhause, aus dessen Thür der Oberst Döring, vom General von Brandis und Graf Platen begleitet, heraustrat.

Während General von Brandis den Wagen des Obersten heranrief und eine Bedeckung von vier Dragonern kommandiren ließ, verabschiedete sich Graf Platen höflich von dem Obersten und eilte aus den Grafen Ingelheim zu, der ihm erwartungsvoll entgegentrat.

»Es war wieder die Sommation vom 15.,« rief der Minister dem Gesandten des Kaisers von Oesterreich zu.

»Und?« fragte Graf Ingelheim.

»Natürlich ist sie sofort abgewiesen!« rief Graf Platen.

»Nun ist also das Stadium dieser unglücklichen Verhandlungen definitiv zu Ende?« sagte Graf Ingelheim, indem er mit einer gewissen Erleichterung dem davonrollenden Wagen des Obersten von Döring nachsah.

»Es ist zu Ende,« sagte Graf Platen und ein leichter Seufzer entstieg seiner Brust.

»Wissen Sie, lieber Graf,« fuhr der Gesandte fort, »daß die Lage nach meiner Ansicht eine sehr ernste ist? Sie sind hier in einen Winkel zwischen die preußischen Armeen gedrängt und ich sehe in der That nur einen Ausweg, das ist der schleunigste Marsch auf Gotha.«

»Ja – der König ist ja so bereit als möglich, vorwärts zu gehen, – aber der Generalstab –«

»Um's Himmels willen!« rief Graf Ingelheim lebhaft, – »wenn nur Seine Majestät seine alten Offiziere behalten hätte, ich glaube gewiß, daß Tschirschnitz nicht fortwährend rückwärts gegangen wäre.«

»Ja,« sagte Graf Platen achselzuckend, »in militärischen Dingen ist es schwer für mich, etwas zu thun, in Göttingen war der Wunsch allgemein –«

»Allgemein ist der Wunsch, zu handeln und zu marschiren, – sehen Sie dort jene Gruppe von Offizieren, die werden gewiß meiner Meinung sein,« und er deutete auf den Kreis, in welchem der Lieutenant von Landesberg soeben seine Freude über die Abreise des Parlamentärs und die Hoffnung auf eine baldige Aktion aussprach.

Prinz Hermann verließ die Offiziere und trat zu den Grafen Platen und Ingelheim.

»Kommt jetzt kein Parlamentär wieder?« fragte er.

»Nein, mein Prinz,« rief Graf Ingelheim, – »ich hoffe, es war der letzte –«

Ein Extrapostsignal schmetterte lebhaft die Straße herauf und in raschem Trabe fuhr ein geschlossener Wagen mit einem Diener in Reiselivrée auf dem Bock heran.

»Was ist das?« rief Graf Platen erstaunt und alle Blicke richteten sich auf den Wagen, der vor dem Hause hielt. Der Diener sprang herab und öffnete den Schlag.

Ein alter Herr im Reisekostüm, in einen weiten Havelock gehüllt, das weiße Haupt mit einer schwarzen Mütze bedeckt, stieg langsam aus dem Wagen und blickte sich suchend nach allen Seiten um.

»Persiany!« rief Prinz Hermann.

»Mein Gott, Persiany!« rief Graf Platen erstaunt, aber mit freudigem Ausdruck und eilte schnellen Schrittes dem Gesandten des Kaisers von Rußland am hannöverischen Hofe entgegen.

»Was will er hier?« fragte Graf Ingelheim und eine finstere Wolke flog über sein Gesicht.

»Es ist jedenfalls ein gutes Zeichen für die Stellung Rußlands,« sagte der Prinz, »und,« fügte er lächelnd hinzu, – »jedenfalls ist es kein Parlamentär!«

»Wer weiß,« murmelte Graf Ingelheim.

Und sein Blick folgte forschend dem Grafen Platen, welcher Herrn von Persiany entgegengetreten war.

»Endlich finde ich Sie, mein lieber Graf!« rief der Gesandte des Kaiser Alexander, ein alter Herr mit scharf markirten Zügen und lebhaften dunkeln Augen, welche aber jetzt den Ausdruck der höchsten Abspannung trugen, – »Gott sei Dank, daß diese entsetzliche Reise zu Ende ist.« –

Und er reichte seine vor Ermattung zitternde Hand dem Minister.

»Sie glauben nicht, was ich ausgestanden habe,« fuhr er fort, indem er den Mantel abnahm, – »in diesen schrecklichen Wagen, immerfort aufgehalten durch die Truppenbewegungen, ohne Schlaf, ohne vernünftige Nahrung – in meinen Jahren –«

»Nun,« sagte Graf Platen, – »jetzt sollen Sie etwas Ruhe haben, – »viel können wir Ihnen auch nicht bieten, denn an Bequemlichkeit ist unser Hauptquartier nicht reich –«

»Doch vor Allem,« – unterbrach ihn Herr von Persiany, – »wo ist Seine Majestät, ich bitte sogleich um eine Audienz, – ich komme auf Befehl meines allergnädigsten Herrn und Kaisers –«

Graf Platen blickte erstaunt und gespannt auf und erwiederte:

»Kommen Sie mit mir, ich werde Sie sogleich Seiner Majestät melden!«

Er reichte dem vor Erschöpfung zitternden alten Herrn den Arm und stieg mit ihm die innere Treppe des Schützenhauses herauf.

Im Vorzimmer des Königs sank Herr von Persiany matt auf einen Stuhl.

Graf Platen trat in das Zimmer des Königs, der auf dem Kanape ruhte.

Der Geheime Kabinetsrath saß bei ihm und las einige eingegangene Meldungen vor.

»Verzeihen Eure Majestät die Störung!« rief der Minister, – »Herr von Persiany ist auf Befehl des Kaisers Alexander hier und bittet Eure Majestät, ihn zu empfangen.«

Georg V. erhob sich, ein freudiger Ausdruck belebte seine Züge.

»Wie?« rief er lebhaft, – »und was bringt er? – lassen Sie ihn kommen!«

Graf Platen führte den russischen Gesandten in das Zimmer.

»Willkommen im Lager, mein lieber Herr von Persiany!« rief der König und streckte dem Eintretenden seine Hand entgegen.

Der alte Herr ergriff dieselbe und sprach mit zitternder Stimme:

»Mein Gott, Majestät, welche Zeiten, – welcher Schmerz für mich, Eure Majestät unter solchen Verhältnissen wieder zu sehen!«

Seine Hand zitterte und eine Thräne blinkte in seinem Auge.

»Herr von Persiany ist sehr erschöpft von der Reise, Majestät!« sagte Graf Platen.

Der König ließ sich auf das Sopha nieder und rief:

»Setzen Sie sich, Herr von Persiany, bedürfen Sie einer Erfrischung? – Lieber Lex, suchen Sie ein Glas Wein zu schaffen!« –

»Ich danke, – ich danke untertänigst, Majestät sind zu gütig,« sagte der alte Herr, indem er wie gebrochen in einen Stuhl sank, – »ich werde nachher etwas finden, – jetzt lassen Eure Majestät mich vor Allem aussprechen, daß der Kaiser, mein allergnädigster Herr, mir befohlen hat, mich zu Eurer Majestät in's Hauptquartier zu begeben und Sie seiner freundschaftlichsten Theilnahme zu versichern.«

»Der Kaiser ist sehr gütig,« sagte der König, – »und ich erkenne darin die Freundschaft, welche er mir stets bewiesen hat und welche ich von ganzem Herzen erwiedere.«

»Der Kaiser hat mir befohlen,« fuhr Herr von Persiany tief Athem schöpfend und mühsam die Worte hervorstoßend fort, »mich Eurer Majestät zur Disposition zu stellen, da er voraussetzt, daß Verhandlungen mit Preußen stattfinden würden und daß vielleicht die freundliche Vermittlung eines neutralen, beiden Souveränen befreundeten Monarchen –«

Des Königs Stirn umwölkte sich.

»Die Verhandlungen, welche stattgefunden haben, sind abgebrochen!« sagte er.

»Mein Gott!« rief Herr von Persiany, »so wäre ich zu spät gekommen!« und er sank wie gebrochen von dem Gedanken, daß seine anstrengende Reise umsonst gewesen sein könne, in sich zusammen. – Sollte es denn gar nicht möglich sein,« rief er, die zitternden Hände faltend, – »einen blutigen Zusammenstoß zu vermeiden, – der Kaiser glaubt sicher zu wissen, daß der König von Preußen eine Verständigung dringend wünscht – und wenn Eure Majestät –«

»Mein lieber Herr von Persiany,« sagte der König, »ich wüßte in der That nicht, wie ich Verhandlungen wieder beginnen sollte, nachdem man mir unmittelbar vor Ihrer Ankunft wiederum die unannehmbare Sommation vom 15. gestellt und ich dieselbe abermals zurückgewiesen habe.«

»Mein Gott, mein Gott!« rief Herr von Persiany, – »welch' ein Unglück ist es, in solchem Augenblick, so alt und gebrechlich und nicht mehr Herr über seine Nerven zu sein! – Könnte nicht vielleicht durch meine Vermittlung – von Neuem –« – er konnte nicht weiter sprechen, die Stimme versagte ihm, er war einer Ohnmacht nahe.

»Mein lieber Gesandter,« sagte der König mit milder Stimme, – »ich habe Ihnen herzlich zu danken, daß Sie so schnell diese anstrengende Reise gemacht haben, um mir den Beweis der freundlichen und liebenswürdigen Gesinnungen des Kaisers zu bringen, – für den Augenblick ist aber Nichts zu thun, – Sie bedürfen unumgänglich einer kurzen Ruhe und einiger Stärkung, – ich bitte Sie sich zurückzuziehen, – Graf Platen wird für Sie sorgen.«

»Ich danke, ich danke, Majestät,« – sagte Herr von Persiany, mühsam aufstehend, – »ich bedarf in der That einiger Erholung und werde mich bald wieder à mon aise befinden, ich bleibe zu Eurer Majestät Disposition für alle Fälle.«

Seine Kräfte drohten ihn zu verlassen, er nahm den Arm des Grafen Platen, welcher ihn hinausführte und ihm ein Zimmer mit einem Bett besorgte, in welchem der erschöpfte alte Herr alsbald entschlummerte, während man seinem Diener einige leichte Nahrungsmittel in der sehr spärlich bestellten Küche suchte, um seinem Herrn beim Erwachen etwas Stärkung zu geben.

Graf Platen suchte den österreichischen Gesandten auf, welcher in dem Garten des Schützenhauses auf und ab ging.

»Nun? eine neue Negoziation? nicht wahr?« fragte Graf Ingelheim, indem er den Minister forschend anblickte.

»Es scheint,« antwortete dieser, »daß man in Petersburg, sei es aus eigenem Antrieb, sei es auf preußischen Wunsch, zu einer Vermittlung geneigt ist – vielleicht hängt das mit der Sendung des Obersten von Döring zusammen, – jedenfalls –«

»Mein lieber Graf,« unterbrach ihn der österreichische Gesandte ernst, »ich habe mich jeder Bemerkung enthalten diesen seit mehreren Tagen fortgesetzten Unterhandlungen gegenüber, – sie waren, in der Form wenigstens, militärischer Natur; Sie sehen, wohin diese Unterhandlungen Sie militärisch geführt haben, – fast zur Einschließung durch preußische Truppen, zur Erdrückung, – wenn nicht schnell der noch einzige Ausweg zur Rettung ergriffen wird. – Soll jetzt in diesem äußersten und letzten Moment dem Feinde Zeit gelassen werden, auch diesen vielleicht noch offenen Ausweg über Gotha zu schließen, indem hier neue Verhandlungen begonnen werden? – Dießmal übrigens,« fuhr er fort, »tritt die Sache auf das diplomatische Gebiet und ich muß nun auch ernstlich auf die politischen Folgen aufmerksam machen. Die bisherigen Negoziationen haben Sie in eine höchst gefährliche militärische Stellung gebracht, – soll die politische Stellung ihr gleich werden? – Was soll man in Wien sagen, wenn man erfährt, daß auch in diesem Augenblick kein Verlaß auf Hannover ist, – daß durch russische Vermittlung politische Verhandlungen mit Preußen stattfinden?« –

»Aber es findet nicht die geringste Verhandlung statt,« rief Graf Platen.

»Weil der gute alte Persiany jetzt schläft,« sagte Graf Ingelheim, – »weil er keine Nerven mehr hat, – aber wenn er erwacht? – Ich bitte Sie, Graf Platen, schicken Sie diesen russischen Vermittler fort, – glauben Sie denn jetzt noch irgendwo anders einen Halt finden zu können, als bei Oesterreich, – wollen Sie sich dort für immer Thüren und Ohren verschließen, sich ausschließen von der Theilnahme an den Früchten der großen Entscheidung, die dort unten bald fallen wird?«

»Aber ich bitte Sie – in welcher Form –?« sagte Graf Platen zögernd.

»In welcher Form?« rief Graf Ingelheim, »der alte kranke Mann wird jede Form mit Dank annehmen, die ihm erlaubt, hier fort zu kommen aus dem Lärm, den Strapazen und der Nähe der Kanonen. – Ich bitte Sie,« fuhr er dringend fort, »denken Sie, was man in Wien sagen würde, der Kaiser, der so fest auf Hannover baute, – alle Ihre Freunde in der Gesellschaft, welche so sicher auf Sie zählen, – die Schwarzenbergs, – die Dietrichsteins, – die Gräfin Mensdorff, – die Gräfin Clam-Gallas –«

»Persiany wird abreisen,« – rief Graf Platen, – »wie ich zu Oesterreich stehe, weiß man in Wien, – in der exponirten Lage Hannovers –«

»Thut man am besten, fest zu einer Seite zu stehen,« – sagte Graf Ingelheim, »und jetzt wenigstens, in der zwölften Stunde, einen sichern Freund zu gewinnen!«

»Ich gehe zum König,« sagte Graf Platen, und schritt langsam dem Hause zu.

Graf Ingelheim sah ihm nach und schüttelte leicht den Kopf.

»Wenn er nur unterwegs Niemand begegnet!« sagte er vor sich hin. – »Ich fürchte,« – fuhr er nachdenklich auf und nieder gehend in seinem Selbstgespräch fort, – »ich fürchte, es nimmt hier kein gutes Ende, – der bewundernswürdig heldenmüthige Sinn dieses königlichen Herrn findet keine Organe der Verbindung zwischen ihm und der tapfern Armee, – dieser Generalstab hat keinen Begriff vom Kriege und kennt nur einen Grundsatz, – dem Feinde aus dem Wege zu gehen, wo er sich zeigt, – und der Kronprinz –«

Er seufzte tief.

»Indeß,« fuhr er fort, – »es ist immer schon viel erreicht. Dieser hannöverische Feldzug hat Preußen schon viel Zeit gekostet, – viel Truppen absorbirt, – Alles das ist Gewinn da unten und fällt für uns in die Wagschale der Entscheidung, – die Okkupation des Landes absorbirt weitere Kräfte, – vor Allem muß eine Verständigung, – irgend ein politisches Abkommen verhindert werden, das den Feinden hier im Norden völlig freie Hand gibt. – Doch, da kommt ja mein nordischer Kollege!« – und er ging dem russischen Gesandten entgegen, welcher aus dem Hause in den Garten trat.

Herr von Persiany hatte ein wenig geschlafen, ein wenig Toilette gemacht und ein wenig gegessen, und sah bei weitem frischer aus als vorhin.

Mit noch immer etwas schwankenden Schritten ging er dem Grafen Ingelheim entgegen.

»Willkommen im Hauptquartier, mein lieber Kollege,« rief dieser, indem er ihm die Hand entgegenstreckte, – »das Corps diplomatique vervollständigt sich, bis jetzt war ich sein einziger Vertreter! – Sie sind ermüdet von der Reise, nicht wahr?«

»Bis zum Tode!« rief Herr von Persiany, indem er sich auf eine Gartenbank niedersinken ließ, auf welcher der Graf Ingelheim neben ihm Platz nahm, – »bis zum Tode, – und es scheint nicht, daß man hier Gelegenheit haben wird, sich zu erholen –«

»Nein, das hat man in der That nicht,« sagte Graf Ingelheim, »den ganzen Tag Lärm, Trommelschlag und Hörnerklänge –«

»Entsetzlich!« rief Herr von Persiany.

»Und des Nachts kein Bett oder eine harte Strohmatratze –«

Herr von Persiany faltete die Hände und richtete den Blick gen Himmel.

»Das sind aber kleine Schwierigkeiten, über die man leicht hinwegkommt,« sagte Graf Ingelheim.

Herr von Persiany sah ihn von der Seite mit dem Ausdruck tiefsten Erstaunens an.

»Unangenehm wird es aber werden,« fuhr der österreichische Diplomat fort, »wenn es zur wirklichen Aktion kommt, – der König wird gewiß mitten darin sein, und wir werden natürlich bei ihm sein müssen –«

»Glauben Sie, daß wir etwas zu fürchten haben?« fragte Herr von Persiany, – »unser diplomatischer Charakter –«

»Wird mich vielleicht vor Gefangenschaft nicht schützen,« sagte Graf Ingelheim, »denn wir sind ja im Krieg mit Preußen, – bei Ihnen ist das etwas Anderes, Sie sind der aufmerksamsten Behandlung sicher, sobald Sie sich vor irgend einem Truppenkommandeur legitimiren. – In dem Démêlé freilich –« und er zuckte die Achseln.

»Sollten wir etwas zu fürchten haben?« fragte Herr von Persiany.

»Mein lieber Kollege,« erwiederte Graf Ingelheim leicht seufzend, indem er von der Seite einen forschenden Blick auf den russischen Diplomaten warf, – »eine Kanonenkugel, das Pistol eines Husaren, der Säbel eines Kürassiers nehmen sehr wenig diplomatische Rücksichten –«

»Aber mein Gott!« rief Herr von Persiany, – »wenn es zum Aeußersten kommt, so weiß ich nicht, ob ich hier bleiben darf, wir sind ja im Frieden mit Preußen.«

»Das kommt plötzlich und wahrscheinlich ohne Vorbereitung, – da bleibt dann keine Wahl,« sagte Graf Ingelheim trocken. »Uebrigens glaube ich auch nicht gerade an eine ernste Lebensgefahr, – freilich bleibt es immer unangenehm, den furchtbaren Lärm des Schlachtfeldes zu hören, das Blut zu sehen, – die Leichen –«

Herr von Persiany sank auf seine Bank zurück, seine bleichen Lippen bebten bei dem Gedanken an eine solche Aufregung seiner Nerven.

»Ob man wohl etwas Sodawasser hier haben kann?« fragte er.

»Das glaube ich nicht,« sagte Graf Ingelheim, – »solche Sachen finden sich nicht, und was man auftreiben kann, wird für die Kranken und die demnächstigen Verwundeten mit Beschlag belegt. An der Tafel des Königs haben wir dünnes Bier, kaltes Rindfleisch und abgekochte Kartoffeln –«

»Aber das ist unmöglich!« rief Herr von Persiany.

Graf Ingelheim zuckte die Achseln.

»Was wollen Sie,« sagte er, »im Kriege kann man keine guten Diners verlangen; – übrigens sind wir Jäger das gewöhnt –«

»Aber ich bin kein Jäger,« sagte Herr von Persiany.

»Da kommt Graf Platen,« rief der österreichische Gesandte, – »vielleicht bringt Der Neues!«

Graf Platen kam und bat den durch die Schilderungen des Grafen Ingelheim auf's Tiefste erschütterten russischen Gesandten, ihn zum Könige zu begleiten.

»Sie glauben also, daß keine Verhandlungen mehr möglich sind?« fragte Herr von Persiany, indem sie die Treppe hinaufstiegen.

»Ich glaube nicht, daß der König sich noch auf irgend etwas einläßt,« – erwiederte Graf Platen nach kurzem Zögern.

»Dann –« sagte Herr von Persiany, – er sprach seinen Gedanken nicht aus, denn sie waren vor der Thür des Königs.

»Mein lieber Herr von Persiany,« sagte Georg V., »ich habe Sie bitten lassen, um Ihnen nun, – nachdem Sie hoffentlich ein wenig ausgeruht sind –?«

»Ich danke, Majestät!« sagte Herr von Persiany seufzend, »ein wenig gestärkt bin ich –«

»Um Ihnen,« fuhr der König fort, »nochmals zu danken für den Eifer, mit welchem Sie die bei Ihren Jahren und Ihrem schwächlichen Gesundheitszustand doppelt beschwerliche Reise hieher gemacht haben, um mir die freundlichen Gesinnungen des Kaisers auszusprechen und seine herzlich gemeinte Vermittlung anzutragen. Ich würde Sie auch bitten, länger in meinem Hauptquartier zu verweilen –«

Herr von Persiany horchte hoch auf, – ein leichter Schimmer flog über seine Züge.

»Wenn nicht,« fuhr der König fort, »die letzte Möglichkeit einer Verhandlung abgeschnitten wäre, nachdem mir der Oberst von Döring noch einmal ein Bündniß auf Grund der Reformbedingungen angetragen hat und ich dasselbe abgelehnt habe. Auch hat der Parlamentär selbst seinen Auftrag für tatsächlich erledigt erklärt, bevor er ihn ausrichtete. Ich würde Sie also nur unnütz quälen und Ihre Gesundheit durch die Entbehrungen und Strapazen des Kriegslebens ernsten Gefahren aussetzen, wenn ich Sie hier zurückhielte. Ich bitte Sie deßhalb, nach Hannover zurückzugehen. Sie können dort der Königin mit Ihrem Rath nützlich sein. Danken Sie dem Kaiser auf das Innigste und Herzlichste für seine Freundschaft und Theilnahme!«

»Wenn Eure Majestät mir sagen, daß nach der Sachlage jede Verhandlung hier unmöglich ist und ich Ihnen hier von keinem Nutzen sein kann, ja, daß ich vielleicht Ihrer Majestät der Königin in Hannover –«

»Das ist ganz bestimmt meine Meinung,« sagte der König.

»Es wäre nur möglich,« sagte Herr von Persiany, »daß vielleicht im Laufe der Ereignisse, – der Uebermacht gegenüber – nochmals der Moment für irgend welche Verhandlungen eintreten könnte, – es wäre dann meine Pflicht zu bleiben – und nur der bestimmte Befehl Eurer Majestät –«

»Wenn es sein muß, so gebe ich Ihnen diesen Befehl,« sagte der König, »reisen Sie schnell und theilen Sie der Königin mit, wie Sie mich und die Armee hier gefunden!«

»Dann muß ich gehorchen!« rief Herr von Persiany, »ich bitte Gott, Eure Majestät zu schützen und Alles zum Besten zu fügen.«

In tiefer Bewegung ergriff der alte Herr die dargebotene Hand des Königs, hielt sie lange in der seinen und eine Thräne fiel darauf nieder.

Der König lächelte gütig.

»Ich weiß, welche treuen Gesinnungen Sie für mich und mein Haus haben, Gott schütze Sie – und Ihren Kaiser!« – fügte er herzlich hinzu.

Herr von Persiany kehrte mit dem Grafen Platen in den Garten zurück, wo Graf Ingelheim sie erwartete.

»Nun, lieber Kollege!« rief er, »Sie sehen ja viel munterer aus, als vorhin; söhnen Sie sich mit dem Lagerleben aus?«

»Der König entläßt mich,« sagte Herr von Persiany, – »er sendet mich nach Hannover zurück, – ich werde meinen alten Körper nicht mehr auf diese Probe stellen. – Aber,« fuhr er fort, indem er sich an Graf Platen wendete,– »auf dem Weg, den ich gekommen, kehre ich nicht zurück, – senden Sie mich nach Gotha, ich will über Frankfurt, – von dort werde ich vielleicht auf Umwegen, aber doch schneller und sicherer zurückkommen. – Aber schnell muß ich abreisen, – ich könnte vielleicht in Hannover nützen.«

Der alte Herr drückte dem Grafen Ingelheim die Hand und trippelte eilfertig am Arm des Grafen Platen dem Hause zu, – wo sein Wagen und eine Bedeckung in Bereitschaft gesetzt wurde.

»Der Sturm wäre abgeschlagen,« sagte Graf Ingelheim, indem er sich die Hände rieb und dem russischen Gesandten lächelnd nachblickte, – »ja – wenn man in solchen Zeiten Diplomatie machen will, muß man Leute schicken, die noch feste Muskeln und zähe Nerven habend«

Und er schritt mit jugendlicher Elastizität dem Hause zu.

Eine Stunde darauf hielt der König Kriegsrath. Er versammelte den kommandirenden General und den Generalstab, den Generaladjutanten und den General von Brandis. Zugleich zog er den Grafen Platen, den Grafen Ingelheim und den Regierungsrath Meding zu.

Der König drang auf sofortigen Aufbruch nach Gotha. General von Brandis, der Oberst Dammers und die Herren vom Civil unterstützten dringend des Königs Ansicht.

Der Generalstabschef Oberst Cordemann aber setzte auseinander, daß die Armee in Folge der angestrengten Märsche und der knappen Lebensmittel unmöglich die Offensive ergreifen könne und daß man eine Defensivstellung einnehmen müsse, um einen muthmaßlichen Angriff zu erwarten. Der ganze Generalstab war der Ansicht seines Chefs und der kommandirende General glaubte unter solchen Umständen den Vormarsch nicht verantworten zu können.

Seufzend genehmigte der König die getroffenen Dispositionen, erklärte aber, die Nacht unter den Truppen zubringen zu wollen, und so zog denn um Mitternacht der königliche Herr mit seinem ganzen Gefolge hinaus, mitten in die Truppenaufstellung hinein.

In einem Getraidefelde vor dem Flecken Merxleben etablirte sich das königliche Bivouak und in gespannter Erwartung lauschte Jedermann dem grauenden Morgen entgegen.

Alles blieb ruhig. Von den Vorposten kamen keine Meldungen über irgend eine feindliche Bewegung.

Gegen vier Uhr Morgens trafen im Hauptquartier einige in den vorhergehenden Tagen nach Süden entsendete Kundschafter ein und meldeten, daß die Bayern im entschiedenen Vorrücken begriffen seien und am 25. schon in Vacha gestanden hätten. Die gänzliche Untätigkeit des Feindes schien diese Nachrichten zu unterstützen und ließ glauben, daß die preußischen Streitkräfte nach jener Richtung hin abgezogen würden.

Eine frohe Stimmung verbreitete sich im Hauptquartier und es wurde beschlossen, in einer festen Stellung die Bestätigung dieser Nachrichten und das Heraufkommen der bayerischen Armee abzuwarten. Nur General Brandis schüttelte abermals den Kopf und meinte, – wenn die Bayern heraufkämen und die Preußen vom Süden her beschäftigten, so sei dieß ein Grund mehr, ihnen so schnell als möglich entgegen zu eilen und ihnen die Hand zu reichen, bevor die preußischen übermächtigen Kräfte vom Norden herankommen könnten.

Es wurde nun Befehl gegeben, Batterieen zu errichten, der König und sein Gefolge, erschöpft von der ruhelosen Nacht, begaben sich nach Thamsbrück, einem hoch am Ufer der Unstrut belegenen Dorfe, und der König nahm Quartier im dortigen Pfarrhause.

Hell und glänzend stieg die Sonne des 27. Juni herauf und beleuchtete mit ihren ersten Strahlen das bunte, wechselvolle Bild der um die Stadt Langensalza her gelagerten hannöverischen Armee.


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