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Siebenzehntes Kapitel.

Dumpfe Stille herrschte in der kaiserlichen Hofburg. Mitten in den lauten Jubel über die italienischen Siegesnachrichten war der vernichtende Donnerschlag gefahren, welcher von Böhmen her die Zertrümmerung aller Hoffnungen brachte und in einem Augenblick das blinde Vertrauen zerstörte, welches man in den Feldzeugmeister Benedek und seine Operationen gesetzt hatte. Es war wie eine plötzliche Betäubung über Alle gekommen, langsam und düster schlichen die Lakaien über die langen Korridors und kaum sprach einer zum andern die für den Dienst nothwendigen Worte. Der Kaiser hatte unmittelbar nach der Nachricht von der verlorenen Schlacht den Grafen Mensdorff nach dem Hauptquartier des Feldzeugmeisters gesendet, um sich als Militär zu überzeugen, wie die Sachlage wäre, und seitdem hatte er sich unnahbar in seine Gemächer zurückgezogen und nur der Generaladjutant ging zu ihm ein und aus.

Tiefe Stille herrschte im kaiserlichen Vorzimmer, ruhig stand der Arcièrengardist vor der Thür der Wohnung des Kaisers, stumm lehnte der dienstthuende Flügeladjutant, Baron Fejérváry de Komlos, am Fenster und blickte auf die Gruppen herab, die dort unten sich sammelten und wieder auseinandergingen in leisem, ernsten Gespräch, – oft hinaufblickend nach den Fenstern der Burg, als sollte von dorther irgend eine neue Nachricht, irgend eine Entscheidung kommen, die die trübe Angst des Augenblicks lösen möchte.

Man hörte den gleichmäßigen Schlag der großen alten Uhr, welche eben so ruhig diese traurigsten Augenblicke des Hauses Habsburg anzeigte, wie sie in den Zeiten seines höchsten Glanzes ruhig den Fortschritt der Alles niedermähenden Zeit verkündet hatte. Denn mit ewig gleichem Schritt geht die Zeit durch die flüchtigen Augenblicke des Glückes, wie durch die schleichenden Stunden der schwarzen Tage, nur vernimmt man im Rausche der Freude ihren ehernen Schritt nicht, während in der trüben Stille des Unglücks laut vernehmbar an unser Ohr das Memento mori dringt, das uns jede in den Schooß der ewigen, starren Vergangenheit hinabsinkende Sekunde zuruft.

So war es auch hier. Der Gardist und der Flügeladjutant hatten gewiß schon oft und zu manchen Zeiten hier in diesem Zimmer ihren Dienst gethan, fröhliche Gedanken an die Welt da draußen im Herzen, – und alle jene Stunden waren verschwunden in ihrer Erinnerung oder verschmolzen zu einem allgemeinen unklaren Bilde, – diese Stunden aber, diese stillen, dunkeln Stunden gruben sich mit dem langsamen Pendelschlag ihrer zögernd dahinziehenden Sekunden tief in ihre Erinnerung.

Der Generaladjutant Graf Crenneville trat ein. Neben ihm befand sich der hannöverische Gesandte Generalmajor von dem Knesebeck in der großen hannöverischen Generalsuniform und ihnen folgte der Flügeladjutant des Königs von Hannover, Major von Kohlrausch, eine einfache, militärisch stramme Erscheinung mit kurzem schwarzen Schnurrbart und fast kahlem Kopf.

Herr von Knesebeck, der hohe stattliche Mann, welcher so zuversichtlich und fest im Salon des Grafen Mensdorff aufgetreten war, schritt gebeugt einher, Schmerz und Trauer lag auf den ernsten, scharf geschnittenen Zügen, und ohne ein Wort zu sprechen, grüßte er den Adjutanten vom Dienst.

»Wollen Sie mich melden, lieber Baron,« sagte der Graf Crenneville zu dem Major von Fejérváry.

Dieser trat in das kaiserliche Zimmer, kehrte augenblicklich wieder zurück und deutete durch eine ehrerbietige Bewegung dem Generaladjutanten an, daß der Kaiser ihn erwarte.

Graf Crenneville trat in das Kabinet Franz Joseph's.

Der Kaiser trug wieder den grauen weiten Militärmantel, – er saß in sich zusammengesunken vor dem breiten Schreibtisch, Feder, Papier und Briefschaften lagen unberührt vor ihm, nichts zeugte von der sonst so rastlosen Thätigkeit dieses Souveräns, der keine Stunde unbenützt entfliehen ließ. Es war nicht mehr Schmerz, dieser Ausdruck, welcher auf dem krampfhaft erregten und müden Antlitz des Kaisers lag, es war fast trostlose, dumpfe Verzweiflung.

Traurig blickte der Generaladjutant auf diesen so tief gebrochenen Souverän, der da vor ihm saß, und mit leiser, bewegter Stimme sprach er:

»Ich bitte Eure Kaiserliche Majestät, sich dem traurigen Eindruck dieser schwer erschütternden Nachricht nicht zu sehr hinzugeben. – Wir Alle – ganz Oesterreich blickt auf seinen Kaiser, – kein Unglück ist so groß, daß fester Wille und kühner Muth es nicht wieder zum Guten wenden können – und wenn Eure Majestät verzagen – was soll die Armee, – was soll das Volk thun?«

Der Kaiser erhob langsam den trüben, matten Blick und fuhr mit der Hand über die Stirn, wie um den Druck seiner Gedanken fortzunehmen.

»Sie haben Recht!« antwortete er dumpf, – »Oesterreich erwartet von mir Muth und Entschluß – und wahrlich!« rief er, das Haupt erhebend, indem ein zorniger Blitz aus seinem Auge fuhr, »Muth habe ich, und käme es nun darauf an, mich dem feindlichen Feuer entgegenzustellen, könnte meine persönliche Tapferkeit die Entscheidung bedingen, so sollte wahrlich der Sieg den Fahnen Oesterreichs nicht fehlen! – aber muß ich nicht glauben, daß ich zum Unglück bestimmt bin, daß mein Szepter Oesterreich verderbenbringend ist? Habe ich nicht Alles gethan, um den Erfolg zu sichern, habe ich nicht den Mann an die Spitze der Truppen gestellt, den die Armee, den das Volk als den Tüchtigsten bezeichnet – und nun!? – geschlagen!« rief er heftig und es klang wie Thränen durch seine Stimme, – »geschlagen nach so hohem, so stolzem Anlauf, geschlagen von diesem Feind, der seit Jahrhunderten das deutsche Erbe meines Hauses angreift, – den ich endlich für immer niederzuwerfen hoffte, – was helfen mir nun die Siege in Italien – wenn ich Deutschland verliere, – o – es ist zu hart!«

Und der Kaiser stützte den Kopf in die beiden flachen Hände, während ein tiefer Seufzer seine Brust hob.

Graf Crenneville trat ihm einen Schritt näher.

»Majestät!« sagte er, »noch ist nicht Alles verloren, – Mensdorff bringt vielleicht gute Botschaft – dem Feinde hat die Schlacht auch viel gekostet – vielleicht läßt sich Alles wieder gut machen.«

Der Kaiser ließ die Hände sinken und blickte den Grafen lange an.

»Mein lieber Crenneville!« sagte er dann ernst und langsam, – »ich will Ihnen etwas sagen, was mir nie so klar geworden ist wie in diesem Augenblick. – Sehen Sie,« sprach er, den Blick träumerisch vor sich hin gerichtet, »die große Stärke meines Hauses, die Kraft, welche Habsburg und Oesterreich durch alle schweren Zeiten hindurchgeführt hat, – das war die Zähigkeit, jene unerschütterliche, unbeugsame Zähigkeit, welche ruhig sich beugt unter die Schläge des Unglücks, ohne einen Augenblick das Ziel aus den Gedanken zu verlieren, welche zu dulden, zu überwinden, zu warten versteht. – Gehen Sie die Geschichte durch, blicken Sie hin auf die schwersten, dunkelsten Zeiten, Sie werden bei allen meinen Vorfahren diesen Zug der unerschütterlichen Zähigkeit finden und Sie werden finden, daß dieser Charakterzug ihre Rettung war; – diese Zähigkeit,« fuhr er nach einem kurzen Schweigen fort, »diese habsburgische Ausdauer – sie fehlt mir, und das ist mein Unglück. Mich aber trägt die Freude auf leichten Schwingen himmelhoch empor, die großen Aufgaben des Lebens erfassen mich mit mächtiger Begeisterung – aber ebenso reißt mich die schwere Hand des Unglücks zu Boden – ich kann kämpfen – ich kann mich opfern– aber ich kann nicht tragen, nicht warten – o nicht warten!« rief er mit dem Ausdruck des Schauders.

Dann plötzlich erhob er das Haupt, leicht drückte er die schönen Zähne in die volle Unterlippe und sprach, indem der ganze fürstliche Stolz von Habsburg-Lothringen aus seinen Augen leuchtete:

»Sie haben Recht, Graf Crenneville – ich darf der Schwäche nicht nachgeben, – vergessen Sie, daß Sie mich so lange schon schwach gesehen, – ist das Unglück groß, so müssen wir größer sein als das Unglück!«

»Je schwerer der Schlag ist, je tiefer ihn das Herz Eurer Kaiserlichen Majestät empfindet, um so mehr bewundere ich den kühnen Muth, den Eure Majestät jetzt – wie stets vorher – wiederfinden. – Ich freue mich um so mehr,« fuhr er fort, »daß Eure Kaiserliche Majestät so hoch über dem Unglück stehen, als gerade der hannöverische Gesandte General Knesebeck um Audienz bittet – er trägt fest und ritterlich den schweren Schlag, der seinen Herrn getroffen!«

»Der arme König!« rief der Kaiser, – »er hat tapfer sein Recht vertheidigt und erwartet nun von mir Schutz und Hülfe! – Alle jene Fürsten,« fuhr er düster fort, »die ich in Frankfurt im alten Kaisersaal um mich versammelt, – wie soll ich je wieder vor ihnen erscheinen nach dieser schmählichen Niederlage –«

Und wieder starrte er brütend vor sich hin.

»Majestät!« rief Graf Crenneville mit leise bittendem Ton.

Der Kaiser stand auf.

»Führen Sie den General Knesebeck herein!«

Der Generaladjutant eilte zur Thür und trat einen Augenblick darauf mit dem General von Knesebeck und dem Major von Kohlrausch wieder herein.

Der Kaiser schritt dem General entgegen und reichte ihm in tiefer Bewegung die Hand.

»Sie bringen traurige Botschaft, mein lieber General, ich bin von tiefer Bewunderung für Ihren königlichen Herrn erfüllt und beklage tief, daß so viel Heldenmuth nicht im Stande war, ein glücklicheres Resultat zu erreichen. – Hier haben Sie leider auch wenig Tröstliches gefunden« – fügte er mit einer gewissen Ueberwindung hinzu – und richtete dann – als wolle er diesen schmerzlichen Punkt nicht weiter berühren, den fragenden Blick auf den Major von Kohlrausch.

»Majestät,« sagte der General von Knesebeck, »ich bitte vor Allem um die Erlaubniß, Allerhöchstdenselben den Major von Kohlrausch, Flügeladjutanten meines königlichen Herrn, vorzustellen, welcher um die Ehre bittet, ein Handschreiben Seiner Majestät überreichen zu dürfen.«

Der Kaiser neigte freundlich das Haupt gegen den Major, welcher in dienstlicher Haltung vortrat und ein Schreiben in die Hände des Kaisers legte.

Dieser öffnete es rasch und durchflog den kurzen Inhalt.

»Seine Majestät theilt mir mit kurzen Worten die traurige Katastrophe mit und verweist mich im Uebrigen auf mündliche Mitteilungen, welche Sie mir machen sollen, Herr Major!«

»Mein allergnädigster Herr,« sprach der Major von Kohlrausch im Tone dienstlicher Meldung, »hat mir befohlen, Eurer Kaiserlichen Majestät zu sagen, daß Er, nachdem seine Armee die größten Anstrengungen gemacht hat, um die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit seiner Krone und seines Königreichs siegreich zu vertheidigen, und nachdem diese Anstrengungen und der siegreiche Kampf bei Langensalza durch die Uebermacht erfolglos geblieben sind, – daß Seine Majestät es nunmehr für das Würdigste und Richtigste erachte, sich zu Eurer Kaiserlichen Majestät, seinem erhabenen Bundesgenossen, zu begeben.«

»Und seinem treuen Freunde!« fiel der Kaiser mit Wärme ein.

Der Major verneigte sich und fuhr fort:

»Und ich soll Eure Kaiserliche Majestät fragen, ob Allerhöchstdenselben der Besuch des Königs und sein Aufenthalt in Wien genehm sei?«

»Genehm?« rief der Kaiser lebhaft, – »ich sehne mich, den heldenmütigen Herrn zu umarmen, der uns Allen mit so hohem Beispiel fürstlicher Standhaftigkeit vorangegangen ist. – Freilich,« fuhr er seufzend fort, »findet der König hier nicht mehr den mächtigen Alliirten, – er findet eine gebrochene Kraft, die nur mit Aufbietung aller Anstrengung und alles Muthes vielleicht das Schwerste noch abwenden kann –«

»Ich glaube bestimmt im Sinne meines königlichen Herrn zu sprechen,« sagte Herr von Kohlrausch, »wenn ich Eure Kaiserliche Majestät versichere, daß der König bereit und entschlossen ist, Glück und Unglück mit seinem erhabenen Alliirten zu theilen, dessen Sache die seinige und diejenige des Rechts ist.«

Der Kaiser blickte einen Augenblick zu Boden. Dann erhob er den Blick mit leuchtendem Ausdruck und sprach, indem sein Gesicht von Muth und freudigem Stolz strahlte:

»Die Freundschaft und das Vertrauen eines so edlen und ritterlichen Herzens, wie das des Königs, muß uns Allen Muth und ebenfalls neues Vertrauen in unsere Sache geben. Sagen Sie Ihrem Herrn, daß ich ihn mit Ungeduld erwarte und daß er mich würdig finden wird, die Sache des Rechts und Deutschlands bis zum Aeußersten zu vertheidigen. Ich werde Ihnen meine Antwort an den König so schnell als möglich zugehen lassen.«

Der Kaiser schwieg. Der Major wartete stumm auf das Zeichen der Entlassung.

Nach einigen Augenblicken sprach Franz Joseph mit bewegter Stimme:

»Der König hat ein Beispiel von Heldenmuth ohne Gleichen gegeben – es drängt mich, meine Bewunderung für seine und des Kronprinzen Haltung in diesen Tagen durch ein äußeres Zeichen auszudrücken. – Ich werde sogleich das Kapitel des Maria-Theresienordens versammeln und meine Armee wird stolz sein, wenn der König und sein Sohn das edelste und höchste Ehrenzeichen der österreichischen Soldaten auf ihrer Brust tragen wollen – warten Sie so lange, bis ich Ihnen die Insignien zusende.«

»Ich kenne meinen Herrn genug,« sagte der Major mit freudigem Ausdruck, »um zu wissen, daß eine solche Auszeichnung ihn mit hoher Freude erfüllen wird – und die ganze hannöverische Armee wird darin eine Ehre und einen Stolz empfinden.«

»Ich habe mich sehr gefreut, mein lieber Major,« sagte der Kaiser huldvoll, »Sie bei dieser Gelegenheit als den Boten des Königs empfangen zu haben, ich werde Ihnen mit den übrigen Sachen das Ritterkreuz meines Leopoldordens übersenden und bitte Sie, dasselbe zur Erinnerung an diesen Augenblick und an meine freundlichsten Gesinnungen zu tragen.«

Der Major verneigte sich tief. »Ich würde,« sagte er, »auch ohne dieß gnädige Zeichen diesen Augenblick nie vergessen!«

»Nun ruhen Sie aus,« sprach der Kaiser freundlich, – »damit Sie, wenn Alles bereit ist, Kräfte zur Rückreise gesammelt haben.«

Und er neigte grüßend das Haupt. Der Major verließ mit kurzem militärischem Gruß das Kabinet.

»Sie waren im bayerischen Hauptquartier?« fragte der Kaiser den General von Knesebeck.

»Zu Befehl, Kaiserliche Majestät!« erwiederte dieser.

»Als Eure Majestät in Folge der Depesche des Grafen Ingelheim mir befahlen, dorthin zu gehen und den Prinzen Karl auch in Allerhöchsterem Namen dringend zu bitten, daß er der hannöverischen Armee zu Hülfe eilen solle, reiste ich sogleich ab und fand das bayerische Hauptquartier, das einige Tage zuvor in Bamberg gewesen war, in Neustadt a. S. Ich stellte dem Prinzen Karl auf das Dringlichste die Noth der hannöverischen Armee vor und bat ihn im Namen Eurer Majestät und meines Königs inständigst, einen raschen Vorstoß gegen Eisenach und Gotha zu machen, um dort eine Vereinigung und damit eine günstige und wichtige Wendung des ganzen Feldzuges zu ermöglichen.«

»Und der Prinz Karl?« fragte der Kaiser gespannt.

»Der Prinz sowohl als der General von der Tann, welcher bei ihm war, erkannten die Wichtigkeit der Vereinigung der bayerischen mit der hannöverischen Armee vollkommen an und waren bereit, alles Mögliche dazu zu thun, – wie sie denn ja auch schon im Vormarsch begriffen war; indeß äußerte Seine Königliche Hoheit sowohl als der Chef des Generalstabes das höchste Befremden über die Märsche, welche die hannöverische Armee gemacht habe – von der man eigentlich gar nicht wisse, wo sie sei, und welche nach den von ihr erhaltenen Nachrichten die größten strategischen Fehler gemacht habe. – Der Prinz fragte mich, wie stark unsere Armee sei, und als ich ihm antwortete, daß sie nach meiner Schätzung und meinen Nachrichten etwa neunzehntausend Mann betrage, antwortete er mir: ›Mit neunzehntausend Mann schlägt man sich durch und marschirt nicht hin und her in einen Winkel hinein, wo man eingeschlossen werden muß!‹ Der General von der Tann nickte beistimmend.«

Der Kaiser neigte das Haupt und seufzte.

»Mit tief schmerzlichen Gefühlen,« fuhr der General fort, »hörte ich dieß an und mit noch größerem Schmerz muß ich Eurer Kaiserlichen Majestät sagen, daß ich dem Urtheil des bayerischen Hauptquartiers nicht Unrecht geben konnte. – Ich bin Generalstabsoffizier, Majestät,« sagte er seufzend, – »aber ich muß es sagen, daß die Märsche, welche unsere Armee gemacht hat, mir absolut unverständlich sind – und daß es ihr sehr viel leichter gewesen wäre, in raschem Marsch ihrerseits die Bayern zu erreichen, als in anscheinend planlosem Hin- und Herziehen das Heraufrücken der Bayern zu erwarten.«

»Der arme König!« rief der Kaiser mit schmerzlichem Ton.

»Natürlich,« fuhr Herr von Knesebeck fort, »sprach ich meine Gedanken im bayerischen Hauptquartier nicht aus, drang vielmehr auf schleunigen Vormarsch zur Entsetzung der hannöverischen Armee – das Einzige übrigens, was, wie die Dinge einmal gekommen waren, nun noch möglich zur Rettung war; der Prinz Karl war, trotz seiner Verstimmung, vollständig bereit dazu, befahl auch sofort das Vorrücken über den Thüringer Wald nach Gotha und setzte den Prinzen Alexander davon in Kenntniß, um das achte Armeekorps zu gleichmäßigem Vorgehen zu bewegen. – Aber,« fuhr er seufzend fort, »die bayerische Armee war mitten aus dem Friedensstande aufgebrochen.«

»Unglaublich!« rief der Kaiser, – »und Bayern hat doch am Bunde so lebhaft die Politik geführt, welche den Krieg herbeiführen mußte!«

Herr von Knesebeck zuckte leicht die Achseln.

»Jedenfalls,« sagte er, »war die bayerische Armee nicht im Stande, rasch und kräftig zu operiren. – Indeß sie ging vor, – der Prinz Karl verlegte sein Hauptquartier nach Meiningen und mit schwerem Herzen voll banger Unruhe begleitete ich ihn dorthin. – Am folgenden Tage sollten wir weiter Vorgehen – da traf Graf Ingelheim dort ein und – brachte die Nachricht der Katastrophe von Langensalza!«

»Welche ein trauriges Zusammentreffen verhängnißvoller Umstände!« rief der Kaiser.

»Unter diesen Umständen,« fuhr der General fort, »gab der Prinz Karl – und ganz mit Recht – sofort seinen nun gegenstandslosen Vormarsch auf und befahl, durch Flankenmärsche die Verbindung mit dem 17 Meilen von Meiningen bei Friedberg stehenden achten Korps herzustellen. – Ich aber,« sagte er düster, »kehrte mit Trauer im Herzen hieher zurück und fand hier leider die Nachricht von dem größeren, verhängnißvollen Schlage, der Eure Majestät und unsere Sache getroffen!«

»Der Schlag ist schwer!« – rief der Kaiser – »aber ich habe Muth und Hoffnung, noch Alles günstig wenden zu können. – Ich freue mich,« fuhr er fort, »daß die Botschaft Ihres Königs heute an mich herangetreten ist und daß ich Sie gesehen habe, mein lieber General – das gibt mir neue Kraft, das Aeußerste einzusetzen, um meiner Pflicht gegen Deutschland treu zu bleiben. – Glauben Sie,« fragte er nach einem augenblicklichen Besinnen, »daß von Bayern eine energische Kriegführung zu erwarten ist? – Sie haben die Verhältnisse dort gesehen und haben militärischen Scharfblick – sagen Sie mir aufrichtig Ihre Meinung!«

»Majestät,« sagte Herr von Knesebeck, »Bayern wird immerhin preußische Truppen absorbiren – und das ist ein Vortheil – energische Kriegführung aber – – der Prinz Karl ist ein sehr alter Herr und in seinen Jahren ist Energie eine Seltenheit, namentlich an der Spitze einer wirklich unfertigen Armee.«

»Aber General von der Tann?« fragte der Kaiser.

»Der General von der Tann ist eine hohe militärische Kapazität, – ob er aber die Verantwortlichkeit für irgend ein Exponiren der bayerischen Truppen für nicht rein bayerische Zwecke übernehmen will, – ob er eine solche Verantwortlichkeit bei dem Charakter des Prinzen übernehmen kann – ich bezweifle es –«

»Sie erwarten also –?« fragte der Kaiser gespannt.

»Wenig!« sagte Herr von Knesebeck.

»Und von den andern deutschen Korps?« fragte der Kaiser.

»Das achte Korps kann ohne Bayern nichts machen – und über die badischen Truppen waren bei meiner Abreise eigentümliche Nachrichten gekommen,« sagte Herr von Knesebeck.

»Sollte Baden sich von uns abwenden?« rief der Kaiser.

»Ich weiß nicht,« – sagte Herr von Knesebeck, – »der Eindruck der Nachrichten von Königgrätz, die dort vielleicht übertrieben werden –« – er zuckte die Achseln.

»Die Reichsarmee!« rief der Kaiser und stampfte mit dem Fuße auf den Boden. – »Sollten Sie glauben,« rief er lebhaft, – »daß die Sonne Oesterreichs untergehe? – Abend ist's freilich,« sagte er finster, – »Nacht vielleicht – aber,« rief er mit flammendem Blick – »auf die Nacht kann ein Morgen folgen!«

»Die Sonne ist es gewohnt, in den Reichen der Habsburger nicht unterzugehen, vertrauen Eure Majestät diesem leuchtenden Stern Ihres Kaiserlichen Hauses!« sagte Herr von Knesebeck.

»Und bei Gott!« rief der Kaiser, – »wenn das Gestirn des Tages in diesem Feldzug noch einmal wieder glückbringend aufgeht über meinem Hause und Oesterreich – dann soll Ihr König im vollen Glanze der Macht und des Glücks neben mir stehen in Deutschland!« Und er reichte mit einer unnachahmlich edlen Bewegung dem General die Hand.

Der Flügeladjutant trat ein.

»Graf Mensdorff, Kaiserliche Majestät, ist zurückgekehrt und bittet um Audienz!«

»Ah!« rief der Kaiser mit tiefem Athemzug, – »sogleich, sogleich, – ich erwarte ihn mit Ungeduld!«

Und er trat schnell dem Grafen Mensdorff entgegen, der auf den Wink des Majors von Fejérváry auf der Schwelle des kaiserlichen Kabinets erschien.

»Haben Eure Kaiserliche Majestät noch Befehle für mich?« fragte Herr von Knesebeck.

»Bleiben Sie, bleiben Sie, lieber General!« rief der Kaiser, – »die Nachrichten des Grafen Mensdorff sind für Sie von eben so hohem Interesse, wie für mich!«

Der General verneigte sich.

»Und nun, Graf Mensdorff,« rief der Kaiser mit zitternder Stimme, »sprechen Sie – das Schicksal Oesterreichs hängt an Ihren Lippen!«

Graf Mensdorff stand vor seinem Souverän in fast gebrochener Haltung – die Strapazen der Reise in's Hauptquartier hatten seinen kränklichen Körper schwer erschüttert, tiefe Linien hatte die nervöse Anspannung in sein Antlitz gezogen, ein schmerzhafter Zug lag um seinen Mund und nur die dunkeln Augen leuchteten in fieberhaftem Glanz.

»Sie sind erschöpft!« rief der Kaiser, – »setzen Sie sich, meine Herren!«

Und er setzte sich auf den Sessel vor seinem Schreibtisch. Der Generaladjutant, Graf Mensdorff und Herr von Knesebeck nahmen vor dem Tische Platz.

»Majestät!« sagte Graf Mensdorff tief aufathmend mit seiner leisen Stimme, – »die Nachrichten, die ich bringe, sind traurig – sehr traurig, – aber nicht hoffnungslos!«

Der Kaiser faltete die Hände und richtete den Blick nach Oben.

»Es ist eine furchtbare Niederlage, welche die Armee erlitten hat,« sagte Graf Mensdorff, »in wilder Auflösung hat sich die Flucht daher gewalzt und jede Ordnung war gebrochen. – An eine Sammlung und neue Formirung der Massen kann erst in einigen Tagen gedacht werden.«

»Aber wie war das möglich?« rief der Kaiser, – »wie konnte Benedek –«

»Der Feldzeugmeister,« sagte Graf Mensdorff – »hatte Recht, als er Eurer Majestät sagte – er könne mit dieser Armee nicht schlagen, – die Zustände sind unerhört gewesen. Eure Majestät wissen, daß Benedek selbst, ein tapferer, braver General, der es wohl versteht, nach gegebenem Plane vorzugehen und die Soldaten zu elektrisiren, auf einem ihm unbekannten Felde operirte. – Majestät, ich muß es sagen, – er ist in keiner Weise unterstützt worden. Der Generalstab hatte einen Plan gemacht, über dessen Güte ich nicht urtheilen will, – der aber durch die raschen, unerwarteten und wunderbar kombinirten Bewegungen der preußischen Korps, durch die urplötzliche und unerwartete Ankunft der Armee des Kronprinzen von Preußen hätte modifizirt werden müssen – in eigensinniger Verblendung hat der Generalstab jede Modifikation abgelehnt, jede Warnung unbeachtet gelassen. Dazu war man so wenig auf einen Rückzug gefaßt – oder so unbegreiflich sorglos, daß die Rückzugslinie keinem Offizier bekannt war, ja daß nicht einmal die Kommandeurs der Regimenter die Brücken kannten, auf denen der Rückzug hatte bewerkstelligt werden können, – so wurde der Rückzug zur Flucht, die Flucht zur Auflösung.«

»Unerhört!« rief der Kaiser, – »man muß den Feldzeugmeister vor ein Kriegsgericht stellen.«

»Nicht ihn, Majestät,« sagte Graf Mensdorff, – »er hat gethan, was er thun konnte, er hat auf dem Posten gestanden, der ihm übertragen war – er hat sich persönlich exponirt, wie selten ein General, und mit unerhörter Bravour ist er mit seinem ganzen Stabe wie an der Spitze einer Schwadron dem Feinde entgegengesprengt – natürlich vergeblich. – Mir sind die Thränen in die Augen getreten, Majestät,« fuhr der Graf mit leise bebender Stimme fort, – »als ich den tapfern General sah, tief gebrochen, und er mir in seiner einfachen soldatischen Weise sagte: ›Ich habe Alles verloren, nur leider das Leben nicht!‹ – Majestät – man kann es tief beklagen, daß der Feldzeugmeister auf eine Stelle gebracht worden, der er nicht gewachsen war, – aber ihm zürnen, – ihn verurtheilen – das ist unmöglich.«

Der Kaiser blickte schweigend und finster vor sich nieder.

»Aber,« fuhr Graf Mensdorff fort, – »der Generalstab muß zur Verantwortung gezogen werden, – ich bin weit entfernt, ein Urtheil zu fällen, dazu ist der Augenblick nicht gekommen und eine sachgemäße und ruhige Prüfung ist jetzt unmöglich – ich will wünschen, daß die Betheiligten sich rechtfertigen können – aber strenge Rechenschaft muß gefordert werden, das verlangt die Stimme der ganzen Armee, deren heldenmüthige Tapferkeit so vergebens geopfert wurde, – das wird in wenig Tagen die Stimme des Volkes verlangen.«

»Und wer sind die Schuldigen?« fragte der Kaiser.

»Der Feldmarschalllieutenant von Henikstein und der Generalmajor von Krismanic sind die Beschuldigten,« sagte Graf Mensdorff mit Betonung, – »ob sie schuldig sind, darüber wird das Recht entscheiden.«

»Sie sollen ihrer Funktionen enthoben und hieher zur Rechtfertigung gefordert werden – Graf Crenneville!« rief der Kaiser.

»Zu Befehl, Kaiserliche Majestät!« sagte der Generaladjutant.

»Ich darf Eurer Kaiserlichen Majestät nicht verhehlen,« fuhr Graf Mensdorff mit ruhiger Stimme fort, »daß von vielen Seiten in der Armee auch dem Grafen Clam-Gallas ein schwerer Vorwurf gemacht wird, – er habe nicht rechtzeitig in die Operationen eingegriffen und die Befehle nicht befolgt, die ihm gegeben waren.«

»Graf Clam!?« rief der Kaiser, – »das glaube ich nicht!«

»Ich danke Eurer Kaiserlichen Majestät für dieß Wort,« sagte Graf Mensdorff, »und darf hinzufügen, daß, ich den Grafen Clam bei seiner Hingebung für Eure Majestät und Oesterreich einer militärischen Dienstvernachlässigung für unfähig halte, – indeß – er ist mein Verwandter, – er gehört der großen Aristokratie des Kaiserstaates an, – die öffentliche Stimme beschuldigt ihn und wird ihn gerade deßhalb um so lieber verdammen, wenn seine Rechtfertigung nicht öffentlich und glänzend erfolgt. – Ich bitte Eure Kaiserliche Majestät, ihn zur Rechenschaft zu ziehen.«

»Es sei,« sagte der Kaiser, – »man soll ihn einladen, hieher zu kommen – ich werde dann das Weitere verfügen.«

»Nun aber,« fuhr er fort, »was ist zu thun, – ist die Lage hoffnungslos?«

»Majestät,« antwortete Graf Mensdorff, »die Armee zählt noch hundertachtzigtausend Mann, welche zwar in diesem Augenblick völlig operationsunfähig sind, – jedoch um neuen Widerstand zu leisten, nur Zeit und Sammlung bedürfen. Schutz und Ruhe bietet das verschanzte Lager von Olmütz und dorthin zieht der Feldzeugmeister die Hauptmacht zurück, um den Feind nach sich und von Wien abzuziehen –«

»Von Wien abzuziehen!« wiederholte der Kaiser – »es ist entsetzlich – in so wenig Tagen bedroht mich dieser Feind, den ich für immer niederzuwerfen hoffte, in meiner eigenen Hauptstadt!«

»Es steht zu hoffen,« sagte Graf Mensdorff, »daß die preußische Armee dem Feldzeugmeister folgt und vor Olmütz festgehalten wird, – indeß es muß für alle Fälle Wien gedeckt und die Möglichkeit der Wiederaufnahme einer neuen Offensive geschaffen werden, welche den Feind von zwei Seiten fassen kann.«

General Knesebeck nickte beistimmend – der Kaiser richtete den Blick mit flammender Spannung auf seinen Minister.

»Um dieß zu erreichen,« fuhr Graf Mensdorff fort, »bedürfen wir Ungarn und die italienische Armee.«

Der Kaiser fuhr empor.

»Glauben Sie,« rief er lebhaft, »daß aus dem Munde der Ungarn noch einmal zur Rettung Oesterreichs erschallen werde: Moriamur pro rege nostro!?«

» Pro rege nostro,« sagte Graf Mensdorff, jedes Wort scharf betonend, »ja ich glaube es, – wenn Eure Majestät der rex Hungariae sein wollen!«

»Bin ich das nicht?« rief der Kaiser, – »was soll ich thun, um Ungarn für mich in's Feld zu führen?«

»Vergessen und vergeben« – sagte Graf Mensdorff, – »und den Ungarn ihre Selbstständigkeit unter der Krone des heiligen Stephan wiedergeben.«

Der Kaiser schwieg.

»Und die italienische Armee?« fragte er dann.

»Sie muß so schnell als möglich heraufkommen, um Wien zu decken und gegen den Feind vorzugehen!«

»Und was soll aus Italien werden?« fragte der Kaiser.

»Italien muß aufgegeben werden!« sagte Graf Mensdorff seufzend.

Der Kaiser blickte ihn durchdringend an.

»Italien aufgeben?« fragte er zögernd, und sinnend senkte sich sein Auge.

»Italien oder Deutschland!« sagte Graf Mensdorff – »und ich möchte der unmaßgeblichen Meinung sein, daß da die Wahl nicht schwer sein kann.«

»Schwer genug ist's, daß ich vor dieser Wahl stehe!« flüsterte der Kaiser.

»Erlauben Eure Majestät, daß ich mich deutlicher ausdrücke und meine Gedanken klar formulire. Eure Kaiserliche Majestät erinnern sich allergnädigst, daß ich vor dem Beginn des Kampfes mit schweren Besorgnissen dem Kriege auf zwei Kriegstheatern entgegensah, ich war der Meinung, Italien für die Wiedereroberung und Befestigung der Stellung in Deutschland zu opfern und die französische Allianz dadurch zu gewinnen. Damals konnte man indeß noch hoffen, ohne dieß Opfer nach beiden Seiten siegreich aus dem Kampf hervorzugehen, und Eurer Majestät großes und muthiges Herz hielt an dieser Hoffnung fest. Heute ist das nicht mehr möglich – heute muß die schmerzliche Wahl getroffen werden. Soll in Deutschland noch etwas erreicht – soll erhalten werden, was wir besitzen, – so müssen alle Kräfte Oesterreichs auf diesen Punkt konzentrirt, die Hauptkraft der italienischen Armee hieher gezogen werden und der Erzherzog Albrecht mit seinem bewährten Feldherrnblick muß das Kommando über alle Armeen übernehmen. – So allein ist ein Aufraffen möglich, – so allein ist es möglich, Deutschland auf der Seite Oesterreichs zu erhalten. – Denn,« fuhr er traurig fort, – »Eure Majestät dürfen sich darüber nicht täuschen, – der Eindruck von Königgrätz wird niederschmetternd auf die ohnehin vorsichtig zögernden und unvorbereiteten deutschen Bundesgenossen wirken. Schon ist Baden abgefallen –«

»Baden abgefallen?« rief der Kaiser heftig auffahrend.

»So eben, – unmittelbar nach meiner Rückkehr, und als ich mich anschickte, hieher zu gehen,« sagte Graf Mensdorff, »traf in der Staatskanzlei die Nachricht aus Frankfurt ein, daß der Prinz Wilhelm von Baden am 6. erklärt hat, unter den gegenwärtigen Umständen die weitere Mitwirkung der badischen Truppen bei der Bundesarmee versagen zu müssen.«

»Das ist also die erste Folge von Königgrätz!« sagte der Kaiser bitter. »Aber,« rief er mit flammendem Blick das Haupt zurückwerfend, – »sie könnten sich verrechnet haben, diese Fürsten, deren Vorfahren demüthig den Thron meiner Ahnen umstanden, – die Macht Oesterreichs ist erschüttert – aber nicht gebrochen – und noch einmal kann die Zeit kommen, wo Habsburg zu Gericht sitzt in Deutschland – zu strafen und zu belohnen! – Graf Mensdorff!« rief er entschlossen – »meine Wahl ist getroffen – Alles für Deutschland! – Aber,« fuhr er fort – wieder in düsteres Sinnen versunken – »wie soll das geschehen, soll ich, der Sieger, mich beugen vor diesem König in Italien, – Frieden anbieten, den man mir vielleicht verweigert –«

»Majestät,« sagte Graf Mensdorff, »der Ausweg findet sich vielleicht sehr einfach, wenn man die diplomatische Situation in's Auge faßt, wie sie bei dem Beginne des Krieges war. Der Kaiser Napoleon wünscht sehnlichst mit Italien in's Reine zu kommen – er hat für den Preis von Venetien seine Allianz angeboten vor dem Kriege – sollte dasselbe nicht jetzt zu erreichen sein? – Mein Rath, Majestät, ist der, Venetien an den Kaiser der Franzosen abzutreten, der es dann seinerseits an den König Viktor Emanuel überlassen kann und dafür seine Allianz oder wenigstens im unglücklichen Falle seine kräftige Intervention zu erreichen. Dadurch wird Italien gegenüber die Würde Oesterreichs gewahrt, jede direkte Verhandlung vermieden und die ganze Macht für den Kampf in Deutschland gewonnen – Wenn Eure Majestät befehlen, will ich sogleich mit dem Herzog von Gramont darüber sprechen und dem Fürsten Metternich Instruktion senden.« –

Der Kaiser schwieg lange in tiefes Nachdenken verloren. Bewegungslos saßen die drei Herren um ihn, man konnte ihre Athemzüge hören, – so still war es in dem Kabinet und von fernher drang das wogende Geräusch des großen bewegten Wiens heran.

Endlich erhob sich der Kaiser. Die drei Herren standen auf.

»So sei es denn!« sprach Franz Joseph tief ernst – »weder Spanien noch Italien haben meinem Hause Segen gebracht – in Deutschland hat seine Wiege gestanden, in Deutschland ist seine Größe erwachsen – in Deutschland soll seine Zukunft liegen! – Sprechen Sie sogleich mit Gramont,« fuhr er fort, »und Sie, Graf Crenneville, bereiten Sie Alles vor, um meinem Oheim das Gesammt-Kommando über alle meine Armeen zu übertragen und die Südarmee hieher zu ziehen. – General Knesebeck,« sprach er, sich zu diesem wendend, – »Sie stehen hier als Vertreter des heldenmütigsten Fürsten Deutschlands, – Sie sehen, daß der Erbe der deutschen Kaiser Alles für Deutschland opfert.«

»Ich wollte, daß ganz Deutschland Zeuge des hochherzigen Entschlusses Eurer Kaiserlichen Majestät sein könnte!« sprach der General bewegt.

»Und Ungarn, Majestät?« fragte Graf Mensdorff.

»Sprechen Sie mit dem Grafen Andrassy,« sagte der Kaiser mit leichtem Zögern, »und theilen Sie mir mit, was geschehen kann und was man dort – erwartet.«

Er winkte mit der Hand und neigte freundlich lächelnd das Haupt.

Mit tiefer Verneigung verließen die drei Herren das Kabinet.

Der Kaiser ging einige Male mit raschen Schritten auf und nieder.

»So ist denn verloren,« sagte er tief seufzend, indem er vor dem Fenster stehen blieb, »was der Degen Radetzky's erhalten hat – verloren jener Boden, auf dem so viel deutsches Blut geflossen! – Mag es sein!« – rief er nach einigen tiefen Athemzügen, – »wenn nur Deutschland mir erhalten bleibt!«

Er blickte sinnend vor sich nieder.

»Aber wenn ich Italien aufgebe,« flüsterte er, – »wie soll Rom, – wie soll die Kirche sich halten gegen die Wogen, welche dann ohne jeden Widerstand von allen Seiten gegen den Felsen Petri herandrängen?«

Und finsterer Ernst lagerte sich auf seine Stirn.

Nach einem leisen Klopfen trat der Kammerdiener durch die Thür der innern Gemächer.

»Graf Rivero,« sagte er, »bittet um Audienz, und da Kaiserliche Majestät befohlen haben, ihn stets zu melden – so –«

»Ist das eine Mahnung?« sagte der Kaiser leise – und er machte eine Bewegung, als wolle er den Empfang des Angemeldeten ablehnen.

Dann aber trat er vom Fenster zurück und sprach:

»Er soll kommen.«

Der Kammerdiener ging hinaus.

»Ich will ihn hören,« sagte der Kaiser – »jedenfalls hat er ein Recht auf Offenheit und Wahrheit!«

Die Thür der innern Gemächer öffnete sich wieder und der Graf Rivero trat ernst und traurig in das Kabinet.

»Sie kommen zu ernster Stunde, Graf,« redete der Kaiser ihn an, – »die Ereignisse dieser Tage haben viele Hoffnungen begraben!«

»Man darf gerechte und heilige Hoffnungen nimmer begraben, Kaiserliche Majestät,« antwortete der Graf – »ja wenn man selbst in das Grab steigt, muß man sie vertrauensvoll der Zukunft vermachen!«

Der Kaiser sah ihn forschend an.

»Ich will auch wahrlich die Hoffnung nicht ganz aufgeben,« sagte er mit einer gewissen Befangenheit.

»Majestät,« sprach Graf Rivero nach einer kurzen Pause, da der Kaiser nichts weiter äußerte, – »ich habe nur in äußern Umrissen das große Unglück gehört, – ich weiß aber nicht, in wie fern seinen Folgen begegnet werden kann und was Eure Kaiserliche Majestät zu thun beschlossen haben. – Allerhöchstdieselben wissen, daß in Italien Alles zur Erhebung für die heilige Sache der Religion und des Rechts bereit ist. Die Siege der österreichischen Waffen haben die militärische und moralische Macht des Königs von Sardinien tief erschüttert und der Augenblick ist gekommen, wo ich das entscheidende Wort sprechen muß, um die Flammen überall zu entzünden. – Um dieß zu thun, bitte ich um Eurer Majestät Befehle und frage Allerhöchstdieselben, ob der Aufstand in Italien auf die volle und kräftige Unterstützung der österreichischen Armee rechnen könne. – Ohne dieselbe würde das Opfer so vieler Existenzen unnütz sein und unserer heiligen Sache nur schaden.«

Der Graf hatte leise und ruhig, in dem ehrfurchtsvollen Tone des Hofmannes gesprochen, – aber dennoch lag in seiner Stimme eine tiefe, ernste Festigkeit, eine gewisse stolze Ueberlegenheit.

Der Kaiser schlug einen Augenblick die Augen nieder. Dann trat er dem Grafen einen Schritt näher und sprach langsam:

»Mein lieber Graf, – der Feind bedroht von Böhmen her die Hauptstadt, – die geschlagene Armee kann ohne Sammlung und Ruhe nicht operiren, ich bedarf der ganzen Kraft Oesterreichs, um die Folgen der Niederlage abzuwenden, den drohenden Schlag zu pariren – die Südarmee muß Wien decken und mit der wieder gesammelten böhmischen Armee die Möglichkeit einer neuen Offensive geben –«

»So wollen Eure Majestät Italien aufgeben?« sagte der Graf mit einem tiefen Seufzer, aber ohne ein Zeichen von Erregung, indem er den vollen Blick seines dunklen Auges fest auf den Kaiser richtete.

»Ich muß es« – sagte der Kaiser – »ich muß es, wenn ich nicht Deutschland preisgeben und die Stellung Oesterreichs vernichten will – es ist kein Ausweg –«

»So wollen Eure Majestät,« fuhr der Graf ruhig mit dem tiefen, metallischen Ton seiner Stimme fort, – »so wollen Eure Majestät die eiserne Krone Habsburgs für immer dem Hause Savoyen überlassen, Venetien, diese stolze Königin der Adria, dem Könige Viktor Emanuel ausliefern, dessen Armeen das Schwert Oesterreichs zerschlagen hat?«

»Nicht ihm!« rief der Kaiser lebhaft, »nicht ihm!«

»Und wem denn, Majestät?«

»Ich bedarf der französischen Hülfe,« sagte der Kaiser, – »ich muß die Allianz Napoleon's, deren Preis ich vor dem Kampf nicht zahlen wollte, – »ich muß sie erkaufen!« –

»So soll denn abermals diese dämonische Hand kalt und dunkel in das Schicksal Italiens greifen!« rief der Graf mit glühendem Blick, – »so soll Rom und der heilige Stuhl für immer der Willkür des früheren Carbonaro preisgegeben werden?«

»Nicht für immer,« sagte der Kaiser, – »wenn meine Macht in Deutschland wieder aufgerichtet ist, wenn es gelingt, die drohende Gefahr zu überwinden, dann wird der heilige Stuhl einen mächtigeren Beschützer haben, als ich es ihm jetzt sein könnte, und wer weiß,« – fuhr er lebhaft fort, – »Deutschland hat die Lombardei erkämpft in früheren Jahrhunderten –«

»So ist denn Alles verloren!« rief der Graf in unwillkürlichem Ausbruch mit tief schmerzlichem Ton. Schnell aber besiegte er das aufwallende Gefühl und sprach mit seiner gewöhnlichen Ruhe: »Ist Eurer Kaiserlichen Majestät Entschluß unwiderruflich – oder darf ich mir erlauben, einige Gründe gegen denselben auszusprechen?«

Der Kaiser schwieg einen Augenblick.

»Sprechen Sie!« sagte er dann.

»Eure Majestät hoffen,« sprach der Graf, »durch das Heraufziehen der Südarmee das geschehene Unglück redressiren und durch das Aufgeben Venetiens – das heißt Italiens – die Allianz Frankreichs erkaufen zu können. – Nach meiner Ueberzeugung sind beide Hoffnungen trügerisch.«

Der Kaiser blickte ihn mit Erstaunen und großer Spannung an.

»Die Südarmee,« fuhr der Graf fort, »wird viel zu langsam heraufkommen, um irgend wesentlichen Nutzen zu bringen, – denn Eure Majestät haben es mit einem Gegner zu thun, der nicht wartet und nicht still steht, – die beklagenswerthen Ereignisse, unter deren Eindruck wir stehen, geben davon Zeugniß. – Die französische Allianz aber, – wenn Eure Majestät sie erkaufen können, wird den Preis nicht werth sein, der dafür gezahlt wird, – denn – wie ich schon früher die Ehre hatte, Eurer Majestät zu versichern – Frankreich ist unfähig zu irgend einer militärischen Aktion.«

Der Kaiser schwieg.

»Dagegen aber,« fuhr der Graf fort, »geben Eure Majestät mit Italien ein großes Prinzip auf, Sie erkennen die Revolution an, – die Revolution gegen das legitime Recht – und gegen die Kirche, Sie entziehen dem kaiserlichen Hause von Habsburg jenen mächtigen Alliirten, der hoch über den Schlachtfeldern und den Kabinetten zu Gericht sitzt und die Schicksale der Fürsten und Völker nach seinem ewigen Willen lenkt. Eure Majestät geben die Kirche, Eure Majestät geben den allmächtigen Herrn auf, dessen Burg und Waffe auf Erden die heilige Kirche ist!«

Der Kaiser seufzte.

»Aber was soll ich machend« rief er schmerzlich, »soll ich den übermüthigen Feind in meiner Hauptstadt Wien einziehen lassen – kann ein flüchtiger Fürst Schützer der Kirche sein?«

»Eurer Kaiserlichen Majestät Vorfahren,« sprach der Graf, »sind wiederholt aus Wien geflohen und weil sie festhielten am Recht und an jenem ewigen und allmächtigen Alliirten ihres Hauses, sind sie stets ruhmvoll und mächtig wieder in ihre Hauptstadt eingezogen! – Außerdem,« fuhr er fort, »liegt noch viel zwischen dem Feinde und Wien. Die feindliche Armee ist ebenfalls schwer erschüttert, und daß Wien nicht preußisch wird, dafür bürgt Europa, – dafür muß Frankreich einstehen, – auch ohne jeden Preis, – England – selbst Rußland heute noch. – Lassen Eure Majestät die siegreiche italienische Armee unter dem erhabenen Erzherzog in gewaltigem Stoß vordringen und in wenig Zeit gehört Italien Ihnen, – der Alliirte Preußens ist zerschmettert und die heilige Kirche wird ihr gewaltiges Wort erheben für Oesterreich und Habsburg; dieß Wort wird gehört werden in Bayern, in Deutschland, es muß gehört werden auch in Frankreich, und mit neuer gewaltiger Kraft werden Eure Majestät sich erheben. Lassen Allerhöchstdieselben das eine Werk nicht unvollendet, um nach der andern Seite Halbes zu schaffen, verfolgen Sie den Sieg bis zum Ende, dann wird er rückwirkend das Unglück gut machen, – opfern Sie nicht den Sieg der Niederlage, sondern heilen Sie die Niederlage durch die Vollendung des Sieges!«

Der Graf hatte wärmer als sonst gesprochen. Wie ein magnetischer Strom flossen die Worte von seinen Lippen, ein reines Feuer leuchtete aus seinen Augen und eine prophetische Verklärung überströmte seine Züge.

Er hatte die Hand leicht erhoben und stand da in wunderbarer Schönheit, ein Bild überzeugender Beredsamkeit.

Der Kaiser blickte ihn tief ergriffen an, lebhafter Kampf zuckte in seinem Antlitz.

»Und auf der andern Seite,« fuhr der Graf fort, »wenn Eure Majestät Italien aufgeben, wenn Sie die ganze Kraft nach Norden werfen, – und wenn dann doch dieß Opfer die gewünschte Frucht nicht bringt, – wo werden Sie dann Beistand und Hülfe finden? – dauernden Beistand und sichere Hülfe? – Einmal fortgerissen auf jener Bahn, – einmal getrennt von dem ewigen und unwandelbaren Alliirten, wird die Trennung größer und größer, – sie wird zur Kluft werden und die Macht der Kirche wird nicht mehr für das abgefallene Oesterreich eintreten können. Und die Staatsmänner der Welt mögen diese Macht nicht unterschätzen,« rief er, sich stolz aufrichtend, – »wenn auch der zuckende Bannstrahl des Vatikans heute nicht mehr die Kronen von den Häuptern der Fürsten wirft und sie im Büßergewand vor den Thüren der Tempel stehen läßt – der Geist und das Wort der Kirche dringt mächtig und allgewaltig durch die Welt, und wenn der flammende Wetterstrahl den Fels nicht zerschmettert, so höhlt ihn der Tropfen aus! – Erwägen Eure Majestät ernst und reiflich, bevor Sie den ersten Schritt thun, der zur Trennung von der Kirche führt!«

Des Kaisers bewegtes Antlitz hatte sich leicht geröthet. Er erhob den Kopf; ein stolzer Strahl blitzte aus seinen Augen, leicht warf er die Lippen empor.

»Eurer Majestät kaiserlicher Bruder in Mexiko,« fuhr der Graf lebhaft fort, »wandelt den gefährlichen Weg, seine Macht zu suchen in weltlichen Stützen, er hat sich von der Kirche gewendet, – er ist ein Spielball in der Hand Napoleon's und der Weg, den er betreten, wird ihn tiefer und tiefer hinabführen –«

Der Kaiser richtete sich hoch auf.

»Ich danke Ihnen, Graf Rivero,« sprach er kalt, »daß Sie mir Ihre Meinung so ausführlich ausgesprochen. Mein Entschluß ist gefaßt – und unwiderruflich! – ich kann nicht anders. Ich hoffe, daß ich auf dem von mir betretenen Wege die Macht wieder gewinnen werde, der Kirche nützlich zu sein und zu dienen, wie es mein Herz mir gebietet.«

Die begeisterte Erregung verschwand von dem Gesichte des Grafen und seine Züge nahmen die gewohnte Ruhe, sein Auge den stillen, klaren Blick wie immer an.

Er wartete einige Augenblicke, und da der Kaiser schwieg, sagte er ohne eine Spur von Bewegung im Ton seiner Stimme:

»Eure Majestät haben keine Befehle weiter?«

Der Kaiser erwiederte freundlich:

»Leben Sie wohl, Graf, seien Sie von meiner aufrichtigen Geneigtheit überzeugt – und hoffen Sie mit mir auf die Zukunft, – was Sie gewollt, kann Gott künftigen Tagen vorbehalten haben!«

»Meine Hoffnung wankt niemals,« sagte der Graf ruhig, »denn die Zukunft gehört dem Lenker der Welt!«

Und mit tiefer Verbeugung verließ er das Kabinet.

Der Kaiser blickte ihm sinnend nach.

»Sie möchten die Tage von Canossa erneuern!« sagte er vor sich hin, – »sie täuschen sich – so will ich der Diener der Kirche nicht sein, ich will ringen und kämpfen um die Macht, ihr Schirmherr zu werden. – Und nun – an's Werk!«

Er schellte, der Kammerdiener erschien.

»Der Staatsrath Klindworth soll ohne Aufsehen gerufen werden!«

»Zu Befehl, Kaiserliche Majestät!«

Der Kaiser setzte sich vor seinen Schreibtisch und begann schnell verschiedene Papiere durchzusehen. Doch war diese Beschäftigung mehr mechanisch, seine Gedanken schweiften weit ab und oft sank das Papier, das er in der Hand hielt, langsam zurück, während sein Blick sich nachdenkend in das Leere richtete.

Der Staatsrath trat ein, das Gesicht mit den gesenkten Augen unbeweglich und undurchdringlich wie immer. Die Hände vor der Brust gefaltet, blieb er nach tiefer Verneigung in der Nähe der Thür stehen.

Der Kaiser blickte auf, als der Staatsrath eintrat, und erwiederte seinen ehrfurchtsvollen Gruß durch eine leichte Kopfneigung.

»Wissen Sie, was ich beschlossen habe, mein lieber Staatsrath?« fragte er, den Blick forschend auf das Gesicht Klindworth's gerichtet.

»Ich weiß es, Kaiserliche Majestät!«

»Und – was sagen Sie dazu?«

»Ich freue mich des Entschlusses Eurer Majestät!«

Der Kaiser schien verwundert.

»Sie stimmen damit überein,« fragte er, »daß ich Italien opfern will?«

»Um Deutschland zu halten, ja –« erwiederte der Staatsrath, – »von Deutschland aus können Eure Majestät Italien wiedererobern, von Italien aus niemals Deutschland.«

»Aber Sie waren gegen das Aufgeben Italiens vor dem Kampf?« fragte der Kaiser.

»Gewiß, Kaiserliche Majestät,« erwiederte der Staatsrath, – »weil ich von dem großen Metternich gelernt habe, daß man niemals etwas aufgeben müsse, was man hat und halten kann, daß man aber auch der Notwendigkeit stets Rechnung tragen, und wenn man gezwungen wird, etwas zu opfern, immer das opfern müsse, was man am leichtesten wiedererlangen kann.«

»Aber« – warf der Kaiser leicht hin, indem er einen kurzen, forschenden Blick hinüber richtete, – »man wird mir das in Rom sehr übel nehmen – man wird sich vielleicht feindlich gegen mich stellen.«

»Uebel nehmen – ja, Majestät,« erwiederte der Staatsrath, – »feindlich stellen – das wird nicht viel zu sagen haben, man wird ja Oesterreich immer wieder bedürfen. Die Kirche und ihr Einfluß ist ein mächtiger Faktor im politischen Leben – und die politischen Faktoren muß man benützen, aber sich nicht von ihnen beherrschen lassen, – das war einer der ersten Grundsätze Metternichs.«

Der Kaiser schwieg nachdenklich.

»Wenn ich aber Italien aufgegeben habe, so muß ich auch den Preis dieses Opfers gewinnen. – Glauben Sie, daß die französische Allianz wird erreicht werden?«

»Ich hoffe es,« sagte der Staatsrath, indem sein stechender Blick eine Sekunde lang unter den gesenkten Augenlidern hervorschoß, – »wenn die Diplomatie ihre Schuldigkeit thut!«

»– Wenn sie ihre Schuldigkeit thut!« sagte der Kaiser gedehnt. – »Mein lieber Staatsrath,« fuhr er fort, »Sie müssen sogleich nach Paris und alle Ihre Geschicklichkeit aufbieten, um den Kaiser Napoleon zum sofortigen aktiven Einschreiten zu bewegen!«

»Ich reise mit dem nächsten Kurierzug, Majestät,« sagte Klindworth ohne eine Miene zu verziehen.

»Sie kennen die Situation genau und wissen, worauf es ankommt?« fragte der Kaiser.

»Eure Majestät können sich auf mich verlassen,« sagte der Staatsrath.

Der Kaiser schwieg lange und bewegte die Finger leicht auf dem Tisch.

»Was spricht man in Wien?« fragte er endlich in gleichgültigem Ton.

»Ich kümmere mich sehr wenig um das, was man spricht,« sagte der Staatsrath mit einem kurzen, forschenden Blick auf den Kaiser, – »indeß habe ich doch soviel gehört, daß die Stimmung im Ganzen muthig ist und daß man Alles vom Erzherzog Albrecht und der italienischen Armee erwartet.«

»Spricht man – von meinem Bruder Maximilian?« fragte der Kaiser mit leicht gepreßter Stimme.

Wieder fuhr ein scharfer, lauernder Blick aus dem Auge des Staatsraths.

»Ich habe nichts davon gehört,« sagte er, – »wie sollte man auch darauf kommen?«

»Es gibt Leute,« sagte der Kaiser halb leise, »die bei jeder unglücklichen Katastrophe den Namen meines Bruders im Munde führen.« – Und abermals schwieg er, indem eine finstere Wolke über seine Stirn zog.

»Das beste Mittel,« sagte der Staatsrath, »daß ganz Wien nur Einen Namen nennt, ist, daß Eure Majestät sich öffentlich zeigen!«

»Wie das – soll ich etwa eine Praterfahrt machen?« – fragte der Kaiser noch immer mit finsterem Ausdruck.

»Majestät,« sagte der Staatsrath, »es sind so eben eine Menge österreichische und sächsische verwundete Offiziere angekommen und im goldenen Lamm in der Leopoldstadt untergebracht – darf ich mir eine unterthänige Bemerkung erlauben, so würde ich Eure Majestät bitten, diese Verwundeten zu besuchen, – das würde einen vortrefflichen Eindruck machen.«

»Sogleich!« rief der Kaiser – »und nicht wegen des Eindrucks, mein Herz drängt mich, diese Braven zu begrüßen und ihnen zu danken.«

Er erhob sich.

»Befehlen Eure Kaiserliche Majestät,« sagte der Staatsrath mit leiser, demüthiger Stimme, »daß ich mir das Reisegeld nach Paris auf der Staatskanzlei zahlen lasse?«

»Nein,« sagte der Kaiser. Er öffnete eine kleine Schatulle, welche auf dem Tische vor ihm stand, nahm zwei Rollen daraus und reichte sie dem Staatsrath.

»Genügt das?« fragte er.

»Vollkommen,« erwiederte dieser, indem ein funkelnder Blitz aus seinen Augen schoß, und mit der Hand die Rollen ergreifend, ließ er sie in die Tasche seines großen braunen Rockes verschwinden.

»Nun,« sagte der Kaiser, »reisen Sie schnell und kommen Sie bald zurück – wenn es nöthig ist, geben Sie mir auf dem bekannten Wege Nachricht, – vor Allem erreichen Sie – was möglich ist.«

Er nickte leicht mit dem Kopf. Der Staatsrath verneigte sich und verschwand schnell, ohne die Thüre weiter zu öffnen, als es unumgänglich nöthig war hindurchzuschlüpfen, und ohne das mindeste Geräusch.

Der Kaiser schellte und befahl seinen Wagen und den Flügeladjutanten.

Dann fuhr er nach dem goldnen Lamm und besuchte die verwundeten Offiziere.

Die Wiener, die ihn durch die Straßen fahren sahen im offenen Wagen, heiter und stolz, sagten: »Es muß halt so schlimm nicht sein, denn der Kaiser sieht ganz wohl und zufrieden aus.«

Als er aus dem Hotel heraustrat, hatte sich eine dichte Menschenmenge vor dem Hause versammelt und begrüßte den Kaiser mit lauten, enthusiastischen Hochrufen.

Mit hellem, stolzem Blick ließ er sein Auge über die Menge schweifen und stieg in den Wagen, indem er freundlich nach allen Seiten grüßte.

Da erhoben sich laut und deutlich nah und fern die Rufe: » Eljen! Eljen

Betroffen horchte der Kaiser auf und versank in tiefes Nachdenken, während der Wagen langsam die drängende Menge theilte und dann in schnellem Trabe zur Hofburg zurückfuhr.


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