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26. Kapitel

Einen Tag nur ließ Romanzow seine siegreichen Truppen in dem eroberten türkischen Lager ausruhen, um sich im Genuß der vorgefundenen reichen Vorräte aller Art zu erholen, welche unter strengste Bewachung genommen und nur in militärischer Ordnung unter die Soldaten verteilt wurden, während alle in den Zelten der türkischen Paschas und Beys gefundenen Kostbarkeiten den Truppen als freie Beute überlassen blieben.

Noch am späten Abend nach dem Siege beschloß der im eroberten Zelte des Wesirs abgehaltene Kriegsrat das weitere Vorrücken, nachdem den Soldaten ein Rasttag gegönnt und alles jenseits des Flusses zurückgelassene Kriegsmaterial herübergeschafft sein würde.

Romanzow wollte den General Soltikow sogleich mit der Botschaft des siegreichen Donauüberganges und der eroberten Standarte des Wesirs an die Kaiserin senden, aber Soltikow bedurfte, trotzdem seine Armwunde nicht gefährlich war, noch einiger Ruhe und Pflege, auch erklärte er, daß der Feind zwar geschlagen, aber der Feldzug noch nicht beendet sei, und er bat, die ehrenvolle Sendung, welche Romanzow ihm zugedacht, erst dann ihm zu übertragen, wenn er imstande sein werde, der Kaiserin den in ihrem Namen dem Feinde diktierten Frieden zu melden.

»Sie haben recht,« erwiderte Romanzow, »wer so wie Sie mit seinem Blut das erste Lorbeerblatt gepflückt hat, der darf es wohl verlangen, den vollen Kranz der Kaiserin zu Füßen zu legen. Ihnen danke ich es, daß ich lebend die Ehre meines Namens bewahren konnte, Ihnen gebührt es, den ehrenvollen Dank zu empfangen, wenn wir den vollen Siegespreis gewonnen haben.«

»Nicht darum,« erwiderte Soltikow, indem er Romanzows Hand drückte, »nicht darum, Ihnen gebührt aller Dank, alle Ehre, aller Ruhm, und niemand wird den Ruhm Ihres Namens wärmer, lauter und begeisterter verkünden als ich. Ich«, fügte er halb leise hinzu, »will ihr nur zeigen, daß ich nicht vergessen habe, daß der Jugendtraum, wie sie es verlangt, zur männlichen Tat sich gestaltet hat und daß ich mein Leben eingesetzt habe, um ihr stolzes Kaiserwort zur Wahrheit zu machen, wie ich es einst einsetzte für einen Blick, für ein Lächeln der Großfürstin.«

Am zweiten Tage brach die Armee auf, um ihr Werk zu vollenden, das immerhin noch schwer genug schien und gewaltige Kämpfe fordern konnte, denn immer noch überstieg die türkische Armee mindestens das Dreifache der russischen Truppen, und wenn der Feind sich wieder gesammelt und geordnet hatte, so stand eine neue Schlacht bevor; diesmal freilich ohne den gefährlichen Übergang über den Fluß, aber immerhin ernst genug, um die Anspannung der ganzen Kraft zur Sicherung des endlichen Erfolges zu benötigen.

Aber die Lage war günstiger, als Romanzow es besorgte; es war den türkischen Heerführern nicht gelungen, in der kurzen Frist, welche der schnelle Vormarsch der Russen ihnen gönnte, ihre von panischem Schrecken ergriffenen Truppen wieder zu ermutigen und zu ruhiger Sammlung und Ordnung zurückzuführen.

Der Großwesir hatte sich mit dem Kern seiner Truppen in die Festung Schumla geworfen, er ließ die übrige Armee vor der Festung und zu beiden Seiten derselben lagern und in aller Eile einige Erdwerke gegen den Anmarsch der Russen aufwerfen; er hoffte, soviel Zeit zu gewinnen, um seine auseinandergesprengten Scharen hier wieder zu taktischer Ordnung zusammenzufügen und sie von neuem den Russen entgegenführen zu können.

Dazu aber ließ ihm Romanzows schnelles Vordringen keine Zeit, kaum hatten die Türken begonnen, ihre auseinandergesprengten Regimenter wieder zu sammeln, als schon Suwarows leichte Reiterei heranschwärmte. Bei dem Anblick des gefürchteten Feindes, der den türkischen Soldaten ein abergläubisches Entsetzen einflößte, zogen sich diese schnell wieder in die noch ganz unvollendeten Schanzen zurück.

Nachdem Suwarow mit seiner Reiterei den in dichten Knäuel zusammengeballten Feind, eine Zeitlang ringsumher schwärmend, geneckt und an einer geordneten Aufstellung verhindert hatte, erschien Romanzow mit den Grenadierbataillonen und einigen Batterien am Horizont. Suwarow sprengte ihm entgegen, um seine Meldung zu machen. Ohne einen Augenblick zu zögern, ließ Romanzow nach einem kurzen Geschützfeuer, das den Feind mehr erschreckte als beschädigte, seine Grenadiere sich zu Sturmkolonnen formieren und gegen die türkischen Schanzen vorrücken; er selbst führte zu Fuß, den gezogenen Degen in der Hand, sein Bataillon.

Soltikow fuhr im leichten Wagen, den verwundeten Arm in Kissen gestützt, an der Seite des ersten Gliedes der Grenadiere, indem er immer von neuem rief:

»Es lebe die Kaiserin Katharina, die Siegreiche, die Unüberwindliche!«

Begeistert stimmten die Soldaten in seinen Ruf ein, während sie im Laufschritt vorwärts stürmten.

Ein schlecht gezieltes und fast unschädliches Gewehrfeuer knatterte den Stürmenden entgegen. Als die Spitze der Kolonnen aber die feindlichen Schanzen erreicht hatte, als die russischen Grenadiere, von Romanzow geführt, die niedrigen Erdwälle erstiegen und, von denselben herabspringend, sich schnell auf der anderen Seite wieder zusammenschlossen, um unter lauten Hurrarufen vorzudringen, da wendeten sich die Türken, ohne weiteren Widerstand zu versuchen, zur Flucht. Nach rechts und links stoben sie über das weite Feld hin auseinander; sie rissen die beiden anderen seitwärts der Festung hinter ihren Schanzen zusammengedrängten Heereshaufen durch ihr Beispiel mit sich fort. Bald war das ganze weite Feld mit ziellos durcheinanderlaufenden, sich immer mehr in wilde Flucht auflösenden Türkenscharen bedeckt.

Suwarows ganze Reiterei war inzwischen herangekommen und trug Tod und Verderben unter die bald weit auseinanderstäubenden, bald ängstlich dicht zusammengekeilten Türken. Wieder setzte sich Romanzow wie am ersten Schlachttage an die Spitze seiner Kürassiere, und einem funkelnden Blitz gleich jagten die eisernen Reiter über das Feld hin, bald hier, bald dort die türkischen Haufen auseinandersprengend und die Versprengten den herumschwärmenden Kosaken zur völligen Vernichtung überlassend.

Die fliehenden Türken drängten sich gegen die Tore von Schumla, aber diese Tore wurden nicht geöffnet und unten den Mauern der Festung selbst wurden Tausende in schreckenvoller Jagd von den Kosaken niedergemacht, ohne daß die hin und wieder von den Wällen abgefeuerten Geschütze der hin und her fliegenden Reiterei irgendwelchen Schaden zu tun vermochten.

Einige Stunden währte die furchtbare Arbeit des Mordens; Romanzow wollte keine Gefangenen, er wollte den Feind vernichten, um der Pforte auf lange hinaus die Möglichkeit eines neuen Krieges abzuschneiden. Und in entsetzlicher Weise gelang dieses Vernichtungswerk, denn als die Sonne sich senkte, war weit über die Hälfte der türkischen Armee gefallen und die Flüchtigen, denen es gelungen war, dem schrecklichen Blutbade zu entkommen, konnten in diesem Feldzuge nicht nochmals zu ernstem Widerstande gesammelt werden. Romanzow ließ seinen Truppen auch in der Nacht keine Ruhe, rings um die Festung Schumla her wurde das Lager aufgeschlagen, Erdwälle aufgeworfen und die Geschütze, welche allmählich herankamen, auf allen Erhöhungen aufgestellt, um so wirksam als möglich ihre Kugeln werfen zu können.

Am nächsten Morgen war die Festung so weit eingeschlossen, als Romanzow dies mit seiner geringen Truppenzahl zu tun vermochte, und er konnte nun seine Soldaten unbekümmert um die einzelnen Schüsse von den Wällen, welche nur selten fielen und kaum die Absicht eines verzweifelten Widerstandes vermuten ließen, der Ruhe überlassen, während welcher Soltikow still in seinem Zelte lag und es dem Wundarzte überließ, seine durch die Erregung des Kampfes verstärkte, aber immer doch keine ernste Gefahr bietende Wunde zu pflegen.

Fünf Tage lang lag die russische Armee vor Schumla; der Großwesir mochte erwartet haben, daß die außerhalb der Festung befindliche, nach allen Seiten versprengte türkische Armee sich noch einmal zu sammeln vermöchte und durch einen Angriff auf das russische Lager einen Ausfall aus der Festung zu unterstützen versuchen würde.

Romanzow ließ zwar an jedem Tage einige Kugeln in die Stadt werfen, aber kein ernstes Feuer eröffnen; er wußte, daß die Festung, in welcher man bis vor wenigen Tagen einen feindlichen Angriff nicht erwartet hatte, auf eine Belagerung nicht vorbereitet und nicht verproviantiert war, deshalb hoffte er den Großwesir ohne Blutvergießen und Verlust an Menschenleben zur Kapitulation zu zwingen und sparte seine Munition und seine Soldaten für den Fall auf, daß dennoch ein letzter Kampf nötig werden sollte, indem er seine Kavallerie zugleich weit hinausschwärmen ließ, um sich zu überzeugen, daß nirgends ein türkisches Korps vorhanden sei, welches zum Entsatze des Wesirs heranziehen könne. Seine Erwartung sollte ihn nicht täuschen, denn am sechsten Tage nach der Einschließung von Schumla sah man plötzlich von den Zinnen der Festung die weiße Fahne wehen, welche von den russischen Truppen mit einem jubelnden Hurraruf begrüßt wurde, der ringsum durch das ganze Lager widerhallte. Bald darauf öffnete sich das Tor der Festung, ein Adjutant des Wesirs ritt aus demselben hervor und näherte sich dem Lager.

Romanzow sendete ihm den General Kamenskoy entgegen, um ihn in sein Zelt zu führen, und empfing ihn in Gegenwart von Soltikow, Kamenskoy und Suwarow.

Der türkische Offizier, welcher der französischen Sprache vollkommen mächtig war und deshalb keinen Dolmetscher mit sich führte, erklärte kurz und düster, daß sein hoher Herr, der Wesir, welcher von dem erhabenen Padischah mit unumschränkter Vollmacht ausgerüstet sei, den Kampf beenden wolle und bereit sei, die Friedensverhandlungen, welche zu Fokschani unterbrochen seien, wieder aufzunehmen.

»Und Schumla?« fragte Romanzow.

»Der Wesir erkennt an,« erwiderte der Adjutant, »daß er nicht imstande ist, die Festung zu halten, wohl aber würde die Eroberung derselben auch der russischen Armee Tausende von Soldaten kosten. Der Wesir ist entschlossen, sich eher unter den Trümmern von Schumla zu begraben, als den Platz zu übergeben!«

»Und wie sollen wir über den Frieden verhandeln,« fragte Romanzow, »wenn der Wesir in der Festung bleibt?«

»Der Wesir ist bereit, die Festung zu verlassen, und sich zum Abschluß der Unterhandlungen an einen fremden Ort zu begeben.«

»Dieser Ort müßte innerhalb unserer Aufstellung liegen«, sagte Romanzow; »wir sind die Sieger, und wenn der Besiegte um Frieden bittet, muß er zu dem Sieger kommen; ich weiß tapfere Gegner zu achten, aber ich muß auf dieser Form bestehen; ich bürge für die Sicherheit des Wesirs.«

»Mein hoher Herr«, erwiderte der Adjutant, »wird nicht an dem Wort des großen und tapferen Grafen Romanzow zweifeln, den wir alle kennen.«

Romanzow warf einen Blick auf die vor ihm ausgebreitete Karte.

»Hier,« sagte er, »südöstlich von Silistria liegt der Ort Kutschuk-Kainardschi, die große Straße durchschneidet denselben; ich schlage vor, dort die Friedensverhandlungen zu führen.«

»Ich zweifle nicht,« sagte der Adjutant, »daß mein hoher Herr diesen Vorschlag annimmt, er hat nur zu verlangen, daß ihm der freie Verkehr mit dem erhabenen Padischah, unserem großmächtigen Herrscher, stets ungehindert offen gehalten wird.«

»Das versteht sich von selbst«, sagte Romanzow, »und ist bewilligt.«

Der türkische Offizier verneigte sich, indem er nach orientalischer Sitte die offene Hand an seinen Turban legte, und wurde von Kamenskoy wieder bis zum Tore der Festung geleitet.

Nach kurzer Zeit erschien er zum zweiten Male und meldete, daß der Wesir die von Romanzow gestellten Bedingungen angenommen habe und sich sogleich nach Kutschuk-Kainardschi begeben wolle, um dort den Frieden zum Abschluß zu bringen, der in der Tat für die Türken eine absolute Notwendigkeit war, da dem siegreichen Heere Romanzows fast ohne Hindernis der Weg nach Konstantinopel offen stand; er verlangte dabei nur, daß er, um seine völlige Freiheit und Unabhängigkeit auch äußerlich festzustellen, eine türkische Leibwache ungehindert nach dem Orte der Friedensverhandlungen führen und dort behalten dürfe.

Nachdem diese Forderung bereitwillig zugestanden war, sendete Romanzow sogleich den Befehl nach Kutschuk-Kainardschi, daß dort alles vorbereitet werde, um dem türkischen Friedensbevollmächtigten eine würdige und glänzende Gastfreundschaft zu bieten. Dann begab er sich zu Soltikow, welcher so weit von seiner Wunde geheilt war, daß er sich frei bewegen konnte und nur noch den Arm in der Binde trug.

»Sie haben mir die Truppen zugeführt, General,« sagte er, »die es mir möglich machten, den Kampf zu beginnen und den Sieg zu erringen; Sie haben zuerst den Fuß auf das feindliche Ufer gesetzt; Sie haben die Fahne des Großwesirs erbeutet, Ihr Recht ist es, die Friedensbedingungen dem Feinde zu diktieren. Sie wissen, was die Kaiserin verlangt, Sie wissen, daß wir nichts davon ablassen, und daß die Türken in diesem Augenblick bewilligen müssen, was wir fordern; begleiten Sie den Großwesir nach Kutschuk-Kainardschi und schließen Sie den Frieden ab, ich werde freilich, wenn alles reif ist, meinen Namen unter dies ruhmvolle Dokument setzen, und das ist mein Recht als Oberfeldherr, Sie aber sollen die Kunde von der Unterwerfung der Türken der Kaiserin überbringen und ihre endgültige Zustimmung für den Friedensschluß einholen.«

Tief bewegt drückte Soltikow Romanzows Hand.

»Sie wissen nicht, mein General,« sagte er mit strahlenden Blicken, »welche Wohltat Sie mir erweisen durch diesen ehrenvollen Auftrag; vielleicht ist mein geringes Verdienst dadurch zu hoch belohnt. Aber seien Sie gewiß, daß Sie in mir einen Freund für Leben und Tod finden.«

»Ich hatte es mir zum Grundsatz gemacht,« erwiderte Romanzow, »niemals der Freundschaft zu bedürfen, aber dennoch weiß ich ihren Wert zu schätzen, und diesmal ist mein Grundsatz erschüttert worden, diesmal bedurfte ich der Hilfe und Sie haben sie mir gebracht.«

Einen Augenblick standen beide Männer mit stummem Händedruck einander gegenüber. In diesem Händedruck vereinigte sich so viel stolzer Mut, so viel männliche Kraft und so viel feste Treue, wie sie selten in der Geschichte der Völker sich findet und wie sie kaum der große, aus dem alten Herrschergeschlecht Rußlands hervorgegangene Kaiser Peter so hingebungsvoll und erfolgreich zu seinem Dienste bereit gefunden hatte, wie die fremdgeborene Prinzessin von Anhalt, welche in ihrer zarten Hand das Zepter der unumschränkten Herrschaft scheinbar leicht und spielend und doch so fest und sicher zu halten wußte.

Bald darauf öffneten sich die Tore von Schumla, und der Großwesir Mossum Oglu ritt, von seinem Stabe umgeben und von dreihundert tscherkessischen Reitern in Schuppenpanzern begleitet, hervor.

Die russischen Regimenter waren in Parade aufgestellt und begrüßten den feindlichen Feldherrn mit Trompetenfanfaren und Trommelwirbel.

Romanzow sprengte heran. Der Wesir erwiderte feierlich seinen Gruß, und beide betrachteten sich einige Augenblicke ernst und prüfend. Aber Mossum Oglu, obgleich er der französischen Sprache völlig mächtig war, ließ sich Romanzows Worte durch seinen Adjutanten verdolmetschen und ebenso seine türkisch gegebene Antwort wieder ins Französische übertragen; sein Stolz sträubte sich dagegen, mit dem Sieger, dessen Gebot er sich knirschend beugen mußte, in der Sprache eines ungläubigen Volkes zu reden.

Romanzow stellte den General Soltikow als den Unterhändler für den Frieden vor, der ihn nach Kutschuk-Kainardschi begleiten sollte.

Mossum Oglu neigte achtungsvoll sein Haupt vor dem tapferen Gegner, der ihn im Kampf so hart bedroht und ihn fast gefangen genommen hatte. Dann wurde die Reise angetreten. Der Wesir ritt mit seiner Leibwache vor, von Romanzow bis zum Ausgange des russischen Lagers begleitet. Soltikow, der noch nicht imstande war, länger im Sattel zu bleiben, folgte in seinem Wagen, umgeben von zwei Schwadronen Kürassieren, welche ihm als Leibwache mitgegeben waren, und schnell bewegte sich der Zug auf der nordwärts führenden Straße fort.

In Kutschuk-Kainardschi waren in aller Eile große hölzerne Blockhäuser aufgeschlagen und so bequem und glänzend als möglich ausgestattet worden, um dem Wesir und Soltikow sowie dem beiderseitigen Gefolge zu Wohnungen zu dienen. Die türkischen und russischen Soldaten bezogen die Wache, und die tapferen Krieger, welche sich in so mancher Schlacht miteinander gemessen hatten, blickten finster, aber doch voll sympathischer Achtung zueinander hin.

Am nächsten Tage machte Soltikow, von seinem Adjutanten begleitet, dem Wesir seinen Besuch. Mossum Oglu empfing ihn, von seinem Stabe umgeben, mit allem Zeremoniell der türkischen Höflichkeit; er kam ihm bis an die Tür des Gemaches entgegen, das den Mittelraum in seinem hölzernen Wohnhause einnahm und dessen roh gezimmerte Wände ebenso wie der Fußboden mit schweren persischen Teppichen bedeckt waren; übereinandergelegte Polster bildeten die Sitze.

Der Wesir lud Soltikow durch einen Wink ein, an seiner Seite Platz zu nehmen, während die beiderseitigen Offiziere im Halbkreis stehenblieben. Dann klatschte er in die Hände, der Kaffeetschi brachte in kleinen Bechern den duftigen arabischen Trank, den die türkische Höflichkeit dem Gastfreund stets unmittelbar nach dessen Eintritt kredenzt; der Tschibuktschi brachte die langen, bereits mit einer kleinen Holzkohle angezündeten Pfeifen, und während der aromatische Duft des Tabaks und des Kaffees den Raum erfüllte, fragte der Wesir durch die Vermittlung seines Dolmetschers in zeremonieller Weise nach Soltikows Befinden; er sprach den Wunsch aus, daß seine Wunde bald völlig geheilt sein möge. Soltikow antwortete wiederum durch die Vermittlung des Dolmetschers ebenso artig und verbindlich und hielt auch mit dem Wunsch nicht zurück, daß man so schnell als möglich die Verhandlungen über den Frieden in Angriff nehmen möge.

Der Wesir blickte eine Zeitlang sinnend zu Boden, dann sprach er mit einem gebieterischen Wink einige türkische Worte, und sogleich verschwanden die Offiziere seines Gefolges, ihre Arme über der Brust gekreuzt, aus dem Gemach.

Sogleich befahl Soltikow seinen Adjutanten, sich ebenfalls zu entfernen, um dem Wunsche des Wesirs entgegenzukommen, der mit ihm allein sein wollte.

»Es ziemt mir nicht,« sagte der Wesir in reinem und geläufigem Französisch, »vor meinen Soldaten und hier bei dem ersten Empfange Ihres Besuches eine fremde Sprache zu reden, aber Sie sind ein tapferer Mann, mein General, und wir werden uns besser verstehen und schneller zu Ende kommen, wenn wir allein miteinander verkehren und unsere Worte nicht den Umweg durch den Mund eines anderen nehmen müssen. Die unwiderstehliche und unerforschliche Macht, welche die Welt regiert, hat gegen mich entschieden und Ihnen den Sieg gegeben; mein Volk bedarf des Friedens, und mein erhabener Herr, der Padischah, kann den Kampf nicht fortsetzen, ohne Gott zu versuchen und seinen Zorn auf uns herabzuziehen. Sprechen Sie Ihre Forderungen aus und bedenken Sie, daß man auch den überwundenen Gegner achten soll und daß es unklug ist, ein großes Volk zur Verzweiflung zu treiben.«

»Ich danke Eurer Hoheit für Ihr offenes Vertrauen«, erwiderte Soltikow, »und werde, dasselbe erwidernd, sogleich die äußerste Grenze unserer Forderung bezeichnen, über die wir nicht zurückzugehen vermögen, selbst auf die Gefahr hin, den Kampf fortsetzen zu müssen, in dem wir zwar, wie die Verhältnisse heute liegen, siegen müssen, der aber immerhin unermeßliche Opfer kosten kann. Die Kaiserin, meine erhabene Gebieterin, verlangt zunächst«, fuhr er fort, während der Wesir lauschend den Kopf ein wenig auf die Seite neigte, »die freie Schiffahrt auf dem Schwarzen Meere sowie auf allen türkischen Meeren, wie auch die freie und unbeschränkte Durchfahrt durch die Dardanellen.«

»Das heißt«, erwiderte der Wesir, ohne ein Zeichen von Bewegung in seinem Gesicht, »die Hauptstadt unseres Reiches, den Schlüssel unserer Macht, die Sicherheit des Padischahs selbst Ihren Händen auszuliefern.«

»Eure Hoheit würden vielleicht recht haben,« sagte Soltikow, »wenn wir heute Frieden schließen wollten mit dem Hintergedanken künftiger Kriege, ein solcher Hintergedanke besteht aber bei meiner Kaiserin nicht, wir haben unsere Kräfte gemessen in schwerem Kampfe, und es scheint mir besser und zweier tapferen Völker würdiger, künftig ihre Kräfte zu vereinigen, um den Osten Europas abzuschließen gegen alle List und Gewalt der Völker des Westens, welche die Pforte wie Rußland nur ausbeuten möchten zu ihrem Vorteil. Die Kaiserin will nicht nur den Frieden, sie bietet ein Bündnis, und beiden Verbündeten wird es reichen Nutzen bringen, wenn sie gemeinsam den Handel des Schwarzen Meeres betreiben; dem Freunde kann man die Türe seines Hauses öffnen.«

»Der Freund kommt unbewaffnet,« erwiderte der Wesir, »und er legt seine Waffe an der Schwelle der Tür des Gastfreundes nieder.«

»So soll es sein,« erwiderte Soltikow, »die Kaiserin verlangt die freie Durchfahrt durch die Dardanellen nur für ihre Handelsschiffe, und in den Meeren von Konstantinopel soll nur ein russisches Kriegsschiff sich aufhalten dürfen, eine ehrenvolle Aufmerksamkeit, aber keine Gefahr für den Verbündeten.«

Der Wesir senkte sinnend den Kopf auf die Brust.

»Ich nehme es an,« sagte er dann, »ich nehme es an, weil ich Ihren Worten glaube, mein General, und weil auch ich für meinen Herrn und mein Volk mehr Ehre und Vorteil in einem offenen und festen Bündnis mit dem tapferen russischen Nachbarn erblicke als in der nutzlosen Freundschaft mit den tückischen und heuchlerischen Engländern und den ohnmächtigen Franzosen, welche uns noch niemals in irgendeiner Not wirksamen Beistand geleistet haben.«

»Ich muß ferner«, sagte Soltikow, »für die Kaiserin Asow, Taganrog und Kinburne beanspruchen, alle übrigen Gebiete, welche wir besetzt halten, sollen sogleich nach dem Abschluß des Friedens wieder geräumt werden.«

Der Wesir neigte das Haupt und sagte:

»Asow, Taganrog und Kinburne sind in euren Händen, wir haben nicht die Macht, sie euch zu nehmen; es ist gerecht, daß der Sieger seinen Preis verlangt, ich nehme die Bedingungen an.«

»Damit«, fuhr Soltikow fort, »sind unsere Forderungen beendet; allein«, sagte er ein wenig zögernd, »die Kaiserin hält es in ihrer hochherzigen Gesinnung für ihre Pflicht, auch an ihre Bundesgenossen zu denken und diejenigen, welche uns in dem Kampfe, zu dem wir gezwungen waren, Beistand leisteten, vor der Rache zu schützen, die sie treffen könnte.«

Der Wesir horchte auf.

»Der Khan der Tataren der Krim«, sprach Soltikow weiter, »hat sich unter den Schutz der Kaiserin gestellt –«

»Der Khan der Tataren der Krim«, rief Mossum Oglu, »ist ein Rebell, der seine Untertanenpflichten gegen den erhabenen Padischah frevelhaft verletzt.«

»Er beansprucht die Anerkennung seiner Unabhängigkeit,« erwiderte Soltikow, »er behauptet, daß die hohe Pforte kein Recht habe, von ihm Tribut und Gehorsam zu verlangen.«

»Er lügt!« rief Mossum Oglu. »Haben nicht seine Vorfahren ein Jahrhundert lang den Tribut bezahlt und dankbar den mächtigen Schutz des Padischahs genossen, ist er nicht Bekenner des Propheten, zu dessen Stellvertreter auf Erden der Padischah bestellt ist als der Beherrscher aller Gläubigen?«

»Gleichviel,« sagte Soltikow ruhig, aber mit einem Ton, der einen unerschütterlichen, festen Entschluß erkennen ließ, »es ist nicht an mir, über das Recht der bisherigen Oberhoheit der Pforte über die Krim in Erörterungen zu treten, die Kaiserin, meine erhabene Gebieterin, verlangt indes, daß diese Oberhoheit von nun an aufhöre. Die Krim ist ein Ausfalltor gegen das russische Reich, sie würde eine stete Drohung gegen unsere Schiffahrt im Schwarzen Meere sein, und deshalb einen fortwährenden Streitpunkt, ein fortwährendes Hindernis bilden, welches, wie Eure Hoheit mit mir einig sind, künftig zwischen der Türkei und Rußland bestehen soll; ein neutraler Staat aber, der mit seinen beiden Nachbarn gute Beziehungen erhalten muß, und von keinem von ihnen Schutz gegen den anderen erwarten darf, ist im Gegenteil eine Bürgschaft dauernder und fester Freundschaft, indem er jede feindliche Reibung an den Grenzen verhindert. Ich glaube deshalb, daß es auch für die hohe Pforte erwünscht sein muß, daß die Krim ein unabhängiger, neutraler und darum vermittelnder Staat werde.«

»Ein neutraler, ein unabhängiger Staat«, sagte Mossum Oglu halb für sich; »wird sie das bleiben können? Wird nicht«, fuhr er dann laut fort, »der Khan der Krim die Abhängigkeit und den Schutz, die er der Pforte gegenüber aufgibt, bei Rußland suchen oder zu suchen gezwungen werden?«

»Wir schließen keine Verträge«, sagte Soltikow stolz, »mit dem Gedanken, sie künftig zu brechen!«

»Es sind oft nicht die Menschen,« erwiderte Mossum Oglu, »welche die Verträge brechen, sondern die Verhältnisse und die Notwendigkeit der geschichtlichen Entwicklung. Ich erkenne an,« fuhr er fort, »daß Ihre Forderung nicht unbillig ist, daß die Gründe, die Sie anführen, dafür sprechen, und daß es der Großmut der Kaiserin entspricht, diese Forderung zu stellen. Aber es ist eine schwere Verantwortung, die ich durch die Bewilligung derselben übernehme; der erhabene Padischah kann eher einen Teil seines Gebietes abtreten, als einen aufrührerischen Untertan, der in ihm nicht nur seinen weltlichen Herrn, sondern den obersten Schirmherrn seines Glaubens sehen soll, einer geheiligten Pflicht entlassen. Es wird schwer sein, den Padischah zur Annahme dieser Bedingung zu vermögen.«

»Wollte die Kaiserin«, sagte Soltikow, »die hohe Pforte demütigen und die Macht des Padischahs verkleinern oder zerbrechen, so würde Eure Hoheit vielleicht recht haben, aber da meine erhabene Gebieterin mir befohlen hat, den Frieden zu schließen mit dem kaiserlichen Freunde und Bundesgenossen, so darf ein Wunsch von ihr, der ihrer persönlichen Großmut entspringt und bei dem sie keine politischen Vorteile verlangt, wohl anders beurteilt werden.«

Mossum Oglu blickte finster vor sich nieder.

»Ich wage viel, wenn ich diese Bedingungen annehme,« sagte er, »vielleicht Ungnade und Verbannung, doch will ich es wagen, ich will den persönlichen Wunsch der Kaiserin erfüllen, aber auch ich meinerseits erbitte von ihr die Erfüllung eines persönlichen Wunsches.«

Soltikow sah den Wesir groß an. In seinen verwunderten Blicken lag eine schmerzliche Enttäuschung; er schien traurig davon berührt, daß auch dieser so tapfere und stolze Mann einen Preis haben wollte, für den er die Forderung des Feindes zu vertreten bereit war.

»Hören Sie mich an, mein General«, sagte der Wesir. »Ich habe eine Tochter, ihre Mutter war eine griechische Sklavin, eine Christin, sie war geraubt und in meinen Harem gebracht; ich liebte sie wie mein Augenlicht, sie war herrlich wie eine hochragende Palme, lieblich wie die blühenden Rosen von Schiras, und sie liebte mich auch, obgleich sie in ihrem Herzen an ihrem Glauben hing; ich liebte sie so sehr, daß ich nicht wagte, in sie zu dringen, ich duldete es, daß sie ein Kreuz in ihrem Gemach verbarg und vor demselben betete; betete sie doch für mich und für ihr Kind, für das Kind, das Allah uns geschenkt; und wenn sie irrte, so vermochte ich solchen Irrtum nicht zu richten und zu strafen; eine tückische Krankheit raffte sie fort, als ihr Kind, die kleine Zoraide, kaum zwei Jahre alt war. Wir sind gewöhnt, Herr General, uns demütig dem Kismet zu unterwerfen und Allah zu preisen, ob seine allmächtige Hand gibt oder nimmt, aber dennoch vermochte ich mich kaum von diesem Schlag aufzurichten; die Blüte meines Lebens war geknickt; lassen Sie mich schweigen von meinem Schmerz; alle Liebe, die in meinem Herzen übrig war, trug ich dem Kinde entgegen. Der Wille des Padischahs berief mich zu seinem Wesir, ich mußte wohl hart und streng sein gegen die Welt, denn ein großes Reich läßt sich nicht mit Milde regieren, aber für mein Kind hatte ich nur Liebe und nichts als Liebe; wurde sie doch mit jedem Tage ihrer armen Mutter ähnlicher, und wenn sie mit ihren süßen Augen zu mir aufsah, so hätte ich oft das Kreuz ihrer Mutter, das ich wie ein Heiligtum aufbewahrt, in ihre Hände legen mögen, damit sie für mich bete, wie jene gebetet hatte.«

»Nun, mein Herr,« fuhr er, seine mächtige Bewegung unterdrückend, fort, »dieses Kind, meine holde, süße Zoraide, wurde mir geraubt, als der General Weißmann vor Silistria unser Lager überfiel. Ich tat alles mögliche, um sie wiederzubekommen, ich bot hohes Lösegeld, man verweigerte meine Bitte, und wie ich durch Kundschafter erfahren habe, ist meine Tochter nach Petersburg gebracht, die Kaiserin hat sie in ihren persönlichen Dienst genommen; die Kaiserin behandelt sie gut und freundlich, aber sie ist eine Sklavin im Lande der Feinde ihres Vaterlandes, und ich kann ihre holden Augen nicht sehen, ihre süße Stimme nicht hören! Dieser Schmerz, mein Herr, nagt an meinem Herzen, vielleicht hat dieser Schmerz meinen Geist umdüstert, meinen Willen gelähmt und meine Kraft gebrochen, daß ich trotz meiner Übermacht Ihrem Angriff erlag, vielleicht hat mich das Glück verlassen, weil ich damals mein Kind nicht besser bewacht, ich kann es nicht vergessen, ich kann es nicht, und da das Unglück doch über mein Haupt gekommen ist, da der Sieg mich verlassen hat, da das Kismet so schwere Niederlagen über mich verhängte, so will ich, wenn es sein muß, aller Größe und aller Macht entsagen für mein künftiges Leben, ich will mich zurückziehen in die Einsamkeit, aber mein Kind will ich haben, aus meines Kindes Blicken will ich Trost und Frieden schöpfen. Ich bin bereit, Ihre Bedingungen wegen der Krim zu unterzeichnen, aber ich bitte die Kaiserin, mir mein Kind zurückzugeben.«

Soltikow drückte, von tiefer Rührung ergriffen, die Hand des Wesirs.

»Sie werden Ihre Tochter erhalten!« rief er. »Ich werde Ihre Bitte der Kaiserin vortragen.«

»Man hat mir gesagt,« erwiderte der Wesir, »daß die Kaiserin das Kind liebe, und wie könnte sie anders? Wenn sie meine Bitte verweigert –«

»Das wird sie nicht,« rief Soltikow, »ich schwöre es Ihnen, ich gebe Ihnen die Bürgschaft, ich verpfände Ihnen mein Wort und meine Ehre, daß ich selbst mit der Genehmigung des Friedenstraktats Ihre Tochter Ihnen zurückbringe.«

»Gut denn, mein Herr«, sagte der Wesir. »Ich habe Ihnen im Kampfe gegenübergestanden, ich habe deshalb im offenen Vertrauen Mann gegen Mann mit Ihnen verhandelt, ich glaube nun auch Ihren Worten und vertraue Ihrer Ehre das Glück meines Lebens an. Entwerfen wir den Vertrag, ich bin bereit, ihn zu unterzeichnen.«

Er klatschte in die Hände.

Seine Offiziere und Soltikows Adjutanten traten wieder ein.

In wenigen Worten erklärte der Wesir, daß er mit dem russischen Seraskier über die Bedingungen des Friedens einig sei und daß er kraft seiner Vollmacht denselben abschließen und dem Padischah zur Genehmigung übersenden werde.

Die festgestellten Bedingungen wurden in französischer und türkischer Sprache von Soltikow und dem Dolmetsch des Wesirs niedergeschrieben.

Wohl blickten die türkischen Paschas und Beys grimmig zur Erde, als sie hörten, was der Sieger verlangt hatte, aber der Wesir neigte ruhig das Haupt und erklärte, daß von nun an Bündnis und Freundschaft zwischen dem hohen Padischah und der mächtigen Kaiserin von Rußland bestehen werde und daß demzufolge auch alle türkischen und russischen Untertanen von nun an Freunde wären.

Soltikow unterzeichnete die Dokumente. Von neuem brachten die Diener Kaffee und Pfeifen herbei, und in freundlichem Gespräch saßen noch eine Zeitlang alle diese Männer beisammen, welche sich so oft in wilden Kämpfen gegenübergestanden hatten.

Noch an demselben Tage brach Soltikow auf, um zu Romanzow zurückzukehren.

Romanzow umarmte ihn mit innigem Dank und trug ihm auf, die Siegesbotschaft der Kaiserin zu bringen und deren Genehmigung für den so schnell und ruhmvoll abgeschlossenen Frieden einzuholen.

Lauter Jubel hallte durch das russische Lager, während Soltikow in seinem Reisewagen, von einer Schwadron Kosaken geleitet, den Weg nach Petersburg einschlug.

Auch Mossum Oglu hatte sogleich einen Kurier nach Konstantinopel abgefertigt und sich dann einsam in sein Gemach eingeschlossen. Er ließ seinem Arzt verkünden, daß er leidend sei und der Ruhe bedürfe.

Der stolze Muselmann mochte sich den Seinen nicht zeigen, die er mit so viel Siegeshoffnungen zum Kampfe geführt, und für die er nun, von der unerbittlichen Notwendigkeit gezwungen, einen so harten, von den verachteten Giaurs erzwungenen Friedensschluß unterzeichnet hatte.


Die dumpfe Stille, welche in Kutschuk-Kainardschi herrschte, wurde am dritten Tage durch die Ankunft eines glänzenden Reiterzuges unterbrochen. An der Spitze desselben ritt ein bleicher, finsterer Mann mit schwarzem, dünnem Bart, seine dunklen Augen blickten kalt und fast ausdruckslos umher, seine dünnen Lippen waren fest aufeinandergepreßt, sein Kaftan schimmerte von reicher Goldstickerei. Er trug den grünen Turban mit dem Busch des Paschas, eine Anzahl türkischer Offiziere und ein großer Troß von Dienern und Packpferden folgten ihm. Er fragte die türkischen Soldaten nach der Wohnung des Wesirs, stieg, zu dem hölzernen Hause geführt, vom Pferde und trat, ehe noch die Diener ihn melden konnten, in das Gemach, in welchem Mossum Oglu, in tiefe Gedanken versunken, auf seiner Ottomane saß, während seine Begleiter zurückblieben und mit ernster, feierlicher Miene die Offiziere des Wesirs begrüßten.

Mossum Oglu stand einen Augenblick wie gelähmt [Zeile fehlt im Druck. Re für Gutenberg] unwillig zurückweisen, da erkannte er den grünen Turban und das Zeichen der Paschas.

Grüßend erhob er die Hand, aber seine staunenden Blicke bewiesen, daß ihm der unerwartete Besuch völlig fremd war.

»Friede sei mit dir, hoher Wesir,« sprach dieser, »und Allah stärke dich mit seiner Kraft, daß du gefaßt und ergeben, wie es einem Gläubigen geziemt, die traurige Nachricht empfangen mögest, die ich dir zu bringen habe. Der erhabene Padischah Mustapha ist aus dem irdischen Leben geschieden und aufgestiegen in die Herrlichkeit des Paradieses, und sein Bruder und rechtmäßiger Erbe Abdul Achmed ist umgürtet mit dem Schwerte des Propheten und herrscht als Nachfolger der Kalifen über uns und alle Gläubigen.«

Mossum Oglu stand einen Augenblick wie gelähmt da; Mustapha war von Jugend auf sein gnädiger Freund und Beschützer gewesen, ihm gegenüber war er gewiß, den Friedensschluß, zu dem er gezwungen war, verantworten zu können. Abdul Achmed kannte er nicht; der Nachfolger war in den Tiefen des Serails verborgen gewesen, selten nur hatte er ihn gesehen, er stand einer unbekannten, dunklen Zukunft gegenüber, die sich wie eine schwarze Wolke vor ihm ausbreitete.

»Allah sei gelobt,« sagte er endlich, »was er beschlossen, ist gut und weise; so schmerzlich ich auch, wie alle Gläubigen, den Verlust des erhabenen Mustapha beklage, so bitte ich doch aus vollem Herzen, Allah schütze den großen Padischah Abdul Achmed!«

»Allah schütze ihn«, sagte der Fremde, »und gebe ihm den Sieg wieder, den er unseren Waffen entzogen hat!«

Mossum Oglu zuckte zusammen bei dem kalten, schneidenden Ton, mit dem der Fremde die letzten Worte sprach.

»Und wer bist du?« fragte er dann, »wie nenne ich den Gastfreund meines Hauses, der mir willkommen ist, obgleich er so traurige Kunde brachte? Ich sehe die Zeichen deiner Würde, aber ich habe dich niemals gesehen in Stambul.«

»Ich bin Moldauantschi-Pascha. Du hast mich freilich nicht gesehen, hoher Wesir, denn du saßest im hohen Rat des Padischah, ich aber war nur ein armer Diener des Prinzen Abdul Achmed, über dem dieser die Sonne seiner Gnade hat leuchten lassen, nachdem ihn Allah erhoben hatte auf den Thron der Kalifen.«

Mossum Oglu neigte das Haupt, dann klatschte er in die Hände, und der Kaffee und die Tschibuks wurden gebracht.

Er bat seinen Gast, neben ihm auf dem Diwan Platz zu nehmen.

»Der erhabene Padischah«, sagte dieser, nachdem er einige Züge aus seiner Pfeife von Bernstein und Rosenholz getan, »hat mir aufgetragen, daß du, hoher Wesir, dich sogleich zu ihm nach Stambul begeben mögest, um ihm Bericht zu erstatten, – ich soll hier an deiner Stelle bleiben, um das Heer zu führen. Die Beys, welche ich mit mir gebracht, werden dich begleiten, deine Adjutanten sollen bei mir bleiben, um mir mit ihrem Rat beizustehen.«

Mossum Oglu erbleichte.

»So bin ich Gefangener,« rief er schnell, »so bin ich abgesetzt!«

»Kein solches Wort habe ich von dem erhabenen Padischah vernommen, hoher Wesir,« erwiderte Moldauantschi, »findest du es erstaunlich, daß der Padischah beim Antritt seiner Regierung seinen Großwesir an seine Seite ruft?«

»Nein,« erwiderte Mossum Oglu, »er hat recht, und heute noch werde ich den Befehl befolgen.«

»Das ist deine Pflicht,« sagte Moldauantschi, »und du wirst wohl tun, sie so schnell als möglich zu erfüllen, damit dir das Glück zuteil wird, das strahlende Antlitz unseres neuen Gebieters zu sehen. Hier«, sagte er, »ist der Befehl des Padischah.«

Er zog ein reich mit Edelsteinen besetztes Futteral aus seiner Tasche, nahm aus demselben ein großes Schreiben, welches an rot und grünem Bande das große Siegel des Padischah trug, und reichte es dem Großwesir.

Mossum Oglu küßte das Pergament und durchflog schnell den Inhalt der Schrift.

Dann klatschte er in die Hände.

»Man soll meine Pferde in Bereitschaft halten!« befahl er dem eintretenden Diener.

»Und ich bitte dich,« sagte Moldauantschi, »mir den Befehl über das Heer zu übergeben während deiner Abwesenheit.«

»Das Heer? –« sagte Mossum Oglu, »dreihundert Mann meiner Leibwache und die Besatzung von Schumla, das ist das Heer – das Kismet hat unsere Niederlage beschlossen, und ich habe den Frieden geschlossen und ein Bündnis mit der russischen Kaiserin, das, wie ich gewiß bin, besser für uns sein wird als der lange Streit.«

»Ich bin deinem Boten begegnet,« erwiderte Moldauantschi kalt, »du wirst noch zur rechten Zeit nach Stambul kommen, um dem Padischah die traurige Wendung zu erklären.«

»Du erlaubst, edler Pascha, daß ich vor meiner Abreise auch dem großen russischen Seraskier Romanzow ein Wort des Abschiedes sage. Wir haben uns im Kampfe achten gelernt, und er ist großmütig gewesen in seinen Bedingungen des Friedens.«

Moldauantschi blickte von unten herauf in das Gesicht des Wesirs, er schien einen kurzen Augenblick unschlüssig, dann aber sagte er:

»Du bist der Herr, hoher Wesir, zu tun, was dir gefällt, und ich habe dir keine Erlaubnis zu erteilen.«

Mossum Oglu ließ seine Adjutanten rufen, er stellte ihnen Moldauantschi als den neuen Feldherrn vor, dem sie zu gehorchen hätten. Dann zog er sich einen Augenblick in sein Gemach zurück, während draußen die Vorbereitungen zu seiner Abreise eiligst getroffen wurden.

»Vielleicht ist dies mein Untergang,« sagte er, »vielleicht erwartet mich Ungnade oder Verbannung oder vielleicht gar der Tod; – noch haben sie keine Macht über mich – wenn ich mich Romanzow anvertraute, wenn ich ihn um ein Asyl bäte in Rußland, so wäre ich vor jeder Gefahr sicher –«

Er ging, tief aufatmend auf und nieder.

»Nein,« rief er dann, »der Wesir der hohen Pforte sollte ein Asyl suchen bei dem Feinde? – Mein Leben wäre sicher, aber mein Name gebrandmarkt für immer; würden sie dann nicht diese verlorene Schlacht und diesen Frieden für unwürdigen Verrat erklären, und würde der Schein ihnen nicht recht geben? Was würden die Christen sagen, wie würden sie spöttisch und mitleidig auf mich herabblicken, der ich ihnen Hunderttausende entgegengeführt, der ich sie fast schon vernichtet hatte und der ich nun käme, um bei ihnen Schutz zu erbetteln. Nein, was ich getan habe, will ich verantworten, – was Allah über mich verhängt, will ich tragen, wie es einem stolzen und mutigen Manne geziemt. Und Zoraide –« sagte er plötzlich, indem sein Gesicht eine tiefe Wehmut überflog, »was soll aus Zoraide werden, wenn mich das Äußerste trifft –«

Abermals schritt er lange, die Hände vor das Gesicht gedrückt, auf und nieder, dann nahm er aus einer Kassette, die auf einem niedrigen Tisch stand, einen Bogen Papier und ein europäisch eingerichtetes Schreibzeug. Rasch flog seine Hand über das Papier, und als er geendet, fiel eine Träne aus seinen Augen auf die Schriftzüge.

Er verschloß den Brief und hatte denselben eben in seinem Kaftan verborgen, als die Diener eintraten, um zu melden, daß die Pferde bereitständen.

Ernst verabschiedete sich Mossum Oglu von seinen Offizieren, die ihm tief bewegt die Hand drückten – feierlich und kalt grüßte er Moldauantschi und sprengte dann, gefolgt von den fremden Beys, welche dieser ins Lager mitgebracht hatte, davon.

Romanzow empfing den Wesir mit ehrenvoller Auszeichnung und hörte zu seinem schmerzlichen Erstaunen die Nachricht von dem Tode Mustaphas, der Thronbesteigung Abdul Achmeds und der Berufung Mossum Oglus nach Konstantinopel.

»Aber der Friede,« sagte er, »der Friede, den wir geschlossen haben –«

»Seien Sie unbesorgt,« sagte der Wesir, der jetzt seine Zurückhaltung aufgegeben hatte und Französisch mit dem russischen Feldherrn sprach, »seien Sie unbesorgt, der Friede wird ratifiziert; was ich habe tun müssen, wird auch mein Nachfolger tun, der Pascha Moldauantschi, den der Padischah Abdul Achmed an meine Stelle gesetzt hat. Doch auch an Sie, mein General, habe ich eine Bitte.«

»Sprechen Sie,« sagte Romanzow, »jeder Wunsch Eurer Hoheit wird von mir erfüllt werden.«

»Hier,« sagte der Wesir, »diesen Brief übergebe ich Ihnen, und ich bitte Sie, denselben sogleich durch einen sichern Boten nach Petersburg zu senden und dafür zu sorgen, daß er ohne Verzug in die Hände der Kaiserin selbst gelangt.«

Staunend und fragend sah ihn Romanzow an.

»Ich begreife Ihre Verwunderung,« sagte Mossum Oglu, »aber glauben Sie meinen Worten, dieser Brief enthält nichts von Politik, nichts, was unseren Friedensschluß angeht; es ist eine persönliche, eine ganz persönliche Bitte – ein Vermächtnis«, fügte er dumpf hinzu.

»Rechnen Sie auf mich«, sagte Romanzow, indem er die Hand des Wesirs drückte und wehmütig und besorgt in dessen schmerzlich zuckendes Gesicht blickte.

Einen Augenblick hielt der Wesir seine Hand fest.

»Leben Sie wohl«, sagte er; »Sie waren mein Feind, – Sie haben mich geschlagen, aber dennoch bitte ich Allah, daß er Ihnen Sieg und Ruhm verleihe und daß er Ihre Kaiserin nie vergessen lasse, was sie Ihnen zu danken hat.«

Er wendete sich schnell um. Romanzow führte ihn vor sein Zelt hinaus, wo das türkische Gefolge ihn erwartete.

Die russischen Truppen präsentierten, die Trommeln wirbelten, und Romanzow stand entblößten Hauptes da, während der Wesir, noch einmal zurückwinkend, seinem Pferde die Sporen gab und, an der Festung Schumla vorbei, auf dem Wege nach Konstantinopel dahinsprengte.


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