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7. Kapitel

Auf dem Paradeplatze herrschte bis zum späten Nachmittage das eigentümliche bunte Treiben, das sich in gleich mannigfaltiger Weise nur bei einem russischen Volksfeste entwickeln kann. Es waren verschiedene Tanzplätze abgesteckt, auf denen die Bürger mit ihren Frauen und Mädchen und die Soldaten sich in freundlichem Verkehr durcheinander bewegten. Höchst selten nur trübte ein Mißklang die allgemeine Freude.

Zwar wurden in großen Zelten auf Befehl der Kaiserin die beliebtesten Nahrungsmittel, sowie Bier und Branntwein in reicher Fülle gespendet; aber der Rausch, den gar manche infolge der so freigebig dargebotenen geistigen Getränke davontrugen, macht den Russen nicht wie andere Völker streitsüchtig und unverträglich, sondern gibt ihm im Gegenteil die naive Fröhlichkeit eines Kindes. Wo dennoch irgendeine Mißhelligkeit, irgendein Streit vorkam, da sorgten die unter die Mannschaften gemischten Offiziere mit unerbittlicher Strenge für die schnelle Beseitigung der Beteiligten, so daß die Störung stets nur einige Augenblicke dauerte und in einiger Entfernung gar nicht bemerkt wurde.

Am beliebtesten bei den Bürgern von Petersburg, bei ihren Frauen und Töchtern waren die Soldaten, welche Potemkin aus dem Türkenkriege zurückgeführt hatte. Trotz ihrer Narben und ihrer zerlumpten Uniformen waren sie die vorzugsweise von den jungen Mädchen gesuchten Tänzer, und um die älteren unter ihnen, welche an dem Tanze sich nicht mehr beteiligten, bildeten sich überall Gruppen von jungen Männern und Frauen, welche eifrig ihren Erzählungen von den Heldentaten des großen Romanzow und seiner rechtgläubigen Krieger gegen die Bassurmanen lauschten.

Auch die Kosaken erfreuten sich ganz besonderer Popularität bei den Bürgern von Petersburg und ebenso auch bei den Soldaten der Garde, welche die Truppen der Feldarmee um ihren erworbenen Ruhm und die verdiente Auszeichnung durch die Kaiserin beneideten. Nur Yemelka Pugatschew saß einsam in einem der Zelte; er hatte einen Krug Met vor sich stehen, aber selten nur schlürfte er von dem schäumenden goldgelben Getränk und finster brütend stützte er den Kopf in seine Hand. Mehrmals hatten seine Kameraden versucht, ihn in das fröhliche Treiben mit hineinzuziehen, aber immer wieder hatte er sich schnell entfernt, so oft die jubelnde Menge die Becher auf das Wohl der Kaiserin leerte, um dieselben gleich wieder aus den unerschöpflich scheinenden Fässern füllen zu lassen.

»Nein!« flüsterte er knirschend vor sich hin, indem er sich einen einsamen Platz in einem leeren Zelte suchte; »nein, ich will nicht trinken auf das Wohl der Kaiserin – ich will ihr nichts Gutes wünschen, ihr, die mir meine Freiheit vorenthält und mir mein Glück mordet. Ich habe ihr doch tapfer und treu gedient durch lange Jahre – ich habe nicht gezögert, wo es galt, mein Blut für sie zu vergießen, und nun wird mir die Freiheit entzogen und verweigert, zurückzukehren in meine Heimat und nach so viel Kampf und Not und Arbeit für meine Xenia zu leben und mir eine Stätte eigenen Glückes zu gründen. Unser General war ein tapferer Mann, der ein Herz hatte für seine Soldaten, doch hat er mir die Freiheit verweigert; er durfte sie mir nicht geben, weil das Gesetz der Kaiserin es ihm verbietet; ist es nicht eine Schande, daß so viel tapfere, starke Männer einem schwachen Weibe gehorchen? Ich wollte sie anreden, als sie an uns vorbeiritt, ich wollte sie selbst um meine Freiheit bitten, aber der große Fürst Gregor Gregorjewitsch, der an ihrer Seite ritt, sah so wild, so drohend und zornig aus, daß ich's nicht wagte, und dann auch,« sagte er, sich scheu umblickend, während seine Hand sich grimmig ballte, »dann auch sträubte sich all mein Gefühl dagegen, ein Weib zu bitten um die Freiheit eines Mannes; ich hätte geglaubt, vor meiner Xenia erröten zu müssen, ein Weib, das noch dazu nicht abstammt vom Blute Ruriks, das eine Fremde ist, das als Ketzerin geboren und –«

Er schwieg erschrocken und führte schnell den Metkrug zum Munde, denn Schritte näherten sich dem Zelt, und unmittelbar darauf trat ein Offizier in der Uniform des Regiments der Grenadiere von Preobraschensk in den inneren Raum, in welchem bisher Pugatschew allein gewesen.

Der Offizier trug die Achselschnüre, welche das Abzeichen der Adjutanten für die hohen militärischen Würdenträger bildeten, und faßte Pugatschew, der bei seinem Erscheinen aufsprang und militärisch grüßte, scharf ins Auge.

»Sieh da, Kosak,« sagte er, »ich suche einen Boten, um einen Brief nach der Stadt zu tragen, und möchte nicht gern die Leute dort in ihrer Freude stören; du scheinst keine Lust am Tanz und an dem lauten Treiben dort drüben zu finden, so will ich dir meinen Auftrag geben.«

»Ich bin bereit, Herr«, sagte Pugatschew; »mein Roß ist ausgeruht und Ihr sollt schnell bedient sein.«

»Dein Name?« fragte der Offizier.

»Yemelka Pugatschew, zu Eurem Befehl, Herr!«

»Du stehst bei den Truppen, welche der General Gregor Alexandrowitsch Potemkin aus der Türkei zurückgeführt hat?«

»Zu Eurem Befehl, Herr; ich war bei der Belagerung von Bender und habe vor Zeiten in der Armee des Generals Apraxin gegen die Preußen gefochten.«

»Gut,« sagte der Adjutant, »du bist ein braver Soldat; ich sehe, daß ich dir meine Botschaft anvertrauen kann. Hier«, sagte er, ihm einen versiegelten Brief hinhaltend, »nimm dieses Schreiben, reite damit nach der Festung, melde dich bei dem Kommandanten und übergib ihm diesen Brief. Du hast nicht nötig, dich bei deinem Hauptmann abzumelden, ich übernehme die Verantwortung im Dienst Ihrer Majestät der Kaiserin; du wirst das sagen, wenn du nach Ausrichtung deiner Botschaft zurückkehrst und über deine Abwesenheit befragt wirst.«

»Und wenn ich bestraft werde, Herr, daß ich ohne Urlaub fortgeritten bin?«

»Du kennst meine Uniform,« sagte der Offizier streng, »und hörst es, daß ich die Verantwortung übernehme; der Dienst der Kaiserin kennt keinen Aufschub!«

Pugatschew salutierte, empfing den Brief von dem Adjutanten, den er in seine Gürteltasche steckte, und ging dann aus dem Zelt, um hinter dem Lager seines Regimentes sein Pferd aufzusuchen.

Er schwang sich in den Sattel und ritt in großem Bogen um den weiten Platz herum, auf welchem niemand zu Pferde erscheinen durfte.

Als er dann die Straße erreicht hatte, ließ er sein kleines, langmähniges Pferd zu scharfem Trabe ausgreifen und ritt, immer noch mit seinen traurigen, finsteren Gedanken beschäftigt, nach der Stadt hin.

Er kannte die Straßen aus früheren Zeiten, in denen er hier auf dem Marsch nach Preußen und auf der Rückkehr von dort im Quartier gelegen hatte, und wehmütige Erinnerungen stiegen in ihm auf an jene Tage, in denen er noch voll frischer Jugendlust seine ganze Freude an dem lustigen Soldatenleben gefunden hatte, in denen die Sehnsucht nach der Heimat noch nicht in der Gestalt seiner geliebten Xenia sich verkörpert hatte und ihn den Dienst als eine schwere, drückende Fessel empfinden ließ.

Er ritt über die Brücke der Festung, aus deren finsteren Steinmassen der vergoldete Turm der St. Peter- und Paulskathedrale schimmernd emporragte.

Die Wache am Tor rief ihn an.

»Dienst Ihrer Majestät der Kaiserin«, erwiderte Pugatschew. »Ein Brief an den Kommandanten!«

Der Posten ließ ihn passieren, und ein unwillkürliches, ängstliches Gefühl beschlich den Kosaken, als er durch das düster hallende Tor in den inneren Hof der Festung einritt, in welchem man von der Welt draußen nichts mehr erblicken konnte als das von Mauern eingegrenzte Stück des blauen Himmels.

Auf seine Meldung bei dem Offizier, welcher die innere Schloßwache kommandierte, erschien der Kommandant der Festung, ein alter General von streng militärischem Aussehen, der den Kosaken verwundert betrachtete. Er begriff nicht, in welcher Beziehung dieser Soldat von einem fernen, nicht zur Garnison von Petersburg gehörenden Regiment zu dem Dienste der Kaiserin stehen könne.

»Was bringst du mir?« fragte er kurz und befehlend.

Pugatschew zog den Brief, welchen er von dem Adjutanten im Lager erhalten hatte, aus seiner Gürteltasche und überreichte ihn dem General.

Dieser erbrach das Schreiben, nachdem er das Siegel betrachtet hatte, und durchflog den Inhalt.

Er zuckte wie in plötzlichem Schreck zusammen und betrachtete den Kosaken noch einmal mit größerem Erstaunen als vorher; dann aber nahm sein Gesicht wieder den ruhigen, strengen und kalten Ausdruck an.

Er flüsterte dem wachhabenden Offizier einige Worte zu und befahl dann, zu Pugatschew gewendet, in kurzem militärischen Ton: »Folge mir!«

Hierauf schritt er über den Hof hin auf ein Tor zu, das mit einem Eisen verschlossen war und nach den Räumen des Erdgeschosses führte.

Der Offizier folgte mit einem Sergeanten, der ein Schlüsselbund trug, und fünf Mann der Wachmannschaft unmittelbar hinter Pugatschew, welcher auf alle diese Formalitäten, die er als zum Festungsdienst gehörig betrachten mochte, nicht weiter achtete.

Der Sergeant öffnete mit seinem Schlüssel.

Der Kommandant trat zuerst in einen dunklen, gewölbten Gang, indem er sich durch einen schnellen Rückblick überzeugte, daß Pugatschew ihm folge.

Der Offizier und die Soldaten schlossen den Zug.

Am Ende des Ganges wurde eine zweite Tür geöffnet. Man kam immer weiter in das Innere des mächtigen Steinbaues, und immer matter wurde das Licht, das durch die hier und da sich öffnenden Luken hereinfiel.

Endlich durchschritt man ein kleines Vorzimmer. Hinter demselben erschloß sich eine schwere eiserne Tür.

Der Kommandant führte Pugatschew in ein kleines, weißgetünchtes Zimmer, in welchem ein einfaches Bett, ein Tisch und einige Stühle standen. Aus dem einzigen, mit starken Eisenstäben vergitterten Fenster blickte man in einen ganz kleinen Hof hinaus, der keinen Eingang zu haben schien und der von so hohen Mauern eingefaßt war, daß in seiner Tiefe eine trübe Dämmerung herrschte und man, durch das Fenster hinausblickend, den Himmel nicht sehen konnte.

Ein wenig zögernd überschritt Pugatschew die Schwelle dieses düsteren Gemaches. Er begriff nicht, warum der Kommandant ihn zur Ausführung des überbrachten Auftrages oder zur Übergabe einer Antwort auf denselben in diese unheimliche Tiefe des alten Festungsbaues hineinführte; aber ehe er noch seine Gedanken zu einer klaren Form ordnen konnte, war der Kommandant wieder auf die Schwelle zurückgetreten und sagte zu dem ihn begleitenden Offizier: »Dieser Kosak ist Arrestant!«

»Arrestant – ich!« rief Pugatschew entsetzt; »ich, der ich niemals im Dienste bestraft bin – niemals mir etwas habe zuschulden kommen lassen! Das ist unmöglich – was habe ich getan?«

»Befehl Ihrer Majestät der Kaiserin!« sagte der Kommandant, während der Offizier die Soldaten mit vorgestrecktem Bajonett auf die Schwelle treten ließ.

»Der Arrestant wird gut verpflegt werden, ich werde dafür sorgen; aber bei Todesstrafe wird niemand in die Zelle eintreten als der Wärter, den ich dazu sende; niemand wird mit ihm reden, niemand auf seine Fragen antworten!«

»Das ist unmöglich!« rief Pugatschew außer sich – »das ist ein Mißverständnis, eine Verwechslung! – Oder sollte schon die Bitte um meine Freiheit, die ich heute gewagt, so grausam mit dem Kerker bestraft werden? – O dann,« rief er, indem seine Augen sich blutig färbten, »dann sende deinen rächenden Blitzstrahl auf das Haupt der fremden Ketzer, großer Gott, welche deine heiligsten Gesetze mit Füßen getreten haben und freie Männer zu Sklaven erniedrigen!« Weißer Schaum trat auf seine Lippen.

Er wollte gegen die Soldaten vordringen, aber schon hatten diese auf einen Wink des Kommandanten die schwere Eisentür dröhnend zugeworfen – der Schlüssel knirschte im Schloß – der Gefangene war in Sicherheit.

»Sie werden mit Ihren Leuten in diesem Vorzimmer bleiben!« befahl der Kommandant dem Offizier. – »Ich werde für Ihre Ablösung draußen bei der Wache sorgen; Sie kennen die Instruktion und werden sie pünktlich befolgen. Nach zwölf Stunden werde ich ein anderes Kommando zur Bewachung des Gefangenen hierher senden.«

Er entfernte sich, nachdem er sich noch einmal von dem sicheren Verschluß der Tür überzeugt hatte.

Der Offizier setzte sich auf einen Schemel neben dem Fenster und blickte in den finsteren Hof hinaus, während die Soldaten, das Gewehr im Arm, auf einer an der Wand stehenden Bank Platz nahmen.

Aus dem Innern der Zelle klangen furchtbare Verwünschungen und wildes Wutgeschrei durch die dicke Mauer und durch die schwere Eisentür dumpf wie aus weiter Ferne hervor, und diese Töne klangen so schauerlich, daß der Offizier und die Soldaten zuweilen bis ins innerste Mark erbebten; es war, als ob ein Raubtier der Wüste brüllend an den Ketten seines Käfigs rüttelte oder als ob ein Dämon des höllischen Abgrundes in furchtbarem Ringen die Ketten zerreißen wolle, welche ihn in den Tiefen der ewigen Finsternis festgeschmiedet halten. Aber keine Muskel in dem Gesicht der Soldaten zuckte; stumm und unbeweglich saßen alle auf ihren Plätzen, sie hatten ihren militärischen Befehl, das andere kümmerte sie nicht, und jeder, der des Dienstes in der Festung gewohnt war, hatte wohl schon Ähnliches erlebt, ohne zu wissen, warum es geschehen war und wohin es weiter geführt hatte.

Die Sonne war bereits hinabgesunken, die Garderegimenter rückten allmählich, von jubelnden Volkshaufen umdrängt, wieder in ihre Kasernen ein.

Die Straßen von Petersburg waren jetzt ebenso belebt von durcheinander drängenden Volksmassen, wie sie am Vormittage still und ausgestorben gewesen waren. Die Fenster der Eremitage am Winterpalast erleuchteten sich, denn die Stunde nahte, in welcher sich die vertrautere Hofgesellschaft in den Gemächern der Kaiserin zu versammeln pflegte.

Durch das Volksgewühl am Alexander-Newski-Ufer fuhr ein verschlossener Wagen, die Fenster desselben waren mit grünen Vorhängen verhüllt. Man sah kein Wappen am Schlage, der Kutscher trug keine Livree. Niemand achtete auf das einfache Gefährt, das häufig anhalten mußte, um abzuwarten, bis die dicht zusammengedrängte Menge ihm einen Weg öffnete.

Dieser Wagen bog auf die große Brücke ein, welche nach der Festung führte, und hielt endlich vor demselben Tor, durch welches einige Stunden vorher Yemelka Pugatschew eingeritten war, um den ihm anvertrauten Brief an den Kommandanten zu überbringen.

Als der Wachposten herantrat, öffnete sich der Schlag von innen. Der Soldat erblickte einen Mönch in weiter Kutte, deren Kapuze ganz über den Kopf geschlagen war, so daß man nichts von dem Gesicht sehen konnte.

Der Mönch streckte der Schildwache einen in aller Form ausgestellten, mit großem Siegel versehenen Passierschein entgegen und fuhr dann, da der Soldat das Siegel als richtig befand, durch das Tor in den inneren Hof, wo der Offizier der Wache den Schlag abermals öffnete.

»Man soll sogleich den Kommandanten rufen, ich habe einen Befehl für ihn,« sagte der Mönch mit einer Stimme, die für einen untergeordneten Klosterbruder fast zu hochfahrend und gebieterisch klang. Zugleich zeigte er dem Offizier ein Schreiben, dessen Siegel und Überschrift dieser sorgfältig prüfte, um sodann eine Ordonnanz mit der Meldung an den Kommandanten abzusenden.

Bald stieg der General in den Hof hinab; der Mönch reichte ihm, ohne ein Wort zu sprechen, den Brief, welchen er vorher dem wachhabenden Offizier gezeigt hatte.

Der General prüfte das Siegel und betrachtete dann kopfschüttelnd den so außergewöhnlichen Überbringer eines militärischen Befehls. Aber noch größeres Erstaunen zeigte sich in seiner Miene, als er den Inhalt dieses Schreibens gelesen; er gab jedoch diesem Erstaunen keine Worte und sagte nur zu dem Mönch dasselbe, was er am Nachmittag zu Pugatschew gesagt hatte: »Folgt mir!«

Auf eine Anfrage des wachhabenden Offiziers lehnte er jede Begleitung ab und schritt neben dem Mönch, der ihn fast um die Länge eines Kopfes überragte, durch denselben langen Gang, durch welchen er auch Pugatschew geführt hatte.

In dem Vorgemach, in welchem der Offizier mit den Wachen sich befand, brannte eine große Laterne.

Der Offizier und die Soldaten sprangen beim Eintritt des Generals auf. Aus der dahinter liegenden Zelle hörte man immer noch laute, drohende Verwünschungen, vermischt mit dröhnenden Schlägen gegen die eiserne Tür.

»Öffnet!« gebot der Kommandant. »Eine Order des Generalfeldzeugmeisters befiehlt, diesem Mönch freien Zutritt zu dem Gefangenen zu gewähren.«

»Er tobt, mein General,« sagte der Offizier, »Sie hören es, es ist gefährlich, die Tür zu öffnen und zu ihm einzutreten.«

»So bereitet euch vor, ihn zu bändigen,« befahl der General, »wenn es nötig sein sollte!«

»Es ist nicht nötig,« sagte der Mönch mit einer tiefen, vollen Stimme, »öffnet immerhin, ich bedarf keines Beistandes!«

Das Schloß knirschte, die Riegel wurden zurückgezogen; langsam drehte sich die schwere Tür in ihren Angeln.

Kaum fiel das Licht der Laterne in den inneren dunklen Raum, als Pugatschew mit erdfahlem Gesicht, mit wildrollenden Augen, Schaum vor dem Munde und brüllend wie ein wütendes Raubtier hervorbrach. Sein Anblick war so entsetzlich, daß die Soldaten erschrocken zurückwichen.

Aber schon war der Mönch auf die Schwelle getreten.

Als Pugatschew sich auf ihn stürzte und mit ausgestreckten Händen seinen Hals ergriff, um ihn zu erwürgen, klang ein lautes Hohnlachen unter der Kutte hervor.

Der Mönch faßte die Arme des Kosaken, bog sie kräftig zurück, und nach einem kurzen Ringen hatte er den Rasenden auf die Erde geworfen. Er hielt dessen Arme mit eisernem Griff fest, setzte das Knie auf seine Brust und sagte: »Sei ruhig, wahnsinniger Tor! Siehst du nicht mein Gewand? – Ich komme, um dir Trost zu spenden; also schweige und höre mich an! Du siehst, daß jeder Widerstand fruchtlos ist; mein Arm ist ebenso stark, dich zu bändigen, als mein Wort mächtig sein wird, dich zu trösten und aufzurichten.«

Pugatschew starrte ihn mit seinen blutig gefärbten Augen an.

Mochte wirklich das Gewand des Mönches ihm Vertrauen einflößen, oder mochte er in seiner Erschöpfung sich der überlegenen Kraft beugen, er ließ nur noch einen dumpfen Klagelaut hören und seine krampfhaft gespannten Muskeln erschlafften.

»Setzt die Laterne herein«, sagte der Mönch mit einer Stimme, der man die Gewohnheit anhörte, zu befehlen und Gehorsam zu finden.

»Nun geht und laßt uns allein!« befahl er weiter, als das Licht in die Zelle getragen war.

Die Tür wurde verschlossen.

Der Kommandant entfernte sich, indem er leise vor sich hin murmelte:

»Was bedeutet das alles? – Welch ein Aufhebens mit diesem gewöhnlichen Kosaken? – Und dieser Mönch – wo zum Teufel habe ich diese Stimme gehört?«

Kopfschüttelnd schritt er durch den Gang, in dem er sich trotz der Dunkelheit vollkommen zurechtfand.

Aber es wollte ihm nicht gelingen, seine Erinnerungen zu ordnen und der Stimme des Mönches einen Platz in denselben anzuweisen.

Ängstlich lauschend, blieben der Offizier und die Soldaten in dem Vorraum, denn trotz der überlegenen Kraft, welche der Mönch bewiesen hatte, fürchteten sie doch einen neuen Kampf mit dem Gefangenen, der dem Klosterbruder gefährlich werden konnte.

Im Innern der Zelle blieb der Mönch noch einige Augenblicke in seiner Stellung, das Knie auf der Brust des Kosaken, mit eisernem Griff dessen Handgelenk umspannend.

»Nun sei ruhig, Yemelka Pugatschew,« sagte er, »habe Vertrauen zu meinem Kleide. Ich will dir nichts Böses tun, und zum Beweise dafür nimm hier diese Stärkung, der du bedürfen wirst.«

Er ließ jetzt den Gefangenen los, der auch in der Tat keinen Versuch machte, den Kampf gegen den Mönch, dessen gewaltige Kraft er empfunden hatte, wieder aufzunehmen.

Der Mönch zog aus seiner Kutte eine starke, von Bastgeflecht umsponnene Flasche hervor, reichte sie dem vor ihm auf der Erde ausgestreckten Gefangenen und sagte:

»Trink' das, das wird dich stärken und beruhigen.«

Pugatschew setzte, ohne zu zögern, die Flasche an und tat einen langen Zug aus derselben. Dann atmete er tief auf, ein Ausdruck des Wohlbehagens erschien auf seinen bleichen, verzerrten Zügen, und mit matter Stimme sagte er: »Oh, das tut wohl, ehrwürdiger Bruder; Ihr könnt mir nichts Böses bringen, da Ihr mir einen so herrlichen Trunk reicht; sprecht, was vermögt Ihr mir zu sagen, um meine Seele zu trösten in diesem Elende?«

»Warum bist du hier, warum bist du gefangen, Yemelka Pugatschew?« fragte der Mönch.

»Warum ich gefangen bin??« rief Pugatschew, indem er plötzlich aufsprang und sich vor den Mönch hinstellte, während von neuem Wut und Haß in seinen Blicken aufloderten. »Ich bin gefangen, weil ich mich nach meiner Heimat sehnte – weil ich nach der Freiheit dürste – weil ich gewagt habe, um diese Freiheit zu bitten, deshalb bin ich verurteilt, hier im Kerker zu verschmachten und zu vermodern. Bei Gott, ehrwürdiger Bruder, der beste Trost, den Ihr mir geben könnt, würde der Tod sein; habt Ihr mir vielleicht diesen Trost geben wollen? Habt Ihr Gift in diesen Trank gemischt, der mir wie Feuer durch die Adern rinnt?«

»Nicht deshalb bist du hier, Yemelka Pugatschew!« erwiderte der Mönch.

»Nicht deshalb?« fragte der Kosak; »weshalb denn?«

»Wegen deines Gesichts, hörst du wohl, wegen deines Gesichts; hast du niemals etwas an deinem Gesicht bemerkt? Hat dir niemals ein Mensch etwas gesagt, was dein Gesicht betraf?«

Pugatschew starrte den Mönch an.

»Denke wohl nach«, sagte dieser; »du hast unter der großen Kaiserin Elisabeth, unter dem Zaren Peter Feodorowitsch im Dienst gestanden –«

»Peter Feodorowitsch!« rief Pugatschew, indem er sinnend in seinen Erinnerungen zu suchen schien. »Ja, ja, ehrwürdiger Bruder, es dämmert in mir auf aus weiter Vergangenheit. In Bender war es, als wir die Festung belagerten, da blieb ein Offizier des Generals Panin eines Tages vor mir stehen; er sagte zu einem anderen, der ihn begleitete: ›Sieh diesen Kosaken; wenn der Kaiser Peter Feodorowitsch nicht tot wäre, so würde ich bei Gott darauf schwören, daß er hier leibhaftig vor mir steht.‹ – ›In der Tat, es ist außerordentlich‹, sagte der andere, und beide gingen vorüber. Ich habe das wieder vergessen; ich erinnere mich nur, daß ich damals erschrak und mich fürchtete, denn es kann ja kein Glück bringen, dem armen Zaren Peter Feodorowitsch ähnlich zu sehen, der –«

Er stockte und blickte scheu zu dem Mönch auf.

»Der«, sagte dieser, die Worte des Kosaken ergänzend, »vom Thron gestoßen wurde durch seine Gemahlin, welche jetzt seine Krone trägt, durch eine Fremde, welche nichts mit dem heiligen Rußland zu tun hat.«

»Er ist tot«, sagte Pugatschew, sich bekreuzigend; »Gott sei seiner Seele gnädig.«

»Er ist tot,« sagte der Mönch, indem er seine Hand schwer auf Pugatschews Schulter legte; »er ist tot, sagst du, und doch hast du mir erzählt, daß jener Offizier ihn zu sehen glaubte, als er in dein Gesicht blickte; aber ich erkenne selbst die Züge des Zaren in deinem Antlitz.«

»Ich verstehe Euch nicht, ehrwürdiger Bruder«, sagte Pugatschew zitternd. »Mein Kopf schwindelt bei Euren Worten; so weit ich zurückdenken kann in meine Kindheit, bin ich immer und immer Yemelka Pugatschew gewesen, geboren an den Ufern des großen Flusses meiner Heimat. Ich verstehe Euch nicht!«

»Es gibt furchtbare Künste,« sagte der Mönch, »welche diejenigen gelernt haben, die ihre Seele den Mächten des höllischen Abgrundes verschrieben; es gibt Ränke, welche den Geist verwirren und falsche, trügerische Vorstellungen in demselben erstehen lassen, welche Erinnerungen erwecken an Dinge, die niemals geschehen sind und die Erinnerung töten an das, was wirklich da war.«

»Ich verstehe Euch nicht – ich verstehe Euch nicht, ehrwürdiger Bruder«, wiederholte Pugatschew.

»Der Zar Peter Feodorowitsch ist tot,« sagte der Mönch, »weil seine Gemahlin die Krone Rußlands auf ihr Haupt setzen wollte. Nun,« fuhr der Mönch fort, »wenn die, welche sich jetzt Kaiserin des heiligen Rußland nennt, dennoch zurückgebebt wäre vor dem äußersten Maß der Sündenschuld, oder wenn diejenigen, welche ihre Werkzeuge waren, nicht gewagt hätten, das heilige Blut des Zaren zu vergießen?«

»O Herr, Herr!« rief Pugatschew, indem er auf die Knie niedersank und seine zitternden Hände emporhob – »Herr, was sagt Ihr da? – Wenn so etwas möglich wäre, dann –«

»Du hast gehört, was jener Offizier sagte?« fragte der Mönch; »wenn der Kaiser Peter Feodorowitsch nicht tot wäre, sagte er, so sähe er ihn vor sich in deiner Gestalt. Nun denn, wenn der Kaiser Peter Feodorowitsch nicht tot ist, wenn seine Erinnerungen zerstört, sein Sinn vom Wahn betört ist, dann gibt es keinen Yemelka Pugatschew, dann lebt der Kaiser noch, dann kann er noch die an ihm begangene Untat rächen und das ewige Recht zum Siege führen – denke wohl nach – nimm deinen ganzen Willen zusammen – steige hinab in deine Erinnerungen, soweit du sie verfolgen kannst. Bist du gewiß, ganz gewiß, daß du an den Ufern des Don geboren und aufgewachsen bist, daß du immer Yemelka Pugatschew warst?«

Pugatschew preßte die Hände vor seine glühende Stirn.

»O Herr, Herr!« rief er, »alles wirbelt in meinem Kopf – ich sehe nicht klar in meinen Erinnerungen – alles verwirrt sich –«

»Das ist die Wirkung des Trankes, den die höllischen Geister den Verbrechern bereitet«, sagte der Mönch; »ich aber sehe klar in deinem Gesicht, dessen Züge zu verändern sie die Macht nicht hatten; und ich sage dir, du bist Peter Feodorowitsch, der schmählich verratene, entthronte Zar – du bist berufen, Rußland zu retten – berufen zur Rache, berufen zur Gerechtigkeit. Sei mir gegrüßt, Peter Feodorowitsch – du, dem die Zukunft gehört und in dessen Haupt auch die Erinnerung wieder aufleben wird, wenn erst die heilige Krone im Kreml von Moskau es berührt haben wird.«

Pugatschew ging taumelnden Schrittes, wie berauscht, in dem engen Gemach umher, dann sank er abermals vor dem Mönch auf die Knie nieder, faßte bittend dessen Hände und rief: »O Herr, Herr, betrügt mich nicht, gießt keinen Traum in meine Seele; das Erwachen aus solchem Traum wäre der Tod!«

»Ein Traum war dein bisheriges Leben«, sagte der Mönch; »erwache zur Wirklichkeit, Peter Feodorowitsch, Enkel des großen Zaren Peter Alexiewitsch, Herr und Gebieter des heiligen Rußland!«

Pugatschew sank zur Erde nieder, berührte mit seiner Stirn den Boden und blieb einige Augenblicke wie betäubt liegen.

»Und wenn es so ist, Herr!« rief er dann, sich plötzlich wieder aufrichtend und den Mönch mit wilden Blicken anstarrend – »wenn es so ist, schließen mich nicht diese Mauern ein, stehen nicht draußen die Wachen – bin ich nicht für ewig begraben – warten nicht hinter jener Tür Dolche und neues Gift vielleicht auf mich!?«

»Sei ruhig,« sagte der Mönch, »wäre ich zu dir gekommen, hätte ich dir das Geheimnis enthüllt, dessen Dunkel sich immer mehr in deinem Haupte lichten wird, je mehr du dich der Krone näherst im heiligen Moskau, vor welcher kein höllischer Zauber besteht – wenn ich nicht die Macht hätte, deinen Kerker zu öffnen und dir die Freiheit wiederzugeben?«

»O Herr, Herr!« rief Pugatschew, »wer seid Ihr? Seid Ihr ein Bote des Himmels, daß solche Macht in Eurer Hand ruht?«

»Ich bin ein Bote des Schicksals,« erwiderte der Mönch, »und von deinem Willen, deinem Mut, deiner Kraft wird es abhängen, des Schicksals Schluß zu erfüllen, den ich dir zu verkünden gekommen bin; heute noch soll dir die Freiheit wiedergegeben sein, du sollst sicher zurückkehren in das Land des kräftigen, tapferen und treuen Volkes, das du bis jetzt, vom Wahn befangen, für deine Heimat hieltest. Sobald du dort angekommen bist, so verkünde dein Geheimnis – verkünde, daß der Zar Peter Feodorowitsch nicht tot ist, daß er in dir wieder auflebt zur Rache an den Schuldigen – zum Heile Rußlands. Zeige ihnen dein Gesicht, sie werden dir folgen auf deinem Zuge nach Moskau, wo die Krone der Zaren den Bann von deinem Haupte nehmen wird.«

»Ist es wahr, ist es möglich, kann so Ungeheures sich an mir vollziehen? – Ja,« rief Pugatschew, indem er sich hoch aufrichtete und die Arme ausbreitete, – »ja ich fühle es, es ist wahr; noch kommt die Erinnerung nicht wieder in meinen verwirrten Geist, aber ich fühle es, wie das Blut der alten Zaren durch meine Adern rollt, wie meine Glieder sich spannen, wie meine Kraft emporwächst, der ragenden Eiche gleich – ja, ich bin es – ich bin Peter Feodorowitsch, der Zar, der Rächer, der Befreier!«

Plötzlich aber ließ er erbleichend die Arme wieder sinken.

»Und meine Xenia,« sprach er mit schmerzlichem Klagelaut, »meine süße, schöne Xenia –«

»Deine Xenia?« fragte der Mönch – »was ist das – was bedeutet das?«

»O ehrwürdiger Vater,« antwortete Pugatschew schmerzlich, »das ist das schönste, holdeste Mädchen meines Volkes – des Volkes an den Ufern des herrlichen Flusses. O Herr, wenn ich heute schon auf dem Throne säße und die Krone der Zaren auf meinem Haupte trüge, ich würde diese Krone hingeben für meine Xenia.«

»Warum das?« fragte der Mönch; »hat der große Kaiser Peter Alexiewitsch nicht seine Hand einem unbekannten Mädchen aus dem Volke gereicht, hat er nicht seine Krone auf ihr Haupt gesetzt und hat sie dieselbe nicht ruhmvoll und würdig getragen? – Erringe den Thron, der dir gebührt, und von deinem Willen wird es dann abhängen, deine Xenia zu dir zu erheben und zu krönen, wie der große Zar Peter Alexiewitsch seine Katharina krönte!«

»O Herr,« rief Pugatschew, »welch strahlendes Licht füllt diesen dunklen Kerker, in dem ich schon alle Hoffnung verloren wähnte – meine Xenia Kaiserin! – Oh, glaubt mir, Herr, glaubt mir, kein Haupt in Rußland ist würdiger als das ihre des kaiserlichen Schmuckes; ihres Haares Glanz wird das Gold der Krone überstrahlen, ihres Auges Glut wird den Schimmer der edlen Steine verdunkeln.«

»Auf denn, ans Werk!« sagte der Mönch. »Ich gehe jetzt; vergiß diese Stunde nicht, laß deinen Willen nicht beugen und deinen Geist, in den jetzt der erste Funke des Lichtes wieder gefallen, nicht irre machen!«

»Ihr geht, ehrwürdiger Vater,« fragte Pugatschew erschrocken, »und laßt mich hier?«

»Vertraue auf mich,« erwiderte der Mönch, »du sollst deine Freiheit nicht lange erwarten; hier im dunklen Kerker begrüße ich den rächenden Zaren, dem bald alles Volk zujauchzen wird. Sei ruhig, schweige und warte!«

Er verbeugte sich tief vor dem Kosaken und führte einen wuchtigen Schlag gegen die Tür.

Sogleich wurde dieselbe von außen geöffnet.

Der Mönch nahm die Laterne, und seine Kapuze noch fester zusammenziehend, schritt er, von einem der Wachsoldaten geleitet, wie der Kommandant es befohlen hatte, durch den langen Gang bis zum äußeren Festungstor, um draußen in seinen wartenden Wagen zu steigen und über die Schiffbrücke nach der Stadt zu fahren.

Pugatschew war im Dunkel zurückgeblieben.

Die Wache lauschte, aber nichts ließ sich in der Zelle hören; der Mönch mußte in der Tat Mittel gefunden haben, den vorher so widerspenstigen Gefangenen zu besänftigen.

Pugatschew stand im Innern seines Kerkers an den Fenstersims gelehnt und blickte durch die Gitterstäbe in die Finsternis hinaus.

Tausend verworrene Bilder stiegen in seinem Geiste auf und nieder; bald sah er sich auf glänzender Höhe, seine Xenia an der Seite, Tausende knieten zu seinen Füßen, und dann funkelten seine Augen so hell, daß man ihr Phosphorleuchten in der tiefen Dunkelheit hätte sehen können, bald wieder stiegen bange Zweifel in ihm auf, ob nicht die Erscheinung des Mönches, der ihm von der Wirkung der höllischen Tränke gesprochen, selbst nur ein trügerisches Traumbild gewesen sei und ob er nicht dennoch für immer dem Kerker verfallen bleiben werde.

Dann warf er sich auf die Knie und betete inbrünstig zu Gott und allen Heiligen, die er kannte, um Rettung und Befreiung.

Er sollte nicht lange in dieser bangen Ungewißheit bleiben. Kaum eine Stunde mochte seit der Entfernung des Mönches vergangen sein, als er abermals das Schloß und die Riegel knirschen hörte.

Die Tür wurde geöffnet.

Pugatschew erblickte in dem Vorzimmer den Kommandanten und einen Offizier mit den Adjutantenabzeichen.

Der Kommandant hielt einen offenen Brief in der Hand und sagte: »Hier, mein Herr, ist der Gefangene. Dies ist bereits der dritte Befehl, den ich im Laufe weniger Stunden wegen dieses gemeinen Kosaken erhalte, und ich begreife in der Tat nicht,« fügte er ein wenig mürrisch hinzu, »welch eine Bedeutung sich an die Person dieses Soldaten knüpft oder welches Mißverständnis hier obwaltet. Doch gleichviel,« fuhr er fort, während der Adjutant die Achseln zuckte, »diese Order befiehlt mir, Ihnen den Gefangenen zu übergeben – hier ist er – ich habe nun nichts mehr mit ihm zu tun und hoffe, daß meine Ruhe nicht weiter gestört werden wird!«

Pugatschew glaubte zu träumen.

Der einfache Mönch, welcher so große Macht besaß, um ihm die Kerkertore zu öffnen und ihn durch alle Wachen hinaus in die Freiheit zu führen, mußte wohl in der Tat ein Bote des Himmels sein.

Der Adjutant winkte ihm, zu folgen.

Pugatschew zögerte einen Augenblick.

»Herr,« sagte er dann, »ich bin auf meinem Pferde hierher gekommen, ich möchte mein Pferd mit mir nehmen, wenn meine Haft beendet ist; es ist ein treues und kluges Tier, es hat mich so manchmal sicher durch den feindlichen Kugelregen getragen, ich bitte Euch, gebt mir mein Pferd wieder.«

»Ich habe keine Befehle darüber,« erwiderte der Adjutant, »aber ich habe auch kein Bedenken, deine Bitte zu erfüllen.«

»Das Pferd des Kosaken steht in den Dienstställen,« sagte der Kommandant; »führt es heraus und gebt es ihm wieder!« befahl er dem Wachposten.

Der Soldat leuchtete voran.

Auf dem Hofe wurde Pugatschews Pferd vorgeführt.

Er faßte es am Zügel und folgte, während das Tier ihn beschnupperte und wiehernd seine Freude kundgab, dem Adjutanten.

Draußen vor dem Tor stand ein kleiner, leichter Wagen mit einem Dreigespann.

»Steige ein,« sagte der Offizier; »hier ist ein Mantel und eine Mütze und hier eine Börse mit Gold. – Du bist des Dienstes entlassen, Iwan Wassilijewitsch; dieser Wagen wird dich bis an die Grenze deiner Heimat führen. Hier ist dein Freipaß!«

Pugatschew war erstaunt, daß der Offizier ihn mit einem anderen Namen nannte, doch war sein Vertrauen auf die geheime Macht des Mönches so gestiegen, daß er keine Frage tat.

Pugatschew nahm das Papier, hüllte sich in seinen Mantel und setzte die Mütze auf.

»Aber dein Pferd, wie willst du das fortbringen?« fragte der Offizier.

»Bindet es immerhin an das Gespann,« sagte Pugatschew; »es hat Füße von Stahl und kennt die Ermüdung nicht.«

Er rief dem Pferde einige den übrigen unverständliche Worte zu.

Ruhig und gehorsam ließ sich das kluge Tier neben dem Gespann der Troika ankoppeln, der Offizier winkte und das kleine Gefährt, welches denjenigen glich, in welchen die Bauern vom Lande zur Stadt zu kommen pflegen, fuhr über die Brücke, um am andern Ufer des Flusses sich seitwärts zu wenden.

Vor dem kaiserlichen Winterpalais mußte der Kutscher seitwärts biegen, weil zahlreiche glänzende Equipagen, von Läufern mit Stocklaternen begleitet, vor dem Portal hielten, um nacheinander heranzufahren, denn es war die Stunde für den Empfang der Abendgäste der Kaiserin.

Während die Herren und Damen den Karossen entstiegen, um sich, von Edelsteinen und Stickereien funkelnd, in den Palast der Herrscherin zu begeben, vor deren Armeen der Sultan in Stambul zitterte und sich die stolzen Polen knirschend beugten, fuhr der arme Kosak Yemelka Pugatschew in seinem kleinen Wagen in die dunkle Nacht hinaus den fernen Steppen zu, in denen er das Glück seiner Liebe und das leuchtende Ziel des von dem geheimnisvollen Mönch in den Tiefen seiner Seele geweckten und zu schwindelnder Höhe aufstrebenden Ehrgeizes erringen wollte.


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