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8. Kapitel

Eine Stunde vor der für den Abend festgesetzten Zeit verließ Potemkin die Gemächer der Herrscherin und schritt strahlenden Blickes und hoch erhobenen Hauptes durch die Galerie und die großen Säle des Winterpalais nach seiner Wohnung zurück.

Die Palastgarden präsentierten ihre Waffen vor ihm und die Kammerherren vom Dienst verbeugten sich tief und ehrerbietig vor dem Adjutanten Ihrer Majestät. Sie waren es gewöhnt, jede Nuance des Hoflebens mit feinem, empfänglichem Sinn zu erfassen und sahen mit sicherem Blick auf der Stirn des jahrelang vergessenen Generals das Siegel der kaiserlichen Gunst leuchten.

Potemkin erwiderte mit militärischem Gruß die Honneurs der Garden – für die tiefe Verbeugung der Hofherren hatte er nur ein flüchtiges, hochmütiges Kopfnicken, und manches Wort halb unterdrückten Grimmes klang ganz leise von den lächelnden Lippen, manch feindlich böser Blick folgte dem so stolz vorbeischreitenden Manne, der sich seiner Gunst so hochmütig bewußt und so fest entschlossen zu sein schien, dieselbe mit kräftiger Hand festzuhalten.

Am Ende der Galerie, welche von der Eremitage nach dem Winterpalais führt, kam dem von der aufgehenden Glückssonne so hell bestrahlten Adjutanten der Kaiserin ein Mann entgegen, welcher in allen Stücken einen auffallenden Gegensatz zu ihm bildete.

Dieser Mann mochte etwa sechzig Jahre alt sein. Seine kleine, trockene und magere Gestalt schien durch die gebückte Haltung noch kleiner; sein Anzug von grauem Tuch war so einfach und zeigte so wenig Rücksicht auf äußere Eleganz, daß er durch dieses unscheinbare Kleid in den schimmernden Prunkgemächern des kaiserlichen Palastes mehr auffiel, als wenn er mit Stickereien und Edelsteinen überladen gewesen wäre. Sein ausdrucksvolles, geistig belebtes Gesicht mit scharf blickenden, unruhig funkelnden Augen hatte eine blasse, kränkliche Farbe und zeigte in seinen tiefen Falten Spuren angestrengter geistiger Arbeit und körperlicher Leiden. Eine einfache kleine Stutzperücke bedeckte seinen Kopf; er trug einen kleinen Stahldegen an der Seite und einen schmucklosen Hut in der Hand. Nach der äußeren Erscheinung dieses Mannes hätte man ihn höchstens für einen der untersten Hausbeamten dieses Palastes halten können, dennoch aber trug er, trotz seiner gebückten Haltung, das Haupt ebenso stolz erhoben, als der glänzende General, und seine von Geist und Leben sprühenden Augen blickten ebenso hochmütig wie jener auf die Herren des kaiserlichen Dienstes in den verschiedenen Gemächern hin – diese aber grüßten ihn ebenso verbindlich und ehrfurchtsvoll wie Potemkin, und man hätte glauben können, daß der athletische General und der kleine, unscheinbare graue Mann die beiden obersten Gebieter unter all diesen so glänzenden und sich so ehrfurchtsvoll verneigenden Würdenträgern des Hofes seien.

Potemkin blickte mit Staunen auf diese sonderbare Erscheinung und schien zu erwarten, daß der Fremde ihn ebenfalls wie die anderen alle grüßen werde – jener aber schritt hart an ihm vorbei, indem er ihn nur mit einem flüchtigen Blick streifte.

Potemkin wendete sich betroffen, ein wenig verletzt durch diese hochmütige Nichtachtung, um und sah, wie der kleine, graugekleidete Mann eben in die Galerie trat, welche zu den Gemächern der Eremitage führte, während die dort postierten Garden ehrerbietig zur Seite traten.

»Wer ist jener Mensch?« fragte Potemkin einen der Kammerherren; »gehört er zum Dienst Ihrer Majestät, da er dort in ihre Gemächer eintritt?«

Der Kammerherr schien über die Frage erstaunt.

»Jener Herr dort,« erwiderte er, »der soeben in die Galerie eintritt? – Das ist Herr Diderot.«

»Herr Diderot? – Ah, ich verstehe,« sagte Potemkin achselzuckend, »der Chirurg oder der Zahnarzt Ihrer Majestät, so sieht er in der Tat aus.«

»Nein, Herr General,« erwiderte der Kammerherr, »Herr Diderot ist weder Chirurg noch Zahnarzt, er ist ein französischer Schriftsteller, ein berühmter Philosoph. Ihre Majestät die Kaiserin hat ihn zu ihrem Bibliothekar ernannt, nachdem sie ihm seine Bibliothek großmütig abgekauft; sie hat ihn dann hierher eingeladen und beehrt ihn mit ihrer ganz besonderen Huld und Gnade.«

»Aha,« sagte Potemkin, der einen Augenblick in seinem Gedächtnis gesucht hatte, »Diderot, ich erinnere mich – so, so, also das war Herr Diderot!« sagte er, den Weg nach seiner Wohnung fortsetzend. »In der Tat,« flüsterte er vor sich hin, »sie ist klug – Voltaire – Diderot, diese scharfen, kritischen Geister, welche erbarmungslos den krachenden französischen Thron immer tiefer untergraben, sie werden den Ruhm der großen Katharina von Rußland durch ganz Europa hin tragen und weit in die Jahrhunderte der Zukunft hineinschallen lassen – und das Spiel ist gefahrlos – Katharina wird ihre Theorien belächeln, in den weiten Steppen Rußlands werden sie ungehört verhallen – die freisinnigste Herrscherin wird darum von ihrer unumschränkten Gewalt nichts einbüßen. Bei Gott, sie ist klug – wird es gelingen, diesen Geist zu beherrschen und die Herrschaft festzuhalten – wird es gelingen, ihr mehr zu sein, als Orloff ihr sein konnte?«

Er war in das Vorzimmer seiner Wohnung gekommen und blieb einen Augenblick sinnend stehen.

»Es muß gelingen!« rief er, sich scheu umblickend, um sich zu vergewissern, daß er unbeobachtet sei. »Niemand darf hier mein Haupt gebeugt, meinen Blick unsicher und zweifelnd sehen – sie ist klug und kühn, es gilt, dem Flug ihres Geistes voranzueilen und ihrer Kühnheit Ziele zu zeigen, zu denen sie kaum noch aufzublicken gewagt hat – es muß gelingen – denn wenn es nicht gelänge, so wäre ich nur ein Günstling ihrer Laune, und das, bei Gott, wird Gregor Alexandrowitsch Potemkin niemals sein, – die alleinherrschende Kaiserin ist dennoch nur ein Weib, – des wahren Mannes Willen und Kraft wird stets das Weib sich unterwerfen!«

Er trat in seine prachtvolle Wohnung so stolzen, elastischen Schrittes ein, als sei er gewiß, daß alle Völker des weiten Rußland dem Wink seines siegesfreudig leuchtenden Auges gehorchen würden.

Diderot hatte inzwischen seinen Weg durch die Galerie fortgesetzt und war, hier und dort vor einem Gemälde stehen bleibend und dasselbe mit flüchtigem Interesse betrachtend, bis zu dem Gemach gekommen, in welchem derselbe Page der Kaiserin den Dienst hatte, der vorher durch die verborgene Tür in Potemkins Wohnung erschienen war.

»Ist Ihre Majestät sichtbar?« fragte Diderot. »Sie hat mich für diese Stunde zu sich bitten lassen!«

»Ihre Majestät«, erwiderte der Page, »ist für Herrn Diderot immer sichtbar; treten Sie ein, die Kaiserin wird gewiß sogleich erscheinen!«

Er öffnete eine Tür; es war nicht diejenige, durch welche Potemkin zur Kaiserin geführt worden war.

Diderot trat in ein kleines Kabinett, dessen Wände mit einer mattgrünen Seidentapete überzogen waren, gleiche Farbe zeigten die Polster der kunstvoll gearbeiteten, mit Gold und Perlmutter eingelegten Möbel; vortreffliche Bilder älterer Meister hingen an den Wänden; in der Mitte über einem Kanapee, vor welchem ein kleiner Tisch mit einigen aufgeschlagenen Büchern stand, hing in einem prachtvollen Rahmen ein großes, fast die ganze Wand einnehmendes Bild, das eine Seeschlacht darstellte und in dessen Mitte ein mächtiges Linienschiff in die Luft flog. Von diesem Kabinett aus blickte man in eine Reihe anderer ebenso reich und geschmackvoll dekorierter Gemächer, und am Ende derselben öffnete sich die weite Aussicht in denselben von Glaswänden umgebenen Wintergarten, an welchen sich auch das Boudoir anschloß, in dem die Kaiserin Potemkin empfangen hatte. Doch konnte dieses lauschige Gemach, das niemand ohne ausdrückliche und besondere Erlaubnis der Kaiserin betreten durfte, durch eine aus dem Fußboden heraufsteigende Wand von dem großen Wintergarten abgeschlossen werden, so daß von den Gästen, welche bei den vertrauten Gesellschaften der Kaiserin das feenhafte Palmenhaus betraten, niemand die Existenz jenes verborgenen Gemachs ahnen konnte.

Das Kabinett und die Nebenräume waren leer.

Diderot blätterte einen Augenblick in den Büchern, welche auf dem Tische lagen, dann fielen seine Blicke auf das große, über dem Kanapee hängende Bild. Neugierig trat er näher heran, hob sein Augenglas empor und betrachtete das meisterhaft ausgeführte Gemälde, indem er von Zeit zu Zeit durch einen leisen Ausruf seine Bewunderung erkennen ließ.

Er hatte einige Zeit so in die Betrachtung des Bildes versunken dagestanden, als auf dem feinen Kieswege des Wintergartens langsam die Kaiserin heranschritt.

Sie trug ein ziemlich einfaches französisches Hofkostüm von dunkelblauem Seidenstoff, wie sie es in ihren kleinen vertrauten Gesellschaften meist zu tun pflegte, während sie bei großen Hoffesten im nationalrussischen Kostüm erschien. Der Stern des Andreasordens glänzte auf ihrer Brust. Sie trug keinen Schmuck als ein Halsband von großen Perlen und auf dem leichtgepuderten Haar eine kleine Krone, in ihrer Form ganz der griechischen Kaiserkrone nachgebildet. Sie betrachtete hier und dort eine tropische Blüte oder eine besonders schöne Frucht und schien Diderot erst zu bemerken, als sie über die Schwelle der Zimmerreihe trat.

Leise über das Parkett hinschreitend, kam sie unbemerkt bis zu dem Philosophen heran und leicht dessen Schulter mit dem Fächer berührend, sagte sie:

»Guten Abend, Herr Diderot! Ich bitte um Entschuldigung, wenn Sie gewartet haben; ich habe ein wenig nach meinen Pflanzen gesehen und sehen Sie da, ich habe hier einige frische Feigen gepflückt, welche soeben reif geworden sind. Nehmen Sie, mein Freund, ich kann Ihnen nur diese Produkte meines Gartens bieten für die edlen Blüten und Früchte des Geistes, die ich Ihnen zu danken habe.«

Diderot hatte sich bei den ersten Worten der Kaiserin umgedreht und sie mehr mit der galanten Artigkeit, welche man einer Dame schuldig ist, als mit der Ehrfurcht, welche die Kaiserin bei ihren Untertanen gewöhnt war, begrüßt.

»Sie sind zu gütig, Madame,« sagte er, indem er eine der purpurnen Früchte pflückte, welche die Kaiserin ihm an einem grünen Zweige darbot; »der König von Frankreich wäre nicht imstande, schönere Früchte zu bieten, obgleich er doch ihr Vaterland beherrscht, und gewiß«, fügte er spöttisch lächelnd hinzu, »würde Seine allerchristlichste Majestät eine so schöne Gabe nicht einem Jünger der hochgefährlichen Philosophie reichen, die er in seinem Lande auszurotten sich so große und so vergebliche Mühe gibt.«

Katharina zuckte lächelnd die Achseln.

»Mein Herr Bruder in Versailles«, sagte sie, »zählt die Philosophen unter die Propheten, die ja, wie man sagt, niemals in ihrem Vaterlande etwas gelten sollen. Nun, ich wünsche, daß alle großen Geister unserer Zeit Gelegenheit haben möchten, in meinem Reiche die Anerkennung zu finden, die man ihnen in ihrem Vaterlande versagt. Doch«, fuhr sie fort, »Sie betrachten dies Bild, ist es nicht schön? Hackert hat es soeben vollendet und, wie mir scheint, hat sich sein Pinsel meisterhaft bewährt!«

»Meisterhaft!« rief Diderot. »In der Tat, Madame, man kann keine vollendetere Darstellung der Schrecken eines Seegefechts sehen.«

»Ja,« sagte Katharina, »das Bild ist schön, aber der Gegenstand, an den es mich erinnert, ist noch schöner, noch herrlicher; es ist die Schlacht von Tschesme, in welcher meine Flotte die türkische Seemacht vernichtete und meine Herrschaft über die Meere des Ostens begründete.«

Als sie mit der ausgestreckten Hand auf das Bild deutete, stand sie so siegesstolz da, als ob die auf die Leinwand gemalte Schlacht wirklich vor ihren Augen und auf ihren Wink geschlagen wäre, und als ob das kleine Diadem auf ihrem Haupte in der Tat die byzantinische Krone des oströmischen Reiches sei, deren Form sie nachahmte.

»In der Tat, das Bild ist ein großes Kunstwerk,« sagte Diderot; »man glaubt das Brüllen der Kanonen zu hören, man glaubt die Erschütterung der furchtbaren Explosion zu empfinden, welche das türkische Admiralschiff in die Luft sprengte. Der Maler muß der Schlacht beigewohnt haben; keine Phantasie vermöchte es, das so täuschend großartig nachzubilden.«

»Meister Hackert«, sagte Katharina lächelnd, »ist ein stiller, sinniger Mann, der mit scharfem Blick der Natur ihre Geheimnisse abzulauschen versteht, aber sich gewiß niemals in das Getöse des Kampfes begeben würde, am allerwenigsten eines Kampfes zur See, in welchem zwei Elemente ihn mit dem Tode bedrohen.«

»Und dennoch,« sagte Diderot, »dennoch, Madame, muß er eine solche Explosion gesehen haben; er muß gesehen haben, wie die furchtbare Flammenmacht das gewaltige Schiff krachend zersprengt und wie die Wellen des Meeres angstvoll zu erbeben scheinen bei dem Ausbruch des feindlichen Elements, das hier eine schwimmende Welt dem Ozean entreißt und in die Lüfte entführt.«

»Das freilich hat er gesehen,« erwiderte die Kaiserin, »aber nicht in der Gefahr des Kampfes, sondern ruhig und sicher von einer bequemen Schaluppe aus, in welcher er mit seinem Skizzenbuch bereit saß, um sogleich den Eindruck zu fixieren. Alexis Orloff hat vor seinen Augen auf der Reede von Livorno eine Fregatte in die Luft sprengen lassen, damit der Meister imstande sei, treu nach der Natur zu malen.«

Diderot starrte die Kaiserin einen Augenblick sprachlos an, als müsse er sich erst den Sinn der Worte, welche sie ganz lächelnd und gleichgültig sprach, klar machen; dann schüttelte er nur langsam den Kopf – er, der sonst so Redegewandte, fand keinen Ausdruck für die Empfindung des Staunens über eine solche Tat, die ihn an die Laune des Nero erinnern mochte, welcher Rom verbrennen ließ, um sich eine Vorstellung von der Zerstörung von Troja machen zu können.

»Natürlich«, sagte die Kaiserin, welche den Ausdruck des Entsetzens auf Diderots Gesicht bemerkte, »waren die Matrosen von dem Schiff entfernt; aber man hatte Wachsfiguren auf dasselbe gestellt, um dem Maler auch das Bild der in die Luft geschleuderten Menschen möglichst naturgetreu zu zeigen.«

Sie hatte sich auf das Kanapee niedergelassen und winkte dem Philosophen, der bei ihren Worten wie erleichtert aufatmete, an ihrer Seite Platz zu nehmen.

»Ich habe mir erlaubt,« sagte er, »während ich Eure Majestät erwartete, diese Bücher hier zu betrachten –«

»Es ist meine Lektüre,« fiel Katharina ein; »in den Mußestunden, welche ich mir von den Geschäften der Regierung erübrige – die Kaiserin bedarf der Erfrischung, wenigstens durch den geistigen Umgang mit ihren Freunden, wenn sie dieselben nicht alle und nicht immer um sich haben kann, wie es mir jetzt mit Ihnen vergönnt ist – freilich sehen Sie hier auch Ihren Brief über die Blinden, obgleich ich doch die Freude habe, mit Ihnen persönlich zu verkehren – aber ich wollte mich,« fügte sie lächelnd hinzu, »durch das Studium dieses reizenden Werkes möglichst hellsehend machen, damit mein so strenger kritischer Freund mich nicht ebenfalls unter die Blinden rechnet!«

Diderots bleiche Wangen färbten sich mit flüchtiger Röte und seine Miene zeigte deutlich, daß der scharfe Kritiker menschlicher Schwächen dennoch die feine Schmeichelei der Kaiserin lebhaft empfand.

»Man sollte in der Tat glauben,« sagte er, »daß man sich hier im Kabinett Eurer Majestät mitten in Paris befinde, denn das Beste, was der französische Geist hervorbringt, findet sich hier vereinigt. Ich wage es, auch mein Werk dazu zu rechnen, denn ich habe es geschrieben im Dienste der Wahrheit und ohne Scheu ausgesprochen, was ich als die Wahrheit erkannte; das aber ist die höchste Aufgabe und der edelste Beruf eines Schriftstellers –«

»Der ihm um so mehr Ehre macht,« sagte die Kaiserin, »wenn er es wie Sie versteht, die Wahrheit mit Reiz und Anmut zu sagen.«

»Doch«, fuhr Diderot fort »unter den Bekannten, die ich hier vereinigt sehe, bemerke ich ein kleines Werk, dessen ich mich nicht erinnere. Hier,« fuhr er fort, indem er einen zierlichen Band zur Hand nahm, »ich meine diese Novelle: ›Der kleine Samojede‹. Ich kann mich nicht besinnen, dieses Buch in Paris gesehen zu haben und doch muß es von Bedeutung sein, da es hier auf dem Tische der erhabenen Freundin der französischen Literatur seinen Platz findet.«

»Dies kleine Buch,« erwiderte die Kaiserin lächelnd, »beansprucht keinen anderen Platz neben den Werken Diderots und Voltaires als den eines bescheidenen Schülers zu den Füßen der Meister. Sie wissen, mein verehrter Freund, daß ich der Erziehungsanstalt für die Töchter des russischen Adels meine ganz besondere Sorgfalt zuwende; ich bin berufen, das Werk der Zivilisation, das der große Kaiser Peter begonnen, fortzusetzen und der Vollendung entgegenzuführen. Der große, gewaltige Kaiser hatte bei seinem Reformwerke die Frauen vergessen, darum blieb die Bildung, die er dem Volke zuführte, zum Teil leider nur äußerer Schein – ich bin so anmaßend, nur meinem Geschlecht die Fähigkeit beizumessen, ein Volk aus der Barbarei zur Bildung und Gesittung zu führen – ich will die Töchter des Adels mit europäischer Bildung erfüllen; unter dem Einfluß der künftigen Frauen und Mütter sollen dann die folgenden Generationen der Zivilisation gewonnen werden.«

»Ganz recht, ganz recht!« rief Diderot lebhaft; »wohl halte ich mich für eine Ausnahme, aber im allgemeinen ist es gewiß wahr, daß die Frauen die Entwickelung des männlichen Geschlechtes bestimmen, zum Guten und zum Bösen; leider«, fügte er mit neckisch boshafter Miene hinzu, »meist zum Bösen.«

»Nun denn,« sagte Katharina, »um so lieber will ich dann diesmal den Einfluß meines Geschlechtes zum Guten anwenden, und um auch meinerseits nicht ganz untätig zu sein bei dem Werke, das in stiller und langsamer Entwicklung so großes erreichen soll, habe ich es auch gewagt, selbst zur Feder zu greifen; ich habe verschiedene Episoden der russischen Geschichte bearbeitet und auch diese kleine Erzählung für die jungen Schülerinnen meines Institutes verfaßt, um in leichter Form denselben die wichtigsten Grundsätze der Moral auf dem Boden vaterländischer Verhältnisse vorzuführen. Dies ist die erste Druckprobe, die man mir heute gesendet, ich will auch eine russische Übersetzung davon machen, damit das Buch vielleicht weiter in das Volk dringen könne.«

Wiederum sah Diderot die Kaiserin voll hohen Erstaunens an.

Sich selbst vergessend, schlug er kräftig mit der Hand auf ihr Knie und rief:

»In der Tat, Madame, seit ich Rußland durchreist und hier in Petersburg Ihre so liebenswürdige Gastfreundschaft genieße, habe ich vieles gesehen, was ich mir vorher niemals hätte träumen lassen; aber das merkwürdigste von allem, Madame, das sind Sie selbst.«

»Und warum?« fragte Katharina; »finden Sie es so merkwürdig, mein Herr, wenn eine Frau den Mut hat, die Pflichten der Stellung zu erfüllen, zu welcher sie der Wille der Vorsehung erhoben hat?«

»Ich finde den Mut und den Willen nicht merkwürdig,« sagte Diderot; »viele Menschen haben Mut und glauben Willen zu besitzen; aber die Kraft, Madame, die Kraft, sie ist es, die ich bewundere, diese Kraft, welche das Problem des Archimedes gelöst, und den festen Punkt im Raum gefunden zu haben scheint, um die Welt aus ihren Angeln zu heben. Glauben Sie mir, Madame, man bewundert die große Kaiserin in Europa und vielleicht in Paris am meisten; und doch kann sich niemand dort eine Vorstellung von dem machen, was ich heute gesehen habe, eine Vorstellung von der Frau, auf deren Wink die Heere des Halbmondes, vor denen Europa so lange zitterte, zerschmettert werden – einer Frau, welche ein Linienschiff in die Luft sprengen läßt, um dem Maler das Modell zu einem Bilde für ihren Salon zu geben, welche im eisigen Norden die Früchte von Syrakus reifen läßt, um sie einem Freunde der Wahrheit und Freiheit mit ihrer kaiserlichen Hand zu bieten, und welche endlich mit derselben Hand ein Lesebuch für die Erziehung junger Mädchen schrieb – das, Madame, das ist in der Tat merkwürdig – das ist noch nicht dagewesen; und jene Semiramis, mit welcher man Sie vergleicht, hat das nicht vermocht, obwohl ihr Ruhm die Jahrtausende überdauert hat.«

»Der Vergleich ist schmeichelhaft,« erwiderte Katharina; »vielleicht sollte ich stolz auf denselben sein, und dennoch, mein Herr, nehme ich ihn nicht an, denn Semiramis wurde geschlagen, Semiramis floh vor ihren Feinden; ich aber, ich werde nicht geschlagen werden, ich werde niemals vor einem Feinde fliehen.«

Voll Bewunderung blickte Diderot zu ihr auf; es schien, als ob in der Tat in diesem Augenblicke der Genius des Sieges über ihrem Haupte schwebe und seinen strahlenden Glanz über sie ausgieße.

»Madame,« sagte er, indem er die Hand der Kaiserin ergriff und ihr mit durchdringenden Blicken ins Auge sah, »Semiramis wurde göttlich verehrt, obgleich sie während ihres Lebens nichts getan hatte, als gewaltige Steinmassen aufeinander zu häufen und Tausende von Menschenleben ihrem Ehrgeiz zu opfern, der endlich dennoch ruhmlos vor seinem Ziele niedersank. Heute erhebt man die Sterblichen nicht mehr zu den Göttern und dennoch liegt es in ihrer Hand, das Sterndiadem göttlicher Unsterblichkeit um ihre Stirn zu flechten. Die Völker, Madame,« fuhr er lebhaft fort, »streben hinaus aus der Knechtschaft langer Jahrhunderte; der Freiheit gehört die Zukunft, und kein Jahrhundert mehr wird vergehen, bis der Gedanke und das Wort frei von allen Fesseln siegreich die Welt durchziehen, bis das Volk unter selbst gegebenen Gesetzen keiner Willkür mehr gehorchen wird; wir alle, Madame, sind die Apostel der Freiheit und die große Mehrheit des französischen Volkes steht hinter uns, aber unsere Machthaber sind geblendet, unser Königtum glaubt den Geist der Zukunft in die morschen Fesseln der Vergangenheit schmieden zu können – sie können es nicht, die Fesseln werden brechen, die Freiheit wird siegen im blutigen, furchtbaren Kampfe – sie wird sich rächen an ihren Feinden und nur aus furchtbaren, zerstörenden Wettern wird das Morgenlicht einer neuen Zeit emporsteigen. – Hier aber, Madame, hier in Ihrem unermeßlichen Reiche ist es anders; hier ist das Volk noch nicht erbittert, noch nicht von Rachedurst erfüllt gegen die Missetaten einer verblendeten, grausamen Regierung; hier leuchtet das klare Licht des Geistes frei vom Thron herab in die Tiefe des Volkes – hier kann die Zukunft, welche unaufhaltsam am Horizont heraufzieht, freundlich und ruhig sich entwickeln, ohne daß die Vergangenheit zuvor in Trümmer sinkt – in Ihrer Hand, Madame, liegt es, so Großes zu vollbringen; Sie wollen Ihrem Volke das Licht geben, Sie tragen ihm die Fackel des Geistes voran, geben Sie ihm die Freiheit, die dennoch endlich aus dem Lichte geboren wird, wie der Tag der Morgenröte folgen muß – dann, Madame, werden Sie ein göttliches Schöpfungswerk vollbringen an einer wunderbar herrlichen, geistigen Welt, dann werden Sie mehr für die Menschheit getan haben als jener Prometheus, der das Feuer des Himmels auf die Erde brachte, und in unauslöschlicher Sternenschrift wird Ihr Name am Himmel der Unsterblichkeit prangen.«

»Und was soll ich tun, mein Freund,« fragte Katharina, »um so Großes zu erreichen? Ich habe die Rechtspflege und die Verwaltung geordnet, ich arbeite daran, milde und gerechte Gesetze zu geben, und diese Gesetze sollen die einzigen Schranken der Freiheit meines Volkes sein.«

»Das ist gut, das ist groß, Madame,« erwiderte Diderot, »aber es ist die Freiheit nicht; auch das weiseste und mildeste Gesetz schützt das Volk nicht, wenn es in der Willkür des Herrschers steht, wie lange ein solches Gesetz gelten soll; die Freiheit ist nur da, wo das Volk berufen ist und das Recht hat, selbst mitzuwirken an seinen Gesetzen, selbst darüber zu wachen, daß diese Gesetze befolgt werden, seine Wünsche auszusprechen und gehört zu werden über die Opfer, die man von ihm verlangt, wie es in England der Fall ist, wo man in der Verfassung das Mittel gefunden hat, den Glanz und die Kraft der Monarchie mit den gesunden, frischen, lebendigen Blüten der Freiheit in dem Organismus des Staatskörpers zu vereinigen; aber auch in England hat man diesen Weg erst gefunden nach blutigen Revolutionen; Ihr Rußland, Madame, würde das erste Beispiel der friedlichen Entwicklung eines Volkes zur Freiheit geben, wenn Sie es wollen.«

»Ein russisches Parlament?« fragte Katharina, indem es um ihre Mundwinkel zuckte, als ob sie nur mit Mühe einen Ausbruch ihrer Heiterkeit zurückhielt.

Schnell aber nahm ihr Gesicht den Ausdruck an, als ob Diderot nur einen Gedanken, der in den Tiefen ihres Geistes schlummerte, ausgesprochen hätte.

»Bei Gott, mein Herr!« rief sie, Diderots Hand ergreifend, »das ist ein großer Gedanke, ein Gedanke, den ich kaum zu verfolgen wage. Ich fühle mich in diesem Augenblick wie von einem plötzlichen Licht erleuchtet; es ist ja das schöne Vorrecht eines vom Himmel begnadeten Mannes wie Sie, anderen Sterblichen die Fackel voranzutragen, deren Licht auch das Innere unseres eigenen Wesens uns klar erkennen läßt. Ja, Sie haben recht, ich werde darüber nachdenken; das russische Volk steht hinter keinem anderen zurück; es hat wohl einen Anspruch auf das erste und natürlichste Recht der Freiheit. Ich werde es in seinen besten Vertretern um meinen Thron versammeln, es soll selbst über meine Gesetze beraten und ihnen das Siegel seiner Sanktion aufdrücken!«

»Dann, Majestät!« rief Diderot, indem er die Hand der Kaiserin an seine Lippen führte »dann wird Ihr russisches Volk dem ganzen Kontinent, und ich sage es mit Bedauern, aber mit Bewunderung, auch meinem Vaterlande auf der Bahn der Zivilisation voranschreiten und die kommenden Jahrhunderte werden ehrfurchtsvoll erzählen von Katharina der Großen, welche so mächtig und allgewaltig war, daß sie ihrem Volke die Freiheit zu schenken vermochte.«

»Die Gesellschaft Eurer Majestät ist versammelt!« meldete der Hofmarschall des kleinen Dienstes.

»Man soll eintreten!« befahl die Kaiserin.

Diderot wollte sich erheben, Katharina aber hielt seine Hand fest, und die vertrautesten Würdenträger des Staates und des Hofes, die vornehmsten Damen, welche, funkelnd von Stickereien, Diamanten und Ordenssternen, in die reservierten Salons eintraten, hatten das eigentümliche Schauspiel, zu sehen, wie die unumschränkte und allmächtige Gebieterin ihrer aller inmitten des ehrfurchtsvoll sie umgebenden Kreises auf ihrem Kanapee an der Seite des unscheinbaren graugekleideten Gelehrten saß, dessen Philosophie ihn nicht hinderte, diesen höchsten Triumph seiner Eitelkeit unter der scheinbar gleichgültigen Miene, die er festzuhalten suchte, voll berauschenden Glückes zu empfinden und zu genießen.


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