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6. Kapitel

Das kaiserliche Marmorpalais, zwischen dem Winterpalast und dem Marsfelde am Uferkai gelegen, war zu jener Zeit erst in seinem Mittelbau vollendet und unausgesetzt wurde noch an den Flügeln und an den Gartenanlagen weitergebaut.

Katharina hatte dieses Palais dem Feldzeugmeister Gregor Gregorjewitsch Orloff geschenkt und über das Portal des großartigen kaiserlichen Geschenkes die einfache Inschrift setzen lassen: »Das Gebäude der Dankbarkeit.«

Der Bau war von Marmor, Granit und Bronze aufgeführt, und die beiden oberen Etagen zeigten in besonderer Schönheit ausschließlich finnischen und sibirischen Marmor.

Das ganze Gebäude hatte einen schweren und düstern Charakter durch die Aufhäufung der gewaltigen Steinmassen, aber im Innern zeigte sich überall der edle, reine, künstlerisch gebildete Geschmack, der in allen Schöpfungen der Kaiserin zum Ausdruck kam.

Gemälde und plastische Kunstwerke der besten Meister schmückten die Galerie, und die ersten Kunsthandwerker von Paris und London hatten die Einrichtungen der Wohngemächer geliefert, so daß selbst das noch unvollendete Gebäude ein Geschenk war, wie es kaum irgendein anderer der mächtigsten und reichsten Souveräne in Europa einem begünstigten Diener hätte geben können.

Vor dem Portal dieses Palastes standen Doppelposten vom Garderegiment Preobraschensk, und eine starke Wache von Mannschaften dieses Regiments, dem Gregor Orloff einst als Leutnant angehört hatte und dem er stets seine besondere Gunst zuwandte, lag beständig in dem Ehrenhof des Palastes.

Hierher sprengte der Feldzeugmeister, nachdem er die Kaiserin bis zum Winterpalast begleitet hatte.

Sein Bruder Alexis, der Großadmiral, begleitete ihn, und sein zahlreiches Gefolge von Adjutanten und Ordonnanzen erschien fast wie eine Kavallerieabteilung.

Wie ein Sturmwind brauste dieser glänzende Zug durch die Straßen; tief verneigten sich die wenigen Bürger, die demselben begegneten, vor dem allmächtigen Günstling der Kaiserin. Aber Gregor Orloff, welcher sonst bei aller seiner hochfahrenden Rücksichtslosigkeit gegen die Würdenträger des Hofes doch immer bestrebt war, seine Popularität bei dem Volk zu erhalten und zu vermehren, achtete heute auf keinen dieser ehrerbietigen Grüße; finster blickte er vor sich nieder, zuweilen ließ ein ungeduldiger Peitschenschlag sein schäumendes Pferd hoch aufbäumend emporsteigen.

Unter dem Portal des Marmorpalais sprang er aus dem Sattel, entließ, den Zügel seinem Stallmeister zuwerfend, die Offiziere ihres Dienstes und schritt mit seinem Bruder Alexis allein die breite Treppe hinauf. Es schien, als ob diese mächtigen Stufen mit dem schweren Bronzegeländer und die hohen Marmorhallen der Korridore eigens für diese beiden hünenhaften Gestalten hätten gebaut werden müssen, deren schwere, klirrende Schritte laut von den Marmorwänden widerhallten.

Gregor Orloff stieß heftig die große Tür von vergoldeter Bronze auf, welche zu seinem Wohnzimmer führte, ehe der ehrerbietig vor derselben wartende Kammerdiener Zeit hatte, dieselbe zu öffnen, und trat mit seinem Bruder in das hochgewölbte Gemach, dessen dunkle Marmorwände mit purpurnen Samtvorhängen überhängt waren, so daß das Gemach trotz der großen, hellen Fenster einen eigentümlich düsteren Eindruck machte.

An der Wand hing in prachtvollem Rahmen ein lebensgroßes, meisterhaft gemaltes Bild der Kaiserin Katharina; ringsum standen auf schwarzen Marmorsäulen die Büsten Alexanders des Großen, Cäsars und der berühmtesten Helden und Feldherren des griechischen und römischen Altertums.

Gregor Orloff liebte es, eine besondere Bewunderung für antike Größe zur Schau zu tragen, und hörte es gern, wenn man ihn in seiner Kraft, seiner Kühnheit und seinem Freimut mit den alten Griechen und Römern verglich, obgleich ihm, abgesehen von einem bis zur Tollkühnheit verwegenen Mute, alle Eigenschaften der antiken Helden abgingen, und obgleich die Offenheit und Wahrheit, deren er sich oft rühmte, nur eine bis zur Brutalität gesteigerte Rücksichtslosigkeit war, die er sehr wohl mit der geschicktesten Verstellungskunst zu verbinden wußte und oft gerade als ein Mittel benützte, seine wahren Gedanken zu verbergen.

Auf einem breiten Schreibtisch von Eichenholz lagen in bunter Unordnung Briefe, Bittschriften, militärische Berichte und Festungspläne durcheinander; kostbare Möbel von Ebenholz, mit Gold inkrustiert und mit purpurner Seide gepolstert, standen ebenso ungeordnet im Zimmer umher, und in wunderbarem Gegensatz zu dieser blendenden fürstlichen Pracht erblickte man in der Nähe des Fensters eine auf einem einfachen Gestell ruhende Matratze von Roßhaar, mit gewöhnlichem Segeltuch überzogen, wie man sie in den Wohnungen der Kasernen findet. Auf dieser Matratze, die deutlich die Spuren eines häufigen Gebrauchs zeigte, lag ein weiter, kaftanartiger Überwurf von naturfarbenen Schaffellen, wie ihn die russischen Bauern und auch die Soldaten außerhalb des Dienstes mit Vorliebe zu tragen pflegen.

»Bringe mir zu trinken«, befahl Gregor Orloff dem Kammerdiener, indem er ungestüm das Ordensband abnahm, die Uniform auszog und beides in einen Winkel des Zimmers schleuderte.

Während er dann den weiten Schafpelz überwarf und sich auf die Segeltuchmatratze ausstreckte, welche unter der Last seines gewaltigen Körpers krachte, ließ der Kammerdiener durch zwei Lakaien einen kleinen Tisch hereintragen und neben dem so primitiven Ruhebett seines Herrn aufstellen.

Auf diesem Tisch befand sich eine gewaltige silberne Schenkkanne, deren Boden mit kleinen Eisstücken bedeckt war und welche die Lakaien bis an den Rand mit Champagner füllten. Daneben stellten sie zwei große, kunstvoll in Silber getriebene und innen vergoldete Trinkbecher und eine runde, weitgeschweifte Kristallflasche mit ostindischem Arrak, dessen kräftiger aromatischer Duft das Zimmer durchdrang.

Orloff füllte die beiden silbernen Trinkbecher zur Hälfte mit dem gekühlten Schaumwein und zur Hälfte mit Arrak, leerte den einen derselben mit einem durstigen Zug und reichte den anderen seinem Bruder.

Als er mit diesem Feuertrank seinen Durst gelöscht und die Lakaien mit unhörbaren Schritten das Gemach wieder verlassen hatten, richtete er sich, auf den Ellenbogen gestützt, halb auf und rief, die düster funkelnden Blicke auf seinen Brüder geheftet:

»Nun, was sagst du zu der vielgerühmten Dankbarkeit unserer großmächtigen Kaiserin Katharina? – Hat sie nicht diesen elenden Potemkin mit ihren gierigen Blicken verschlungen, als ob sie vor aller Welt in seine Arme sinken wollte? – Hat sie es nicht gewagt, ohne mich zu fragen, mich, der ich der Chef ihres Hauses und ihres militärischen Stabes bin, ihn zu ihrem Adjutanten zu ernennen und ihm eine Wohnung im Palais zu geben? – Ist es nicht deutlich genug, wohin das führen muß? – Sie hat einen Nachfolger für mich gefunden!« rief er hohnlachend; »nun denn, vielleicht könnte ich auch einen für sie finden – was man selbst gemacht hat, kann man auch wieder zerschlagen – und ich bin es – wir sind es, du, mein Bruder, und ich, die diesen Thron gezimmert haben, von dessen Stufen sie uns jetzt herabstoßen möchte. Aber ich weiß auch am besten, wo die Fugen dieses Thrones morsch sind; ich weiß, daß ich ihn mit einem Druck meiner Hand wieder zertrümmern kann!«

Er spannte seine breite, muskelkräftige Hand bei diesen Worten so mächtig um das silberne Trinkgeschirr, daß dasselbe sich in der Mitte wie dünnes Blech zusammenbog.

»Du bist aufgeregt, Gregor Gregorjewitsch«, sagte Alexis, welcher nur in kleinen Zügen das Lieblingsgetränk seines Bruders geschlürft hatte; »vielleicht hast du Grund dazu, doch jedenfalls nicht so viel, als du meinst; immer aber hast du unrecht, wenn du wirklich eine Gefahr voraussetzest, so ist der Zorn der schlechteste Ratgeber –«

»Aber der beste Verbündete, wenn es gilt, mein eigenes Werk zu zerschlagen, um eine Undankbare unter seinen Trümmern zu begraben!« rief Gregor, indem er das zusammengedrückte Trinkgefäß wieder auseinanderbog und von neuem mit Arrak und Champagner füllte, um es in einem Zuge abermals zu leeren.

Alexis schüttelte den Kopf.

»Du irrst in allem, was du sagst, mein Bruder,« erwiderte er, »eben weil du zornig bist. Zunächst muß ich dir sagen, daß es eine große Unvorsichtigkeit war, jenen Potemkin wieder hierher kommen zu lassen – du weißt, daß es uns damals einige Mühe kostete, ihn zu entfernen, obgleich Katharinas Dankbarkeit und ihre Liebe für dich noch ganz jung und neu waren.«

»Ich hatte ihn vergessen«, sagte Gregor hochfahrend; »konnte ich es für möglich halten, daß mir ein solcher Nebenbuhler gefährlich werden sollte?«

»Ich glaube, du schätzest ihn zu gering,« sagte Alexis, »und hierin liegt die eigentliche Gefahr, die einzige, die ich erblicken kann; denn Potemkin ist ein Mann von Mut, Willenskraft und Beharrlichkeit. Da du nun einmal diese Unvorsichtigkeit begangen hast,« fuhr er fort, während Gregor knirschend halblaute Worte vor sich hin murmelte und sich damit unterhielt, seinen Becher in verschiedene Formen zusammenzudrücken und ihn immer wieder auseinanderzubiegen, »so muß man die Dinge nun eben nehmen, wie sie sind, und sie geschickt zu beherrschen versuchen. Du hast kaum erwarten dürfen, daß eine Frau von Katharinas Geist und Lebhaftigkeit nicht einmal eine Abwechslung in ihrer Liebe suchen sollte, um so weniger, da du ihr selbst dazu oft genug das Beispiel gegeben hast.«

»Ah bah!« rief Gregor, »was liegt mir daran; mag sie sich zerstreuen, wie sie will – im Wechsel liegt das Leben – aber daß sie gerade diesen Potemkin wählt, von dem sie weiß, daß ich ihn hasse, daß sie es wagt, ihn so offen vor aller Welt mir zum Trotz zu sich emporzuheben, das beweist mir, daß es sich um keine Zerstreuung handelt, daß sie nicht nur ein flüchtiges Liebesspiel sucht, sondern daß sie sich befreien will von der Schuld der Dankbarkeit gegen mich und gegen dich, und wehe ihr, wenn mein Argwohn sich fester begründet!«

»Ruhig, mein Bruder, ruhig,« sagte Alexis, »deine Drohung ist töricht, selbst wenn du sie auszuführen vermöchtest – die Stufen von Katharinas Thron sind die Stützen unserer Macht, und würden wir diesen Thron zerbrechen, so würden wir selbst mit ihm zusammensinken für immer. Der Großfürst Paul Petrowitsch wird uns niemals verzeihen, daß wir seine Mutter auf den Thron gehoben haben, und wenn wir auch ihm selbst die Krone auf das Haupt setzten.«

»Der Großfürst Paul Petrowitsch,« murmelte Gregor vor sich hin – »es gibt wohl noch einen anderen Erben der Krone vom Blute der Romanow –«

»Um Gottes willen, schweig'!« rief Alexis erschrocken; »schweig' und folge nicht solchen wahnsinnigen Gedanken, die dich und uns alle in unabsehbare Abgründe hinabreißen würden; glaube mir, Katharina auf den Thron zu erheben, war leichter, als es sein würde, sie zu stürzen, nachdem ihre Macht so tiefe Wurzeln geschlagen und nachdem die russischen Armeen unter ihren Fahnen so große Siege erfochten. Sie ist nicht, was Peter III. war; sie würde den Kampf auf Leben und Tod aufnehmen und selbst der Sieg wäre unser Untergang. Nein, nein, das ist nicht der Weg, um die plötzlich auftauchende Gefahr zu beseitigen, die immer kleiner wird, je weniger groß wir sie machen. Reize Katharina nicht,« fuhr er fort, »sie will sich nicht beherrschen, nicht einschränken lassen; behandle ihre Gunst für Potemkin als eine leichte Zerstreuung, du wirst sie dann am leichtesten dahin bringen, daß sie selbst nichts anderes daraus macht – bringe sie nicht selbst auf den Gedanken, ihren neuen Günstling mit dir zu vergleichen – das ist die erste Aufgabe für dich und für mich – lächelnde Sicherheit müssen wir zeigen gegen die Kaiserin, gegen Potemkin und gegen die ganze Welt, denn heute noch können nur wir selbst unsere Stellung erschüttern – niemand anders, auch die Kaiserin nicht, wird es wagen, sie anzutasten. – Glaube mir, Katharina ist dankbar aus Gefühl und Klugheit; sie weiß, was sie uns schuldig ist und wie sehr sie unserer auch heute noch bedarf, und diese Dankbarkeit der Kaiserin ist eine bessere Stütze für uns, als die Leidenschaft des Weibes für dich es jemals sein könnte; mag ihre Leidenschaft erkalten, ihre Liebe wechseln, wir werden fester stehen, wenn wir dieser schwachen und schwankenden Stütze nicht mehr bedürfen; je mehr wir ruhige, lächelnde Sicherheit zeigen, um so leichter wird es uns werden, die Gelegenheit zu erspähen und zu ergreifen, um diesen Potemkin wieder in sein Nichts zurückzuschleudern, wenn er es unternehmen sollte, mehr sein zu wollen als ein Spielzeug für Katharinas Laune.«

»Du magst recht haben,« sagte Gregor, ohne seinen Bruder anzusehen, »ich werde deinen Rat befolgen; ich habe mich vielleicht heute schon zu sehr von meinem Unwillen hinreißen lassen – der ganze Hof soll mich wieder heiter und ruhig erblicken, und Potemkin selbst soll nicht die Genugtuung haben, daß ich mich vor ihm fürchte!«

»So ist es recht, mein Bruder,« sagte Alexis, »und ich werde wachsam sein, ich werde spähen und beobachten und den Boden unter seinen Füßen unterhöhlen, damit es nur eines leichten Anstoßes bedarf, ihn versinken zu lassen, wenn er uns gefährlich werden sollte.«

»Noch eins,« sagte Gregor, »ich habe dir den Kosaken gezeigt auf dem Paradefelde draußen.«

»In der Tat,« sagte Alexis, indem er erbleichend zusammenschauderte, »die Ähnlichkeit ist überraschend, erschreckend; nur die Kosakenmütze und der Bart machen sie weniger bemerkbar – ein solches Gesicht könnte gefährlich werden.«

»Ganz gewiß,« sagte Gregor, »und darum bitte ich dich, laß sogleich, um keine Minute zu verlieren, jenen Kosaken festnehmen und in ein besonderes Gefängnis in der Festung bringen.«

»Und was hast du mit ihm vor?« fragte Alexis. »Es wäre hart, den armen Teufel für ein Naturspiel büßen zu lassen.«

»Vor allem«, erwiderte Gregor, »darf ihn niemand sehen, hier in Petersburg besonders nicht, wo jedermann sich noch des andern erinnert; darum muß er zunächst in festen Gewahrsam gebracht werden, dann werde ich erforschen, ob er selbst sich der verhängnisvollen Ähnlichkeit bewußt ist. Ist das nicht der Fall, so kann man ihn einfach in eine entfernte Provinz schicken, wo niemand den andern gekannt hat.«

»Ich eile, mein Bruder,« sagte Alexis, indem er seinen Becher leerte, »zu tun, was du gesagt hast – in einer Stunde soll der Kosak dem Kommandanten der Festung übergeben sein mit dem strengen Befehl, daß niemand zu ihm gelassen werden dürfe, und daß auch die Wachen vor seiner Tür ihn nicht sehen sollen. Du aber folge meinem Rat und laß dich, was auch geschehen möge, nicht wieder vom Zorn hinreißen.«

Er drückte seines Bruders Hand und ging hinaus.

Gregor sah ihm mit finsteren Blicken nach.

»Ich werde seinen Rat befolgen«, sagte er; »aber er ist zu sicher, zu vertrauensvoll, er kennt Katharina nicht, er weiß nicht wie ich, welcher Verstellung sie fähig ist. – Ich werde seinem Rat folgen,« führ er fort, »aber ich werde auch meinen Weg gehen und werde meine Mittel vorbereiten, um ihre Dankbarkeit aufzufrischen, wenn es nötig ist, und sie empfinden zu lassen, wie unentbehrlich ihr der starke Arm ist, der ihren Thron aufgerichtet hat und der allein ihn zu schützen vermag.«

Er lag in seinen Schafpelz gehüllt sinnend und grübelnd da, einen Becher nach dem andern von dem feurigen Getränk hinabstürzend, das jeden anderen betäubt haben würde, das aber auf seine Riesennatur keinen Einfluß zu üben vermochte.

Da trat der Kammerdiener ein und meldete, daß der Kaufmann Peter Sebastianow Firulkin um einen Augenblick gnädigen Gehörs bitte.

»Firulkin; was will der Schurke?« rief Orloff; »doch gleichviel, laß ihn kommen – habe ich doch jetzt nichts Besseres zu tun!«

Firulkin trat ein. Er war noch auffallender und bunter gekleidet als um Morgen und machte, neben der Tür stehend, eine unendlich tiefe und ehrerbietige Reverenz, welche durch das Bestreben, leicht und elegant zu erscheinen, einen so grotesk komischen Eindruck machte, daß Gregor Orloff laut auflachte.

»Weißt du, daß du ungeheuer lächerlich aussiehst, alter Spitzbube!« rief er; »warum trägst du nicht den Schafpelz und die Mütze, wie es sich für einen guten Russen geziemt und wie ich es selbst tue? Eigentlich verdienst du, daß ich dich in dieser albernen französischen Tracht einmal nach Sibirien schicke, damit du dort lernst, wie viel besser der Pelz sich für dich schicken würde!«

Einen Augenblick bebte Firulkin erbleichend zurück, denn Orloff war, wie er wohl wußte, ganz der Mann, um aus einem solchen Einfall seiner Laune Ernst zu machen.

Schnell aber nahm sein welkes Gesicht wieder das gewohnte süße Lächeln an, und, einen Schritt näher herantretend, sagte er:

»Eure Durchlaucht belieben mit Ihrem untertänigsten Diener Ihren gnädigsten Scherz zu treiben. Es macht mich glücklich, zu Hochdero Erheiterung beitragen zu können, und es freut mich, daß mein hoher Gönner und Beschützer so heiterer Laune ist, denn da darf ich hoffen, daß ein kleiner Beweis meiner Liebe und Verehrung, den ich zu Hochdero Füßen niederlegen möchte, huldvolle Aufnahme finde. Mit der letzten Karawane,« fuhr er fort, indem er ein Samtetui aus der Tasche zog, »welche aus Persien für mich hier ankam, habe ich einen Diamanten erhalten, der in seinem reinen Wasser und seinem wunderbaren Farbenspiel seinesgleichen nicht hat; und da ich weiß, daß mein hoher, gnädiger Beschützer diese Steine liebt, so habe ich es gewagt, ihn in einen Ring fassen zu lassen, und bitte Eure Durchlaucht, denselben gnädigst annehmen zu wollen.«

Er öffnete das Etui und reichte es dem Fürsten, indem er tief gebückt zu ihm herantrat.

Auf dem dunklen Samt funkelte ein Solitär von wunderbarer Schönheit.

»In der Tat,« sagte Orloff, »der Stein ist schön!«

Er nahm das Etui, steckte den Ring nachlässig an seinen Finger und betrachtete, die Hand hin und her bewegend, das wechselnde Farbenspiel der Fassetten.

»In der Tat, der Ring ist schön – aber klein,« fügte er hinzu.

»Wäre er größer,« sagte Firulkin, welcher demütig gebückt neben dem Lager des Fürsten stand, »so würde Eurer Durchlaucht untertänigster Diener nicht in der Lage gewesen sein, ihn Hochdemselben zu Füßen legen zu können.«

»Das lügst du,« sagte Orloff, immer den Stein wohlgefällig betrachtend; »du mästest dich genug an den Handelsprivilegien, die dir erteilt sind, und ich glaube, du bist reicher als ich selbst, wir werden das einmal untersuchen müssen. Doch«, fügte er dann, den Blick durchdringend auf Firulkin heftend, hinzu, »was willst du? – Denn du mußt etwas wollen, da du mir diesen Stein bringst.«

»O gnädigster Herr,« rief Firulkin, »wie unrecht tun Sie Ihrem untertänigsten Diener! – Das Beste, was ich habe, gehört ja Ihnen, wenn Ihr Blick Wohlgefallen daran findet. Wohl hätte ich eine Bitte an Eure Durchlaucht, aber zuerst habe ich eine Anzeige zu machen und eine Warnung auszusprechen, zu der mich meine schuldige Verehrung gegen meine allergnädigste Kaiserin verpflichtet.«

»Eine Anzeige, eine Warnung,« fragte Orloff, »welche die Kaiserin angeht? Was soll das bedeuten?«

»Ich muß Eurer Durchlaucht gestehen,« erwiderte Firulkin, »daß ich den Wunsch habe, da ich allmählich über die erste Jugend hinausgekommen bin, mir ein eigenes Haus und eine eigene Familie zu gründen, und daß meine Wahl auf Mademoiselle Adeline Lemaitre von Ihrer Majestät französischer Komödie gefallen ist, die Eure Durchlaucht vielleicht kennen.«

»Ich erinnere mich nicht,« sagte Orloff, »ich habe wenig auf die Komödianten geachtet. Aber du hast unrecht, Peter Sebastianow, du bist zu alt und zu häßlich für eine französische Schauspielerin, sie wird dir Hörner aufsetzen, und das wird nicht dazu beitragen, dich schöner zu machen. Doch weiter. Wie hängt das mit der Warnung zusammen, von der du gesprochen?«

Firulkins Lächeln hatte sich bei Orloffs Worten zu einem gezwungenen Grinsen verzogen; er suchte sich die Miene zu geben, als ob er den Scherz des Fürsten ganz vortrefflich finde.

»Eure Durchlaucht werden das sogleich begreifen«, fuhr er fort. »Fräulein Adeline hatte die Bekanntschaft eines jungen Offiziers vom Regiment Smolensk namens Wassili Mirowitsch gemacht; sie hatte seine Huldigungen angenommen und vielleicht eine jener vorübergehenden Jugendneigungen gefaßt, welche keinen klugen Ehemann beunruhigen dürfen.«

»Um so schlimmer – um so schlimmer!« rief Orloff; »du machst eine schlechte Figur neben einem jungen Leutnant; nimm dich in acht, ich sehe deinen Kopfschmuck schon an deiner Stirn hervorsprießen.«

»Der junge Offizier«, fuhr Firulkin, die für ihn so wenig schmeichelhafte Bemerkung des Fürsten überhörend, fort, »schien aber die Sache ernsthafter genommen zu haben. Als er erfuhr, daß Adeline Lemaitre meine Braut sei, geriet er in leidenschaftlichen Zorn. Es scheint, daß er von Ihrer Majestät der Kaiserin die Zurückgabe von Familiengütern verlangt hatte, welche ihn in den Stand setzen sollten, Fräulein Adeline zu heiraten.«

»Die Zurückgabe von Familiengütern?« rief Orloff, indem er sich halb aufrichtete – »Wassili Mirowitsch vom Regiment Smolensk? – ja, ja, ich erinnere mich. Nun weiter?« fragte er mit erhöhter Aufmerksamkeit.

»Nun, gnädigster Herr,« sagte Firulkin, »in seinem Zorn führte der junge Mensch, in dessen Adern, wie ich voraussetzen muß, das Blut eines gefährlichen Rebellen fließt, lästernde Redensarten über Ihre Majestät die Kaiserin, die Gott segnen und erhalten möge, und stieß wilde Drohungen aus, deren Sinn ich nicht verstanden habe, die aber jedenfalls hochverräterische Absichten gegen unsere gnädigste Gebieterin enthielten.«

»Mirowitsch – Regiment Smolensk,« sagte Orloff sinnend halb vor sich hin – »das Regiment steht in Schlüsselburg –« Ein Blitz sprühte in seinen Augen auf.

»Gut, Peter Sebastianow, gut,« sagte er dann, »es ist recht von dir, daß du mir das gesagt hast. Jeder treue Untertan hat die Pflicht, darüber zu wachen, daß nirgends im Reiche die böse Saat des Hochverrats aufschieße – doch zu bedeuten wird das nichts haben – vielleicht muß man dem armen jungen Menschen seinen Zorn zugute halten. Eigentlich hat er unrecht, denn er wird seine Soubrette bequemer und wohlfeiler lieben können, wenn sie deine Frau ist.«

Firulkin zuckte zusammen; aber er hielt auch diesmal das grinsende Lächeln auf seinen schmalen Lippen fest.

»Sie ist noch nicht meine Frau, gnädigster Herr«, sagte er; »sie ist halsstarrig und eigensinnig und scheint geneigt, dem Willen ihrer Mutter zu trotzen; deshalb muß ich Eure Durchlaucht ergebenst bitten, für Ihren untertänigsten Diener ein entscheidendes Machtwort zu sprechen. – Die Kleine wird nicht wagen, ihren Widerstand weiter zu treiben, wenn sie weiß, daß Eurer Durchlaucht allmächtiger Wille meinem Wunsche zur Seite steht.«

Orloff lachte laut auf.

»Also das war der Diamant!« sagte er. »Nun gut, dein Wunsch soll erfüllt werden; aber das sage ich dir, ich kann der kleinen Soubrette wohl befehlen, daß sie dich heiratet, aber dich hübscher und jünger machen kann ich darum doch nicht, und daß sie dich liebt, dazu kann ich sie auch nicht zwingen, und ich sage dir vorher, sie wird's nicht tun, und du wirst bald ein ebenso schönes Geweih auf deinem Kopfe tragen wie jener alte griechische Jäger, der einst die Diana im Bade belauschte.«

Ein Adjutant trat ein.

»Nun mach', daß du fortkommst!« sagte Orloff zu Firulkin, indem er sich erhob. »Ich werde deine Bitte nicht vergessen und sie zu deinem eigenen Schaden erfüllen.«

Unter tiefer Verbeugung zog sich Firulkin zurück.

»Was bringst du?« fragte der Fürst den in dienstlicher Haltung vor ihm stehenden Offizier.

»Der Admiral Gras Alexei Gregorjewitsch Tschesmenskoy läßt Eurer Durchlaucht melden, daß der Kosak Yemelka Pugatschew verhaftet und in das Staatsgefängnis der Festung gebracht sei.«

»Gut,« antwortete Orloff gleichgültig. »Sieh' nach, ob der Leutnant Pavjel Sacharjewitsch Uschakoff schon zur Stadt zurückgekehrt ist. Wenn du ihn findest, so sende ihn mir gleich!«

»Ich habe ihn im Hofe des Palais gesehen,« erwiderte der Offizier, »und er wird sogleich zu Eurer Durchlaucht Befehl stehen.«

Wenige Minuten darauf trat ein junger Offizier in der Uniform des Regiments Smolensk in das Zimmer; er hatte ein ausgeprägt slawisches Gesicht; listige Verschlagenheit lag in dem Blick seiner dunklen Augen.

Er trat in dienstlicher Haltung vor den Fürsten. Der lächelnde Ausdruck zuversichtlicher Unbefangenheit auf seinem Gesicht bewies, daß er sich der besonderen Gunst des allmächtigen Feldzeugmeisters sicher wußte.

»Pavjel Sacharjewitsch,« sagte Orloff, »ich habe dir einen Auftrag zu erteilen, an dessen Erfüllung du deinen ganzen Scharfsinn und deine ganze Klugheit setzen mußt.«

»Es bedarf einer solchen Mahnung nicht«, erwiderte der Leutnant Uschakoff; »Eure Durchlaucht wissen, daß meine ganze Kraft Ihrem Dienste gehört, und ich bin bis jetzt immer noch so glücklich gewesen, mir Ihre Zufriedenheit zu erwerben.«

»Es wird dein Schade nicht sein, wenn dir das auch diesmal gelingt«, erwiderte Orloff. »Du kennst den Leutnant Wassili Mirowitsch deines Regiments?«

»Ich kenne ihn«, erwiderte Uschakoff betroffen; »er ist sogar mein Freund, mein besonderer Freund, mit dem ich im Kadettenkorps aufgewachsen bin. Was ist's mit ihm?«

»Das eben will ich wissen«, erwiderte Orloff. »Du wirst ihn ausforschen – du wirst dich mit ihm über alle seine Angelegenheiten unterhalten – er hatte eine Liebschaft mit einer französischen Schauspielerin?«

»Mehr als eine Liebschaft«, erwiderte Uschakoff betroffen; »es ist eine ernste Liebe, von der ich ihn oft vergebens abzubringen suchte.«

»Gut,« sagte Orloff, »du wirst mit ihm davon sprechen; auch von der Kaiserin, von der Regierung – du wirst ihn genau beobachten, jedes seiner Worte, und wirst mir genau und pünktlich über alles, was du siehst und hörst, Bericht erstatten.«

»Zu Befehl, Durchlaucht!« erwiderte Uschakoff; »doch«, fügte er zögernd mit bewegter Stimme hinzu, »ich hatte die Ehre, Eurer Durchlaucht zu bemerken, daß Mirowitsch mein Freund sei.«

»Hat man einen Freund,« sagte Orloff streng und drohend, »wenn es den Dienst der Kaiserin gilt, wenn es gilt, meine Befehle auszuführen? – Übrigens sei ruhig, deinem Freund Mirowitsch soll nichts Böses widerfahren, und je aufrichtiger und genauer du mir alles berichtest, was du an ihm bemerken wirst, je größer wird der Dienst sein, den du ihm selbst leistest. Geh' jetzt; morgen erwarte ich deinen ersten Bericht.«

Uschakoff grüßte militärisch und zog sich mit weit weniger zuversichtlicher und freudiger Miene zurück, als er gekommen war.

»Mein Bruder predigt mir Vorsicht,« sagte Gregor Orloff, »und doch ist er in seinem kühnen Selbstvertrauen stets geneigt, jeden Feind gering zu schätzen; diesmal ist es gut, daß ich die vorsichtige Klugheit niemals vergessen habe und mir in jedem Regiment einen Vertrauten halte, durch den ich alles erfahre, was dort vorgeht. Wohl verstehe ich's, was dieser Mirowitsch mit seinen Drohungen gemeint hat, von denen der alberne Firulkin mir berichtet, um einen Nebenbuhler zu beseitigen, ohne zu ahnen, daß er damit das furchtbarste Geheimnis Rußlands berührte und mir einen Faden in die Hand gegeben hat, um alles nach meinem Willen zu lenken. Das Gesicht dieses Pugatschew und der drohende Grimm dieses Leutnants Mirowitsch über den Verlust seiner Schauspielerin sollen in meiner Hand zu mächtigen Waffen werden. Wiege dich in deinem Traum der Selbstherrschaft, undankbare Kaiserin, strecke die Hand aus nach dem höchsten Preis deines Ehrgeizes, vermessener Potemkin – ich habe einen Kosaken und eine Soubrette gegen eine Kaiserin und einen General, und bald soll die zitternde Kaiserin erkennen, daß ihr Thron nicht feststeht, wenn Orloffs Hand ihn nicht stützt und verteidigt. Meine Waffen sind geschliffen, aber niemand soll sie kennen, niemand soll ihre furchtbare Schärfe ahnen – auch mein Bruder nicht. – Jetzt will ich ruhen; der Schlaf gibt den Gedanken die Klarheit und dem Willen die feste Sicherheit.«

Er füllte noch einmal seinen ganz aus der Form gebogenen Becher, leerte ihn mit einem einzigen Zuge und streckte sich dann auf der harten Matratze aus. Nach wenigen Minuten schon zeigten seine tiefen, regelmäßigen Atemzüge, daß seine gewaltige Riesennatur auch dem Schlaf nach ihrem Willen zu gebieten vermochte.


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