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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

In einem ziemlich großen Salon neben dem Schlafzimmer seiner eleganten Garçonwohnung, in einem jener alten, vornehmen Häuser der stillen Stadttheile, lag am Vormittag nach seiner Rückkehr der Lieutenant von Stielow auf einem langen Sopha mit dunkelrother Seide überzogen.

Halbgeschlossene Vorhänge von gleicher Farbe ließen ein gedämpftes Licht in das Zimmer dringen, in welchem die vollständigste Stille herrschte, nur von Zeit zu Zeit drang das Rollen einer schnell vorübereilenden herrschaftlichen Equipage herauf.

Neben dem jungen Mann, der einen weiten Morgenüberrock von schwarzer Seide mit scharlachrothem Futter und Aufschlägen trug, stand auf einem kleinen Tischchen ein schönes Theeservice von Silber, er rauchte mit langsamen Zügen einen kurzen Tschibuk, aus welchem die duftigen Wolken des türkischen Tabaks durch das Zimmer drangen, und der Ausdruck vollständigen Glückes und ruhiger Zufriedenheit lag auf seinen Zügen. Nach den langen Entbehrungen und Mühseligkeiten des Lagerlebens genoß der junge Offizier zum ersten Male die Ruhe eines eleganten und reichen Comforts und mit glücklichen Blicken grüßte er alle dieses Zimmer in bunter Mannigfaltigkeit erfüllenden Gegenstände, – die Gemälde, die Kupferstiche, die seltenen Waffen, die alten Nippes von meißener Porzellan, kurz alle jene tausendfältig verschiedenen Dinge, mit welchen der gute Geschmack oder die flüchtige Laune eines vornehmen und eleganten jungen Mannes sich zu umgeben pflegt.

Das Alles, was ihm sonst als tägliche Gewohnheit des Daseins kaum eines Blickes werth erschienen war, lächelte ihn heute so freundlich im Reiz der Neuheit an, – hatte doch so lange sein Auge nur Bilder der Entbehrung, des Schreckens, des Todes um sich gesehen, – so daß die Umgebung seines früheren Lebens wie mit liebevollen Grüßen ihm entgegentrat; dann dachte er an seine Liebe, an die Gefahren, welche auf den Schlachtfeldern ihn umringt, an die fast noch schrecklichere Gefahr, welche dieser so jungen und so reinen Liebe durch boshafte Machination hier gedroht hatte, – an seine glückliche Erhaltung unter den Geschossen und Degen der Feinde, – an die glückliche Fügung, welche ihn hatte im rechten Augenblick zurückkehren lassen, um jene Machination zu zerstören, – an die Hoffnung endlich, welche nun ohne Hinderniß vor ihm lag; – kein Wunder, daß sein Auge von Glück strahlte, daß seine Lippen lächelten und daß die Welt ihm so schön, so hell und so reizend erschien, wie sie nur einem jungen Herzen erscheinen kann, das in voller Empfänglichkeit sich von Allem umgeben sieht, was das Leben an süßem Genuß bieten kann.

Er hatte der Gräfin Frankenstein versprochen, keine Schritte irgendwelcher Art gegen die Urheber jenes niedrigen Versuchs zu thun, der gegen ihre Tochter und ihn gerichtet war. – »Laß uns nie wieder von jenen Menschen sprechen und von der ganzen Sache nur die Erinnerung an die Güte Gottes behalten, der ihre Bosheit zu Schanden machte,« hatte Klara mit mildem Lächeln ihm gesagt – und so groß ist die Elastizität eines Herzens von einundzwanzig Jahren, so groß ist die versöhnende Gewalt des Glücks, – er dachte kaum mehr jenes Zwischenfalles, der ihn in den heiligsten Regungen seines Herzens bedroht hatte, – anders als in dem süßen Gefühl, welches in dem höhern Bewußtsein des Besitzes eines bedrohten wiedergewonnenen Glückes liegt.

Rasch öffnete sein Diener die Thüre und trat mit bewegtem und erschrockenem Gesicht in das Zimmer.

»Herr Baron,« sagte er mit leichtem Zögern, – »ich muß –«

Der junge Offizier wendete den Kopf um und blickte fragend auf den Bedienten, – doch dieser konnte seinen Satz nicht vollenden, denn eine schlanke Frauengestalt in leichter Morgentoilette trat rasch durch die halbgeöffnete Thür, mit einer schnellen und entschlossenen Bewegung den Diener zur Seite schiebend. Ihr Gesicht war durch einen dichten, von dem kleinen runden Hut herabhängenden Schleier verdeckt.

Herr von Stielow erhob sich und trat mit dem Ausdruck tiefen Erstaunens der Eintretenden entgegen, indem er durch eine Bewegung den Diener entließ, der durch Achselzucken andeutete, daß er nicht im Stande gewesen, diesen Besuch seinem Herrn zu melden.

Kaum hatte sich die Thür geschlossen, als die Dame den Schleier zurückwarf. Herr von Stielow erblickte die schönen Züge der Frau Balzer. Sie war blaß und kaum färbte ein leiser, rosiger Hauch ihre Wangen, ihre großen Augen glänzten in tiefem, leidenschaftlichem Feuer, um ihre leicht geöffneten Lippen lag ein Zug von schüchterner Verschämtheit, gemischt mit dem Ausdruck fester und energischer Entschlossenheit. Sie war wunderbar schön, – reizender fast in dieser einfachen, fast grisettenhaften Morgentoilette, – als in der ausgesuchten und reichen Eleganz, welche sie sonst umgab.

Mit starrer Verwunderung, fast mit Schrecken, sah der junge Mann diese ihm so bekannten Züge vor sich, – welche er jetzt am wenigsten zu sehen erwartet hätte.

»Antonie!« rief er mit leiser Stimme.

»So haben Ihre Lippen doch nicht verlernt, diesen Namen auszusprechen« – sagte sie und ein Blick voll tiefen Schmerzes traf ihn, – »ich fürchtete, daß Alles – alle Erinnerung aus Ihrem Herzen verschwunden sei – bis auf den Namen Derjenigen, die Sie einst liebten – und die Sie jetzt verachten – ungehört verurteilen.«

Herr von Stielow war so erstaunt, so außer Fassung durch diesen Besuch, daß er noch immer wortlos ihr gegenüberstand, – ein Blitz des Zornes, der Entrüstung hatte in seinem Blick aufgeleuchtet – aber er war wieder verschwunden – konnte man überhaupt zornig sein dieser demüthigen Sanftmuth, diesem Blick voll Bitte und Schmerz gegenüber? Er blickte sie starr an, die widersprechendsten Gefühle stritten in seiner Seele miteinander.

»Sie haben mich verurtheilt,« fuhr sie fort mit jenem weichen Schmelz der Stimme, welcher nur wenigen Frauen gegeben ist und sich wie eine Liebkosung an das Herz des Hörers schmiegt, – »Sie haben sich von mir gewendet, ohne ein Wort der Aufklärung zu verlangen, – und doch liebten Sie mich einst, – doch,« fügte sie zögernd, flüsternd hinzu, indem ihr Auge sich senkte und ein rosiger Schein über ihr Gesicht flog, – »doch mußten Sie wissen, daß ich Sie liebte!« –

Herr von Stielow fand immer noch keine Worte, diesen Blicken, dieser Sprache gegenüber, – er war nahe daran, sich wirklich für grausam und hart zu halten, und es bedurfte der vollen Erinnerung an den gestrigen Abend, um ihm seine kalte Ruhe dieser Frau gegenüber wiederzugeben.

Antonie trat ihm einen Schritt näher und richtete mit einem wehmüthigen Ausdruck voll unendlicher Zärtlichkeit ihre Augen auf ihn.

»Meine Liebe,« sagte sie mit sanfter Stimme, – »war so rein, so vertrauensvoll, wie die eines jungen Mädchens, feurig und glühend dabei wie der Wein des Südens, und sie füllte meine Seele ganz aus, – sie hatte meinen Stolz gebändigt, – ich lag zu Ihren Füßen, – wie eine Sklavin zu den Füßen ihres Herrn!«

Ein feuchter Glanz schimmerte in ihrem schönen Auge.

»Ich bitte Sie« – sagte Herr von Stielow verwirrt, – »diese Erklärungen über die Vergangenheit, – jetzt, – wozu diese peinliche Szene –«

»Sie haben Recht,« erwiederte sie und ein stolzer Strahl leuchtete in ihrem Blick, ohne indeß den Schleier der Wehmuth vollständig zu zerreißen, welcher über ihrem Auge lag, – »Sie haben Recht, – ich darf jene Vergangenheit nicht berühren, – aber es gibt eine näher liegende Vergangenheit, von welcher ich sprechen muß, welche mich hieher führt.«

»Aber –« sagte Herr von Stielow.

Ohne auf ihn zu hören, fuhr sie fort:

»Ich hatte Ihnen gegenüber keinen Stolz – keinen Willen mehr, – es ist wahr – aber Sie haben mich kalt und grausam verlassen –« sie drückte die Hand auf das Herz und preßte die Lippen auf einander – »Sie haben mich beleidigt, – und der Stolz meines Herzens wallte mächtig wieder auf. – Ich wollte Sie hassen, Sie vergessen,« fuhr sie mit dumpfer Stimme fort, – »aber alle edleren Regungen meines Herzens sträubten sich dagegen, – ich konnte es nicht,« sagte sie mit leicht zitterndem Ton, – und mein Stolz sagte mir: – »mag er Dich nicht mehr lieben – er soll Dich nicht verachten!«

Die Züge des Herrn von Stielow wurden ruhiger. Mit kaltem Blick sah er sie an, ein kaum merkliches Lächeln lag auf seinen Lippen.

»Sie hatten das Recht,« fuhr sie fort, – »es ist wahr, – mich für falsch zu halten, Sie hatten das Recht zu glauben, daß Sie dem Spiel koketter Laune, vielleicht Schlimmerem,« sagte sie leise – »zum Opfer gefallen wären, – das sollen Sie nicht glauben, die Erinnerung an mich soll wenigstens nicht mit Verachtung gemischt sein!«

»Lassen wir die Vergangenheit,« sagte er – »ich versichere Sie –«

»Nein,« rief sie lebhaft, – »Sie sollen mich hören, – gibt mir die Vergangenheit kein anderes Recht mehr, so gibt sie mir doch das – Gehör zu verlangen!«

Er schwieg.

»Sie wissen,« fuhr sie fort, »wie mein Leben war, – mit dem Herzen voll Liebe, mit dem Geist voll Streben und Ringen nach den Höhen des Lebens, war ich in früher Jugend an den Mann gefesselt, – den Sie kennen. Er selbst begünstigte die Annäherung der jungen Männerwelt an mich, – jener Graf Rivero näherte sich mir, ich fand bei ihm den reichsten Geist, die Befriedigung aller Wünsche, – ich glaubte ihn zu lieben,« fuhr sie mit gesenktem Blick fort, – »wenigstens brachte er Licht und Interesse in mein Leben. – Ist das ein Verbrechen?«

Ohne eine Antwort zu erwarten, sprach sie lebhaft weiter:

»Als ich Sie kennen lernte, empfand ich meine Täuschung, – mein Herz sprach, und während vorher das Bedürfnis meines Geistes mich fortgerissen hatte, fühlte ich jetzt, wie alle Fasern meines Wesens sich um das neue Gefühl rankten, das tief aus dem Innersten meines Lebens empor wuchs. – Lassen Sie mich schweigen von jener Zeit,« sagte sie mit bebenden Lippen,– »die Erinnerung, welche ich ja nicht tödten kann, würde mich fortreißen. – Ich kämpfte lange und schwer mit mir selbst,« fuhr sie mit ruhiger Stimme wie in gewaltsamer Unterdrückung eines übermächtigen Gefühls fort, – »sollte ich Ihnen von jener Vergangenheit sprechen – ich wagte es nicht, – meine Liebe machte mich feig – ich fürchtete Sie zu verlieren – ich fürchtete selbst eine Wolke auf der geliebten Stirn – ich schwieg, – ich schwieg aus Furcht für meine Liebe. – Er war fort,« – sagte sie leise – »sollte ich mit ihm brechen, – o,« rief sie schmerzlich, indem ihr ganzer Körper leise zitterte, – »Sie kennen ja die schmähliche, erniedrigende Abhängigkeit, in der ich mich befinde, – der Mann, dessen Namen ich trage, der Herr über mein Schicksal ist, war ihm Verbindlichkeiten schuldig, – ich wagte nicht plötzlich und schnell in jene Verhältnisse zu greifen, – ich erwartete seine Rückkehr, – ich kannte ihn als edel und großmüthig, – ich wollte ihm mündlich Alles sagen, – erklären, – da kam jenes unglückselige Zusammentreffen, – die Verhältnisse, die ich ruhig und vorsichtig lösen wollte, – zerrissen – o!« – rief sie wie übermannt von Schmerz – »was habe ich gelitten!«

Herr von Stielow war bewegt und blickte voll Mitleid zu ihr hinüber.

»Habe ich gefehlt,« fuhr sie fort – »so bin ich doch nicht so schuldig wie ich scheine, im Herzen habe ich die Treue gegen meine Liebe nicht verletzt, – ich schwöre Ihnen, seit ich Ihnen gesagt habe: ich liebe Dich,« – sie sprach dieß Wort mit unendlichem schmelzenden Zauber aus, – »hat Ihnen jeder Schlag meines Herzens, jede Regung meiner Seele gehört, – mein erstes Gespräch mit dem Grafen wäre die Erklärung der Verhältnisse gewesen.« –

Sie trat noch näher zu ihm heran, hob die gefalteten Hände empor und blickte ihn mit dem Ausdruck unendlicher Liebe an und sagte:

»Ich habe meine Liebe nicht verrathen – ich habe sie nicht vergessen und kann sie nicht vergessen – ich bin gekommen, – weil ich diese Erklärung geben mußte, – weil ich nicht will,« sagte sie, indem Thränen ihre Stimme zu ersticken schienen, »daß Sie mich verachten, – daß Sie mich ganz vergessen,« fügte sie leiser hinzu, – »ich kann nicht glauben, daß so Alles – Alles aus Ihrem Herzen verschwunden ist, – ich kann nicht von Ihnen scheiden, ohne Ihnen zu sagen, daß wenn je Ihr Herz sich einsam fühlen sollte, eine Freundin da ist, – welche nie – ihre erste, ihre einzige Liebe verleugnen kann.«

Sie sah unbeschreiblich schön aus, indem sie so demüthig, so sanft, so ergeben vor ihm stand, die Lippen leise geöffnet, die Augen von Thränen umflort und von sanftem Feuer durchglüht, die ganze zarte Gestalt hingebend zusammengeschmiegt.

Der junge Mann hatte sie voll Mitleid angeblickt, – der Ton ihrer Stimme, der magnetische Glanz ihrer Augen hatte die Erinnerung an die Vergangenheit in ihm heraufsteigen lassen. Dann aber verschwand jener milde, sanfte Ausdruck aus seinen Zügen, – seine Augen blitzten und ein kaltes, höhnisches Lächeln spielte um seine Lippen.

»Lassen wir die Vergangenheit,« sprach er kalt und höflich, – »ich habe Ihnen keine Vorwürfe gemacht und werde Ihnen keine machen. Ich wünsche Ihnen –«

Sie blickte ihn mit tiefer Wehmuth an.

»So sind meine Worte vergeblich gewesen,« sagte sie traurig, – »Sie glauben mir nicht –«

Eine zornige Röthe flog über sein Gesicht.

»Ich glaube Ihnen,« sagte er, – »und bedarf Ihrer Worte nicht, da ich Gott sei Dank Alles weiß. Ich glaube, wir können diesem Gespräch über eine frühere Vergangenheit dadurch ein Ende machen, daß ich Ihnen einen Beitrag zur Geschichte Ihrer neuesten Thaten vorlege.«

Und in lebhafter, rascher Bewegung wendete er sich zu einer Kassette, welche auf einer Spiegelkonsole stand, öffnete dieselbe und hielt ihr seinen Brief entgegen, welchen sie durch ihren Mann an die Gräfin Frankenstein geschickt hatte.

»Sie sehen,« sagte er, »ich kenne die Art, wie Sie Erinnerungen der Vergangenheit für die Gegenwart nutzbar machen!«

Sie fuhr zusammen, wie vom Blitz getroffen. Fahle Leichenblässe überzog ihr Gesicht – ihre Züge verzerrten sich krampfhaft, ihre stieren Blicke hafteten bewegungslos auf dem Papier.

»Ich glaube, damit wird unsere Unterhaltung zu Ende sein,« sagte er mit bitterem Lächeln.

Ein dunkles Noth überflog ihr Gesicht, ihr Körper zuckte – ein Blitz flammender Leidenschaft sprühte aus ihren Augen.

»Nein,« rief sie mit wildem Ton – »nein, sie ist nicht zu Ende, – sie darf nicht zu Ende sein!«

Herr von Stielow zuckte leicht die Achseln.

»Sie darf nicht zu Ende sein,« rief sie in zitternder Erregung, – »weil ich Dich liebe, weil ich Dich nicht lassen kann, – weil Du nicht glücklich sein kannst an dem kalten Herzen jener Frau, der Du Deinen Namen geben willst, aber die Dir niemals jene feurige Glut entgegentragen wird, welche Dich an meinem Herzen durchströmte!«

»Madame, Sie gehen zu weit –« sagte Herr von Stielow und ein Ausdruck von Widerwillen und Verachtung zeigte sich auf seinem Gesicht.

»Du täuschest Dich selbst,« rief sie, die Arme gegen ihn ausstreckend, indem ihre Lippen in dunklem Karmin glänzten und ihre Augen fieberhaft in dem blassen Gesicht leuchteten, – »ich weiß, wie heiß Dein Herz an dem meinen geschlagen hat, – es kann nicht glücklich sein in jener konventionellen Liebe, die ihre lauwarmen Küsse nach dem Krämermaß der Sitte zumißt.«

Er wendete sich halb von ihr ab.

»Sie gehen zu weit,« sagte er nochmals.

»Höre mich, mein Einziger, mein Geliebter,« – rief sie und sank zu seinen Füßen nieder, indem sie die Arme zu ihm emporhob – »höre mich und verstoße mich nicht, – ich kann ohne Dich nicht leben, – und ich weiß, Du wirst schmachten und dürsten nach dem Feuerquell der Liebe, der aus meinem Herzen Dir entgegenströmt, der Dich so oft in den süßen Rausch des seligsten Entzückens versenkte! Reiche Deine Hand,« fuhr sie im Tone höchster Leidenschaft fort, »jener Frau, gib ihr Deinen Namen, – ich habe ja nie danach gestrebt, – aber laß mir Dein Herz – Du wirst in jener kalten Welt Dich sehnen nach Wärme und heißem Glück, – dann komm zurück, in meinen Armen auszuruhen, – zu träumen, zu lieben, – ich verlange nichts, nichts, – ich will Dich demüthig erwarten, ich will von der Erinnerung an die Augenblicke des heimlichen stillen Glücks leben die langen Tage, daß ich Dich nicht sehe, – thue Alles, was Du willst – aber liebe mich –«

Sie ergriff seine Hand und preßte sie an ihre glühenden Lippen, dann fiel ihr Kopf etwas zurück, ihre halb geschlossenen Augen sahen ihn mit flehendem Blick an, der heiße Athem ihres Mundes schien ihn zu umgeben mit einer berauschenden Atmosphäre von Liebe und Leidenschaft.

Ein leichter Schauer durchzitterte seine Glieder,– er schloß einen Augenblick die Augen.

Dann blickte er sie mit ruhiger, klarer Freundlichkeit au und ihre Hand festhaltend zog er sie sanft empor.

»Antonie,« sagte er mit milder Stimme, – »ich wäre unwürdig, diesen Degen zu tragen, wenn ich Ihnen jetzt etwas Anderes sagte, als: vergessen und vergeben sei Alles, was der Vergangenheit gehört, – keine andere Erinnerung soll mir bleiben, als die freundlicher Stunden, und wenn Sie je eines Freundes bedürfen, – Sie werden ihn in mir finden.«

Und sanft ihre Hand drückend ließ er dieselbe los.

War es der Ton seiner Stimme, war es der ruhige, leichte Druck seiner Hand, was sie mit jener eigenthümlichen, weiblichen, verständnißreichen Empfänglichkeit verstehen ließ, daß die Liebe dieses Herzens ihr für immer verloren war? – sie stand still und unbeweglich da, aus ihren Augen verschwand jene feucht glühende Leidenschaft, – ein Blitz dämonischen Hasses zuckte aus ihrem Blick, – aber sie verbarg ihn unter den schnell sich senkenden Augenlidern.

Mit ruhiger Bewegung zog sie den Schleier vor ihr Gesicht und sprach mit einer Stimme, welche keine Spur des früheren Klanges mehr hatte:

»Leben Sie wohl und mögen Sie glücklich sein!«

Sie wendete sich zur Thür.

Herr von Stielow geleitete sie schweigend und ernst durch das Vorzimmer bis zur äußeren Thüre seiner Wohnung, welche der vorauseilende Diener öffnete.

Raschen Schrittes ging sie hinaus.

Der junge Mann kehrte in seinen Salon zurück und sank wie erschöpft in einen Lehnstuhl.

»War das Spiel oder Wahrheit?« flüsterte er sinnend.

»Gleichviel,« rief er nach kurzem Nachdenken, – »mir ziemt es nicht, sie zu verurtheilen – möge sie ihr Glück finden!«

Und sich schnell emporrichtend sprach er, indem sein Blick sich hell verklärte:

»Dieß war die letzte Wolke, welche meinen Stern zu verhüllen drohte, – jetzt wird sein Strahl mir reines und dauerndes Licht in die Seele gießen.«

Er klingelte seinem Diener, machte schnell Toilette und fuhr in seinem Fiaker zum Hanse der Gräfin Frankenstein. -

 

Buntes Leben erfüllte am Nachmittage die weiten Alleen des Praters. Auf den großen Wiesen, unter den Bäumen dieses mächtigen Parks lagerten die nach Wien gezogenen Kavallerieregimenter und die mannigfaltigsten Lagerszenen sah man hier in reichen Bildern sich entfalten.

Dort standen die Pferde feldmäßig gekoppelt, wiehernd und scharrend vor Ungeduld, – hier lagerten die Soldaten im Kreise um ein loderndes Feuer, in den Feldkesseln ihre Mahlzeit bereitend, Buden waren aufgeschlagen, in welchen Speisen und Getränke, die wiener Würstel und das schwechater Lagerbier feil geboten wurden, und die Wiener strömten zahlreich hinaus, um jetzt, nachdem der wirkliche Krieg mit seinen Schrecknissen und seiner Angst vorüber war, hier die letzten Bilder desselben anzuschauen, welche nur seinen romantischen Reiz, aber nicht seinen schauervollen Ernst dem Auge darboten. Am dichtesten aber standen die Gruppen der Zuschauer vor einem freien, von hohen Bäumen umgebenen Platz, wo die braunen Söhne Ungarns ihren phantastischen Nationaltanz, den Czardas, ausführten. Einer von ihnen spielte auf einer alten Violine eine jener eigenthümlichen, bald melancholisch klagenden, bald in wilden dithyrambischen Bewegungen aufwallenden Melodieen, welche selbst in dieser Ausführung mit wunderbarem, geheimnißvollen Reiz in das Ohr klingen, – die Andern führten den eben so eigenthümlichen Tanz mit seinen merkwürdigen pantomimischen Verschlingungen aus, bald mit den Sporen aneinander klingend, bald den Boden mit den Füßen stampfend, bald den Körper in sonderbaren, aber immer anmuthigen Windungen drehend.

Auch der alte Grois, der Komiker Knaack und die allezeit fröhliche Josephine Gallmeyer standen unter den Gruppen. Die prachtvollen, von Geist und Leben sprühenden Augen der »feschen Pepi« verfolgten gespannt die Bewegungen des Czardas. Leicht den Kopf hin und her wiegend, schlug sie mit den Händen den Takt zu der scharf accentuirten Musik.

»Schau, alter Grois,« sagte sie dann, sich an ihren Begleiter wendend, welcher ernst und trüben Blickes auf das bewegte Bild schaute, – »das sind kapitale Bursche, – da möcht' ich mir wohl einen Schah aussuchen, – die gefallen mir besser, als alle unsere faden Kavaliere zusammen.«

»Ja,« sagte der alte Komiker düster, – »da tanzen sie, – und als es darauf ankam, sich für Oesterreich zu schlagen, da hat man sie hinten stehen lassen, – achtzig Regimenter sind gar nicht zur Aktion gekommen von unserer prächtigen Kavallerie – 's möcht' Einem das Herz abdrücken, wenn man dran denkt!«

»Pfui, alter blutgieriger Tiger,« rief die Gallmeyer, »sein wir froh, daß sie da noch tanzen können und daß sie nicht auch unter diese verwünschten Zündnadeln gekommen sind, – da wär' nicht viel von ihnen übrig geblieben!«

»Bah, Zündnadeln!« rief der alte Grois, – »nun sollen's mit einmal die Zündnadeln sein, die Alles gemacht haben, – erst hat das ganze Volk gesagt, es wären die Generale – und dann haben die Generale gesagt, es waren die Zündnadeln, – ich glaub' halt, das Volk hat Recht gehabt, und wenn man den Preußen unsere Generale gegeben hätte, dann hätten ihnen ihre Zündnadeln auch nicht viel geholfen!«

»Glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist,« rief Fräulein Gallmeyer, – »gegen die Preußen ist doch nichts zu machen, die gehen noch über die Götter!«

»Woher kommt denn diese Bewunderung für die Preußen?« fragte Knaack.

»Nun, – wissen's« – sagte die Gallmeyer – »es ist wahr, sie gehen über die Götter, denn es sagt ja einer von den Dichtern, die für meine Freundin, die Wolter, so schöne Rollen geschrieben haben,« – sie nahm eine komisch-pathetische Stellung an und fuhr, Stimme und Ton der großen Künstlerin des Burgtheaters genau nachahmend, fort: »›Mit der Dummheit streiten Götter selbst vergebens!‹ – Nun die Preußen haben mit der Dummheit halt nicht vergebens gekämpft!« rief sie lachend.

»Pepi,« sagte der alte Grois mit ernstem Ton, – »Du kannst sagen, was Du willst, über mich und über die ganze Welt, – wenn Du aber über das Unglück von meinem lieben Oesterreich Witze machst, dann werden wir Feinde!«

»Das wäre ja schrecklich!« rief die Gallmeyer, – »dann müßte ich ja am Ende –« und sie sah ihn mit schalkhaftem Lächeln an.

»Was denn?« fragte er halb wieder besänftigt.

»Mit dem alten Grois vergebens kämpfen,« rief sie und ließ zwischen den frischen Lippen die äußerste Spitze der Zunge erscheinen, indem sie sich zugleich auf dem Absatz herumdrehte.

»Und mit der Person soll man vernünftig sprechen!« rief der alte Komiker halb unwillig, halb lachend.

Der Czardas war zu Ende, die Gruppen der Spaziergänger setzten sich wieder in Bewegung.

»Seht,« sagte Knaack, »dort fährt unser Freund Stielow mit seiner schönen Braut.«

Und er deutete auf eine elegante, offene Equipage, welche im langsamen Schritt durch die große Allee fuhr. Die Gräfin Frankenstein und ihre Tochter saßen im Fond, der Lieutenant von Stielow in seiner reichen Ulanenuniform ihnen gegenüber. Sein Gesicht leuchtete von Glück, indem er zu der jungen Gräfin sprach und mit der Hand nach den Gruppen des Lagers hinüberdeutete.

»Ein schönes Paar,« sagte der alte Grois, freundlich zu den beiden lächelnden jungen Leuten hinüberblickend.

»O daß sie ewig grünen bliebe, die schöne Zeit der jungen Liebe!« deklamirte die Gallmeyer – »würde meine Freundin Wolter sagen,« fügte sie lachend hinzu, – »übrigens bin ich eigentlich bös auf ihn, denn ich habe ihm eine Liebeserklärung gemacht, – und er hat mich verschmäht, – doch ich werde mich trösten!« rief sie lachend. Sie gingen weiter.

Die Equipage der Gräfin Frankenstein aber fuhr, als sie die dichten Gruppen der Spaziergänger hinter sich hatte, in schnellem Trabe der Stadt zu.

Am Nordbahnhofe kamen zu jener Zeit täglich lange Züge mit Verwundeten und Kranken an, welche von den Verbandplätzen und provisorischen Lazarethen in der Nähe der Schlachtfelder nach Wien und den weiter zurückliegenden Orten gebracht wurden, um regelmäßiger Pflege übergeben zu werden.

Die Räume des Bahnhofs waren zur vorläufigen Aufnahme der Verwundeten eingerichtet; Viele kamen in so schwachem Zustande an, daß sie nicht sogleich weiter transportirt werden konnten, – fast Alle bedurften eine Zeit der Ruhe und die weiteren Transporte mußten geordnet werden.

Es war eine regelmäßige Gewohnheit der Damen Wiens aus allen Ständen, von der höchsten Aristokratie bis zu den einfachsten Bürgersfrauen herab, bei der Ankunft solcher Züge nach dem Bahnhofe zu gehen, die Verwundeten durch kühle Getränke und leichte Speisen zu erfrischen, Leinen und Charpie zur Hand zu haben und den Aerzten bei nothwendig werdenden Operationen oder neuen Verband-Auflagen handreichend behülflich zu sein. Es zeigte sich hier in reichem Maße jener schöne, wirklich patriotische, opferwillige Geist, welcher im österreichischen Volke lebt, jener Geist, welcher von den Regierungen des Kaiserstaats so oft verkannt, so oft selbst unterdrückt, fast nie aber in seinem lebendigen Aufschwung zum Wohl des Ganzen richtig und nachhaltig benützt wurde.

»Es kommen Verwundete an,« sagte die junge Gräfin Frankenstein zu ihrer Mutter, als der Wagen am Ende der Prater-Allee in die Nähe des Nordbahnhofs gelangte, – »sollen wir nicht hingehen, – ich habe etwas Verbandzeug, Himbeeressig und Wein mitgenommen, – ich möchte,« fuhr sie mit einem reizenden Blick auf ihren Verlobten fort, »jedem verwundeten Soldaten so viel helfen, als ich irgend im Stande bin, um Gott meinen Dank darzubringen dafür, daß er mich vor Kummer und Schmerzen so gnädig bewahrt hat.«

Herr von Stielow drückte seiner Braut mit einem glücklichen Blick auf ihr lieblich erröthendes Gesicht innig die Hand.

»Ich danke Dir, daß Du daran denkst,« sagte die Gräfin, »man kann nie genug thun für Diejenigen, welche sich für das Vaterland schlagen und leiden, und wir müssen allen Ständen darin als Beispiel vorangehend –

»Ich bitte, mich zu beurlauben,« sagte Herr von Stielow mit einem Blick auf seine Uhr, – »ich muß mich beim General Gablenz melden, um zu hören, ob er Befehle für mich hat.«

Traurig sah ihn Klara an.

»Aber Abends bist Du frei?« fragte sie.

»Ich hoffe es mit Sicherheit,« sagte der junge Mann, – »denn es gibt ja jetzt für die Adjutanten nur wenig zu thun.«

Der Wagen war am Nordbahnhof angelangt. Auf einen Wink des Lieutenants hielt er am Eingang.

»Auf Wiedersehen also,« sagte die Gräfin Frankenstein zu Herrn von Stielow, der sich verabschiedete, und Klara's Blick fügte deutlicher als Worte hinzu: »Auf baldiges Wiedersehen.«

Der Lakai sprang vom Bock, öffnete den Wagenschlag und folgte mit einem aus dem Sitzkasten des Wagens hervorgenommenen Korbe den Damen in das Innere der Halle.

Diese bot ein bewegtes, ernstes und trauriges, aber auch rührendes und liebliches Bild.

In langen Reihen standen nebeneinander Feldbetten und Tragbahren, auf welchen verwundete, kranke – sterbende Krieger aller Waffen, auch preußische Soldaten lagen, theils in stummer Resignation ihre Leiden tragend, theils ächzend und wimmernd unter den furchtbaren Schmerzen ihrer oft so gräßlichen Verstümmelungen.

Dazwischen schritten die Aerzte her, den Zustand der Angekommenen prüfend und bestimmend, wohin sie gebracht werden sollten, je nach dem Grade ihrer Verwundung und der Hoffnung, welche für ihre Herstellung vorhanden war. Die Verbände wurden erneuert vor dem weiteren Transport, Arzneien und Erfrischungen wurden gereicht und unumgänglich notwendige Operationen wurden in besonders dazu hergerichteten Kabinetten und Verschlägen vorgenommen. Alles das war ernst und schmerzlich zu sehen, trübe und traurig; wer die stolzen Regimenter hatte ausrücken sehen, die Augen der Krieger blitzend beim schmetternden Hörnerklang – und wer nun diese gebrochenen, leidensmüden Jammergestalten sah, wie sie zurückgebracht wurden von den Schlachtfeldern, auf welchen sie mit dem Opfer ihres Blutes den Sieg nicht für die Fahnen des Vaterlandes hatten erkämpfen können, der mochte wohl schmerzlich aufseufzen in dem Gedanken, daß die so gerühmte fortschreitende Civilisation des Menschengeschlechtes nicht im Stande gewesen, den grausamen, mörderischen Krieg von der Erde zu verbannen, – diesen Krieg, dessen blutige Geißel die Geschlechter der Menschen heute noch ebenso gegen einander hetzt, als auf den Schlachtfeldern des grauen Alterthums, nur mit dem Unterschied, daß der erfinderische Menschengeist heute grausamere und vernichtendere Zerstörungswerkzeuge erfunden hat, welche in maschinenmäßiger Arbeit Tausende niederstrecken, wo sonst Einzelne im persönlichen Kampfe fielen.

Neben den Aerzten, welche mit dem kalten Blicke der Wissenschaft die Wunden untersuchten, sah man die barmherzigen Schwestern, diese unermüdlichen Priesterinnen der christlichen Liebe; ruhig und still, fast unhörbar, glitten sie zwischen den Betten hin, bald mit sanfter Hand bei dem Auflegen des Verbandes helfend, bald mit kurzem, aber freundlich tröstendem Wort eine stärkende Arznei, einen kühlenden Trunk den schmachtenden blassen Lippen einflößend.

Und überall sah man daneben die geschäftigen Gruppen dieser so schönen und so graziösen Frauen Wiens, die Damen der hohen Aristokratie voran, wie sie hier und dort die Verwundeten erquickten, den Aerzten Leinenzeug reichten und jedem traurigen, schmerzbewegten Antlitz ein freundliches Lächeln zusendeten.

Viel halfen sie nicht, es ist wahr, diese improvisirten Samariterinnen, welche die Liebe zu ihrem österreichischen Vaterlande bezeugen wollten durch die Pflege seiner verwundeten Krieger, – aber ihr Anblick that den Herzen dieser unglücklichen, leidenden Soldaten unendlich wohl, fühlten sie doch in dieser zarten Sorge die Anerkennung ihrer Opfer und Leiden, glaubte doch mancher vom Fieber verschleierte Blick in den anmuthigen Pflegerinnen die ferne Schwester oder Geliebte zu erkennen – und der starre, trübe Blick leuchtete auf, – die bleiche, schmerzdurchzuckte Lippe lächelte sanft den freundlichen Händen entgegen, welche hier an Stelle der Abwesenden den weiblichen Beruf erfüllten, – Leiden zu lindern und Schmerzen zu stillen.

So brachten sie dennoch Segen und Trost den armen Verwundeten, diese freiwilligen Pflegerinnen, – welche die Aerzte für eine Last erklärten, – die Aerzte aber freilich rechnen ja nur mit jenem Herzmuskel, der den Blutstrom durch die Adern treibt, – das dem anatomischen Skalpell unerfindbare Menschenherz mit seinen Abgründen von Schmerzen und seinen duftigen, zarten Blüten der Freude – das Herz kennen sie nicht – und doch macht es so oft ihre Kunst zu Schanden.

Die Gräfin Frankenstein und ihre Tochter waren bald von mehreren Damen der ersten Gesellschaft umgeben und begannen mit diesen ihren Rundgang zwischen den Betten der Verwundeten.

Unter den zahlreichen Frauen, welche hier versammelt waren, und die – man könnte sagen, zur Mode gewordene Krankenpflege übten, – wenn das Wort für eine so gute, segensvolle und bei den Meisten aus edler Regung hervorgegangene Thätigkeit paßte, – sah man auch die schöne Frau des Wechselagenten Balzer.

In dunkelgrauer, einfacher und einfarbiger Toilette, ein Körbchen mit Verbandzeug und Erfrischungen am Arm, hatte sie einem der fungirenden Aerzte mit wunderbarer Geschicklichkeit Hülfe geleistet, und er hatte ihr gedankt, – erstaunt, daß es keine barmherzige Schwester, sondern anscheinend eine vornehme Dame war, welche so geschickt und so sicher ihm ihren Beistand gewährte. Sie sah wunderschön aus, diese Frau in dem einfachen Anzug, mit dem edlen, bleichen Gesicht, wie sie mit der unnachahmlichen Eleganz ihrer Bewegungen und der sicheren, aber zarten Entschlossenheit an die Lagerstätten der Leidenden herantrat, und ein Fremder hätte sie unter den vielen hier anwesenden vornehmen Damen Wiens für die vornehmste gehalten. Diese Damen aber kannten sie nicht, – wohl fragte man sich hier und da, wer diese schöne, elegante Dame sei – aber Niemand wußte sie zu nennen, – denn in Wien fehlt jenes öffentliche Leben, das, wie in Paris, den Damen der großen Gesellschaft Gelegenheit gibt, ihre Nachahmerinnen – oder oft ihre Vorbilder – jener zweifelhaften Welt persönlich zu kennen, – den Namen der Frau Balzer kannte man, – und sie war oft der Gegenstand des Gesprächs in den Salons – sie selbst hatten wenige Damen gesehen, – um so weniger, als sie sich stets zurückhielt und streng die Dehors beobachtete.

Sie ging an den Betten der Verwundeten entlang und spendete überall Erquickung und Erfrischung, – endlich war sie am Ende einer Reihe angekommen und sah eine von den übrigen entfernte Tragbahre stehen, auf welcher ein bleicher Soldat lang ausgestreckt lag.

Sie trat heran und beugte sich langsam über ihn – ein gebrochenes Auge starrte ihr entgegen, – die bläuliche Leichenfarbe lag auf dem blassen, mageren Gesicht – eine große, klaffende Wunde stand in der Mitte der bloßen Brust offen, von Blut und Eiter gefüllt. Der Verwundete war beim Transport gestorben, – er mußte schon stundenlang todt sein. Unwillkürlich legte sie die Hand auf seine Stirn, – diese Stirn war eiskalt.

Voll Entsetzen starrte sie dieß schauervolle, schmerzliche Bild an, als lebhafte Stimmen an ihr Ohr schlugen.

Sie sah auf und erblickte wenige Schritte entfernt eine Gruppe von mehreren Damen, welche um die Bahre eines Verwundeten standen, der die Uniform der Ulanen trug; die Binde um seinen Kopf hatte sich verschoben und er versuchte mit der schwachen Hand sie wieder zurecht zu ziehen.

In der Mitte der Damengruppe stand die junge Gräfin Frankenstein, strahlend von Anmuth und Schönheit. Tiefes Mitgefühl schimmerte in ihren Augen, ohne den Glanz des Glückes und der Freude zu verbergen, welche sie erfüllten, – mit reizendem Lächeln sagte sie:

»Dieser Uniform muß ich vor Allem beistehen, – ich gehöre ja ein wenig dazu!« und mit leichtem, elastischen Schritt trat sie ganz nahe an die Bahre heran, zog die Handschuhe aus und begann mit den schönen weißen Händen, die herabhängenden Spitzenärmel zurückwerfend, die Kopfbinde des Verwundeten zu ordnen. Sie hielt über den Arm gehängt einen Streifen feiner Leinwand, um die Binde neu zu befestigen, bis der Arzt herankäme.

Antonie Balzer hatte sich beim Klange dieser Stimme emporgerichtet, – aus der dunkleren Ecke, in welcher sie sich befand, erblickte sie im vollen Lichte dieses reizende, glückliche junge Mädchen mit den lächelnden Lippen und den strahlenden Augen.

Eine fahle Blässe überzog ihr Gesicht und gab ihm fast die Farbe des Todten, der da vor ihr lag – ein flammender, dämonischer Blitz, der keinem menschlichen Auge mehr anzugehören schien, schoß aus ihrem Blick – wilder Haß verzerrte ihre schönen Züge.

Einen Augenblick starrte sie die liebliche Erscheinung ihr gegenüber an, dann nahm ihr Blick einen finstern, entsetzlichen Ausdruck an, – ein unbeschreibliches Lächeln erschien auf ihren Lippen.

»Hier der Tod, dort das Leben!« flüsterte sie mit heiserer Stimme und beugte sich über die vor ihr liegende Leiche, so daß ihr Gesicht verschwand und von keinem Blick gesehen werden konnte.

Sie nahm eine kleine Scheere mit goldenem Griff aus ihrem Körbchen, und indem sie sich auf die Leiche beugte, tauchte sie diese Scheere tief in die Wunde auf der Brust des Todten, dann drückte sie ihr Taschentuch von feinem Batist auf diese Wunde und tränkte es mit der blutigen Feuchtigkeit, welche dieselbe erfüllte.

Plötzlich sprang sie lebhaft auf – ihr Gesicht zeigte den Ausdruck angstvoller Aufregung.

Schnell eilte sie hinüber zu der Gruppe von Damen, welche Klara Frankenstein umgab, die so eben sich anschickte, einen breiten Leinwandstreifen um die Kompresse zu winden, welche sie auf den Kopf des verwundeten Ulanen gelegt hatte.

»Um Gotteswillen!« rief Frau Balzer, – »ein Stück Leinen – einen Tropfen Eau de Cologne ich habe Alles verbraucht – hier ist ein armer Verwundeter, welcher stirbt!«

Und in rascher Bewegung sich der Comtesse Frankenstein nähernd, erfaßte sie wie flehend mit ihren beiden Händen deren ausgestreckten Arm, welcher den Leinwandstreifen hielt.

Klara stieß einen Schrei aus und zog rasch ihre Hand zurück. Ein Blutstropfen wurde über dem Handgelenk sichtbar und rollte langsam über den weißen Arm herab.

»O wie ungeschickt!« rief Frau Balzer – »ich habe Sie mit meiner Scheere verletzt, – ich bitte tausendmal um Verzeihung!«

Und rasch drückte sie ihr Taschentuch, mit dem Eiter der Leichenwunde getränkt, auf das Handgelenk der Comtesse.

»Ich bitte,« sagte diese freundlich, – »es hat nichts zu sagen, – verlieren wir keine Zeit mit diesem kleinen Riß – wo wir ernste Wunden zu pflegen haben.«

Und langsam zog sie ihren Arm zurück, welchen Frau Balzer noch immer mit ihrem Taschentuch drückte und rieb, wie um das Blut zu entfernen.

Dann reichte sie den Leinwandstreifen, welchen sie in der Hand hielt, hin und sprach:

»Bitte, nehmen Sie davon.«

Frau Balzer schnitt rasch mit ihrer Scheere ein Stück Leinwand ab, dankte mit artiger Verbindlichkeit und nochmaliger Entschuldigung wegen ihrer Ungeschicklichkeit und kehrte zu der Leiche zurück.

Mehrere Damen hatten sich während dieser kleinen, schnell vorübergehenden Szene der Bahre genähert.

»Der Arme ist todt!« riefen sie, – »hier ist nichts mehr zu helfen!«

Frau Balzer blickte trübe auf die Leiche.

»Ja, er ist todt,« sagte sie, – »wir sind zu spät gekommen!«

Und die Hände faltend, neigte sie das Haupt.und bewegte flüsternd die Lippen; tiefe Andacht sprach aus ihren Zügen. Die herumstehenden Damen folgten ihrem Beispiel und sprachen ein kurzes Gebet für die Seele des armen Todten, dessen Heimkehr vielleicht in weiter Ferne von liebenden Herzen in heißer Sehnsucht erhofft wurde.

Dann gingen Alle weiter zu anderen Betten.

Unter den wenigen Herren, welche unter den zahlreichen barmherzigen Pflegerinnen einhergingen, helfend und ordnend, befand sich auch der Graf Rivero.

Er stand nicht weit entfernt, als Frau Balzer zur Comtesse Frankenstein geeilt war, sie um Verbandzeug zu bitten.

Tief und gedankenvoll ruhte sein großes, dunkles Auge auf diesen beiden so schönen Frauengestalten während ihrer kurzen Unterhaltung, – langsam wendete er sich dann ab nach einer andern Richtung.

Einige Stunden später war die Halle leer, alle jene Damen waren zurückgekehrt in die hohen, reichen Salons der vornehmen Paläste, oder in die ruhigen, stillen Kreise der einfachen Häuslichkeit, – die armen Verwundeten waren weitergeführt zu den verschiedenen Lazarethen, um durch lange Tage voll Schmerzen der Genesung – oder dem Tode entgegen zu gehen.


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