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Eilfter Brief

Nicht ohne Widerwillen und Abscheu gehe ich nun zu einem andern, weit verrufenern und niederträchtigern Orte der Wollust über, der zwar nicht unmittelbar in den hiesigen Ringmauern selbst liegt, der doch aber im eigentlichsten Sinne ein Sammelplatz der Leipziger Wollüstlinge ist.

Der Schauplatz ist in dem Wirtshause zu Gautzsch, und der Directeur, welcher seiner verdächtigen Wirtschaft halber schon einmal das Zuchthaus besuchen mußte, heißt Haase.

Hier soll man jedem Unbekannten zurufen: Uhr und Börse in Obacht genommen, denn hier eben ist das Haus, wo schon mancher Leipziger Ehemann, Jüngling und Pfarrherr geplündert, halb nackend und – ohne Perücke wieder zurückkehrte. Die hier befindlichen Mädchen sind meistens alle abgerichtet, ihre Liebhaber in das feinste Gewebe des Unglücks zu verstricken. In und außer den Messen schleicht bei trüben Tagen ein Schwärm alter und junger Ritter verstohlen in diesen Tempel der Freude und läßt sich's für sein schweres Geld wohl sein im Schoße der verworfensten Dirnen.

Meistens sind es schon abgediente Huren und ausgemergelte Nymphen, nur durch den künstlichen Anstrich noch erträglich und für den viehischen Wollüstling reizbar durch ihre freche Geilheit.

Ihr Wirt verschreibt sie vor angehender Messe aus Halle oder Berlin, läßt auf gute Hoffnung mit der Post sie einschreiben und nimmt sie in Eutritzsch (dem letzten Dorfe vor Leipzig) in Empfang und führt sie bei dämmernder Nacht in seine Mordhöhle.

Den andern Tag wissen schon seine Leipziger Kundleute die neu angekommene Ware, und um die Sache noch ruchbarer zu machen, wird eine der Dirnen in die Form eines Dienstmädchens verkleidet, nimmt einen geflochtenen Handkorb und geht mit der dicken Frau Wirtin nach Leipzig zu Markte, wo sie denn den ganzen Vormittag die Gassen herumstreicht und jedermann figürlich sehen läßt, daß frische Lieferung da sei. Wer Lust hat, wallfahrtet von dato hinaus, die Mädchens flattern mit weißbestaubten Köpfen, langen Kleidern und Strohhüten von einem Herrn zum andern und machen auf Börsen, Uhren und – Barmherzigkeit Jagd.

Soll man dich bei einem künftigen Besuch mit keiner scheelen verdrüßlichen Miene empfangen, so sei beim ersteren dein Tribut nicht unter einem Dukaten, denn so viel, und dies ist noch billig gerechnet, mußt du jedesmal aufwenden.

Nach beendigter Messe werden die Dirnen ihrer Dienste entlassen und nur etwa eine oder zwei in Reserve behalten, die sich um desto höher und besser verinteressieren, da auch Diener des Herrn und alte reiche Hagestolze das ungestüme Wetter zuweilen in diesen Schlupfwinkel des schändlichen Lasters hereintreibt, und die dann immer darum schon doppelt und dreifach ausfallen müssen, weil sie zugleich für die nötige Verschwiegenheit mitzahlen, die aus Gründen unverletzlich gehalten werden muß.

So sicher man denn auch endlich vor Überraschung und plötzlichem Einbruch der Justiz auf diesem Platze schon darum sein kann, weil die in dem Dorfe wohnenden Bauern mit dem Wirte in der genauesten Verbindung stehen und selbst gern außer dem ihrer alltäglichen Weiber auch zuweilen fremdes, niedlicheres und delikateres (?) Fleisch kosten und mit ihren Bauerhacken in Stadtlöchern herumwühlen mögen, so würde ich dem allen ohnerachtet dennoch einen jeden, wessen Standes und Würden er auch immer sei, auf das brüderlichste warnen und ihm abraten, ja dies gefährliche Haus nie zu besuchen, wenn einmal die böse Stunde der Anfechtung schlägt, denn – für seine Gesundheit sowohl als für seinen Beutel ist gleich übel gesorgt!

Im Rufe gleich großer, wo nicht noch größerer Niederträchtigkeit steht der wegen seines Billards schon längst berüchtigte, in des Fiskal Müllers Garten wohnende Hurenwirt Rüdiger. Schon der bloße Name des Besitzers und Eigentümers allein könnte machen, daß man mit einer vorgefaßten, Übeln und widrigen Idee an diese Gartenwirtschaft anginge; denn abgerechnet, daß dieser bockfüßige Satyr von jeher darauf bedacht war, seinen Fiskus durch Erbschleicherei, Defraudationen Betrügereien. und hinterlistige Kabalen so in Aufnahme zu bringen, daß er jetzt schon, da ich dies schreibe, Besitzer dreier Häuser ist, zu welchen allen er, seinem ehemaligen beschränkten Vermögen zufolge, nicht einmal einen Dachstein hergeben konnte, sondern die meistens alten Witwen gehörten, zu deren Kurator er sich, Gott weiß auf welche Art, zu machen wußte, und dann in ihren letzten Sterbestündleins ein Testamentchen aufsetzte, wovon vielleicht die schwachen sinnlosen Weiber keine Silbe verstanden; dies alles, wiewohl es nur zu sehr in der Wahrheit beruht, um bestritten werden zu können, abgerechnet, so ist noch überdem dieser scharmante Fiskal in der Liste der Leipziger Hurenadvokaten mit Recht als einer der verworfensten aufgestellt, und du wirst dich also wohl nicht wundern, wenn sich jetzt Abepachter (Rüdiger) auf den mit Verpachtern abgeschlossenen Mietkontrakt beruft, worin zwar vom Anfang bis zum Ende allen Exzeptionen, Rechtsbehelfen und Ausflüchten wider richtige Abtragung des Mietzinses feierlichst renunziert, entsagt, verzichtet. dagegen aber ausdrücklich die freie Willkür ihm nachgelassen worden, so viel Freudenmädchen zu bewirten, als seine Stuben nur immer halten wollen.

Wollte demnach Abepachter den unter dieser gütigst nachgelassenen Willkür versteckten Wünschen Herrn Verpachters getreulich nachzuleben unterlassen, so würde sogleich Exceptio non adimpleti contractus Einwendung wegen nicht erfüllten Vertrages. für ihn daraus erwachsen, Verpachter aber manche süße Stunde entbehren und Abemieter nächstens dies zur Liebe so wohl gelegene Plätzchen gezwungen werden zu verlassen.

Allein Rüdiger macht sich jene Stillschweigende Kondition so gut zunutze, als man von einem verworfenen und ganz abscheulichen Menschen nur immer erwarten darf. Oh, wie manches Mädchen, sowohl fremd als einheimisch, wurde hier ein Raub des Lasters und der Verführung.

Unter dem Vorwand, Mägde in seine Dienste zu nehmen, und unter dem Versprechen und der heiligsten Versicherung, sie glücklich zu machen, verführt Rüdiger manch unschuldiges Mädchen. Der gute Tisch, elegantere Kleider, das freie, ungezwungene und reizende Leben gefällt dem unerfahrenen Geschöpf, es wird frisiert, bekommt kleine Geschenke – dadurch wird der Hang zur Hurerei reizend und das unschuldige Mädchen, dem diese Neuheit gefällt, ist unbemerkt in dem Gewebe des Lasters verstrickt.

Hier findest du die jüngsten, blühendsten und noch unverdorbensten weiblichen Geschöpfe, die, durch Rüdigers hinterlistige Versprechungen angereizt, von ihren bisherigen guten Herrschaften und von einem vielleicht sehr vorteilhaften Dienste sich losmachten und zu einem Manne übergingen, der die schuldlosen Unerfahrenen der Geilheit eines alten Wollüstlings aufopfert, der freilich für eine unverblühte Rose doppelt soviel bezahlt als für eine vom Stich des Wurms und dem Pesthauche giftiger Ungeziefer schon halb entblätterte Viole.

Auf diese Art wird Rüdigers Serail von Verschnittenen und Unverschnittenen nie leer, das arme Mädchen wird aus einem Strudel in den andern geworfen, ist oft in diesem Wirrwarr des glänzenden Elendes kaum ihrer Sinne mehr mächtig, erwacht vielleicht nach Jahren erst aus ihrer unglücklichen Betäubung und verflucht ihren Verführer dann, wann es schon zu spät ist und Rüdiger sie als eine nicht mehr Dienstfähige ausmustert und zerlumpt, von allem entblößt, aus seinem Hause jagt.

Gleich sonderbar und neu ist die Methode, die Rüdiger sich zu eigen gemacht hat, um aller Welt ein neu angekommenes Schlachtopfer zu verkündigen.

Rüdiger pflegt dann gewöhnlich in den Zeitungen ein vollständiges und regulär gebautes Billard mit Bällen, Queues und allem dem anhängigen zu avertieren, ankündigen, anzeigen. und dann ist er schon versichert, daß seine stoßgeübten Spieler von selbst kommen.

Ein hiesiger berühmter Rechtslehrer, der D. B., welcher den Sinn dieser Annonce so eigentlich verstand, wie ihn vielleicht jeder verstehen würde, der nicht in das Mystische dieser seltsamen Sprache eingeweiht ist, kam vor einigen Jahren in die Verlegenheit, auf Rüdigers Avertissement bei diesem Ehrenmann ein solch Billard zu suchen, und fand zu seinem Erstaunen zwar ein dergleichen bereitstehendes, allein es war kaum noch das Geld für die Ankündigung wert, und erst in einer Seitentüre sah der Hochverwunderte, daß es noch andere Spielbrette gebe, die kein Tapezierer zu überziehen braucht, wo man kein Queue abzuraspeln nötig hat und wo jeder Ball zum Loche führt.

Allein die Juristen sehen sich lieber in ihren Akten um, und Herr Rüdiger bedauerte einige Minuten darauf die undankbare Mühe. die er sich gegeben hatte, den unerweichlichen Rechtslehrer in andere als juristische Archive zu führen.

Nie war wohl ein Bösewicht reifer zur verdienten Strafe als Rüdiger zum lebenslänglichen Zuchthause. Ich will die gütige Justiz der Antwort überheben, wenn ich sie fragte, warum es bis jetzt noch nicht geschah, daß man dies Ungeheuer dahin brachte; sie möchte erröten und stocken, und Rüdiger bliebe doch, wo er ist, und es würde ihm deshalb kein Haar gekrümmt.

Rüdiger bezahlt an den Fiskal Müller terminlich seinen Zins, gibt der Signoria von seinem Billard richtig die Abgaben und – kann dafür doch auch wohl Sicherheit verlangen?

Noch gibt es überdem einige andere Freudenhäuser obiger Art, die jedoch von den vorigen durch nichts Wesentlicheres unterschieden sind und mich deshalb auch von dem unangenehmen Geschäft überheben, weitere Reflexionen über diesen schlüpfrigen Gegenstand zu machen. Die Verhandlungen sind in dem einen wie in dem andern gleich ebenmäßig und immer dieselben, höchstens etwa mit dem kleinen Unterschiede, daß man aus dem einen mit halber, aus dem andern mit ganzer Schule davonkommt; daß man in dem einen mehr, in dem andern weniger geprellt wird; daß man in dem einen sicherer sein kann vor der einbrechenden Justiz und in dem andern unter Furcht und stetem Zagen kaum wagen darf, die Hosen beiseite zu legen.

Ein einziges, besonders verrufenes Haus wäre mir zwar noch übrig, nach seiner Eigentümlichkeit dir zu beschreiben, allein es ist zu verworfen und viel zu tief unter alle Kritik erniedrigt, als daß ich mich nicht schämen müßte, meine Feder damit zu besudeln.

Doch den Namen seines Wirts will ich der Sonderbarkeit halber dir demohnerachtet nicht verschweigen: man nennt ihn vulgo Käsekoch. Sein Anzug gleicht dem eines Renommisten: mit klirrenden Sporen und einem ungeheuren Hute angetan, die Wangen mit roter Farbe beschmiert, geht dieser Elende umher, seiner angesehenen Familie zur Schande und dem Magistrat zum Trotz. Viel Männer sollen besonders in seinem Haus ihre ehelichen Tangenten messen und zum öfteren singen: Variatio delectat. Abwechslung ergötzt.

Niemand hat bessere Zeit bei diesem saubern Kumpan als die Herrn Rechtspraktiker, die meisterlich wieder ausfegen, was seine Freudenmädchen ihm einbringen. Herr Adv. Hayn, Schmidt und D. Kerzel sind gewöhnlich seine rechtlichen Beistände, und ich darf dir ja bloß die Namen dieser Herren nennen, um dir zugleich zu versichern, daß bei ihnen kein Borg-Konto stattfindet.

Und somit hätte ich denn nun auch den letzten abgefertigt, und das Kapitel von den gangbaren Leipziger Freudenhäusern wäre demnach zu meiner größten Freude beendigt. Im nächsten Briefe werde ich dir mit etwas interessantem Bemerkungen aufwarten, und bis dahin empfehle ich mich deiner fortdauernden Freundschaft.

v. N. N.


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