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11. Kapitel

Der »Tartüffe« war zu Ende gespielt. Während der letzten Szene war Generalfeldzeugmeister Fürst Gregor Orloff eingetreten.

Er trug statt der Uniform ein ziemlich einfaches Kostüm von dunkelfarbiger Seide, wie er es gewöhnlich in den kleinen Zirkeln der Kaiserin zu tun pflegte, als ob er andeuten wolle, daß er hier zu Hause sei und nicht nötig habe, sich irgendwelchen Zwang aufzulegen. Auch sein Haar fiel, nur leicht gepudert und von einer einfachen Bandschleife zusammengehalten, in freien Locken über seinen Nacken herab. Der Stern des St.-Andreas-Ordens glänzte, reich mit Diamanten besetzt, auf seinem einfachen Rocke, das blaue Band schmückte seine Brust und an seinem Halse hing ein in Brillanten gefaßtes Bild der Kaiserin.

Der Ausdruck düsteren, sorgenvollen Unmuts war von seinem Gesicht verschwunden; stolzer als je trug er das Haupt, triumphierende Siegesgewißheit leuchtete von seiner Stirn; er schien so heiter und glücklich, als ob kein unbefriedigter Wunsch in seinem Herzen Platz fände, und nur in seinen grauen Augen funkelte es wie zurückgehaltene, tückisch lauernde Bosheit.

Er trat ziemlich geräuschvoll ein und blieb dann im Hintergrunde des Saales, an die Wand gelehnt, stehen, scheinbar mit der lebhaftesten Aufmerksamkeit dem Gange der Vorstellung folgend.

Man hatte den Eintritt des bisher allmächtigen Feldzeugmeisters bemerkt; flüsternd teilte einer dem andern die Nachricht mit, daß Gregor Orloff da sei; seine Abwesenheit war bereits als ein Beginn ausgesprochener Ungnade gedeutet worden; die meisten hatten sich ungemein erleichtert gefühlt, als sie nicht gezwungen waren, ihre Aufmerksamkeiten zwischen den beiden Rivalen abzumessen, welche der heutige Tag so scharf einander gegenübergestellt hatte.

Nun aber war plötzlich der Gefürchtete dennoch da, der niemals eine Beleidigung vergaß, und sich unversöhnlich an seinen Gegnern rächte. Fast niemand achtete mehr auf das Schauspiel; die allgemeine Aufmerksamkeit richtete sich in ängstlicher und atemloser Spannung auf die beiden Riesengestalten Orloffs und Potemkins.

Auch Potemkin, der seitwärts in der Nähe der Kaiserin in einer Fensterbrüstung stand, hatte den Eintritt des Feldzeugmeisters bemerkt, aber nur mit einem flüchtigen Blick hatte er diesen gestreift; ruhig und unbeweglich blieb er mit untergeschlagenen Armen stehen, den Kopf nach der Bühne gewendet, und so schienen denn diese beiden außer der Kaiserin und ihrer unmittelbaren Umgebung die einzigen im Saale zu sein, welche mit gespannter Aufmerksamkeit der Vorstellung folgten, während sie allen übrigen selbst zu einem spannenden und hochinteressanten Schauspiel dienten.

Als endlich der Vorhang zusammengezogen wurde, erhob sich die Kaiserin und wendete sich nach der Versammlung zurück.

Wie durch einen Zauberschlag erstarb das Rauschen des Beifalles, zu welchem sie das Zeichen gegeben hatte; jedes Gespräch verstummte.

Katharina zuckte zusammen und erbleichte, aber keinen Augenblick verschwand das freundliche, ruhige Lächeln von ihrem Gesicht, als sie Orloff erblickte.

Dieser kam, die ehrerbietig ihm ausweichende Gesellschaft durchschreitend, gerade zu der Kaiserin heran, während Potemkin, schnell herbeieilend, seinen Platz unmittelbar hinter Katharina einnahm, zu welchem ihm seine Stellung als Adjutant das Recht gab.

»Sie kommen spät, Fürst Gregor Gregorjewitsch«, sagte die Kaiserin, indem sie Orloff die Hand zum Kuß reichte; »Sie haben eine schöne Vorstellung versäumt; meine Schauspieler haben sich selbst übertroffen.«

»Ich bedaure das, Majestät,« erwiderte Orloff mit seiner tiefen Stimme unter lautloser Stille, »aber ich war im Dienste Eurer Majestät beschäftigt, und wer die Sicherheit des Reiches und des Thrones auf seinen Schultern trägt, der hat nicht so viel Zeit und Neigung für heitere Zerstreuung als diejenigen, die nur in dem Strahl der Gnade Eurer Majestät sich sonnen.«

Nach tiefer wurde die allgemeine Stille; jedermann wagte kaum zu atmen aus Furcht, ein Wort zu verlieren – jedermann fühlte, daß ein Wetter am Himmel des Hofes stand, bereit, sich zu entladen und jeden Unvorsichtigen zerschmetternd zu treffen. Niemand zweifelte, daß Orloffs Bemerkung nur Potemkin gelten konnte, aber sein Gesicht war dabei vollkommen ruhig, freundlich und heiter, und auch Potemkin hielt auf seinen Lippen ein ruhiges Lächeln fest; der stolze, hochführende, tollkühne Soldat war plötzlich zum glatten, undurchdringlichen Hofmanne geworden.

»Meine Gnade«, erwiderte Katharina ruhig, »gehört immer dem Verdienst um mich und mein Reich; darum vor allem Ihnen, Fürst Orloff, denn Sie sind mir stets ein besonders nützliches Werkzeug gewesen zur Erfüllung meiner kaiserlichen Pflicht, und ich freue mich, daß Ihnen die Arbeit Ihres Dienstes wenigstens noch für eine kurze Zeit erlaubt hat, an unserer Gesellschaft teilzunehmen.«

Orloff errötete bei diesen Worten, die ihn im ruhigsten, natürlichsten Ton auf seinen Platz zu den Füßen des Thrones zurückwiesen.

Zornig blitzten seine Augen auf, aber er verneigte sich tief mit einigen Worten des Dankes; er schien in der Antwort der Kaiserin nur die Anerkennung seines Verdienstes verstehen zu wollen.

»Ich freue mich,« fuhr Katharina fort, »daß auch für den Grafen Potemkin nach schwerer und verdienstvoller Arbeit in meinem Dienste eine Zeit der Erholung gekommen ist, seine Kräfte zu sammeln und zu erfrischen, um künftig mir und dem Reiche noch größere Dienste zu leisten.«

»Ich sehe mit Vergnügen,« sagte Orloff, »daß die Verdienste des Generals bereits die überaus gnädige Anerkennung Eurer Majestät in dem Orden des heiligen Alexander Newsky gefunden haben. Ich erlaube mir, dem General meinen Glückwunsch zu dieser hohen Auszeichnung darzubringen, die seiner so ganz würdig ist.«

Er verneigte sich lächelnd gegen Potemkin; der Ton seiner Worte war durchaus höflich und artig gewesen, aber um seine Mundwinkel zuckte es wie flüchtiger Spott, und wie zufällig spielte seine Hand mit dem blauen Bande des St.-Andreas-Ordens.

Potemkin schien dies nicht zu bemerken; er verbeugte sich noch tiefer vor Orloff, als dieser es getan, und erwiderte:

»Diese erste Anerkennung meiner Dienste wird meinen Eifer beleben, mich der Gnade unserer erhabenen Kaiserin immer würdiger zu machen.«

»Ich bin gewiß,« fiel Katharina ein, indem sie Orloff mit einem strengen Blick ansah, »daß ich bald Gelegenheit haben werde, Euch neue Beweise meiner Anerkennung zu geben; doch jetzt«, fuhr sie, zu leichtem, heiterem Tone übergehend, fort, »bin ich auch meinen vortrefflichen Schauspielerinnen eine Anerkennung schuldig; die Kunst bedarf vor allem der Aufmunterung, wenn sie frischen Mut und freudige Begeisterung behalten soll!«

Auf ihren Wink öffnete sich der Vorhang noch einmal; die sämtlichen Schauspieler standen in dem Kostüm ihrer Rollen in großem Halbkreis auf der Bühne.

Katharina stieg einige in der Mitte angebrachte Stufen zur Bühne hinauf; der Hofmarschall trat ihr voran, Orloff und Potemkin folgten.

Der Großfürst war in einem eifrigen Gespräch mit der Prinzessin Wilhelmine versunken, Graf Panin unterhielt sich mit der Landgräfin und ihren beiden Töchtern, die übrige Gesellschaft bildete flüsternde Gruppen.

Man sprach lebhaft und eifrig miteinander, aber man sprach nur von dem eben gesehenen Stück, von dem Schauspiel und von diesen und jenen gleichgültigen Dingen; mit keinem Worte aber erwähnte man, was alle am meisten beschäftigte; keine Lippe sprach den Namen Orloff oder Potemkin aus; niemand wollte die drohende Wetterwolke berühren, aus der nach der einen wie nach der andern Seite vernichtende Strahlen hervorblitzen konnten.

Zoraide war, leicht durch die Gruppen gleitend, zu Nikolai herangetreten.

»Führe mich fort«, sagte sie; »ich fürchte mich unter all diesen Fremden.«

Nikolai reichte ihr seinen Arm und führte sie durch die weite Galerie an den Wachen vorbei nach den Gemächern der Kaiserin im Winterpalais.

An der Tür der Wohnung, welche in Katharinas Nähe der gefangenen Tochter des Großwesirs mit fürstlicher Pracht eingerichtet war, hielt Nikolai das Mädchen einen Augenblick zurück.

»Zoraide,« bat er noch einmal, »hebe deinen Schleier auf; noch einmal laß mich dein Gesicht sehen, damit ich dein Bild mit hinüber nehme in meine Träume!«

Zoraide zögerte einen Augenblick; sie blickte ängstlich umher, die Wachen standen in weiter Entfernung, niemand war in der Nähe.

Schnell hob sie dann den Schleier; ihr flüchtiger Kuß streifte Nikolais Lippen und schnell war sie verschwunden.

Der Page eilte durch die Galerie nach dem Theatersaal zurück; sein Haupt umschwebte die goldene Wolke der jungen Liebe, seine Lippen lächelten und flüsterten leise den Namen, der sein Herz erfüllte; kaum berührten seine Füße den Boden und ihn umgaukelten alle jene holden Traumbilder, welche einem jeden Menschen im Leben erscheinen, und doch so selten zur Wahrheit werden in der irdischen Welt des Kampfes und der Täuschung.

Die Kaiserin schritt an der Reihe der Schauspieler hin; jedem einzelnen sagte sie etwas Freundliches und Verbindliches, und alle waren über diese liebenswürdige Anerkennung fast noch mehr erfreut als über die reichen materiellen Beweise der Zufriedenheit, mit denen die Kaiserin sie bei jeder Gelegenheit freigebig zu überhäufen pflegte.

Das schmeichelhafteste Lob spendete die Kaiserin Fräulein Adeline; sie rühmte ihr feines Verständnis der Rolle, ihre geistvolle Deklamation und ihre Anmut.

»Ich hoffe, mein Kind,« sagte sie mit herzlicher Freundlichkeit, »daß Sie es nicht bereuen, meinem Ruf in den kalten Norden gefolgt zu sein und daß Sie bei mir nicht zu sehr Ihr schönes Frankreich vermissen. Was ich dazu beitragen kann, daß Sie sich hier heimisch fühlen, soll stets geschehen, und wenn Sie einen Wunsch haben, so wird es mir eine Freude sein, denselben zu erfüllen.«

Madame Lemaitre, welche neben ihrer Tochter stand, machte ganz glückstrahlend eine tiefe Reverenz.

Adeline aber schien von einem plötzlichen Gedanken durchzuckt; hocherrötend antwortete sie, indem sie ihre ausdrucksvollen Augen bittend zur Kaiserin aufschlug:

»Wohl habe ich einen Wunsch, und Eure Majestät sind die einzige auf Erden, die ihn mir zu erfüllen vermag.«

»Sprechen Sie, mein Kind,« sagte Katharina, ein wenig verwundert über die tiefe Bewegung des jungen Mädchens; »sprechen Sie, und was in meiner Macht steht, soll geschehen.«

»Nun denn, Majestät!« rief Adeline, indem sie ihre Hände bittend erhob, »ich liebe –«

»Das finde ich begreiflich,« sagte Katharina lächelnd, »und ich bin ebenso gewiß, das Sie wieder geliebt werden.«

»Ja, Majestät!« antwortete Adeline, »er liebt mich wieder; oh, er liebt mich, und doch – doch ist meine Liebe so unglücklich – ach, so unglücklich!«

»Und warum?« fragte Katharina mit mitleidiger Teilnahme, denn Adelines Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, und bitterer Schmerz durchzuckte das Antlitz des schönen Mädchens.

»Er ist arm, Majestät, und weil er arm ist, soll ich gezwungen werden, einem verhaßten Manne meine Hand zu reichen, dessen einziges Verdienst sein Geld ist.«

»Also eine Tragödie im Leben!« sagte Katharina; »und dennoch haben Sie die Kraft gehabt, auf der Bühne so vortrefflich Komödie zu spielen? Das verdient wohl meinen Beistand; sprechen Sie weiter – sprechen Sie ganz offen!«

»Oh, er ist arm, Majestät!« rief Adeline; »und dennoch könnte er reich sein – und wir könnten glücklich sein, wenn ihm Gerechtigkeit zuteil würde.«

»Gerechtigkeit?« fragte die Kaiserin, indem ihre Augenbrauen sich streng zusammenzogen, »Gerechtigkeit soll jedem in meinem Reiche werden; wer ist es, der sie vergebens gesucht haben sollte?«

»Der Leutnant Wassili Mirowitsch im Regiment Smolensk«, sagte Adeline; »ihm sind die Güter seiner Vorfahren entzogen – und wenn sie ihm zurückgegeben würden ...«

»Es ist jener kecke Offizier, Majestät,« sagte Orloff, schnell herantretend, »welcher es wagte, heute bei der Revue Eure Majestät mit seiner zudringlichen Bitte zu belästigen und welchem Sie dieses Vergehen gegen die militärische Ordnung gütig verziehen haben – der Nachkomme jenes Rebellen, der unter Mazeppa mit den Schweden gegen den großen Kaiser die Waffen trug.«

»Dann, mein Kind,« sagte Katharina streng, »hat er von der Gerechtigkeit nichts zu erwarten, und büßt nur die schwere Schuld seines Vorfahren.«

»Aber er hat keinen Teil an dieser Schuld, Majestät!« rief Adeline, welcher das Bewußtsein, daß das ganze Glück ihrer Zukunft von diesem Augenblick abhing, den Mut der Verzweiflung gab; »er hat keinen Teil an dieser Schuld, und er würde niemals das Verbrechen seines Ahnherrn begangen haben; er ist ein treuer Diener Eurer Majestät; er würde jeden Augenblick sein Leben lassen für seine erhabene Kaiserin!«

»Nun,« sagte Katharina freundlich, »Sie haben Ihre Worte nicht richtig gewählt, mein Kind; die Kaiserin ist jedem Gerechtigkeit schuldig, und Gerechtigkeit ist auch ihm zuteil geworden, für den Sie bitten; aber Gott hat auch die Gnade in die Hand der Kaiserin gelegt, und da ich Ihre Bitte um Gerechtigkeit nicht erfüllen kann, so will ich annehmen, daß Sie um Gnade gebeten haben, und ich will sehen, ob es möglich ist, hier das schönste Vorrecht der Herrscher anzuwenden.

»Prüfen Sie den Fall des Leutnant Mirowitsch, Fürst Gregor Gregorjewitsch,« fügte sie, zu Orloff gewendet, hinzu, »und legen Sie mir alles vor, was darauf Bezug hat. Weinen Sie nicht, mein Kind,« sagte sie dann zu Adeline, »und glauben Sie, daß es mich glücklicher macht, gnädig zu sein gegen die Bittenden und Reuigen, als gerecht gegen die Schuldigen.«

»O Madame,« rief Adeline außer sich, »Sie sind gut und barmherzig wie Gott; der Segen des Himmels wird Sie gewiß für Ihre Großmut belohnen!«

Sie sank auf die Knie und küßte inbrünstig die Hand der Kaiserin.

Katharina strich ihr freundlich mit der Hand über die Stirn, neigte gnädig das Haupt und setzte ihren Weg fort.

Orloff folgte ihr mit finsteren Blicken; er hatte ihren Befehl nur mit einem eisigen Schweigen angehört, aber Adeline beachtete den düster drohenden Ausdruck seines Gesichtes nicht, die huldvollen, hoffnungsreichen Worte klangen jubelnd in ihrem Herzen wieder. Potemkin aber beobachtete mit scharfen Blicken Orloffs finstere, mürrische Miene, und er sah sich nach dem jungen Mädchen um, als wolle er das Bild desselben fest in sein Gedächtnis einprägen.

Der Rundgang der Kaiserin war beendet. Sie entließ die Schauspieler und befahl, das Souper zu servieren.

Die Gesellschaft folgte den fürstlichen Herrschaften in den Speisesaal, der sich auf der einen Seite durch eine zurückgeschobene Wand ebenfalls nach dem Wintergarten hin öffnete und eine entzückende Aussicht in die zauberisch beleuchteten Palmengrotten hinein darbot. Ringsumher waren kleine Tische mit fünf bis sechs Kuverts serviert, und mit den vorzüglichsten und seltensten Delikatessen aller Zonen und Jahreszeiten bedeckt.

Die Kaiserin nahm an einem kleineren Tische in der Mitte ganz allein Platz; zu ihrer Rechten saßen an einer runden Tafel der Großfürst mit seiner jungen Verlobten, der Prinzessin Wilhelmine, die Landgräfin und die beiden jüngeren Prinzessinnen; Graf Panin und der junge Graf Rasumowsky machten den fürstlichen Herrschaften die Honneurs dieses Tisches. – Zur Linken der Kaiserin stand eine ähnliche Tafel, an welcher Diderot, Gregor Orloff, Potemkin und einige der vornehmsten Damen des Hofes Platz nahmen; die übrige Gesellschaft verteilte sich an den anderen Tischen, welche so aufgestellt waren, daß die Kaiserin von ihrem Platz alles überblicken konnte und keiner der anwesenden Gäste Ihrer Majestät den Rücken kehrte.

Als die Kaiserin sich niederließ, verschwanden sämtliche Lakaien aus dem Speisesaal und den anliegenden Gemächern, die Wachen zogen sich bis zu den äußersten Eingangstüren der Eremitage zurück, und aus der Tiefe des Wintergartens erklang wie aus weiter Ferne eine gedämpfte Musik, welche durch ihre lieblichen Melodien erheiterte und anregte, ohne die allgemeine Unterhaltung zu stören. Auf dem Tische der Kaiserin stand nur ein silberner Teller mit einigen Scheiben weißen Brotes, eine kleine Karaffe goldgelben Xeresweines, eine etwas größere voll frischen Wassers und ein Kelch von geschliffenem Bergkristall.

Katharina füllte diesen Kelch mit Wasser, fügte einige Tropfen Wein hinzu und benetzte mit diesem Getränk ihre Lippen, indem sie eine Schnitte Weißbrot dazu aß.

Während dieses unendlich einfachen Abendmahles, das sie inmitten der reichen Fülle lockender Genüsse zu sich nahm, richtete sie bald an diesen, bald an jenen ihrer Gäste bis zu den entferntesten Tischen hin eine Frage oder eine Bemerkung, und jedes Wort, das sie sprach, wirkte wie ein zündender Funke anregend und belebend, so daß bald eine allgemeine Unterhaltung im Gange war, welche sich so zwanglos und heiter bewegte, als dies nur immer in einer Gesellschaft möglich war, deren Mittelpunkt die unumschränkte Gebieterin über die ganze Existenz, ja über Vermögen und Leben aller übrigen bildete.

Nach einiger Zeit ließ sich ein heller Glockenton vernehmen; auf dies Zeichen versanken die sämtlichen Tische geräuschlos in den Boden, zum höchsten Erstaunen derer, welche zum erstenmal die Ehre hatten, den kleinen Soupers Ihrer Majestät beizuwohnen, und wenige Augenblicke später stiegen aus den Öffnungen andere, ganz gleich geformte und gedeckte Tische wieder herauf, auf welchen in neuer Auswahl neue Wunder der Kochkunst und neue Gewächse der edelsten Reben Deutschlands, Frankreichs, Spaniens, Italiens, Griechenlands und Kleinasiens den Gästen sich darboten. Dreimal wechselten so die Tische, immer feuriger glühten die Wangen, immer heller funkelten die Augen, immer zwangloser sprühten die Geistesfunken, von der Kaiserin selbst immer neu angeregt, in heiterer Unterhaltung hin und her, während Katharina kühl und ruhig ihre klaren Blicke von einem Tisch zum andern gleiten ließ, und nur von Zeit zu Zeit ihren Kristallkelch mit dem kaum sichtbar gefärbten Wasser an die Lippen führte.

Am heitersten und zwanglosesten war die Unterhaltung an den Tischen neben der Kaiserin, an welchen Diderot die Quellen seines witzigen, allezeit schlagfertigen und oft sarkastischen Geistes immer reicher sprudeln ließ. Orloff und Potemkin nahmen mit gleicher Lebhaftigkeit an der Unterhaltung teil.

Orloff schleuderte zuweilen in hochmütiger Rücksichtslosigkeit seltsame Paradoxen gegen Diderot, welche dieser dann mit schneidender Schärfe zur stillen Freude der geheimen Feinde und Neider des übermütigen Günstlings beantwortete. – Potemkin dagegen schmeichelte dem Philosophen in so feiner Weise, daß dieser ganz entzückt wiederholt dem General auf die Schultern klopfte und ihm versicherte, er werde, wenn er nach Paris komme, vollkommen würdig seinen Platz bei den berühmten kleinen Diners des Baron Holbach ausfüllen. – Nikolai Sergejewitsch, der junge Page, aber stand hinter dem Stuhl der Kaiserin; er hörte wenig auf die Gespräche ringsumher; er lauschte der leise aus dem Palmenhain herübertönenden Musik und seine träumenden Blicke schienen in weiter Ferne lieblichen Bildern zu folgen.

Die Kaiserin stand auf; in demselben Augenblick versanken sämtliche Tische, die Öffnungen in den Parkettplatten schlossen sich – der Speisesaal war wie durch einen Zauberschlag in ein einfaches Empfangszimmer verwandelt.

Katharina entließ die Gesellschaft durch eine kurze Neigung des Hauptes und umarmte die Landgräfin und ihre Töchter, während sie dem Großfürsten ihre Hand zum Kusse reichte. Sie hatte für niemand ein besonderes Abschiedswort, auch für Orloff und Potemkin nicht, nur konnte der letztere in den flüchtigen Seitenblicken, mit welchen sie ihn streifte, einen schnell aufflammenden Strahl heißer Glut entdecken, der aus der Tiefe des Herzens hervorzubrechen schien.

Die Räume leerten sich schnell.

Potemkin kehrte in seine neue Wohnung zurück. Bald entließ er seinen Kammerdiener; in tiefes Sinnen versunken sah er eine Zeitlang da, während Dunkelheit und tiefes, lautloses Schweigen sich über das eben noch so belebte, so hellstrahlende Palais ausbreitete; denn sobald die Kaiserin sich zurückgezogen hatte, mußte es Nacht sein ringsum und alles Geräusch mußte verstummen, um die Ruhe der Gebieterin nicht zu stören.

»Schwer muß es sein,« sagte Potemkin leise, »diesen Willen zu beherrschen und das Weib jemals vergessen zu lassen, daß sie die Kaiserin ist, daß sie in ihrer Hand Hoheit und Niedrigkeit, Leben und Tod hält. – Und doch muß es sein!« rief er aufspringend, »doch muß es sein; nicht der begünstigte Sklave der Kaiserin will ich sein! Und wenn ich auch das ertragen wollte, um über die übrigen zu herrschen, ich kann mich vor dem Weibe nicht demütigen, das ich liebe – liebe bis zur Raserei seit so langen Jahren; sie soll mich nicht verachten, sie soll nicht zu mir herabsehen; auch sie soll mich lieben, lieben wie das Weib den stärkeren Mann liebt – oder ich will in ferne Einsamkeit mich zurückziehen und mein Leben mit all seinen Hoffnungen verloren geben; und gleich heute, in diesem Augenblick gilt es, den ersten Schritt zu tun, der ihr zeigen soll, daß ich kein Spielzeug ihrer Laune bin.«

Er sprang auf und eilte zu der Stelle an der Wand seines Schlafzimmers hin, an welcher sich die Türe geöffnet hatte, durch die der Page der Kaiserin zu ihm gekommen war. Er führte einige wuchtige Schläge mit der geballten Faust gegen diese Wand; an einer Stelle war der Klang dumpf und hohl; jetzt nahm er einen starken Damaszenerdolch, der auf dem Nachttisch vor seinem Bett lag, und riß hastig die Tapete von der Wand herunter; er entdeckte Holzgetäfel in der Mauer; er trieb die Dolchklinge in eine feine Fuge des Holzwerkes, und mit der riesigen Kraft seines Armes den Dolch durch diese Fuge herabdrückend, stieß er bald auf den von der anderen Seite vorgeschobenen Riegel. Jetzt stemmte er seine mächtige Schulter gegen diese Stelle – mehrmals bot er die ganze Kraft seines athletischen Körpers vergebens auf; aber endlich sprang die Tür krachend und klirrend auf; der Riegel war aus den Klammern gerissen, einige Holztafeln waren zerbrochen, und mit einem triumphierenden Jubelruf stürmte Potemkin in den mit weichen Teppichen belegten, und von matten Lampen erhellten Gang, der sich hinter der zersprengten Tür öffnete.

Hastig durchmaß er die ziemlich weite Entfernung. Endlich kam er abermals vor eine Tür, welche von der äußeren Seite deutlich erkennbar war.

Er wollte sie öffnen – er fand Widerstand.

Abermals setzte er seine mächtige Schulter an und diesmal sprang die Tür sogleich auf; der leichte Riegel, welcher sie verschlossen hatte, fiel klirrend zu Boden.

Potemkin trat in das Schlafgemach der Kaiserin.

Katharina saß im weiten Nachtgewande in einem Lehnstuhl; sie hatte, wie sie zu tun pflegte, die Frauen des Dienstes sogleich entlassen, nachdem sie die Gesellschaftstoilette abgelegt.

Bei dem Aufsprengen der Tür fuhr sie aus den träumenden Sinnen, in das sie versunken gewesen, empor; erschrocken und drohend zugleich blickte sie auf, aber schon war Potemkin bei ihr; er kniete zu ihren Füßen nieder und bedeckte ihre Arme und Hände mit seinen Küssen.

»Du hier, Gregor Alexandrowitsch!« sagte die Kaiserin, die Augenbrauen streng zusammenziehend. »Wer hat dich gerufen – wer hat dir diesen Weg geöffnet?«

»Dort draußen,« erwiderte Potemkin, indem er sie mit seinen Armen umschlang, »dort draußen in den goldenen Prunkgemächern mag die Kaiserin ihren Diener rufen, hier folgt Gregor dem Drange seines Herzens, das ihn zu Katharina führt. Er bedarf niemand, der ihm den Weg zur Geliebten öffnet, denn er ist stark genug, sich seinen Weg allein zu bahnen, und wenn Felsen und Meere ihn von dem Ziel seiner Sehnsucht trennten.«

Er stand auf und hob Katharina, die sich zitternd an ihn schmiegte, wie ein Kind in seinen Armen auf.

»So«, rief er, »würde ich das geliebte Weib an mein Herz reißen, und wenn Legionen gezückter Schwerter sie umringten; sie ist mein und niemand soll sich zwischen sie und mich stellen; und so,« fuhr er fort, indem er Katharina wieder auf den Sessel niederließ und abermals zu ihren Füßen kniete – »so werde ich die Kaiserin erheben auf den Herrscherstuhl der Welt, auf den Kaiserstuhl des byzantinischen Reiches!«

Noch lag eine Wolke des Unmutes auf Katharinas Stirn; noch blitzte es wie verletzter Stolz aus ihren Augen; aber als sie in das flammende Gesicht Potemkins blickte, als sie die Glut seiner Blicke empfand, als sie fühlte, wie seine gewaltigen Arme sie immer fester umschlangen, da verhüllten sich ihre feuchtschimmernden Augen unter den langsam herabsinkenden Wimpern; es öffneten sich ihre Lippen – das Weib vergaß die Kaiserin – und wonneschauernd sank sie an Potemkins Brust.


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