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Zweiter Brief

Die vielen hier anwesenden Meßverkäufer, die aufgeschlagenen Butiken, Kramläden und Stände sowie das unaufhörliche und bis spät in die Nacht fortwährende Unwesen, welches durch die Schleifen deutscher, polnischer, russischer und griechischer Kaufleute verursacht wird, machen zwar das sonst öde und tote Leipzig im Ganzen um einen großen Teil lebhafter und, wenn du willst, angenehmer, im Gegenteil aber auch um ein Merkliches enger, und, mir wenigstens, odiöser, verächtlicher.

Du glaubst gar nicht, wie sehr man in dem tollen Gedränge sich vorsehen muß; wie nötig es ist, auf seine Uhr, Börse und Schnupftücher ein stets wachendes Auge zu haben, und wie ratsam es selbst dem fürsichtigsten Manne wird, in einem Augenblicke sich wenigstens viermal umzusehen, wenn er nicht zuweilen Gefahr laufen will, derbe Ribbenstöße zu erhalten, von einherrollenden Wagen umgefahren zu werden oder sich wohl gar in die Gespannschaft polnischer Pferde zu verlieren.

Allzuweit sind ohnedem die Straßen in Leipzig nicht, mache dir also eine Idee, wieviel Platz da sein kann, wo zwischen einem Raume von vierzehn Ellen (denn so breit sind circa die meisten Straßen) noch zwei Budenleute einander gegenüberstehen, deren Behältnisse beide zusammengenommen doch immer auch eine Breite von acht Ellen ausmachen, und rechne für jeden derselben noch eine Elle, die gewiß die um ihn herumstehenden Käufer und Gaffer ausfüllen, hinzu, so hast du in summa eine Straße, wo in einem Zwischenraume von nicht mehr als vier Ellen Vieh, Menschen und Esel bequem wandeln sollen.

Zwar, und das wird man mir einwenden, ist noch einiger Platz hinter den Buden obengerühmter Kaufleute, und dieser führt gerade unter der Dachtraufe hinweg; allein um alles in der Welt, lieber Baron, mag ich diesen Weg nicht einschlagen, denn selbst die Tropfen, welche von den Dächern der Häuser herabträufeln, abgerechnet, so findest du noch überdem auf und an diesem Wege, hinter und zwischen den nahe stehenden Buden die unverkennbarsten und sichtlichsten Beweise von der guten Verdauungskraft der Leipziger Meßfremden; und sosehr ich mich auch über das behagliche Wohlsein dieser Menschenklasse freue, so werden sie mir's doch aber auch nicht verargen, wenn ich nun ein für allemal kein Anatomiker ihrer Präparate sein mag.

Hier ist also kein anderer Ausweg: entweder mußt du während der Messe gänzlich auf das Straßengehn Verzicht tun oder mit Hintansetzung aller Bequemlichkeit deinen raschen Schritten eine Beinschelle anlegen und hinter Karren und Schleifen so langsam und bedächtig einhergehen wie ein schwarzer Leichenbedienter bei der Prozession an der Kutsche oder mußt wenigstens die hereinbrechende Nacht und ihre Schatten erwarten, wo dir dann keine Schleife und kein polnisch Pferd den Weg mehr vertreten, sondern höchstens etwa ein girrendes Täubchen durch Husten und freundliches Zusprechen in sein dunkles Nestchen dich einladet.

Nirgends aber und in keiner Straße ist das Drängen und Treiben ärger sowie der Raum nirgends enger und das Gehen daher beschwerlicher und in der Tat gefahrvoller als in dem von bärtigen und unbärtigen Juden wimmelnden Brühle.

Freilich wirst du nun schon im voraus auf die armen Söhne Israelis fluchen und ihnen vielleicht im Geiste schon Millionen Schock Teufel auf den ohnehin gedrückten Nacken wünschen, allein, lieber Baron, du wirst dich sogleich wieder mit ihnen versöhnen, wenn ich dir auf meine Ehre versichere, daß eben daselbst niemand mehr geschubt, gestoßen, getreten und ausgescholten wird als gerade diese geängstigten Beschnittenen. Der Grund, warum eben in dieser allergeräumigsten und weitesten Straße Leipzigs der wenigste Platz ist und es am unsichersten und bedenklichsten wird, auf ihr zu gehen, liegt zwar einesteils, wie ich gern zugeben will, in der ungeheuren Zahl der in ihr liegenden Gasthöfe, mehr aber noch und weit natürlicher ist er in der Nachlässigkeit und verfluchten Gewinnsucht derer aufzusuchen, welche die Zeit der Messe über auf die Ordnung und Sicherheit in den Straßen (wozu denn doch auch wohl notwendig die Verhütung allzusehr sich anhäufender Wagen gehört) ein wachsames Auge haben sollen.

So wie es oft mit den weisesten Veranstaltungen zu gehen pflegt, so stark und unverzeihlich versündigt man sich auch hier an der Bequemlichkeit der Leipziger Meßfremden, an dem guten Willen des hiesigen Magistrats, und selbst an der Nahrung und dem Fortkommen einheimischer Kaufleute.

Wer sich bisher keinen Begriff von einer förmlichen Wagenburg machen konnte, der gehe nur zur Messenszeit in den Brühl, und er wird staunen, wenn er ein Heer Räder und Deichseln so dicht ineinandergeschoben und in einer so geraden, doch kaum übersehbaren Linie dastehen sieht, als zur eilften Morgenstunde die Leipziger Wachparade (selbst von ihrem gutvisierenden Major gerichtet) kaum schnurgerader stehen kann.

Allein was sind die Folgen dieser Räderparade? – Nur mit der größten Mühe windet man sich selbst in das bekannteste Haus, denn zu dieser Zeit in unbekannten Häusern jemand aufzusuchen wäre Raserei, und ich würde den einen Tollkühnen nennen, der nur zwei Minuten hintreten und nach der Nummer sehen wollte, denn während dieser zwei Minuten kann er wahrlich schon zweimal über den Haufen geworfen und schon zweimal den sanften Druck eines Hufeisens oder eines Schocks Radnägel empfunden haben.

Mehr aber noch, und schreiend ist diese Vergehung, leiden die meistens armen einheimischen Kaufleute darunter, welche gerade an der Reihe dieser Wagenburg ihre Kramläden haben und welche um so mehr bei dieser Unbilligkeit verlieren müssen, da die meisten derselben mit Materialien handeln, die ihnen der Landmann abnimmt, der sich dann aber wohl hütet, um eines Pfunds Kaffees willen durch so viel ihm ebenso wie mir unangenehme Hindernisse sich durchzuschlagen, unter Pferden und Rädern hinwegzukriechen und wohl gar die Hälfte der Bohnen zu verschütten, die er in einer sicheren Straße ebenso gut und wohlfeil zu erhalten weiß, da ihn bisher bloß die Gewohnheit bestimmte, sie bei einem Mann zu holen, zu dem ihm jetzt jeder freie Zugang auf eine so unverantwortliche Weise versperrt ist. Wer kann's dem Bauer verargen, von nun an zu einem andern überzutreten, und wer ersetzt denn dem verlassenen Kaufmanne auch nur einen Heller für seinen Verlust?

Doch was könnte ich dir noch alles für schädliche Folgen erwähnen, die alle lediglich aus der Treulosigkeit der über diese Straße gesetzten Gerichtsdiener erwachsen!

Nun, wirst du mich fragen, wie sollte es denn aber eigentlich sein, und warum ist es nicht so?

Die Beantwortung dieser Frage könnte dir freilich niemand besser geben als der in Leipzig unter dem Namen des Dreckinspektors bekannte und verrufene Ratsspion Spieß.

Gern möchte ich dir diese Kanaille redend aufführen, wie er mit seiner gleichverworfenen Ehehälfte nach vollbrachtem Tagewerk im einsamen Gemach bei einer Flasche Malaga aus des Herrn D.Xx. Keller die gewonnene Summe berechnet; allein du kennst ja schon die Originalsprache solcher Schurken, – laß dir also lieber kürzlich von mir selbst erzählen, was ich über diese Ungerechtigkeit erfahren habe.

Keineswegs ist es der Wille des hiesigen Magistrats, daß durch eine angehäufte Menge umherstehender Wagen die Bequemlichkeit der Meßfremden ebensowenig als die Nahrung ihrer eigenen kontribuierenden und in allen und jeden Abgaben ziemlich hoch angesetzten Bürger so unverantwortlich gestört, unterbrochen und geschmälert werde. Nichts spricht in diesem Falle mehr für seine Unschuld an diesem Verbrechen als eben die Anstellung solcher dienstbaren Geister, welche denn die strikteste und bestimmteste Ordre haben, darauf zu sehen, daß abgeladene Wagen sogleich zur Stadt hinausgeschafft, die beladenen aber, wenn der Besitzer derselben in Ermangelung des Raums im Hofe seines gewählten Gasthofes sie nicht mehr unterbringen kann, zwar auf der Straße geduldet, aber doch so ineinandergeschoben werden sollen, daß sie nur bis dahin gehen mögen, als der Gasthof an Länge beläuft, und nicht, wie immer, über drei und mehr Häuser sich ausbreiten und dadurch jeden freien Zugang versperren. Allein der Fuhrmann ist zu bequem, auch wohl bedenklich, seinen Wagen zu weit von sich zu entfernen, und der Wirt sieht sich daher notgedrungen, zu niedern Maßregeln zu schreiten, – besticht schon etliche Wochen vor der angehenden Messe mit einigen Laubtalern und am bequemsten bei einem Glas Wein die sonst gar scharfen Augen des beorderten Aufpassers, und wunderst du dich da noch, wenn dieser Kerl die ganzen drei Meßwochen über stockblind ist?

So machen es aber nun die übrigen Wirte alle und müssen es so machen, sonst befolgt der Beorderte auf das strengste seinen Befehl; auf diese Art aber fehlt's dem sauberen Patron die ganze Messe hindurch an allen fünf Sinnen, – er fühlt und greift nur immer in der vollen Tasche herum, säuft schon von früh an auf die Gesundheit der Herren Kneipiers und ihrer Fuhrleute volle Humpen aus, läßt Wagen Wagen sein, und laufen denn nun ja nach der Zahlwoche ernstliche und lautere Beschwerden ein, so heißt es von Seiten des Rates wie billig: Warum kamt ihr nicht früher? Wem soll man nun glauben? – Melden sich aber ja die benachbarten Häuser- und Gewölbebesitzer noch in Zeiten, nun, so sieht man freilich zu seiner größten Freude drei Tage lang die schönste Ordnung, dann aber wird schon wieder etwas nachgegeben, einstweilen kommen andere Dinge aufs Tapet, welche die Köpfe der Signoria dringender beschäftigen, die Wagen im Brühl werden darüber vergessen, und kaum ist vielleicht die Messe eingelautet, so ist auch alles schon wieder in seinem vorigen Gleise. Zudem findet man ja in Gasthöfen immer ein gutes Glas Wein, womit man runzligte, düstre Stirnen glatt und freundlich macht, – sollten denn nicht auch E. Edlen Hochweisen Rats wohlbestallte Subalternen zuweilen gratis die Geister dieses wohlfeilen Saftes versuchen und in und mit ihm – Reglements und Mandate hinwegspülen?

Ich gestehe sehr gern, lieber Baron, daß mich etwas zu lange bei dieser odiösen Wagenaffäre verweilt habe, und ich sehe im voraus schon, daß dein nächster Brief mich derb für den Eifer züchtigen wird, mit dem ich über eine Bedrückung herfiel, die in deinen Augen freilich das Gewicht nicht haben mag, das ich auf Bedrückung jeder Art lege, die den freien Mann empören und ihn in gewissen Stunden sogar gegen eine Obrigkeit aufbringen, die zwar dem ersten Anschein nach soviel Entschuldigendes für sich hat, die ich dann aber weniger freispreche, wenn ich sie über andere Observanzen wachen sehe, die dem armen Bürger nichts helfen und nur höchstens noch einiges Ansehn durch die Autorität gewinnen, mit welcher man die kleinste Übertretung derselben so streng zu ahnden pflegt. Warum sieht man denn da mit eigenen Augen und weiß sich Hilfe zu schaffen? Und warum gehen denn nun selbst Senatoren des Tags wohl zwanzigmal bei dieser Wagenburg vorüber und sehen nichts, wo doch so viel zu sehen wäre?

Ich soll abbrechen und beginne immer wieder von neuem; allein eben erinnere ich mich noch zeitig genug an deine Vorwürfe und warte dir daher mit andern Beobachtugen auf, die dich für die Langeweile der ersteren sattsam entschädigen werden.

v. N. N.


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