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25. Kapitel

Während so viele große und kleine Intrigen den Hof bewegten, stand der Feldmarschall Romanzow mit seiner durch die langen Kämpfe mit den Türken geschwächten Armee an den Ufern der Donau, schräg gegenüber der Festung Silistria. Er war vor einigen Monaten von der Übermacht der stets durch neue Zuzüge verstärkten türkischen Armee aus seinen Stellungen, die er bereits gegen Schumla vorgeschoben hatte, immer weiter zurückgedrängt worden und hatte endlich wieder über die Donau zurückgehen müssen, da sich ihm auf dem südlichen Ufer des Flusses keine festen Positionen boten, in denen er der ringsum heranflutenden Masse der Feinde hätte Widerstand leisten können.

Zwar war sein Rückzug über den Fluß hin, den er, von einem weit überlegenen Feinde verfolgt und umdrängt, in musterhafter Ordnung und ohne erhebliche Verluste ausgeführt hatte, ein strategisches Meisterstück gewesen. Dieser Rückzug war der glänzendste Beweis für Romanzows Feldherrngenie und mußte ihm in den Augen kriegswissenschaftlicher Kritik zu höherem Ruhm gereichen als eine gewonnene Schlacht.

Aber es war dennoch ein Rückzug gewesen, und im Krieg hat immer nur der Erfolg Geltung und Bedeutung. Alle Vorteile, welche Rußland bereits in dem Türkenkriege errungen, waren verloren oder doch in bedenklicher Weise in Frage gestellt; bereits war die Pforte, von dem ersten siegreichen Vordringen der russischen Armee erschreckt, zum Frieden bereit gewesen, und wenn Orloff nicht aus plötzlicher Furcht vor den Intrigen seiner Feinde den Kongreß von Fokschani im Stich gelassen hätte, so würde er dort haben den Frieden diktieren können. Nach seiner Entfernung aber hatten die Türken die Frist, welche ihnen dadurch gewährt wurde, schnell benutzt, um aus ihrem Reiche immer neue Truppen heranzuziehen; sie hatten die resultatlos hingezögerten Verhandlungen plötzlich unterbrochen und in übermächtigem Vorstoß die russische Armee, von der man in siegesgewisser Verblendung starke Korps nach Polen abkommandiert hatte, zurückgeworfen. Romanzow hatte, durch die Türken gedrängt, einen Platz zum Übergang über die Donau wählen müssen, der ihm eine verhältnismäßig ungünstige und gefährliche Stellung gab. Seine Armee stand unmittelbar am niedrigen Ufer des Flusses in einem nur durch mächtige Erdschanzen gedeckten Lager, das bei jeder starken Wasseraufstauung einer gefährlichen Überschwemmung ausgesetzt war. Unmittelbar hinter ihm befanden sich große, sumpfige Seen, und wenn es den Türken gelang, hier den Übergang zu erzwingen und ihn mit ihrer gewaltigen Übermacht anzugreifen, so schwebte die russische Armee in der höchsten Gefahr, gegen jene Seen zurückgedrängt und in dem sumpfigen, keinen Schutz bietenden und keine Bewegung gestattenden Terrain vollständig vernichtet zu werden. Dennoch mußte er diese so äußerst ungünstige und gefährliche Stellung um jeden Preis halten, denn sobald er das Ufer freigab, konnten die Türken bequem und ohne jedes Hindernis von Silistria aus mit ihrer gewaltigen Übermacht die ganze Walachei überschwemmen; dann aber blieb der russischen Armee in ihrer geringen Zahl nur die Wahl übrig, sich in hoffnungslosem, verzweifeltem Kampfe dem sicheren Untergange auszusetzen oder in schleunigem Rückzug die Südgrenze Rußlands dem Einfluß der türkischen Heere widerstandslos preiszugeben; damit aber wäre die stolze Überlegenheit, welche die russische Macht in Europa behauptete, gebrochen gewesen; die mühsam niedergehaltenen Polen würden sich auf die Kunde von dem Vordringen der Türken zu neuem Widerstande erhoben haben, und statt ihre kühnen Eroberungspläne verfolgen zu können, würde die Kaiserin gezwungen gewesen sein, einen schweren und gefährlichen Kampf um ihre Existenz aufzunehmen.

Der Schlüssel der gesamten politischen Situation lag also zu jener Zeit in dem Lager an der Donau, und das Schicksal Rußlands hing für lange hinaus von der Frage ab, ob die Türken einen Übergang wagen würden, der, freilich bei großen Verlusten, ihrer Übermacht bei festem Entschluß und richtiger Führung kaum hätte streitig gemacht werden können.

Auf diese drohende Möglichkeit war daher die ganze Aufmerksamkeit im russischen Lager gerichtet. Während der ganzen Nacht brannten helle Wachtfeuer an den Ufern der Donau, deren Schimmer den Fluß bis in die Mitte hin erleuchtete. Patrouillen streiften weit auf- und abwärts an der Donau; die Mannschaften durften sich erst in den Morgenstunden, wenn der Tag wieder anbrach, zur Ruhe niederlegen und mußten die ganze Nacht hindurch unmittelbar neben ihren Waffen und Pferden bereit sein, bei dem ersten Lärmsignal nach einem allen Offizieren mitgeteilten Plan in Schlachtordnung zu treten.

In der Mitte des Flusses zwischen dem türkischen und russischen Lager ragten aus dem Wasser einige ziemlich breite, mit Rasen und niederem Buschwerk bedeckte Inseln hervor, welche einem von den Türken versuchten Übergang einen wesentlichen Stützpunkt hätten bieten können.

Die Inseln waren ein Gegenstand der besonderen Aufmerksamkeit Romanzows. An jedem Abend, wenn die Dunkelheit herabsank, wurden die Geschütze einer Uferbatterie genau nach dieser Stelle hin gerichtet, und während der Nacht wurden dann in kurzen Zwischenräumen Bomben auf die Inseln geworfen, um zu verhindern, daß die Türken sich dort festsetzen konnten.

Indessen deutete auch von türkischer Seite nichts auf die Absicht eines Flußüberganges hin. Mochte nun der türkische Großwesir Mossum Oglu die Opfer an Menschenleben scheuen, welche ein solcher Übergang kosten mußte, oder mochte er Instruktionen haben, seine Operationen nicht über die Donau hinaus auszudehnen und an der Flußgrenze sich in defensiver Stellung zu erhalten, man bemerkte fast keine Bewegung im türkischen Lager; die verschiedenen Abteilungen blieben an ihren Plätzen und selten nur waren Patrouillen bemerkbar, welche über die Seite des Lagers hinausstreiften.

Der Großwesir hatte in Silistria selbst sein Hauptquartier aufgeschlagen. Weiter hinaus, unmittelbar dem russischen Lager gegenüber, kommandierte der Reis-Effendi, und man konnte seinen Roßschweif deutlich im Sonnenschein über seinem Zelt wehen sehen.

Gewissermaßen als ein Zeichen des Kriegszustandes zwischen den beiden in beobachtender Ruhe einander gegenüber lagernden Armeen warfen die Türken von Zeit zu Zeit einige Kanonenkugeln über den Fluß, ohne den Russen Schaden zu tun, und auch in der Nacht schossen die türkischen Batterien hin und wieder nach den am Ufer leuchtenden russischen Lagerfeuern, doch da sich die Mannschaften auf Romanzows Befehl stets in einiger Entfernung hinter aufgeworfenen Erdwällen hielten, so taten auch diese Schüsse weiter keinen Schaden, als daß sie zuweilen das eine oder das andere Feuer auseinandersprengten und auslöschten; sie dienten vielmehr zur Zufriedenheit Romanzows dazu, die russische Armee stets wach und aufmerksam zu erhalten.

Obgleich nun die Türken keinen entscheidenden Schlag wagten und auch keine Vorbereitungen zu einem solchen zu treffen schienen, so wurde doch die Lage Romanzows mit jedem Tage peinlicher und verhängnisvoller. Die nächste Umgebung war durch die Ernährung der Truppen fast ganz ausgesogen, und es mußte mit Mühe aus weit zurückliegenden Gebieten der Proviant herbeigeholt werden. Da die Bezugsquellen für die notwendigen Lebensbedürfnisse, namentlich auch für das Futter der Pferde an immer entlegeneren Orten gesucht werden mußten und immer weniger ergiebig wurden, bedurfte es der allerstrengsten und sorgfältigsten Einteilung, um die Armee gesund und kampffähig zu erhalten.

Trotz dieser strengen Ordnung herrschte dennoch oft Mangel, der den Mut der Soldaten zu lähmen begann, und es war vorauszusehen, daß beim Eintritt der schlechten Jahreszeit jede Möglichkeit der Verproviantierung aufhören mußte. Romanzow sah voraus, daß er dann dennoch zum Rückzug gezwungen sein würde; und wenn auch die herbstliche Jahreszeit die Gefahr eines Übergangs der Türken über die Donau ausschloß, so mußte doch der Rückzug vor den Augen Rußlands und ganz Europas als eine Niederlage erscheinen, deren Verantwortung am Hofe von Petersburg ausschließlich auf Romanzows Haupt gewälzt werden würde.

An einem schönen Nachmittag, dessen langsam zum Horizont hinabsinkende Sonne die Wellen des breiten Flusses und die buntbelebten Lagerbilder an seinen beiden Ufern mit ihren goldenen Strahlen beleuchtete, hatte Romanzow seine beiden Unterbefehlshaber, die Generale Kamenskoy und Suwarow, zu einem Kriegsrat in sein Zelt gerufen, über welchem die große Fahne mit dem Doppeladler weithin sichtbar im Winde wehte.

Vor dem Zelt des Feldmarschalls hielten zwei hochgewachsene Kürassiere des Moskauer Regiments mit gezogenem Pallasch die Wache. In weitem Umkreis umgab ein leerer Raum, den niemand unbefugt betreten durfte, das Zelt des Feldherrn, welcher sich stets mit tiefer Ruhe und Stille umgab, und so unermüdlich und aufopfernd er auch für das Wohl seiner Soldaten sorgte, dennoch niemals eine Annäherung an seine Person duldete. Düstern Blicks, unbeweglich standen die Kürassiere da, auch weiter hinaus im Lager herrschte trotz des schönen Sommerabends dumpfe Stille; man hörte keinen Gesang, keine lauten Stimmen, keinen Klang der Balalaika, mit welcher sonst die russischen Soldaten so gern ihre nationalen Tänze begleiten. Jeder einzelne fühlte den Ernst der Lage. Seit zwei Tagen erwartete man die Rückkehr eines Proviantkommandos. Die Rationen hatten auf das alleräußerste beschränkt werden müssen, und ohne die hohe Achtung und das fast abergläubische Vertrauen, welches alle Soldaten ihrem General entgegenbrachten, hätte vielleicht schon eine meuterische, unzufriedene Stimmung im Lager um sich gegriffen. Ebenso düster wie die salutierenden Kürassiere blickten die beiden Generale, als sie in das Zelt des Oberfeldherrn traten.

Der Generalmajor Alexei Wassiljewitsch Suwarow war damals fünfundvierzig Jahre alt, sein Gesicht zeigte den ausgeprägten slawischen Typus, und in seiner ganzen Erscheinung lag eine fast zynische Rauheit; seine Uniform war von grobem Tuch, und ohne die Epauletten und die Generalsfedern an seinem Hut hätte man ihn für einen gemeinen Feldsoldaten halten können.

Ganz das Gegenteil von ihm war der General Stephan Iwanowitsch Kamenskoy. Seine Gestalt war hoch und schlank, sein edles Gesicht zeigte vornehme Züge, und selbst durch den trüben Schleier, welcher die Blicke seiner hellen Augen verhüllte, blitzte doch noch kecker, frischer Lebensmut hervor. Er trug seine glänzende Uniform mit so viel Eleganz, als ob er eben von einem Hoffeste käme, und dem äußern Anschein nach hätte man ihn für einen jener Salonoffiziere halten können, denen man am Petersburger Hof so häufig begegnet, wenn er nicht bei jeder Gelegenheit tollkühnen Mut und eine kaltblütige Verachtung jeder Gefahr bewiesen hätte. Er war kaum vierzig Jahre alt, und seine geschmeidige und elastische Haltung ließ ihn noch jünger erscheinen.

Der Graf Peter Alexandrowitsch Romanzow war damals neunundvierzig Jahre alt. Er war außerordentlich hoch gewachsen und die Haltung seiner schlanken, wie aus Erz gegossenen Gestalt zeigte noch volle jugendliche Kraft und Frische. Sein wettergebräuntes Gesicht, das mit der langen, kühn geschwungenen Nase und den großen, flammenden, durchdringenden Augen dem Adler glich, trug freilich die Spuren der Arbeit, der Sorgen und Kämpfe eines kriegsgewohnten, unter den Entbehrungen und Anstrengungen des Feldlagers verbrachten Lebens; sein militärisch frisiertes Haar war stark ergraut und trug keinen Puder; er trug auf der Generalsuniform den Stern des Alexander-Newsky-Ordens und empfing die beiden Generale, ernst und fast feierlich ihren Gruß erwidernd, neben einem großen hölzernen Tische in der Mitte seines Zeltes, auf welchem eine Karte ausgebreitet war und welcher nebst einigen hölzernen Stühlen und einer Pritsche mit Decken und Bärenfellen die ganze Ausstattung der Lagerwohnung des Generals bildete.

Suwarow und Kamenskoy nahmen auf Romanzows Wink neben ihm Platz, und er begann mit seiner tiefen, sonoren Stimme, deren voller, metallischer Klang schon oft das wilde Tosen der Schlacht übertönt und die ermattenden Soldaten mit neuer Begeisterung erfüllt hatte:

»Ich habe Sie rufen lassen, meine Herren, weil der Augenblick eines entscheidenden Entschlusses gekommen ist. Es ist nicht meine Gewohnheit, Rat zu suchen, wo es meine Pflicht und mein Recht ist, zu beschließen und zu befehlen; aber der Beschluß, der heute zu fassen sein wird, geht um die Ehre und das Leben; und wenn ich auch über das Leben aller Offiziere und Soldaten meiner Armee im Dienste der Kaiserin und des Vaterlandes verfügen darf, so muß ich doch Ihre Meinung hören, wo es um die Ehre geht.«

Kamenskoy blickte gespannt in Romanzows Gesicht. Suwarow saß zusammengebeugt, mit untergeschlagenen Armen da; kaum schien er auf die ernsten Worte des Feldmarschalls geachtet zu haben.

»Sie kennen unsere Lage«, fuhr Romanzow fort; »ich habe nicht nötig, Ihnen dieselbe zu erklären. Die militärische Notwendigkeit gebietet uns den Rückzug; nur kurze Zeit noch vermag ich die Armee zu ernähren. Ich muß als General die Truppen, welche die Kaiserin mir anvertraut hat, dem Vaterlande erhalten, und vielleicht wäre es möglich, dennoch alles wieder gutzumachen, wenn die Türken uns folgen und unklug genug sind, die schlechte Jahreszeit in den Sümpfen der Moldau zu erwarten.«

»Und wenn die Kaiserin uns Hilfe schickt«, sagte Kamenskoy; »wir haben höchstens noch siebzehntausend Mann und hundertundfünfzigtausend stehen uns gegenüber.«

Suwarow nickte schweigend mit dem Kopfe, um seine Zustimmung auszudrücken.

»So würde ich handeln müssen«, sagte Romanzow, »wenn ich meinen Entschluß der militärischen Notwendigkeit gemäß zu fassen hätte, aber unsere Lage ist eine andere. Sie wissen,« fuhr er fort, während Kamenskoy atemlos lauschte und selbst auf Suwarows Gesicht sich eine wachsende Spannung zeigte, »Sie wissen, daß ich Ihrer Majestät die Meldung gemacht habe, wir seien der erdrückenden türkischen Übermacht nicht gewachsen und bedürfen zum Schutze der mehr und mehr bedrohten Grenze starker und schneller Hilfe.«

»Und die Kaiserin hat nicht geantwortet?« rief Kamenskoy unmutig.

»Sie hat geantwortet,« sagte Romanzow finster, »ich aber habe ihre Antwort verschwiegen, weil sie das Todesurteil gewesen sein würde für so viele tapfere und treue Soldaten, sobald sie bekannt geworden wäre!«

»Sie hat geantwortet!« rief Kamenskoy; »und wie lautet ihre Botschaft? Ihre einzige Antwort kann nur die Sendung eines Hilfskorps sein.«

Romanzow schüttelte den Kopf.

»Hier ist ihre Antwort,« sagte er, indem er aus seiner Brieftasche ein Blatt Papier nahm und dasselbe dem General reichte, »lesen Sie selbst!«

Kamenskoy schlug das Blatt auseinander und las mit einer Stimme, die in jedem Wort zu dumpferem Ton herabsank: »Der Marschall Peter Alexandrowitsch Romanzow meldet mir, daß ihm die Türken in dreifacher Übermacht gegenüberstehen. Die Römer fragten niemals, wie stark ihre Feinde seien, sondern nur, wo dieselben ständen, um sie anzugreifen und zu schlagen.«

»Die eigene Handschrift der Kaiserin,« sagte er mit trüben Blicken, das Haupt gesenkt, indem er Suwarow das Blatt reichte, »in der Tat, das ist das Todesurteil der Armee!«

»Und ich würde nicht gezögert haben«, fuhr Romanzow fort, »dasselbe zu vollstrecken, denn nach diesem Brief der Kaiserin existiert für mich keine politische und keine strategische Rücksicht mehr, es gibt nur noch das unbeugsame Gebot der Soldatenehre. Aber ich habe gezögert, weil ich durch denselben Kurier, der mir das kaiserliche Schreiben brachte, einen Brief unseres langjährigen Waffengefährten, des Generals Potemkin, erhielt.«

»Ihm hat das Glück gelächelt«, fiel Kamenskoy mit bitterem Hohne ein; »er sonnt sich in den Strahlen der höchsten Gunst und soll allmächtig sein, so daß selbst Orloff nichts gegen ihn vermag.«

»Er ist der Gunst und des Glückes würdiger als jener,« unterbrach ihn Romanzow, »er war ein mutiger Soldat und ein treuer Kamerad. Nun denn,« fuhr er fort, »Potemkin schrieb mir, ich möge den Befehl der Kaiserin nicht so schnell befolgen und eine Zeitlang das Geheimnis darüber bewahren, es sei dafür gesorgt, mich in den Stand zu setzen, daß ich jenen Befehl würde ausführen können, ohne meine Armee, den letzten Schutz des Reichs, nutzlos zu opfern. Da ich Potemkin kenne und ihm vertraue, so habe ich gewartet; ich habe diesen Befehl verschwiegen, von Tag zu Tag habe ich gehofft, daß seine Verheißung sich erfülle. Sie, meine Herren,« sagte er knirschend, »Sie werden wissen, was es für einen Soldaten heißt, zu warten, wenn die Ehre seines Namens, der mühsam errungene Preis eines Lebens voll Kampf und Aufopferung, auf dem Spiel steht. Dennoch habe ich gewartet, weil ich Gott und dem Vaterlande Rechenschaft zu geben habe von allen diesen blühenden Menschenleben, welche in meine Hand gegeben sind; aber keine Hilfe ist gekommen, keine neue Botschaft habe ich erhalten, und der verhängnisvolle Befehl ist nicht zurückgenommen; eine längere Zögerung ist nicht möglich. Ich glaube nicht, daß Potemkin mich getäuscht hat, vielleicht hat er sich selber getäuscht über seinen Einfluß, vielleicht ist der Strahl des Glückes und der Gunst, der sein Haupt umspielte, schon wieder erloschen. Jeden Augenblick kann eine Mahnung der Kaiserin eintreffen, und eine solche Mahnung würde nicht nur das über die Armee verhängte Todesurteil wiederholen, sondern auch ein Todesurteil sein für Romanzows Ehre. Wir müssen also angreifen und den Übergang über den Fluß wagen.«

»Die Hälfte der Truppen«, rief Kamenskoy, mit der geballten Faust auf den Tisch schlagend, »wird bei dem Übergange in den Fluß geschleudert werden und ertrinken, die andere Hälfte wird am anderen Ufer niedergemetzelt werden, die Grenzen werden offen stehen und die türkischen Horden werden sich wie ein verheerender Strom in das Innere des Reichs wälzen!«

»Aber Romanzows Ehre wird in die Zukunft hineinleuchten, wie sie geleuchtet hat in der Vergangenheit!« rief der Oberfeldherr; »was Leonidas getan hat, können wir auch tun, und wir werden es tun!«

»Und wenn Gott will,« sagte Suwarow, welcher bis jetzt über den Brief der Kaiserin gebückt dagesessen hatte, »wenn Gott es will, werden wir dennoch siegen. Ein Soldat darf nicht an dem Siege verzweifeln, solange er noch aufrechtstehen und die Spitze seines Degens gegen den Feind zücken kann.«

»Ich verzweifle nicht,« sagte Romanzow, »aber ich vermag nicht zu hoffen; doch gleichviel, ich sehe, Sie sind einig mit mir darüber, daß wir schlagen müssen. Unsere Losung heißt: vorwärts! An uns ist es, den Würfel rollen zu lassen; Gott wird entscheiden, wie er fallen soll.«

Eine augenblickliche Stille trat ein.

Kamenskoy saß finster mit verschränkten Armen da.

Suwarow beugte sich über die auf dem Tische ausgebreitete Karte.

Da hörte man die Wachen vor dem Zelt klirrend das Gewehr präsentieren, schnelle Schritte näherten sich, eine laute Stimme fragte nach dem General.

»Vielleicht ist es zu spät,« sagte Romanzow erbleichend, »vielleicht verlangt es das Verhängnis, daß das Opfer gebracht werde, ohne die Ehre zu retten.«

Die Vorhänge wurden auseinandergeschlagen. Der General Soltikow trat atemlos ein.

»Du hier, Sergius Semenowitsch?« rief Kamenskoy, indem er, schnell aufspringend, dem Eintretenden entgegeneilte, der mit militärischem Gruß zu dem Tische herantrat.

»Was bringen Sie, General?« fragte Romanzow, sich erhebend, mit leicht zitternder Stimme.

»Ich bringe Hilfe,« rief Soltikow, »sechs Bataillone, fünf Schwadronen und dreißig Feldgeschütze, die besten Truppen der polnischen Armee! Ich habe sie selbst ausgewählt und in Eilmärschen hierher geführt, ich habe die Infanterie auf Wagen gesetzt und so viel Proviant mitgeführt, als ich auftreiben konnte. Die Spitze meines Korps steht eine halbe Stunde von hier, die Truppen sind gut und frisch, während der Nacht können sie alle in das Lager rücken. Ich bin vorausgeeilt, um die gute Botschaft zu bringen und mich unter den Befehl des großen Romanzow zu stellen, der uns zu neuen Siegen führen wird!«

Romanzow drückte die Hand auf sein Herz und schlug mit glücklichem Dankesblick die Augen auf.

»Mit der Verstärkung«, sagte Kamenskoy kopfschüttelnd, »sind die Türken immer noch viermal so stark als wir.«

»Ich zähle den Feind nicht«, sagte Romanzow; »ich zähle nur unsere Macht, und diese Macht ist jetzt stark genug. Das Bewußtsein, daß die Hilfe da ist, wird den Mut und die Kraft eines jeden Soldaten verdoppeln. Wir waren entschlossen, uns zu opfern, um ehrenvoll unterzugehen, nun werden wir schlagen, um ruhmvoll zu siegen, und zwar heute noch, diese Nacht noch, ehe die Soldaten Zeit finden, die Verstärkungen zu zählen, denn wir haben nicht mehr Zeit, zu warten, wenn nicht der Hunger sich mit den Türken verbinden soll. Wir dürfen nun nicht mehr das Wort der Kaiserin furchtsam geheim halten«, fügte er hinzu, indem er Katharinas Brief Soltikow reichte.

»Ja,« rief dieser mit blitzenden Augen, »ja, so soll es sein, der nächste Tag soll unserem Siege leuchten, das Wort der Kaiserin und Romanzows Heldenblick wird uns unüberwindlich machen.«

Eine Stunde noch saßen die Generale in Romanzows Zelt beisammen, nachdem Soltikow einen Adjutanten mit dem Befehl abgesendet, daß seine heranrückenden Truppen hinter einem kleinen Höhenzuge in unmittelbarer Nähe des Lagers stehenbleiben sollen. Dann als die Sonne sich senkte und die Lagerfeuer am Ufer angezündet wurden, deren Rauchwolken schon während der Dämmerung das Lager der Türken verhüllte, begab sich jeder der Führer zu seiner Abteilung.

Romanzow versammelte seinen Stab und seine Ordonnanzen vor seinem Zelt, und sogleich begann eine emsige, geschäftliche, aber pünktlich geordnete und in tiefe Stille gehüllte Tätigkeit in dem ganzen Lager, jeder Offizier rief seine Leute zusammen, um ihnen die Worte der Kaiserin mitzuteilen und ihnen zugleich zu verkünden, daß zahlreiche Verstärkungen vor dem Lager stünden und daß der General Romanzow sie mit dem ersten Morgengrauen über die Donau führen werde, wo ihnen der Sieg gewiß sei, unsterblicher Ruhm erwarte sie und die reichen Vorräte in dem türkischen Lager würden allen ihren Entbehrungen ein Ende machen.

Die Worte der Kaiserin begeisterten die durch die lange Untätigkeit ermüdeten und niedergedrückten Truppen, niemand zweifelte daran, daß Romanzow siegen müsse, sobald er nur den Entschluß faßte, zu schlagen, und als in der Dunkelheit Soltikows Truppen heranrückten, als der Proviant, den sie mit sich führten, verteilt wurde, da stieg die Siegeszuversicht immer höher, und mit unermüdlichem Eifer führten die Soldaten alle Befehle aus, welche Romanzows Ordonnanzen den einzelnen Abteilungen überbrachten.

Mit unerhörter Schnelligkeit wurden die breiten Flöße, welche Romanzow während der Zeit seiner gezwungenen Ruhe vorsorglich hatte anfertigen lassen, nach dem Ufer geschafft. Als die Dunkelheit vollkommen hereingebrochen war, wurde eine Anzahl der schwersten Geschütze auf Flöße, deren Ruder man mit Werg umwickelt hatte, nach den Inseln in der Mitte des Flusses hinübergeschafft. Soltikow setzte mit zwei Bataillonen ebenfalls nach diesen Inseln über, und alle Truppen rückten in geschlossenen Abteilungen unmittelbar an das Ufer heran, Romanzow in der Mitte, Suwarow auf dem rechten und Kamenskoy auf dem linken Flügel.

Während all dieser so schnell und sicher ausgeführten Vorbereitungen brannten ruhig die Lagerfeuer weiter, es war den Soldaten auf das strengste verboten, nur ein Wort zu sprechen, und von der anderen Seite des Flusses mußte das russische Lager ebenso ruhig und schweigsam erscheinen wie in jeder der vorhergegangenen Nächte.

Endlich dämmerte am Horizont das erste Morgengrauen auf, die Feuer erblaßten, und man begann die Umrisse der Schanzen und Zelte an den beiden Ufern des Flusses zu erkennen. Da eröffneten krachend die auf den Inseln aufgestellten Batterien ihr Feuer, die Kugeln schlugen verheerend in das türkische Lager ein. Bald waren die gegenüberliegenden Schanzen zerstört, man konnte deutlich erkennen, wie die Türken von der dem russischen Feuer ausgesetzten Stelle weit zurückflohen, wie im ganzen türkischen Lager alles in wilder Unordnung gegeneinander lief.

In demselben Augenblick, als die Geschütze ihr Feuer begannen, stießen von den Inseln und von dem Ufer die mit Truppen besetzten Flöße ab und durchschnitten, von zahlreichen Ruderern pfeilschnell vorwärts getrieben, die Wellen des Flusses. Allen voraus führte Soltikow eine Abteilung Grenadiere von den Inseln her nach dem türkischen Ufer hinüber. Die Kugeln aus den Batterien flogen über ihn hinweg und hielten den Landungsplatz für die Vorhut des so plötzlichen und unerwarteten Angriffs frei. Soltikow selbst stand mit gezogenem Degen an der Spitze des vordersten Floßes, eingehüllt in den Schaum der vor dem Fahrzeug aufspritzenden Wellen.

Als er sich dem Ufer näherte, schwieg das Feuer der Batterien in seinem Rücken, das bisher die Türken von der Landungsstelle verscheucht hatte.

Noch einige Schritte war das erste Floß vom Ufer entfernt, da sprang Soltikow mit einem mächtigen Satze an das Land, hoch schwang er die im ersten Morgenlicht blitzende Klinge seines Degens und rief mit weithin schallender Stimme:

»Es lebe unsere erhabene Kaiserin Katharina Alexiewna, die Siegreiche und Unüberwindliche!«

Einige Kugeln zischten um ihn her, die vor dem Geschützfeuer geflüchteten Türken hatten ihre Glieder geschlossen und rückten im schnellen Schritt gegen das Ufer vor. Zugleich sammelten sich die Türken in der ganzen Ausdehnung des Lagers von ihrer ersten Bestürzung, überall krachte den über den Fluß heranrückenden russischen Truppen lebhaftes Geschütz- und Gewehrfeuer entgegen, aber auch die russischen Batterien warfen ihre Kugeln herüber. Die Mannschaften auf den Flößen antworteten mit schnellem, sicherem Feuer. Die Türken waren durch den plötzlichen Angriff verwirrt, sie glaubten, daß gewaltige Streitkräfte vom Norden herangezogen seien, und schossen schlecht, so daß die Angreifer nur wenig Verluste hatten und die Flöße sich immer mehr dem jenseitigen Ufer näherten.

Eine Strecke unterhalb führte Suwarow persönlich die Kavallerie über den Fluß. Jeder Mann stand auf dem Floß neben seinem Pferde, und die Tiere, durch das Lagerleben mehr als sonst an ihre Leiter gewöhnt, hielten ruhig und geduldig den schweren Übergang aus; sie wurden durch das feindliche Feuer nicht beunruhigt, indem die Türken alle ihre Aufmerksamkeit auf den Mittelpunkt des Angriffes richteten, wo Romanzow immer neue Bataillone über den Fluß schickte, sich selbst erst den letzten Truppen anschließend.

Soltikow war inzwischen mit der geringen Mannschaft, die sich zuerst mit ihm eingeschifft hatte, hart bedrängt worden, von allen Seiten stürmten die Türken mit mörderischem Feuer und wilden Allahrufen heran, und jedes neu landende Bataillon zog immer die doppelte und dreifache Anzahl türkischer Truppen zu diesem Punkte heran, aber die Russen standen unerschütterlich, sobald ein Mann fiel, schlossen sich die Glieder augenblicklich wieder. Regelmäßig, wie auf dem Exerzierplatz, folgten die Salven aufeinander und richteten furchtbare Verheerungen unter den unregelmäßig schießenden Türken an. Soltikow stand in der Mitte der Seinen, den erhobenen Degen in der Hand, ohne daß ein Muskel seines stolzen, bleichen Gesichts zuckte. Ruhig und klar tönten seine Kommandoworte durch das Kampfgetümmel; er schien unverwundbar zu sein, denn obgleich sein Hut bereits von den feindlichen Kugeln fortgerissen war, floß ihm noch kein Tropfen Blut auch nur aus der kleinsten Wunde; seine kalte Ruhe flößte seinen Soldaten immer mehr Vertrauen ein. Trotz dieses heldenmütigen Kampfes aber wurde seine Lage immer bedenklicher, denn immer neue Massen stürmten gegen ihn heran. Der Großwesir selbst war von Silistria herangesprengt und führte die besten Regimenter seiner Armee gegen den Mittelpunkt des feindlichen Angriffs.

Nur langsam aber konnten von der anderen Seite des Flusses die russischen Bataillone nachfolgen, da ein Teil der Flöße immer wieder zurückfahren mußte, um neue Truppen herüberzuführen. Immer enger wurde das von Soltikow gebildete Viereck zusammengedrängt, ein Wall von Türkenleichen umgab dasselbe, aber über diesen Wall hin stürmten stets neue Scharen heran. Der türkische Feldherr erkannte, daß hier der Schlüssel der Entscheidung lag und daß es vor allem darauf ankam, den Mittelpunkt der russischen Stellung zu durchbrechen und neue Landungen zu verhindern.

»Haltet aus«, rief Soltikow den Seinen zu, »und bedenkt, daß, wenn wir fallen, das Vaterland uns mit ewigem Ruhm nennen wird, wenn unser Tod den Sieg erkauft und die Ehre der russischen Waffen rettet. Es lebe Katharina Alexiewna, unsere große Kaiserin!«

»Es lebe Katharina Alexiewna!« riefen die Soldaten wie aus einem Munde.

Von neuem krachten ihre Salven den Türken entgegen. Hunderte stürzten, wieder andere Hunderte stürmten über die Leichen heran.

Romanzow hatte sich mit den letzten Bataillonen eingeschifft, in breiter Front kamen die Flöße über den Strom heran, mit äußerster Kraft arbeiteten die Ruderer.

Der General stand voran, er schwenkte seinen Hut hoch empor und rief mit einer fast übermenschlich klingenden Stimme laut über den breiten Strom hinüber:

»Steht, im Namen Gottes und des heiligen Georg – wir kommen – steht, bis wir bei euch sind!«

Und Soltikows Soldaten standen, aber immer mehr von den Ihrigen brachen zusammen, immer enger schloß sich das Viereck, immer mehr wurden sie von den Türken umwogt und an das Ufer herangedrängt, fast schien es unmöglich, daß sie den Platz halten konnten, bis Romanzow herankam, und wenn sie in den Fluß geworfen und vernichtet wurden, so war hier kaum eine Landung mehr möglich. Schon nahte der Wesir selbst dem Platze der Entscheidung, man sah seinen Roßschweif hoch heranwehen, wilder klang das Allahrufen der Türken, immer dichter kletterten sie über die vor ihnen aufgehäuften Leichenhaufen hin. Verzweiflungsvoll blickte Soltikow umher, er schwenkte seinen Degen und trat aus der Mitte der Seinen heraus, um im persönlichen Kampfe sein Leben einzusetzen.

Da plötzlich verstummte das wilde Siegesgeheul der Türken, ihre Reihen standen und wogten dann unruhig hin und her, ohne weiter vorzudringen.

»Feuer!« rief Soltikow; »nur kurze Zeit noch gilt es, uns zu halten. Blickt rückwärts, schon ist der General über die Hälfte des Flusses heran!«

Die Salven krachten, in demselben Augenblick aber dröhnte die Erde, ein dumpfes, erschütterndes, wildes Geschrei klang von der Seite her, man sah Klingen und Helme im Sonnenlicht funkeln und wie ein Wettersturm brausten Romanzows Kürassiere, von Suwarow geführt, heran, die Türken vor sich hertreibend und alles niederwerfend unter den Hufen ihrer Rosse und den wuchtigen Hieben ihrer Pallasche.

Suwarow hatte, während die ganze Aufmerksamkeit der Türken sich im Kampfe auf den Mittelpunkt richtete, seine Reiterei über den Fluß geführt und stürmte nun gerade im äußersten Augenblick heran, um Soltikows zusammengeschmolzene Schar vom Untergange zu retten. Den Kürassieren folgte ein Regiment Kosaken.

Die türkischen Haufen wogten hin und her, noch versuchten sie zu widerstehen, aber wo sie sich auch immer sammeln und feststellen wollten, da fegten die Kürassiere heran, um die gebildete Linie wieder auseinanderzureißen.

»Vorwärts,« rief Soltikow, »keinen Schuß mehr, steckt die Bajonette auf!«

Mit gezücktem Degen, ohne Hut, führte er seine Truppe, weit voranschreitend, zum Sturmangriff gegen den von der Reiterei in Unordnung gebrachten Feind. Immer weiter drang er vor, die Türkenhaufen wie mit einem eisernen Keil auseinandersprengend.

Da sah er unmittelbar vor sich den Großwesir Mossum Oglu, eine hohe Gestalt, das schöne, ernste und stolze Gesicht umrahmt von dichtem, schwarzem Bart, den grünen Turban mit der Reiherfeder auf dem Haupt, den Kaftan funkelnd von Goldstickerei und Edelsteinen.

Der Wesir trieb, von seinem arabischen Rosse herab, die fliehenden Türken mit Säbelhieben wieder vorwärts. Neben ihm ritt sein Fahnenträger mit dem Feldzeichen, an welchem unter dem goldenen Halbmond acht Roßschweife wehten.

Mit einem Satz sprang Soltikow heran und griff dem Pferde des Wesirs in die Zügel.

»Ergib dich, Mossum Oglu, du bist mein Gefangener!« rief Soltikow, während seine Grenadiere mit gefälltem Bajonett den türkischen Feldherrn umringten.

Dieser blickte stolz und kalt herab, auf seinem Gesichte zeigte sich keine Spur von Bewegung, aber er schwang seine blitzende Klinge hoch empor und ließ dieselbe in wuchtigem Hiebe herabsausen.

Soltikow hatte seine Bewegung verfolgt, er sprang zur Seite, der Säbel streifte nur seine Schulter, aber von der Wucht des Hiebes sank sein Arm herab; er mußte den Zügel fahren lassen. Da ließ der Wesir sein Pferd hoch aufbäumen, mit einem gewaltigen Satz sprengte das edle Tier über die Bajonette der sich unwillkürlich niederdrückenden Grenadiere hin und flog pfeilschnell davon, seinen Reiter forttragend in das Gedränge der türkischen Schar.

Aber der Fahnenträger war von allen Seiten umringt, auch er wollte dem Beispiel seines Herrn folgen, sein Pferd versagte jedoch zitternd den Sprung über die Bajonette, im nächsten Augenblick war er aus dem Sattel gerissen.

Soltikow ergriff mit einem lauten Jubelruf die den Händen des Türken entsinkende Standarte.

In demselben Augenblick rasselten Trommelschläge hinter ihm.

Romanzow war mit seinen Truppen gelandet und rückte im Sturmschritt heran.

In breiter Linie entfaltete sich die russische Macht, alle Bataillone rückten mit gefälltem Bajonett heran. Auch Kamenskoy war von der anderen Seite herangekommen. Immer neue Schwadronen führte Suwarow herbei; das ganze türkische Heer wandte sich zu wilder Flucht.

Das Ungeheure, Unglaubliche, unmöglich Scheinende war geschehen. Das kleine russische Heer, wenig über zwanzigtausend Mann stark, hatte im Angesicht des Feindes den Fluß überschritten und die türkische Übermacht von hundertundfünfzigtausend Mann fast im ersten Anprall zersprengt und in wilder Flucht zurückgeworfen.

Romanzow, der zu Fuß an der Spitze seiner Grenadiere herankam, eilte Soltikow entgegen, schloß ihn stürmisch in seine Arme und rief:

»Ihnen gehört die Ehre des Tages, General, Sie waren der erste auf dem feindlichen Ufer, wir alle beugen uns vor Ihnen!«

»Ich habe meine Pflicht getan«, erwiderte Soltikow, aus dessen Armwunde das Blut über seine Uniform strömte, während sein vor Erschöpfung bleiches Gesicht in glücklicher Freude strahlte. »Ich habe meine Pflicht getan, wie jeder russische Soldat. Es ist unmöglich, nicht zu siegen, wo Romanzow das Kommando führt. Hier, mein General,« fuhr er fort, das eroberte Feldzeichen zu Romanzows Füßen niederlegend, »empfangen Sie als Vertreter unserer erhabenen Kaiserin die Roßschweife des Wesirs!«

Romanzow sprach kein Wort, aber seine Augen füllten sich mit Tränen, vielleicht zum erstenmal in seinem Leben, und in langer Umarmung drückte er Soltikow an seine Brust.

Auch Suwarow und Kamenskoy kamen heran, auch sie umarmten Romanzow, und Suwarow sagte mit seiner kalten, mürrischen Miene:

»Nun, mein General, hatte ich recht, daß es gleichgültig ist, ob man verzweifelt oder hofft? Wenn man nur schlägt, so wird man auch siegen!«

»Sie hatten recht,« erwiderte Romanzow, »und doch, wenn Soltikow nicht gekommen wäre – doch gleichviel, der Tod des Leonidas war schön und groß, aber, bei Gott, herrlicher ist es dennoch, zu leben und sich des Sieges zu freuen! Doch nun vorwärts, es gilt, den Sieg zu vollenden! Sie müssen Ihre Wunde pflegen, General Soltikow, und, bei Gott, Sie haben für heute genug getan, und die Ruhe wohl verdient! Das übrige ist unsere Sache.«

Soltikow war in der Tat erschöpft, er streckte sich auf die Erde nieder. Der Feldscher kam heran, um seine Wunde zu untersuchen und zu verbinden.

Romanzow aber stieg zu Pferde; er stellte sich an die Spitze seiner Kürassiere. Suwarow führte die Kosaken, und während Kamenskoy mit der Infanterie das eroberte türkische Lager besetzte, die gefundenen reichen Vorräte ordnete und die Kanonen über den Fluß schaffen ließ, jagten die russischen Reiter die türkischen Scharen in immer wilderer Flucht weiter und weiter vor sich her, so daß, als Romanzow am Abend in das eroberte Lager zurückkehrte, auf Meilen hin keine Spur von den türkischen Truppen mehr zu entdecken war, und auch die Tore von Silistria sich noch vor Einbruch der Nacht den siegreichen Truppen öffneten.


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