Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

29. Kapitel

Das Leben am Hofe hatte in gewohnter Weise unter Zerstreuungen aller Art seinen Fortgang genommen, die Kaiserin hielt ihre kleinen Abendcercles in der Eremitage, welche ein- bis zweimal in der Woche durch große Hoffeste unterbrochen wurden, bei denen die ganze Hofgesellschaft von Petersburg ihren fabelhaften Glanz entfaltete, und bei welchen dann auch zuweilen die bürgerlichen Kreise der Residenz völlig freien Zutritt erhielten, ohne besondere persönliche Einladung und nur mit der Bedingung eines vorgeschriebenen Hofkostüms.

Die Kaiserin zeigte bei allen diesen großen Festen, sowie auch in dem kleinen Kreise ihrer Vertrauten stets eine liebenswürdige Freundlichkeit gegen jedermann. Sie bewegte sich bei den großen, öffentlichen Assemblees frei und ungezwungen unter dem ihr zum Teil ganz unbekannten Publikum, sie redete einzelne Bürger mit leutseliger Herablassung an, fragte nach ihrem Namen und dem Gange ihrer Geschäfte, und selbst ihr Adjutant, der stets in ihrer Nähe ihres Befehles gewärtig war, mußte bei solchen Rundgängen ihr in größerer Entfernung folgen, um die freie Annäherung ihrer Gäste, deren Gedränge auf und ab wogte, in keiner Weise zu beschränken. Ihr Gesicht strahlte von sorgloser Heiterkeit, ihre Unterhaltung war fröhlicher als je, und sie verstand es mit gleicher Meisterschaft und Sicherheit, in russischer Sprache irgendeinem Handwerksmeister ein derbes und kräftiges Scherzwort zu sagen, wie mit Diderot in geistvollen Pointen und feinen Wortspielen zu wetteifern. Alles schien auf den glänzenden Höhen, welche den kaiserlichen Thron umgaben, vom Sonnenlicht eines ungetrübten Glückes überstrahlt.

Das Volk von Petersburg ahnte in jener Zeit, welche keine Telegraphie und keine Presse besaß, und in welcher auch durch die kaiserliche Post niemand mißliebige Nachrichten zu verbreiten wagte, nichts von Romanzows gefährlicher Stellung an der türkischen Grenze und nichts von der wachsenden Gefahr, welche in Pugatschews Aufstand von den Steppen des Yaik her drohte, und die großen Kaufleute, welche durch ihre Agenten zuverlässigere Nachrichten aus dem Süden des Reiches erhielten, hüteten sich wohl, von denselben zu sprechen.

Trotz dieser Äußerungen heiterer Ruhe war die Kaiserin von banger Unruhe bewegt und von schweren Sorgen gequält, und sie bedurfte ihrer ganzen außerordentlichen Willenskraft, um das Lächeln auf ihren Lippen und die stolze, zuversichtliche Sicherheit in ihren Blicken festzuhalten, denn in der Tat war ihre Lage mißlich und bedrohlich genug, und niemand konnte so klar wie sie selbst die Gefahr erkennen, welche ihrer scheinbar so unerschütterlichen Macht und ihrem an allen Höfen maßgebenden Einfluß drohte. Wenn Romanzow geschlagen wurde oder sich vor der türkischen Übermacht zurückziehen mußte, wenn er nicht einen entscheidenden Sieg gewann und die von ihr früher bestimmten Friedensbedingungen erzwang, so war der Nimbus der russischen Waffen nach dem Orient hin zerstört, und sie wurde gezwungen, ihre Hand von Polen zurückzuziehen und alle ihre hochfliegenden Pläne der Einverleibung polnischer Provinzen und der Errichtung einer dauernden Schutzhoheit über die Republik aufzugeben, denn schon der Abgang der Truppen, welche Soltikow nach der türkischen Grenze geführt hatte, ließ die Feinde Rußlands zu neuen Anstrengungen gegen die Unterdrückung aufatmen; hatte die russische Politik aber erst so entscheidende Schritte rückwärts getan, so war es mit ihrem auf die Furcht begründeten Einfluß in Europa zu Ende, es war gewiß, daß der König von Preußen sich dann vorsichtig zurückziehen, daß Österreich sich, seine neidische Feindschaft kaum verhüllend, Frankreich anschließen, und daß England als Preis seines Bündnisses die rücksichtslose Ausbeutung des russischen Handels fordern würde.

Nicht minder bedroht war ihre Herrschaft im Innern des Reiches. Pugatschew hatte die weiten Gebiete am Don fast vollständig seiner Macht unterworfen, selbst die mächtigsten Sultane der Kirgisen hatte er für seine Sache gewonnen. Sein Heer, das er mit eiserner Energie in strenger Disziplin hielt, betrug bereits weit über hunderttausend Mann und mit jedem Tage schwärmten seine Reiterscharen näher gegen Moskau heran, so daß der Kommandant bereits immer dringendere Bitten um Verstärkung an die Kaiserin sendete. Der Fürst Galizyn, welcher mit allen im Südosten des Reiches zusammengezogenen Truppen gegen Pugatschew ausgezogen war, hatte eine empfindliche Niederlage erlitten und war nicht imstande, Moskau gegen einen ernsten Angriff, der jeden Tag erfolgen konnte, zu decken. Die Lage war um so gefährlicher, als die Kaiserin den von Diderot angeregten Gedanken ausgeführt und dem erstaunten Europa das wunderbare und eigentümliche Schauspiel bereitet hatte, ein russisches Parlament in Moskau versammelt zu sehen. Alle Stände des Reiches, die Geistlichkeit, der Adel, die Städte und die freien Bauern hatten dahin Abgeordnete entsenden müssen, und in einem der großen Säle des alten Kreml tagte diese wundersame Versammlung, deren Mitglieder zu einem großen Teil weder lesen noch schreiben konnten und nicht den geringsten Begriff von öffentlichem Leben und öffentlichem Recht besaßen. Die Kaiserin mochte durch dieses Parlament sich von dem westlichen Europa einen neuen Titel der Bewunderung erwerben wollen, sie mochte auch daran denken, sich in der Dankbarkeit des Volkes selbst ein Gegengewicht gegen die Zeichen der geheimen, aber doch immer wieder bedenklich hervortretenden Abneigung zu schaffen, welche der alte moskowitische Adel ihr, der Fremden, entgegentrug, und sie hatte der merkwürdigen Versammlung einen Teil des von ihr ausgearbeiteten Gesetzbuches für das Reich vorlegen lassen, allein obwohl die meisten Deputierten bei ihrem Zusammentritt kaum einen Begriff davon hatten, was sie eigentlich sollten, so zeigte sich doch bald hier der Instinkt, welcher in allen parlamentarischen Versammlungen lebendig ist: bei der Prüfung des von der Kaiserin begonnenen Gesetzbuches wurden Stimmen laut, welche für die zu erhebenden Steuern Selbstabschätzung der einzelnen Distrikte verlangten, und was noch gefährlicher war, einige Stimmen forderten laut die völlige Befreiung der Bauern und die Aufhebung der Leibeigenschaft. Durch die Abgeordneten selbst gelangte die Kunde von diesen Verhandlungen des Reichstages in die Provinz, und es zeigten sich mehrfach bedenkliche Gärungen unter der Landbevölkerung, welche zwar der Kaiserin laut ihren Dank dafür zurief, daß sie das Volk selbst über seine Gesetze hören wolle, aber zugleich den Adel bedrohte, der sich den wohltätigen Absichten der Kaiserin aus Eigennutz entgegenstemme.

Es kam zu stürmischen Szenen im Reichstag, mehrere Vertreter des grundbesitzenden Adels hatten drohend erklärt, daß sie jeden niederstoßen würden, der es wagte, ihr Eigentumsrecht an den Leibeigenen in Frage zu stellen, die Verwirrung wurde dadurch noch größer, daß auf der anderen Seite der Graf Scheremetjew, der reichste Grundeigentümer Rußlands, sich an die Spitze der Reformbewegung stellte und laut erklärte, daß er für seine Person bereit sei, in die völlige Freigebung aller seiner Leibeigenen zu willigen. Alle diese Bewegungen wurden durch das Herandrängen und die siegreichen Fortschritte Pugatschews immer gefährlicher, denn auch er hatte ja die Befreiung der Bauern und die Aufhebung der Leibeigenschaft proklamiert; gelang es ihm, in Moskau einzudringen, so konnte er gar leicht die dort tagende Ständeversammlung für sich gewinnen, und wenn dieselbe ihn als Peter III. anerkannte, wenn unter der Teilnahme der Vertreter des ganzen russischen Volkes in der alten Reichshauptstadt seine Krönung erfolgte, so war Katharinas Macht der Todesstoß versetzt.

Freilich hatte die Kaiserin in einem offenen Manifest Pugatschew für einen Betrüger und Hochverräter erklärt und seine Niederwerfung und Bestrafung befohlen. Damit war die Sache für die offizielle Welt des Hofes und für die Bevölkerung von Petersburg abgetan und beendigt, aber die Kaiserin selbst wußte dessenungeachtet ganz genau, wie bedenklich sich die Verhältnisse entwickelten und welche Gefahr ihrer Macht und sogar den Wurzeln ihrer Herrschaft von allen Seiten her drohte, und was ihre Sorge noch vermehrte und verbitterte, war das Bewußtsein, daß den fremden Diplomaten an ihrem Hofe und also auch den europäischen Kabinetten die Gefahr ihrer Lage ganz genau bekannt sei.

Alle diese Sorgen drückten sie noch schwerer, als sie dieselben ganz allein tragen mußte und keinen Vertrauten hatte, dem sie ihr Herz ohne Rückhalt ausschütten konnte. Wohl schwebte oft ein Wort erleichternder Mitteilung, eine Frage um Rat auf ihren Lippen, wenn Potemkin vor ihr stand und sie in das stolze, männlich schöne, von Mut und Willenskraft strahlende Gesicht desselben blickte, aber der Stolz und das Mißtrauen der Herrscherin drängten das Wort wieder zurück, das aus dem Herzen der liebenden Frau emporstieg, denn niemals sprach Potemkin mit ihr von der Lage des Reiches und den drohenden Gefahren; er hatte glühende Worte der Leidenschaft, und all seine Gedanken schienen ausschließlich mit der Erfindung und dem Arrangement immer neuer Feste beschäftigt.

Sie zürnte ihm darüber; entweder war er verblendet und beschränkt genug, um alle jene Gefahren nicht zu sehen, und die Neigung der Kaiserin nur als ein Mittel zur Zerstreuung zu betrachten, oder er dachte klein genug, um die Herrschaft seiner Gebieterin nur für sich auszunützen, so lange sie dauerte, und sich von ihr zu wenden, sobald eine gefährliche Wendung eintreten sollte. Häufig regte sich bei dieser Gleichgültigkeit ihres Günstlings ein bitteres Gefühl von Mißachtung in ihrem Herzen, und vielleicht hätte sie ihn auch als ihrer Gunst unwürdig fallen lassen, wenn nicht der Eindruck seiner männlichen Schönheit zu mächtig gewesen wäre.

Bei Panin fand sie keinen Rat, er hatte nur Vorwürfe für Orloff, welcher durch seine eigenmächtige Unterbrechung der Verhandlungen von Fokschani den rechtzeitigen Friedensschluß mit der Türkei verhinderte, und er wußte ihr keinen anderen Ausweg zu zeigen, als direkte Verhandlungen in Konstantinopel, um durch Bestechung der Wesire von dem neuen Sultan einen erträglichen Frieden zu erlangen. Die Trägheit und Indolenz ihres Ministers der Auswärtigen Angelegenheiten, welcher oft wochenlang die eingegangenen Depeschen nicht las und ihr deshalb bequem gewesen war, weil er ihrem Willen selten Einwand und niemals Widerstand entgegensetzte, wurde ihr nun, da sie mutigen und kräftigen Beistand bedurfte, verhängnisvoll.

Orloff hatte sie seit Potemkins Erhebung zu ihrem Adjutanten allein zu sehen vermieden, und wenn sie ihn auch vor der Hofgesellschaft stets unverändert mit der früheren Auszeichnung behandelte, so stand doch eine ihr selbst am meisten fühlbare Entfremdung zwischen ihm und ihr. Um so lebhafter erinnerte sie sich jetzt der vergangenen Zeiten, da sie stets in Orloffs tollkühnem Mut und in seiner rücksichtslosen Verachtung jeder Gefahr eine feste Stütze bei allen Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten gefunden hatte.

Lange kämpfte der Stolz der Kaiserin und das peinliche Gefühl der Frau gegen den immer dringenderen Wunsch, auch gegen die Gefahr dieses Augenblicks, welche größer war als alle früheren, die bewährte Kraft des zurückgesetzten und gekränkten Fürsten zu Hilfe zu rufen; endlich aber siegte die Notwendigkeit der Selbsterhaltung und die beängstigende Empfindung der hilflosen Einsamkeit auf dem so schwer errungenen und von allen Seiten gefahrvoll angegriffenen Thron.

Die Kaiserin hatte neue niederschlagende Nachrichten von Pugatschew erhalten, man meldete ihr, daß der Reichstag immer stürmischer sich entwickle und immer mehr die Haltung einer auf die Volkssouveränität gestützten, obersten und entscheidenden Instanz im Reiche annehme. Sie hatte nach der Durchlesung dieser Depeschen eine Stunde mit Diderot verplaudert, der nicht müde wurde, die große Freisinnigkeit zu preisen, mit der sie in der Berufung eines Parlamentes allen Mächten Europas vorangegangen sei, und zugleich in seiner geistvollen, aber unruhig abspringenden Weise von den neuen Erzeugnissen der französischen Literatur und von seinen originellen Gedanken über die Systeme der Philosophie sprach. Seine Schmeicheleien hatte sie fast wie bitteren Hohn empfunden, seine geistvolle Plauderei war ihr unendlich gleichgültig und nichtig erschienen, und unter dem Zwange dieser Konversation hatte sich ihr Herz um so schmerzlicher zusammengeschnürt.

»Nein,« rief sie, als der Philosoph sie endlich verlassen, indem sie sich, von dem peinvollen Zwange befreit, wie im Fieberschauer schüttelte, »nein, so darf es nicht bleiben, diese Qual ist nicht zu ertragen, es ist unwürdig, sich länger wie der Strauß vor der täglich wachsenden Gefahr zu verstecken. Soll ich zum erstenmal in meinem Leben mich fürchten, in meinem eigenen Hause, vor meinem eigenen Gefühl? Um das Reich meiner Herrschaft zu erhalten, muß ich vor allem mich selbst beherrschen, wie ich es stets getan.«

Sie bewegte die Glocke und ließ den Feldzeugmeister zu sich bescheiden.

In unruhiger Erwartung ging sie auf und nieder, bald leise mit sich selbst sprechend, bald einen Blick in die eingegangenen Depeschen werfend, und niemand hätte in dieser finster blickenden Frau mit dem schmerzlich zuckenden Gesicht und dem auf die Brust gesenkten Haupt die sonst so strahlende Kaiserin wiedererkannt, welche noch am Abend vorher in stolzer, ruhiger Heiterkeit den bewegenden und belebenden Mittelpunkt des glänzendsten Hofes von Europa gebildet hatte.

Orloff trat ein, er trug ganz im Gegensatz zu seiner sonstigen Gewohnheit seine große Uniform; es schien, als wolle er auch in seiner äußeren Erscheinung zeigen, daß er nur dem Befehl der Kaiserin folge.

Nach einer tiefen zeremoniellen Verbeugung blieb er in der Nähe der Tür stehen, ohne ein Wort zu sprechen.

Die Kaiserin hatte bei seinem Eintritt ihre sorgenvolle Bewegung zurückgedrängt; ruhig und ernst, mit leichter Befangenheit in ihrer Stimme, sagte sie:

»Ich habe mit dir zu sprechen, Gregor Gregorjewitsch, ich bedarf deines Rates, setz' dich zu mir.«

Sie nahm auf dem Kanapee vor ihrem Arbeitstische Platz. Orloff zog, immer noch in feierlich zeremonieller Haltung, einen Sessel heran.

»Mein Rat gehört allezeit meiner Kaiserin,« sagte er, »und wenn sie ihn auch lange nicht mehr gefordert hat, so lange,« fügte er vorwurfsvoll hinzu, »daß ich fast die Erinnerung an jene Zeit verloren habe, in der ich in der Tat der erste Würdenträger des Reiches war, so habe ich mich dennoch stets vorbereitet, ihr meinen Rat zu geben und meine Dienste zur Verfügung zu stellen, denn ich war gewiß, daß die Stunde kommen würde, in welcher sie zu ihrem alten, bewährten Freunde zurückkehren oder aufhören müßte, Kaiserin zu sein.«

Katharina schien die letzten Worte überhört zu haben.

»So weißt du, was geschieht,« sagte sie, »so kennst du meine Sorgen, die ich vor aller Welt verbergen muß?«

»Ich kenne sie,« erwiderte Orloff, »Pugatschew, der Abenteurer, ist bereits zu einem mächtigen Herrscher geworden, er rückt gegen Moskau vor; wenn er siegreich dort einzieht, so wird der Reichstag ihn zum Zaren ausrufen und er wird sich im Kreml die Krone Rußlands aufsetzen.«

Katharina zuckte zusammen, als Orloff so rücksichtslos in wenigen Worten den Kernpunkt der drohenden Gefahren und den Inhalt all ihrer Sorgen zusammenfaßte.

»Meine Kaiserin sieht,« sagte er, bitter lächelnd, »daß ich es noch immer verstehe, in ihrem Herzen zu lesen und mit scharfem Blick das Reich zu überwachen.«

»Die Gefahr«, sagte Katharina, »sehen auch die Feinde, und sie vielleicht am schärfsten; von dem Freunde erwarte ich, der Gefahr mit mir zu begegnen und sie zu besiegen.«

»Von dem Freunde,« erwiderte Orloff; »bin ich das noch, bin ich noch der Freund Katharinas oder der Diener der Kaiserin?«

»Und warum«, erwiderte Katharina, »hättest du je an meiner Freundschaft zweifeln sollen?«

»Laß die Verstellung!« rief Orloff heftig; »sie mag gut sein für die Hofschranzen mit ihren heuchlerischen, lächelnden Larven, aber sie taugt nicht für mich.«

»Die erste Bedingung, der erste Beweis der Freundschaft ist das Vertrauen; und ist nicht«, fragte Katharina fast schüchtern, »meine Frage, meine Bitte um deinen Rat ein Beweis meines Vertrauens? Du bist der einzige, an den ich diese Frage stelle, der einzige, dem ich einen Blick in mein Herz gestatte!«

»Nein,« rief Orloff heftig, indem er die bisher zur Schau getragene zeremonielle Devotion vollständig fallen ließ, »nein, Katharina, das ist nicht wahr, es ist nicht das Vertrauen, das dich in diesem Augenblicke zu mir führt, sondern die Furcht und die Gewißheit, daß du niemand hast, der stark und mutig genug ist, den Gefahren, die von allen Seiten gegen dich heranziehen, siegreich entgegenzutreten.«

»Und niemand,« fiel Katharina ein, indem sie ihre Hand vertraulich auf seinen Arm legte und ihn mit durchdringenden Blicken ansah, »niemand, der an dieser Gefahr so nahe beteiligt ist wie du. Was wäre Gregor Orloff, wenn eines Tages Katharina Alexiewna nicht mehr Kaiserin sein sollte?«

Orloff sah sie starr an, eine heftige Antwort schien auf seinen Lippen zu schweben, aber er hielt sie zurück und sagte finster:

»Du hast lange Zeit bedurft, um deinen einzigen, wahren Freund zu finden.«

»Ich bin gewiß,« sagte Katharina, »daß er nicht so lange Zeit brauchen wird, um mir den Weg der Rettung zu zeigen und die stillen Hoffnungen unserer lauernden Feinde zu vernichten. Was ist zu tun, Gregor Gregorjewitsch? Wir müssen um jeden Preis jenen Betrüger zerschmettern, wenn nicht schlimme Gärungen im Reiche entstehen sollen; alle Unzufriedenen werden sich ihm anschließen, nicht einmal die traurig lächerliche Komödie jenes Reichstages in Moskau kann ich schließen, bevor der Aufstand niedergeworfen ist.«

»Jene Komödie,« sagte Orloff, »die du nicht hättest spielen sollen; aber wenn du den Rat des geckenhaften französischen Philosophen und des pedantischen Panin hörst, so muß freilich Unheil entstehen.«

»Es war ein Fehler, ich gebe es zu,« sagte Katharina mit leichter Ungeduld, »doch was bleibt zu tun?«

»Zu handeln und zu schlagen!« rief Orloff.

»Wir haben gehandelt; wir haben Truppen ausgesendet, aber wir sind leider geschlagen worden«, seufzte Katharina.

»Heißt das handeln,« sagte Orloff, »wenn man eine Handvoll Truppen unter kleinen, unfähigen Generalen gegen einen Menschen ausschickt, der die Horden der Steppen bewaffnet, um seine Hand nach der Krone auszustrecken; was liegt jenem Galizyn und seinesgleichen daran, ob Katharina Alexiewna über Rußland herrscht oder Yemelka Pugatschew unter dem Namen Peter Feodorowitsch?«

»Du verleumdest, Gregor Gregorjewitsch,« sagte Katharina, »Galizyn ist treu.«

»Treu!« rief Orloff hohnlachend; »wer war dir treu, als du einsam und ohnmächtig dastandest; wer glaubte an dich, als deine Freiheit und dein Leben an einem Haar hingen? Und, bei Gott, sollte jener Pugatschew Moskau erreichen, sollte er dann als gekrönter Zar von dort gegen Petersburg heranziehen, du würdest eine sonderbare Treue bei allen denen kennen lernen, die jetzt vor dir im Staube kriechen!«

Katharina blickte düster zu Boden. Sie empfand bitter die Wahrheit dieser Worte.

»Galizyn war unfähig«, sagte sie dann zögernd, als ob sie sich entschuldigen wolle; »ich habe den General Panin abgesendet, um an seiner Stelle das Kommando zu übernehmen.«

»Den Bruder deines vortrefflichen Ministers«, lachte Orloff. »Nun, wenn er ebenso faul ist, wie dieser, so wird er Pugatschew ruhig Zeit lassen, in Moskau einzuziehen.«

»Aber du hast das alles gewußt,« sagte Katharina, »Panin hat sich bei dir gemeldet.«

»Ich habe keine Zeit für ihn gehabt«, sagte Orloff hochfahrend. »Was geht mich das alles an? Wenn ich handeln soll, so muß ich allein handeln und befehlen!«

»Und was würdest du tun,« fragte Katharina, »wenn ich dich bäte, allein zu handeln?«

»Ich würde an Truppen heranziehen, was in Polen irgend zu entbehren ist,« rief Orloff, indem seine Augen siegesstolz aufblitzten, »und das wird viel sein, denn Polen entrinnt uns nicht; ich würde die Garde ausrücken lassen; es werden nur wenig Truppen mehr nötig sein, um die Krämer von Petersburg im Zaum zu halten, denn hier sind nur die Soldaten gefährlich, nicht das Volk; ich würde den Leibeigenen die Freiheit versprechen, wenn sie alle waffenfähigen Mannschaften aufbieten, ich würde gegen den Hochverräter dessen eigene Waffen ergreifen, mit der überwältigenden Macht würde ich ausziehen, und, bei Gott, bald sollte dieser Pugatschew in meinen Händen sein!«

»Ja,« sagte Katharina, »du hast recht, ich erkenne deinen kühnen Geist wieder; es hilft nichts, die Gefahr zu leugnen, man muß die ganze Kraft sammeln, sie zu überwinden; mag das Volk sehen, daß sie da ist, wenn es dann nur zugleich auch sieht, daß sie vor dem Wink der Kaiserin verschwunden ist. Es soll geschehen, wie du sagst, und morgen schon –«

»Nicht so, Kathinka«, unterbrach sie Orloff. »Wenn mein Werk gelingen soll, so darf ich nicht wie ein kommandierter General, wie Galizyn oder Panin, ausziehen; jener Pugatschew ist unumschränkter Herr in seinem Heer und darum ist er unüberwindlich; soll ich ihn schlagen, so muß ich große Vollmachten haben, um frei schalten und dem Gegner gegenüber gleich meine Kraft entwickeln zu können.«

»Vollmachten,« fragte Katharina gespannt, »und welche?«

»Ich muß unumschränkter Herr sein«, erwiderte Orloff, »über die Armeen des Reiches, alle deine Generale, der Kriegsminister und auch Romanzow selbst, müssen mir zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet sein; ich muß das Recht haben über Leben und Tod meiner Untergebenen, mit einem Worte, ich muß dein Generalstatthalter sein, überall, wo ich erscheine; denn allein, wenn solche Vollmacht meinen Arm frei und stark macht, vermag ich zu handeln und jeder Gefahr entgegenzutreten.«

»Mein Generalstatthalter,« sagte die Kaiserin betroffen, »das Recht über Leben und Tod – und was wäre ich dann?« fragte sie, fast unwillkürlich ihre Gedanken aussprechend.

»Die Kaiserin,« sagte Orloff, »deren Thron ich schützen und erhalten werde, wie ich ihn aufgerichtet. Wenn mein Arm frei ist von der Fessel jedes Zwanges, dann bürge ich mit meinem Kopfe für den Sieg über alle Gefahren, die dich bedrohen, über alle lauernden Feinde, die sich dieser Gefahren freuen.«

»Gut,« sagte Katharina, leise seufzend, »du magst wohl recht haben, wohl gehört zu männlichem Handeln die volle Freiheit und wohl kann ich diese Freiheit dem bewährten Freunde gewähren.«

»Hättest du Vertrauen zu mir gehabt,« sagte Orloff, »so hätte längst schon geschehen können, was noch geschehen muß. Kathinka,« fuhr er fort, indem sein Ton eine gewisse Wärme annahm, »die vergangene Zeit, die Zeit unserer jungen Liebe war schön, und niemals werde ich sie vergessen; freilich weiß ich auch, daß die ewige Liebe nur ein Traum ist, den die Dichter träumen, den jedoch die Wirklichkeit nicht kennt. Aber die Freundschaft, die wahre, aufrichtige Freundschaft muß auch über die Liebe hinaus bestehen, und, bei Gott, ich war dein Freund geblieben, ich bin es geblieben, auch wenn deine Laune ein Spielzeug wählte, wie diesen armseligen Potemkin.«

Katharinas Augen blitzten, ihre Wangen färbten sich dunkelrot, aber sie widersprach nicht, sie ließ ihr Haupt auf die Brust sinken und schien Orloff schweigend recht zu geben.

»Spiele mit ihm oder spiele mit einem anderen,« fuhr er fort, »aber laß zwischen uns kein Mißtrauen entstehen, hänge dem Begünstigten deiner Laune die beneideten Flitter um, nach denen deine Höflinge jagen, mir aber laß das Schwert, um mit freiem Arm dich und deinen Thron zu schützen.«

Katharina blickte immer noch schweigend zu Boden.

»Wohl gäbe es«, fuhr Orloff fort, indem er sich zu ihr herüberbeugte, »ein einfaches Mittel, das alles so zu gestalten, daß niemals wieder ähnliche Gefahren drohen könnten. Was wäre dieser Pugatschew, was wären sie alle, die hier oder dort ihr unzufriedenes Haupt erheben, wenn du nicht eine Frau, eine Fremdgeborene wärest in Rußland? Stände an deiner Seite ein Mann von russischem Blut und russischer Kraft, kein Rebell würde jemals wagen, sein Haupt zu erheben, in ruhigem Genuß würdest du dich der Herrschaft freuen; und das Haupt, das sich einst dem Streich des Henkerbeiles im kühnen Spiel aussetzte, um dir den Thron zu gewinnen, dieses Haupt, Kathinka, hat es wohl verdient, auch die Krone zu tragen.«

Katharina saß schweigend und unbeweglich da, nur ein leises Zittern flog durch ihren Körper.

Orloff sah sie mit düsteren und drohenden Blicken an, aber ehe er noch einmal eine Frage an sie richten konnte, trat der Page Nikolai Sergejewitsch ein und meldete, daß Seine kaiserliche Hoheit der Großfürst Paul Petrowitsch im Vorzimmer sei und Gehör erbitte.

Katharina blickte betroffen auf. Es war ein ganz außerordentlicher Fall, daß der Großfürst in dieser Weise bei seiner Mutter erschien.

Orloff machte eine Bewegung des Unwillens, aber Katharina ergriff eifrig die Gelegenheit, um das begonnene Gespräch abzubrechen.

Mürrisch erhob sich Orloff, den Großfürsten zu begrüßen, der schnell mit seinen hastigen, unsicheren Schritten eintrat.

»Eure Majestät sind nicht allein?« fragte er, Orloff erblickend.

»Mein Freund ist bei mir, wie du siehst, mein Freund und der deinige, die Stütze unseres Thrones; was dich auch zu mir führen mag, vor ihm darfst du kein Geheimnis haben.«

Der Großfürst sah Orloff mit einem scheuen Blick an, dann trat er zu seiner Mutter heran, küßte ihr die Hand und sagte:

»Was mich zu Eurer Majestät geführt, ist kein Geheimnis, am wenigsten vor dem Fürsten Gregor Gregorjewitsch, es ist eine Frage, eine dringende Frage, um deren Beantwortung ich meine allergnädigste Mutter zu bitten das Recht habe.«

»Frage, mein Sohn«, sagte die Kaiserin befremdet.

»Der General Panin war bei mir,« sagte der Großfürst, »um sich zu verabschieden und das Kommando gegen den Rebellen Pugatschew zu übernehmen; er hat mir gesagt, daß Galizyn geschlagen ist, und daß der Aufruhr sich weiter und weiter verbreite.«

»Der Tölpel!« murrte Orloff vor sich hin.

»Leider ist es so,« sagte die Kaiserin, »und eben beriet ich mit dem Fürsten Gregor Gregorjewitsch ernste Maßregeln zur Niederwerfung dieses fluchwürdigen Aufstandes.«

»Nun, Majestät,« sagte der Großfürst, in heftiger Bewegung zitternd, »darum bin ich gekommen, um an Sie eine Frage zu richten, deren Beantwortung meiner Seele die Ruhe wiedergeben soll, damit ich Gott bitten kann, daß er die Rebellen niederwerfen möge. Jener Pugatschew«, fuhr er mit bebender Stimme fort, »nennt sich Peter Feodorowitsch; nun, meine Mutter, ich frage Sie im Namen des allwissenden und allmächtigen Gottes, antworten Sie Ihrem Sohn, ist es möglich, daß dieser Pugatschew ein Recht habe, sich so zu nennen, wie er es tut? Ist es möglich, daß er wirklich mein Vater ist?«

Katharina wurde bleich wie der Tod, sie schlug die Augen vor den brennenden Blicken ihres Sohnes nieder und sagte mit einem matten Lächeln:

»Welche Frage! Du weißt, mein Sohn, daß dein unglücklicher Vater im Alexander-Newsky-Kloster ruht, und daß die frommen Mönche täglich in ihren Gebeten Gott anrufen, seiner auf Erden irregeleiteten Seele gnädig zu sein.«

»Und doch, meine Mutter, spricht man davon, daß mein Vater in einem Kerker verborgen gewesen sei, und auch jener Pugatschew spricht ebenso; dieser Gedanke quält mich, meine Seele dürstet nach der Wahrheit, darum frage ich nochmals, meine Mutter: ist es möglich, daß jener Yemelka Pugatschew wirklich Peter Feodorowitsch – mein Vater sei?« fügte er schaudernd hinzu.

Katharina sank in die Kissen des Kanapees zurück, sie drückte ihre Hand auf ihr Herz und sagte mit erstickter Stimme:

»Dein Vater ist tot, mein Sohn, und ich bin gewiß, daß Gott ihm längst die Irrtümer seines irdischen Lebens vergeben hat; frage Orloff.«

Ihre Stimme erstarb, ihr Haupt sank wie gebrochen auf ihre Brust nieder.

Der Großfürst wendete sich zu Orloff und trat dicht zu ihm heran, er sprach kein Wort, aber seine brennenden Blicke richteten sich mit einem furchtbaren Ausdruck auf den Fürsten; auch dieser war bleich geworden, trotzige Entschlossenheit spannte die Züge seines Gesichts; kalt und ruhig antwortete er:

»Ihr Vater ist tot, gnädigster Herr, ich selbst habe seine Leiche gesehen auf dem Paradebette, ich selbst habe den Bericht des Arztes vernommen, der ihn in seiner letzten Krankheit behandelt und seinen Tod bestätigt hat.«

»Fluch diesem Arzt,« rief der Großfürst knirschend, »dessen teuflische Kunst meinem Vater so verhängnisvoll wurde! Schwören Sie, Fürst Gregor Gregorjewitsch, daß mein Vater tot?«

»Ich schwöre es!« sagte Orloff.

»Gut denn,« rief der Großfürst, »so werde ich mit freier Seele Gott bitten, daß er diesen frechen Sklaven, der meines Vaters Namen mißbraucht, zerschmettern möge, wie ich Gott täglich bitte, daß er die Ärzte zerschmettern wolle, welche meines Vaters Krankheit so schlecht zu heilen verstanden«, fügte er mit bitterem Lachen hinzu.

Er wendete sich schnell um und ging, nachdem er die Kaiserin mit einer tiefen Verbeugung begrüßt hatte, ebenso hastig hinaus, wie er gekommen war.

»Das sind die Folgen von Panins Erziehung«, sagte Orloff rauh; »niemals würden solche Gedanken in dem Kopfe des Knaben aufsteigen können, wenn er in den rechten Händen gewesen wäre. Und Panins Bruder«, fügte er hohnlachend hinzu, »soll diesen Pugatschew überwinden, nachdem er den Geist deines eigenen Sohnes so verwirrt hat, daß er selbst zweifelt, ob nicht der freche Abenteurer dennoch der rechtmäßige Kaiser sei? Panin muß fort, ich dulde ihn nicht länger! Soll ich ausziehen, um deine Feinde zu schlagen und den falschen Kaiser niederzuwerfen, so muß hinter mir der Rücken frei sein!«

»Jetzt ein Wechsel im Auswärtigen Amt?« sagte Katharina fast erschrocken.

»Jeder Wechsel ist eine Besserung«, sagte Orloff; »es muß sein, ich verlange es. Der Großfürst soll sich in wenigen Wochen verheiraten, das ist die beste Gelegenheit, seinen Gouverneur ohne Aufsehen und ehrenvoll zu entlassen. Ich bin bereit, meine ganze Kraft für dich einzusetzen, mein Leben für dich zu opfern; versprich mir, daß du Panin entlassen wirst!«

Er hielt der Kaiserin seine Hand hin, zitternd reichte sie ihm die ihrige, indem sie kaum hörbar sagte:

»Ich verspreche es.«

»Gut denn,« rief Orloff, »so ist der Weg des Sieges frei, und bald soll der Aufruhr gebändigt sein. Der Jugendtraum der Liebe ist verflogen, aber dennoch wirst du erkennen, daß niemand wert ist, neben Gregor Orloff zu stehen, und zum zweitenmal werde ich die wankende Krone fest auf dein Haupt drücken!«

Er streckte hoch aufgerichtet und stolz seine Hand über Katharina aus, welche fast ängstlich in sich zusammengeschmiegt dasaß.

»Ich werde die Vollmachten, deren ich bedarf, aufsetzen,« sagte er, »und sie dir zur Vollziehung senden. Lebe wohl und gedenke dieser Stunde, die dir die feste Stütze eines Thrones wiedergegeben hat!«

Er neigte leicht den Kopf und ging stolzen Schrittes hinaus. Katharina ruhte noch lange träumend auf ihrem Diwan.

»Vielleicht wäre ich glücklich,« sagte sie, »wenn ich die Liebe zu ihm wiederfinden könnte; nur die Liebe vermöchte es, furchtlos, vertrauend zu bewilligen, was er verlangt; aber die Liebe würde auch niemals fordern, was er von mir begehrt, und wenn er mich noch liebte, würde er für mich handeln ohne Bedenken. Hat er mich jemals geliebt; gibt es einen Mann, der die Kaiserin liebt, der sich für sie opfern würde, wenn sie nicht mehr die Macht hätte, das Opfer zu belohnen? Ich weiß es nicht und will es nicht erforschen; macht mich der Schein nicht ebenso glücklich, als es die Wahrheit tun würde? Glücklicher wohl, denn die wahre Liebe ist eine Fessel, und ich bin nicht geschaffen, Fesseln zu ertragen. Und dennoch, dennoch«, sagte sie finster, »klirren mir die Fesseln entgegen; er fordert meine Freiheit als Preis für seine Kraft und seinen Mut; Kaiser will er sein, Kaiser, das heißt mein Herr, und was wäre ich? Denn auch für den Geliebten wäre kein Platz auf meinem Thron, der nur für einen Raum hat; wird er aber nicht dennoch fast Kaiser sein, wenn ich ihm bewillige, was er verlangt, wenn er über alle meine Heere gebietet, wenn alle meine Generale ihm allein gehorchen, er über Leben und Tod entscheidet und dann den Aufstand niederwirft; wird es nicht von ihm abhängen, sich selbst die Krone aufs Haupt zu setzen, oder mich zu einer Schattenkaiserin herabzudrücken, wie es einst die französischen Hausmaier mit den letzten Merowingern taten? Nein,« rief sie nach kurzem Nachsinnen, »das wird nicht in seiner Macht stehen, und wenn er alle meine Heere kommandierte, so wird um so mächtiger der Feind sich gegen ihn ausrichten, der ihn immer wieder in meine Hand gibt, der ihn in Ketten schlagen wird, wie er mich zu fesseln dachte. Dieser Feind ist der Neid, die mächtigste Stütze der Herrschaft; der Neid ist mein Bundesgenosse, und meine Waffe ist die List; mit dieser Waffe und mit diesem Verbündeten habe ich die wilde, unbändige Kraft dieses Reichs unterjocht, und so werde ich sie auch fernerhin immer wieder zurückzwingen unter meine Herrschaft. Er wird mir die Vollmachten bringen, die mir das Schwert aus der Hand nehmen sollen, aber so dringend die Gefahr auch sein mag, ich werde dennoch Zeit finden, in meinem eigenen Geiste Hilfe zu suchen und an das Schwert, das er von mir verlangt, den feinen, aber unzerreißbaren Faden der List zu knüpfen, der es wieder in meine Hand zurückdrängt, wenn es meine Feinde zerschmettert hat.

»Doch jetzt hinaus ins Freie; die Luft und das Licht sind die Elemente, in denen mein Geist zu neuer Spannkraft gestärkt wird, und das Volk muß mich sehen, damit die böse Saat des Mißtrauens, welche meine Feinde eifrig ausstreuen, keine Wurzel fassen kann!«

Sie ließ sich ankleiden, und eine Stunde später fuhr sie, in ein prachtvolles russisches Kostüm gekleidet, im offenen Wagen durch die Straßen der Stadt, nur eine kleine Abteilung reitender Grenadiere folgte ihrem Wagen.

Potemkin ritt am Schlage, sonnige Heiterkeit strahlte von der Stirn der Kaiserin, lächelnd winkte sie den Volksgruppen ihre Grüße zu, welche an beiden Seiten ihres Wagens ihr jubelnd entgegenriefen:

»Es lebe Katharina Alexiewna, unsere geliebte Mutter, unsere großmächtige Kaiserin!«


 << zurück weiter >>