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Neunter Brief

Die Leipziger Jahrmärkte, denn Messen würde man sie mit Unrecht noch nennen, sind leider ihrem Ersterben sehr nahe und fangen an, das Schwanenlied zu singen.

Geschäfte der Art, wie man sie ehedem in großer Menge machte, kommen jetzt nur selten noch vor, und dies freilich um so mehr, da, wie bekannt, die jetzigen politischen Verhältnisse dem ganzen Kommerzium einen gewaltigen Sturz gegeben haben. Der Handel nach Rußland, wohin ehedem ein ungeheurer Absatz sächsischer Fabrikate ging, ist fast gänzlich gesperrt, und die polnischen Kaufleute allein würden noch gern die Niederlagen alter und neuer Handlungen ausleeren, wenn man aus guten Gründen nicht längst schon Bedenken getragen hätte, ihre Wechsel für bare Münze zu halten. Überdem bemüht sich jetzt das spekulierende England mehr als jemals, seine Fabriken im Gange zu erhalten, und läßt seine Waren daher fast unter die Hälfte des wahren Werts verkaufen, wodurch nun zwar seine eigene Absicht erreicht, der Schade für die sächsischen Handelsleute aber nur desto fühlbarer wird.

Nie hat man wohl in den Leipziger Messen mehr verkaufslustige Menschen gesehen als jetzt, im Gegenteil aber auch wahrlich nie weniger Ankäufer. Die Gewölber fassen eine Menge Waren in sich, die meistenteils alle so wieder eingepackt werden, wie man sie auslegte. Die Käufer drehen sich an den Buden umher, besehen, durchschnapern alle Artikel und – kaufen nichts.

Keine Art der Verkäufer aber ist zu einer größeren Zahl angewachsen als die Gilde der Putzmacherinnen und der emigrierten Franzosen. Kaum sind sie zu zählen und essen bei ihrem Handel Salz und Brot, um nur nicht zu verhungern, denn der Absatz, den sie machen, ist freilich, wie du leicht überrechnen kannst, sehr unmerklich. Doch einige der ersten Gattung treiben neben ihrem eigentlichen Handel noch andere Geschäfte und befinden sich etwas besser dabei.

Auch der sogenannte Roßmarkt ist bei weitem nicht mehr so ansehnlich wie sonst, und die neuerlich von oben herab gekommenen Verordnungen, vermöge welcher die Herren Offiziers jetzt beschränkt werden, nicht mehr mit dem Unsinn wie ehedem in Pferdetausch und -ankauf zu wüten, tragen wohl ebenfalls ihr gutes Teil dazu bei, daß die prellerischen Roßhändler – und unter ihnen namentlich die Juden – über böse Zeiten schreien!

Der Buchhandel (wird bald heißen Bücherkram) ist, trotz der Bücherkommission und abscheulichen Zensur, noch immer in Leipzig respektabel genug; würde man aber freilich höheren Orts auch in Zukunft noch fortfahren, statt die beliebte Preußische und Braunschweigische Preß- und Druckfreiheit einzuführen, das alte sächsische Schreckenssystem beizubehalten, so dürfte wohl sehr bald der Zeitpunkt heranrücken, da auch dieser Handel noch von Leipzig sich hinweg und an einen andern Platz zieht, wo freiere, mildere Lüfte wehn und wo das Zetergeschrei eines Wenks und eines Arndts in öden Mauern verhallt.

Hier, lieber Baron, hast du nun meine Bemerkungen über das Leipziger Handelswesen während den Messen, und daß sie keineswegs aus der Luft gegriffen sind, sowenig wie die nun kommenden über den Zustand des Handels in Leipzig überhaupt, wird vielleicht die Zukunft noch besser enthüllen, als die traurige Gegenwart schon jetzt sattsam beweist!

Man hat schon öfters vor mir über den Luxus und Aufwand geschrieben, der überhaupt in Leipzig auf den höchsten Grad der Überspannung gestiegen sein soll, allein man hat in der Tat die Ungerechtigkeit begangen und zuwenig Schonung für gewisse Klassen bewiesen, denen man nichts weniger als Verschwendung und luxuriöse Schwelgerei beimessen kann. Mancherlei Stände, und unter ihnen namentlich der gelehrte, der doch auch nicht wenig begüterte Mitglieder zählt, machen von dem angenommenen Satze eine glückliche Ausnahme. Dagegen hätte man aber desto nachdrücklicher wider einen Stand zu Felde ziehen sollen, der im Verprassen allein seine Force und in Verschwendung und Üppigkeit seine größte Ehre zu suchen scheint.

Du wirst leicht erraten, daß ich niemand anders als den Kaufmann vor Augen habe, der doch nie mehr Ursach gehabt hätte, sparsam, haushälterisch und ökonomisch zu wirtschaften, als in gegenwärtigen für ihn so übeln Zeiten, und der im Gegenteil nie üppiger vergeudete als eben jetzt.

Du würdest in den Palast eines Fürsten zu treten glauben, wenn du in den Vorsaal eines hiesigen Kaufmannes eingehest, die vergoldeten Schlösser mit Schweizerpapier umwickelt, die Mahagonischränke mit der kostbarsten Bronze verziert, die Wände mit den auserlesensten Tapeten geschmückt, die Öfen mit prächtig bemalten Kaminen versehen, überdem noch mit golddurchwirkten spanischen Wänden umgeben und die Fußböden endlich mit zwanzigerlei verschiedenen Arten der teuersten ausländischen Hölzer ausgetäfelt findest. Nun öffne vollends die Türen der Zimmer, und wahrlich, dein Auge wird geblendet vom Glanze der überirdischen Pracht; du glaubst im Feenreiche zu sein, so überraschend gewahrt man oft bei den geringfügigsten Dingen einen himmlischen Zauber. Und alles dies wollte ich unter dem gefälligen Deckmantel einer gewissen eleganten Ordnung und guten Geschmacks gern noch verstatten, wenn nur diese Verschwendung nicht dadurch schon doppelt straffällig würde, daß jene Gerätschaften erstens nach dem Genius des sogenannten Modegeistes jährlich wenigstens einmal verändert, die vorigen Tapeten, Schränke und Verzierungen ihrer Dienstbarkeit entlassen und unter die Antiquitäten des Bodens verwiesen, ja zweitens auch dann sehr oft (wenigstens solche Dinge, welche wand-, band-, niet- und nagelfest sind) im Stiche gelassen werden müßten, wenn man seine jetzige Wohnung verändert und andere Zimmer bezieht, in welche die vorigen Ornamente nicht passen, und welches denn um so mehr der Fall ist, da nur die kleinste Anzahl hiesiger Kaufleute eigene Häuser besitzt. Nicht weniger Verschwendung und schwelgerische Pracht zeigt sich in den Equipagen und Garderoben der Leipziger Kaufleute und ihrer Weiber. Auch hierinnen ist bei ihnen die Üppigkeit zum höchsten Gipfel gestiegen, und manche stolze Frau, die weiland mit dem Milchkorbe lief oder wie Madame O. vor dem Hackeklotze stand, dringt jetzt mit Allgewalt in den seufzenden Gatten ein, die alten treuen Rappen zum Pfluge zu verdammen und – schöne Erbsfarben zu kaufen. Hals und Brust mit goldenen Ketten umpanzert, die Finger mit großen Diamanten und Rubinen besteckt, steigt die mehr als gnädige Kramersfrau, von dem Kraftarm eines jungen Bedienten unterstützt, in den prachtvollen Triumphwagen, fährt in majestätischem Rollen die Straßen hindurch, und – in manchem kleinen Fenster seufzt vielleicht ein armer Unglücklicher, der den letzten Überrest seines noch geretteten Vermögens jenem stolzen Prasser anvertraute, der's ihm – verfährt. Abscheulich und dreimal verflucht ist so ein gewissenloser Bube, der mit dem sauren Schweiße eines rechtschaffenen Mannes so leichtsinnig umgeht und dennoch den Ärmsten am Ende so unverantwortlich um diese letzte Stütze seiner schwankenden Hoffnungen betrügt!

Nicht weniger Pracht würdest du finden, wenn dir einmal das Glück winkte, bei der Gasterei eines hiesigen Kaufmannes zu erscheinen. Gleich groß ist da die Verschwendung in Tischzeug, Servicen und Gerichten; selbst an der Tafel eines Fürsten kann kaum dein Gaumen herrlicher gekitzelt und dein Magen von den Geistern der auserlesensten und teuersten Weine durchdringender angefeuert werden als bei dem schwelgerischen Mahle eines Leipziger Kramers. Kurz, wende dein Auge, wohin du nur willst, geh von der Toilette an bis zum heimlichen Gemach alles sorgsam hindurch und du wirst meine Schilderungen nicht übertrieben finden, wirst noch weit mehr Verschwendung entdecken, als ich bescheiden genug war, dir bis jetzt zu verschweigen; ja, du wirst staunen, und auf deinen Lippen wird alsdann sogleich die Frage schweben: wie ist's möglich, daß der Leipziger Kaufmann so ungeheure Summen verdient?

So mögen wohl freilich noch gar viele Vernünftige mit dir fragen, und ich gestehe gern, auch ich tat anfangs dieselbe Frage an mich, doch lange darf man hier nicht forschen, nur Augen und Verstand ein wenig zu Hülfe nehmen, und – ich fand leider, daß die Söhne jetzt verprassen, was einst ihre Väter in guten Zeiten verdienten; denn unter jetzigen Verhältnissen könnten sie ja wahrlich kaum so viel erschwingen, als die stolzen Weiber nur jährlich in Nachthabitern Nachtkleider. und Morgennegligees vergeuden!

Der brave Vater der Familie L. ging bei allem dem Verdienst und bei all dem Vermögen, das er durch Sparsamkeit und gute Wirtschaft sich erwarb, stets auf seinen gesunden zwei Füßen spazieren und kann sich auch noch jetzt bei stark heranrückendem Alter nicht überwinden, für sein wohlverdientes Eigentum Equipage zu halten. Doch die Herren Söhne sind klüger (?), und ohne zu dem, was sie jetzt besitzen, jemals einen Heller beigetragen zu haben, machen sie sich auf des alten Vaters Rechnung gute Tage, ziehen ein Kapitälchen nach dem andern aus der Handlung heraus, richten solenne Gastmähler aus und fahren in Zeiten mit prächtigen Rennern, ungewiß, ob die Jahre des Alters ihnen erlauben werden, nur in einem einspännigen Kariolchen leichtes, zweirädriges Fuhrwerk. zu sitzen. Der alte Vater ist kurzsichtig genug, eine herzliche Freude an dem prachtvollen Aufzuge seiner Herren Söhne zu haben, und bedenkt nicht, daß, wenn einst seine Augen sich schließen, zugleich mit ihm sein sauer erworbenes Vermögen schneller wieder zerschmelzen wird, als er's erwarb. Der eine seiner hoffnungsvollen Söhne hat jetzt schon ein kleines Bankrottchen in seinem Hauswesen gemacht, wie soll es vollends mit der Handlung gehn, wenn du nicht mehr bist, alter Vater?

Nicht minder verschwenderisch verfahren die Familien L–th, S–r, und L–e.

In ersterer glaubt der junge Herr Sohn, seines Vaters sauern Schweiß nicht besser anbringen zu können, als wenn er für Kinder bezahlt, die er nicht machte, und gern der schönen M. durch volle Beutel zu erkennen gibt, wie sehr ihn der Vatername entzücke, mit dem sie ihn doch nur gezwungen beehrte, da der eigentliche Erzeuger, ein Hallischer Baron, vermutlich etwas weniger verblendet war, um zu so holden Benennungen sich gratulieren zu lassen.

Der junge S–r würde vielleicht weniger verschwenderisch sein, allein die stolze eitle Gemahlin läßt nicht nach, bis auch der letzte Dukaten für Enveloppen Frauenmantel. und goldene Brustketten dahinschwinde.

In der Familie L–e ist nun der redliche Vater verschieden, und man sieht schon jetzt die traurigsten Anstalten zu einer andern und größern Haushaltung.

Oh, und was wollte ich dir noch alles für Familien nennen, die samt und sonders durch die üppigste Verschwendung ihrem künftigen Elende entgegentaumeln! Komm nach zehn Jahren nach Leipzig, und du wirst verarmte Kinder reicher Eltern in Menge finden, – oh, dafür bürgt mir ihre Raserei und schon der Grund, der zu ihrem dereinstigen Unglück so meisterhaft gelegt ist.

Nimm dazu, daß die jetzigen politischen Verhältnisse eher schlimmer als besser werden können und daß eben dadurch der Kaufmann am meisten verliert; dann rechne noch dazu, daß diese einmal verblendeten und schon zu tief in die Verschwendung geratenen Menschen sehr schwer von der einmal eingeführten luxuriösen Haushaltung abzubringen sein und immer noch glauben werden, als lebten sie in den Zeiten des blühenden Handels, so kannst du dir von selbst den richtigen Schluß machen, daß Bankrotte auf Bankrotte erfolgen und die ehedem respektabelsten Häuser in Bettelfamilien metamorphosiert werden müssen.

Gute Aussichten! herrliche Aspekten! Womit wollt ihr verarmte Prasser euch dann ernähren, wenn man euch Gefallenen auch die letzte Hoffnung und Aussicht nimmt, doch wenigstens, wie so oft der Fall war, andere Menschen um das euch anvertraute Gut zu betrügen? Wer soll euch Elende unterstützen, wer euch unter die Arme greifen, da ihr sonst von der Zinne eurer Hoheit so verachtend auf das übrige Lumpengesindel herabsaht wie der Sonnenadler auf den kleinen Zaunkönig?

Und fände sich denn ja endlich ein mitleidsvoller Bruder, der sich aus Rücksicht für eure ehrwürdigen Väter eurer Ohnmacht erbarmte und euch in seine Dienste nähme, ach, wie wollt, wie könnt ihr nur dem kleinsten Geschäfte vorstehen, da ihr geilen Pilzen gleich in Üppigkeit heraufwuchst und Kenntnisse euch stets nur Nebensache waren?

Man borgt großmütig, lebt prächtig und verdirbt hochadelig!!

Lieber Baron, ich muß abbrechen von diesem Kapitel. Oh, wie sie mich jammern, die Verblendeten!

v. N. N.


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