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Vierter Brief

Es gibt in Leipzig an dreißig Männer unter dem Namen Ratsdiener oder schlechtweg Häscher; meistens werden sie aus dem Nachflug und Söhnen auswärtiger Gerichtsdiener oder auch wohl aus verdorbenen Handwerksleuten formiert, und ihr Dienst ist einer der verrufensten, so wie ihr eigentlicher Gehalt nur sehr gering. In kleinen Klagsachen erhalten sie zwei Groschen Zitationsgeld Vorladungsgebühr. sowie von jedem neuerwählten Senator und neuangenommenen Bürger ein Trinkgeld. Diese Menschen nun sind denn auch zugleich befehliget, jede ihnen vorkommende H–e aufzuheben und die noch nicht entdeckten unverzüglich aufzusuchen; daher haben sie denn leider, wie natürlich, alle Wirte zu Leipzig in ihrem Beschlag. Sie gehen hin zu ihnen, essen, trinken, huren – alles gratis bekommen Meß- und Neujahrgeschenke, und wenn visitiert werden soll, so wissen es schon die Wirte wenigstens einige Stunden vorher und schaffen ihre Mädchen beiseite. Die Wache fällt in die Häuser ein, und – man findet nichts, die Vögel sind ausgeflogen – das Nest ist leer. Werden ja zuweilen welche eingefangen, so sind es immer nur Mädchen von solchen Wirten, die dem Visitierer nicht recht geopfert haben.

Allein der größte Teil dieser Vollstrecker der Gerechtigkeit spielt mit den Wirten unter einer Decke, und die Töchter der Freude lassen sie selbst, um recht sicher zu gehen, in – ihre Mitte.

Freilich schmeckt wohl das viele Geld von den Leipziger H. Wirten den Herren Visitierern besser als der kleine Sold der Obrigkeit, und auch hier heißt es Ämtchen – Käppchen. Man lese über diesen Gegenstand das unvergleichliche Werk des Herrn Notarius Dreßler: Griffe und Pfiffe der niederem Gerechtigkeit auf alle Tage im Jahre, neue verbesserte Auflage, 364 Seiten, in 4to.

Nur geringe, sowohl Frauenzimmer als die bei ihnen angetroffenen Herrchens, bei welchen nichts zu ziehen ist, werden dann und wann eingezogen, damit doch das Kind einen Namen hat, aber – ebensobald wieder entlassen. Man stellt ein Verhör (?) mit ihnen an, visitiert ihre Taschen (?), läßt sie einige Tage auf dem Gefangenensaale kampieren, der Chirurgus untersucht (oder soll vielmehr!) ihre Reinheit, – wird das Empfängnissystem beim Examen nicht so lauter befunden, als es in Statu integro in unversehrtem Zustand. sein muß, nun, so erbarmt sich das Lazarett ihrer verdorbenen Muschel, – nach der Genesung macht sie dem ganzen Klinikum ihre gehorsamste Verbeugung – ein beorderter Ratsknecht nimmt die Rekonvalescentin von da in Empfang – gefällt sie ihm, so tut er wohl gar erst noch aus ihrem frischen Kelche ein Schlückchen – bringt sie dann zum bestimmten Tore hinaus und zeigt ihr den Weg, damit die reparierte Schöne in den Stunden des dämmernden Abends zu einem anderen Tore desto bequemer wieder herein und frischweg ihr beglückendes Werk von neuem beginnen kann.

Siehe, lieber Baron, so geht es den meisten dieser Mädchen, wenn sie sich, ohne die Augen der Visitierer vorhero gehörig geblendet zu haben, etwas zu weit an den Lichthimmel dieser dienstbaren Geister heranwagen; – doch die meisten verstehen schon Gruß und Handwerksgebrauch, daher ist es ein sehr seltener Fall, wenn auf ausdrücklichen Befehl der höheren Instanz einmal eine Generalmusterung dieses bärtigen Regiments veranstaltet wird, und gemeiniglich geschieht es nur erst den Morgen darauf, wenn am vergangenen Abend eine unwissende Dirne aus Versehen einem alten Senator an die Hosen griff, statt daß sie die Genitalia eines leckern Kopisten zu erwischen glaubte. Freilich muß dann der unschuldigere Teil mit dem schuldigen leiden, – keine Gnade, kein Pardon ist dann zu finden, und wär's selbst die Hure des Herrn Stadtschreibers B., die doch gewöhnlich, wenn der hohe Gönner ohne selbsteigne Gefahr sie nicht mehr zu retten vermag, unsichtbar und verschleiert in einer Portechaise Sänfte. zur Stadt hinaustransportiert wird; kurz und gut, an diesem unglücklichen Tage muß sie mit den übrigen Schwestern in bunter Reihe per pedes Apostolorum barfüßig. die geliebte Stadt verlassen oder doch wenigstens durch ein Zertifikat bescheinigen, daß sie mit der morgenden Post nach Halle, Dessau, Köthen oder sonst außer Land abfahren wolle.

Im ganzen wären also die Anstalten der Obrigkeit hier wiederum ebenso zweckmäßig wie in vielen andern Punkten, allein solange man seinen Maßregeln keine sattsame Autorität zu geben sich bemüht, solange man Ausnahmen von der Regel gestattet und zuweilen aus Gründen wohl gar sein eigenes Interesse zum Interesse solcher Kreaturen schlagen muß, so lange wird es wahrlich auch in diesem wichtigen Punkte, ich will gar nicht sagen in moralischer, doch wenigstens aber gewiß in politischer Hinsicht für Leipzig sehr übel aussehen und hier noch mancher gute Jüngling sein Grab finden.

v. N. N.


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