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34. Kapitel

Ringsum herrschte noch tiefe Stille des Entsetzens, als man von fern her laute Rufe vernahm, welche, immer stärker anschwellend, näher und näher kamen. Endlich wurden die den Platz vor dem Zelt einschließenden Reihen durchbrochen. Ein Mann in zerfetztem Anzug, das Haar wirr um das Haupt hängend, das Gesicht und die Hände wie von Dornen blutig zerrissen, stürzte über den freien Platz, sank vor Pugatschew nieder und küßte sein Gewand.

Ihm folgten die Führer des Heeres: Alexiew, Antizow, Twogorow, Fiduljew und der alte Matfej Skrebykin, Xenias Vater.

Sie alle trugen Anzüge von nationalem Schnitt wie Pugatschew selbst, nur zeigten die kostbaren Stoffe ihrer Gewänder nicht die Purpurfarbe. Kostbares Pelzwerk vom Zobel und dem schwarzen Fuchs ersetzte den kaiserlichen Hermelin. Alle waren geschmückt mit dem blauen Bande und dem Stern des Andreasordens; Matfej Skrebykin allein hatte seine einfache Kosakentracht beibehalten und, trotz Pugatschews Drängen, keines der hohen Ehrenzeichen des Reiches angenommen, die dieser so freigebig verteilte.

»Wenn dich Gott gesendet«, hatte er geantwortet, »als Rächer und Befreier, wenn du wirklich der Zar bist, so wird er dich nach Moskau führen, und wenn dort die Krone dein Haupt berührt hat, so werde ich annehmen, was du mir dann gewähren magst als mein Herr und Gebieter.«

Pugatschew blickte verwundert in das entstellte Gesicht des vor ihm knienden Mannes; Xenia sah denselben einen Augenblick starr an, dann wurde sie totenbleich, und entsetzt zurückweichend, flüsterte sie, ihre Brust bekreuzigend:

»Adam Tschumakow! O ihr Heiligen des Himmels, hat Gott so schnell den Racheschrei dieses Blutes gehört?«

Auch Pugatschew erkannte jetzt die Züge des Knienden.

»Bei Gott, er ist es, Adam Tschumakow!« rief er. »Welches Wunder führt dich zurück, den wir längst als tot beklagten?«

»Heil sei meinem erhabenen Kaiser,« erwiderte Tschumakow, »und Gott kröne sein Haupt mit immer neuen Siegeskränzen, wie er mich wunderbar erlöst hat aus schmachvoller Gefangenschaft!«

»Komm in meine Arme!« rief Pugatschew, sich herabbeugend. »Nicht zu meinen Füßen ist dein Platz! Oh, nun bin ich nicht allein«, sagte er ganz glücklich, Tschumakow an seine Brust drückend; »nun sollen sie mich nicht mehr zur Flucht zwingen! – Erzähle,« rief er dann, »wie ist es möglich, daß du wieder da bist? Wie ist es dir gelungen, dich zu befreien?«

Die Führer alle traten nahe heran; auch die Soldaten drängten immer dichter und dichter in den freien Platz vor dem Zelt; nur Xenia stand abgewendet und schien, die Blicke auf den Boden geheftet, leise Gebete zu sprechen.

»Ich war gestürzt im Handgemenge«, begann Tschumakow. »Mein Pferd lag über mir, und seine Last hinderte mich am Gebrauch der Waffen, da haben sie mich eingefangen und fortgeschleppt in das Hauptquartier des Generals der Ketzerin; ich war gefaßt auf einen schmachvollen, grausamen Tod, aber sie ließen mich leben, sie wollten mich nach Petersburg schicken, um ihrer stolzen Zarewna einen Beweis ihres Sieges zu geben. Ich bereitete mich vor, auch diese Schmach zu dulden, und sann darüber nach, wie ich eine Waffe erlangen und meinem Leben ein Ende machen könnte. Dann aber änderten sie ihren Plan; sie begannen mich auszuforschen, versprachen mir viel Reichtum und Ehren, wenn ich ihnen Auskunft geben würde über die Stärke unseres Heeres und über alles, was bei uns vorgeht; da faßte ich wieder Hoffnung; galt es doch, die Feinde zu betrügen und ihr Verderben zu beschleunigen. Ich sagte ihnen, daß unsere Macht gering sei, daß manche Stämme schon wieder in ihre Heimat zurückgekehrt seien und daß es nur eines schnellen Vorgehens bedürfe, um unser Heer völlig zu zersprengen. Und sie glaubten mir; sie bewachten mich weniger scharf, sie verpflegten mich gut, und so wurde es mir möglich, den günstigen Augenblick zu erspähen. Sie hatten nur einen Mann als Wache in mein Zelt gegeben; ich erwürgte ihn in der Nacht mit meinen Händen und entfloh aus dem Lager. Wohl entdeckten sie mich, als ich die Postenkette durchbrach, sie eilten mir nach, sie hetzten mich wie ein Wild, aber ich erreichte den Wald; die Dornen zerrissen mein Gesicht und meine Kleider, aber sie mußten von meiner Verfolgung ablassen, sie verloren meine Spur, und an ihrem ganzen Heer mich vorbeischleichend, gelang es mir endlich, hierher zu kommen.«

»Gott sei dafür gepriesen!« rief Pugatschew, indem er Tschumakow noch einmal an seine Brust drückte. »Jetzt aber eilt, ihn zu erquicken, ihn zu reinigen von Blut und Staub; gebt ihm von meinen eigenen Kleidern; mein eigenes Band und mein eigener Stern sollen ihn schmücken, damit er würdig unter uns dastehe, wie es meinem treuesten Freunde, wie es dem ersten meiner Würdenträger geziemt! Und richtet ein Mahl an von dem Köstlichsten, was wir haben, um das Fest seiner Rettung zu feiern!«

»Haltet ein, mein erhabener Kaiser!« sagte Tschumakow. »Wohl will ich das Wunder meiner Rettung feiern, aber nicht mit festlichen Gelagen, ich bringe Besseres aus meiner Gefangenschaft mit: ich bringe den Sieg, den herrlichsten, den glänzendsten Sieg, der meinem hohen Herrn den Weg nach Moskau öffnen wird, wo die Krone der alten Zaren ihn erwartet!«

»Du sprichst von Sieg,« rief Pugatschew, »jetzt, wo alle anderen mich zur Flucht drängen, wo sie zittern vor dem Namen Romanzows, der gegen uns heranzieht?«

»Romanzow?«, sagte Tschumakow. »Romanzow steht weit an der Donau gegen die Türken, deren er nicht mehr Herr werden kann!«

»Romanzow ist nicht hier?« rief Pugatschew.

Immer näher drängten die Soldaten heran, laute Freudenrufe ließen sich aus ihren Reihen hören.

»Nein,« fuhr Tschumakow fort, »Romanzow ist nicht hier. Nur eine schwache Macht steht uns entgegen, und sie ist noch schwächer dadurch, daß sie in einzelnen, durch Tagemärsche getrennten Abteilungen heranrückt; ich habe sie sicher gemacht, und sie glauben, leicht mit uns fertig werden zu können; aber ihre Sicherheit soll ihr Verderben sein! Schnell, ehe sie sich zusammenziehen können, ehe Verstärkungen herankommen, müssen wir vorwärts gehen, kein Augenblick ist zu verlieren; wir werden jede ihrer Abteilungen einzeln vernichten, und ehe die Ketzerin in Petersburg davon erfährt, ehe sie uns neue Truppen entgegensenden kann, werden wir in Moskau sein, wo das Volk seinen Befreier erwartet und wo das heilige Öl das Haupt meines erhabenen Herrn salben wird!«

»Du glaubst, daß es möglich ist?« rief Pugatschew mit blitzenden Augen; »du glaubst, daß wir sie schlagen werden? Oh, das sind goldene Worte; sie klingen in meiner Seele wider wie eine himmlische Botschaft. Und ich weiß, daß es so ist; ich habe es immer gewußt, aber sie haben mich nicht hören wollen!«

Schnell war Xenia zu ihm herangetreten.

»Glaube ihm nicht!« flüsterte sie in Pugatschews Ohr. »Siehst du nicht, wie die bösen Geister aus seinen Augen blicken? Er ist ein Bote des Verderbens!«

»Ich grüße in Ehrfurcht meine erhabene Zarewna!« sagte Tschumakow, indem er vor Xenia das Knie beugte und den Saum ihres Gewandes küßte.

Xenia aber wich entsetzt zurück und flüsterte noch einmal, an Pugatschew sich anschmiegend, in dessen Ohr: »Glaube ihm nicht, glaube ihm nicht; das Unheil lauert in seinen Augen!«

»Schweig'«, sagte Pugatschew rauh; »an den Männern ist es, zu beschließen und zu handeln!«

»Sprich noch einmal, Tschumakow«, sagte er; »du glaubst, daß wir sie schlagen werden?«

»So wahr, als die Sonne am Himmel steht!« rief Tschumakow. »Aber gleich, ohne Zögern und Besinnen müssen wir aufbrechen, um ihnen entgegen zu ziehen und sie in ihren getrennten Abteilungen zu vernichten, ehe sie sich vereinigen und die Ausgänge dieses Kessels besetzen, in welchem sich mein erhabener Herr verbirgt wie ein zitternder Flüchtling, während doch Gott ihn ausersehen hat, in stolzem Adlerflug hinzuziehen nach dem heiligen Moskau, wo der strahlende Glanz der Krone ihm entgegenschimmert!«

»Aber hier sind wir sicher, hier steht uns der Rückzug in die Steppen offen!« warf Fiduljew ein. »Wir sollten zuvor Kundschafter aussenden und uns überzeugen, daß alles so ist, wie Tschumakow uns sagt.«

»Er kann sich in seiner eiligen Flucht getäuscht haben!« bemerkte Antizow; und auch die übrigen Führer sprachen ihre Bedenken gegen einen plötzlichen Vormarsch aus.

»Oh, ihr Kleingläubigen«, rief Tschumakow so laut, daß die Soldaten ringsum seine weithinschallenden Worte vernehmen konnten; »wie wollt ihr siegen, wenn ihr selbst nicht an den Sieg glaubt; wenn ihr euch vor dem Gespenst des Namens Romanzow fürchtet, der nicht da ist und der, wenn er da wäre, nichts vermöchte gegen den gottgesendeten Zaren?!«

Laute Beifallsrufe ließen sich ringsum vernehmen.

Pugatschew streckte seinen Arm aus und rief mit donnernder Stimme:

»Gott, der durch ein Wunder unseren Freund errettet und zu uns geführt, verkündet uns durch seine Stimme, was wir zu tun haben. Es soll geschehen, Adam Tschumakow, wie du es sagst; ich, der Zar, tue meinen Willen kund. Gestützt auf die Wunderzeichen des Himmels, befehle ich, daß das ganze Heer sich sofort marschfertig zu machen hat; in zwei Stunden brechen wir auf, die Feinde niederzuwerfen auf unserem Siegeszug nach Moskau! Das ist mein Befehl, und, bei dem allmächtigen Gott, wer ein Wort dagegen spricht, der soll die Strafe des Hochverrates erleiden!«

Ein brausender Jubelruf, weithin durch das Lager sich fortsetzend, war die Antwort.

»Romanzow ist nicht da«, hörte man die Soldaten sagen; »man hat uns belogen. Die Feinde sind schwach; vorwärts, vorwärts zum Siege! Vorwärts nach Moskau!«

Antizow senkte das Haupt.

Keiner der Führer wagte einen Einwand.

Matfej Skrebykin trat zu Pugatschew heran und sagte:

»Die Stunde der Entscheidung ist da; Gott wird sein Urteil sprechen, und wenn er dich siegreich nach Moskau führt, so werde ich vor Dir das Knie beugen und Dich als den rechten und wahren Zaren begrüßen!«

»Vorwärts also!« rief Pugatschew. »Jeder soll an seinen Platz gehen; in zwei Stunden, wenn die Sonne sich zur Neige senkt, brechen wir auf, und wenn morgen der Tag aufsteigt, soll er unserem Siege leuchten!«

Die Soldaten waren bereits zu ihren Lagerplätzen geeilt, geschäftiges Leben regte sich ringsum.

Tschumakow reinigte sich schnell von Blut und Staub und stieg neu gekleidet und bewaffnet zu Pferde, um überall die Vorbereitungen zum Marsch zu beschleunigen.

In jeder der einzelnen Abteilungen des Lagers sprach er lange und eifrig mit den Führern, welche ernst und aufmerksam zuhörten und dann schweigend ihre Truppen ordneten.

Pugatschew hatte sich in sein Zelt zurückgezogen, um seinen glänzendsten Waffenschmuck anzulegen. Auch Xenia schmückte sich, wie er befohlen, mit einem reichen Gewand, dessen Brust der kaiserliche Adler mit dem Reichswappen in reicher Stickerei zierte. Sie gürtete einen Säbel in goldener Scheide um und bedeckte ihr Haupt mit einem gekrönten Helm. Sie war schön wie eine Göttin des Krieges in ihrem schimmernden Waffenschmuck; aber während ihre Dienerinnen um sie beschäftigt waren, saß sie bleich, gesenkten Hauptes da, die Hände im Schoß gefaltet, und stille Tränen rannen über ihre Wangen herab.

Als die von Pugatschew bestimmten zwei Stunden verstrichen waren, stand das ganze Heer zum Marsch geordnet. Eine Abteilung rückte nordwärts auf der engen Straße nach Saratow, um die Besatzung der Stadt zu verstärken; alle übrigen Abteilungen wendeten sich dem Wege zu, welcher westlich durch die Defileen hinausführte, und auf welchem man vor einiger Zeit von Dimitriewsk aus in die feste Stellung am Ufer der Wolga gerückt war.

Die wenig zahlreiche Infanterie marschierte voraus, die Kavallerie folgte, die Artillerie und die Bagage waren bestimmt, den Schluß zu bilden; Antizow, Fiduljew, Twogorow und Matfej Skrebykin warteten vor Pugatschews Zelt. Die Pferde waren vorgeführt, und bald erschien Pugatschew, Xenia mit trüben Augen und blassen Wangen an seiner Seite. Die nach den Defileen hinmarschierenden Soldaten begrüßten ihn mit lautem Jubelruf.

Es war bestimmt, daß Pugatschew mit seinem Stabe in der Mitte des Zuges marschieren solle, um nach vorwärts und rückwärts in gleichmäßiger Schnelligkeit seine Befehle geben zu können.

Tschumakow sprengte heran, um zu melden, daß die vorausmarschierenden Abteilungen abgerückt seien und daß es für den Zaren Zeit sei, seinen Platz im Zuge einzunehmen. Als er, vom Pferde springend, vor Pugatschew hintrat, seine Meldung zu machen, fiel sein Blick auf Xenia, welche in ihrem schimmernden, kriegerischen Schmuck zauberhaft schön war.

Eine wundersam düstere Glut flammte in seinen Blicken auf. Xenia, die ihn wie gebannt ansah, schauderte unter seinem Blick zusammen. Noch einmal trat sie zu Pugatschew heran und bat leise:

»Bleibe zurück, mein Herr und Gemahl; du hast doch sonst auf mich gehört; oh, höre mich jetzt! Das Verderben lauert auf deinem Wege! Sieh' jenen Unschuldigen, den du gemordet hast! Höhnend hast du sein gespaltenes Haupt zu den Sternen aufgerichtet; er ruft den Himmel um Rache an!«

»Auch in deinem Herzen wohnt die Weiberschwäche!« erwiderte Pugatschew. »Laß mich! Du wirst mir danken, daß ich nicht auf dich hörte. Vorwärts, zu Pferde! Der Kampf wird dich erfrischen; und wenn alle meine Feinde erst jenem Spion der Ketzerin gleichen, dann wird der goldene Glanz der Krone auch dein Haupt wieder freimachen von Furcht und Zweifel!«

Sein mächtiges schwarzes Streitroß wurde vorgeführt; er schwang sich in den prächtigen, von Edelsteinen funkelnden Sattel. Xenia bestieg schnell, ehe Tschumakow ihr seine Hand bieten konnte, ihren weißen Zelter, und in den Strahlen der sinkenden Sonne ritt der glänzende Zug auf dem Talweg zwischen den waldigen Höhen davon. Die letzte Abteilung der Reiterei und die Artillerie folgten ihm. Die Wagen mit dem Proviant und den zahlreichen Weibern bildeten den Schluß.

Pugatschew schien von einer fieberhaften Unruhe bewegt; er sprach unaufhörlich von dem nahe bevorstehenden Sieg, von der Krönung in Moskau und von all den Gesetzen, die er erlassen wollte, sobald das ganze Reich seiner Herrschaft gehorchen würde, um das Volk glücklich zu machen und auch den Leibeigenen allen Freiheit und Eigentum zu geben. Boten auf Boten sendete er vorwärts an die Spitze des Zuges, um den Marsch zu beschleunigen und endlich den Feind zu erreichen. Immer enger wurde der Weg, immer steiler die an der Seite desselben aufsteigenden Höhen. Der Abend sank herab, und dunkler und dunkler wurde es zwischen den Bergen, lustige Lieder erschallten vorwärts und rückwärts, die Sterne zogen am Himmel herauf. Seufzend blickte Xenia empor.

»Die Sterne, die Sterne,« seufzte sie, »das blutige Haupt des Toten ruft sie an um Rache!«

Da krachte von weit her durch die Berge Kanonendonner, und zugleich hörte man ein wildes Schmerz- und Wutgeheul, das von vorne immer näher heranklang.

Der Zug stockte.

»Was gibt es?« fragte Pugatschew. »Sie werden die Berge passiert haben,« fügte er freudig hinzu, »sie werden beginnen, den Feind zu zermalmen. Reitet vor und fragt, was dort vorgeht an der Spitze des Zuges!«

Aber ehe sein Befehl befolgt werden konnte, wurden die Weherufe stärker und stärker. Zugleich knatterten Gewehrsalven von den Höhen herab, überall auf den Bergen sah man die Schüsse aufblitzen, und auch von hinten her erschallten dieselben Jammerrufe. Alle Bergrücken waren mit russischen Truppen besetzt und ein verheerendes Feuer vernichtete von allen Seiten die auf der engen Straße eingekeilten Truppen Pugatschews. Die vorderen Abteilungen stauten sich rückwärts, von hinten her drängten die Haufen vorwärts. In einem Augenblick war alle Ordnung aufgelöst. Endlich kam ein Kosak an, der sich mühsam Bahn gebrochen hatte, um zu melden, daß der Ausgang der Defileen mit russischen Batterien besetzt sei, welche die Vorhut mit einem mörderischen Kartätschenhagel empfangen hätten.

Pugatschew saß starr und unbeweglich auf seinem Pferde, er begriff, daß alles verloren sei, daß es keine Möglichkeit gebe, diesem Abgrunde, in welchen von allen Seiten der Tod hineingeschmettert wurde, zu entrinnen.

»O hättest du auf mich gehört!« sagte Xenia jammernd; »ich wußte es, daß er uns ins Verderben führen würde. Jetzt bleibt uns nur noch übrig, zu sterben, um nicht in die Hände der grausamen Feinde zu fallen.«

»Zu sterben,« rief Pugatschew, »nein, ich will nicht sterben, hinter uns winkt die Freiheit, und aus der Freiheit wird neue Kraft, wird die Rache erstehen!«

Er riß sein Pferd herum.

»Folge mir,« rief er Xenia zu, »halte dich dicht an mir, noch sollen sie uns nicht fangen!«

Und mit hochgeschwungenem Säbel brach er, sein Pferd in gewaltigen Sätzen vorwärts treibend, sich eine Bahn durch seine eigenen Soldaten, welche entsetzt vor seinem hoch aufbäumenden Pferde zurückwichen.

Xenia folgte dicht hinter ihm auf dem Wege, den er eröffnete.

»Folgt dem Zaren,« rief Tschumakow den übrigen Führern zu, »verlaßt ihn nicht, schützt sein Leben!« und unmittelbar an Xenias Seite sprengte er ebenfalls rückwärts. Die übrigen folgten mitten durch die jammernden Soldaten hindurch; zwischen den Kanonen hin, über Frauen und Troßknechte hinweg jagte der Zug nach dem Lager zurück, das er vor wenigen Stunden so siegesgewiß verlassen hatte, während die Berge widerhallten von den Salven der Kanonen und Gewehre und von dem Jammergeschrei der Sterbenden und Verwundeten.

Einige hundert Kosaken von der am meisten rückwärts marschierenden Abteilung hatten sich dem dahinjagenden Pugatschew angeschlossen und bald hatte man das Lager erreicht, an dessen Eingange noch die letzten Kanonen und der ganze Troß standen.

Der ganze weite Platz, welcher am Abend vorher noch von so fröhlichem Leben bewegt gewesen war, lag öde und still da. Pugatschew sprang vor seinem Zelt vom Pferde und hob Xenia vom Sattel. Die Leiche des unglücklichen Lowitsch steckte noch auf der Spitze der Piken, das dämmernde Sternenlicht beleuchtete das bleiche Haupt mit der klaffenden Wunde.

Xenia sank in die Knie und schien mit erhobenen Händen den Gemordeten um Vergebung anzuflehen.

Pugatschew stand finster, aber kalt und ruhig da.

»Der Sieg ist verloren«, sagte er; »wie das hat geschehen können, das werde ich später untersuchen, und wehe dem, den eine Schuld trifft. Aber meine gerechte und heilige Sache ist mit dem Siege nicht verloren. Jetzt gilt es, uns in die Steppen zu retten, dort werden wir neue Kraft sammeln. Bringt den Kanonieren dort am Eingange des Lagers den Befehl, daß sie sich bereithalten, den Feind zu empfangen, wenn er bis hierher vordringen sollte; die Flöße sind bereit, vorwärts, folgt mir auf das andere Ufer der Wolga. Eine Abteilung Kosaken soll hierbleiben, um allen, die sich aus jenen unglückseligen Tälern retten, den Befehl zu geben, mir über den Fluß zu folgen. Komm, Xenia, auf dem Boden deiner Heimat werden wir Erholung von diesem furchtbaren Schlage finden!«

Xenia erhob sich.

»Mein Gott,« rief sie, »mein Vater; was ist das? Er schwankt, er ist verwundet!«

In der Tat war Matfej Skrebykin in dem Augenblick, als er vom Pferd stieg, schwankend in die Knie gesunken.

»Es ist aus, mein Kind,« sagte er, »eine Kugel hat meine Brust durchbohrt. Ich habe mich mit meiner letzten Kraft im Sattel gehalten, jetzt ist es zu Ende, ich kann nicht mehr, ich fühle, wie meine Blicke sich verdunkeln, und ich bin glücklich, daß ich mein Leben lassen kann, das ja keinen Wert mehr hat.«

»O mein Gott,« rief Xenia, neben ihrem Vater niederkniend und dessen Haupt in ihren Armen stützend, »komm mit uns, drüben, jenseits ist Sicherheit, dort werden wir deine Wunde pflegen, du wirst genesen, dein Leben wird erhalten bleiben, Gott kann nicht so hart sein, auf diesen einen Tag so viel Jammer zu häufen!«

»Es ist vorbei, mein Kind,« sagte Skrebykin, mühsam sein Haupt aufrichtend, »und dir wäre wohl, wenn du mit mir in die Ewigkeit gehen könntest, denn hier ist nur Elend, Jammer und Schmach für dich. – Du bist nicht der Zar Peter Feodorowitsch!« rief er, mit seiner letzten Kraft sich erhebend und die Hand gegen Pugatschew ausstreckend. »Gott hat dich geschlagen, weil du die Hand ausstrecktest nach der Krone des Zaren, die dir nicht gehört – mit dem rechten Zaren ist der Himmel – dich hat er gerichtet –«

Er brach zusammen, sein Kopf sank in Xenias Arm, mit einem letzten schweren Seufzer hauchte er seine Seele aus.

»Vorwärts!« rief Pugatschew rauh, indem er Xenias Hand ergriff und sie emporriß. »Komm mit mir, es ist nicht Zeit, sich um die Toten zu kümmern. Laß das Floß bereitmachen, damit wir den Strom überschreiten!«

»Halt, Yemelka Pugatschew,« rief Tschumakow, »du wirst den Strom nicht überschreiten, um neues Unheil über das Vaterland bringen und neues Blut zu vergießen. Du bist mein Gefangener!«

»Ha,« rief Pugatschew, »das also war es! O Xenia, Xenia! Dein reiner Blick hat ihn richtig erkannt, aber nicht ungestraft soll dein Verrat bleiben. Wenn keiner von euch eine Waffe hat, den Unwürdigen zu strafen, so will ich ihn selbst in die Hölle senden, aus der er heraufgestiegen ist.«

Er riß sein Schwert aus der Scheide und drang auf Tschumakow ein, aber schnell hatten Antizow und Fiduljew seinen Arm gefaßt und ihm die Waffe entwunden. Er rang mit gewaltiger Kraft, aber er mußte der Überzahl unterliegen und wurde zur Erde geworfen, wo man ihn an Händen und Füßen festhielt.

Entsetzt standen die Kosaken, welche ihm gefolgt waren, umher.

»Fürchtet euch nicht,« rief Tschumakow, »helft mir den Frevler binden, die Kaiserin sichert euch allen volle Gnade und Verzeihung zu, er allein war der Schuldige, sein Haupt allein soll die Strafe treffen!«

Die Kosaken standen unbeweglich und blickten entsetzt auf den am Boden liegenden Pugatschew, dessen Füße Fiduljew mit einem Fetzen seines Rockes gebunden hatte.

Da krachten von den Bergen her starke Salven, und lauter hörte man das Jammergeheul durch die Nacht herüberschallen.

»Gnade denen, die sich unterwerfen,« rief Tschumakow, »Tod den Verstockten!«

Da traten die vordersten der Kosaken heran, um Fiduljew und Antizow zur Überwältigung Pugatschews beizustehen.

»Und ihr anderen«, rief Tschumakow, »faßt jenes Weib, nehmt ihm die Waffen ab, bindet es, bewahrt es gut, es ist mein, meine erhabene Kaiserin hat es mir geschenkt!«

Schnell waren einige Kosaken zu Xenia, welche unbeweglich, wie ein Marmorbild dastand, herangesprungen, in einem Augenblick hatten sie ihr die Waffen genommen und ihre Hände gebunden.

»Sie gehört dir?« rief Pugatschew mit einer wild aufkreischenden Stimme, die nichts Menschliches mehr hatte. »Du lügst, sie gehört dir nicht; du aber gehörst den höllischen Mächten!«

Mit fast übermenschlicher Kraft hatte er sich den Händen der Kosaken entwunden und die leichten Bande, welche seine Füße zusammenhielten, gesprengt.

Mit einem einzigen Sprung war er neben Xenia. Er riß den Dolch, der an seinem Gürtel hing aus der Scheide, und ehe die Kosaken, welche Xenia festhielten, ihn fassen konnten, hatte er den blinkenden Stahl in Xenias Brust gesenkt; ein Blutstrahl schoß hoch hinauf.

»Ich danke dir, mein Geliebter«, hauchte Xenia, und langsam sank sie, den Händen der entsetzten Kosaken entgleitend, auf den Boden nieder.

Pugatschew aber wandte sich um und sprang, den gezückten Dolch schwingend, gegen Tschumakow, welcher mit einem wilden Schrei der Wut heranstürmte. Aber er sollte diesmal sein Opfer nicht erreichen, die Kosaken erfaßten ihn von hinten, rissen ihn nieder und entwanden ihm den Dolch.

Bald war er mit stärkeren Banden als vorher gefesselt, auch leistete er keinen Widerstand, er schloß die Augen und blieb ruhig am Boden liegen.

Finster blickten Antizow und die übrigen auf Xenias Leiche, mit verschränkten Armen stand Tschumakow vor derselben und starrte lange in das bleiche Antlitz, das im Tode noch ein glückliches Lächeln verklärte.

»Diese Liebe«, sagte er dumpf vor sich hin, »war der Inhalt meines Lebens, diese Liebe hätte mich vielleicht zum Himmel führen können, sie hat mich zur Hölle herabgerissen. Es ist aus. Was nun noch kommt, ist gleichgültig. Er wenigstens ist bestraft,« fügte er mit einem Blick voll wilden Hasses auf den gefesselten Pugatschew hinzu, »der mit frecher Räuberhand mir das Glück meines Lebens entriß.«

Scharen von fliehenden Soldaten drangen aus den Defileen heran.

»Sie kommen, sie kommen,« riefen sie, »rettet euch, sie rücken über die Leichenhaufen heran, welche die Straße füllen!«

»Fürchtet euch nicht,« rief Tschumakow, »es sind die Boten der kaiserlichen Gnade, ergebt euch, allen soll verziehen sein! Ihr aber«, fuhr er, zu Antizow und Fiduljew gewendet, fort, »schafft einen Wagen her und legt den gefangenen Rebellen darauf, daß wir ihn dem General der Kaiserin entgegenführen.«

Pugatschew wurde, ohne daß er eine Bewegung machte, ohne daß er einen Laut hören ließ, auf einen Bagagewagen gehoben, Tschumakow schritt demselben voran, Antizow, Fiduljew, Twogorow und die übrigen gingen nebenher, und so bewegte sich der traurige Zug langsam nach der Bergstraße hin, an deren Ausgange bereits hinter den letzten Flüchtlingen der General Panin mit seinem Stabe heranritt.


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