Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Nötige Erinnerungen, um den Herausgeber im voraus schon vor Rad und Galgen zu sichern!

 

Ich würde einen unverzeihlichen Eingriff in die Rechte eines Mannes, des Herrn v. N. N., tun, wenn ich mir Eigendünkel und Prätension Anmaßung. genug erlaubte, mich rühmen zu wollen, als habe ich in eigner Person und mit meinen eigenen scharfsehenden Augen alle die offenbaren und zur Zeit noch geheimen Dinge ersehen, welche einem neugierigen und leselustigen Publikum für gut sächsisch Geld hiermit und andurch öffentlich preisgegeben werden.

Nein! Ehre dem Ehre gebührt; und ich glaube, daß es doch immer auch in gewisser Hinsicht nicht wenig Ehre macht, alles das aufzufangen, zu durchschauen und genau und richtig zu übersehen, was dem forschenden Auge bald sichtbarer, bald versteckter und dunkler sich darzubieten pflegt. So mancher vor dem Herrn v. N. N. war ja ebenfalls in Leipzig, ging und fuhr herum wie jener, kam in Gesellschaften und Assembleen Gesellschaft, gesellige Zusammenkunft, Versammlung. mehr noch wie er (denn unter uns gesagt: man traute schon beim ersten Eintritt den Augen des Herrn v. N. N. nicht viel Gutes zu, und im Hallischen Tore, als die Herren Visitatoren ihn anhielten, machten sie sogar aus seinen listigen und schalkhaften Blicken den weisen Schluß: er sei ein maskierter französischer Spion; nur mit vieler Mühe und rasendem Geldaufwand ward er endlich dennoch ein lauer Hausfreund in der Familie L.) und – sahe nichts! Herr v. N. N. sahe in den ersten Tagen nach seiner glücklichen Ankunft, selbst mitten im dicken Dunstkreise der Leipziger Welt, mehr närrische Dinge, als mancher Astronomus beim günstigsten Wetter und auf der herrlichsten Warte am wolkenlosen Himmel nur immer Sterne sieht; er behielt sie in einem treuen fleißigen Herzen, und auch da, als er schon wieder zwanzig Meilen von Leipzig entfernt war, rief er immer seinem Reisegefährten noch zu: Freund, Sie müssen Leipzig sehen; so viel Tolles ist Ihnen gewiß noch nicht vorgekommen; – man gibt ja wohl für das minutenlange Anschauen eines fremden Tieres acht Groschen, – und um Leipzig zu sehn, und es ganz zu sehen, wie es eigentlich gesehen werden muß, das heißt in seiner Nacktheit und Blöße, – o Freund, da darf Sie der Verlust eines ganzen Kapitales nicht reuen, – denn dann wissen Sie erst, was Welt und Menschen sind, was ihre Tollheit vermag!

Herr v. N. N. drang in Mysterien ein und ward bald ein so hoch Geweihter, daß er selbst über seine Einsichten erstaunte; doch dieser wirklich adelige Mann war behutsam und schonend, und niemand, selbst sein intimster Busenfreund, Baron von H., nicht, erfuhr seine gemachten Entdeckungen, ja, nur sein vor zwei Monaten erfolgter Tod erst gab uns den Schlüssel zu diesem kostbaren Archive. Doch bisher ehrten wir noch des Verblichenen Wünsche und hielten der Publizität ein Werk vor, das wohl verdiente, in den Händen jedes Weisen und jedes Toren zu sein. Es faßt die unschätzbarsten Denkmäler in sich, wie weit besonders Tollheit, Eigendünkel, Prachtsucht und Mode den Erdensohn verleiten und an welche Abgründe, in welche Labyrinthe sie den Trunkenen dann führen, wenn er, innern und äußern Antrieb verachtend, nur ewig dem Strome folgt, der den Elenden einst dennoch untertaucht, murmelnd seine Wellen über ihn zusammenschlägt, seinen Ungeheuern ihn preisgibt und – die zerfressenen Überreste dann hohnlächelnd ans Land spült! Welt, du würdest sonderbare, würdest schreckliche Dinge erfahren! Des Verblichenen Aug drang in die geheimsten verborgensten Winkel; drang in das Schlafgemach der treulosen Gattin wie in die Unzuchtkammer des sodomitischen Buben. Es sah die Feder des parteiischen Gerichtsnotars und Schöppenschreibers führen, wenn ihr untertänigster Bericht ad Serenissimum ›zum allerhöchsten Rat der Stadt‹. den Rechten des Armen – der freilich nicht wie sein reicher Gegner mit voller Hand die rechte Schmiede finden konnte den letzten Todesstoß versetzte. Auch in die Audienzzimmer der Herren der Signoria huschte er, ein zweiter Abellino, hinein und hörte die Berichte ihrer Spions über die Vorfallenheiten des gestrigen Tages. Ungesehen saß er in der Werkstatt des Urteilsverfassers, der über falsche Relationen meditierte, aus dem Verfahren des armen Cajus bei Rechtsstreitigkeiten für eine fingierte Person gesetzt. tötendes Gift saugte, indem Titius bei Rechtsstreitigkeiten für eine fingierte Person gesetzt. ins Zimmer trat, einen Beutel mit zwanzig Goldstücken auf die Akten warf, daß denn Cajus hierauf wie billig abgewiesen, in alle Kosten kondemniert, verurteilt. dem sechzehnlötigen Titius aber der Eid zugeschoben wurde, den Cajus schwören sollte, und – Cajus endlich betteln ging.

Doch wo drang sein scharfes Aug nicht alles hin? Ich will jetzt schweigen, denn gezwungen muß ich doch vielleicht einst alles entdecken, und wehe dann manchem Weibe, manchem Senator, manchem Stadtrichter und Schöppen, und – manchem geistlichen Glatzkopf!

Baron v. H. ist, wie viele seines Standes, ein luftiger Windhund, ein Freudenjäger, zuweilen ein Ball seiner rasch lodernden Leidenschaft, zuweilen ein Trunkenbold, Spieler, Hurer, alles, ohne jedoch eins von ihnen allen in der Tat und von Profession zu sein, aber – sonderbar! – doch zuweilen auch der beste Mensch unter der Sonne.

Herr v. N. N. hingegen war durchaus solid, stets ernst und männlich, ganz vorzüglich ein Feind jedes groben Lasters, jedes Drucks, jeder Tyrannei, jeder Kabale und Intrige, dafür aber ein desto wärmerer Freund des Lichts, der unübertünchten Wahrheit, des freien Sinnes, der Offenheit im Denken und Handeln, doch aber freudetrunken unter jubelnden, gesellig unter frohen Gesellschaftern, und zuwenig Misanthrop, um nie seine ernste Miene zu einem heitern Lächeln zu formen. Allein bei allen den sonst so edeln Eigenschaften konnte man doch nicht umhin, dem Herrn v. N.N. über eine gewisse unersättliche, oft ganz übertriebene unzeitige Neugierde, über sein allzu emsiges Forschen nach Schwächen und Mängel und endlich über seine bitterbeißende und gallsüchtige Satire zuweilen die gerechtesten Vorwürfe zu machen.

Herr v. N.N. reisete von Berlin nach Leipzig, und zwar im Winter. Baron v. H. war im voraus entzückt, von einem fremden Platze, von dem er längst schon, doch nur so obiter, beiläufig. manches scharmante Histörchen gehört hatte, durch seinen forschenden Freund bestimmtere Nachrichten der Art zu erhalten, wie sie ganz vorzüglich seinen Neigungen schmeichelten und wie sie besonders in die Lieblingsideen einschlugen, nach deren Bereicherung er Tag und Nacht mit Geist und Körper geizte: Divertissementsplätze, Divertissement = Vergnügen, Unterhaltung. andere öffentliche Orte und Mädchenaffären waren die Gegenstände seines unaufhörlichen Forschens; was Wunder, daß Baron v. H. so oft seinen Stand verleugnete, in einen abgetragenen Soldatenkittel sich hüllte, um desto unerkannter in die niedrigsten, schmutzigsten Höhlen zu kriechen! Was Wunder, daß bald in Berlin kein Loch mehr aufzufinden war, das er nicht gekannt, nach allen seinen Eigenheiten haarklein zergliedert hätte, und auf diesem Wege nur zu bald ein lebendiger Katalogus aller Berliner Schlupfwinkel wurde!

Kaum hatte Baron v. H. nach Uhr und Postkarte ausgerechnet, daß sein Freund in Leipzig angekommen sein könne, so bombardierte er ihn auch schon mit einem ellenlangen Briefe und erwartete mit dem nächsten Posttage einen Bericht von allen Leipziger Hotels, Gärten und Mädchen. Zwar nicht mit einmal, doch nach und nach; und desto völliger und reichhaltiger wurde sein Verlangen befriedigt. Herr v. N. N. schrieb seinem Freunde alles, was er sah, aber von dem, was er hörte, nur das, was er oft, einstimmig und von Männern hörte, auf deren Truglosigkeit er alles rechnen konnte.

Kaum war Herr v. N. N. zur Erde bestattet, so schrieb mir Baron v. H. seine Meinung und deklarierte den Wunsch, eine Materie bearbeitet zu sehen, die bisher wohl noch nie oder doch wenigstens immer nur auf eine Art zur Sprache kam, wo man aus den erhabenen triftigen Widersprüchen schon abnehmen konnte, wie wenig der Verfasser seine Nachrichten geprüft, wie wenig – und wie wenig richtig – er mit eigenen Augen gesehen und nur alles niedergeschrieben habe, was Dummheit, blinder Glaube und die Anhänglichkeit an eine grund- und hirnlose Tadelsucht nur immer Verstümmeltes und Verschrobenes ihm eingaben. – Der Wunsch des Herrn Barons ist gerecht, der Gegenstand nicht ganz uninteressant und der Zweck – ursprünglich derselbe, den man bei jeder Erzählung beabsichtiget, die sich über wirkliche Ideale verbreitet und nicht in Sphären herumschweift, welche am Ende ihre Begeisterten so schrecklich verlassen und wohl gar, wenn's zu arg wird, dem öffentlichen Gelächter und einer für Unsinnige angemessenen Strafe preisgeben.

Ich Endesgesetzter für meine Person habe also um diese ganze gegenwärtige Abhandlung das einzige Verdienst, daß ich jene Briefe sorgsam ordnete, zwei bis drei derselben in einen einzigen verwandelte, übertriebene Schilderungen, welche mir nach einer kleinen Überspannung der aufgebrachten Sinne zu riechen schienen, hinwegstrich, und das Ganze denn endlich in ein Gewand hüllte, wie es sämtliche hochzuvenerierende Leser und respektive Leserinnen hier vor sich liegen sehen. Abgewichen bin ich von der Quelle nie, habe nicht augmentiert, vergrößern, vermehren. vielmehr, wie schon erwähnt worden, gestrichen, dem Kinde einen Namen gegeben und nun bis zu dem Zeitpunkte, wo wir uns in einem zweiten Bande über wichtigere Dinge besprechen, meines Herzdrückens mich entledigt. Valete et favete linguis. nehmt Abschied und hütet die Zungen.

H. im Monat Mai 1799

Ernestus Gotofredus
Lagophthalmus


 << zurück weiter >>