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Dreizehnter Brief

Unter diejenigen öffentlichen Vergnügungen, in welchen besonders die gebildetere oder auch die reichere Klasse (nicht immer die gebildeteste) der Leipziger Welt sich zu erholen pflegt, gehört nach dem Schauspiel auch ganz vorzüglich das Große Konzert.

Den Namen des Großen mag es wohl hauptsächlich zum Unterschiede von den vielen kleinern erhalten haben, die man hauptsächlich die Sommerszeit über in allen hiesigen Kneipen, Gärten und den schmutzigsten Löchern angeschlagen findet und welche denn bei vier elenden Geigen und einem alten rumpelnden Basse so abscheulich diesen vielversprechenden Namen entehren.

Ich ging einst donnerstags zum Rosentäler Tore hinaus und kam vor einer Hütte vorbei, nach der eine zahllose Menge zerlumpter Handwerksburschen, Kohlenträger und anderer dergleichen Noblesse zuströmte, von denen einer dem andern zurufte: »Du, heute ist bei Köhlern (der Wirt dieser Kneipe) Konzert.«

Du kennst meine Neugierde, lieber Baron, und von ihr auch diesmal angetrieben, wuschte ich verstohlen hinein, denn geraden Wegs mich hineinzubegeben, hielt ich nach dem, was ich sah, schon ehrenhalber für gefährlich.

Der Eintritt in die Stube, wenn ich dies Loch anders so nennen darf, übertraf noch bei weitem meine Erwartungen. Ich fand hier wie noch nirgends ein wahres Quodlibet der ganzen lebenden Welt; allein die Ausdünstung der sich immer mehr anhäufenden Gäste, der odiöse Geruch, der Kneller und gewisse hier ganz unverhaltene Lüftungen verursachten, sowie die saftigen Zotologenunterhaltungen, Zoten erzählen. mit denen sich gleichsam jene Menschen zum herannahenden Konzert vorzubereiten schienen, verleideten mir jede fernere Lust, länger in diesem abscheulichen Schwitzkasten zu bleiben. Und nach dem, was ich jetzt vorausgeschickt habe, würdest du wohl glauben, daß wirklich mit ungeheuer großen Buchstaben an der Tür angeschlagen stand: Alle Donnerstage ist hier Konzert? – Wenn in so elenden Butiken Konzerts gegeben werden, oh, so verdient doch wohl das obengenannte mit Recht den Namen des Großen Konzerts! Ich komme näher zum Zweck.

Dies Konzert nun wird denn bloß den Winter hindurch, und zwar jedesmal donnerstags auf dem Saale des Gewandhauses gehalten. Mit Vergnügen lasse ich den Virtuosen, welche hierbei engagiert sind und sich hören lassen, die Gerechtigkeit widerfahren, daß sie über alle Erwartung viel leisten und einige derselben wohl wert wären, durch ihr Spiel den Prunk einer fürstlichen Kapelle zu erhöhen. Ich habe hier Violinisten angetroffen, wie man deren wenige finden wird; und es macht in der Tat dem Leipziger Publikum Ehre, daß man diese Männer nicht wie gewöhnlich bloß schätzt, sondern auch tätig unterstützt. Aufmunterung muß der Künstler überall finden, sonst erkaltet bei all dem leeren Beifall, den man ihm schenkt, doch endlich sein Eifer; und zudem: wer braucht und konsumiert wohl immer mehr als ein musikalisches Genie? Im Ganzen schon legt man es den Genieköpfen zur Last, daß sie gewöhnlich sich etwas mehr Bedürfnisse machen sollen als andere alltägliche und gemeine Menschen, und wirklich bestätigt eine öftere Erfahrung diese Behauptung. Wie sollten denn die musikalischen Halbgötter allein eine Ausnahme machen?

Unter den Sängerinnen war Madame Schicht bisher die Primadonna, und wirklich mag ihre italienische Kehle ehedem mal himmlische Töne hervorgezaubert haben; allein man fängt jetzt an, ihren Vorzügen einen Teil des Beifalls zu entziehen, der sonst in so reichem Maße über sie ausströmte, und ich glaube wirklich, daß man nicht ohne allen Grund diese kleine Beeinträchtigung an ihr begeht, denn – sie hat mir selbst die Genüge nicht geleistet, die ich mir von ihr versprach.

Der hiesige Bürgermeister Müller, ein wahrer Mäzen aller Künstler, scheint dies Bedürfnis zeitig genug eingesehen zu haben, und da er sich besonders für weibliche Kunstverwandten außerordentlich verwendet, so hat er auch in gegenwärtigem Falle seinem Eifer für Leipzigs Vergnügen einen neuen Stoß gegeben und – eine zweite italienische Sängerin, die Madame Campagnoli, verschrieben. Sie ist, wie sich nach der Verschreibung leicht mutmaßen läßt, ein sehr artiges Weib und macht neben ihrer eigentlichen Bestimmung noch überdem Putz. Sie wird nächst der Organist Müllerin, einer gleichfalls stark musikalischen Dame, von ihrem Patron, dem Kriegsrat Müller, nach Verdiensten geschätzt und ihr die verdienten Rosen gestreut; ja, und sollte sich bald vielleicht der Fall ereignen, daß mit ihrer Leibesschmächtigkeit eine Veränderung vorginge, so wird ihr zur Stärkung und Erholung gewiß ebenso huldvoll wie jener des Herrn D .Müllers Weinkeller und Flaschenkörbe nach Verlangen zu beliebigen Diensten stets offenstehen!

Wider die Künstler wäre also hier auf keinen Fall etwas einzuwenden; allein jammerschade, daß man in diesem Tempel göttlich freier Kunst mit einer Steifheit erscheint, die wahrlich oft ärger noch als spanisch genannt zu werden verdiente. Lächerlicher muß für den unbefangenen Zuschauer kein Anblick sein, als wenn Damen und Herren geputzt, geschmückt und ausstaffiert gleich heidnischen Schlachttieren, stumm und gravitätisch einhertreten, – in ihrer Miene Verschwiegenheit wie Grabesnacht, in ihren Blicken heiliger Schauer, wie am Karfreitage beim Grabe des Versöhners, – in ihrem Gange abgemessener Takt, wie der Schritt eines der Totenbahre vorangehenden Leichenbitters, und endlich denn ihr Niedersetzen, wie das ehrfurchtsvolle Hinknien eines katholischen Bauers, wenn der Heilige Vater den Segen austeilt. O lieber Baron, ich versichere dir, ganz bänglich ward mir's ums Herz bei diesen steifen Zeremonien, bei diesen maschinenmäßigen Bewegungen, bei diesem hölzernen Drehen und Wenden, wahrlich, ich glaubte unter Wachsfiguren zu stehen, so leblos und gleichsam entseelt schien diese ganze groteske Versammlung.

Denke dir an den Damen nun überdem noch ganze Lasten und Massen von edlen Juwelen und Perlen in Haaren und an Händen; denke dir ferner Chapeaus, Tänzer. ausstaffiert, alle mit seidenen Strümpfen, Westen und den elegantesten Kleidern, kerzengerade wie steinerne Statuen dastehen, und wahrlich, du läufst Gefahr, erstere für Marienbilder und letztere für kanonisierte Petrus-, Paulus- oder Jakobus-Männer zu halten. Hahaha!

Der angenehmen Unterhaltung, welche die göttlichen Töne einer bezaubernden Musik gewähren, ohnerachtet, wird dir dennoch ganz ängstlich und beklommen ums Herz werden, wenn du das erstemal in diesem Saale erscheinst, denn beim Himmel, ehrwürdiger kann es wohl selbst beim Fronleichnamstag in Erfurt nicht zugehen als donnerstags hier im Leipziger Großen Konzert!

Kaum kann ich mir daher vorstellen, wie es Gelehrten bei soviel Unsinn behagen soll. Doch sie allein sind hier zu schwach, um einen bessern und angemessenem Ton einführen zu können, und die in dieser Hinsicht gegebenen Bemühungen eines gewissen schon bekannten Rechtslehrers sollen, wiewohl ich den ganzen Vorfall überhaupt mit Wahrheit nicht verbürgten kann, vor einiger Zeit sehr übel gekrönt worden sein! Laß dir den drolligen Auftritt erzählen!

Der freimütige Jurist saß nämlich im gerühmten Konzert neben einer Dame, die er, alles Schüttelns und Rüttelns ohnerachtet, zum Sprechen und zu einer Unterhaltung dennoch so wenig bewegen konnte, daß sie vielmehr immer ernsterer und feierlicherer ward. Dem Herrn Professor mißfiel diese Steifheit heute mehr als jemals, er ließ daher ganz andere Minen springen (denn wieviel tausend Auswege stehen nicht einem Juristen zu Gebote?), und – die bisher so steife und stumme Dame mußte denn endlich notgedrungen von selbst ihre holde Stimme erheben:

Dame (nach einigem Räuspern das parfürmierte Schnupftuch vor die Nase haltend, und indem sie sich zum Herrn Professor wendet): Aber mon Dieu, was riecht denn so gar entsetzlich, so unausstehlich um mich herum? Pfui! – O weh, jetzt wird's noch ärger als zuvor; das ist ja in der Tat kaum auszuhalten. Pfui! Pfui!

Professor (halb lächelnd, mit starker Summe): I, Närrchen, Närrchen, was ist es denn? Sie wollen's nicht einmal riechen, und ich muß gar drauf sitzen! Hihihi!

Nun, das hieß mir denn doch wohl von seiten der Akademie zum erstenmal alle Steifigkeit entfernt, und siehe da – das gerühmte Mittel hatte den gewünschten Erfolg. Wie wäre es also, wenn man eine Zeitlang zwanzig arbeitsame Tagelöhner im Konzerte unter diese Damen setzte? Sollten diese nicht über kurz oder lang, nach obangepriesener Professormethode agierend, einen andern, bessern Ton einführen und totaliter das alte Steifheitssystem verbannen? Dann könnte man vielleicht in kurzem dem Herrn Professor nicht genug dafür danken, daß er freimütig und natürlich-philosophisch genug dachte, auch schlechte Mittel zu guten Zwecken zu benutzen, – und die respektive Dame, an welcher zum erstenmal die Wirkung dieses probaten Mittels sich verherrlichte, würde vielleicht selbst den Tag segnen, an dem sie, vermöge ihrer subtilen Geruchsnerven gezwungen, des Herrn Professors versteckte Absichten erraten und so die erste werden mußte, welche, über alle bisherigen Konvenienzen sich hinwegsetzend, einen Ton im Leipziger Großen Konzert einführte, der besser zu den himmlischen Tönen reiner Chöre accompagniert begleiten, passen. als die bisher so steife und in aller Absicht lächerliche spanische Conduite. Aufführung, Anstand, Betragen.

Möchten doch also des Herrn Professors Freimütigkeit und Offenheit ja nicht in Vergessenheit geraten, damit ich noch vor meinem Ende die Freude erlebe, die jetzigen Marienbilder und Jakobus-Männer von gefälligeren, ungezwungern Damen und ungenierten Herren verdrängt zu sehen. Möchte doch zum Frommen so vieler der Himmel recht bald meine Wünsche erfüllen oder – erst die gemachten Vorschläge realisieren!

Hiermit, lieber Baron, will ich denn nun den gegenwärtigen Brief beschließen, zugleich aber noch dich im voraus benachrichtigen, daß von nun an in allen meinen folgenden Briefen stets von solchen Orten die Rede sein wird, die man schlechthin mit dem Namen der öffentlichen belegt, das heißt: wo du für dein Geld dich hinsetzen, Bier trinken, Tabak rauchen, der Musik zuhören, tanzen oder diskurieren Diskur = Rede. kannst. Da es jedoch noch andere Vergnügungsorte gibt, die man auch öffentliche nennt und die wirklich öffentlich sind, wo man aber statt des Bieres vielleicht Wein trinken und das Tabaksrauchen ganz hinwegfallen muß, so sehe ich, um eine ängstliche und mühvolle Klassifikation zu vermeiden, mich genötiget, alle in eine Brühe zu werfen, und du findest daher auch Kaffeehäuser, Weinkeller, Gärten und Hotels, alles bunt durcheinander vermengt, so wie denn gleich der folgende Brief die versprochenen Ergießungen über die große Funkenburg enthält.

v. N. N.


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