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Achtzehnter Brief

Aus deinem gütigen Schreiben habe ich denn zu meinem größten Vergnügen ersehen, daß mein voriger Brief, weit entfernt, dir nur eine Minute Langeweile zu machen, vielmehr ein so herzhaftes Lachen aus deinem ganzen Wesen hervorgelockt habe, daß du dich noch jetzt bei dem bloßen Gedanken daran, wie man zu sagen pflegt, fast ausschütten möchtest. Allein den letzten Punkt deines Verlangens betreffend, so gestehe ich dir unverhohlen, du hast mir damit einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht. Der Schluß oder, wenn ich so sagen darf, die Schlußbitte deines Briefes: ›Wenn dir meine Freundschaft wirklich so teuer ist, als du mir immer versicherst, oh, so bitte ich bei diesem Gefühle, beschenke mich, sobald nur möglich, mit Orten ähnlicher Art, und daß es dir daran ermangeln sollte, wage ich nicht einmal entfernt zu vermuten‹ – setzt mich, da ich die Heftigkeit deiner Wünsche schon kenne, in eine mehr als unangenehme Verlegenheit.

Diesmal, lieber Baron, hast du dich in deinen Vermutungen geirrt, und ich gestehe dir unverhohlen, daß ich vergebens nach einem Plätzchen spüren werde, wo so viel seltene und sonderbare Dinge auszuwittern wären, als die waren, welche meinen vorigen Brief füllten. Freuest du dich nicht mit mir über ein so schönes, für einen großen Teil Leipzigs so ehrenvolles Geständnis?

Hiermit will ich denn nun aber durchaus nicht verstanden wissen, als solltest du ganz an dem weitern Verfolge amüsanter, unterhaltender Nachrichten verzweifeln; o nein, du wirst, soweit es der Raum gegenwärtiger Blätter erlaubt, noch so manches scharmante Histörchen und noch so viel artige Lieferungen komischer Dinge in die Hände erhalten, daß ich im voraus überzeugt bin, du werdest die Schilderungen des vorigen Briefes gänzlich darüber vergessen.

Doch ich eile zum Zweck; und da du einmal an Gartenvergnügungen, wie mich dünkt, Behagen zu finden scheinst, so will ich denn auch unverzüglich diejenigen Gärten der Reihe nach mustern, welche als öffentliche (denn die Privatgärten liegen nicht in meinem Plane) betrachtet werden können.

Unter diesen bietet sich mir nun vor allen andern der sogenannte große Bosische dar. Er war ehedem einer der schönsten, sehenswertesten Privatgärten Leipzigs, und in botanischer Hinsicht übertraf er die Erwartungen des Kenners. Daß er aber jetzt nur in seinen Ruinen noch sichtbar ist und Krautstauden die botanischen Pflanzen verdrängt haben, glaube ich nicht erst versichern zu dürfen; die Ursachen hierzu wirst du weiter unten ersehen.

Der hintere Teil dieses Gartens ist vor der Hand die Sommerszeit über an einen Kaffeeschenken verpachtet, doch steht es jedermann frei, auch den ganzen übrigen Garten zu durchwandeln; und so ungern auch oft die lieben Familien dies sehen mögen, welche ihrer Gesundheit (?) halber hier wohnen, so sind sie doch mit den affrösesten Grimassen nicht imstande, es zu verhindern. Der D. Platner allein noch öffnet zuweilen gefällig seine Tür und fühlt sich geschmeichelt (wie denn der ganze Mann ein großer Liebhaber von Schmeicheleien ist), wenn sich an seinem Gehöfte eine Rotte junger Musensöhne versammelt und ehrerbietig dem sanften Klavierspiele seiner literärischen Tochter lauscht.

Dienstags und sonnabends wird hier jedesmal von den Hautboisten des hiesigen Regiments ein sogenanntes Konzert gegeben, und jeder Eingehende muß dabei vor allen Dingen in eine blecherne Büchse steuern, ehe und bevor er an solchen Tagen den gewünschten Eintritt erhält; die Wache steht mit aufgepflanztem Bajonett an dem Eingang, und das ganze gewinnt dadurch ein veritabel militärisches Aussehen.

Ob und inwieweit eine solche Verfügung die Billigkeit und die schuldige Achtung für das ganze Publikum beleidige und ob es sich zieme, mit soldatischer Allgewalt dergleichen freiwillige Gaben (welches denn das Geschenk aufs Notenblatt doch wohl immer bleibt) zu erpressen, wage ich nicht zu bestimmen.

Doch dem freien Mann muß es notwendig auffallen, bloß an einem einzigen Orte Zwangsmittel zu sehen, indes an keinem der übrigen hiesigen öffentlichen Gärten ein Häscherkommando steht und jedem ein donnerndes »Halt!« zuruft, der nicht sogleich die Hände in der Tasche hat. Die Musiker an andern Orten wollen doch ebenfalls nicht umsonst arbeiten, und sie müssen hoffentlich, auch ohne Wachen, ebensowenig zu kurz kommen. Würden sie sonst nicht längst schon auf ähnliche Gedanken gefallen sein?

So nachsichtig das hiesige Militär gegen und unter sich selbst ist, so streng wollen sie doch mit anderen verfahren, und die Oberoffiziere können dergleichen beleidigende und unanständige Einrichtungen sich leicht gefallen lassen, da sie, wie bekannt – frei ausgehn.

Wer sich überhaupt die Mühe geben wollte, das hiesige Regiment nach gebührender Strenge zu mustern, könnte leicht mit dem subordinationswidrigen Benehmen und mit den mehr als unmilitärischen Verhältnissen, in welchen hier die Untern gegen ihre Chefs und diese wieder gegen letztere stehen, ein ganzes Alphabet ausfüllen. Doch wer wüßte nicht, daß auch ebendies Regiment unter denen der ganzen sächsischen Armee mit Recht als das liederlichste und schlechteste verschrien ist? Die Ursachen seines üblen Zustandes liegen am Tage.

Übrigens ist die Musik, die man hier hört, durchaus nicht unter die gewöhnliche Konzertleierei zu rechnen, und der Grund, daß sie dies nicht ist, mag wohl hauptsächlich in der Gegenwart der Offiziere aufzusuchen sein, welche, wie schon erwähnt worden, gern dahin gehen, wo es ihnen nichts kostet, und daher auch diesen Garten in den Konzerttagen mit ihrer jedesmaligen Anwesenheit beehren.

Aus Achtung für ihre Portepees hat ihnen der Wirt ein eignes (?) Zelt erbaut, unter welchen sie, Erdengöttern gleich, dasitzen und im Hochgefühl ihrer Uniform auf die lächerlichste Art um sich her das bürgerliche Zivilgesindel mustern.

Außer Bosens Garten (wohl zu merken!) spielt aber auch der Offizier in Leipzig eine gar unbedeutende, erbärmliche Rolle; kaum daß man ihn über die Achsel ansieht, so wünscht auch keine Familie seinen Zutritt. Sie sind daher in ihrem Gott vergnügt, wenn sich ein reputierlicher Mann die Mühe gibt, von ihrer Gesellschaft zu sein, und dem wissen sie es tausend Dank, der an öffentlichen Orten sich neben sie setzt und dadurch verhindert, daß sie keine tödliche Langeweile haben oder, wie so oft, beim bloßen Gaffen es bewenden lassen müssen.

Allein hier an den Konzerttagen ändern sie ganz auffallend Miene und Rolle, gehen einher mit gravitätischem Schritte, gleich als wären sie auf der Wachparade zum Richten; schnallen ihre Degen herunter bis auf die Lenden, tragen sie, der Kavallerie nachäffend, brüstend in den Händen; erwarten von jedermann Begrüßungen, die ihnen aber leider nicht werden, sehen deshalb auch alle Menschen mit großen Augen an und dulden endlich in diesen merkwürdigen Stunden nur höchstens solche Leute in ihrem Zirkel, welche, wie e. g. der Helmwirt Beck, die saubern Herrn zuweilen trösten müssen, wenn etwa der Herr Lieutenant, wie das nicht selten der Fall ist, durch seinen Stubenheizer die halbe Garderobe haben forttragen lassen und zum Unglück morgen auf die Wache ziehen müssen; oder auch, wenn sie nach eingenommenen Frühstück oder aufgehobener Tafel ihre Zeche bezahlen sollen und doch kaum vielleicht wissen, wo sie die acht Groschen für den herunterleuchtenden Bedienten hernehmen sollen. Dann heißt es freilich immer: »Mein liebes Beckchen hinten, mein liebes Beckchen vorne.« Das liebe Beckchen läßt sich's vielleicht auch ein Weilchen gefallen, meldet sich aber, wenn ihm die Nachsicht lange genug gedauert zu haben scheint, beim Regimentsquartiermeister und läßt seine Forderung dem jungen Herrn an der monatlichen Gage abziehen.

Dafür genießt denn aber auch Beck die Liebe aller Offiziere des Regiments, hat ihre Gunst wie ihr ungeteiltes Zutraun (ob ihm viel daran gelegen sein mag?), ist dabei unter Helden (?) ein Held geworden, lebt überall auf einem echt militärischen Fuß (soll sogar seine Interims-Damen soldatisch behandeln), marschiert mit dem Regimente en Parade zur Beichte und Kommunion und sitzt auch in Bosens Garten unter ihnen wie ein Zar unter seinen Vasallen.

Becks holdes Antlitz glüht wie eine reife Herzkirsche, und in seinen kleinen funkelnden Kalmuckenaugen spiegelt sich die abgezehrte Heldenwange des welken Herrn Lieutenants.

Beck lacht über die betrogenen Toren, sieht sehr oft ihre Blöße bis aufs Hemde, hat aber immer aus Vorsicht einen Obristen oder Major auf seiner Seite und prellt dann die übrigen Schlucker nach eignem Gefallen.

Die Offiziersdamen nehmen hier ebenfalls ein besonderes Air Ansehen, Haltung. an, obgleich so manche von ihnen, der vorigen und jetzigen Zeit eingedenk, wie eine arme Sünderin dasitzen, einen Aschenkittel umhängen und ihr beschämtes Aug zur Erde heften sollte. Doch die Ehre, einen Portepee-Helden an der Seite zu haben, vertilgt alle vorige Flecken, macht dreust und gibt Kühnheit, sich ohne Scheu unter rechtlichen Menschen zu brüsten. Stammbäume haben freilich die wenigsten derselben, dafür aber bringt die eine ihrem Manne Hopfen und Malz, die andere vielleicht zur Mitgift fabrizierte Tabaksblätter zu, und wahrlich, beide Artikel sind mir immer noch angenehmer als ›aufsteigende Linien‹ ohne Geld. Adelige Damen ohne adeliges Vermögen sind dem hiesigen Offiziere nichts nütze, er fuhrt daher weit lieber eine bürgerliche ins eheliche Bette, welche ihm goldnen Trost für Gegenwart und Zukunft reicht.

Jedes Mädchen in Leipzig, welches 6000 Taler besitzt, kann daher auf den Besitz eines Offiziers keck Rechnung machen; sie darf nur von fernher diesen Wunsch äußern, und sie ist vertan, ehe sie es noch ahndet. Freilich machen die verdammten Kaufleute zuweilen einen gar fatalen Strich durch dergleichen Rechnungen, und dann bleibt leider dem Herrn Lieutenant nichts übrig, als weiterzugehen oder seine Gläubiger auf die baldige Niederkunft mit einer Kompanie zu vertrösten. Viele dieser leidig Getrösteten kommen denn nun hierher in Bosens Gatten, gehen um ihre Schwangern herum wie eine Kindmutter um dicke Weiber – möchten freilich, um der Überzeugung halber, oft so gern nach der bald zu hoffenden Kompanie wie jene nach dem Kinde fühlen, und kommt denn endlich nach langem Harren der Kirchenzettel (Avancement) Beförderung. von Dresden herunter, und der Betrogene hat noch hastig nach dem Taufnamen gesehen, so findet er zu seinem Schrecken statt des gehofften Inhabers einer gnädigst konferierten Kompanie am Ende doch wohl nur erst höchstens einen Stabskapitän. Impertinent zu mahnen ist verboten, zu was nützt es auch? Höchstens würde es dazu dienen, daß er endlich gar nichts erhielte. In der Tat, für den unbefangenen Zuschauer sehr lächerliche Auftritte! Doch ich verliere mich zu weit vom beabsichtigten Zwecke und will daher vor meine Ergießungen einen Damm werfen.

Für das übrige Publikum nun sind hier ebenfalls Zelte errichtet, und wer keinen Platz mehr findet, setzt sich auf hölzerne Bänke unter die Bäume. Das Konzert erhebt sich von einem erhabenen Altan herab und verbreitet seine Töne durch den ganzen Garten hindurch.

Die Damen, und unter ihnen die vornehmsten nicht ausgenommen, besehen einander die Röcke oder den Kopfputz; eine königliche Hure regaliert ihren Ehemann, wenn er bei seiner Ankunft nicht gleich das nette Patschchen küßt, mit einer französischen Grobheit; die Herren unterhalten sich von Wetter oder politischen Neuigkeiten, und die junge Welt beiderlei Geschlechts streicht in den schattigten Gängen umher und macht auf Minnespiel und Eroberung Jagd. Das ist denn hier so der gangbare Ton!

Die Bedienung mit Speisen und Getränken ist so eingerichtet, daß man für vieles Geld nur äußerst wenig erhält, sich daher durchaus den Magen nicht überschüttet, oft hungrig wieder von dannen geht und alles auf die freie Luft rechnen muß.

Die Speisenden gehen in die Stuben eines alten morschen Gebäudes, wo zwar kein an einer Haare über ihnen hangendes Schwert, desto schrecklicher aber wurmstichige Balken und gesenkte Decken sie an die Bitterkeiten des menschlichen Lebens erinnern. Unter Furcht und Zagen wird jeder Bissen verschlungen, und kaum ist vielleicht der letzte hinunter, so knackt's in dem morschen Sparrwerke, oder ein gefräßiger Holzwurm wirft sein Tagwerk auf den Teller.

Wer mag gern unter hangenden Klippen eine Tafel aufschlagen?

Der sorgfältigere Mann speist also im Freien, bezahlt für warmes Essen, hat aber bei Lichte besehen nur kaltes oder doch wenigstens nur halbwarmes!

Allein in Leipzig ist nun einmal ohne Essen und Trinken kein Vergnügen vollkommen, und so bleibt man denn auch hier, selbst mit Gefahr seines Lebens, dieser lieblichen Methode treu.

Übrigens ist dies Gartenvergnügen auch in jeder andern Rücksicht für den vernünftigen Mann auf keine Weise zu empfehlen. Der Garten, und namentlich derjenige Bezirk, worin sich die Gesellschaft beschränkt sieht, liegt äußerst tief, der Regen bleibt wochenlang stehen, die Luft ist dadurch immer von feuchten Dünsten geschwängert, und naht sich vollends der Abend, so glaubt man wahrlich in einem Keller oder in einer Eisgrube zu sitzen, so feucht und naßkalt ist dann hier die Atmosphäre.

Noch weniger ratsam aber ist es für den bescheidenen Mann, länger als bis abends acht Uhr zu verweilen – er läuft sonst wirklich Gefahr, an jeder Ecke und an jedem Baume Greuel- und Schandszenen zu sehen.

Mit dem heranrückenden Dunkel rücken auch die Freunde und Freundinnen der Dunkelheit in Scharen heran, und in den Winkeln hört man dann ein unaufhörliches Ächzen. Es gehört hier gleichsam zur Feier des Tages, daß man seine Vergnügungen mit Szenen der Wollust beschließt, und mancher Galanthomme Ehrenmann. verliert sich daher mit der schmutzigsten Nymphe in die Schatten des Busches. An bequemen Lagern und Plätzen fehlt es zum Unglück hier nicht, denn der ganze Garten ist voll der verstecktesten Schlupfwinkel. Mit strenger Aufsicht darf sich der Wirt, sosehr er es vielleicht wünschte, durchaus nicht befassen, er würde sonst manchen vornehmen Gast weniger haben.

Auch Damen der gebildeteren Welt suchen sich hier zuweilen eine erschütternde Anleitung zu besserer Verdauung, und so wird nach Tisch der Konzert-Garten ein Asyl der Hurerei.

Käme das ganze verfallene Gerümpel an einen andern Besitzer, der die öffentliche Wirtschaft verbannte, Leipzig würde wahrlich in jeder Hinsicht nur sehr wenig verlieren!

Jetzt ist dieser Garten im Besitz einer Dame, bei der man fürwahr die subtilere Ökonomie aus dem Grunde zu lernen vermag, und hätte die Holde in den Tagen des seeligen Ovidius gelebt, so sollte ich glauben, er habe sie zum Muster seines Geizigen genommen. Der schmutzigste Filz kann in jeder Hinsicht kaum niederträchtiger sich äußern als die Frau D. Bosin, das Nonplusultra aller Wucherraffinerien.

Wer könnte außer ihr einem in seinem Hause wohnenden Edelmann das Holz stehlen und gelassen eine derbe Tracht Prügel und die Ehrentitel einer Spitzbübin, einer Diebin ertragen?

Wer könnte außer ihr von armen Handwerkern für geliehene Posten zwanzig Prozent nehmen?

Wer könnte außer ihr in allen Auktionen herumkriechen, alte Schuhe, alte Röcke, alte Schnallen erstehen und sie dann auf der Stelle wieder mit einigen Dreiern Profit verkaufen oder sich selbst mit diesen Kleinodien schmücken?

Wer könnte außer ihr sein Gesinde halb verhungern lassen oder tagtäglich ihre Mägen mit Kleistersuppen vertünchen?

Wer konnte außer ihr die ungerechtesten Prozesse verhängen und dennoch am Ende den Anwalt um sein mäßiges Liquidum Honorar. prellen?

Wer könnte außer ihr arme Bauernweiber bis aufs Blut schinden? Wer außer ihr an Sandwagen treten, Sandproben in Schnupftücher einpacken und dann schmunzelnd ob der gelungenen Betrügerei an kein Kaufen gedenken?

Doch wenn würde ich mit allen den elenden Kniffen zustande kommen, in denen sich diese Dame gleichsam erschöpft – vielleicht zwei Groschen rettet und für hundert Taler Schande auf sich häuft?

Ihr zweites Ich, der ganze Abdruck ihrer Seele, ist denn auch ihre schon schwer betagte Jungfer Tochter. Sie hat alle die erhabenen Eigenschaften ihrer liebenswürdigen Mutter ererbt und verspricht wirklich an schmutzigem Geiz sie einstnoch zu übertreffen. Schon gaben sich mancherlei bedrängte Abenteurer viel Mühe, die finnige Schöne aus ihrem Jungferwagen auszuspannen; allein die Herren müssen samt und sonders im Verhöre die Probe nicht bestanden haben, denn noch ist sie die unverletzte Tugend selbst, und kein Sterblicher hienieden wagt es mehr, diese verwünschte Prinzessin zu heben. Graues Haar deckt längst schon ihren spitzigen Scheitel, und Mutter und Tochter gehen stets nebeneinander wie Harpax und Xanthippe.

Geängstigte Edelleute finden in dem Haus der D. Bosin Trost und Beruhigung, sobald sie mit Zertifikaten erweisen, daß sie ansässig sind, daß noch keine Schuld sub hypotheca unter Verpfändung. hafte, und sobald sie sich endlich bequemen, dreißig Prozent im voraus abziehen zu lassen, und überdem noch die aufgehaltene Tatze der teuren Tochter füllen, weil sie so gütig war und die liebe Mama beredete, auf Wechsel zu borgen.

Wer wundert sich bei so bewandten Umständen noch, daß die Bosin die Bäume ihres Gartens verwildern, die Terrassen verfallen und die Wohngebäude zusammenstürzen läßt? Wer wundert sich, daß ein schönes botanisches Gefilde in einen Gemüseplatz verwandelt worden ist?

Gnade Gott dem ehrlichen Manne, der dieses Grundstück pachtet; lieber will ich doch noch (und wer weiß nicht, wieviel ich da wage?) mit dem Bauernschinder Vockerodt als mit diesem Drachen von Weibe etwas zu tun haben.

Die wenigsten Pächter haben auch bis jetzt ihren Kontrakt prolongiert, und geschah es ja, so entstanden dennoch gemeiniglich am Ende Prozesse.

Den Pachter der Kaffeewirtschaft wollte die gütige Dame ebenfalls vor einigen Jahren in seinem ohnehin schon hohen Pachte übersetzen; allein da dieser zu nichts weiter sich verstand und förmlich aufkündigte, kam endlich die Frau Doktorin selbst zu ihm ins Haus und bat nur um eine kleine Zulage von fünf Talern.

Ein Weib von mehr denn 200 000 Talern kann so niederträchtig handeln?

Man trug sich vor einiger Zeit mit der Sage, als habe der Leipziger Piat um diesen Garten gehandelt; allein es mag entweder an dem ganzen Gerüchte schon von Haus aus wenig Wahres gewesen sein, oder die Frau D. Bosin hat bei ihrer Forderung zu sehr auf die vornehmen Käufer gesehen, ihre vollen Säckel vor Augen gehabt und ebendadurch vielleicht jeden Versuch zu einer fernerweiten Unterhandlung gestört, denn jetzt wird kaum dieser Neuigkeit noch im Vorbeigehen gedacht.

Ich breche hier ab und werde in meinem nächsten Briefe den Jägerischen Kaffeegarten beleuchten. Bis dahin denke deines

v. N. N.


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