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38. Kapitel

Mehrere Tage noch dauerte der Jubel und die Festesfreude in St. Petersburg; jedermann, der nur in irgendeiner Beziehung zum Hofe stand, suchte so sichtbar als möglich zu zeigen, wie sehr er sich des doppelten Sieges der Kaiserin über den äußeren und inneren Feind freue. Die Würdenträger des Reiches und die großen Herren des Hofadels wetteiferten miteinander, den Armen Geschenke zu machen und dem Volke auf ihre Kosten öffentliche Lustbarkeiten zu bieten, und das Volk freute sich all der guten Dinge, die ihm geboten wurden, um so lauter und herzlicher, als der Sieg über die Türken nicht nur dem Nationalstolz schmeichelte, sondern auch als eine besondere Gnadenbezeigung des Himmels für die rechtgläubigen Söhne des heiligen Rußlands angesehen und empfunden wurde. Am Hof selbst dagegen herrschte nach dem feierlichen Tedeum und dem großen Empfang, bei welchem die Kaiserin die Glückwünsche über die glückliche Wendung der Ereignisse entgegengenommen hatte, tiefe Stille; es schien, als ob Katharina zeigen wolle, daß sie dem Himmel wohl dankbar sei, aber doch eigentlich niemals an dem Siege ihrer Waffen über die Türken und die Rebellen gezweifelt habe, denselben vielmehr als etwas ganz Natürliches und Selbstverständliches betrachte. Sie ließ sich von ihren Ministern die gewöhnlichen Vorträge halten, sie hielt ihre Plauderstunden mit Diderot und beschränkte die Einladungen zu ihren Diners und ihren kleinen Abendgesellschaften noch mehr als sonst. Auch ihre nächsten Vertrauten sprachen nur ruhig und fast gleichgültig von den großen Erfolgen, welche das ganze Volk in einen jubelnden Freudentaumel versetzten; es war, wie man heute sagen würde, die »offiziöse« Parole ausgegeben, daß die Kaiserin den Sieg befohlen habe und daß also ihre Generale selbstverständlich gesiegt hatten.

Potemkin war für niemand sichtbar; er erschien weder bei den Diners und den kleinen Soupers in der Eremitage, noch nahm er die zahlreichen Besuche an, welche in seinem Vorzimmer erschienen, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Die weniger Eingeweihten begannen zu glauben, daß die Gunst, welche die Kaiserin ihrem Adjutanten zuwendete, nur eine flüchtige Laune gewesen sei, und der Andrang der Höflinge zu dem Vorzimmer des scheinbar vergessenen Adjutanten nahm merklich ab; diejenigen aber, welche tiefer in das innere Treiben des Palastes blickten und mit der vertrauten Dienerschaft der Kaiserin ihre Verbindungen unterhielten, wußten, daß Katharina täglich mehrere Stunden in dem Zimmer ihres Adjutanten zubrachte, und beeiferten sich um so mehr, demselben ihre Teilnahme und Ergebenheit durch regelmäßig wiederholte Besuche und Nachfragen zu erkennen zu geben, je dichter der Schleier des Geheimnisses seine Beziehungen zu der Herrscherin verhüllte.

Orloff zeigte eine sorglos sichere Heiterkeit; er lud täglich Offiziere der verschiedenen Regimenter zu glänzenden Diners ein, bei denen eine ausgelassene Lustigkeit herrschte. Er fuhr zu den Plätzen hinaus, auf denen das Volk seine Freudenfeste feierte, und mischte sich unter die Menge, welche ihm stets freudig zujubelte, da er es vortrefflich verstand, sich populär zu machen und bald mit einem kleinen Bürger oder Bauern ein Glas Wacholderbranntwein trank, bald mit vollen Händen Goldstücke auswarf und sich laut lachend an dem Ringen um dieselben ergötzte; auch war er regelmäßig zu den kleinen Gesellschaften der Kaiserin eingeladen, welche ihn mit ausgezeichneter Höflichkeit behandelte und die auffallende Szene bei dem großen Empfang entweder gar nicht bemerkt oder vollständig vergessen zu haben schien. Nur seine nächsten Vertrauten bemerkten eine krankhafte und fiebernde Unruhe an ihm: er sprach unaufhörlich, seine Hände zitterten, er lachte oft ohne Grund gellend auf und starrte dann wieder finster vor sich hin, so daß sein Bruder Alexis ihn oft besorgt betrachtete oder ihn dringend beschwor, die Kaiserin um eine Unterredung zu bitten, um sein Verhältnis zu ihr klarzustellen; aber hohnlachend wies Gregor solchen Rat zurück.

»Soll ich mich vor ihr demütigen,« rief er, »vor ihr, die ich auf den Thron gehoben? Zittern soll sie vor mir; sie weiß wohl, daß ich sie in meiner Hand halte. Ihren Galan habe ich gezeichnet, daß er es nicht mehr wagt, ans Sonnenlicht hervorzukommen; sie werden es beide nicht mehr wagen, mir zu trotzen!«

Dann stürmte er fort, ohne weiter auf seinen Bruder zu hören, und häufiger als je vorher betäubte er seine Unruhe in seinem Lieblingsgetränk von eiskaltem Champagner und Arrak, das ihm dann endlich in später Nacht den Schlaf brachte.

Der gefangene Pugatschew war endlich auch, von dem General Paul Potemkin eskortiert, in Petersburg eingetroffen. Auf Befehl der Kaiserin war derselbe in der Stille der Mitternacht und unter tiefem, streng bewahrtem Geheimnis in die Peter- und Pauls-Festung geführt worden, wobei man alle Straßen trotz der nächtlichen Einsamkeit streng abgeschlossen hielt.

Die Kaiserin wollte den Aufstand, nachdem derselbe niedergeworfen, für immer in tiefe Vergessenheit begraben; der Verbrecher sollte weder Gegenstand des Mitleids noch der Neugier werden.

Auch die höchsten Würdenträger hatten nichts von der Ankunft Pugatschews erfahren, und der General Paul Potemkin mußte, nachdem er von der Kaiserin mit besonderer Auszeichnung empfangen war, sogleich vor Tagesanbruch mit den Truppen der Eskorte die Stadt wieder verlassen und sich in einem benachbarten Dorfe einquartieren.

Mit nicht geringer Überraschung empfingen daher der Kriegsminister Graf Sachar Tschernitschew und der Fürst Gregor Orloff den Befehl, sich nach der Festung zu begeben und dort mit dem Gefangenen das erste Verhör vorzunehmen.

Der Fürst Orloff begrüßte diesen Befehl mit besonderer Freude; er erblickte in seiner Berufung zur Teilnahme an einer so wichtigen Sache ein Zeichen, daß Katharina es nicht wagte, ihn in seiner Stellung zu erschüttern. Er teilte diese Meinung seinem Bruder Alexis mit, und obgleich dieser immer noch sorgenvoll den Kopf schüttelte, fuhr er ganz stolz und zuversichtlicher noch als vorher zur bestimmten Stunde nach der Peter- und Pauls-Insel. Unmittelbar vor ihm war der Graf Tschernitschew angekommen.

Der Kommandant empfing die beiden hohen Würdenträger im Hof der Festung, wo die verstärkten Wachen unter dem Gewehr standen, und führte sie in einen Saal seiner Privatwohnung, in dessen Mitte ein mit Akten und Schreibmaterialien bedeckter Tisch aufgestellt war, neben welchem der erste Prokurator des obersten Gerichtshofes, der zur Führung des Protokolls bestimmt war, bereits wartete. Zwei Seitentüren dieses Saales, welche nach den übrigen Gemächern der Wohnung des Kommandanten führten, waren mit dichten, faltigen Portieren bedeckt. Der Fürst Orloff und Graf Tschernitschew nahmen auf den für sie bereitgestellten Lehnstühlen Platz, und unmittelbar darauf wurde Pugatschew unter starker Bedeckung eingeführt.

Die Soldaten, auf deren scharfgeladenen Gewehren die Bajonette aufgepflanzt waren, verließen den Saal wieder, um unmittelbar vor der Tür desselben, jedes Befehls gewärtig, Stellung zu nehmen.

Der Kommandant trat mit gezogenem Degen neben den Gefangenen und befahl demselben, auf einem hölzernen Schemel in einiger Entfernung Platz zu nehmen.

Pugatschews Erscheinung war erschreckend und mitleiderweckend. Er trug einen groben Kittel, seine Hände und Füße waren mit starken eisernen Ketten gefesselt, deren Enden wiederum an einem um sein Halsgelenk geschmiedeten Eisenring befestigt waren; sein Gesicht, über welches die langgewachsenen Haare herabhingen, war erdfahl, und seine von Körper- und Seelenleiden verzerrten Züge trugen den Ausdruck einer stumpfen Gleichgültigkeit; niemand hätte in diesem gebrochenen, jammervollen Menschen den stolzen Heerführer wiedererkannt, der noch vor kurzem über Hunderttausende gebot und sich mit der Kaiserkrone und dem Zeichen der höchsten priesterlichen Würde schmückte.

Er warf einen scheuen Blick von unten herauf auf die vor ihm sitzenden Herren; ein bitteres Lächeln zuckte um seine Lippen, als er an denselben das blaue Band des Andreasordens bemerkte, welches noch vor kurzem auch seine eigene Brust geschmückt hatte; dann setzte er sich auf den ihm bezeichneten Platz, senkte den Kopf auf die Brust und ließ die Hände unter der Last der klirrenden Ketten matt in seinen Schoß sinken.

Der Kommandant blieb mit gezogenem Degen neben ihm stehen.

Der Prokurator des obersten Gerichtshofes begann das Verhör; er hielt dem Gefangenen die Verbrechen der bewaffneten Rebellion gegen seine Kaiserin, die Ermordung der kaiserlichen Generale und Soldaten, die in seine Gefangenschaft geraten waren, und endlich den frevelhaften Mißbrauch des kaiserlichen Namens und der kaiserlichen Zeichen vor, indem er ihn bei jeder einzelnen Tatsache fragte, ob er sich der verbrecherischen Handlung schuldig bekenne.

Pugatschew antwortete auf alle diese Fragen mit kaum hörbarer Stimme ein leises »Ja«, und zuweilen begnügte er sich auch, nur durch ein Neigen des Kopfes sich zu der ihm vorgehaltenen Schuld zu bekennen. Nur bei der Frage, ob er Mitschuldige an seinem Verbrechen gehabt habe, richtete er sich auf, ein Funke der alten Willenskraft blitzte in seinen Augen und mit lauter Stimme antwortete er:

»Nein! Alle die tapferen Männer, die mir folgten, sind meine Mitschuldigen, aber wenn ich ein Verbrechen begangen habe, so haben sie keinen Teil an demselben, denn sie glaubten an mich und folgten mir in der Überzeugung, einer rechtmäßigen Sache zu dienen und das Vaterland von einer ketzerischen, frevelhaften und unrechtmäßigen Herrschaft zu befreien!«

Der Kommandant blickte bei diesen Worten ängstlich nach der einen der Seitentüren hin, an welcher die Falten der schweren Portiere sich leise bewegten.

Der Prokurator schrieb diese Antwort des Gefangenen nieder und führ mit erhöhter Stimme fort:

»Das schwerste Verbrechen aber, das du begangen hast, Yemelka Pugatschew, ist die freche, gotteslästerliche und verleumderische Lüge, daß du der vormalige Zar Peter Feodorowitsch wärest, dessen Gebeine längst im Gewölbe des Alexander-Newsky-Klosters ruhen, und daß du einst der Gemahl unserer erhabenen, von Gott gesegneten Kaiserin Katharina Alexiewna gewesen seist.«

»Ich habe es geglaubt«, erwiderte Pugatschew, indem er seine Hand mit der klirrenden Kette aushob und wie beteuernd auf sein Herz legte.

»Und du glaubst es noch?«

»Ich weiß es nicht,« erwiderte Pugatschew bitter und schmerzlich, »ich weiß es nicht, ob irgend etwas Wahrheit ist in der Welt, die mich umgibt, ob Gott mich geschaffen hat, in dieser Welt zu leben und zu leiden; ich weiß nicht, ob es einen Himmel oder eine Hölle gibt und ob ich einst diejenige wiederfinden werde, die ich allein auf Erden geliebt habe und deren treues Herz meine eigene Hand durchbohrte, um sie vor Schmach und Entehrung zu retten; aber das weiß ich, daß, wenn es eine Hölle gibt, der Teufel aus ihr emporgestiegen ist, welcher einst in meine Seele den furchtbaren Gedanken legte, daß ich ein doppeltes Leben gelebt habe und daß in mir der Kaiser Peter Feodorowitsch wieder aufgelebt sei.«

Er sank wie gebrochen zusammen und brach mit schwer arbeitender Brust in leises Schluchzen aus.

Tiefes Schweigen herrschte im Saale, und abermals sah der Kommandant, wie die Falten von der Portiere vor der Seitentür sich zitternd bewegten.

»Und wer war es, der diese Gedanken in deine Seele legte?« fragte der Prokurator; »denn wenn es so ist, wie du sagst, so wäre er dein wahrer, dein einziger Mitschuldiger, schuldiger noch als du selbst an all den Verbrechen, die du in wahnsinniger und frevelhafter Verblendung begangen.«

»Es war ein Mönch«, erwiderte Pugatschew. »Mußte ich seinen Worten nicht glauben, da er das Ordenskleid des heiligen Alexander Newsky trug, und da ich ihn für erleuchtet halten durfte von dem Geiste Gottes, da er mich aufsuchte in dem Kerker hier in dieser Festung, in welche mein verhängnisvoller Weg mich wieder zurückgeführt?«

»Hier in dieser Festung?« fragte der Prokurator, während Orloff, über den Tisch gebeugt, eifrig Notizen niederschrieb.

»Sie, Herr Kommandant, muß ich jetzt fragen, wer war jener Mönch, den Sie damals mit diesem Gefangenen hier verkehren ließen?«

»Ich kannte ihn nicht«, antwortete der Kommandant mit leicht zitternder Stimme; »sein Gesicht war verborgen unter dem Ordensgewande.«

»Und warum ließen Sie ihn mit dem Gefangenen verkehren?« fragte der Prokurator weiter.

»Ich tat meine Pflicht«, fuhr der Kommandant fort. »Jener Mönch brachte mir einen Befehl, der mir gebot, ihn mit dem Gefangenen verkehren zu lassen und ihm denselben zu übergeben. Der Kosak Yemelka Pugatschew war damals wegen eines geringen Vergehens verhaftet und wurde dann auch von jenem Mönch dem Befehl gemäß aus der Festung geführt.«

»Ja,« rief Pugatschew, »ja, er hat mir mein Pferd wiedergegeben und mir einen Beutel mit Gold in die Hand gedrückt, mit Gold, das aus der Hölle stammte; dann bin ich, von seinen Worten betört, hingezogen nach den Steppen meiner Heimat, hingezogen auf dem Wege, der mich wieder hierher geführt, nachdem ich mit meiner eigenen verfluchten Hand das Blut meiner geliebten, meiner süßen Xenia vergossen!« Tränen rannen über seine Wangen nieder, und die Ketten klirrten an seinen zitternden Gliedern.

»Warum aber war der Kosak damals verhaftet?« fragte der Prokurator.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte der Kommandant. »Ein Befehl Seiner Durchlaucht des Feldzeugmeisters,« fuhr er, scheu auf Orloff blickend, fort, »den er selbst überbrachte, gebot mir, ihn in Haft zu nehmen.«

»Und der Mönch,« fragte der Prokurator, schnell über diese Antwort hinweggleitend, weiter, »der Mönch? Wie kamen Sie dazu, Herr Kommandant, den Mönch zu dem Gefangenen einzuführen und ihn demselben zu übergeben?«

»Ein Befehl Seiner Durchlaucht des Feldzeugmeisters, den ich mir zu meiner eigenen Verantwortung aufbewahrt habe und noch vorlegen kann, befahl mir, so zu handeln«, erwiderte der Kommandant mit fester Stimme, indem er den finster drohenden Blick Orloffs ruhig aushielt.

Ein tiefes, langes Schweigen trat ein.

Orloffs zitternde Hand fuhr mit dem Bleistift über das vor ihm liegende Papier hin, unregelmäßige Linien durcheinander ziehend.

»So werden Eure Durchlaucht«, sagte der Prokurator ehrerbietig, »gewiß aus Ihrer Erinnerung eine Auskunft über jenen Vorgang und über die Person des geheimnisvollen, verbrecherischen Mönches geben können, der sich zu seinem dunklen Treiben wohl Ihre Unterschrift erschlichen und Ihr Vertrauen mißbraucht haben muß.«

Orloff fuhr auf, seine funkelnden Augen blitzten wild und drohend, seine Hand zerbrach den Bleistift in kleine Stücke, die er heftig auf den Tisch schleuderte.

»Fragt den Gefangenen,« rief er heftig, »wie es Eure Pflicht ist, und schreibt seine Antworten auf, aber wagt es nicht, Eure impertinenten Fragen an mich zu richten! Bin ich der Mann, den ein elender Schreiber wie Ihr verhören darf? Was Teufel kann ich wissen, woher jener elende Wisch gekommen ist! Ich schreibe hundertmal am Tage meinen Namen, und was geht es mich an, wenn man damit Mißbrauch treibt?«

Abermals trat eine tiefe Stille ein, und abermals bewegten sich die Falten der Portiere, diesmal noch lebhafter und bemerkbarer als vorher.

Der Kommandant stand in strenger, militärischer Haltung, die Spitze seines Degens zu Boden gesenkt, da.

Der Prokurator und Graf Tschernitschew blickten bei dem heftigen Ausbruch Orloffs verlegen vor sich nieder.

Pugatschew aber hatte sich schon bei den ersten Worten des Fürsten lauschend vorgebeugt, seine Augen funkelten, heiße Atemzüge drangen aus seinen geöffneten Lippen hervor. Er erhob die gefesselten Hände, als ob er irgend etwas Wesenloses fassen und halten wolle.

»Ha,« rief er, »diese Stimme, ich erkenne sie wieder; ich täusche mich nicht, zu tief ist ihr Klang in meine Seele gedrungen! Das ist die Stimme des Teufels, der in Mönchsgestalt mich lockend und versuchend auf den Weg zum Abgrund drängte, in den ich jetzt zerschmettert versunken bin. Ja, ja, er ist es,« rief er, Orloff, entsetzt anstarrend, »er ist es! Welche Gestalt er auch jetzt angenommen haben mag, er ist es, der Fürst der Hölle, der böse Geist der Lüge; hütet euch vor ihm, hütet euch! Und du, barmherziger Gott, sende deine Heiligen, um mich vor ihm zu schützen; mein Leben auf Erden hat er zerstört, rette meine Seele!«

Er war von seinem Schemel herab auf die Knie gesunken; seine weitgeöffneten Augen starrten entsetzt zu Orloff hinüber, mit seinen gefesselten Händen machte er vor Brust und Stirn das Zeichen des Kreuzes.

Orloff sprang wild auf; er schlug mit der Faust auf den Tisch und rief:

»Das ist die Frucht von Euren unverschämten Fragen. Wenn Ihr es wagt, elender Schreiber, den ersten Würdenträger des Reiches in Euer freches Verhör hineinzuziehen, so ist es kein Wunder, daß der Rebell dort in seinen wahnsinnigen Phantasien nicht minder tollkühn und verwegen ist. Was hat er zu verlieren? Ihr aber sollt mir Rechenschaft geben für Eure Vermessenheit, oder gilt es hier gar, eine Komödie zu spielen!?« rief er schnaubend vor Wut. Sein unstet umherrollendes Auge hatte es bemerkt, daß der Vorhang vor der Tür sich noch stärker als je vorher bewegte; es schien, als ob die Falten den Umriß eines menschlichen Körpers erkennen ließen, der sich neugierig lauschend vorbeugte.

Mit einem Sprunge stürzte sich Orloff auf die Portiere und riß die Falten auseinander.

Totenbleich, wie vom Blitz getroffen, taumelte er zurück. Erschrocken erhoben sich Graf Tschernitschew und der Prokurator.

Der Kommandant salutierte mit dem Degen, denn zwischen dem auseinandergerissenen Vorhang auf der Schwelle der Tür stand die Kaiserin; hinter ihr sah man Potemkin, dessen Auge mit einer schmalen, schwarzen Binde bedeckt war.

Katharina trat ruhig und ohne eine Spur von Befangenheit zu zeigen in den Saal.

»Führt den Gefangenen fort!« befahl sie dem Kommandanten. Dieser eilte zur Tür.

Die Soldaten traten ein und umringten Pugatschew, der noch immer auf seinen Knien lag und Orloff mit entsetzten Blicken anstarrte. Man hob ihn auf.

Willig ließ er sich fortführen; er schien die Kaiserin gar nicht bemerkt zu haben und klammerte sich, scheu rückwärts blickend, an die Soldaten seiner Wache an, als ob er bei ihnen Schutz suche gegen den Mann, dessen Stimme ihn so furchtbar erschreckt hatte.

Orloff stand mit verschränkten Armen da; mit Blicken voll wütenden Hasses starrte er Potemkin an, seine Lippen zuckten, seine Hände ballten sich, aber er sprach kein Wort und schien entschlossen, mit trotzigem Mut zu erwarten, was weiter geschehen werde.

Mit ruhiger Stimme sprach die Kaiserin:

»Ich habe diesem Verhör selbst beiwohnen wollen, um mir ein eigenes Urteil über den Unglücklichen zu bilden, der sich so schwer an der Ruhe und dem Frieden des Reiches versündigt hat. Was ich stets geglaubt, habe ich bestätigt gefunden: daß nur der Wahnsinn eines zerrütteten Geistes zu so ungeheuren Verbrechen führen kann. Jener Arme verdient mehr Mitleid als Haß und Abscheu. Eine krankhafte Vision hat seinen Geist verwirrt; die Erscheinung jenes Mönches, von dem er sprach und dessen Stimme er wieder zu hören glaubte, ist ein Erzeugnis seiner Fieberphantasie, und ich bin glücklich, daß nur der Wahnsinn einen Sohn des heiligen Rußlands zu solchem Hochverrat und solcher Gotteslästerung treiben konnte, wie sie jener Yemelka Pugatschew begangen hat.«

Orloff hatte die Kaiserin zuerst starr angesehen, als ob er ihre Worte nicht verstünde; endlich schien er aber den Sinn derselben zu begreifen und ein höhnisches, hochmütiges Lächeln zuckte um seine Lippen.

Tschernitschew blickte schweigend vor sich nieder, der Kommandant stand unbeweglich an der Tür; der Prokurator aber sagte kopfschüttelnd:

»Mit Eurer Majestät gnädiger Erlaubnis möchte ich bemerken, daß der Herr Kommandant von einer schriftlichen Order sprach, welche er zu seiner eigenen Verantwortung aufbewahrt habe und welche vielleicht über diese dunkle Sache die Aufklärung bringen dürfte, die im Interesse der Sicherheit des Reiches geboten erscheint.«

»Ich sehe vollständig klar«, fiel die Kaiserin schnell mit streng gebieterischem Ton ein, »und bedarf keiner Aufklärung weiter. Ich habe mich überzeugt, daß der unglückliche Rebell wahnsinnig ist, und ihr alle hier, hört es wohl, werdet das bezeugen, damit das ganze Volk wisse, daß kein Russe bei gesundem Sinn solchen Frevels fähig wäre. Diese Sache soll damit zu Ende sein, man soll nicht weiter nach Mitschuldigen forschen, alle gefangenen Rebellen sollen freigegeben werden. Man soll das Urteil über diesen Pugatschew sprechen. Vom Tode kann ich ihn nicht retten, die Gerechtigkeit verlangt ihre Sühne und ihm selbst wäre das Leben eine Last; aber keine qualvolle, grausame Strafe soll ihm zuteil werden, und ich werde die erste sein, die seine arme, kranke Seele in ihrem Gebet der Barmherzigkeit Gottes empfiehlt. Das ist mein Wille und ihr alle seid mir dafür verantwortlich, daß er pünktlich vollzogen wird!«

Sie grüßte mit einer Gebärde voll stolzer Hoheit und verschwand, von Potemkin gefolgt, in dem Nebenzimmer. Hier hüllte sie sich in einen Mantel und stieg an Potemkins Arm eine Seitentreppe nach einem der inneren Höfe der Festung hinab, wo sie ein geschlossener Wagen mit einem Kutscher ohne Livree erwartete.

Die Kaiserin stieg mit ihrem Adjutanten ein.

Die Wachen mußten in betreff dieses Wagens ihre Befehle haben, denn ungehindert fuhr derselbe durch das große Tor hinaus, passierte die Schiffbrücke und verschwand endlich in einem der Seitenportale des Winterpalais.

Kaum hatte sich die Kaiserin entfernt, als Orloff ohne Gruß, nur dem Kommandanten einen wütenden Blick zuwerfend, davonstürmte.

Unmittelbar nach der Rückkehr der Kaiserin fand von dem Winterpalais aus eine geheimnisvolle, von der immer noch freudig und festlich bewegten Bevölkerung der Stadt kaum bemerkte Bewegung statt. Graf Tschernitschew wurde noch auf seiner Rückkehr von der Festung von einem kaiserlichen Ordonnanzoffizier eingeholt, der ihm den Befehl brachte, unmittelbar bei Ihrer Majestät zu erscheinen.

Lange blieb die Kaiserin mit dem Kriegsminister und Potemkin eingeschlossen. Als endlich Graf Tschernitschew ernst und bewegt das Kabinett Ihrer Majestät verließ, fuhr er sogleich nach der Kaserne der Gardegrenadiere und bald ritten von dort aus Ordonnanzen in scharfem Trabe nach sämtlichen Kasernen der verschiedenen Garderegimenter; eine Stunde später wurden zum Erstaunen und Schrecken des Hofes die sämtlichen Wachen im Winterpalais verdoppelt und ein Bataillon Grenadiere rückte mit geladenem Gewehr und aufgepflanztem Bajonett in den Hof ein.

Der erste Schreck über diese außergewöhnlichen Maßregeln minderte sich aber bald, als, abgesehen von der Verstärkung der Wachen, alles im Palais seinen ruhigen Gang weiter ging und die Hofkuriere zahlreichere Einladungen als gewöhnlich für die Abendgesellschaft Ihrer Majestät umhertrugen, so daß man die Sicherheitsmaßregeln nur der allgemeinen Vorsicht wegen der in der ganzen Stadt herrschenden, allerdings freudigen, aber durch den reichlich verteilten Branntwein außerordentlich gesteigerten Aufregung zuschrieb; ebenso wurde es, da während dieser ganzen Tage stärkere Patrouillen für die Aufrechterhaltung der Ordnung zu sorgen hatten, wenig bemerkt, daß, als das Abenddunkel herabsank, zwei Bataillone der Gardegrenadiere zu Pferde aus der Kaserne rückten und im Schritt durch die belebten Straßen nach dem Tor hinritten. Der Kriegsminister Graf Tschernitschew selbst führte diesen Zug; er hatte einen weiten Mantel über seine Uniform geworfen und wurde in der Dunkelheit von niemand erkannt.

Als die Grenadiere das Tor passiert hatten, wurde der Befehl zu scharfem Trabe gegeben; und während im Palais die Eingeladenen sich in den glänzend erleuchteten, blumenduftenden Gemächern der Eremitage versammelten, ritten die Grenadiere in geschlossenem Zuge waffenrasselnd auf der einsamen Landstraße in die Nacht hinaus.


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