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Zweiundzwanzigster Brief

Nichts findet man hier häufiger als sogenannte Weinkeller. Statt über der Erde zu bleiben, geht man lieber unter dieselbe und schluckt elenden Wein und faule Dünste hinunter. Doch hört man aus diesen Grüften herauf nicht so arg das Gebrüll betrunkener Wüstlinge, und dann dankt der bessere Mensch für die Einrichtung solcher Gräber.

Einigen von ihnen hat man den Namen der Italiener-Keller gegeben, weil meistens italienische Kaufleute ihr Unwesen darin treiben. Füglicher sollte man sie Giftkeller nennen, denn hier wird wohl so leicht kein reiner Tropfen geschenkt, und schon so mancher trank sich daselbst einen siechen Körper auf lange Jahre hinaus. Die Obrigkeit soll über dergleichen Niederträchtigkeiten und freventliche Verletzungen aller Menschenrechte wachen; allein sie läßt sich, wie fast überall, also auch hier, die Augen verbinden, bleibt stundenlang an guten Fässern sitzen und – zieht sich endlich wohl selbst mit dem Heber ein Räuschchen. Oft wäre es dann nötig, die Visitatoren selbst zu visitieren. Wie man doch so abscheulich mit Gesetzen und Menschenleben spielt!

Noch ist hier ein besonderer Weinkeller, der dem Rat eigentümlich gehört und welcher dadurch schon vor allen übrigen den Vorzug erhält, weil kein verfälschter Wein darin geduldet wird. Die jetzige Pachterin, Madame Stade, ist sehr arg wegen ihres keuschen Wandels verschrien. Schon bei Lebzeiten ihres Mannes liebte sie die Verändrung sehr stark; nach seinem Tode ging die Sache noch frischer, und auch jetzt noch sollen zwei Tabakshändler ihre Leibesangelegenheiten besorgen. Doch bürge ich nicht ganz für die Echtheit dieser Sage.

Die Demoiselles Töchter sind meistens alle von der Natur nicht übel versehen, und ihre Hochzeitgelenke haben schon von früher Jugend an sehr stark herhalten müssen. Sie sind zwar meistens alle von alten Liebhabern in Beschlag genommen worden und leben mit diesen auf echt-ehelichem Fuß, allein auch gegen andere sollen sie nicht so unerbittlich sein, als man wohl glaubt, und in den Messen wenigstens geht es sehr scharf her.

Die Mutter, weit entfernt, dergleichen Verhältnisse zu mißbilligen, ist herzlich froh, wenn andere sie der Pflicht überheben, für die Unterhaltung ihrer Lieben zu sorgen. Doch die Versorger halten gewöhnlich nicht gar zu lange auf ihren Posten aus, denn die Mädchen mögen ihnen wohl etwas zu öftere Veranlassung zum Sorgen geben, da sie, wie bekannt, große Freundinnen von Mode und Verschwendung sind.

Die Jüngste tat vor einigen Jahren ihre erste Ausflucht und koste mit einem lustigen Magister. Allein zum Unglück war er verheiratet, und die eifersüchtige Ehefrau versengte ihrem Mann und ihrer Nebenbuhlerin – beiden am Konsistorialfeuer, die Flügel.

Die Älteste hat sich vor einiger Zeit aus dem Joche der Jungfrauschaft (?) begeben und den an der Freischule angestellten Direktor Plato geheiratet. Die ganze Stadt sagt laut, daß doch endlich einmal zwei recht Unschuldige zusammengekommen wären. Am Hochzeittage präsentierte Herr M. Brunner folgendes interessante Gedicht:

Dem Griechen Plato war die Lieb ein ernste Sache;
Doch wie ein Leipz'ger Plato liebt,
Dem man die Jugend hier zur Unterweisung gibt –
So – liebt der Sperling auf dem Dache!

Und hiermit, lieber Baron, erlaube, daß ich meinen Brief schließe und mich deiner unwandelbaren Freundschaft empfehle.

v. N. N.


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