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36. Kapitel

Von der Treppe des breiten Altans, der unmittelbar vor den Gemächern der Kaiserin nach dem Garten hinaus lag, stieg der General Soltikow in großer Uniform herab, er trug in seiner Hand eine Standarte mit dem goldenen Halbmond und wehenden Roßschweifen und wies mit lauter Stimme die ängstliche Vorstellung zurück, welche der Türhüter der Kaiserin und der erste Kammerherr vom Dienst, den jener zu seiner Unterstützung herbeigerufen, ihm wegen des Eintritts in die Zimmer Ihrer Majestät und in den so streng verschlossenen Garten machten.

An den Fenstern der neben der kaiserlichen Wohnung liegenden Gemächern sah man Kammerherren und Hofdamen, welche erschrocken und neugierig das außergewöhnliche Ereignis beobachteten.

Soltikow war seit langen Jahren immer bei der Armee und in den Garnisonen seines Kommandos gewesen, er war der Hofgesellschaft persönlich fast ganz unbekannt geworden, und um so größer war daher der Schreck über die Kühnheit dieses Fremden und die Besorgnis, wie die Kaiserin eine solche rücksichtslose Nichtachtung ihrer strengen Befehle aufnehmen werde.

Wohl hätte man gewaltsam Soltikows Eintritt verhindert, aber er trug die Generalsuniform, er hatte seinen Namen genannt, und sowohl sein Rang als der Klang dieses unter den Ersten des Reiches glänzenden Namens hatte den Türsteher zurückgeschreckt und legte auch dem Kammerherrn ehrerbietige Zurückhaltung auf. Er begnügte sich mit lebhaften Vorstellungen und dringenden Mahnungen, welche indes der General ohne jede Erklärung immer von neuem zurückwies, so daß der Kammerherr ihn für geistesverwirrt zu halten begann, und auf das höchste erschrocken die Kaiserin bemerkte, welche, von Nikolai und Zoraide gefolgt, am Ausgange der Seitenallee erschien und auf den von Orangenbäumen umgebenen freien Platz vor dem Schlosse heraustrat. Er legte die Hand auf Soltikows Arm, indem er ihn noch einmal und noch entschiedener aufforderte, zurückzukehren, wenn er nicht den höchsten Zorn Ihrer Majestät auf sich laden wolle.

Aber auch Soltikow hatte die Kaiserin erblickt.

Hastig stieß er den Kammerherrn zurück, übersprang mit einem Satz die letzten Stufen des Altans und eilte Katharina entgegen.

Er beugte das Knie vor ihr und rief mit lauter Stimme: »Heil meiner erhabenen Kaiserin Katharina, der Großen, der Unüberwindlichen! Die Kaiserin hat gesprochen, ihre Diener haben gehorcht! Die Kaiserin hat ihren Kriegern das Beispiel der Römer gezeigt, Rußlands Heldensöhne sind der Römer würdig gewesen. Der General Romanzow hat die Donau überschritten im Angesicht der feindlichen Übermacht, es gibt keine türkische Armee mehr! Schumla gehört Eurer Majestät, und hier lege ich zu Ihren Füßen die Standarte des Großwesirs Mossum Oglu nieder, welche ich selbst zu erbeuten das Glück hatte, als der Himmel mir beistand, meinen Schwur zu erfüllen und zuerst vor den tapferen Soldaten von der Armee des großen Romanzow meinen Fuß auf das feindliche Ufer zu setzen!«

Zoraide wurde totenbleich, sie zitterte so stark, daß sie, um sich aufrechtzuhalten, ihre Hand in Nikolais Arm stützte, während sie mit einem unbeschreiblichen Blick die Augen zum Himmel aufschlug.

»Diese Nachricht«, fuhr Soltikow fort, »litt keinen Aufschub, und Eure Majestät wird mir verzeihen, daß ich es gewagt habe, Ihrem Befehl trotzend, hier einzudringen!«

Die Kaiserin stand noch einen Augenblick regungslos, dann flammte helle Glut in ihrem eben noch so bleichen Gesicht auf. Die Siegesbotschaft überflügelte ihre kühnsten Hoffnungen. Eine der schwersten Sorgen war von ihrem Herzen genommen. Die wankenden Grundsäulen ihrer Macht waren neu befestigt. Groß, gefürchtet und gebietend stand sie wieder da unter den Mächten Europas.

Sie beugte sich herab. In überwallendem Entzücken umarmte sie Soltikow und küßte ihn auf beide Wangen.

»Ich danke dir, Sergius Semenowitsch,« rief sie, »in dir umarme ich meinen unüberwindlichen Feldherrn Romanzow und alle Helden seiner Armee! Ich wußte es, daß du mir nur glückliche Botschaft bringen konntest; die holde Blüte des Jugendtraumes«, fügte sie leiser, nur ihm verständlich, hinzu, »hat herrliche Früchte getragen, und diese Stunde der strahlenden Wirklichkeit wiegt wohl jenen dämmernden Traum auf.«

Stumm drückte Soltikow die Hand der Kaiserin an seine Lippen, seine Blicke tauchten sich in die ihrigen, es schien, als ob die Erinnerung an eine ferne Vergangenheit zwischen ihnen emporstiege, und so hell und glänzend die Sonne der Wirklichkeit auch ihre Strahlen über ihn ausgoß, so verschleierten sich seine Augen doch in feuchtem Schimmer.

Katharina drückte noch einmal seine Hand, dann winkte sie dem Kammerherrn, welcher auf der Treppe stand, heran, sie deutete auf die Fenster hin, und in wenigen Augenblicken waren alle Damen und Herren vom Dienst um sie versammelt. Sie hatte vollkommen ihre Fassung wiedergewonnen, mit einer Miene voll Hoheit und Würde verkündete sie die Siegesnachricht, bei welcher alle in laute Jubelrufe ausbrachen.

»Man soll ein Tedeum singen in der Kirche der heiligen Mutter Gottes von Kasan, ich werde selbst dort erscheinen, um dem Himmel zu danken, daß er so herrlich seine Gnade ausgegossen hat über mich und das heilige Rußland. Heute abend will ich die Glückwünsche meines ganzen Hofes empfangen. Euch, Graf Sergius Semenowitsch, erhebe ich zum Ritter des heiligen Andreas. Das edle Ordenszeichen soll Euch immer an die Stunde erinnern, in welcher Ihr den Sieg verkündet habt, zu dem Ihr selbst so viel beigetragen. Doch nun kommt,« fuhr sie fort, indem Soltikow mit zitternder Stimme einige unzusammenhängende Dankesworte sprach, »kommt, Ihr müßt mir erzählen, wie alles sich zugetragen. Hier die Standarte soll man vor dem Altar der heiligen Mutter Gottes niederlegen und die Siegesnachricht durch die ganze Stadt ausrufen, damit alles Volk die Freude seiner Kaiserin teile.«

Auf ihren Wink eilten die Kammerherren und die Damen davon. Jeder war begierig, die wunderbare und unglaublich klingende Neuigkeit so schnell als möglich zu verbreiten.

»Ich erlaube mir,« sagte Soltikow, »bei Eurer Majestät meinen Sohn zu begrüßen. Möge es ihm einst vergönnt sein, an ebenso herrlichen Siegen teilzunehmen für seine Kaiserin und sein Vaterland, und möge er stets der Gnade Eurer Majestät würdig sein!«

Er schloß Nikolai in seine Arme und küßte ihn zärtlich auf die Stirn.

Katharina hatte sich abgewendet, sie sah, wie Zoraide ihr Gesicht mit den Händen bedeckt hatte und leise schluchzte.

»Sei ruhig, mein Kind,« sagte sie freundlich, »Nikolais Vater wird nichts gegen die Wahl seines Sohnes einzuwenden haben, wenn ich dich ihm als Tochter zuführe.«

Sie erfaßte die Hand des zitternden Mädchens, um sie zu Soltikow zu führen.

»Verzeihung, Majestät,« sagte dieser, »im Übermaß der Freude habe ich meine Botschaft nur halb ausgerichtet. Nach unserem Siege hat der General Romanzow, dem Eurer Majestät Bedingungen ja bekannt waren, sogleich den Frieden verhandelt, um nicht durch neue Zögerung abermals die Frucht des Sieges zu verlieren und den Feinden Zeit zu neuer Sammlung ihrer Kräfte zu lassen. Der General hat mich mit Ihren ehrenvollen Verhandlungen beauftragt, hier sind die von dem Großwesir und mir unterzeichneten Grundzüge des Friedensschlusses; sie enthalten alles, was Eure Majestät früher gefordert haben, und wenn Eure Majestät meine Unterschrift ratifizieren wollen, so ist der Krieg ruhmreich und ehrenvoll beendet, das Schwarze Meer und die Dardanellen sind für Rußlands Flotte geöffnet.«

Er zog ein Portefeuille aus seiner Uniform und überreichte der Kaiserin den von ihm und dem Wesir unterzeichneten Vertrag.

Katharina durchflog das Dokument. Stolze Freude erleuchtete ihr Gesicht.

»Der Krieg ist beendet«, sagte sie dann; »was Ihr in meinem Namen abgemacht, Graf Sergius Semenowitsch, bestätige ich, und meine Unterschrift soll auf diesem ruhmreichen Blatt der Geschichte meiner Regierung neben der Euern stehen. Du siehst,« sagte sie dann zu Zoraide gewendet, »daß alles sich zu deinem Glück fügt. Der Friede ist geschlossen, um so sicherer wird dein Vater meine Bitte erfüllen. Hier, Sergius Semenowitsch,« fuhr sie fort, »sieh' dieses Mädchen an, durch sie soll dein Sohn für das Verdienst seines Vaters belohnt werden. Ich habe ihm die Mutter ersetzen wollen, darum mußt du mir erlauben, auch über die Wahl seines Herzens zu entscheiden.«

»Und dies Mädchen?« fragte Soltikow verwundert; »sie trägt das Kleid der Türkinnen.«

»Sie wird sich zum Christentum bekennen,« erwiderte die Kaiserin, »dem ihr Herz sich schon zugewendet hat, und der Großwesir wird die Bitte der Kaiserin nicht verweigern, die seine Tochter unter die Ersten des Hofes stellen will.«

»Seine Tochter,« rief Soltikow entsetzt, »sie ist Mossum Oglus Tochter! Mein Sohn liebt die Tochter des Wesirs!«

»Sie ist seiner Liebe würdig durch ihr Herz,« sagte Katharina, »und durch ihre Geburt der Stellung würdig, zu der ich sie erheben werde.«

»Ja, mein Vater,« sagte Nikolai, »den Arm um Zoraides Schulter schlingend, »sie ist es wert, deine Tochter zu sein, und wäre auch nicht ein Fürst ihres Volkes ihr Vater.«

»O mein Gott,« seufzte Zoraide leise, »seine Tochter, und er hat meinen Vater überwunden und seine Fahne in den Staub gebeugt!«

Soltikow blickte schmerzvoll auf seinen Sohn.

»Du armes Kind,« sagte er, »muß dein Vater selbst in diesem Augenblick stolzer Freude das Glück deines Herzens zerstören?«

»Ihr bedenkt Euch,« fragte Katharina erstaunt und etwas unwillig, »wenn ich Eures Sohnes Wahl billige?«

»O Majestät,« rief Soltikow, »kein Wort des Zweifels würde über meine Lippen kommen, wenn meine Kaiserin eine Leibeigene zur Gemahlin meines Sohnes erwählt und sie für würdig erklärt hätte, den Namen Soltikow zu tragen, aber hier muß ich selbst meiner Kaiserin ungehorsam sein, ich muß Eure Majestät bitten, Ihre Entscheidung zurückzunehmen, und mein armer Sohn muß mir verzeihen, daß ich der Bote des Verhängnisses bin, das mit kalter Hand zerstörend eingreift in die Hoffnungen seines warmen Herzens.«

»Und warum – ich begreife nicht?« fragte die Kaiserin, während Nikolai die immer noch weinende Zoraide fester an sich drückte.

»Eure Majestät werden begreifen,« erwiderte Soltikow, »wenn ich Ihnen sage, daß der Wesir, der nur schmerzlich und bange vor dem Zorn des Padischahs die harten Forderungen zugestanden, zu denen unser Sieg uns berechtigte, daß der stolze und tapfere Mossum Oglu mir eine Bedingung stellte, deren Erfüllung ich ihm bei meiner Ehre zugesagt.«

»Und diese Bedingung?« fragte Katharina.

»Diese Bedingung war, daß ich ihm seine Tochter Zoraide, die er liebt, die sein einziges Glück, seine einzige Freude auf Erden ist, sogleich zurückgeben werde«, erwiderte Soltikow.

»O mein Vater,« rief Zoraide, »so sehr liebt er mich, so sehr sehnt er sich nach seiner Tochter!«

»Kann er dich mehr lieben als ich,« rief Nikolai, »er, der über alle Macht und Herrlichkeit des Lebens gebietet, während ich nur dich, nur dich allein habe und ohne dich sterben würde?«

»Und wenn ich Zoraide nicht freigebe?« sagte die Kaiserin. »Sie gehört mir nach dem Recht des Krieges; auch die Türken machen ihre Gefangenen zu Sklaven.«

»Sie gehört Eurer Majestät,« erwiderte Soltikow, »und Eure Majestät sind berechtigt, sie zurückzubehalten. Dann aber«, fuhr er mit bebender Stimme fort, »muß der Friedensvertrag zerrissen werden, denn nur unter der Bedingung, seine Tochter zurückzuerhalten, hat der Wesir ihn unterzeichnet.«

»Die Bedingung steht nicht im Vertrage,« sagte Katharina, »ich bin nicht daran gebunden.«

»Aber ich, Majestät, habe meine Ehre verpfändet,« erwiderte Soltikow, »und wenn Eure Majestät mein Ehrenwort nicht einlösen, so hat der Name Soltikow seinen reinen Klang verloren unter den Edlen Rußlands, und, so wahr Gott im Himmel lebt, der Bote, der dem Wesir die Kunde von meinem Wortbruch bringt, soll ihm auch sagen, daß ich mit dem Leben die Schuld meiner Ehre bezahlt habe!«

»Und das Lebensglück deines Sohnes gilt dir nichts?« rief Nikolai außer sich.

»Es gilt mir viel,« erwiderte Soltikow, »mehr als alles auf Erden; aber meine Ehre gehört nicht der irdischen Vergänglichkeit an, sie ist ein heiliges Pfand, das mir die Vorfahren meines Geschlechtes anvertraut haben, das ich bewahren muß rein und unbefleckt, wie jene es bewahrt haben für mich, um es denen zu hinterlassen, die nach mir meinen Namen führen werden. – Dir zunächst, mein Sohn, und kein Glück auf Erden könnte dir Ersatz geben, wenn du gezwungen wärest, dein Antlitz zu verbergen vor den Blicken der Welt, weil dein Vater einen Flecken hinterlassen hat auf der Ehre deines Namens. Es ist der größte Schmerz meines Lebens, daß ich es sein muß, der das Glück deines Lebens zerstört, da ich dir so wenig Glück bis jetzt zu bieten vermochte, – doch es muß sein, mein Sohn, es muß sein, morgen muß dieses Mädchen ihrem Vater zurückgesendet werden, oder dein Vater muß aufhören zu leben.«

»Ja, es muß sein, mein teurer Freund,« rief Zoraide, indem sie sich an Nikolai schmiegte und mit ihren tränenden Augen ihn voll inniger Liebe ansah, »es muß sein, denn keine Gewalt wird mich zurückhalten, wenn mein Vater mich ruft, keine Gewalt, selbst meine Liebe nicht. Das ist das Verhängnis, das unerbittliche, das der Menschen Leben beherrscht und dem man sich in Demut fügen muß, denn Allah ändert niemals den unabänderlichen Entschluß des Kismets. Mein Auge wird weinen, solange es dem Licht offen steht, mein Herz wird trauern, solange es schlägt, aber du wirst deiner Zoraide in Frieden gedenken dürfen, denn ihre Seele wird ruhig sein, da sie ihre Pflicht erfüllt hat, während sie das heiligste Gebot Gottes verletzen würde, wenn sie bei dir bliebe.«

»Aber, mein Gott,« sagte die Kaiserin, »wenn ich dem Wesir schreibe, wenn ich ihn bitte, wo ich das Recht hätte, zu befehlen?«

»Mein Ehrenwort duldet keine Einschränkung, keine Deutung. Ich habe dem Wesir versprochen, daß seine Tochter ihm sogleich zurückgegeben werden soll, und erst wenn mein Wort eingelöst ist, mögen Eure Majestät versuchen, seine Einwilligung zu erlangen«, sagte Soltikow.

»Er wird sie niemals geben,« sagte die Kaiserin, »wenn das Kind erst in seiner Gewalt ist.«

»Ich werde ihn bitten,« rief Zoraide, »ich schwöre es! Ich werde ihn bitten, so sehr ich kann, und vielleicht –«

Sie verstummte und senkte traurig den Kopf, es schien ihr zu widerstreben, eine Hoffnung auszusprechen, an die sie selbst kaum glaubte.

»Gut, mein Vater,« sagte Nikolai, »dein Sohn hat kein Recht, noch ein Wort der Bitte auszusprechen, und die Ehre unseres Namens ist mir nicht minder heilig wie dir. Aber auch ich habe ein Wort einzulösen, ein Wort, das mich unauflöslich an Zoraide bindet, und die Pflicht, mein Schicksal von dem ihren nicht zu trennen. Ich selbst werde sie ihrem Vater zurückbringen, an ihrer Hand werde ich vor ihn hintreten und das Glück meines Lebens von ihm erbitten.«

»O mein Gott,« rief Soltikow, »du willst dich in die Hand des Feindes geben! Der Wesir denkt edel und groß, von ihm droht dir keine Gefahr, aber von den anderen, die um ihn sind. O mein Sohn, mein Sohn, bedenke, daß der Meuchelmord dich umlauern wird unter den Türken, welche die Christen noch tiefer hassen nach der Demütigung unseres Sieges.«

»Nein,« rief Zoraide, »sein Haupt wird sicher sein wie das meinige bei meinem Vater; ich bürge für sein Leben oder ich werde mit ihm sterben. Dank, Dank, mein Nikolai,« fuhr sie fort, »dein edles Herz hat den einzigen Weg zum Glück gefunden, Dank für deine Liebe!«

»Hast du zweifeln können,« sagte Nikolai, »daß ich keinem anderen die Frage überlassen würde, ob mein Leben aufblühen soll zu herrlichem Glück oder verwelken in kalter Finsternis?«

»Und wenn ich dir verbiete, sie zu begleiten,« fragte die Kaiserin, »wenn ich dir befehle, hierzubleiben?«

»Das werden Eure Majestät nicht tun,« rief Nikolai, »meine gnädige Kaiserin wird ihr eigenes Werk nicht zerstören und das treueste Herz zu Undank und Ungehorsam zwingen!«

»Nein,« sagte die Kaiserin, indem sie Nikolai ihre Hand reichte, »nein, das werde ich nicht tun, ich werde dich nicht zurückhalten, aber bei Gott, der Wesir und der Sultan selbst, sie sollen es wissen, daß meine Macht jedes Haar auf deinem Haupte beschützt und daß alle türkischen Gefangenen mir für dein Leben bürgen. Wie doch«, sagte sie sinnend, »keine Blüte des irdischen Lebens rein und vollkommen ist! So knüpft sich an diese herrliche Siegesbotschaft der Schmerz und die Sorge dieser armen Kinder, die ich liebe, und wie ohnmächtig ist die siegreiche Kaiserin, um diejenigen glücklich zu machen, die ihrem Herzen so nahe stehen. Doch jetzt nichts mehr davon. Des Menschen höchste Kraft ist es, in jeder Lage seine Pflicht zu erfüllen; auch ihr alle habt die eure getan, und so möge Gott mit euch sein. Der heutige Tag gehört der Freude der Kaiserin über den Sieg ihrer Fahnen. Geh' mit deinem Vater, Nikolai. Du bleibst bei mir, Zoraide, am Abend noch mögt ihr euch des Glückes und Glanzes erfreuen, morgen sollt ihr euren schweren Weg antreten, auf welchem der Schutz eurer Kaiserin auf euren Häuptern ruhen wird.«

Sie grüßte voll Hoheit und Würde und führte Zoraide mit sich fort in ihre Gemächer, während Soltikow mit seinem Sohne sich in den großen Empfangssalon begab, in welchem bereits der Hof sich zahlreich versammelt hatte.

Alle bestürmten ihn mit Glückwünschen und Fragen, aber ernst und finster gab er nur kurze und kalte Antworten, und traurig ruhten seine Blicke auf seinem Sohn, der heiter lächelnd, glücklich über den Entschluß, der seiner Seele Klarheit und Hoffnung wiedergab, an seiner Seite stand, und der am nächsten Tage einen Weg antreten sollte, auf dem tausend Gefahren ihn umringten.

Katharina eilte, während ihre Kammerfrauen ihre kaiserlichen Prachtgewänder bereitlegten, durch den geheimen Gang zu Potemkin, welcher ihr freudestrahlend entgegentrat, denn auch in die Einsamkeit seines Krankenzimmers war bereits die große Siegesbotschaft gedrungen.

Katharina warf sich an seine Brust und küßte ihn voll leidenschaftlicher Inbrunst.

»Die schwerste Gefahr ist abgewendet, mein teurer Freund,« rief sie; »wie danke ich dir, daß du mich zurückhieltest und mir den Mut gabst, auf meinen Stern zu vertrauen und die Hand zurückzuweisen, die als Preis ihrer Hilfe das Schwert meines Reiches verlangte! Jetzt bin ich wieder die Kaiserin, in meiner Hand blitzt das siegreiche Schwert Rußlands, und was noch zu überwinden ist, fühle ich die Kraft, vor mir in den Staub niederzuwerfen.«

Nur wenige Worte noch sprach sie in der Aufwallung ihrer stolzen Freude. Die Zeit drängte, und schnell eilte sie davon, um ihren Platz einzunehmen bei dem feierlichen Tedeum vor dem Altar der heiligen Mutter Gottes von Kasan, zu welchem sich bereits die Geistlichkeit um den Erzbischof versammelte.

»Sie fühlt allein die Kraft, alles vor sich in den Staub niederzuwerfen«, sagte Potemkin, ihr finster nachblickend. »Sie ist die Kaiserin, und was bin ich? Der Weg ist schwer zum großen Ziel, aber dennoch werde ich es erreichen, wenn nur er erst von seiner Höhe gestürzt ist, der seine freche Hand gegen mein Antlitz erhob, den ich hasse wie den Tod, und der sie dennoch beherrscht, weil sie ihn fürchtet.«

Er setzte sich auf seinen Diwan, stützte den Kopf in die Hände und blieb so unbeweglich und tief nachdenkend in seinem Zimmer sitzen, während draußen die Kanonen donnerten, die Glocken läuteten und das jubelnde Volk die Kaiserin begrüßte, welche, das leuchtende Diadem auf dem Haupte, den goldenen Mantel mit den Doppeladlern um die Schultern geworfen und von ihrem ganzen Hof umgeben, zu Fuß nach der Muttergotteskirche ging, um den Sieg zu feiern, den ihr großer Feldherr auf ihren Befehl errungen. Das stolze Wort, das sie ihm geschrieben und das vor kurzem noch eine wahnsinnige Vermessenheit zu sein schien, war zur Wahrheit geworden, und das freudeberauschte Volk zweifelte nicht mehr, daß das Wort seiner Kaiserin die Macht habe, auch das Unmögliche dennoch zur Tat werden zu lassen.

Auch der Fürst Gregor Orloff war unter den Großwürdenträgern bei der Feier des Tedeums erschienen, er trug die große Uniform des Feldzeugmeisters, sein Degengriff, seine Epauletten, die Agraffe seines Hutes und sein Ordensstern strahlten in Diamanten von unschätzbarem Wert; er schien nicht nur durch den Glanz seiner Erscheinung, sondern durch die laute Lebhaftigkeit, mit der er gegen alle, denen er begegnete, seine Freude über den erfochtenen Sieg des Generals Romanzow aussprach, beweisen zu wollen, wie lebhaften Anteil er an den für die Kaiserin und das Reich so glücklichen Ereignissen nahm, aber sein Gesicht war bleich, finstere Wolken zogen über seine Stirn, und seine Blicke irrten unstet umher. Er suchte Potemkin in dem Gefolge der Kaiserin, und die Abwesenheit des verhaßten Nebenbuhlers beunruhigte ihn mehr, als es die höchste Gunstbezeigung der Kaiserin für denselben getan haben würde.

Es war gegen die Etikette, die Kaiserin in der Kirche anzureden, wo sie dem Altar gegenüber in einem vergoldeten Thronsessel Platz nahm, und so war es Orloff nicht möglich, aus einem Wort oder einem Blick Katharinas ihre Gedanken zu erraten.

In eben dem feierlichen Aufzuge, in welchem sie gekommen war, kehrte Katharina wieder in das Winterpalais zurück.

In dem großen Thronsaal entließ sie den Hof und zog sich sogleich in ihre Gemächer zurück, wohin sie Soltikow beschied, der ihr ausführlich die Geschichte der gewonnenen Schlacht erzählen mußte und allein an ihrem Diner teilnahm, während Nikolai und Zoraide, unter den Bäumen des Gartens umherwandelnd, in schmerzlich süßem Gespräch ihren Kummer und ihre Sorgen austauschten und sich gegenseitige Hoffnungen zu machen suchten, die sie selbst im Grunde ihrer Herzen kaum festhalten konnten.


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