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21. Kapitel

Der scharfe Nordwind strich über den Ladogasee und staute das Wasser der Newa rückwärts auf. Die weißschäumenden Wellen stiegen höher und höher, rauschend beugte sich das Schilf des Ufers zum Wasser hinab; höher und höher stieg die brandende Flut gegen die gewaltigen Grundmauern der Inselfestung Schlüsselburg empor, und die Möwen allein belebten das einförmige Bild dieser einsamen Gegend, welche von dem fröhlichen, geschäftigen Treiben der menschlichen Gesellschaft so weit abgelegen schien und doch dem glänzenden Mittelpunkt des russischen Reichs so nahe war.

Die flüchtigen Vögel schwebten in ihrem unsteten Flug über dem Schilf und dem Wasser dahin; bald leuchtete ihr weißes Gefieder schimmernd im Sonnenstrahl, bald verhüllte sie der graue Schatten einer vorüberziehenden Wolke, bald wieder ließen sie sich nieder auf die Spitzen der Wellen, auf- und niedersteigend im kräuselnden Schaum und mit sicherem Blick einen kleinen Fisch erhaschend, den das unruhig bewegte Wasser hin und her warf.

An dem Fenster seines Zimmers saß der Leutnant Wassili Mirowitsch und blickte sinnend durch die eisernen Gitterstäbe hinaus auf das Spiel der Wellen und auf die hin und her fliegenden Vögel.

»Ist das nicht ein Bild dieses russischen Reichs, das ich da draußen vor mir sehe,« sagte er, »so einförmig und doch so unstet bewegt im unsicher schwankenden Wechsel? Alles wogt und wallt durcheinander im wirbelnden Wellenschlag, bald hierhin, bald dorthin getrieben von dem Windhauch des Zufalls oder der Laune. Und ich«, fuhr er seufzend fort, »will aus der Tiefe dieser unsteten Wogen den Schatz der Macht und Herrlichkeit emporheben zu dem holden Blütenkranz, der mein fast verlorenes Leben mit dem süßen Glück der Liebe schmücken soll. Ist das nicht ein wahnsinniges Unternehmen? Wurden nicht die Titanen zerschmettert, die den Himmel stürmen wollten, und sie hatten doch Felsengrund unter ihren Füßen?!«

Er blickte düster hinaus auf die schäumenden Wellen.

Da stieg von der Zinne einer gegen das Fenster hervorspringenden Bastion ein Turmfalke auf; in mächtigem Fluge, unbeirrt durch das Wehen des Windes, stieg der stolze Raubvogel in die Lüfte, schnell und sicher sich hoch emporschwingend über den Möwenschwarm. Ängstlich kreischend flatterten die Vögel hin und her, sich herabsenkend, um Schutz zu suchen unter dem rauschenden Schilf; aber schon schoß der Falke in pfeilschnellem Stoß aus seiner Höhe herab, mit einem triumphierenden Schrei schlug er seine Fänge in einen der flatternden Vögel, um dann, ruhig dahinstreichend, nach seiner Turmzinne zurückzukehren, während die übrigen Möwen, jämmerlich kreischend, unter dem Schilf verschwanden.

Mirowitsch war aufgesprungen und hatte sich gegen die Eisenstäbe seines Fensters vorgebeugt.

»Die Alten sahen göttliche Zeichen im Fluge der Vögel,« rief er, »und warum sollte der Himmel dem fragenden Blick des Zweifels und der Sorge solche Zeichen nicht gewähren, an welche die größten Männer der Vergangenheit ahnungsvoll glaubten? Ja, ich nehme dies Zeichen an! Wie der Falke, von der Zinne dieser Zwingburg herabstoßend, die schwirrenden Möwen verscheucht, so wird es auch mir gelingen, hier aus dem Kerker und der Gewalt das gefesselte Recht zu befreien, die übermütigen Schranzen zu vertreiben, welche so sicher und keck umherflattern und sich, den Möwen gleich, für die mächtigen Herren halten, weil ein wehrloser Fisch sich vor ihnen fürchtet. Ich werde den wahren, den rechten Zaren hinausführen ans Sonnenlicht und werde der erste sein auf den Stufen seines Thrones. Flattert nur umher«, sagte er, seine Hand drohend durch das Gitter hinausreckend, »in der Verblendung eures Übermuts, ihr Trabanten der verbrecherischen, unrechtmäßigen Gewalt, euer Tag neigt sich zum Ende, der Falke ist bereit, er rüstet seine Schwingen zum kühnen Siegesflug!«

Mit strahlenden Augen schaute er über das Wasser hin. Die Wolken waren vorübergezogen, heller Sonnenschein glänzte auf den schäumenden Wellen; aus seinen Blicken flammte stolzer, hoch aufstrebender Mut, und seine lächelnden Lippen schienen den holden Liebeshoffnungen seines Herzens einen freudigen Gruß entgegenzurufen.

Er bemerkte es nicht, daß Uschakoff hinter ihm in das Zimmer getreten war und, ihn mit düsteren Blicken betrachtend, eine Zeitlang neben der Tür stehen blieb, ein Bild finsteren Gegensatzes zu dem hellen Sonnenlicht draußen und zu dem hoffnungsfreudigen Gesicht, auf dem der Widerschein jenes Lichtes ruhte.

Endlich trat Uschakoff zu ihm heran und legte die Hand auf seine Schulter.

»Ah, du bist es, Pavjel Sacharjewitsch?« sagte Mirowitsch, sich umwendend, »eben habe ich ein Zeichen gesehen, das die alten Auguren glücklich deuten müßten: ein Falke stieß von der Zinne dort herab auf einen kreisenden Möwenschwarm und trug, die anderen verscheuchend, einen Vogel in seinen Fängen davon. Sage selbst, muß uns das nicht Glück bedeuten? Der spähende Falke zerreißt die flatternden Möwen, wie wir es tun wollen und tun werden!«

»Der spähende Falke zerreißt die flatternden Möwen«, wiederholte Uschakoff mit dumpfer Stimme, die Augen vor dem hellen Blick seines Freundes niederschlagend. »Ich bin nicht abergläubisch,« fuhr er dann fort, »doch ein Aberglaube, der den Mut stärkt und die Hoffnung belebt, kann nicht schädlich sein; auch Cäsar glaubte an Zeichen, und sein Glück gab seinem Glauben recht.«

»Wie steht es,« fragte Mirowitsch, »hat der Sergeant Piskow, an dem die Soldaten hängen, neue Anhänger gefunden? Ich bin ungeduldig, daß wir so langsam vorwärtsschreiten; das Warten lähmt meine Kraft, ich sehne mich nach dem frischen Hauch der nahenden Tat.«

»Piskow ist seiner Leute sicher,« erwiderte Uschakoff, »doch verlangt er einen Befehl des Senats zu sehen, welcher Katharina absetzt und Iwan als den rechtmäßigen Kaiser auf den Thron beruft.«

»Einen Befehl des Senats!« rief Mirowitsch; »wie ist das möglich? O, dann ist alles verloren!«

»Warum verloren? Nicht doch!« sagte Uschakoff. »Wenn uns keine größeren Schwierigkeiten entgegentreten, so ist alles gewonnen; es lebt im russischen Volke der Glaube an das alte Nationalrecht des Senats; die Soldaten scheinen zu zweifeln, daß eine so große und ernste Sache den Händen zweier jungen Leute anvertraut sein möchte, sie wollen den Auftrag sehen, um sicher zu sein, daß sie wirklich dem Vaterlande seinen rechtmäßigen Kaiser wiedergeben.«

»Aber damit ist alles zu Ende!« rief Mirowitsch. »Wir sind verloren, wenn wir ihnen einen solchen Befehl nicht zeigen können.«

»Darum werden wir ihnen den Befehl zeigen«, erwiderte Uschakoff. »Keiner dieser Soldaten kann lesen, Piskow allein kennt ein wenig die Buchstaben; aber hat er jemals ein solches Dokument gesehen? Ihm genügt ein beschriebenes Stück Papier, und höchstens vermag er vielleicht die Unterschriften zu entziffern. Es wird eine geringe Mühe sein, das Dokument zu machen und mit einem Rubelstück den Doppeladler darunter zu siegeln. Du hast ja starkes Pergamentpapier für deine Zeichnungen; nimm einen Bogen hervor und schreibe, in einer halben Stunde werden wir damit fertig sein.«

»Und du glaubst, daß die Täuschung gelingt?« fragte Mirowitsch, indem er aus seinem Schreibtisch einen großen Bogen starken Papiers hervorzog und sich zum Schreiben bereitsetzte.

»Zuversichtlich«, erwiderte Uschakoff, »schreibe nur, ich kenne die Form solcher Dokumente. – Es würde genügen, wenn du beliebige Zeichen auf das Papier maltest, doch schreibe immerhin, ich werde dir die Worte diktieren.«

Mirowitsch schrieb in großen Schriftzeichen die hochtönenden Phrasen nieder, welche Uschakoff ihm diktierte und welche die feierliche Erklärung enthielten, daß Katharina Alexiewna als eine fremdgeborene Ketzerin des Thrones für verlustig erklärt und zum Tode verurteilt wäre. Im Namen des russischen Volkes wäre die Krone des Reiches dem als rechtmäßiger Zar geborenen Iwan zurückzugeben, und jedem Soldaten der russischen Armee wie jedem rechtgläubigen Untertanen des Reiches wurde befohlen, dem Leutnant Wassili Mirowitsch Gehorsam zu leisten, um den Willen des Senats auszuführen.

»Doch nun die Unterschriften?« fragte Mirowitsch.

»Male mit großen Buchstaben die Namen hin«, sagte Uschakoff; »es genügt, wenn Piskow oder einer der anderen sie entziffern kann; zunächst Cyrill Rasumowsky, das hat einen guten Klang, dann Sachar Tschernitschew und Narischkin.«

Mirowitsch hatte mit großen Buchstaben die Namen geschrieben.

»Das genügt«, sagte Uschakoff; »nun noch einige Schnörkel, die niemand lesen kann, das gibt eine geheimnisvolle Wichtigkeit und läßt uns die Möglichkeit offen, jeden Namen herauszulesen, den sie heute etwa noch fordern möchten. Hast du Siegellack und ein großes silbernes Doppelrubelstück?« fragte er.

Mirowitsch zog ein großes Stück roten Siegellacks hervor und fand auch die geforderte Münze von neuer und scharfer Prägung.

Bald war ein großes Siegel geformt, das in deutlichem Abdruck den Doppeladler des Reichswappens zeigte; aus den Silberfäden einer alten Schärpe wurde eine Schnur gedreht und mittels derselben das Siegel an dem Dokument befestigt.

»So, nun sind wir fertig«, sagte Uschakoff; »sei gewiß, daß niemand an diesem Dokument zweifeln wird; der geschriebene Buchstabe und das Siegel üben die magische Gewalt eines Talismans auf diese Menschen aus, die uns nun willenlos folgen und vertrauensvoll ihr Leben in unsere Hand legen.«

»Ihr Vertrauen soll nicht getäuscht werden!« rief Mirowitsch. »Bei Gott, wenn unser Vorhaben gelingt, so sollen sie die ersten sein unter den Soldaten des neuen Reichs, wie es die Leibkompagnie der Kaiserin Elisabeth war! Ist es nicht sonderbar,« sagte er, das Dokument in seiner Hand betrachtend, »daß hier zwei jungen Menschen, wie du und ich, die so tief unten auf der Stufenleiter der Gesellschaft stehen, ein Todesurteil fällen über die Kaiserin, der heute Millionen huldigen und deren Blick kaum herabreicht bis zu uns von der Höhe ihrer geträumten Allmacht!«

»Ihr Todesurteil oder das unsere«, sagte Uschakoff, indem er Mirowitsch mit starren, durchdringenden Blicken ansah. »Die Stunde der Entscheidung naht,« fuhr er fort, »und wohl solltest du noch einmal mit allem Ernst daran denken, daß wir um unseren Kopf spielen.«

»Ein großes Spiel fordert großen Einsatz«, sagte Mirowitsch. »Ohne den Gewinn, nach dem wir ringen, ist unser Kopf ohnehin wenig wert; verlieren wir, so mag er fallen. Doch,« sagte er, Uschakoffs Hand ergreifend, »bist du bange, hat dir das Leben, wie wir es heute führen, so viel Wert, daß es dir zu hoch scheint zum Einsatz in unserem Spiel, so tritt zurück, mein Freund; kein Vorwurf soll über meine Lippen kommen, und das Geheimnis deiner Mitwissenschaft soll begraben bleiben in meinem Herzen; keiner zitternden Hand dürfen die Würfel zu solcher Entscheidung entrollen!«

»Ich zage nicht, ich weiche nicht zurück!« rief Uschakoff, indem er seine Hand zurückzog. »Ich habe dich noch einmal mahnen wollen; willst du vorwärts gehen auf deinem Wege, so werde auch ich die Bahn verfolgen, die zur Macht und Ehre führt aus dem Staube der Niedrigkeit.«

»Wohlan denn,« rief Mirowitsch, »der Falke regt die Flügel und erspäht sein Opfer mit sicherem Blick! Nimm diese Schrift und zeige sie den Leuten, Piskow soll sie heute abend in seiner Kantine versammeln; ich werde kommen, um mit ihnen zu sprechen und mich selbst zu überzeugen, ob alles reif ist, die Tat zu wagen. In Petersburg steht alles gut, sagst du?«

»So gut, als es nur stehen kann«, erwiderte Uschakoff; »Tschewaridew ist unser, und alle Kanoniere seiner Kaserne sind gewonnen; er bürgt für sie, – wenn wir Iwan zu ihm geführt, werden wir unter dem Schutze seiner Kanonen die Garden und das Volk schnell gewinnen.«

»Gut denn,« sagte Mirowitsch, »so werden wir bald den Tag der Ausführung bestimmen können. O Adeline, meine Geliebte, bald soll eine Fürstenkrone deine schöne Stirn schmücken!«

Ein schmetternder Trompetenstoß klang von den Zinnen der Festung herab; unmittelbar darauf rasselte Trommelschlag im Hof, Kommandorufe erschallten in allen Gängen.

»Was bedeutet das, Generalmarsch zu dieser Stunde!?« rief Mirowitsch, indem er schnell seine Uniform anzog und nachdenklich den Degen einsteckte.

Uschakoff hatte die Tür geöffnet, um nach seinem Zimmer zu eilen.

»Schnell, schnell,« rief ein vorübereilender Offizier, »der Feldzeugmeister kommt zur Inspektion; die Boote sind schon hinüber, um ihn vom Ufer abzuholen!«

Als Mirowitsch in den Hof hinabgestiegen war, formierten sich bereits die Kompagnien zur Paradeaufstellung unter dem Kommando des Generals Berednikow.

Mirowitsch nahm seinen Platz in der Front ein; bald nach ihm erschien auch Uschakoff, und der General hatte eben einen flüchtigen Blick über die Front hingeworfen, als auch schon das Spiel der Torwache gerührt wurde und im nächsten Augenblick Gregor Orloff, von einigen Adjutanten seines Stabes gefolgt, in den Hof trat.

Eine solche Inspektion der durch ihre Lage in der Nähe der Residenz und durch die Eigenschaft als Staatsgefängnis so wichtigen Festung fand gewöhnlich durch den Feldzeugmeister selbst einigemal im Jahre statt und erregte daher keine besondere Verwunderung; doch befanden sich bei diesen Inspektionen der Gouverneur und die Offiziere der Garnison stets in nicht geringer Unruhe, denn Orloff sprach je nach Laune sein Mißfallen auch über die geringsten Kleinigkeiten oft in äußerst heftiger Weise aus.

Der Fürst trug die militärische Uniform mit dem großen Stern des St.-Andreas-Ordens. Er erwiderte, leicht seinen Hut berührend, den militärischen Gruß des Generals und trat dann vor die Front des Regiments. Die Gewehre wurden mit einer Präzision präsentiert, als ob alle diese Arme durch das Räderwerk einer Maschine auf einen einzigen Schlag in Bewegung gesetzt würden.

Der Fürst nickte zufrieden, und Berednikow atmete erleichtert auf.

Nach einigen Fragen über die allgemeinen Verhältnisse der Festung und der Garnison schritt Orloff langsam die Front ab, jeden einzelnen Soldaten mit scharfen Blicken musternd. Aber auch hier fand er heute nichts auszusetzen; er grüßte, vorüberschreitend, freundlicher als sonst die Offiziere und ging dann an Uschakoff vorbei, ohne daß er ihn besonders zu bemerken schien. Vor dem Leutnant Mirowitsch blieb er eine Sekunde stehen und sah ihn mit starr durchbohrenden Blicken an. Mirowitsch erwiderte den Blick des Gewaltigen feindlich und drohend, ohne daß ein Zug seines Gesichts sich veränderte oder ein Muskel seines Körpers zuckte.

Vor Orloff stieg in diesem Augenblick Adelinens Bild auf und seine Brust schnürte sich bei dem Gedanken zusammen, daß die Liebe des schonen Mädchens dem jungen Menschen gehörte, der so trotzig zu ihm aufsah; Mirowitsch aber dachte daran, daß er über den Hochmütigen, vor dem er jetzt seinen Degen senkte, an der Seite des Zaren, der jetzt noch im Kerker schmachtete, bald zu Gericht sitzen werde, und noch stolzer, noch kühner, noch herausfordernder blitzten seine Augen. Hätte er in diesem Augenblick in Orloffs Seele lesen können, vielleicht hätte er den gesenkten Degen erhoben und dessen Spitze in das Herz des Feindes seiner Liebe gestoßen. Niemand aber bemerkte dies alles als Uschakoff, denn schnell schritt Orloff weiter, um die Besichtigung der Front zu beenden; er stieg darauf mit dem Kommandeur auf die Wälle, prüfte den Zustand einiger Geschütze und kehrte dann in den Hof zurück, wo die Truppen immer noch unter dem Gewehr standen.

»Ich bin zufrieden gewesen,« sagte er, »es ist alles in Ordnung; ich danke den Offizieren für den Eifer, den Mannschaften soll heute eine Extraration gewährt werden!«

Unter lautem Hurra präsentierten die Mannschaften noch einmal die Gewehre und rückten darauf wieder in die Kasernenräume ein.

Orloff folgte, wie er stets zu tun pflegte, der Einladung des Gouverneurs, welcher sich die Ehre erbat, ihm eine Erfrischung anzubieten.

»Ich habe mit Ihnen zu reden, General«, sagte der Fürst, während sie durch die dumpfige Halle des Korridors nach der Wohnung des Kommandanten schritten; »lassen Sie die Adjutanten im Vorzimmer.«

Der General bat die Offiziere, im Frühstückszimmer zurückzubleiben, und führte den Fürsten in sein Kabinett, in welches die Diener einen kleinen Tisch hereintrugen, der nach Orloffs Befehl nur eine Schnitte gepreßten Kaviars und zwei Karaffen mit Champagner und Arrak trug, aus denen der Fürst sich sein Lieblingsgetränk mischte.

»Ich bin mit Ihnen zufrieden, General, sehr zufrieden«, sagte er; »Sie haben Ihre Truppen und Ihre Festung in Ordnung, und das freut mich, denn wir leben in einer ernsten Zeit, in welcher alle treuen Diener der Kaiserin in voller Wachsamkeit auf ihren Posten stehen müssen.«

»Ich bin glücklich über Eurer Durchlaucht gnädige Anerkennung«, erwiderte Berednikow, »und werde fortfahren, alle meine Kräfte aufzubieten, um meine Pflicht zu tun im Dienste unserer allergnädigsten Kaiserin.«

»Die Zeit ist schlimm,« fuhr Orloff fort, »der Aufruhr erhebt sein Haupt. Haben Sie von jenem frevelnden Rebellen gehört, der die Steppen am Don mordend und plündernd durchzieht und es wagt, sich für den verstorbenen Zar Peter Feodorowitsch auszugeben?«

»Meine Welt schließt mit den Mauern dieser Festung ab«, erwiderte Berednikow; »ich höre durch Eure Durchlaucht das erste Wort von jenem Frevel, mich kümmert nicht, was da draußen geschieht; das Reich ist gut behütet, wenn jeder auf seinem Posten seine Schuldigkeit tut!«

»Bei Gott, da haben Sie recht,« rief Orloff, »ich trinke auf Ihr Wohl! Diener, wie Sie sind, tun der Kaiserin not, und doch, wer bürgt dafür, daß nicht dennoch auch hierher eine Kunde dringe von dem hochverräterischen Beginnen des heillosen Betrügers; der Geist des Aufruhrs ist ansteckend, und Sie hüten hier ein gefährliches Geheimnis, das in verwegenen Händen ebenfalls Aufruhr und Empörung erzeugen könnte.«

»Eure Durchlaucht dürfen ruhig sein«, sagte Berednikow; »ehe dieses Geheimnis in die Welt da draußen dränge, müßte sein Weg über meine Leiche gehen!«

»Und wenn er einmal darüber ginge,« sagte Orloff, »so wäre nur ein braver Soldat verloren und nichts gewonnen. Die Zeit gebietet Vorsicht. Hören Sie mich an. Man muß an alle Fälle denken, und darum bin ich gekommen, um die mir anvertraute Sicherheit des Thrones gegen jeden Fall zu schützen. Sie werden von heute an die Wache bei dem Gefangenen dieser Festung nur den Offizieren anvertrauen, auf die Sie sich unbedingt verlassen können, hören Sie wohl, unbedingt; doch werden Sie diese Maßregel so treffen, daß sie nicht auffällig erscheint.«

»Das ist einfach«, erwiderte Berednikow; »ich habe die Wache bei dem Gefangenen ohne bestimmte Reihenfolge wechseln lassen und jedesmal in dem Augenblick selbst erst dem betreffenden Offizier den Befehl erteilt.«

»Recht, recht,« rief Orloff, »das ist ein Beweis Ihrer Klugheit und Vorsicht, welche die Kaiserin nicht unbelohnt lassen wird. Sie werden nun«, fuhr er dann fort, indem er seine Stimme zu leiserem Ton dämpfte, »jedesmal zwei Offiziere zur Wache bei dem Gefangenen kommandieren, und Sie werden ihnen bestimmte Befehle geben, bei dem Ausbruch einer Meuterei zur Befreiung des Gefangenen diesen sogleich zu töten, verstehen Sie wohl, sogleich zu töten, so daß die Verschwörer nur seine Leiche finden; Sie begreifen, daß seine Leiche jeder Gefahr, die von hier kommen könnte, den Weg zum Thron sicherer abschneiden wird, als es die Ihre tun würde. – Sie werden ferner«, fuhr er fort, »den Offizieren, denen Sie die Wache übertragen und diesen Befehl mitteilen, die strengste Geheimhaltung desselben bei dem Verlust ihres Kopfes zur Pflicht machen!«

»O Durchlaucht,« rief Berednikow, bleich und zitternd, »das ist entsetzlich! Wie könnte ich es wagen, das Blut des Gefangenen zu vergießen? Ist es doch«, sagte er schaudernd, »das Blut unserer Zaren vom erhabenen Hause Romanow! Der Fall ist ja undenkbar! Wie sollte hier in den Mauern der Festung ein Aufruhr möglich sein!?«

»Hat der große Zar Peter«, sagte Orloff streng, »sein eigenes Blut geschont, als es die Sicherheit des Reiches galt? Es bleibt dabei! Und ist der Fall unmöglich, wie Sie sagen, um so besser; meine Pflicht ist es, für alle Fälle zu sorgen. Auch Sie, General, haften mit Ihrem Kopf dafür, daß mein Befehl buchstäblich ausgeführt wird!«

»Nun, Durchlaucht,« sagte Berednikow, »so bitte ich, ihn mir buchstäblich zu geben, buchstäblich und schriftlich!«

»Ihr Gewissen soll beruhigt sein«, sagte Orloff. »Sie kennen die Vollmacht, durch welche die Kaiserin diese Festung und alles, was den Gefangenen betrifft, unter meine Verantwortung stellt?«

»Ich kenne sie«, erwiderte Berednikow.

»So gilt denn mein Befehl«, sagte Orloff, indem er sich an den Schreibtisch des Generals setzte, »dem der Kaiserin gleich, welche das Recht hat über Leben und Tod eines jeden Untertanen ihres Reiches, ob auch das Blut der Romanows in seinen Adern fließt.«

Er nahm ein Blatt Papier und schrieb in großen, kräftigen Zügen, während Berednikow mit gefalteten Händen tiefbewegt neben ihm stand.

»Hier«, sagte er, dem General das Papier reichend; »genügt das?«

»Es genügt«, erwiderte Berednikow, nachdem er das Blatt durchlesen. »Der buchstäbliche Befehl wird buchstäblich erfüllt werden, wenn es nötig ist. Doch«, sagte er, erleichtert aufatmend, »es wird nicht nötig sein, der Fall ist unmöglich; Gott wird so Entsetzliches nicht geschehen lassen!«

»Um so besser«, sagte Orloff; »meine Pflicht ist es, keine Vorsicht zu versäumen. Noch eins,« fügte er hinzu, indem er den Rest seines Glases leerte, während Berednikow seufzend den verhängnisvollen Befehl in seinen Schreibtisch verschloß, »noch eins: Sie haben in Ihrer Garnison den Leutnant Wassili Mirowitsch –«

»Ein tüchtiger, vortrefflicher Offizier«, erwiderte Berednikow.

»Mag sein,« sagte Orloff, »daß er seinen Dienst tut; doch er ist ein Querulant, ein Unzufriedener, der die Kaiserin wiederholt schon mit Bitten bestürmt hat.«

»Er ist unschuldig, Durchlaucht, an dem Verbrechen seines Ahnen.«

»Gleichviel,« sagte Orloff, »er ist ein unruhiger Kopf, er ist hier nicht an seinem Platz; ich werde dafür sorgen, daß er zu einem anderen Regiment nach Polen geschickt wird oder gegen die Türken. Bis das geordnet ist, werden Sie ihn nicht zur Wache bei dem Gefangenen kommandieren, und ich wünsche nicht, daß Sie ihm Urlaub erteilen, unter welchem Vorwand es auch sei, damit er nicht etwa die Kaiserin von neuem belästigt.«

»Zu Befehl, Durchlaucht«, erwiderte Berednikow; »ich werde mich freuen, wenn dem Leutnant Mirowitsch Gelegenheit gegeben wird, sich vor dem Feinde auszuzeichnen, wonach auch ich mich sehne.«

»Die schönste Auszeichnung ist die Pflichterfüllung an dem Platz, an welchen unsere Kaiserin uns stellt,« sagte Orloff, dem General auf die Schulter klopfend, »und diese Auszeichnung haben Sie sich in reichem Maße erworben. Ich habe schon lange daran gedacht, Sie der Kaiserin für den Orden des heiligen Alexander Newsky vorzuschlagen; ich werde es nicht länger vergessen.«

»O Durchlaucht,« rief Berednikow, hoch errötend vor Freude, »das ist zu viel Gnade, das ist mehr, als mein einfacher, bescheidener Dienst verdient.«

»Die Kaiserin wird entscheiden,« sagte Orloff, »und ich bin gewiß, daß sie mit Freuden Ihre Brust mit dem schönen Ehrenzeichen zieren wird.«

Er schüttelte kräftig die vor Freude zitternde Hand des Generals und kehrte dann in das Zimmer zurück, in welchem seine Adjutanten beim Frühstück saßen.

Heiter plaudernd, trank er hier noch ein Glas, dann brach er auf.

Abermals klangen die Trommeln der Torwache, die Ordonnanzen ergriffen die Ruder der bereitliegenden Boote, und Berednikow geleitete den Fürsten selbst bis zum andern Ufer, wo die Pferde und Reitknechte warteten.

Der Fürst und sein Gefolge verschwanden, eine Staubwolke aufwirbelnd, auf dem Wege nach Petersburg, während Berednikow in Gedanken verloren über die schäumenden Wellen nach der düsteren Feste zurückfuhr, deren verhängnisvolle Geheimnisse seiner Hut anvertraut waren.


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