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18. Kapitel

Gregor Orloff war, noch immer zitternd vor Wut und unbekümmert um die Wachen und Lakaien, laute Verwünschungen und Drohungen ausstoßend, durch die Galerien des Palastes nach dem Ausgangsportal gestürmt, sein Bruder Alexis blieb an seiner Seite und stieg mit ihm in seinen Wagen, um ihn zur Ruhe und kluger Vorsicht zu ermahnen.

»Du hast nicht erwarten können, Gregor Grcgorjewitsch,« sagte er, »daß die Liebe einer Frau, welche nur eines Winkes bedarf, um allen ihren Launen Erfüllung zu verschaffen, dir ewig treu bleibe – wundersam genug schon war's, daß dies so lange geschah. Laß diese Liebe fahren, die doch wahrlich für dich selbst kaum noch einen Reiz haben kann.«

»Nein, bei Gott nicht,« rief Gregor mit zynischem Lachen, »bas hat sie nicht, sie wird älter und immer älter und verlangt doch, daß man sich stellen soll, als ob man die Spuren der Jahre nicht bemerke, die über ihr Haupt hingezogen sind!«

»Nun denn,« sagte Alexis, »so laß sie fahren; was kümmert uns das Weib, wenn nur die Kaiserin in unseren Händen bleibt, und das ist sie. Du hältst die Armee in deiner Hand, ich die Flotte – wer es wagen wollte, uns zu stürzen, der würde selbst zerschellen im tollkühnen Anprall gegen unsere Macht, die auf felsenfesten Fundamenten steht!«

Gregor schüttelte finster den Kopf.

»Ich weiß es zu gut, mein Bruder,« sagte er, »wie leicht diese Fundamente zu untergraben sind – und wie über einen bröckelnden Stein der ganze stolze Bau in Trümmer sinken kann. – Und dann,« fuhr er fort, die Hand auf den Arm seines Bruders legend, »noch habe ich den Gipfel nicht erreicht, zu dem ich so lange Jahre mit Mühe und Geduld mir den Weg gebahnt habe – mit Geduld,« sagte er knirschend, »die meiner Natur widerstrebt, die mich schäumen läßt wie das Steppenroß gegen den Zügel – nun mit einemmal soll ein frecher Eindringling mich um die Frucht meiner langen Mühe des unerträglichen, geduldigen Ausharrens betrügen!«

»Du hast den Gipfel nicht erreicht?« fragte Alexis verwundert; »was bleibt dir noch zu wünschen? Beugt sich nicht alles vor uns im weiten russischen Reiche, gibt es auf den Stufen des Thrones einen Platz über dem unsrigen? Du bist zum Fürsten des römischen Reichs erhoben, und der Erbe der kaiserlichen Krone selbst steht neben uns im Schatten.«

»Der kaiserlichen Krone,« rief Gregor höhnisch; »wessen Erbe ist dieser sogenannte Großfürst? Der Erbe seiner Mutter, in deren Adern kein Tropfen russischen Blutes fließt, oder der Erbe des stumpfsinnigen Peter Feodorowitsch, den das russische Volk von sich schleuderte, wie ein mutiges Roß einen kindisch-schwächlichen Reiter zu Boden wirft? – Zum Reichsfürsten bin ich erhoben, aber damit, mein Bruder, bin ich dieser Katharina ebenbürtig nach dem Recht, das alle Völker Europas anerkennen – ich bin, was ihr Vater war, jener kleine Prinz von Anhalt, welcher es sich zur Ehre rechnete, im Dienste des Königs von Preußen zu stehen, der doch auch nur als Kämmerer des Deutschen Reichs dem Kaiser das Waschbecken hält; es ist des Reichsfürsten unwürdig, der Diener einer Prinzessin von Anhalt zu sein, unwürdig, der von ihm selbst auf den Thron erhobenen Kaiserin von Rußland zum Spielball einer verliebten Laune zu dienen; der Reichsfürst Gregor Orloff kann der Kaiserin zu ebenbürtigem Bunde die Hand reichen, ihm ziemt der Platz nicht auf den Stufen des Throns, und das Haupt, das die Fürstenkrone schmückt, ist auch der Kaiserkrone würdig.«

»Du rasest, Gregor, du rasest«, rief Alexis fast entsetzt; »der Größenwahn, der die römischen Kaiser blendete, hat dich erfaßt; blicke rückwärts, wir selbst dürfen unsere Augen nicht verschließen vor der Tiefe, aus der wir emporgestiegen sind. Wohl hat Elisabeth dem Grafen Rasumowsky im heimlichen Bunde ihre Hand gereicht, aber niemals ist es ihm gelungen, diesen Bund vor der Welt verkünden zu lassen.«

»Elisabeth«, warf Gregor ein, »war die Tochter Peters des Großen.«

»Um so mehr«, fuhr Alexis fort, »hätte das russische Volk ihr vielleicht das Recht zugestanden, ihren Gemahl zu sich zu erheben; Katharina kann nur herrschen als die Mutter des rechtmäßigen Kaisers, und wenn sie wirklich einen so vermessenen Schritt wagen sollte, was würde das Volk sagen? Würde es sich nicht erinnern, daß die Narischkins und die Soltikows fast den Romanows gleichstanden? Noch lebt Iwan –«

»Er lebt noch«, sagte Gregor düster vor sich hin.

»Und Paul Petrowitsch«, fuhr Alexis fort, »ist auch ein Sproß vom Blute Peters des Großen, was sollte mit ihm geschehen –?«

»Was ist mit Peter Feodorowitsch geschehen?« fragte Gregor.

»Was niemals wieder geschehen wird,« rief Alexis schaudernd, »niemals, solange ich Kraft und Atem habe; ein solches Blatt darf nur einmal im Buche der Geschichte vorhanden sein, und wollte Gott,« fügte er mit bebender Stimme hinzu, »daß seine blutige Schrift ausgelöscht werden könnte für immer. Laß ab von deinem wahnsinnigen Traume, mein Bruder, denke an die Titanen, die den Himmel stürmen wollten und in die Tiefe des Abgrunds gestürzt sind!«

»Besser«, sagte Gregor, »zerschmettert in die Tiefe des Abgrundes versinken, als auf halber Höhe stehen. Laß mich, Alexis, du weißt, was ich einmal beschlossen, steht unerschütterlich fest, und noch niemals hat ein Hindernis auf meiner vorgesteckten Bahn meiner Kraft widerstanden.«

»So geh deinen Weg allein,« sagte Alexis schaudernd, »ich kann dir nicht folgen, wo ich das sichere Verderben vor mir sehe.«

»Das werde ich,« erwiderte Gregor, »je höher der Weg zum Gipfel führt, um so einsamer muß er werden; noch brauche ich das Weib, um neben der Kaiserin meinen Thron aufzurichten, das Weib aber beherrscht die Liebe und die Furcht; da die Liebe verglüht ist, so soll die Furcht sie mir unterwerfen!«

Der Wagen hielt; sie waren vor dem Marmorpalais angekommen.

»So geh«, sagte Alexis, »wohin der Taumel dich fortreißt, ich kann nichts anderes tun, als die Heiligen des Himmels bitten, daß sie den Wahnsinn von deinem Geiste nehmen, der dich und vielleicht uns alle verderben wird.«

Gregor antwortete nicht; er stieg mit einem flüchtigen Gruß aus und schritt an den präsentierenden Wachen vorbei die breite Treppe des Portals hinauf, während Alexis dem Lakaien, der den Schlag geöffnet hatte, befahl, ihn nach seinem Palais zu fahren.

Als der Fürst Gregor in sein Zimmer gekommen war, wurde ihm gemeldet, daß der Leutnant Uschakoff vom Regiment Smolensk um Audienz bitte.

Sogleich befahl er, denselben einzuführen.

Uschakoff erschien, bestäubt von dem scharfen nächtlichen Ritt von Schlüsselburg her, mit bleichem, unruhig bewegtem Gesicht in dem Kabinett des Feldzeugmeisters.

»Nun, Pavjel Sacharjewitsch,« rief Orloff, »was bringst du? Du siehst blaß aus, ich glaube, du zitterst. Da trink,« fuhr er fort, indem er einen großen Kelch aus einer bereitstehenden Karaffe mit goldschimmerndem Madeirawein füllte, »das wird dich stärken nach deinem Ritt, denn du kommst von Schlüsselburg, nicht wahr?«

Der Leutnant Uschakoff nahm dankend das Glas und leerte es auf einen Zug.

»Wohl war es ein scharfer Ritt, Durchlaucht, den ich gemacht habe,« sagte er dann, »aber das ist es nicht, was mich bleich macht; Eure Durchlaucht haben mir befohlen«, fuhr er fort, »den Leutnant Wassili Mirowitsch auszuforschen, und was ich da entdeckt, hatte mich mit Schrecken und Entsetzen erfüllt.«

»So sprich,« sagte Orloff, indem er seinen Rock abwarf und sich auf seinen Diwan ausstreckte, »du weißt, daß meine Hand stets offen ist, um gute Dienste zu belohnen. Was sinnt jener kleine, trotzige Mirowitsch, in dessen Adern das Blut des rebellischen Kosaken fließt?«

»Dies Blut übt seine verhängnisvolle Kraft«, erwiderte Uschakoff; »es ist Ungeheures, Entsetzliches, was Mirowitsch brütend in sich trägt.«

Ein zufriedenes Lächeln spielte um Orloffs Lippen.

»So sprich«, sagte er mit einer Miene, die mehr Genugtuung über einen gelungenen Plan als neugierige Spannung ausdrückte.

Scheu und zögernd erzählte Uschakoff seine Unterredung mit Mirowitsch, während Orloff mehrfach mit dem Kopfe nickte, als ob der Bericht, welcher Uschakoff selbst zittern ließ, ganz mit seinen Wünschen und Erwartungen übereinstimme.

»Und nun,« so schloß der Offizier, »was befehlen mir Eure Durchlaucht zu tun in so ernster, schwer verhängnisvoller Sache? Darf ich eine Bitte wagen, so flehe ich Eure Durchlaucht an, lassen Sie den armen Mirowitsch, dem seine unglückliche Liebe und seine fehlgeschlagene Hoffnung den Geist verwirrt hat, heute noch nach einem entfernten Regiment versetzen, dann ist alle Gefahr beseitigt und der Unglückliche selbst von den Folgen seiner entsetzlichen Träumereien gerettet. Senden Sie ihn zur Armee des Marschalls Romanzow, besser für ihn, er fällt im Kampfe gegen die Türken, als er liefert sich hier in seinem verbrecherischen Wahnsinn selbst auf das Schafott.«

Orloff lag schweigend und nachdenkend auf seinem Diwan.

»Und glaubst du denn,« fragte er nach einiger Zeit, »daß wirklich eine Gefahr vorhanden sei, glaubst du, daß es diesem Tollkopf wirklich gelingen könnte, die Besatzung von Schlüsselburg zum Aufruhr zu bewegen und den Gefangenen zu befreien?«

»Wassili Mirowitsch hat großen Einfluß,« erwiderte Uschakoff, »er ist leutselig und freigebig und nachsichtig gegen kleine Vergehen; die Soldaten vergöttern ihn und haben blindes Vertrauen zu ihm; sie wissen nicht, wer der Gefangene ist in dem Kerker der Festung; wenn Mirowitsch ihnen sagt, daß sie einen Sprößling vom Blute Peters des Großen bewachen, der in seiner Wiege schon Kaiser war, so wird es ihm leicht werden, sie zu erhitzen und zu einem tollkühnen Unternehmen zu verleiten – er wird ihnen glänzende Belohnungen versprechen, wenn dies Unternehmen gelingt; ich halte die Ausführung nicht für unmöglich, und ich halte die Gefahr für sehr groß, wenn Iwan aus Schlüsselburg entführt und dem Volke gezeigt wird; darum bitte ich Eure Durchlaucht, Mirowitsch schnell zu entfernen; noch hat er nichts Verbrecherisches getan, Gedanken sind nicht strafbar, es ist die höchste Gnade für ihn, wenn er verhindert wird, sie zur Tat oder auch nur zum Versuch werden zu lassen.«

»Nein,« sagte Orloff, »das wäre töricht; er könnte anderswo gefährlicher werden als hier, wo man ihn kennt und überwacht.«

»Durchlaucht, so will ich denn selbst«, sagte Uschakoff, »nicht ablassen, ihn von seinem gefährlichen Unternehmen abzumahnen, und ich bitte Eure Durchlaucht, wenn Sie je mit meinem Dienst zufrieden waren, um einen Verhaftsbefehl für Mirowitsch, damit ich den Armen bei dem ersten Schritt zur Ausführung seines gefährlichen Plans vor sich selbst schützen kann.«

»Nein, nein,« sagte Orloff, der inzwischen seine Gedanken geordnet zu haben schien, »nein, nein, das ist nichts, ich bin mit dir zufrieden, Pavjel Sacharjewitsch, aber ich kann eine Sache von solcher Wichtigkeit nicht deiner Willkür anheimgeben.«

»Eure Durchlaucht haben zu entscheiden,« erwiderte Uschakoff, ein wenig verletzt durch die Weigerung des Feldzeugmeisters, »aber was soll ich tun bei so schwerer Verantwortung; ich bitte Eure Durchlaucht um bestimmte Befehle und genaue Instruktion!«

»Recht, recht, Pavjel Sacharjewitsch, höre zu«, sagte Orloff zustimmend. »Zunächst wirst du gar nichts tun, als jeden Schritt, den Mirowitsch tut, beobachten; du wirst dir sein Vertrauen zu erhalten suchen, damit er dir jeden seiner Gedanken mitteilt.«

»Und ich werde«, rief Uschakoff lebhaft, »alles aufbieten, um ihn von seinem Plan abzubringen und ihn von dessen Unausführbarkeit zu überzeugen.«

»Halt, Pavjel Sacharjewitsch,« unterbrach ihn Orloff, »das wäre sehr wenig klug, denn dann würde er dir nichts mehr anvertrauen; du wirst im Gegenteil auf seine Gedanken eingehen, du wirst dich ihm ganz zur Verfügung stellen, hörst du wohl; er muß dich für seinen Mitschuldigen, für seinen Genossen halten, um dir ganz zu vertrauen und um dir alles mitzuteilen, was er zur Ausführung seines Planes tut; du wirst ihm gehorchen und alles ausführen, was er dir aufträgt.«

»O gnädigster Herr, Eure Durchlaucht wissen, wie ich stets bereit gewesen bin, Ihnen und unserer allergnädigsten Kaiserin in allen Stücken zu dienen, aber es tut mir weh, Mirowitsch dem Verderben zu überliefern; er war mein Freund, hat mir nie Böses getan, und dann«, fügte er plötzlich erbleichend hinzu, »würde ich nicht – würde ich dann, wenn ich ihm recht gebe und seinen Anordnungen gehorche, würde ich dann nicht in der Tat sein Mitschuldiger werden – und wenn ich ergriffen würde, würde ich nicht dem Schafott verfallen wie er?«

»Dem Schafott verfallen,« antwortete Orloff, »wenn du meinen Befehlen gehorchst?«

»Und wenn Eure Durchlaucht mich vergessen?« fragte Uschakoff.

»Du bist töricht, Pavjel Sacharjewitsch,« sagte Orloff, indem er mit spöttischem Lächeln in Uschakoffs erregtes Gesicht blickte, »du bist töricht, daran zu denken. Wenn ich dich nicht schützen wollte, was hinderte mich, dich heute hier in diesem Augenblick festzuhalten als den Mitschuldigen jenes Mirowitsch, der nach deinem eigenen Geständnis so hochverräterische Pläne mit dir besprochen hat und den man wohl zum Geständnis seiner Unterredung mit dir bringen würde? Glaubst du,« fügte er mit kaltem, hochmütigem Hohn hinzu, »daß irgendwer in Rußland von Gregor Orloff Rechenschaft fordern würde, wenn er den Leutnant Uschakoff vom Regiment Smolensk wegen Hochverrats kassieren und nach Sibirien schicken ließe?«

Uschakoff wurde erdfahl; er empfand die furchtbare Wahrheit der Worte des allmächtigen Feldzeugmeisters, schaudernd ließ er den Kopf auf die Brust sinken.

»Du siehst also,« sagte Orloff, »daß du wohl tun wirst, ganz genau und ohne Bedenken meine Befehle zu befolgen, denn meine Hand allein vermag dich zu schützen und emporzuheben zu Reichtum und Ehre, wenn du mir gute Dienste leistest.«

»Ich werde tun, was Eure Durchlaucht befehlen«, erwiderte Uschakoff mit dumpfer, bebender Stimme.

»Und du wirst mir stets alles mitteilen, was Mirowitsch plant und tut, hörst du wohl, ganz genau; nichts darf mir entgehen. Ich werde dafür sorgen, daß du regelmäßig mit dem Rapport des Kommandanten von Schlüsselburg hierher geschickt wirst.«

»Ich habe vergessen, Eurer Durchlaucht zu berichten,« sprach Uschakoff, »daß Mirowitsch daran denkt, hier in der Hauptstadt, in den Kasernen der Garden Genossen zu gewinnen, um, wenn die Befreiung des Gefangenen gelungen ist, denselben gleich hier durch die Soldaten proklamieren zu lassen.«

»Bei Gott, er ist nicht ungeschickt, dieser kleine Mirowitsch!« sagte Orloff. »Und hat er Aussicht, solche Unterstützung zu finden?«

»Er hat mir den Auftrag gegeben«, sagte Uschakoff, welcher in willenloser Resignation jeden Widerstand gegen die ihm übertragene Rolle aufgegeben hatte, »den Leutnant Semen Tschewaridew von der Artillerie vorsichtig auszuforschen.«

»Tue das, tue das,« rief Orloff lebhaft, »und sage mir dann, was du erreicht hast!«

»Auch hat Mirowitsch mir einen Auftrag und einen Brief an die Schauspielerin Adeline Lemaitre gegeben, doch das betrifft nur seine Liebesangelegenheit und steht in keinem Zusammenhang mit seinem hochverräterischen Plan.«

»Wie schlecht kennst du die Welt!« sagte Orloff. »Gib das Billett her, laß sehen, was es enthält; die Fäden aller politischen Verschwörungen laufen fast immer durch die Hände der Frauen.«

Uschakoff gab dem Fürsten das Billett, das ihm Mirowitsch anvertraut hatte.

Orloff öffnete dasselbe mit einer seiner wilden, hastigen Natur sonst fremden Vorsicht und durchlas es langsam.

»Er macht ihr Hoffnung, er spricht von einer glänzenden Zukunft, er beschwört sie, auszuharren und ihm treu zu bleiben, das ist gut. Du wirst dieses Billett der kleinen Schauspielerin übergeben, du wirst sie bestimmen, zu antworten, aber ihre Antwort wirst du mir bringen, du wirst dich bereit erklären, den Briefwechsel zu vermitteln, verstehst du wohl, damit sie keine anderen Wege sucht, aber niemals darf ein Billett von ihr zu Mirowitsch gelangen.«

»Zu Befehl, Durchlaucht!« sagte Uschakoff.

Orloff verschloß das Billett an Mademoiselle Lemaitre wieder mit einem kleinen Siegel, das eine gleichgültige Devise trug, dann entließ er Uschakoff, nachdem er ihm nochmals eingeschärft hätte, seine ganze Geschicklichkeit in dieser Angelegenheit aufzubieten.

»Alles geht vortrefflich«, rief er, als der Offizier das Zimmer verlassen hatte; »dieser Mirowitsch ist ein kostbarer Fund, und noch hat mich das Glück nicht verlassen! Sie soll erbeben vor der Gefahr, die hier so nahe ihr Haupt erhebt, sie soll es empfinden, daß ihr Thron zusammengebrochen wäre, wenn Gregor Orloffs Wachsamkeit ihn nicht gerettet hätte, und bald wird an den fernen Grenzen der Steppen der Aufruhr lodern, von zwei Seiten wird sich gegen sie das Blut der Romanows erheben, die sie vom Throne verdränget hat, und Gregor Orloff allein wird es sein, dessen kühner Mut und starker Arm ihren Thron zu schützen vermag – dann wird sie's empfinden, daß sie, die Fremde, die keine Wurzeln hat im russischen Volke, meiner bedarf, um Kaiserin zu bleiben, wie sie meiner bedurfte, um Kaiserin zu werden; daher Klugheit und Verstellung, wie mein Bruder Alexis sie mich lehrte!«

Uschakoff war zu Fräulein Adeline gegangen; er fand das schöne Mädchen in Tränen aufgelöst, denn trotz der Hoffnung, welche die Kaiserin ihr gegeben, hatte sie von ihrer Mutter schwere Vorwürfe wegen ihres eigenmächtigen Schrittes zu ertragen gehabt. Die alte Frau scheute jede Berührung mit den Intrigen des Hofes, und die sicheren Millionen Firulkins lockten sie mehr als alle Hoffnungen, welche die Kaiserin dem Geliebten ihrer Tochter eröffnet hatte; aber dennoch wagte sie nicht, den Besuch Uschakoffs abzuwehren, welcher den Damen, scheinbar ohne Kenntnis des Vorgangs, einen Gruß seines Kameraden brachte.

Uschakoff fand Gelegenheit, während die Alte hinausging, um dem Gaste ein Glas Likör und ein Biskuit als Erfrischung zu bieten, der schönen Adeline das Billett ihres Geliebten zu übergeben und ihr zu sagen, daß er bei der Rückkehr von der Theaterprobe sie erwarten und ihre Antwort in Empfang nehmen werde, auf welche Mirowitsch mit Zuversicht hoffe.

Die Tränen der jungen Schauspielerin versiegten schnell, und sie hatte Mühe, vor ihrer Mutter das Übermaß des Entzückens zu verbergen, das so schnell auf ihren Kummer folgte.

Uschakoff empfahl sich bald und ging unter dem Scheine eines freundschaftlichen Besuches nach der Artilleriekaserne, wo er mit dem Leutnant Semen Tschewaridew, einem jungen Offizier von jener altmoskowitischen Partei, welche nur mit dumpf knirschendem Widerwillen die Herrschaft der fremden, der in der Ketzerei geborenen und immer noch der Ketzerei verdächtigen Kaiserin ertrug, eine lange Unterredung hatte. Schon die ersten Andeutungen über den von Mirowitsch gefaßten Plan fanden bei Tschewaridew begeisterte Aufnahme, er versicherte, daß er unter seinen Soldaten für eine genügende Anzahl von Anhängern bürgen könne, welche dann die übrigen mit sich fortreißen würden; wenn die Artillerie den befreiten Iwan anerkenne und zum Kaiser ausrufe, so würde niemand mehr Widerstand leisten können, denn vor den aufgefahrenen Kanonen würden auch die der Kaiserin ergebenen Regimenter zurückweichen.

Traurig und finster hörte Uschakoff Tschewaridews Hoffnungen und Versicherungen an. Es war ein neues Opfer, das er dem Verderben auslieferte. Er schauderte vor sich selbst zurück. So kalt und rücksichtslos er auch bisher die Bahnen zu den lockenden Zielen seines Ehrgeizes verfolgt hatte, so war doch noch niemals das Leben vertrauender Freunde der Einsatz seines Spieles gewesen. Aber er mußte vorwärts; er hatte sich in Orloffs Hand gegeben, und es blieb ihm kein Zweifel, daß der Gewaltige ihn vernichten würde, wenn er jemals zögern wollte, sich zu dessen willenlosem Werkzeug herzugeben. So betäubte er die Anklage seines eigenen Gewissens und bestärkte sich selbst immer mehr in seiner kalten, zynischen Weltanschauung, daß das Leben ein Kampf aller gegen alle um Macht und Genuß sei, daß man von jeder Stufe, die man besteigen wolle, einen anderen verdrängen müsse und daß man den errungenen Platz dann wieder gegen Hunderte von ebenso rücksichtslosen Angreifern zu verteidigen habe.

Er verließ Tschewaridew, nachdem er von demselben die Namen einiger anderen Offiziere der Artillerie erfahren hatte, die jener für am meisten geeignet und geneigt hielt, um den gefährlichen Plan des Leutnants Mirowitsch zu unterstützen. Dann begab er sich zur Zeit, als die Probe des Schauspiels des kaiserlichen Theaters beendet war, auf den Platz vor dem Winterpalais, um Fräulein Adeline zu erwarten.

Während er hier langsam auf und ab ging, immer den zum Theatersaal führenden Seitenausgang im Auge behaltend, bemerkte er, trotz des lebhaften Verkehrs auf der Straße, die ziemlich auffallende Gestalt eines alten, steifen Mannes, der mit übertriebener Eleganz gekleidet war und fast genau dieselbe Strecke wie er selbst durchmaß, immer in einer gewissen Entfernung wieder umkehrend und ebenso wie er den Ausgang des kaiserlichen Theaters mit seinen Blicken bewachend. Er hätte, ganz mit seinen Gedanken beschäftigt, diesen Mann, obwohl dessen Weg immer wieder den seinen kreuzte, dennoch übersehen, wenn jener ihn nicht mit drohend herausfordernden Blicken beobachtet hätte, die immer feindlicher und giftiger wurden, je öfter die Wege der beiden sich kreuzten, auch war ihm diese Erscheinung, wie alles, was nicht unmittelbar die Bahn seines ehrgeizigen Strebens berührte, zu gleichgültig, als daß er auch nur einen Augenblick über dieselbe nachdachte, nur konnte er, als der komisch aufgeputzte Alte immer wieder an ihm vorüberging, ein unwillkürliches Lächeln über die groteske Figur nicht unterdrücken und gab sich auch keine Mühe, dasselbe zu verbergen, was zur Folge hatte, daß jener ihn bei jeder Begegnung nur noch feindlicher und giftiger ansah.

Endlich öffnete sich das von den beiden so scharf beobachtete Portal des Winterpalais. Plaudernd und lachend traten die Schauspieler auf die Straße.

Uschakoff erkannte Fräulein Adeline und eilte schnell, indem er sich rücksichtslos durch die Vorübergehenden Bahn brach, zu ihr hin.

Das junge Mädchen begrüßte ihn mit freudigem Erröten, sie reichte ihm unbefangen ihre Hand, und er fühlte in demselben Augenblick ein eng zusammengefaltetes Billett in der seinen, das er sogleich in seiner Uniform verbarg. Während er noch einige gleichgültige Worte mit Adeline sprach, die von einer Gruppe ihrer Kolleginnen umgeben war, drängte sich plötzlich die auffallende Gestalt, welche vorher seine Aufmerksamkeit und Heiterkeit erregt hatte, zwischen ihn und die junge Schauspielerin; zugleich fuhr ein eleganter, offener Wagen, mit drei prachtvollen Pferden bespannt, heran.

»Ich darf mir wohl erlauben,« fragte der Alte, indem er Uschakoff geflissentlich den Rücken wendete, »Sie in meinem Wagen und unter meinem Schutz nach Hause zu führen, Fräulein Adeline; es scheint mir nicht ziemend, daß Sie Ihren Weg allein machen, da es Leute gibt, die es wagen, eine junge Dame, die ohne Schutz über die Straße geht, mit ihrer Zudringlichkeit zu belästigen.«

Uschakoff sah den Alten mehr noch verwundert als unwillig an.

Ehe er noch eine Frage an Fräulein Adeline richten konnte, sagte diese, unter den neugierigen Blicken ihrer Gefährtinnen hoch errötend, mit zornig blitzenden Augen:

»Ich danke Ihnen, Herr Firulkin; ich habe oft meinen Weg allein gemacht, ohne daß ich mich über irgendeine Zudringlichkeit zu beklagen gehabt hätte, heute aber bin ich vollends sicher, denn ich befinde mich unter dem Schutze dieses Herrn, den ich für besser halte als manchen anderen.«

Sie gab Uschakoff ihren Arm und schritt, von ihm geführt, schnell davon, ohne den in sprachloser Wut zitternden Firulkin noch eines Wortes zu würdigen.

Die Schauspieler, welche in der Nähe standen und den Vorgang mit angesehen hatten, lachten; eine der jungen Damen aber trat zu dem Alten heran und sagte:

»Sie sehen, Herr Firulkin, daß Adeline sehr wenig den Vorzug zu würdigen weiß, den Sie ihr geben. Sie können sich für den Affront, den sie Ihnen angetan, nicht besser rächen, als wenn Sie sie mit Gleichgültigkeit und Verachtung strafen und einer von uns den Platz in Ihrem Wagen bieten, den sie so unartig verschmäht hat.«

Die Blicke und das Lächeln der jungen Damen zeigten deutlich, daß sie gern bereit seien, Herrn Firulkin an der übermütigen Adeline zu rächen und in seinem Herzen deren Platz einzunehmen; aber der Alte hörte nicht auf sie, schwer atmend vor Wut, eilte er zu seinem Wagen und befahl dem Kutscher, nach dem Palais des Fürsten Orloff zu fahren.

Im scharfen Trabe flog das Dreigespann davon, während das Gelächter und die spöttischen Reden der Schauspieler dem Alten nachklangen.

Firulkin war als einer der begünstigsten Lieferanten der Dienerschaft des Marmorpalais bekannt, und wurde daher auf seine dringende Bitte sogleich dem Fürsten gemeldet und von demselben vorgelassen.

Orloff lag auf seinem Diwan ausgestreckt und fragte, als der Alte außer Atem eintrat, mit hochmütig gleichgültigen Blicken:

»Was willst du, Peter Sebastianow? Hast du mir etwas zu bringen, so gib's her, aber hüte dich, daß es nichts Gewöhnliches ist, was du jedermann bieten kannst!«

»O gnädigster Herr,« rief Firulkin mit bebender Stimme, »gnädigster Herr, ich komme, Ihren Schutz anzuflehen gegen einen Unverschämten, der es gewagt hat, Ihren untertänigsten Diener zu beleidigen und zu verspotten; das ist etwas Unerhörtes!«

»Du willst klagen,« rief Orloff, »das ist langweilig; hätte ich das gewußt, so hätte ich dich nicht vorgelassen!«

»O gnädigster Herr,« rief Firulkin, »die Frechheit, über die ich mich beklage, richtet sich nicht gegen mich, sondern gegen Sie selbst. Haben Eure Durchlaucht mir nicht Ihren Schutz zugesagt für meine Bewerbung um die Schauspielerin Adeline Lemaitre, haben Sie mir nicht versprochen, daß sie mein werden soll trotz jenes unverschämten Wassili Mirowitsch?«

»Nun?« fragte Orloff.

»Nun, Durchlaucht,« fuhr Firulkin immer in derselben zitternden Erregung fort, »als ich eben Fräulein Adeline vom Theater abholen wollte, unterhielt sie sich vor meinen Augen mit einem Offizier, der dieselbe Uniform trug wie jener Mirowitsch; sie ließ mich stehen und ging an seinem Arm davon. O Durchlaucht, Durchlaucht, das ist eine Unverschämtheit ohnegleichen. Da ihre Mutter dem Leutnant Mirowitsch das Haus verboten hat, verkehrt sie jetzt mit ihm durch einen Kameraden, wenn sie nicht etwa gar mit beiden in einem leichtfertigen Verhältnis steht.«

»Habe ich dir nicht gesagt, Peter Sebastianow,« sagte Orloff gähnend, »daß es töricht ist, wenn ein alter Narr wie du sich mit einer jungen Schauspielerin einläßt! Sie wird dir Hörner aufsetzen, die du mit deinen künstlichen Pariser Toupets nicht verdecken kannst.«

»Aber Eure Durchlaucht haben mir Ihren Schutz versprochen,« rief Firulkin außer sich, »Eure Durchlaucht werden Ihr Wort halten; es ist Hochverrat, einen Mann zu betrügen, den der Fürst Orloff unter seinen Schutz gestellt hat!«

Die Worte des Alten hatten fast drohend geklungen; seine blutlosen Lippen bebten; seine kleinen, stechenden Augen funkelten vor Zorn.

Orloff richtete sich langsam auf und stützte sich auf den Ellenbogen.

»Höre, Peter Sebastianow,« sagte er, »du erkühnst dich da, in einem sonderbaren Ton mit mir zu sprechen. Was würdest du sagen, wenn ich meine Leute hereinriefe und dir einige Knutenhiebe aufzählen ließe?«

»Durchlaucht, Durchlaucht,« rief Firulkin zitternd, »habe ich eine Strafe verdient, wenn ich Ihrem Wort traue, wenn ich Sie an Ihr Wort erinnere?«

»Mein Wort muß einem Lumpen wie du genug sein,« sagte Orloff, indem er seinen Kopf wieder in die Kissen zurücksinken ließ, »und wer mich an mein Versprechen erinnert, begeht die Unverschämtheit, daran zu zweifeln, das merke dir. Und jetzt pack' dich fort, oder, bei Gott, ich mache meinen Lakaien das besondere Vergnügen, der Kehrseite deiner lächerlichen Figur die Regeln des Anstandes einzuprägen!«

Firulkin preßte keuchend seine Lippen aufeinander und wendete sich, seinen Hut in den Händen zerdrückend, zur Tür.

Trotz seiner Wut wagte er kein Wort weiter, denn er kannte Orloff zu gut, um nicht zu wissen, daß derselbe bei jedem Hauch eines weiteren Widerspruches aus seiner Drohung Ernst machen würde.

Als er mit zitternden Schritten die Tür erreicht hatte, rief ihn Orloff zurück.

»Oh,« rief er ganz glücklich, »Eure Durchlaucht haben nur zu scherzen beliebt, Eure Durchlaucht wollen meine Bitte erhören und jenen Unverschämten bestrafen?«

»Höre, Peter Sebastianow,« sagte Orloff, ohne auf Firulkins Worte zu achten, »du hast früher zuweilen meine Zufriedenheit verdient, und darum will ich dir Gelegenheit geben, deine Impertinenz wieder gutzumachen, damit ich sie dir verzeihen kann. Die Kaiserin hat vor einigen Tagen aus der Ukraine ein Gespann für ihre Troika erhalten. Du kannst dir die Pferde im Marstall ansehen, sie sind von außerordentlicher Schönheit und von einer Schnelligkeit, welche diejenige meiner besten Traber überbietet. Ich will nicht, daß irgend jemand in Petersburg, und wäre es auch die Kaiserin, bessere Pferde habe als ich, du wirst mir ebensolche Tiere verschaffen, verstehst du wohl, mindestens eben solche. Du hast ja deine Agenten überall, laß die Ukraine durchsuchen, und wenn du gefunden hast, was ich bedarf, so melde dich bei mir.«

»Und Eure Durchlaucht werden den unverschämten Offizier bestrafen?« fragte Firulkin; »Eure Durchlaucht werden den Trotz dieser Mademoiselle Adeline brechen?«

»Davon wollen wir sprechen,« erwiderte Orloff, »wenn ich eine Probefahrt mit deinen Pferden werde gemacht haben. Jetzt pack' dich, du weißt, wie du meine Gnade wieder erwerben kannst!«

Firulkin wollte sprechen, aber ein donnerndes »Hinaus!« des Fürsten ließ ihn im Hauch eines Augenblickes aus dem Zimmer verschwinden.

Als er die Treppe hinabstieg, begegnete ihm auf den untersten Stufen der Leutnant Uschakoff.

Wie gelähmt blieb der Alte stehen, als er den Offizier, über den er sich eben vergebens beklagt hatte, so unbefangen und sicher die Treppe heraufsteigen sah, als ob derselbe im Palais des allmächtigen Feldzeugmeisters zu Hause wäre.

»Sie können ruhig sein, Herr Firulkin,« sagte Uschakoff spöttisch, »Fräulein Adeline ist ohne jeden Unfall nach Hause gekommen, und niemand hat es gewagt, sie mit seiner Zudringlichkeit zu belästigen.«

Er nickte freundlich und verschwand in dem Korridor des Palastes.

Firulkin sah ihm einen Augenblick sprachlos nach; dann stieg er schwankenden Schrittes die Treppe hinab. Seine Lippen bebten, aber er hütete sich wohl, den Gefühlen, die seine kochende Brust zu zersprengen drohten, hier im Bereich des Gewaltigen Worte zu geben.

Als er in seinen Wagen gestiegen war, ballte er die Fäuste und warf einen Blick voll grimmigen Zornes nach dem Palais zurück.

»Ich bin betrogen,« stöhnte er, »schändlich betrogen; oh, meine Diamanten, meine Pferde, von denen ich noch nicht einmal weiß, wie ich sie anschaffen soll; wo gibt es noch Gerechtigkeit auf Erden!«

Er sank wie gebrochen auf seinem Sitz zusammen, während die Troika pfeilschnell nach dem Hause des Millionärs dahinfuhr.


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