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Zwölfter Brief

Die Ankündigung des ›Othello‹ führte mich gestern ins hiesige Schauspielhaus. Das Äußere dieses Tempels der Thalia spricht nicht sehr für seine Empfehlung; er ist klein, unregelmäßig gebaut und scheint unter diejenigen heiligen Gebäude zu gehören, bei denen man es wie an alten Kirchen, Amt- und Rathäusern für ein Verbrechen hält, auch nur einen Stein zu verrücken oder die alte verwetterte Grundfarbe mit einer gefälligem neuen zu vertauschen. Zwar ließ sich erwarten, daß der hiesige Magistrat, welcher vor einiger Zeit dies Gebäude einer Leipziger Wittib abhandelte, auch hier eine Änderung treffen und seinem verdienten Baudirektor Gelegenheit geben würde, wieder gutzumachen, was er beim bekannten Straßenbau so unverantwortlich verdarb; allein, ist man über die Einrichtung des neuen Baues noch nicht einig (wiewohl dies bei dem einen Sinne, der hier herrscht, nicht füglich anzunehmen ist), oder hat dies alte Gebäude in dem Herzen und Gehirn der hiesigen Senatoren wirklich das Jus sanctum et inviolabile, heiliges und unverletzliches Recht. welches jede Änderung nachdrücklich verbietet, kurz, man sieht auch beim neuen Dominio noch immer keine Anstalten zu einer für Zuschauer und Schauspieler so unumgänglich nötigen Metamorphose dieses einem verwünschten Schlosse nicht unähnlichen Gerümpels.

Von dem durch die halbe Welt bekannten und berüchtigten Leipziger Parterr, einem wahren Flegelkonvente, will ich dir nichts sagen; es ist zu oft schon gerügt worden, und dies Unwesen wird auch wohl hoffentlich so lange fortdauern, bis sich Rat und Universität enger vereinigen und Militärwachen hineinbringen, welche die ungesittete Brut entweder mit Kolbenstößen zur Ruhe verweisen oder so lange auf die Pritsche schmeißen, bis die eigentliche Obrigkeit des Tumultuanten ihm ein anderes Quartierchen anweist und (nur nicht durch Geldbußen!) zur gerechten Strafe zieht; ich will mich hier so kurz fassen wie mein Vorgänger Rabiosus und wie er bei Kästners Epigramm mich beruhigen:

A. Ich glaube an kein wütend Heer.

B. Freund! warst du nie im Leipziger Parterr?

Vorzüglich ist man hier im Applaudieren unerschöpflich, und mancher junge Fant klopft sich würklich beinahe das Bast von den Händen.

Doch bei einem Auftritte, den ich hier erlebte und mit anzusehen genötiget war, kann ich ohnmöglich stillschweigend vorübergehen; er ist in seiner Art so eigen und lächerlich zugleich, daß er mir allerdings eine kleine Erwähnung zu verdienen scheint, die ich dir um so weniger vorenthalten darf, je sichtlicher sie zu einem neuen Beweise beiträgt, daß die Leipziger Musen von Tage zu Tage mit Riesenschritten sich immer mehr dem Gebiete der Unsittlichkeit nähern.

Noch war der Vorhang nicht eröffnet, und eine in melancholischen Tönen sanft dahinschmelzende Musik wehte schon im voraus die Ahndung künftig trauriger Szenen ins fühlende Herz, als es plötzlich im Parterr ganz ungewöhnlich lebhaft ward.

Alle Köpfe waren in die Höhe gerichtet, ein Scharren, Kratzen, Pochen und Pfeifen übertäubte den sanften Schwung der göttlichen Musik.

Auch ich wendete endlich meine Augen nach der Loge hin, nach welcher alle Blicke stierten, und was wirst du sagen, lieber Baron, wenn ich dir versichere, daß ich nichts mehr und nichts weniger als bei dämmernder Nacht die blendenden Strahlen einer goldnen Sonne sah? Du wirst mich nicht begreifen, doch höre einstweilen den weitern Verlauf.

Die Parterristen, des Tags Last und Hitze müde, froh beim Schatten der kühlenden Nacht, drohten die Feste dieses Elementes zu stürmen. Alles schrie und lärmte, aus aller Munde nur ein Gekreisch: Sonne, Sonne, hinaus! Wahrlich, die Sonne erblaßte ob diesem Toben der Söhne der Erde, sie zog sich zurück, und – ihrem Verschwinden folgte ein lautes Gelächter.

Was sagst du hierzu, lieber Baron? Freilich galt diesmal der Unwille einer Sonne, die schon oft den Tag zur Nacht und die Nacht zum Tage gemacht hatte. Sonderbar und komisch sah die Sonnenträgerin allerdings aus, und kaum konnte man sie ansehn, ohne geblendet zu werden, so strahlend und schimmernd war das Licht der an ihrem Kopfputze künstlich angebrachten, ziemlich breiten goldenen Sonne. Es war freilich ein sonderbarer und komischer Einfall, mit erborgten Strahlen zu glänzen, allein das ganze Wesen dieses sonst so gefälligen Weibes ist ja komisch, denn eben ihr (und das ist denn doch wohl komisch genug) war es vor Zeiten das süßeste Geschäft, eigenhändig ihrem Leibkutscher die Manschetten zu waschen und ihren lieben Mann auch allenfalls ohne Hosenboden herumlaufen zu lassen.

Allein berechtigte wohl dies alles jene ungesittete Rasse zu einem so abscheulichen, verachtungswürdigen Benehmen? Ich überlasse deinem eigenen Nachdenken die Resultate und wende mich versprochenermaßen zu den einzelnen Gliedern der hiesigen Schauspielergesellschaft selbst. Soviel wird dir hoffentlich schon bekannt sein, daß alle Messen, jetzt auch den ganzen Sommer über, die Dresdner Hoftruppe nach Leipzig sich wendet und Leipzig also für sich keine eigene Schauspielergesellschaft unterhält. Der Unternehmer, Franz Sekonda, ein ganz artiger Mann, nur leider kein Kenner seines Fachs, überläßt das Direktorium und die ganze Regulierung des gesamten theatralischen Wesens seinem Regisseur Opitz.

Schon in Berlin wurde, wie du dich denn dessen recht gut erinnern wirst, wenn zufällig die Rede auf das Leipziger Schauspiel kam, immer sehr verschieden und zweiseitig vom Spiel dieses Mannes gesprochen, und nie kann ich mich entsinnen, über seine Verdienste nur eine Stimme gehört zu haben, wie etwa bei seinem Vorgänger, dem bekannten und geschätzten Reinecke, der Fall war.

Selbst hier in Leipzig, wo man doch so gern vergöttert, sind die Stimmen geteilt, er findet, wie fast ein jeder, seine Anbeter und seine Tadler. Ich kann mich nun zwar auf keinen Fall als kompetenten Richter aufwerfen, doch ganz darf meine Stimme auch nicht verworfen werden, allein leider muß ich's gestehen: sie kann nicht immer zu Herrn Opitzens Lob ertönen.

Ich bin nicht in Abrede, daß Opitz gewisse Rollen ganz vorzüglich spielt, und würklich sucht er zum Beispiel im ›Schwätzer‹ seinesgleichen; allein seine Mimik, seine Gestus und seine Deklamation in Heldenrollen mag mir loben, wer da will, ich kann durchaus nicht mit beistimmen, denn immer höre ich nur beim Entbrennen seines Feuereifers die kreischende Lärmposaune ertönen.

Einer sanften Mäßigung, eines von Stufe zu Stufe aufwallenden Unwillens und eines gradatim allmählich. sich regenden Zornes muß Herrn Opitzens abgestumpftes Nervensystem durchaus nicht mehr fähig sein, denn da, wo Reinecke in gerechten Zorn geriet, braust Herr Opitz schon auf zu einem unmäßig und unnatürlich tobenden Wüten.

Opitz sprudelt und fletscht die Zähne gleich einem angeschossenen Eber, und angenehm und ratsam ist es wahrlich bei diesem Rasen nicht, nahe an seiner erzürnten Seite zu stehen.

Und eben dann, wenn er so fürchterlich wütet, eben dann, wenn er schreit und brüllt und wohl gar ohne Not in epileptische Zuckungen verfällt, eben dann findet dieser Opitz vom Parterr an bis zur Galerie den ungeteiltesten Beifall. Man liebt hier nun einmal das Unnatürliche, und das Leipziger Publikum schätzt sich daher sehr glücklich, zu seinen Heldenrollen einen Opitz zu haben. Auch in Liebhaber-Rollen agiert er mir zu zärtlich und gerät zuweilen in solches Entzücken, daß man aus den stieren Blicken und klammerartigen Umarmungen oft schließen sollte, als habe er nicht wenig Lust, auf der Stelle das Unterröckchen seiner Amasia zu sondieren, und das nenne ich mir doch wohl den Liebhaber sans pareille gespielt!

Jedoch alles dies wollte ich recht gern ungeahndet lassen und Opitzens Verdiensten und Vorzügen im Konversationston (wiewohl man auch hier das wahre Herzliche nur zu oft vermißt und es schon darum nicht erwarten kann, weil der neidische, hämische Dämon der Intrige Herrn Opitz auch selbst auf die Bühne begleitet und vielleicht gerade in dem Augenblicke einen teuflisch feindseligen Blick auf den Mitakteur werfen läßt, den er soeben nach dem Geheiß seiner Rolle als Bruder umarmen soll!) mit Vergnügen auch meinen Tribut zollen, wenn nur diese Talente nicht gar zu auffallend und schrecklich durch die unerhörten und niederen Kabalen verdunkelt würden, in welchen Opitz sich gleichsam zu verzehren scheint.

Einen ränkevollern, hinterlistigern und kriechendern hofmännischen Schurken kannst du dir kaum denken, als wirklich dieser Opitz, das Nonplusultra aller erdenklichen Kabalen, mit Recht genannt zu werden verdient. Nie mißbrauchte wohl ein Regisseur die kleine ihm zugestandene Überlegenheit auf eine unverantwortlichere Art als eben dieser.

Wie muß sich da der Schauspieler winden und krümmen, wie sich drehen und wenden, um nur immer seine Unbescholtenheit und guten Namen mit Opitzens Kabalen n einem richtigen Gleichgewichte zu erhalten und nicht in eine Grube zu fallen, die oft so fein verdeckt ist, daß sie nur der gleich schlaue Hofmann zu ahnden vermag.

Jedoch die älteren Mitglieder der Gesellschaft kennen schon aus langer Erfahrung ihren Mann und entgehen durch kluge Vorsicht und zuvorkommende Artigkeit (obschon im Herzen die gerechteste Verachtung) Opitzens Filuterien. Gaunereien.

Durch treue Erfüllung ihrer Pflichten, durch gewissenhafte Beobachtung ihres Berufs und endlich durch unbescholtenen Wandel haben sie sich hinter ein so festes Panier verschanzt, daß von Herrn Therings, Bösenbergs, Haffners und Christs eisernen Brust Opitzens giftigste Pfeile abprallen. Nur Herr Schirmer schien ehedem noch die Achse zu sein, um welche sich unaufhörlich Opitzens Kabalen herumdrehten, allein auch dieser hat dem Kläffer das Maul gestopft, und auch er hat nun Ruhe.

Nur neuankommende Mitglieder müssen noch sehr lange mit Verfolgung und Intrigen kämpfen, ehe sie zum Zweck kommen, und schon so mancher vortreffliche Schauspieler, dem ein unaufhörliches Ringen mit Hinterlist und geflissentlicher Bosheit bisher fremd war und der ebendeshalb nicht Kraft genug sich zutraute, im Wellengestürm eines so gefährlichen Strudels stets obenan zu schwimmen, verlor schon beim ersten Eintritt alle Lust, in einen so unsichern Hafen sich einzuschiffen, und auf diese Art wurde denn die Sekondaische Gesellschaft um manchen schönen Zuwachs betrogen.

Für keinen Akteur aber wird es bedenklicher, für keinen gefahrvoller, bei dieser Truppe Engagement zu suchen, als für den, welchem der Zufall ein schönes Weib an die Seite gesellte.

Hier bietet denn nun Opitz alles auf, was nur immer seine gesunkenen Kräfte vermögen, um beide so in sein Netz zu verstricken, daß sie den Betrug oft dann erst gewahr werden, wenn es schon zu spät ist, sich wieder loszuwinden.

Als ein viehischer, wiewohl schon ganz geschwächter Wollüstling ist Herr Opitz schon zu sehr und allgemein bekannt, als daß man auch nur eine Minute zweifeln könnte, daß er nicht alles anwenden sollte, um die neu angeworbene Schöne seinen Absichten näher zu bringen. Läßt sie sich nun durch Versprechungen blenden und ergibt sich dem ausgemergelten Verführer, dann ist sie geborgen und darf für eine gute Gage nicht weiter ängstlich sein. Wollte aber ihr Mann diese Eingriffe in seine ehelichen Rechte nicht billigen, und die Frau besitzt nicht Liebe genug zu ihm, von selbst seine Bitten zu achten, dann wird er verjagt, und sein liebes Weibchen teilt fortan mit ihrem Opitz das eheliche Bette. Kann er sich aber überwinden zu schweigen und ist er einfältig genug, durch Opitzens Zuneigung zu seiner untreuen Gattin sich geschmeichelt zu fühlen, dann ist auch er geborgen und genießt das Gnadenbrot, wär er auch unfähig, nur eine Statistenrolle zu spielen.

Die Erfahrung unterstützt meine Behauptung, und die Madame Hartwig diene statt aller weitern Beweise.

Genannte Hartwig hat nun seit einigen Jahren die Stelle der bekannten Madame Albrecht eingenommen, die sich jetzt in Altona sehr wohl befindet und an deren Entfernung, wie man sagt, der Ränkemacher Opitz ebenfalls einen nicht geringen Anteil haben soll. Sie (die Hartwig) spielt wie Opitz in Leipzig mit vielem Beifall, allein hier glaube ich mit der größten Gewißheit und Zuverlässigkeit behaupten zu können, daß sie den Verlust ihrer Vorgängerin durchaus nicht ersetzt.

Wenn, wie ganz richtig und billig, vorausgesetzt wird, daß auch das Äußere einigermaßen den erhabenen Rollen entsprechen muß, die die erste Schauspielerin (und das soll die Hartwig hier sein) vermöge der ihr angewiesenen ersten Stelle zu spielen auf sich hat, so tut schon in diesem Falle Madame Hartwig dem eigensinnigen Kenner keine Genüge; sie ist zu klein, zu schmächtig und, trotz der Jahre, die sie zählen mag, noch immer zu kindisch.

Die Albrecht war zwar ebenfalls nicht groß, allein statt dessen lag doch in ihrer ganzen Form etwas Majestätisches und vorzüglich Erhabenes, und das Kleinliche, das ich so ungern bei Madame Hartwig auffinde, fiel bei ersterer gänzlich hinweg.

Madame Albrecht agierte mit Würde und affektierte nur selten; die Hartwig mag sich zwingen, wie sie will, ich vermisse immer diese eigentümliche Würde, und ihre Künsteleien gefallen mir nicht.

Die Mimik der Hartwig ist sogar zuweilen affrös, häßlich, abscheulich. und schon in ihrem Munde liegt ein widriger Zug.

Den Schwung der Töne und das Sonorische in der Kehle hat Madame Hartwig als Naturtalent ererbt, allein die Albrecht brachte es durch fleißige Übung fast ebensoweit und – winselte nie.

Mit einem Wort, selbst Herr Opitz würde, wenn er unbefangen und unparteiisch urteilen wollte, mir willig gestehen müssen, daß Madame Hartwig (die Bettarbeiten etwa abgerechnet) für seine Gesellschaft und für das gesamte Publikum weit weniger leiste als ihre geschätzte Vorgängerin, die in Hinsicht ihres Spiels durchaus und allgemein verehrte Albrecht.

Unter den Akteurs behauptet nach Herrn Opitz Schirmer die nächste Stelle. Trunkene und Einfältige personifiziert Schirmer unnachahmlich. Im ›Othello‹ spielte er den Trunkenen so vortrefflich, daß Madame Röder in die wonnetrunkenen Tage zurücksah, die Schirmer als ihr ehemaliger Liebhaber ihr machte, und vor lauter Trunkenheit ihrem neuen Ciscisbeo, in Italien Ehrenkavalier, ständiger Begleiter einer verheirateten Dame. dem hinter ihr stehenden Lieutenant Berghold, hastig an den – Degen griff.

Durchaus aber hat mir Herr Schirmer ebenfalls nicht genügen können; er kommt, wie selbst Madame Röder sehr naiv gesteht, zu leicht in Hitze und – wird dann oft ganz heiser.

Herr Ochsenheimer hat seinen würdigen Vorgänger Schuwärt ganz ersetzt, und seine Mimik ist vortrefflich.

Den ehrwürdigen Thering sollte man in Ruhe setzen; er hat getan genug und wird nun alt; allein er ist des Kurfürsten Liebling und macht ihm viel lustige Augenblicke, und so schätzt er sich denn durch die Liebe seines Fürsten auch ohne weitere Unterstützung belohnt.

Herr Bösenberg mag ja recht lange leben, sonst verliert die Gesellschaft an ihm einen der ersten Komiker, die mir je vorkamen. Nur wünschte ich, er memorierte etwas mehr, extemporierte extemporieren = aus dem Stegreif sprechen. etwas weniger und träte zuweilen nicht gar zu nahe an das Souffleurhäuschen.

Herzlicher und inniger habe ich noch nie von einem Schauspieler die Rollen eines guten Vaters, eines braven Ministers etc. spielen sehen als von dem braven vortrefflichen Haffner. Haffner deklamiert nie leere Töne, nein, man sieht es ihm an, er fühlt, was er spricht, und wenn es der Schauspieler erst dahin gebracht hat, daß auch sein Herz mit ins Spiel kommt, oh, so muß er wohl noch unverdorben und als Akteur und Mensch gleich schätzbar sein. Ich weiß dein Gefühl zu schätzen, edler Haffner, und setze dir hiermit ein kleines Denkmal meiner Achtung!

Auch dem braven Christ lasse ich alle Gerechtigkeit widerfahren, und Herr Drewitz könnte einst vielleicht noch werden, was er jetzt nicht ist.

Henke, Künzel und Konsorten sind zu erbärmliche Wichte, daß sie kaum einer Erwähnung verdienen und nur darum zur Bühne bestimmt zu sein scheinen, um durch ihr elendes Spiel das bessere der übrigen nur desto hervorstechender zu machen.

Im ganzen verdiente der Unternehmer des deutschen Schauspiels wohl etwas mehr Unterstützung von Seiten des Landesherrn, als ihm jetzt widerfährt. Dem Italiener Bertholdi mißt man es mit gehäuften Scheffeln und dem deutschen Sekonda mit gestrichenen Metzen zu. Was man also an ersterem verschwendet, muß bei letzterem wieder eingebracht werden. Und bei aller der stiefmütterlichen Behandlung – denke dir, welche Prätensionen!

Durchaus soll, nach des Kurfürsten Verordnung, kein Mitglied Schulden machen, und für jede Übertretung wird der Unternehmer verantwortlich. Um also manchen unangenehmen Auftritten zu entgehen, sieht Sekonda sich genötiget, seine Leute mit einer Gage zu besolden, die ihm dann oft für sein Risiko nur wenig übrigläßt. Bei einer Unterstützung von 6000 Talern (denn so viel mag ohngefähr der Zuschuß von oben herab jährlich betragen) und bei der gemißbrauchten Erlaubnis, nach welcher in Dresden die Garde-Offiziers um die Hälfte des Einlaßgeldes den größten Teil des Cercles einnehmen und andere ehrliche Leute verdrängen, – wie in aller Welt sollte Sekonda da bestehen können, wenn er sich nicht in den Leipziger Messen erholte? Wenigstens müßte er den Wasserkrug zu Hülfe nehmen, indes seine Leute Rheinwein trinken können. Daher ist es denn unter so bewandten Umständen um so mehr zu bewundern, daß diese Schauspielergesellschaft im ganzen so vorzüglich viel leistet, weniger aber, daß sie keine oder doch wenigstens nur immer sehr geringe Schulden macht. Dresden genießt, – und Leipzig gibt dazu den Beutel her. Anmerkung des Herausgebers: Die hohen Abgaben, die der Unternehmer jedesmal in Leipzig zu entrichten hat (jedes Stück kostet, ehe der Vorhang aufgehen kann, vierzig Taler), abgerechnet, würde dennoch Sekonda weit mehr verdienen können, als er wirklich verdient, wenn der Mißbrauch in Absicht der Freibillets nicht auch hier in usu wäre. – Der Hochedle und Hochweise Rat der Stadt Leipzig, seine Subalternen, Subalternen-Schreiber, Ober- und Unterkopisten, Ausreuter und Stubenheizer wollen doch auch gern die Mode mitmachen und das Schauspiel besuchen, allein sie wollen, wie überall, also auch hier gratis ausgehen. Daher wird das denn nun dem armen Sekonda als ein Hauptbedingnis auferlegt, vor allen andern eben gerühmte Subjekts mit Plätzen und Billets zu versehen, damit sie ja auch im Schauspielhause ehrlichen Leuten zum Hohn sich echt senatormäßig brüsten können. Diejenigen unter ihnen, die dem Schauspiel keinen Geschmack abgewinnen können, verkaufen ihre Gerechtsame, und so gehen denn gar oft auf ein Billet Herr, Madame und Amme hinein!

Auch von Ausschweifungen und groben Exzessen hört man unter dieser Gesellschaft nur selten etwas; was geschieht, geschieht unter der Gesellschaft selbst, und kein Schauspieler wird so leicht Gefahr laufen, verführen zu müssen, denn so weit lassen es auf keinen Fall die mitleidigen Aktricen gedeihen.

Still und friedlich gehen sie einher, und keiner wird mit dir handgemein werden; sie sind sittsam und halten meistens auf Ehre. Dafür ist aber auch diese Gesellschaft, wie immer die gewöhnlichen, durchaus keine Zuflucht aller Abenteurer, welche unter ordentlichen Leuten nicht mehr fortkommen können und nichts für leichter und bequemlicher halten, als andern Moral zu predigen, wenn sie selbst ihre Moralität größtenteils verloren haben und in der Lage sind, zwischen Betteln, Verhungern und Stehlen wählen zu müssen.

Im nächsten Briefe etwas anderes; bis dahin lebe wohl und behalte in einem freundschaftlichen Andenken deinen

v. N. N.


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