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35. Kapitel

Ein herrlicher, leuchtender und frischer Morgen goß seinen Glanz aus über den Garten des prächtigen Winterpalais, das die Kaiserin, von so vielen unruhigen Sorgen bewegt, nicht verlassen hatte, um, wie sie sonst im Sommer zu tun pflegte, eine Zeitlang in Peterhof oder Zarskoje-Selo zu residieren. Die dichten Gebüsche, die hohen Baumkronen und die Rasenteppiche schimmerten im frühlingsfrischen Grün, denn der ganze Garten wurde mehrere Male des Tages bis zu den höchsten Spitzen der Bäume hinauf mit Wasser besprengt, und jedes trockene oder welke Blatt wurde sorgfältig entfernt, so daß man hier, solange der kurze nordische Sommer dauerte, niemals eine Spur der Vergänglichkeit sah, und ein gleichmäßig ununterbrochener Frühling auf die Erde herabgestiegen zu sein schien. Neben den mit weichem, rotgelbem Kies bestreuten Wegen blühten die Blumen aller Zonen in kunstvoll geordneten Beeten, Orangenbäume und selbst einzelne Palmen waren mit ihren Kübeln in die Erde gegraben und schienen frei zu wachsen, nebeneinander sah man Blüten und Früchte der verschiedensten Jahreszeiten und Zonen, und es schien, als ob eine Feenhand auf diesem wunderbar begnadeten Fleckchen Erde alle Schönheit und allen Reiz vereinigt habe, welche der Schöpfer sonst über seine ganze Welt hin zur Freude der Menschen verteilt hatte.

Am Fuße einer ganz leicht aufsteigenden Anhöhe, welche mit mächtigen Eichen bestanden war, befand sich eine Laube von zierlich vergoldetem Gitterwerk, welche dicht mit jenen farbenglühenden, süß duftenden Rosen von Schiras umlaubt war, welche die Kaiserin besonders liebte und welche mit Aufbietung aller Kunst der Hortikultur zu ihrer schönsten Entwicklung gebracht wurden. Vor dieser Laube befand sich inmitten eines grünen Rasenteppichs ein großes Bassin von Marmor, aus welchem ein starker Wasserstrahl hoch emporstieg und, in diamantenglänzenden Tropfen zerstäubend, wieder herabfiel. Tropische Wassergewächse blühten auf dem klaren, künstlich gewärmten Wasser, Gruppen von Palmenbäumen standen rechts und links daneben, weiter hinten wurden die Rasenflächen von dem dunklen Grün hoher Tannen und daneben von einem kleinen Hain blühender Myrten und Orangen eingerahmt, so daß hier in der Tat der Blick auf einmal Bilder aus der Natur aller Zonen der Erde umfaßte.

Der Lieblingsplatz der Kaiserin war der Herrscherin würdig ausgestattet, deren Ruf sich von den Kiefernwäldern des hohen Nordens bis zu den Orangen und Myrten der Ufer des Schwarzen Meeres ausdehnte, und die ihre Hand ausstreckte, um auch die Palmenwälder Asiens unter der byzantinischen Krone sich zu unterwerfen.

Katharina saß in einem einfachen, weißen Morgenanzuge unter der blühenden Rosenlaube auf einer mit persischen Teppichen bedeckten Marmorbank, sie sah ein wenig bleich und erschöpft aus, aber doch leuchtete in dieser frischen Frühlingsnatur noch ein Schimmer der Jugendschönheit von ihrem Gesicht, und ihr über all diese leuchtende Herrlichkeit dahinschweifender Blick schien das goldene Morgenlicht widerzuspiegeln.

Neben ihr zu ihren Füßen saß auf einem kleinen Taburett Zoraide, die gefangene Tochter des Großwesirs Mossum Oglu, in reiche türkische Tracht gekleidet, den Schleier über das Haupt geworfen und mit ihren schönen Händen einen Kranz von Rosen windend, die sie von den Zweigen der Laube pflückte.

Vor der Kaiserin stand auf einem kleinen Tisch eine silberne Schale, mit herrlichen Früchten gefüllt, welche nur die Allmacht der unumschränkten Selbstherrscherin zu gleicher Zeit nebeneinander vereinigen konnte, Feigen und Kirschen, duftende Erdbeeren und frische Datteln fanden sich hier nebeneinander, und um dieses so einfach scheinende Frühstück herzustellen, hatte die Kunst und die unermüdliche Sorgfalt der Gärtner durch jahrelange Arbeit die Natur von den Wegen des gewöhnlichen Zeitlaufs ablenken und den Befehlen der Herrscherin unterwerfen müssen.

An der Seite des Tisches, dessen Platte von einem einzigen Lapislazuli gebildet war, saß der Page Nikolai Sergejewitsch, er hielt ein Buch in der Hand und las mit seiner wohlklingenden, jugendlich frischen Stimme die schönen Verse, welche Racine in seiner Iphigenie der Tochter Agamemnons in den Mund legt.

Katharina liebte dies Werk des französischen Dichters ganz besonders, vielleicht weil ihre eigene Natur am wenigsten Ähnlichkeit mit dem so ganz idealen, allen irdischen Wünschen abgewendeten Charakter der Iphigenie hatte.

Zoraide hörte aufmerksam lauschend zu, durch den silbergestickten Schleier sah man ihre Augen leuchten, und oft ließen ihre Hände die Rose, die sie gepflückt hatte, in den Schoß sinken.

Nikolai schien bei seinem Vortrag mehr auf Zoraide als auf die Kaiserin zu achten, und besonders bei schönen, das Gefühl bewegenden Stellen hefteten sich seine Blicke so feurig auf das junge Mädchen, als ob er den Schleier durchdringen und auf ihren Zügen den Eindruck der Dichtung lesen wolle.

Ein Akt war zu Ende. Zoraide hatte ihren Rosenkranz vollendet und legte ihn auf den Schoß der Kaiserin.

»Nicht mir gebührt der Kranz,« sagte Katharina lächelnd, »sondern dem, der uns diese genußreiche Stunde durch seinen geschickten Vortrag verschafft hat. Nimm ihn, Nikolai Sergejewitsch, und möge dir das Leben stets so schöne Rosen bieten, wie sie die Hand meiner lieben Zoraide für dich vereinigt hat.«

Nikolai beugte vor der Kaiserin das Knie; sie drückte scherzend den Kranz auf sein Haupt.

Der Page küßte die Hand der Kaiserin, aber im nächsten Augenblick, als wolle er auch der ersten Geberin dieses duftenden Geschenks seinen Dank bringen, beugte er sich auf Zoraidens Hand, welche noch auf dem Schoß der Kaiserin lag, herab und drückte seine heißen Lippen auf dieselbe. Erschrocken zuckte das junge Mädchen zusammen.

»Sie ist noch, Türkin,« sagte Katharina lächelnd, »sie versteht noch nichts von der europäischen Galanterie«, fuhr sie fort, indem sie schmeichelnd mit der Hand über Zoraidens Haupt strich. »Bei uns ist ein Handkuß eine Huldigung, welche jeder Dame gebührt und welche sie von jedem Manne empfangen darf.

Rasche Schritte näherten sich auf dem Kiesweg.

Unwillig blickte die Kaiserin auf, denn niemand durfte sich ihr nähern, wenn sie sich auf diesen ihren Lieblingsplatz zurückgezogen hatte.

Der Großfürst Paul Petrowitsch trat lebhaft erregt heran und sagte:

»Ich bitte Eure Majestät um Verzeihung, wenn ich es wage, Sie bis hierher zu verfolgen, aber ich muß eine Bitte an Sie richten. Man hat mir gesagt, daß der Graf Panin, mein Erzieher, entlassen werden soll, und –«

Das Gesicht der Kaiserin verdüsterte sich.

»Geh' dort in den Garten, Nikolai Sergejewitsch,« sagte sie, »nimm Zoraide mit dir, ich werde euch rufen, wenn ich eurer bedarf!«

Freudig blitzten Nikolais Augen, Zoraide schien erschrocken zurückweichen zu wollen, aber schon hatte er ihre Hand ergriffen, und ihren Arm in den seinigen legend, führte er sie schnell davon.

»Nun, meine gnädigste Mutter,« sagte der Großfürst, als er mit der Kaiserin allein war, »ist es wahr, was man erzählt, daß der Graf Panin in Ungnade gefallen sei, daß er entlassen werden soll?«

»Du fragst ungestüm, mein Sohn«, sagte Katharina.

»Und sollte ich ruhig bleiben bei solcher Nachricht!« rief Paul. »Ich liebe den Grafen, der mich von Jugend auf erzogen und dem ich alles danke, was ich bin, und nun –«

»Deine Erziehung ist vollendet, du bedarfst keines Gouverneurs mehr,« erwiderte Katharina, »es wäre unpassend, wenn diese Stelle besetzt bliebe, da du dich verheiratest und deinen eigenen Hofstaat erhältst.«

»Wenn ich keines Gouverneurs mehr bedarf, so bedarf ich in den neuen Verhältnissen doch noch mehr des Leiters, und wenn meine gnädigste Mutter mit meiner Erziehung zufrieden ist, so hat nur Panin das Verdienst davon, er verdient im Augenblick meiner Vermählung die höchste Auszeichnung, aber keine Ungnade, und«, fuhr er fort, indem eine immer steigende Erregtheit sich in seinem Gesicht ausdrückte, »er hat bei Gott große Verdienste nicht nur um mich, sondern auch um Eure Majestät und um das Reich; unsere Geschichte zeigt uns so viele traurige Spaltungen und Zerwürfnisse, und auch mein Vater –«

Er hielt erschrocken inne und schlug die Augen nieder, denn mit dem Ausdruck furchtbarer Drohung hefteten sich Katharinas Blicke auf ihn.

»Nun, meine gnädigste Mutter,« fuhr er nach einem kurzen Schweigen fort, »alle jene traurigen Mißverständnisse und Zerwürfnisse beruhten wohl immer auf dem bösen Rat falscher Freunde, die sich an die Fürsten unseres Hauses, an die Herrscher des russischen Reiches drängten; auch an mich haben sich solche falsche Freunde zu drängen versucht.«

»Ha!« rief die Kaiserin auffahrend, »wer hat es gewagt? Es gibt keine Strafe, die schwer genug ist für solches Verbrechen.«

»Ich bin nicht gekommen,« sagte Paul, »um falsche Freunde anzuklagen, sondern um einen wahren und treuen Freund zu verteidigen. Fragen Eure Majestät mich nicht, denn ich werde nicht antworten, aber ich bitte Eure Majestät, zu bedenken, wie leicht in meiner jungen Seele böse Ratschläge hätten Eingang finden können, und wenn es nicht geschehen ist, wenn ich niemals auch nur mit einem Gedanken die Ehrfurcht und den Gehorsam gegen meine Mutter und meine Kaiserin verletzte, so war es das Verdienst des Grafen Panin, der mich mutig und ernst an die Pflichten jener Ehrfurcht und jenes Gehorsams mahnte, der mich lehrte, daß das Heil meines Vaterlandes nur in den starken und bewährten Händen meiner kaiserlichen Mutter sicher ruhe; Panin war es, der mich den unerschütterlichen Glauben lehrte an die Weisheit und Gerechtigkeit der Kaiserin, und in diesem Glauben bin ich gewiß, daß Eure Majestät seine Treue nicht in dem Augenblick durch eine Ungnade belohnen wollen, in welchem meine Erziehung vollendet ist.«

Katharina blickte lange in tiefem, ernstem Schweigen vor sich nieder, dann richtete sie das Haupt auf, reichte dem Großfürsten die Hand und sagte:

»Du hast recht, mein Sohn, ich ehre deine Gefühle, und was du mir gesagt hast, läßt mich erkennen, wie groß – größer, als ich glaubte – das Verdienst deines Erziehers ist. Der Großfürst von Rußland soll nicht vergebens eine Bitte der Kaiserin ausgesprochen haben. Panin kann zwar nicht mehr dein Gouverneur sein, aber er soll seine Stellung in meinem Rat behalten und die auswärtige Politik des Reiches nach meinem Befehl fortführen, ich werde daran denken, ihn für das vollendete Werk deiner Erziehung glänzend zu belohnen.«

»Dank, Dank, Majestät,« rief Paul, »Dank für dieses Wort! Mögen sie mir sagen, was sie wollen, ich werde dennoch nicht den Glauben an meine Mutter verlieren. Jetzt will ich die Einsamkeit Eurer Majestät nicht länger stören, und wenn eine Stimme in Ihrem Herzen für Ihren Sohn spricht, so mag sie Ihnen sagen, daß Sie mich glücklich gemacht haben!«

Er stürmte in seiner hastigen, unruhigen Weise ebenso eilig davon, als er gekommen war.

Sinnend sah ihm die Kaiserin nach.

»Ich vermutete es,« sagte sie, »aber ich hätte es nicht geglaubt, daß man es gewagt habe, so deutliche Worte in sein Ohr zu flüstern; sie haben keine Wirkung gehabt, denn sonst hätte er mir nicht davon gesprochen. Und doch, jede Saat keimt endlich empor, und die böse Saat am leichtesten. Ich muß wachsamer sein, immer noch wachsamer, er ist schwach und empfänglich, wie es sein Vater war.« Wieder versank sie in tiefes Nachdenken.

»Das ist es,« sagte sie dann, »das ist es; er liebt die Prinzessin in seiner Weise, sie muß ich in meiner Hand halten, um sie zu beherrschen, die Liebe soll ihn an mich ketten, und da ich in meinem eigenen Herzen die mütterliche Liebe für ihn nicht finden kann, so muß ich auf diesem Umwege zu ihm dringen. Glück und Glanz will ich auf ihn häufen, damit die Sehnsucht nach der Krone nicht in ihm aufsteigt, damit er niemals darüber nachzudenken beginnt, daß es Leute gibt, die ihn für den rechtmäßigen Kaiser halten und die durch ihn herrschen möchten.«

Sie stand auf und ging, immer noch nachdenkend, langsam auf dem Wege hin, der nach den dichteren Bosketen führte. Plötzlich aus ihren Träumen auffahrend, blieb sie erstaunt vor einer dunklen Grotte stehen, welche aus weißem Marmor gebildet und von dichtem Efeu umrankt war. Über dieser Grotte erhob sich eine Statue des Cupido, der spähend seinen Bogen emporhebt und einen Pfeil aus seinem Köcher zieht, seitwärts rieselte eine kleine Quelle in ein von Nymphen getragenes und mit Perlmutter ausgelegtes Bassin. Der ganze Platz schien wie dazu geschaffen, dem Liebesgott eine Stätte für seine Siege über die Menschenherzen zu bieten, und in der Tat hörte die Kaiserin hinter den Efeuranken, welche über den Eingang der Grotte herabhingen, leises Stimmengeflüster.

Schnell beugte sie die grünen Ranken zurück, um zu entdecken, wer es gewagt habe, das strenge Verbot zu übertreten, das diesen Garten für jedermann verschloß.

Als sie ihren Blick in die dunkle Grotte tauchte, sah sie auf dem Sitz neben der riesigen Quelle den Pagen Nikolai. Zoraide ruhte in seinem Arm, das entschleierte Haupt an seine Brust gelehnt.

Er hielt ihre Hand in der seinen, sie sah mit ihren schwärmerischen Augen zu ihm auf, seinen Liebesworten lauschend, und überließ ihre frischen Lippen seinen Küssen.

Zoraide bemerkte die Kaiserin zuerst, mit einem Schreckensruf sprang sie auf, Purpurglut übergoß ihr Gesicht, sie sank mit aufgehobenen Händen zu Katharinas Füßen nieder.

Auch Nikolai hatte sich erhoben, er erbleichte und zitterte, als er die strenge Miene der Kaiserin sah, dann aber schnell vortretend, sprach er mit fester Stimme und mutig blitzenden Augen: »Es ist wohl eine Fügung Gottes, die Eure Majestät hierher führt. Was meine gnädigste Kaiserin gesehen, sollte hier kein Geheimnis bleiben. Ich liebe Zoraide, ich bin entschlossen, ihrem Glück mein Leben zu weihen. Ich erflehe von meiner gnädigen und huldreichen Gebieterin ihren erhabenen Schutz für meine Liebe!«

»Und du, Zoraide?« fragte Katharina. »Doch, was soll ich fragen, nachdem ich gesehen habe.«

»Ja, hohe Herrin,« sagte Zoraide, ohne sich von ihren Knien zu erheben und mit tränenden Augen zu der Kaiserin aufschauend, »ja, ich liebe ihn, ich kann nicht anders, das ist mein Schicksal, und seinem Schicksal kann kein Sterblicher entrinnen. Und doch muß ich elend werden, doch muß ich sterben an meiner Liebe.«

»Sterben?« rief Nikolai, indem er Zoraide aufhob und in seine Arme schloß. »Nein, du sollst leben, leben zu sonnigem Glück für dich und auch für mich. Meine Liebe ist so groß, so stark und so mutig, daß sie auch deines Glückes gewiß ist.«

»Törichte Kinder,« sagte die Kaiserin lächelnd, »ich sollte euch zürnen, doch darf ich es kaum, denn ich habe wohl schuld, daß alles so gekommen ist; ich hätte daran denken sollen, daß eure Herzen sich finden müßten. Ich bin schon so weit von der Kindheit entfernt, daß ich vergessen habe, wo ihre Grenze liegt.«

Oh, ich wußte es ja,« rief Nikolai, »meine Kaiserin ist gnädig, und was bedeutet alles, was die Welt zwischen uns auch immer auftürmen mag, vor dem Wink ihrer allmächtigen Hand!«

»Meine hohe Herrin ist allmächtig in ihrem Reich«, sagte Zoraide traurig, »aber unser Glück kann sie dennoch nicht begründen, ich gehöre meinem Vater.«

»Du gehörst mir,« rief die Kaiserin stolz, »das Recht des Krieges hat dich in meine Hand gegeben, und wenn ich dich jenem dort als Kriegsbeute zuteile, wenn ich dich hoch erhebe unter den Großen meines Reiches, daß du ihm ebenbürtig wirst, würdest du dich über das Los beklagen, das ich der Gefangenen bereite?«

»O hohe Herrin,« erwiderte Zoraide, »du bist wohl gnädig und huldvoll für die arme Gefangene, und dennoch kann ihr Glück nicht erblühen unter dem Sonnenschein deines Blickes, mein Leben gehört dir, du kannst es nehmen, wenn es dir gefällt, aber mein Gehorsam gehört meinem Vater, er hat über mein Herz, über meine Liebe, über mein Glück zu entscheiden, er ist für mich der Stellvertreter Gottes auf Erden, und nur dem Manne darf ich gehören, dem er mich gibt!«

»Ich habe dich unterrichten lassen im christlichen Glauben«, sagte Katharina; »du hast mir gesagt, daß dein Herz sich zuwende den Lehren des Evangeliums, und du wolltest zurückkehren zu deinem Vater, zurückkehren unter die Herrschaft des Glaubens, der die Weiber zu Sklavinnen erniedrigt, während dir hier das höchste Glück der Liebe winkt?«

»Kann ich anders,« sagte Zoraide, indem sie die Arme über der Brust kreuzte und tieftraurigen Blickes zu Nikolai aufsah, »kann ich anders? Hat mein Vater nur in meinem ganzen Leben etwas anderes gegeben, als Liebe und immer wieder Liebe? Wäre ich nicht unwert des Lichtes der Sonne, wenn ich von ihm mich wendete zu den Feinden seines Volkes, den Feinden seines Landes?«

»Und, Zoraide,« rief Nikolai schmerzlich, »was bin ich?«

»Du bist das Glück meines Lebens, an das ich gedenken werde, solange ich atme, mit Schmerzen und Sehnsucht, aber das heilige Gebot Gottes, das euer Prophet lehrt wie der meinige, befiehlt mir, meinem Vater zu gehorchen vor allen und ihm zu vergelten alle Liebe, die er über meine Kindheit ausgegossen.«

Die Kaiserin sah das junge Mädchen liebevoll an.

»Und du Nikolai,« sagte sie, »du würdest sie nicht aufgeben, nicht vergessen vor all den schönen Damen meines Hofes, unter denen deinem Herzen die Wahl offen steht?«

»Sie vergessen!« rief Nikolai. »Niemals, niemals; und wenn sie mich verwirft, so ist mir das Leben nichts mehr wert, so würde ich mich begraben in die Einsamkeit des Klosters, oder besser, ich würde hingehen, wo unsere Heere im Felde stehen, und Gott bitten, daß er mir den Tod sende! Aber es ist nicht möglich, nicht möglich, daß sie sich von mir wenden kann!« rief er mit angstvoll flehenden Blicken. »Es ist nicht möglich, sie weiß es ja, daß ich daran sterben muß. Ihr Vater hat alles, was Macht und Herrschaft im Leben bietet, – ich habe nichts als meine Liebe.«

Zoraide schlug vor seinen flehenden Blicken die Augen nieder, sie antwortete nicht, aber sie schüttelte traurig den Kopf.

»Du hast recht, mein Kind,« sagte die Kaiserin, »auch das christliche Gebot befiehlt, den Eltern zu gehorchen und sie zu lieben. Dein Vater muß ein edler Mann sein, daß er dich zu solcher Liebe und zu solchem Gehorsam erzog, aber darum wird er deinem Glück kein Hindernis bereiten. Höre mich an,« fuhr sie fort, Zoraide zu sich heranziehend, »dein Vater weiß, daß du mir gehörst nach dem Recht des Krieges, daß ich über dich verfügen, dich zwingen könnte, meinem Willen zu gehorchen. Nun denn, ich werde ihm einen Boten senden, ich werde meinem General befehlen, mit ihm zu verhandeln und seine Erlaubnis zu erbitten, daß du meinem Nikolai deine Hand reichen darfst. Das Wort der Kaiserin wird auch bei ihm nicht ungehört verhallen, und wohl wird er es vorziehen, seine Tochter erhöht zu sehen unter die ersten Frauen meines Reiches, während ich sie erniedrigen könnte unter meine Dienerinnen. Du kennst deinen Vater, sein Stolz und die Liebe zu seinem Kinde müßten ihn wohl bewegen, die Bitte zu erfüllen, welche die Herrscherin Rußlands an ihn richtet.«

»Kaum wage ich's zu hoffen, meine hohe Herrin,« rief Zoraide, »und doch, mein Vater ist so mild und gütig für mich, er haßt die Christen nicht, ich weiß es wohl. O mein Gott, das Glück wäre zu groß, wenn es geschehen könnte, wenn meine gnädige Herrin selbst für mich sprechen wollte!«

»Hoffe, mein Kind,« sagte Katharina, indem sie zärtlich über das glänzende Haar des Mädchens strich, »hoffe; was ich tun kann, um euch glücklich zu machen, soll geschehen. Auch Nikolai bin ich es schuldig, ihm das ersehnte Glück zu gewähren, denn sein Vater war mein Freund. Ich werde meine ganze Macht einsetzen, um euch glücklich zu machen und um auch den frommen Sinn seiner Zoraide mit ihrem Glück zu versöhnen.«

Mit einem Jubelruf drückte Nikolai Zoraide an seine Brust und küßte ihre tränenfeuchten Augen, dann sanken beide vor der Kaiserin auf die Knie nieder und stammelten in abgebrochenen Worten ihren Dank.

Katharina legte die Hände auf ihre Häupter und sagte: »Gott segne euch, meine Kinder! Könnte ich euch so vor Zoraides Vater führen, ich bin gewiß, er würde euch auch seinen Segen nicht versagen.«

Laute Stimmen erklangen von der Allee her, welche nach der Terrasse zu den Gemächern der Kaiserin führte.

Erstaunt blickte Katharina auf. Es war unerhört, daß die Stille und Einsamkeit, welche sie in ihrem Garten suchte, gestört wurde. Etwas ganz Außerordentliches mußte geschehen sein. Zitternd und erbleichend lauschte sie den lauten Stimmen. Sie dachte an Orloff, er allein mochte es wagen, in seinem wilden Übermut gewaltsam zu ihr zu dringen.

»Mag meine Kaiserin sein, wo sie will,« hörte man eine laute Stimme rufen, »man wird mich nicht hindern, zu ihr zu dringen. Für die Botschaft, die ich ihr bringe, gibt es keine Schranken!«

Die Blicke der Kaiserin leuchteten hell auf, sie hatte die Stimme Soltikows erkannt.

»Mein Vater!« rief Nikolai aufspringend, und Zoraides Hand haltend, folgte er der schnell nach dem Schlosse hinschreitenden Kaiserin.


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